Zeitweise ohne Verstand - Inez Gitzinger-Albrecht - E-Book

Zeitweise ohne Verstand E-Book

Inez Gitzinger-Albrecht

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Beschreibung

Sammlung von Kurzen Geschichten Short Stories aus dem Zyklus Möbiussprengungen Tauchparadiese Bd I romantische Literatur

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Seitenzahl: 85

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Die Frage war: Liebst Du mich?

Die Antwort lautete:

Warum liebst Du mich nicht?

(Zitat)

Inhaltsverzeichnis

ZEITWEISE OHNE VERSTAND

Hunde leben einfach besser

Das Gespräch

Keine Leidenschaft

Das Messer

Just who the hell is SHE, anyway?

Genug

Gefangene

Nadja’s Leiden

Drachentöter

Mörder

Auf dem Kommissariat –Folge 9-

Love is all you need

Oskar, Otto und Johannes

Wolfsblut

Hunde leben einfach besser

Zitronenhaie waren bereits 200Millionen Jahre bevor der Mensch seinen Fuß auf die Erde setzte, in der Lage sich auf dem Meeresgrund auszuruhen und keineswegs ständig dabei zu schwimmen. Es war einer jener Tage, die für Gedanken an die Vergänglichkeit wie geschaffen waren. Eigentlich hatte der Winter sich noch nicht verabschiedet, aber die Erde war bereits feucht und von sattem Grün leicht durchwoben. Alles stand irgendwie bereit sich zu entfalten. Josie fuhr an die Städte ihrer Geburt und wollte ihren Eltern durch ihre Anwesenheit einen schönen Tag bescheren. Es schien so, als hätten sie es bitter nötig. Man zog sich an und ging zwischen der noch erstarrten Erde und den sich rüstenden Rebstöcken einher. Der Spaziergang verlief zu aller Zufriedenheit. Josie fühlte sich irgendwie friedlich, so als hätte sie bereits mit dem Leben abgeschlossen, da sich nichts Neues mehr ereignen konnte. Etwas Traurigkeit wollte sich einmischen, aber sie hatte gelernt, die stille Ruhe wie ein Hai auf dem Meeresgrund zu nutzen. Zu nutzen, um der weiteren Jagd nach dem Wissen und dem Geld gewachsen zu sein. Als sie in die Straße einbogen, die zum heimatlichen Haus führte registrierte Josie einen Wagen, lange bevor die Mutter kommentierte, da ist Boy. Und wie durch ein unsichtbares Herbeirufen, kam er die Treppe herunter und setzte sich in das silbergraue Auto. Josie stellte ihm direkt in den Weg und hinderte ihn so daran, loszufahren. Boy’s Erstaunen war eine Mischung aus Furcht und großer Freude. Er hatte einen kleinen Hund dabei, der vielleicht nur einige Tage alt voll Begeisterung die Begrüßungsszene dominierte. Josie war überrascht, welche Wärme in ihr aufstieg. Etwas von dem sie nicht mehr wusste, dass es so etwas noch gab. Der Café, den sie zu zweit tranken, schmeckte nach Erinnerungen und Josie erfuhr dabei, dass der Hund noch keinen Namen hatte. Der Abend setzte sich in einer neutralen Lokalität fort, um die Tratschmäuler des Dorfes nicht unnötig mit sonntäglichem Stoff zu versorgen. Josie war angetan von den Erzählungen und Erinnerungen ihrer Jugendliebe. Es schien so, als hätte sich in den Jahren dazwischen nichts, aber auch gar nichts geändert. Und Josie ließ Erinnerungen an sich vorbeiziehen, die sie eher nicht mehr erinnern wollte. Eine Pubertät voll tragischer virtueller Leidenschaften. Daher ging sie dahin zurück, wo sie annehmen konnte, dass die friedliche Ruhe sich wieder einstellen würde, zu dem Mann, den sie in der Zwischenzeit geheiratet hatte. Tom war bei ihrer Rückkehr betont gelangweilt, aber Josie konnte seine Unruhe spüren, als er hörte, dass sie mit Boy noch einen Abend zugebracht hatte. Es gelang ihr, ohne viel Mühe, ihn zu besänftigen.

