Zellbiologie - Helmut Plattner - E-Book

Zellbiologie E-Book

Helmut Plattner

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Beschreibung

<p><strong>Zellen sind die Grundbausteine des Lebens. Dieses kompakte Lehrbuch führt dich in die spannende Welt der Zellbiologie ein. Es bietet dir den gesamten Stoff der Grundvorlesung. Hier erfährst du alles zum Aufbau von Zellen, ihren molekularen Bestandteilen und Kompartimenten bzw. Organellen. Und es beschreibt die Prozesse, die an Zellteilung, Bewegung, Kommunikation und Organbildung beteiligt sind. Viele Schemata und hervorragende elektronenmikroskopische Aufnahmen vermitteln dir das komplexe Zellgeschehen anschaulich.</strong></p> <p>Besonders detailliert erklärt:</p> <ul> <li>Methoden der modernen Zellbiologie</li> <li>„Molekulare Zooms“ zu ausgewählten Themen der Molekularbiologie</li> <li>Zellpathologie von Krankheiten, die auf zellbiologischen Defekten beruhen</li> </ul> <p>Das Kapitel über die mikroskopischen Techniken wurde komplett neu geschrieben und auf den aktuellsten Stand gebracht.</p> <p>Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht dir auch digital in der Online-Plattform eRef zur Verfügung. Zugangscode im Buch. </p>

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Seitenzahl: 771

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Zellbiologie

Helmut Plattner, Joachim Hentschel

5. überarbeitete Auflage

400 Abbildungen

Vorwort zur 5. Auflage

Die Biologie der Zelle findet zunehmend Interesse, nicht nur von der Seite der Grundlagenforschung sondern auch von der praktischen Seite, insbesondere der Medizin. So haben Genetik und gentechnische Möglichkeiten viele neue Experimente auch in der Zellbiologie ermöglicht. Das Repertoire an Möglichkeiten, gezielt in das Zellgeschehen einzugreifen, hat sich explosiv erweitert. Dabei kommen neue biologische Aspekte zunehmend in den Fokus, insbesondere die Epigenetik, die sich mit Steuermechanismen durch extra- und intrazelluläre Faktoren und Randbedingungen befasst. Die steten Veränderungen in der Mikro-Umgebung der vielen Stammzellen, über die unser Körper verfügt, ermöglichen die Differenzierung von Geweben, Ersatz von Zellen für regenerative Prozesse – und leider auch die Bildung von Krebs. Die Epigenetik präsentiert sich nun wie ein Kurzzeitgedächtnis, das dem Genom als Langzeitgedächtnis überlagert ist. Diese Entwicklung erforderte neue Abschnitte.

Auch in der Entwicklung neuer Methoden wurde in den letzten Jahren beachtlicher Fortschritt erzielt. Darunter sind neue gentechnische Methoden, „big data handling“ von genetischen Informationen mit Methoden der Informatik, die Zugänglichkeit solcher Daten im internationalen Rahmen über „data bases“ (Sammlung genomischer, epigenetischer und proteomischer Daten), Daten zu zeitvariabler Genexpression („expression profiling“), verfeinerte lichtmikroskopische Abbildungsmethoden mit erheblich verbesserter zeitlicher und räumlicher Auflösung, die sich langsam jener des Elektronenmikroskops annähert. Dies wird insbesondere der Entwicklung neuer Fluoreszenzfarbstoffe und neuer Gerätetechniken geschuldet, mit denen man auch viel schneller arbeiten kann als bisher.

Damit haben wir einen kurzen Ausblick gegeben, welche Änderungen bzw. Ergänzungen für die neue Auflage notwendig erschienen. Bei jeder neuen Auflage – und so auch hier wieder – betonen wir, dass dieser Leitfaden der Zellbiologie hauptsächlich als Einführung für jene gedacht und gemacht ist, die das Fach zwar studieren wollen, aber als Anfänger oft den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen oder auch schon an der fachspezifischen Terminologie scheitern. Sei es, dass es an chemischen, physikalischen oder biologischen Grundlagen hapert, wir versuchten, aus unserer langjährigen Erfahrung als Hochschullehrer hier eine Brücke zu bauen und an dieses wunderbare Fach mit der Zelle als Bau- und Funktionseinheit aller Organismen heranzuführen.

Besonders hinweisen wollten wir auf die Zusammenstellung von vertiefender Literatur, die auch für Seminare in höheren Semestern geeignet ist und die wir über die letzten Jahre stetig nach Relevanz, Kompetenz und Aktualität gefiltert und gesammelt haben. Sie kann für jedes Kapitel über den Verlagsserver des Thieme Verlages abgerufen werden, soweit zugänglich sogar als pdf.

Schließlich ist es uns ein Herzensanliegen, unseren Betreuerinnen beim Thieme Verlag, Frau Marianne Mauch, Frau Dr. Karin Hauser und Frau Judith Rolfes, für ihre kompetente und unermüdliche Hilfe, auch wiederum bei dieser 5. Auflage, zu danken. Fau Dr. Hauser hat bereits Struktur und Profil der 4. Auflage wesentlich mitgeprägt, worauf wir dieses Mal gut zurückgreifen konnten. Ebenso dankbar sind wir Frau Prof. Claudia Stuermer und Herrn Dr. Klaus Hensler für konstruktiv-kritische Anmerkungen zur alten und neuen Auflage und insbesondere auch Frau Dr. Tanja Waldmann und Herrn Prof. Martin Simon für die Durchsicht neuer Abschnitte.

Helmut PlattnerJoachim Hentschel                         Konstanz, im Januar 2017

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 5. Auflage

1 Der lange Weg der Zellenlehre zur modernen Zellbiologie – eine kurze Geschichte

2 Größenordnungen in der Zellbiologie – ein weiter Bereich

3 Zelluläre Strukturen – Sichtbarmachung mithilfe mikroskopischer Techniken

3.1 Das Lichtmikroskop

3.1.1 Konventionelle Lichtmikroskopie

3.1.2 Neue Entwicklungen in der Lichtmikroskopie

3.2 Das Elektronenmikroskop (EM)

3.2.1 Das Transmissions-Elektronenmikroskop

3.2.2 Das Raster-Elektronenmikroskop (REM)

4 Grundbaupläne – ein Überblick über zelluläre Organisationsformen

4.1 Kennzeichen einer lebenden Zelle

4.2 Die zwei Kategorien von Zellen

4.2.1 Die Prokaryotenzelle im Vergleich zur Eukaryotenzelle

4.2.2 Die Bakterienzelle

4.2.3 Die Eukaryotenzelle

5 Der „Stoff“, aus dem die Zellen sind – molekulare Bausteine

5.1 Pauschale Zusammensetzung von Zellen

5.2 Phospholipide

5.3 Aminosäuren und Proteine

5.4 Zucker

5.5 Pyrimidin- und Purin-Basen der Nukleinsäuren

6 Biomembranen und das „innere Milieu“ der Zelle – was die Zelle zusammenhält

6.1 Biomembranen als selektive Barrieren

6.1.1 Semipermeabilität der Zellmembran

6.1.2 Grundsätzliche Beobachtungen zum Aufbau der Zellmembran

6.1.3 Das „innere Milieu“ der Zelle

6.2 Transportphänomene an Biomembranen

6.3 Struktur von Biomembranen

6.3.1 Die Proteine von Biomembranen

6.4 Die Glykokalyx und Übersicht über die Membrankomponenten

6.4.1 Übersicht über die Funktion der Zelloberfläche

6.5 Intrazelluläre Signaltransduktion

7 Der Zellkern – „Kommandozentrale“ der Zelle

7.1 Funktionelle Aspekte

7.1.1 Transkription aktiver Gene und anschließende Translation der Transkripte in Proteine

7.2 Bau des Zellkerns

7.3 Die Struktur des Chromatins

7.4 Der Chromosomensatz der Zelle

7.5 Nukleolus und Biogenese der Ribosomen

7.6 Kernporen

7.7 DNA als effizienter Informationsträger

8 Molekularbiologische Methoden – wichtiges Werkzeug der Zellbiologie

8.1 Neues Werkzeug für alte Probleme

8.2 Isolierung von Proteinen

8.3 Identifikation, Isolierung und Nachbau von Nukleotidsequenzen

8.4 Gentechnische Methoden in der Zellbiologie

8.5 Ausblick auf weitere Anwendungen

9 Proteinsynthese – Umsetzung von Botschaften aus dem Zellkern

9.1 Zusammensetzung und Bau von Ribosomen

9.2 Das Prinzip der Synthese von Proteinen und ihrer Verteilung in der Zelle

9.3 Ablauf der Synthese von Proteinen

9.4 Freie und membranständige Ribosomen

10 Der Golgi-Apparat - „Verschiebebahnhof“ der Zelle

10.1 Aufbau und Lage des Golgi-Apparates

10.2 Endfertigung von Proteinen und z. T. von Lipiden

11 Struktur- und Funktionsanalyse - wie sie einander ergänzen

11.1 Zerlegung der Zellen in ihre Bestandteile

11.1.1 Die Technik der Zellfraktionierung

11.1.2 Die Ultrazentrifuge

11.2 Lokalisierung und Messung von Enzymen

11.2.1 Elektronenmikroskopische Darstellung eines Leitenzyms am Beispiel der sauren Phosphatase in Lysosomen

11.2.2 Spektralphotometrischer Nachweis eines Leitenzyms am Beispiel der sauren Phosphatase von Lysosomen

11.3 Radioaktive Markierung und ihre Lokalisierung

11.3.1 Pulsmarkierung

11.3.2 Radioaktivitätsmessung

11.3.3 Autoradiographie

11.4 Antikörper im Dienste der zellbiologischen Forschung

11.4.1 Markierung zellulärer Strukturen

11.4.2 Struktur von Antikörper-Molekülen

11.4.3 Immunhistochemie und Immuncytochemie

11.4.4 Monoklonale Antikörper

11.4.5 Analogmarkierung und Affinitätsmarkierung

11.4.6 Vielfachmarkierungen

11.5 Analysen in vivo

11.5.1 GFP-Markierung in vivo

11.5.2 Die FRAP-Methode

11.5.3 Calcium-Messungen

12 Das „Exportgeschäft“ – Transport von Molekülen an die Zelloberfläche und Export aus der Zelle

12.1 Das Prinzip des vesikulären Transportes

12.2 Allgemeines über die Abgabe von Stoffen (Sekretion)

12.2.1 Die Zelle kann sehr verschiedene Stoffe exportieren

12.3 Exocytose

12.3.1 Ungetriggerte Exocytose

12.3.2 Getriggerte Exocytose

13 Das „Importgeschäft“ – Aufnahme von Stoffen

13.1 Endocytose und Phagocytose

13.2 Endocytose im engeren Sinn

13.3 Phagocytose

13.4 Transcytose

14 Lysosomen – Abfall-Recycling als altbewährtes Prinzip

14.1 Was charakterisiert Lysosomen?

14.2 Adressat mehrerer Transportrouten – Biogenese von Lysosomen

14.3 Multivesicular Bodies

14.4 Die Vakuole der Pflanzen – ein Lysosom besonderer Art

15 Glattes Endoplasmatisches Retikulum, Lipidtropfen, Glykogen und Peroxisomen – sehr variable Zellkomponenten

15.1 Glattes ER und Lipidtropfen

15.2 Glykogen

15.3 Peroxisomen

16 Das Cytoskelett – Stütze und Bewegungsgrundlage

16.1 Die Komponenten des Cytoskeletts

16.2 Mikrotubuli

16.2.1 Dynamische Instabilität von Mikrotubuli und ihre Beeinflussung durch Toxine

16.2.2 Funktionen von Mikrotubuli

16.3 Mikrofilamente

16.3.1 Molekulare Komponenten und Bau von Mikrofilamenten

16.3.2 Funktion von Mikrofilamenten

16.4 Intermediär-Filamente

17 Cilien, Flagellen, Pseudopodien – auch Zellen können sich fortbewegen

17.1 Schwimmbewegungen (Cilien, Flagellen)

17.2 Kriechbewegungen (amöboide Bewegung, Chemotaxis)

17.3 Geschwindigkeiten dynamischer zellulärer Prozesse

18 Das Cytosol – mehr als eine inerte Grundmasse

18.1 Dynamisch strukturierter „Umschlagplatz“ vieler Stoffe

18.2 Glykolyse

18.3 Posttranslationale Modifikationen

19 Mitochondrien – die „Kraftwerke der Zelle“

19.1 Strukturelle Aspekte

19.2 Funktionelle Aspekte

19.3 „Semiautonomie“: Mitochondriale DNA und Proteinsynthese

19.4 Biogenese

20 Chloroplasten – die „Solarenergie-Kollektoren“ der Pflanzenzelle

20.1 Bau und Funktion von Chloroplasten

20.2 Biogenese von Chloroplasten

21 Zellen im Gewebeverband – Zusammenhalt und Kommunikation

21.1 Zellen im Gewebeverband

21.1.1 Tight junctions

21.1.2 Adhäsionsgürtel und Fokalkontakte

21.1.3 Punktdesmosomen und Hemidesmosomen

21.2 Der Verbindungskomplex

21.3 Zell-Zell-Verbindungen ohne assoziierte Filamente

21.3.1 Allgemeine Zell-Zell- und Zell-Matrix-Adhäsion

21.3.2 Gap junctions

21.3.3 Plasmodesmen

21.4 Zell-Matrix-Verbindungen im Rückblick

21.5 Die extrazelluläre Matrix (Interzellularsubstanz)

21.6 Chemische Synapsen

22 Zellzyklus, Kernteilung und Zellteilung – der Lebenskreislauf einer Zelle

22.1 Körperzellen (somatische Zellen)

22.1.1 Der Zellzyklus

22.1.2 Die Teilungsspindel

22.1.3 Mitose und Cytokinese (Kern- und Zellteilung)

22.1.4 Die Cytokinese

22.1.5 Regulation des Zellzyklus

22.2 Geschlechtszellen

23 Zellen brauchen Signale zur Differenzierung – Krebs, Apoptose, Epigenetik, Stammzellen

23.1 Verschiedene Zelloberflächenrezeptoren senden Signale in den Zellkern

23.1.1 Rezeptor-Tyrosinkinasen

23.1.2 Tyrosinkinase-gekoppelte Rezeptoren

23.1.3 Fokalkontakte ohne Rezeptorbindung

23.2 Ausblicke auf das Phänomen Krebs

23.3 Apoptose

23.4 Epigenetik

23.5 Stammzellen, deren Differenzierung und medizinische Zielsetzungen

23.5.1 Stammzellen und deren Differenzierung

23.5.2 Medizinische Zielsetzungen

24 Besonderheiten der Pflanzenzelle – ein Vergleich mit tierischen Zellen

24.1 Innere Organisation der Pflanzenzelle

24.1.1 Pflanzenzellen sind ähnlich organisiert wie tierische Zellen

24.1.2 Die Pflanzenzelle im histologischen Bild

24.2 Die besondere Rolle von Peroxisomen bei Pflanzen

24.2.1 Biogenese

24.2.2 Funktion

24.3 Die Zellwand

24.3.1 Chemische Bestandteile

24.3.2 Biosynthese und Schichtaufbau

24.3.3 Transport von Wasser in der Zellwand

24.3.4 Sonderbildungen

24.4 Zellteilung und Differenzierung bei Pflanzen

24.5 Unerwartete Fähigkeiten der Pflanzenzelle

24.6 Tierische und pflanzliche Zelle im Rückblick – ein Vergleich

25 Viren – Komplexe aus Nukleinsäuren und Proteinen

25.1 Verschiedene Arten von Viren

25.2 Aufbau

25.3 Der Weg des Virus durch die Wirtszelle

26 Evolution der Zelle – oder: wie das Leben lernte zu leben

26.1 Präbiotische Evolution

26.2 Die ersten Zellen

26.3 Das Problem mit dem Sauerstoff

26.4 Der Weg zur höheren Zelle

26.5 Die Symbiose-Hypothese auf dem Prüfstand

26.6 Wie ging die Evolution der Zelle weiter?

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

1 Der lange Weg der Zellenlehre zur modernen Zellbiologie – eine kurze Geschichte

Zusammenfassung

Die Entwicklung der Zellbiologie ist von einem steten Wechselspiel zwischen methodischer Entwicklung und Formulierung neuer Probleme gekennzeichnet. Dabei werden sehr verschiedenartige Methoden aus Physik, Chemie, Immunologie, Genetik etc. kombiniert, um zu einem integrierten Verständnis der Zelle als elementarem Baustein des Lebens zu gelangen. In diesem Zusammenhang können sich Ergebnisse einer zweckfreien Grundlagenforschung, deren Auswirkungen zunächst kaum vorhersehbar sind, zum Motor des Fortschrittes entwickeln. Auf diese Weise hat die Entwicklung der Zellbiologie die menschlichen Lebensbedingungen nachhaltig beeinflusst.

Großen Entdeckungen gehen meistens große Erfindungen voraus. Da Zellen im Allgemeinen zu klein sind, als dass man sie mit bloßem Auge sehen könnte, bedurfte ihre Entdeckung der Erfindung des Mikroskops – oder wenigstens der Lupe. So konnte in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts Robert Hooke in Oxford an dünn geschnittenem Korkgewebe von Pflanzen erstmals little boxes (kleine Kammern) oder auf Latein „cellulae“ wahrnehmen ( ▶ Abb. 1.1). Eigentlich waren die Strukturen, die er sah, nur die toten Hüllen der Pflanzenzellen, nämlich die verkorkten Zellwände. Immerhin reichten die gesammelten Beobachtungen für ein Buch, welches Hooke 1665 unter dem Titel „Micrographia“ in London publizierte ( ▶ Abb. 1.2).

Abb. 1.1Die „cellulae“ von pflanzlichem Korkgewebe:a Längsschnitt, b Querschnitt, wie sie Robert Hooke 1665 erstmals in seinem Werk „Micrographia“ abgebildet hat.

Abb. 1.2Textausschnitt aus der „Micrographia“ (1665) von Robert Hooke.Seine Weitsicht ließ ihn bereits erkennen, wie bedeutsam die enge Verflechtung von strukturellen und funktionellen Aspekten (inward motions) einmal sein würde. Damit hat er ein immer noch gültiges Grundanliegen der Zellbiologie vorweggenommen.

Eigentlich sollte Hooke Luftpumpen für seinen Chef, einen ernsthaften Physiker, bauen – der Mikroskopbau war nur sein Hobby. Zwei Linsen hatte er in einer Röhre in geeignetem Abstand angebracht, ganz wie dies heute noch beim „zusammengesetzten Mikroskop“ üblich ist, und erreichte so eine ca. 30-fache Vergrößerung. Hooke war nicht der Erste, der auf die Idee gekommen war, ein Vergrößerungsgerät aus zwei Linsen anzufertigen. So baute Galileo Galilei nicht nur Fernrohre für die Beobachtungen der Planeten und deren Monde, sondern er hatte bereits 1624 ein Mikroskop vorgestellt, „per vedere da vicino le cose minime“ (um die kleinsten Dinge aus der Nähe zu sehen). Verwendung aber fanden diese Geräte bestenfalls bei reichen Leuten, um nachzusehen, wie jene Marterwerkzeuge von lästigen Stechinsekten aussehen, von denen sie geplagt wurden. Lupen und Mikroskope dienten also zu jener Zeit lediglich als „Flohgläser“. Die Zeit war noch nicht reif, nach Bausteinen des Lebens zu suchen, das Problem war noch nicht erkannt und niemand stellte die entscheidenden Fragen. Fast niemand.

Beobachtung erster lebender Zellen: Protozoen, Blutzellen und SpermienEine Ausnahme war der holländische Leinenhändler Antony van Leeuwenhoek (Löwenhuk gesprochen) in Delft, ein Zeitgenosse Hookes. Sein Mikroskop war nur eine einfache Linse aus Eigenfertigung, allerdings nach sorgsam gehütetem Geheimnis so geschliffen, dass der Farbfehler (chromatische Aberration) bereits weitgehend korrigiert war und eine ca. 100-fache Vergrößerung erreicht werden konnte. Die wenige Millimeter große Linse war in der Bohrung eines Blechstücks befestigt und darüber war eine einfache Objekthalterung angebracht. Van Leeuwenhoek war wohl der Erste, der lebende Zellen wahrgenommen hat: Protozoen (aus Tümpelwasser), Blutzellen und Samenzellen (Spermatozoen). Er beobachtete, wie diese sich mit ihrem Schwanz schlängelnd fortbewegen und nannte sie „animalculae“ (Tierchen). Unübersehbar war, dass diese Zellen mit einem Saft gefüllt sind. Gelegentlich konnte er eine kompaktere Innenstruktur, den Zellkern, wahrnehmen. Van Leeuwenhoeks Beobachtungen fanden ein offenes Ohr bei der Britischen Royal Society und in ihrem Publikationsorgan (Proceedings) kam van Leeuwenhoek häufig zu Wort.

Erstaunlich ist dann die absolute Funkstille über mehr als 150 Jahre. Erst ab 1838 kann man eigentlich vom Beginn der Zellenlehre sprechen. Der deutsche Botaniker Matthias Schleiden erkannte, dass Pflanzen aus Zellen aufgebaut sind, aus einer Unzahl von Zellen, da diese nur ca. 20 bis 50 μm groß sind. Wieder kam, wie schon in den Uranfängen, die klare Umgrenzung der pflanzlichen Zellen durch eine Zellwand dem Beobachter zu Hilfe. An tierischen Geweben war Derartiges noch nicht gesichtet worden – noch nicht, aber die Vermutung lag nahe. So überzeugte Schleiden einen Kollegen aus der Zoologie, die Allgemeingültigkeit seiner Hypothese vom zellulären Bau der Organismen an tierischen Geweben zu überprüfen ( ▶ Abb. 1.3).