In der folgenden Nacht musste mit Josie etwas passiert sein. Am Morgen saß sie an ihrem Schreibtisch zwischen der kreativen Unordnung von unzähligen Papieren und Büchern und spürte eine plötzliche Zärtlichkeit auftauchen, die sie verwirrte. Instinktiv griff sie in einer ihrer Schubladen, zog eine Postkarte mit Andy Warhols Tomatenbüchsen heraus und bedankte sich bei Boy für die schönen Erinnerungen. Der dicke Brief, der sich daraufhin einstellte, verwirrte nicht nur Tom, sondern sein Inhalt war für Josie wie eine Mischung aus Offenbarung und Faszination des Bekannten-Unbekannten. Er hatte alles behalten, alle Kleinigkeiten, alle Erinnerung und es war eine Reise in die eigene Vergangenheit, die sich vor ihr ausbreitet. Josie liebte jegliche Art von Reisen. Ihre Wünsche richteten sich manchmal auf die Ankunft in fremden Ländern und dann auch wieder auf die ersehnte Rückkehr. Die Zärtlichkeit wuchs und Josie wollte mehr. Sie arrangierte ein Treffen, bei dem sie sich gründlich verpassten. Wie sich später herausstellte, war Josie nicht in der ersten Klasse vermutet worden. Und Josie war geschäftsmäßig ihren schnellen Entscheidungen gefolgt, ja keinen Misserfolg aufkommen zu lassen und etwa nach ihm zu suchen. Also fuhr sie sofort weiter, ohne ihn gesehen zu haben. Die Dinge ließen sich klären, aber spätere Besuche waren überschattet von Missverständnissen. Josie hatte einen anstrengenden Beruf, bei dem ihr prophezeit wurde, dass sie so nicht lange leben würde. Nicht nur, dass sie einen Termin nach dem anderen abspulte, die Menschen, mit denen sie es zu tun hatte, waren allesamt ungemein fordernd und gaben sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden. Sie wollten immer alles und total von ihr. Manchmal fühlte sich Josie wie eine leer getankte Anlegestelle für Boote, die sich dann voller Lebensfreude davon machten, während sie ausgelaugt sthen blieb. Die zärtlichen Gefühle, die sie dabei war bei sich zu entdecken, waren daher ein völlige Neuigkeit. Boy war ein Mensch, dere sich wunderschön ansah, ob er nun in einem Ledersessel lungerte oder von oben bis unten verschmiert im Garten wühlte. Wenn er sie anblickte, traf er sie tief in ihrem Innersten so sehr, dass ihr ein regelrechter Schauer jegliche Sprache verschlug. Sie wusste nicht, ob sie sich sentimentalkitschig fühlen sollte. Aber langsam begann ihr das egal zu werden. Wenn er seine Worte an sie richtete, nahm sie diese mit ihrem kompletten Körper auf. Er war wie ein ganzheitliches, sinnliches Erlebnis. Josie hatte nach einigen wenigen Besuchen einen neuen Namen für ihn gefunden. Er war einfach ein Außerirdischer für sie. Spaceboy konnte noch schüchterner sein als Josie, wenn Situationen begannen Gefühle auszulösen, und so brachten sie manchmal Stunden damit zu, sich wie vor 20 Jahren über die Dinge des Lebens zu unterhalten. Josie verstrickte sich dabei immer mehr in Gefühlszustände, die ihr völlig fremd schienen und doch so vertraut waren. Spaceboy’s Beruf war es geworden, Gefühle mit dem chirurgischen Seziermesser in kodierte Visualitäten zu verwandeln, die offensichtlich nur er noch verstand. Jedenfalls fing Josie an, eine gewisse Sucht nach seiner Nähe zu entwickeln. Und je mehr sie auf ihn zuging, desto näher schien auch er zu kommen. Doch Spaceboy rechnete nicht mit Josie’s Realitätssinn, der sie immer wieder davon abgehalten hatte Zuneigungen zuzulassen. Er nannte es Destruktivität. Auch Josie war überrascht von sich, wie sie versuchte möglichst wenig von ihren Empfindungen zu zeigen. Sie konnte sich einfach gut hinter ihren Terminen und Problemen verstecken. Und als Vermeidungskünstlerin war sie schon immer unschlagbar. Sie musste ihn tatsächlich im Regen stehen lassen an einem dieser Abende. Es brach ihr anschließend das Herz. Und wie es schien, blieb es auch gebrochen. Spaceboy schwärmte zunehmend von seinem kleinen Hund und stellte sich permanent die Frage, wenn er seinen Hund heiraten würde ob dann sein Frau sein Freund sei. Aber einen Namen für den Hund hatte er noch immer nicht gefunden. Tom war in dieser Zeit wie vom Erdboden verschwunden, das begünstigte die Szenerie.