Abb. 1.3Abbildung aus Theodor Schwanns Werk (1839), in dem er erstmals dokumentierte, dass tierische ebenso wie pflanzliche Gewebe aus Zellen aufgebaut sind.

Schwann’s Zellentheorie Schon 1839 konnte Theodor Schwann sein Werk vorlegen, welches den Titel trägt: „Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmungen in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen“. Die Hypothese war zur Theorie gereift – die Zellentheorie. Bald wurde die Zelle als Bau- und Funktionseinheit der Organismen im modernen Sinn definiert. So schrieb Max Schultze im Jahre 1861: „Die Zelle ist ein mit den Eigenschaften des Lebens begabtes Klümpchen Protoplasma, in welchem ein Kern liegt“.

Es ist aus heutiger Sicht unverständlich, wie leicht man damals mit dem Begriff „Leben“ umging. Immer noch dominierte die Ansicht, einfaches Leben – also auch die Zelle – könnte jederzeit in fauligem Wasser oder in Abfall spontan entstehen (Urzeugung, „generatio spontanea“). Nichts hatten die Einwände einiger scharfsinniger Denker gefruchtet, wie etwa die des französischen Gelehrten Voltaire, welcher sich im Kapitel über die Wissenschaften in seinem Werk „Le siècle de Louis XIV“ bereits 1751 mit erstaunlicher Sicherheit geäußert hatte: „Die Fäulnis gilt nicht mehr als Erzeuger der Tiere und Pflanzen“.

Jede Zelle entsteht aus einer Zelle Erst das Diktum des deutschen Mediziners Rudolf Virchow: „omnis cellula e(x) cellula“ (jede Zelle entsteht aus einer Zelle) brachte 1855 die endgültige Trendwende. Das Mikroskop gestattete nun auch, Bakterien von verschiedener Form und Größe, allerdings oft knapp an der Auflösungsgrenze, zu erkennen. Auch wurden Bakterien erstmals als pathogene Keime realisiert. Aber immer noch schwelte die Vorstellung von der spontanen Entstehung wenigstens von „primitivem“ Leben, als welches man etwa Würmer und schon gar die von Leeuwenhoek gesichteten kleinen Einzeller angesehen hatte. Man glaubte immer noch, sie entstünden ganz einfach, wenn ein Kadaver verfault oder wenn eine Fleischbrühe verdirbt: „Man kann doch zusehen…“

Keime sind in der LuftNun galt es, den Gegenbeweis zu erbringen. Louis Pasteur trat an. Er argumentierte leidenschaftlich vor großem Publikum in Paris, dem er seine Experimente vorführte, nicht ohne auch seine Kontrollexperimente zu zeigen: Ein offenes Gefäß mit Fleischbouillon zersetzte sich binnen weniger Tage in eine stinkende Brühe. Dieselbe Bouillon, ausreichend erhitzt und aufbewahrt in einem geschlossenen Gefäß, war noch nach Tagen appetitlich. Noch heute wenden wir das Prinzip des Pasteurisierens an, etwa um Frischmilch haltbar zu machen. Am Luftabschluss konnte es nicht gelegen haben, denn Pasteur konnte „seinen“ Effekt auch mit Glasgefäßen zeigen, welche oben nicht ganz verschlossen, sondern in ein langes, offenes, schräges Rohr ausgezogen waren, den Zutritt von Bakterien erschwerend ( ▶ Abb. 1.4). Daraus leitete er folgende Schlüsse ab: In der Luft schwirren „Keime“ herum, welche sich in geeignetem Substrat vermehren. Diese Keime entstehen nicht spontan. Also stand es auch für Bakterien fest, dass es eine spontane „Urzeugung“ nicht gibt.

Abb. 1.4Louis Pasteurs Versuchsanordnung aus Glaskolben mit Nährbouillon.Mit dieser Anordnung hat er um 1850 endgültig die spontane Entstehung von fäulniserregenden Mikroorganismen widerlegt. Die Bouillon im offenen Gefäß links zersetzte sich, nicht dagegen jene im Gefäß rechts, dessen lang ausgezogener Hals zwar die Luftzufuhr, nicht jedoch den Zutritt von Bakterien erlaubte.

Die Naturwissenschaft soll dem Menschen nutzen Damit hätte man sich zufrieden geben können. Inzwischen aber hatte man gelernt, aus dem naturwissenschaftlichen Fortschritt Nutzen zu ziehen. Der Boden war schon um 1600 durch den englischen Philosophen des Empirismus, Francis Bacon, mit seinem Leitmotiv „Knowledge is power“ gelegt worden. Je mehr sich in den folgenden zweieinhalb Jahrhunderten die Kenntnisse über die Natur anreicherten, desto mehr trachtete man, die Früchte zu ernten. So erkannte Justus von Liebig ab 1804, allerdings unter anderen Namen, Proteine (Eiweiße), Lipoide (Fettstoffe) und Polysaccharide (Zucker), als wichtige Stoffklassen der Organismen und vergrößerte den Einfluss der chemischen Denkweise in der Biologie durch seine wichtigen Untersuchungen zum Mineralstoffbedarf der Pflanzen. Das Resultat war Mineralstoffdünger für größere landwirtschaftliche Erträge. Im Jahre 1859 verkündete der Physiologe Hermann Helmholtz bei einem Tagungsvortrag zum Thema „Über das Ziel und die Fortschritte der Naturwissenschaft“ in Innsbruck: „Das schon geleistete mag die Erreichung weiterer Fortschritte verbürgen… Dass diese Richtung des wissenschaftlichen Strebens eine gesunde ist, haben namentlich ihre praktischen Folgen deutlich erwiesen“. Damit meinte er die neue, messende, experimentelle Biologie mit dem Einsatz neuer physikalischer und chemischer Methoden. Man versuchte also ab damals systematisch, naturwissenschaftliches Wissen in die Praxis umzusetzen, auch in der Biologie. Ja, die Gesellschaft erwartete dies geradezu als „Bringschuld der Naturwissenschaften“ – ein Schlagwort, das allerdings erst in unserer Zeit von einem bekannten deutschen Politiker geprägt wurde. Die wissenschaftlichen Voraussetzungen und die gesellschaftliche Akzeptanz waren gegeben. Fortan erblühte die Zellbiologie, neue Forschungsstätten wurden gegründet.

Praktischer Erfolg der Zellbiologie: Nachweis und Bekämpfung von Pathogenen Wir können für die beachtlichsten Früchte, welche es nun zu ernten gab, vor allem zwei Wissenschaftler als Kronzeugen anführen: Den bereits erwähnten Louis Pasteur (nach welchem ein großes Forschungsinstitut in Paris benannt ist) und Robert Koch in Berlin (mit gleichnamigem Institut). 1865 gelang Pasteur der erste Nachweis, dass ein Mikroorganismus pathogen sein kann. Zwar handelte es sich „nur“ um die Pébrine-Krankheit der Seidenraupe (welche damals allerdings für Südfrankreich bedeutsam war), doch folgte bereits ab 1876 Koch mit dem Erreger des Milzbrands (Bacillus anthracis) und den Tuberkulose-Bazillen (Mycobacterium tuberculosis). Milzbrand kann sowohl Haustiere als auch Menschen infizieren und töten (humanpathogen, letal) und Tuberkulose ist gerade in unserer Zeit wieder im Zunehmen. Man erkannte fortan, dass auch Typhus und Cholera nicht in schlechten Bodenausdünstungen ihren Ursprung haben, sondern in pathogenen Bakterien. Nun konnte man etwas unternehmen: Die hygienischen Bedingungen wurden verbessert und die Versorgung mit sauberem Trinkwasser wurde in Großstädten ab ca. 1870 vorangetrieben. Dies war ein früher praktischer Erfolg der Zellbiologie.

Wissenschaftlicher Fortschritt, ein zweischneidiges SchwertAn dieser Stelle wollen wir kurz einhalten und uns etwas Grundsätzliches überlegen: Die Zellbiologie wurde also ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Fortschrittsträger. Doch zu welchem Preis? Konnte man nicht unlängst noch lesen, der Milzbranderreger sei als „biologische Waffe“ einsatzbereit von wenigstens einer der Großmächte gespeichert worden? (Hier kam ganz klar – wie so oft – die menschliche Bosheit vor dem wissenschaftlichen Verständnis der komplexen Wirkung der komplexen Anthrax-Toxine, in die wir erst um die Jahrtausendwende Einblick gewonnen haben.) Und welche Nebeneffekte hatte die Bekämpfung von Krankheiten auf der Grundlage der zellbiologischen Erkenntnisse seit ca. 1870? Ohne Zweifel bewirkte sie auch die Bevölkerungsexplosion, durch verbesserte Abwehr von pathogenen Keimen (Hygiene). Dies erfolgte durch den systematischen Einsatz der Chemotherapie ab der Jahrhundertwende (Paul Ehrlich, Gerhard Domagk, Nobelpreise 1908, 1939) und durch die Entdeckung des ersten Antibiotikums, Penicillin, durch den Briten Alexander Fleming im Jahre 1928 (Nobelpreis 1945). Die Zunahme der Bevölkerung zu steuern und ihre Verelendung in weiten Teilen der Welt zu unterbinden, ist bis heute nicht geglückt. Eine solche Steuerung wurde aber möglich auf der Grundlage zeitgenössischer Entwicklungen der Hormonforschung, ebenfalls unter Einbeziehung der Zellbiologie. Wir sollten daher immer beides im Auge behalten, den Fortschritt im Sinne einer Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen und die Nebeneffekte des Fortschritts. Dies ist eine Herausforderung für alle jene, die naturwissenschaftlich arbeiten ebenso wie für jene, welche die Positionen durch Folgenabschätzung stets von neuem zu klären und die Gesellschaft darüber aufzuklären haben. Fortschritt ist immer ein zweischneidiges Schwert gewesen – in Biologie, Chemie und Physik. Man denke an die unheilige Allianz der ABC-Waffen.

Rasante Entwicklung der Mikroskopie führt zu immer besserer Auflösung der zellulären Strukturen Einen starken Schub erfuhr die Zellbiologie insbesondere auch im Hinblick auf technisch-methodische Entwicklungen, ebenfalls ab ca. 1870. Immer wieder erlauben derartige Innovationen, anstehende Forschungsprobleme einer Lösung zuzuführen. So war die Entwicklung eines leistungsfähigen Mikrotoms (1870) zur Herstellung sehr feiner Gewebeschnitte unmittelbare Voraussetzung für die Entdeckung der Chromosomen und ihrer systematischen Umverteilung während der Zellteilung sowie der Keimbahn durch August Weissmann (ab 1873 in Freiburg/Br.). Nur mit der neuen Ausrüstung war es zu schaffen, die komplexen Strukturdetails mikroskopisch zu analysieren. Ab 1873 erfolgte auch die entscheidende Verbesserung der Mikroskope selbst, indem der deutsche Physiker Ernst Abbe die Theorie der optischen Abbildung entwickelte. Erst 1932 erfand der holländische Physiker Frits Zernicke das Phasenkontrast-Mikroskop, mit welchem man auch lebende Zellen untersuchen kann (Vitalbeobachtungen). Mit großer Zeitverzögerung (1953) wurde seine Entwicklung mit dem Nobelpreis belohnt. Ähnliches gilt für den Berliner Ernst Ruska, der ab 1932 mit der Erfindung des Elektronenmikroskops ganz neue Dimensionen, bis in den molekularen Bereich hinein, eröffnete, aber erst 1986 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde ( ▶ Abb. 1.5, ▶ Abb. 1.6). Was er und die mit ihm assoziierten Biologen anfangs an zellulären Strukturen zu sehen bekamen, war äußerst bescheiden. Jahrzehntelange methodische Verbesserungen, auch auf dem Sektor der Präparationstechniken, waren erforderlich, um die Kapazität immer besser werdender Elektronenmikroskope auch nur annähernd nutzen zu können.

Abb. 1.5Handskizze des Erfinders des Elektronenmikroskops Ernst Ruska aus dem Jahre1931. Hier ist der prinzipielle Bau mit Kathode (oben) und stromdurchflossenen Magnetlinsen (im Querschnitt schraffiert) bereits vorweggenommen.

(Aus Ruska, E.: Die frühe Entwicklung der Elektronenlinsen und der Elektronenmikroskopie. Acta Historica Leopoldina 12 [1979] 1)

Abb. 1.6Zusammenbau des ersten Elektronenmikroskopsdurch Ernst Ruska und seinen Lehrer Max Knoll an der Technischen Hochschule Berlin.

(Aus Ruska, E.: Die frühe Entwicklung der Elektronenlinsen und der Elektronenmikroskopie. Acta Historica Leopoldina 12 [1979] 1)

Ohne alle diese Entwicklungen wäre die moderne Zellbiologie nicht zu denken. Durch die verbesserten lichtmikroskopischen Techniken waren z. B. der Italiener Camillo Golgi und der Spanier Santiago Ramón y Cajal in der Lage, ihre grundlegenden Arbeiten auf dem Gebiet der Neurobiologie zu machen. Beide erhielten dafür 1906 den Nobelpreis für Medizin.

Die Ultrazentrifuge als Meilenstein der Zellfraktionierung Ebenso wichtig war der Versuch, Zellen in ihre Komponenten zu zerlegen (Zellfraktionierung). Um 1943 erzielte der Belgier Albert Claude die ersten Erfolge. Eine unentbehrliche methodisch-technische Voraussetzung war die Entwicklung der Ultrazentrifuge durch den schwedischen Physiker Theodor (The) Svedberg ab 1940 (Nobelpreis 1926 für andere Arbeiten). Bereits ab ca. 1960 konnten auf diese Weise wichtige Funktionsabläufe einzelnen Zellkomponenten zugeordnet werden, deren strukturelle Identität im Elektronenmikroskop leicht festzustellen war. So klärten der aus Rumänien stammende US-Forscher George Palade den zellulären Ablauf der Bildung und Ausschleusung von Sekreten und der belgische Biochemiker Christian de Duve den Mechanismus der intrazellulären Verdauung in Lysosomen auf. Claude, de Duve und Palade wurden 1974 mit dem Nobelpreis für Medizin bedacht.

Nicht nur Elektronenmikroskop und Ultrazentrifuge waren als neue Werkzeuge unabdingbar für den Fortschritt der Zellbiologie, sondern auch die Entwicklung der Fächer Biochemie, Biophysik und Molekulargenetik.

Entwicklung biochemischer und biophysikalischer Analysemethoden Halten wir uns beispielsweise den langen Weg vor Augen, der zu durchschreiten war, allein um das Phänomen der Zellatmung (fast) abschließend zu klären. Noch vor dem ersten Weltkrieg hatte in Berlin Otto Warburg (Nobelpreis 1931) festgestellt, dass eine „atmungsaktive Partikelfraktion“ für den Sauerstoff-Verbrauch durch Zellen verantwortlich sei. Man machte sich auf die Suche nach Enzymen als Biokatalysatoren für die Zellatmung, d. h. für die für das Überleben notwendige Energiegewinnung. Doch dazu mussten erst biochemische Analysemethoden entwickelt werden.

Die Emigration hoch qualifizierter Chemiker, Biologen und Mediziner aus Deutschland und Österreich in den 30er Jahren nach Großbritannien und in die USA trug dort wesentlich zur Entwicklung von Biochemie, Biophysik und Molekulargenetik bei. So entschlüsselte noch in den 30er Jahren der deutschstämmige Sir Hans Krebs den nach ihm benannten Krebs- oder Tricarbonsäure-Zyklus in den Mitochondrien. Das sind die von Warburg als atmungsaktive Partikel erkannten Zellbestandteile (Organellen). Dafür erhielt Krebs 1953 den Nobelpreis. Die strukturelle Identifikation dieser Mitochondrien ließ aber noch eine Forschergeneration lang auf sich warten. Erst mussten die Techniken der Zellfraktionierung und der Elektronenmikroskopie erfunden werden (s. o.). Als es so weit war, wurden Mitochondrien in ihrem Feinbau von G. Palade richtig erkannt, doch hatten andere Forschergruppen beim Versuch, innerhalb der mitochondrialen Membranen auch noch feinere Details elektronenmikroskopisch aufzuklären, weit über das Mögliche hinaus interpretiert. Ein falsches Membranmodell war die Folge, denn in molekularen Dimensionen ist das, was man sieht, nicht immer das, was es ist. Biophysikalische Grundlagen der Methodik sind gefragt, denn auch die Resultate der Zellbiologie sind nur so viel wert, wie sie vom methodischen Ansatz her interpretierbar sind.

Entdeckung des Protonengradienten als Schlüssel zur Bioenergetik Einen entscheidenden Durchbruch brachte erst wieder die Aufklärung der Elektronentransportkette durch US-Amerikaner. Sie waren zum Teil – wie erwähnt – emigriert und manche hatten technisches Know-how aus dem Dienst bei den US-Streitkräften eingebracht. Hier profitierten Biophysik und Zellbiologie von der Kriegsforschung, ganz wie Heraklith (ca. 500 v. Chr.) und später in ähnlicher Weise Leonardo da Vinci (um 1500) meinten: „Der Krieg ist der Vater der Dinge“ – gemeint ist: des Fortschritts. Allerdings scheint in der Geschichte häufig auch die Umkehrung dieses Satzes zuzutreffen (Milzbrand-Erreger, s. o.). Einen zunächst unglaublichen Durchblick legte in den 60er Jahren der Brite Peter Mitchell an den Tag, als er den Schlüssel zur Bioenergetik in einem Gradienten von Protonen fand (Protonen= H+, positiv geladene Wasserstoff-Atome). Nach vielfacher Verifikation wurde die Hypothese (wissenschaftlich begründete Vermutung) zur Theorie (wissenschaftlich fundierte Erklärung) und Mitchell zum Nobelpreisträger (1978) gekürt.

Hypothesen und Theorien können also nicht nur aus einer Summe von faktischen Einzelbeobachtungen herauskristallisieren, sondern es gibt auch den Visionär, der Voraussagen über zu erwartende Fakten wagt. Eine wissenschaftliche Aussage ist insofern wissenschaftlich, als sie falsifizierbar, d. h. widerlegbar ist. Wegen der endlichen Zahl an möglichen experimentellen Beobachtungen ist eine endgültige Verifizierung prinzipiell nicht möglich.

Elektrophysiologie Derlei Hypothesen- und Theorienbildungen spielten auch bei der Erforschung biologischer Grenzflächen, z. B. der Zellmembran, welche jede Zelle umhüllt, eine große Rolle. Welch ein langer Weg von der ersten Feststellung, dass jede Zelle von einer dünnen Zellmembran umhüllt ist! Die Elektrophysiologie hat ihre Anfänge in den Arbeiten des Berliner Physiologen Emil DuBois-Reymond um 1840. Erst später erreichte sie das zelluläre Niveau, auf welchem elektrophysiologische Prozesse, wie die Reizleitung in Nerven, eigentlich erklärbar wurden. Die letzten methodischen Entwicklungen führten zur Messung von einzelnen Ionenkanälen mit der „Patch-clamp“-Methode, für deren Entwicklung die beiden Deutschen, Erwin Neher und Bert Sakman, 1991 mit dem Nobelpreis geehrt wurden. Damit hat sich der Anspruch der Elektrophysiologie auf Aussagen bis zum molekularen Niveau erweitert.

Genetik Einen ebenso langen Weg hatte die Genetik zu durchschreiten, bis sie – abgesehen von ihren spezifischen, autonomen Leistungen – auch zum Fortschritt der Zellbiologie beitragen konnte. Schon 1869 hatte der Schweizer Friedrich Miescher das Vorkommen von Nukleinsäuren (lat.: nucleus, Kern) in Spermien entdeckt. Dies blieb jedoch ohne weitere Konsequenzen, bis die Lokalisierung im Zellkern erfolgte. Dies gelang mit der von Robert J. W. Feulgen, aus Essen-Werden gebürtig, im Jahre 1924 entwickelten DNA-Färbung (Feulgen-Reaktion) und durch den Einsatz der mikroskopischen UV-Absorptionsspektroskopie von Torbjörn O. Caspersson (1936).

Aufklärung der DNA-Struktur Schließlich war das Rüstzeug geschaffen, um die chemische Natur der Erbsubstanz aufzuklären. Konzeptionell entscheidend war dabei eine Arbeit des US-Amerikaners Oswald Avery und Mitarbeitern, 1944, in welcher sie zeigten, dass der Transfer von DNA von einem Bakterium in ein anderes genetische Veränderungen hervorrufen kann. Die Aufklärung der DNA-Struktur selbst war ein teils faszinierender, teils problematischer Wettlauf von persönlichem Ehrgeiz, wissenschaftlichen Konzepten und methodischen Entwicklungen. Ab den 40er Jahren fand in den USA der aus Österreich stammende Biochemiker Erwin Chargaff das Prinzip des DNA-Aufbaus aus vier Arten von Nukleotiden. Während der 50er Jahre gelang es dem Amerikaner Arthur Kornberg, den Synthesemechanismus der DNA, dem Spanier Severo Ochoa, den der RNA in vitro, aufzuklären und beide wurden 1959 mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet. 1953 schlugen der US-Amerikaner James Watson und der Brite Francis Crick (beide Nobelpreis 1962) – weitgehend intuitiv geleitet – das Doppelhelix-Modell der DNA vor und Anfang der 60er Jahre wurde vom Amerikaner Marshall W. Nirenberg und dem Inder Har G. Khorana u. a. die molekulare Sprache der Erbsubstanz als Triplett-Kode von Nukleotiden entziffert (Nobelpreis 1968).