Es schien zunächst so, als hätten sie beide nur darauf gewartet, endlich wieder zusammen zu finden und die zärtlichen Berührungen ab und an, die sich scheinbar wie zufällig ergaben, waren von einer solchen reichhaltigen Gefühlserregung begleitet, dass Josie mehr als eine Stunde mit Spaceboy kaum mehr glaubte aushalten zu können. Die Heftigkeit brachte sie völlig aus der Fassung. Sie begann zu genießen und war von einer unglaublich kreativen Schaffenskraft an ihre tägliche Arbeit gegangen. Doch Spaceboy wurde ungeduldig. Irgend etwas hatte ihn dazu gebracht, immer mehr auf Rückzug zu gehen. Bis dahin, dass er sie mit Briefen beschimpfte und die zärtlichen Telefongespräche einstellte. Wenn sie im Atelier vorbei kam, beachtete er sie nur noch scheinbar uninteressiert und Josie begann zu leiden. Sie hatte immer mehr den Eindruck, Pubertät und momentane Zustände nicht mehr auseinanderhalten zu können. Spaceboy wollte nichts und alles, er war sich offensichtlich selbst nicht klar darüber. Ebenso schüchtern wie Josie, schlug jedoch seine zärtliche Zugewandtheit in brutale Ablehnung um. Josie versuchte den Kopf über Wasser zu halten. Das einzige was ihr zu diesem Zeitpunkt gelang, war ihn in Barrakuda umzutaufen. Sie hatte eine gewisse Affinität zu diesen Fischen. Wunderschön anzusehen, reagieren sie auf Glitzerndes mit massiver Aggression und versuchen dann blitzschnell zuzubeißen. Die feuchte Nase des kleinen Hundes wurde in der Zwischenzeit bevorzugt und schien das Schönste zu sein, was es auf dieser Welt gab. Einen Namen hatte er noch immer nicht, dafür alle Zuneigung.

Mehr oder weniger ungeduldig breitete sich der Sommer aus. Die Hitze schien die Menschen freundlicher werden zu lassen. Spaceboy pflanze gelbe Blumen in seinen Garten und Josie versuchte ihn vergeblich zum Schwimmen zu überreden Nur Barrakuda lauerte auf Anzeichen die ihm einen Grund gaben, zuzubeißen. Josie gab sich ihren Phantasien hin, die sie in die Welt hinaus mitnahm. So war sie wenigstens nicht alleine unter all den fremden Menschen in Ländern, die sich durch nichts mehr unterschieden. Irgendwie schien alles näher zu rücken. Entfernungen waren keine wirklichen Entfernungen mehr, und wenn sie die Kollegen in Amerika über Email nach ihren Ideen fragte, bestand kein Unterschied mehr zu den Männern und Frauen, die direkt vor ihr saßen. Nur Barrakuda hatte sich inzwischen einen Namen für den Hund ausgedacht. Er nannte ihn Ohr. Josie lächelte, als sie ihn so liebevoll mit ihm spielen sah. Das Ohr gab eigentlich mehr Signale aus, die an eine Seele rührten, als es andere Ohren jemals taten. Der Name passte offensichtlich gut. Die Medien gerieten durcheinander und Josie küsste den Hund, sprach mit fremden Menschen in fremden Ländern an kalten Maschinen, die sie niemals anblickten. Barrakuda wusste nicht ob er Spaceboy sein sollte und Josie wollte einen Hund, der ihr Ohr werden sollte.

Der Sommer verging wie die bunten Bilder im Internet. Nach heftigen Anfängen überschütteten die Ereignisse jede menschliche Wahrnehmungskapazität. Und der Hund wurde ein kleines bisschen erwachsener. Nach 200Millionen Jahren fand der Hai seinen Ruheplatz nicht mehr. Josie hielt sich im Reich des Sogenannten auf und hatte das Gefühl nicht mehr zu finden, was sie suchte, weil sie scheinbar verloren hatte, was sie suchen wollte. Warum fand sich nur niemand, der ihr ein Ohr schenkte?