Noch musste geklärt werden, wie der über 2 m lange Faden der DNA-Doppelhelix in einem Zellkern von nur ca. einem Millionstel seiner Größe (denn der Zellkern ist nur wenige Mikrometer groß) verpackt werden kann. Den Schlüssel hierzu lieferte die biophysikalische Methode einer verfeinerten quantitativen Elektronenmikroskopie (Elektronenbeugung). Dafür erhielt der in Großbritannien forschende Aaron Klug zu Anfang der 80er Jahre den Nobelpreis. Er stellte fest, dass die DNA im Zellkern als komplexe Struktur von DNA-Protein-Komplexen, als so genanntes Chromatin vorliegt, wobei die DNA wie ein dünner Faden in vielen kleinen Spulen um Histon-Proteine aufgewickelt ist. Dies ist das Geheimnis der kompakten Verpackung einer enormen Menge DNA in jeder Zelle. Untereinheiten dieser Art, Nukleosomen, hatten die Elektronenmikroskopiker schon lange abgebildet; sie wurden jedoch – weil nicht in das damalige Konzept passend – als Artefakte abgetan.

Keine Molekularbiologie ohne Restriktionsenzyme und PCR Erst nach der Entdeckung der Restriktionsenzyme durch den Schweizer Werner Arber (Nobelpreis 1978) konnte man darangehen, Genabschnitte aus dem Genom herauszuschneiden und zu transplantieren. Damit war der Weg frei, die Molekulargenetik (Molekularbiologie) in den Dienst der zellbiologischen Grundlagenforschung zu stellen. Die Methode wurde jedoch erst effizient und praktikabel, als auch eine Möglichkeit gefunden wurde, Genabschnitte zu vervielfältigen. Diese Gen-Amplifikation kann durch die relativ einfache Methode der Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR, polymerase chain reaction) erfolgen, welche die US-Amerikaner Kary Banks Mullis und Fred Faloona 1983 entwickelt haben. Seitdem lassen sich Fremdgene oder veränderte Gene zum Funktionstest relevanter DNA-Abschnitte bzw. der von ihnen kodierten Proteine in Zellen einführen (Transfektion). Die Zellbiologie hat damit endgültig molekulares Niveau erreicht. K. Mullis erhielt 1993 den Nobelpreis.

Antikörper, das Werkzeug der Immunologie Auch die Immunologie leistete einen entscheidenden Beitrag zum Fortschritt der Zellbiologie. Die Produktion von monoklonalen Antikörpern durch den in Basel tätigen Deutschen Georges Köhler und den Engländer César Milstein (beide Nobelpreis 1984) gestattete es, an Proteine heranzukommen, die man zunächst nicht isolieren konnte – ja mehr noch, sie haben sich zu einem Schlüssel entwickelt, mit dem man sogar an die zugrunde liegenden Gene herankommt. Heute lassen sich, um ein typisches Szenario zu schildern, Proteine identifizieren, die bestimmte Zellfunktionen steuern. Man kann sie in der Zelle elektronenmikroskopisch lokalisieren. Auch ist es möglich, ihre funktionelle Relevanz zu testen, indem man sie durch Antikörper selektiv ausschaltet oder indem man die zugrunde liegenden Gene gezielt verändert.

Das Endziel der Zellbiologie ist ein integratives Verständnis der Zelle in ihrem Gesamtgefüge, also weit über die einzelnen Struktur- und Funktionsdetails hinaus. Auf der Basis dieses Konzeptes wurden bereits zahlreiche Krankheitsbilder auf molekularem Niveau aufgeklärt.

Aus der Zellenlehre wurde die Zellbiologie Im Rückblick stellen wir fest, dass – wie eingangs gesagt – häufig neue Methoden erforderlich sind, um neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Wir beobachten auch, wie enorm der Aufwand steigt, je kleiner die Dimensionen werden, in die wir vordringen. Schließlich wird klar, dass am ehesten die Kombination mehrerer Methoden zum Durchbruch verhilft. Lassen wir hierzu den aus Deutschland stammenden Evolutionsforscher und Philosophen Ernst Mayr zu Wort kommen. Er schreibt in seinem Buch „The growth of biological thought“ 1982: „Es gibt verschiedene mögliche Ursachen, warum ein Problem noch nicht für eine Lösung reif sein kann: Die technischen Werkzeuge für ihre Analyse mögen noch nicht geschmiedet sein und gewisse Konzepte, besonders dann, wenn sie die Nachbargebiete betreffen, mögen vielleicht noch nicht genügend entwickelt sein“. Beides, konzeptionelle und methodisch-technische Entwicklungen, haben in der Tat entscheidend den Erkenntnisfortschritt auch in der Zellbiologie geprägt.

So wurde aus der Zellenlehre (Cytologie) von einst die Zellbiologie von heute – als unentbehrlicher Zweig der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung. Ein aktuelles Beispiel hierzu: Die Identifikation jener Viren, die Gebärmutterhals-Krebs (= Cervix-Karzinom) auslösen können und jener, welche AIDS verursachen (acquired immuno-deficiency syndrome= erworbene Immunschwäche), wurde 2008 mit dem Nobelpreis gekrönt (Harald zur Hausen, Heidelberg; Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier, Paris). 2012 wurde ein Nobelpreis an die US-Forscher Robert Lefkowitz und Brian Kobilka für die Erforschung einer GTP-vermittelten Signaltransduktion (trimere G-Proteine) von Rezeptoren in der Zellmembran ins Innere der Zelle vergeben; vgl. ▶ Abb. 12.10 und den Abschnitt über die Signaltransduktion in ▶ Kap. 12.3.2. Etwa die Hälfte der heutigen Pharmaka wirkt auf dieser weit diversifizierten Signalschiene. 2015 erging der Nobelpreis für Physiologie (Medizin) an die US-Forscher James Rothman, Randy Schekman und den Deutsch-Amerikaner Thomas Südhof für die Aufklärung der molekularen Interaktionen bei der Wechselwirkung zwischen Biomembranen und deren Fusion; vgl. ▶ Molekularer Zoom. Für die Aufklärung des Abbauprozesses von überschüssigen, überalteten bzw. fehlerhaften Proteinen, also sozusagen der „Müllbeseitigung“ über Autophagie, erhielt 2016 der Japaner Y. Ohsumi den Nobelpreis. Die in den letzten beiden Jahren gewürdigten Arbeiten sind sehr relevant für das Verständnis des normalen und des pathologisch entgleisten Zellgeschehens (Alzheimer und Parkinson  Krankheit).

Zellpathologie

Molekulare Krankheiten

Die systematische Entwicklung der Zellbiologie ging unübersehbar mit medizinischem Fortschritt einher. Einerseits ermöglichte das Verstehen rationaler Zusammenhänge die Aufklärung von Krankheitsursachen und deren Bekämpfung, anderseits erbrachte die medizinische Forschung neue Einsichten in grundlegende zellbiologische Zusammenhänge. R. Virchow gilt als Begründer der Zellpathologie im 19. Jahrhundert, indem er mikroskopische Veränderungen feststellte, wie Schwellungen von Zellkomponenten, deren Identität er noch nicht kennen konnte. Inzwischen sind viele molekulare Details verschiedener Krankheiten aufgeklärt. So entwickelte sich die „molekulare Medizin“. Häufig wird eine Krankheit als „Syndrom“ charakterisiert, das ist die Kombination von Merkmalen bzw. Störungen (Symptome), die z. B. auf eine Mutation im Erbgut (Genom) zurückgehen und eine Krankheit charakterisieren. Zum Beispiel können sich verschiedene molekulare Defekte in der intrazellulären Speicherung von Glukose als Glykogen bzw. dessen Mobilisierung durch verschiedene Symptome auswirken – verschiedene Ursachen, verschiedene Symptome. Dies gilt nicht nur für ▶ Glykogen-Speicherkrankheiten sondern beispielsweise auch für lysosomale Speicherkrankheiten, vgl. ▶ Zellpathologie-Box, und viele andere Krankheiten. Das Umgekehrte aber gibt es auch – verschiedene Ursachen, mit denselben oder ähnlichen Symptomen, z. B. bei Innenohr-Schwerhörigkeit, vgl. Zellpathologie-Box in ▶ Kap. 16.4. Häufig gibt es also sehr verschiedene, voneinander unabhängige molekulare Ursachen für eine Krankheit, basierend auf verschiedenen Störungen im Zellgeschehen. Insbesondere molekulare Erkrankungen erlaubten in den letzten Jahren bis Jahrzehnten die Aufklärung kausaler Zusammenhänge in Zellen sowie neue therapeutische Lösungsansätze. Allerdings gilt dies bei weitem nicht für all die Tausende inzwischen bekannter genetischer Störungen.

Literatur zum Weiterlesen siehe www.thieme.de/go/literatur-zellbiologie.html

2 Größenordnungen in der Zellbiologie – ein weiter Bereich

Zusammenfassung

Die Größe der Objekte zellbiologischer Forschung reicht vom molekularen Auflösungsniveau des Elektronenmikroskops bis in den Arbeitsbereich der Lichtmikroskopie. Je nach Fragestellung ist es wichtig, die richtige Methodik einzusetzen, um mit geringstem Aufwand ans Ziel zu gelangen.

Aus dreierlei Gründen kommen wir in der biologischen Forschung nicht umhin, uns die Dimensionen klarzumachen, mit denen wir bei jeder Problemstellung konfrontiert sind:

Wir brauchen das richtige Suchbild.

Wir müssen uns für das richtige Instrument zur Untersuchung entscheiden.

Wir sollten unsere Resultate und Anschauungen möglichst quantitativ dokumentieren.

Um sich die praktische Arbeit zu vereinfachen, vermeidet man gerne Exponentialgrößen, sondern bevorzugt griechische Vorsilben zur Angabe von Größenordnungen. Sie gehen in Stufen des Faktor 1000 vom Astronomischen bis ins Subatomare ( ▶ Tab. 2.1).

Ein Mikrometer (μm) entspricht demnach 10–6 Meter (m) oder 103 Nanometer (nm). Daneben halten sich alte Dimensionsangaben, wie 1 Å= 0,1 nm. Å ist die Abkürzung von Ångström, so benannt nach einem schwedischen Physiker. Megabyte kennen wir z. B. als Angabe der Speicherkapazität von Computern, Kilovolt (kV) vom Elektronenmikroskop.

Mit welchen Größenordnungen also hat es der Zellbiologe zu tun? Eine Bakterienzelle ist im Durchschnitt etwa 0,1 μm bis 1 μm groß, eine „höhere“ Zelle 10 bis 50 μm. Natürlich sind das keine Naturkonstanten, sondern Richtwerte. Sich einige davon einzuprägen, ist ratsam, damit man am Mikroskop oder Elektronenmikroskop weiß, was man – falls überhaupt – sehen sollte.

Transmissions-Elektronenmikroskop: Auflösung bis in atomare Dimensionen Das Transmissions-Elektronenmikroskop bietet eine Auflösung bis in atomare Dimensionen; die erreichbaren Werte liegen bei der Größe des Wasserstoff-Atoms (0,1 nm= 1 Å). Alkali- (Na+, K+ etc.) und Erdalkali-Ionen (Ca2+, Mg2+) haben eine mehrfache Größe, für Nukleotide und Aminosäuren kann man einen Richtwert von 0,5 nm angeben. Bei komplexeren Molekülen, wie Phospholipiden oder gar bei Proteinen, ist bei der Größenangabe die Form zu berücksichtigen. Während ein Phospholipid an seinem Kopfteil nur ca. 0,3 nm dick ist, beträgt seine Länge ca. 2 nm. Proteine können bei einem Molekulargewicht (MG) von 10 000 bis ca. 5 000 000 in einem Größenbereich zwischen 1 und 30 nm (bei Kugelgestalt) liegen. Die Werte für das Molekulargewicht sind Relativwerte in Bezug auf die Masse des Wasserstoff-Atoms mit der definierten Masse von 1. Man sagt auch, die relative molekulare Masse eines Proteins beträgt 10 oder 5000 KiloDalton (kD, kDa). Für eine Aminosäure kann man im Durchschnitt 110 Dalton veranschlagen. Weiß man die molekulare Masse eines Proteins, so kann man grob abschätzen, aus wie vielen Aminosäuren es aufgebaut ist. Später werden wir sehen, dass man die Masse eines Proteins auch nach seinem Sedimentationsverhalten beim Zentrifugieren abschätzen und in „S-Einheiten“ angeben kann; vgl. Kap ▶ 11.1.2. Extremfälle sind die Nukleinsäuren mit nur 2 nm Durchmesser, aber mit über große Länge linear angeordneten Nukleotiden. Da es auf die in den Nukleotiden sitzenden Basen als Träger der genetischen Information ankommt, gibt man hier die Länge oft als Zahl von Basen, besser noch in Kilobasenpaaren (kbp) an. Große Moleküle in der Art der Proteine und der DNA nennt man Makromoleküle.

Die Struktur ist nur sichtbar, wenn die Probe richtig präpariert wird Dass ein Molekül oder irgendeine Struktur über dem Auflösungswert des Elektronenmikroskops liegt, heißt noch lange nicht, dass man die Struktur auch sehen kann. Dazu müssen wir uns mit der Theorie der Bildentstehung bei verschiedenen elektronenmikroskopischen Methoden vertraut machen, ebenso wie mit den notwendigen Präparationsmethoden; s. dazu ▶ Kap. 3. Sowohl der präparative als auch der analytische Ansatz müssen der jeweiligen Problemstellung angepasst werden.

Mit den makromolekularen Proteinen, den Phospholipid-Aggregaten in biologischen Membranen und den Nukleinsäure-Protein-Komplexen der Chromosomen sind wir bereits in Dimensionen, für welche sich der Zellbiologe interessiert. Es ist die klassische Dimension der Elektronenmikroskopie. Auch komplexe Strukturen höherer Ordnung fallen darunter, wie Viren, mit Dimensionen von 10 bis 100 nm, deren Existenz und schon gar deren Feinstruktur (Ultrastruktur) mit dem Lichtmikroskop nicht zu erfassen war. Dies gelang ebenso wenig für distinkte Zellkomponenten (Organellen), wie etwa Mitochondrien und Chloroplasten von etwa Bakteriengröße. Mit der Ultrastruktur der Chromosomen im Zellkern werden wir ein Beispiel kennen lernen, das zeigt, wie sehr die Strukturauflösung von den Präparationsbedingungen und molekulares Verstehen vom strukturellen Erfassen abhängt.

Die Auflösung ist abhängig von der verwendeten WellenlängeAbbilden bedeutet in den meisten Fällen eine Wechselwirkung elektromagnetischer Strahlung mit einem Objekt und die auflösbaren Strukturdetails können nicht kleiner sein als die Wellenlänge des zur Beobachtung verwendeten Lichtes. Mit welchen Wellenlängen (λ) haben wir es hierbei zu tun? Die ▶ Tab. 2.2 gibt darüber Auskunft. Sie bezieht größerer Vollständigkeit halber Infrarot mit ein.

Tab. 2.2

Übersicht über elektromagnetische Schwingungen

, die teilweise für Abbildungszwecke verwendet werden

Art der Strahlung

Wellenlänge [nm]

stark beschleunigte Elektronen (bei 100 kV)

0,0038

Röntgenstrahlen

< 0,01 bis > 1

ultraviolettes Licht (UV)

< 380

sichtbares Licht

380–780

Infrarot

> 780

Wie wir in ▶ Kap. 3 sehen werden, hängt die mit einem Abbildungssystem (z. B. Mikroskop) erzielbare Auflösung im Allgemeinen direkt von der Wellenlänge des verwendeten Lichtes ab. Das bloße Auge kann nur Strukturen bis 0,3 mm auflösen. Das konventionelle Lichtmikroskop vermag bis zu Größenordnungen von 200 nm (0,2 μm), das Elektronenmikroskop sogar bis zu 0,1 nm, also bis zum Größenbereich des Wasserstoff-Atoms, vorzudringen. Dieses ist die jeweilige „Geräteauflösung“. Von dieser kann man allerdings nur insoweit Nutzen ziehen, als durch eine geeignete Präparation (Fixation, eventuell Kontrastierung) die zu beobachtenden Strukturen stabilisiert und beobachtbar gemacht werden können; vgl. ▶ Technik-Box. Man könnte dies die „präparative Auflösung“ nennen. Die zur Bildentstehung notwendigen Voraussetzungen werden in ▶ Kap. 3 beschrieben.

In der Realität will der Zellbiologe weder Wasserstoff-Atome noch einzelne Ionen, Zuckermoleküle oder Aminosäuren sehen, deren Durchmesser jeweils unter 1 nm liegt. Dagegen sind Makromoleküle für den Zellbiologen insofern interessant, als ihre molekulare Struktur etwas über ihre Funktion auszusagen vermag. Damit beansprucht der Zellbiologe bereits voll die Möglichkeiten der Elektronenmikroskopie. ▶ Abb. 2.1 gibt eine Übersicht über den Einsatzbereich von Licht- und Elektronenmikroskopie zur Erfassung biologischer Strukturen verschiedener Größenordnungen.

Abb. 2.1Dimensionen zellbiologischer Objekte und Einsatzbereich der Licht- und Elektronenmikroskopie

Die Größe und das Molekulargewicht von Proteinen kann berechnet werden Weiß man die genaue Aminosäure-Zusammensetzung (Primärstruktur) eines Proteins, so kann man bei einem mittleren MG von ca. 110 pro Aminosäure und einem spezifischen Gewicht von Proteinen von ca. 1,2 leicht ausrechnen, wie groß das Protein sein muss. Kleine Proteine aus 100 Aminosäuren (MG von ca. 11 000) haben einen Durchmesser von 2 nm, Proteine aus 1000 Aminosäuren (MG von ca. 110 000) hätten einen Durchmesser von 8 nm. Wie erwähnt, kann man dies über ihr Sedimentationsverhalten in der Ultrazentrifuge überprüfen. Der Haken dabei ist jedoch, dass man aus einer Aminosäurenkette ebenso ein kompaktes Kugelprotein wie ein lang gestrecktes oder ein „flauschig“ gebautes Protein aus lockeren Schleifen formen kann. Die wahre Struktur kann jedoch mit dem Elektronenmikroskop enthüllt werden. Zusätzlich gibt es alternative Methoden aus der Kristallographie, wie die Röntgenbeugung (die hier nicht besprochen wird), für welche die Makromoleküle allerdings kristallisiert werden müssen. Auf diesem Wege wurde erstmals die molekulare Struktur der DNA als Doppelhelix aufgeklärt. Obwohl sie nur 2 nm dick und fast beliebig lang ist, bildet sie in unserem Genom durch Assoziation mit Histon-Proteinen ca. 11 nm dicke Stränge aus Nukleosomen. Diese Strukturen bedurften ihrerseits wieder der Elektronenmikroskopie zur Aufklärung.

Erst die Elektronenmikroskopie brachte Aufschluss über feinste Strukturen Zwar konnten Bakterien und viele geformte Elemente in der höheren Zelle bereits lichtmikroskopisch wahrgenommen werden, über Details konnte man jedoch nur rätselraten, bis die Elektronenmikroskopie auf einen geeigneten Standard gebracht worden war. Ähnlich konnte man die Existenz und Größe von Viren voraussagen, volle Gewissheit brachte jedoch wiederum erst die Elektronenmikroskopie, mit deren Hilfe es auch gelang, die quasi-kristalline Anordnung viraler Strukturkomponenten und damit ihre Entstehung aufzuklären.

Viren sind zwar keine lebenden Zellen, beanspruchen aber dennoch das Interesse des Zellbiologen; vgl. ▶ Kap. 25. Sie sind meist zwischen 0,01 und 0,1 μm groß. Mit 0,1 μm Durchmesser ist das inzwischen ausgerottete menschliche Pockenvirus so groß wie die kleinsten echten Zellen. Siehe dazu auch ▶ Kap. 4. Andererseits können Bakterien, mit einer durchschnittlichen Größe von 0,1 bis 1 μm an Größe wiederum an die kleinsten unter den „höheren“ Zellen heranreichen. Dazu gehören gewisse Grünalgen des marinen Planktons, die nur 1 μm Größe erreichen. Auch nach oben hin gibt es Extremfälle ( ▶ Tab. 2.3), z. B. die Eizelle des Vogeleis (Eidotter). Ein anderer Extremfall sind die Motoneurone (Nervenzellen), deren Zellkörper im Rückenmark lange Fortsätze zu den Muskeln aussenden, die bis zu einigen Metern lang sein können – denken wir nur an die Giraffe. Auch manche sesshaften Grünalgen können extreme Größe erreichen; sie sind metergroß und bestehen nur aus einer einzigen vielfach verzweigten Zelle. Ansonsten kann man für die durchschnittliche Größe höherer tierischer oder pflanzlicher Zellen ca. 10 bis 50 μm veranschlagen. Warum schlichtes Mittelmaß zumeist bevorzugt wird, liegt u. a. wohl im Vorteil begrenzter Transportwege in der Zelle.

Tab. 2.3

Richtwerte für die Größenordnungen zellbiologischer Komponenten

zellbiologische Komponente

Durchmesser bzw. Größenbereich

Wasserstoff-Atom (H), Proton (H+)

0,1 nm

Kationen (Na+, K+, Ca2+, Mg2+ etc.)

0,1 nm, mit Hydrathülle (H2O): 0,4–1,1 nm

Anionen (Cl–,  , etc.)

0,2–0,5 nm

Aminosäuren

0,3 nm

Zuckermoleküle

0,3 nm

Nukleotide

0,5 nm

Proteine

< 2 bis > 15 nm

DNA

2 nm Durchmesser, ≥ 5 cm Länge in einzelnen Chromosomen

Viren

0,01–0,1 μm

Bakterien

0,1–1 μm

höhere Zelle (in meisten Fällen)

10–50 μm

menschlicher Erythrocyt

7,5 μm Durchmesser

menschliches Spermatozoon

6 μm (Durchmesser des Kopfteils)30 μm (Länge des Schwanzteils)

menschliche Eizelle

150 μm

Extremformen der höheren Zelle

5 cm Durchmesser (Eizelle von Vögeln) einige Meter Länge (Motoneurone, Giraffe)

Subzelluläre Strukturen

Ribosomen (RNA-Protein-Komplex)

23–25 nm

Elemente des Cytoskeletts, Dicke

6–25 nm

membranumhüllte Organellen

0,01 bis > 5 μm

Zellkern

5 μm

Chromosomen, Länge

1–5 μm

In der Praxis begleitet den Zellbiologen neben dem Elektronenmikroskop fast immer auch das Lichtmikroskop, nicht nur des geringeren Aufwandes wegen, sondern auch deshalb, weil nur das Lichtmikroskop die Beobachtungen an lebenden Zellen erlaubt. Für Vitalbeobachtung siehe ▶ Kap. 3.1.1.

Literatur zum Weiterlesen siehe www.thieme.de/go/literatur-zellbiologie.html

3 Zelluläre Strukturen – Sichtbarmachung mithilfe mikroskopischer Techniken

3.1 Das Lichtmikroskop

Das Lichtmikroskop ist seit seiner Erfindung Mitte des 17. Jahrhunderts als Standardlaborgerät eines Zelllabors nicht mehr wegzudenken. Durch Kombination verschiedener Glaslinsen (Projektionslinsen= Objektiv und Lupenlinse= Okular) entsteht durch zweistufige (zusammengesetzte) Vergrößerung ein stark vergrößertes Abbild eines Gegenstandes auf der Netzhaut des Beobachters ( ▶ Abb. 3.1). Man unterscheidet bei einem konventionellen Lichtmikroskop je nach angewendeter Technik sechs Mikroskop-Grundtypen ( ▶ Tab. 3.1). Gemeinsam ist ihnen allen eine „flächige“ Beleuchtung des abzubildenden Präparates. Sie werden daher auch zu der Gruppe der Weitfeld-(wide-field)-Mikroskope zusammengefasst. Moderne Lichtmikroskope (CLSMConfocal LASER Scanning Microscope, STEDStimulated Emission Depletion etc.) benutzen als Lichtquelle einen punktförmigen LASER (Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation), der – um ein vollständiges Abbild einer Probe zu erstellen – über das Objekt bewegt („gerastert“) werden muss. Diese Mikroskope werden auch häufig als Nahfeld-(near-field)-Mikroskope bezeichnet. Solche Geräte ermöglichen eine sowohl laterale als auch vertikale Auflösungssteigerung. Dies stellt einen Vorteil vor allem bei dickeren biologischen Proben dar.

Tab. 3.1

Übersicht über verschiedene Mikroskoptypen

, deren Arbeitsweise und Anwendung

Mikroskoptyp

Arbeitsweise

Anwendung

Konventionelle Mikroskope

Hellfeldmikroskop

Lichtabsorption

dicke Präparate (> 1 µm); kontrastreiche (gefärbte) Präparate; totes Material

Dunkelfeldmikroskop

Lichtbrechung an Phasengrenzen

dünne, transparente Objekte mit unterschiedlich dichten Strukturen; kleine Strukturen

Phasenkontrastmikroskop

Kontraststeigerung durch Phasenverschiebung

lebende, kontrastarme (ungefärbte) Objekte, dünne Präparate (< 1 µm)

Polarisationsmikroskop

Interferenz von polarisiertem Licht

Anordnung und Ausrichtung von Strukturen; Mineralogie, Kristallografie; biologische Materialien wie Glukose, Zellulose, Stärke etc.

Differenzial-Interferenz-kontrast-Mikroskop

Interferenz von polarisiertem Licht

lebende, ungefärbte Objekte, dünne sowie dicke Präparate

Fluoreszenzmikroskop

Lichtexcitation u. -emission

selbst-„leuchtende“ Präparate (Autofluoreszenz) wie z. B. Chlorophyll; mit Fluoreszenzfarbstoffen markierte Präparate zur Lokalisierung feiner Strukturen

Konfokale Mikroskope

Laserrasterlichtmikroskop

„optisches Zerlegen“ des Präparates in einzelne (konfokale) Ebenen durch punktförmig fokussierten Strahl

dicke Präparate; fluoreszierende Präparate; Abbildung kleiner Strukturen

STED-Mikroskop

Reduzierung des Emissionsspots durch zweiten hochenergetischen Anregungsstrahl

fluoreszierende Präparate; Abbildung kleiner Strukturen mit maximaler Auflösung

3.1.1 Konventionelle Lichtmikroskopie

Das Hellfeldverfahren ist die gängigste Lichtmikroskopiemethode. Durch unspezifische und spezifische Färbungen des Präparates wird eine unterschiedlich starke Lichtabsorption erreicht, die sich auch in einer Kontraststeigerung auswirkt ( ▶ Abb. 3.2a). Vor allem für histologische Präparate mit einer Dicke von 1–15 µm ist dieses Verfahren die Methode der Wahl. Voraussetzung für eine Färbung ist jedoch das Fixieren, Einbetten und Schneiden der Präparate, somit kann also nur „totes“ Material mikroskopiert werden.

Bei der Dunkelfeldmikroskopie wird das Objekt mit einem Licht-Hohlkegel beleuchtet, der so konzipiert ist, dass kein Licht in das Objektiv fällt. Erst wenn ein Objekt im Strahlengang durch unterschiedlich dichte Strukturen die Lichtstrahlen so bricht, dass sie vom Objektiv aufgefangen werden können, sind diese Strukturen vor dunklem Hintergrund sichtbar.

Mit der Phasenkontrasttechnik kann lebendes, ungefärbtes Material beobachtet werden ( ▶ Abb. 3.2b). Diese Methode, für deren Entwicklung der holländische Physiker Frits Zernicke1953 den Nobelpreis bekam, ist ein sogenanntes Kontraststeigerungsverfahren. Es beruht auf dem Einbringen spezieller Ringblenden in den Strahlengang des Mikroskopes, mit denen durch zusätzliche Phasenverschiebungen zwischen dem vom Präparat beeinflussten und dem unbeeinflussten Licht der Kontrast gesteigert wird. Das Ergebnis ist eine erhebliche Kontraststeigerung und dadurch eine Sichtbarmachung von lebenden, kontrastarmen Objekten, wie Kleinstlebewesen, Zellkulturen etc.

Das Polarisationsmikroskop arbeitet mit polarisiertem Licht. Fällt solches Licht auf doppelbrechende Strukturen – das sind Strukturen, die aus immer wiederkehrenden Einheiten aufgebaut sind, wie z. B. Kristalle, aber auch einige biologische Moleküle – dann wird es in zwei Teilstrahlen aufgespalten. Diese, zur Interferenz gebracht, lassen doppelbrechende Objekte dann vor schwarzem Hintergrund aufleuchten.

Das Differenzial-Interferenz-Verfahren verwendet ebenfalls polarisiertes Licht, das jedoch, schon bevor es auf das zu mikroskopierende Objekt fällt, durch spezielle Prismen in zwei Teilstrahlen aufgespalten wird. Diese erzeugen vom Präparat zwei gleiche Bilder, die – etwas verschoben – nach erneuter Zusammensetzung ein pseudo-dreidimensionales Abbild des Präparates ergeben ( ▶ Abb. 3.2c). Es wird – ebenso wie die Phasenkontrastmikroskopie – bei lebenden Objekten angewandt.

Fluoreszenzmikroskope ( ▶ Abb. 3.1, ▶ Abb. 3.3, ▶ Abb. 3.4) machen sich die Eigenschaft bestimmter Substanzen zunutze, die darauf beruht, dass sie – wenn mit einer bestimmten Wellenlänge angeregt – längerwelliges Licht einer ebenfalls diskreten Wellenlänge abstrahlen. Der Nachteil dieser Methode liegt in der Schwierigkeit, diese - oft toxischen - Substanzen in das biologische Objekt einzubringen. Der Vorteil allerdings ist, dass man diese Fluoreszenzstoffe mit Antikörpern kombinieren und so spezielle Teile der Zelle oder des Gewebes markieren und damit lokalisieren kann. Es ist ebenfalls möglich, sehr kleine Strukturen, die unter der Abbe’schen Auflösungsgrenze liegen, abzubilden. Allerdings werden diese nicht in ihrer realen Größe, sondern immer größer abgebildet, da die mit den Strukturen verbundenen Fluorochrome in alle Richtungen abstrahlen. Alle modernen Lichtmikroskope – vor allem die neueren, hochauflösenden Typen - beruhen auf diesem Fluoreszenzverfahren (s. Kap. ▶ 3.1.2). Molekularbiologische Methoden erlauben es auch, kleine fluoreszente Proteine, wie das „green fluorescent protein“ (GFP), einzubauen und dann solche GFP-Proteine in vivo zu beobachten; s. auch ▶ Kap. 8.4.

Es gibt eine Reihe der unterschiedlichsten Fluoreszenztechniken wie FRAP (Fluorescence Recovery After Photobleaching), FRET (Fluorescence Resonance Energy Transfer), TIRF (Total Internal Reflection Fluorescence) etc. Diese alle zu besprechen würde den verfügbaren Rahmen sprengen. Daher sei beispielhaft auf die FRET-Technik in der Box ▶ Molekularer Zoom verwiesen.

Abb. 3.1Schematisierter Aufbau zweier Lichtmikroskoparten. a Schema eines konventionellen Lichtmikroskops.Sichtbares Licht wird durch einen Kondensor gebündelt auf ein Präparat (roter, nach rechts gerichteter Pfeil) geworfen. Die erste Vergrößerungsstufe – das Objektiv – stellt von diesem ein umgekehrtes, reelles Bild (roter, längerer, nach links gerichteter Pfeil) in der Zwischenbildebene her. Dieses wird von der zweiten Vergrößerungsstufe – dem Okular – zu einem virtuellen, gleich orientierten Bild nachvergrößert. Dieses wird von der Augenlinse auf die Retina projiziert. b Strahlengänge im Fluoreszenzmikroskop.Durch einen Anregungsfilter (Excitationsfilter) wird aus dem sichtbaren Spektrum eine dem Fluorochrom entsprechende Wellenlänge herausgefiltert (hier blaues Licht), über einen Teilerspiegel umgelenkt und durch das Objektiv auf das mit diesem Farbstoff markierte Präparat (roter, nach rechts gerichteter Pfeil) geworfen. Die so auf ein höheres Energielevel gehobenen Farbmoleküle emittieren über eine gewisse Zeit längerwelliges Licht (hier grünes Licht). Dieses wird vom Objektiv aufgenommen, passiert den Teilerspiegel und wird durch einen Emissionsfilter nochmals in seinem Spektrum eingeengt. Das Abbild der mit den Fluorochromen markierten Präparatstellen (grüner, nach links gerichteter Pfeil) entsteht – wie im Fall a in der Zwischenbildebene, um dann durch das Okular nachvergrößert zu werden.

Abb. 3.2Unterschiedliche lichtmikroskopische Aufnahmen von Paramecium-Zellen. a Hellfeld-Aufnahme eines mit Methylenblau gefärbten Schnittes durch eine Paramecium-Zelle, deren äußere Form durch den deutschen Namen „Pantoffeltier“ gut beschrieben wird. In der Zelle sind verschiedenartige Organellen sichtbar. Vergr. 700-fach. b Phasenkontrast-Aufnahme einer lebenden Paramecium-Zelle. Mit dieser Technik treten vor allem die dünnen Cilien an der Zelloberfläche in Erscheinung. Der helle Saum ist durch Beugungsphänomene der abgerundeten Zelle zu erklären. Vergr. 700-fach. c Differenzial-Interferenzkontrast-Aufnahme einer lebenden Paramecium-Zelle. Deutlich tritt die Dreidimensionalität auch von dünnen Strukturen wie der Cilien zutage. Die stark leuchtenden Strukturen sind kristalline Zelleinschlüsse. Vergr. 700-fach.

(Aufnahme: J. Hentschel)

3.1.2 Neue Entwicklungen in der Lichtmikroskopie

Brachte schon die Einführung der Fluoreszenztechnik eine wesentliche Verbesserung in Abbildung und Auflösung der Lichtmikroskopie, so wurde diese durch die Entwicklung der „konfokalen“ Mikroskopie nochmals gesteigert. Beruhend auf frühen Arbeiten von Paul Nipkow (Nipkow-Scheibe 1883) und Marvin Minsky(Punkt-Scanner 1955) konstruierten David Egger und Paul Davidovits 1969 das erste konfokale LASER-Raster-Lichtmikroskop (CLSMConfocal LASER Scanning Microscope). Dieser Gerätetyp ist seit Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts kommerziell erhältlich. Herzstück eines CLSM sind Lochblenden, sogenannte „Pinholes“, die in den Beleuchtungs- und Abbildungsstrahlengang eingebracht werden. Zusammen mit einem feinen, intensiven LASER-Strahl distinkter Wellenlänge, der Punkt für Punkt und Zeile für Zeile das Präparat abtastet, ist man in der Lage, dieses in getrennt abbildbare Fokusebenen (konfokale Ebenen) optisch zu zerlegen ( ▶ Abb. 3.3). Auf diese Weise erreicht man eine höhere Auflösung vor allem in der Z-Ebene (Präparatdicke!).

Eine Besonderheit in der Generation der modernen Fluoreszenzmikroskope stellt das STED-Mikroskop (STEDStimulated Emission Depletion) dar ( ▶ Abb. 3.4). Für die Entwicklung dieser hochauflösenden Fluoreszenztechnik bekam Stefan Hell2014 zusammen mit den US-Amerikanern Eric Betzigund William Moernerden Nobelpreis für Chemie. Das Prinzip beruht auf zwei gleichzeitig stattfindenden Strahlverläufen. Der erste punktförmige Beleuchtungsstrahl mit adäquater Anregungswellenlänge (Excitation) lässt die mit dem entsprechenden Farbstoff markierte Struktur einen längerwelligen Detektionsstrahl (Emission) aussenden. Bis hierhin ist alles „normale Fluoreszenzmikroskopie“. Im STED-Mikroskop wird jedoch nun ein zweiter, hochenergetischer Hohlstrahl diesem ersten Anregungsstrahl hinterhergeschickt. Dieses hat zur Folge, dass die angeregten Fluoreszenzmoleküle im Randbereich des überstrahlenden Emissionsstrahls aufgrund der hohen Energie dieses zweiten Strahls wieder „abgeregt“, also in ihren Grundzustand zurückversetzt werden und nicht mehr leuchten. Dieses „Ausbleichen“ reduziert so den Durchmesser des Detektionsstrahls, vergrößert also die laterale Auflösung.

Abb. 3.3Konfokale Laser-Raster Lichtmikroskopie (CLSM). a Schematische Darstellung des Strahlengangs. Die vor der Lichtquelle positionierte Lochblende ermöglicht das Fokussieren des Beleuchtungslichtes in einer Ebene des Präparates (grüne Linie). Eine zweite Blende vor dem Detektor lässt nur diejenigen Bildstrahlen durch, die aus dieser Präparatebene stammen. Strahlen aus anderen Bereichen des Präparates (rote und blau gestrichelte Linien) werden von dieser Blende abgefangen. Nicht im Schema eingezeichnet ist das Ablenksystem, das den punktförmigen Lichtstrahl über das Objekt bewegt. b – c Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen eines gefärbten Pollenkorns eines Nadelbaum-Pollens. b Aufnahme mit einem konventionellen Fluoreszenzmikroskop. c Konfokale Aufnahme desselben Pollenkorns. Deutlich sichtbar ist hier die verbesserte Auflösung durch Ausblendung der nicht im Fokus befindlichen Ebenen. Die inneren Hohlräume (Sterne) der beiden Luftsäcke sowie Einzelheiten der generativen (Pfeil) und vegetativen Zellen (Pfeilkopf) sind klar zu erkennen. Vergr. b und c 560-fach.

(Aufnahme: Ch. Schlatterer, Konstanz)

Abb. 3.4Aufbau und Wirkungsweise eines STED-Mikroskops. a Schematischer Längsschnitt. Kernstück dieses Mikroskoptyps sind zwei übereinander projizierte Lichtbündel, von denen eines als Anregungsstrahl für den Fluorochrom (blau) dient und einen Emissionstrahl (grün) erzeugt. Ein hochenergetischer Hohlstrahl (rot) blendet die Randbereiche des Emissionsstrahls aus. Dadurch wird der Emissionsstrahl „eingeengt“, im Querschnitt also kleiner, was die laterale Auflösung verbessert. b Querschnitte des Anregungs- und Hohlstrahls sowie des resultierenden Emissionsspots.

Molekularer Zoom

Auflösung besser als die Physik erlaubt

Fluoreszenzresonanz-Energietransfer (FRET). Der biologische Hintergrund ist folgender. Um miteinander reagieren zu können, müssen sich Interaktionspartner, z. B. Proteine, eng einander annähern. Eine solche Interaktion kann viele verschiedene Proteine – gleichartige oder verschiedenartige – betreffen. Ein Beispiel sind manche Rezeptoren der Zelloberfläche. Hier ist das Beispiel der Dimerisierung von Rezeptoren dargestellt, welche 7 Transmembran-Domänen besitzen. (Nicht gezeichnet ist, dass an sie trimere GTP-Bindeproteine angekoppelt werden können [GPCR= G-protein coupled receptors], was zu einer ebenso wenig gezeichneten Signaltransduktion führt.) Die Fragestellung ist hier: Wie kann man nachweisen, dass die Rezeptormoleküle miteinander in Wechselwirkung treten? De facto wurde mit der FRET Methode gezeigt, dass GPCR-Moleküle nach Bindung geeigneter Aktivatormoleküle (Liganden) an der Außenseite der Zelle Dimere bilden. Liganden können sein: definierte Hormone, Neurotransmitter, Pharmaka etc., je nach Art des Rezeptors.

Abb. 3.5Fluoreszenzresonanz-Energietransfer (FRET).

(Modifiziert nach Szidonya et al.: J. Endocrinol. 196 [2008] 435)

Der Nachweis verläuft wie folgt. Die zwei Typen von Rezeptoren werden mittels ▶ gentechnischer Methoden teils mit dem Fluorochrom CFP (cyano fluorescent protein) und teils mit YFP (yellow fluorescent protein) kovalent markiert. CFP gibt bei Anregung mit Licht der Wellenlänge λ= 440 nm eine Fluoreszenzstrahlung von λ= 480 nm ab. Diese Fluoreszenzstrahlung kann nun YFP zur Emission von gelbgrüner Fluoreszenzstrahlung von λ= 530 nm anregen (Fluoreszenzresonanz-Energietransfer). Dies ist aber nur dann möglich, wenn sich die beiden Interaktionspartner, also Rezeptor1-CFP und Rezeptor2-YFP, genügend nahe kommen, und zwar innerhalb des sog. Förster-Radius von ca. 5 nm. Ansonsten sieht man keine gelbgrüne Fluoreszenz.

3.2 Das Elektronenmikroskop (EM)

Grundsätzlich gelten für das LM und das EM ähnliche Aufbauprinzipien sowie dieselben Gesetze der Auflösung und Vergrößerung. Der grundlegende Unterschied zwischen LM und EM ist jedoch die Verwendung von Elektronen statt Photonen als „Beleuchtungsstrahlen". Dies hat weitreichende Konsequenzen für (1) den Aufbau und (2) die Leistung eines Elektronenmikroskops sowie auch für (3) die Probenpräparation der zu beobachtenden Objekte.

(1) Um eine Kollision der Elektronen mit Fremdpartikeln (z. B. Luftmoleküle) und dadurch eine unerwünschte Ablenkung zu verhindern, muss der Strahlverlauf und somit die Objektbeobachtung im Vakuum erfolgen. Dieses wiederum hat Konsequenzen für die zu beobachtenden Objekte. Da biologische Proben vorwiegend aus Wasser bestehen, müssen diese nach einer vorhergehenden Stabilisierung (Fixierung) entwässert werden, s. auch ▶ Technik-Box, da das Zellwasser im Vakuum des EMs ansonsten explosionsartig verdampfen und sämtliche Strukturen zerstören würde. Des Weiteren müssen für die Abbildung statt Glaslinsen elektromagnetische Linsen verwendet werden, um die abbildenden Eigenschaften von Elektronen zu nutzen. Diese elektromagnetischen Linsen sind Strom-durchflossene Metalldrahtspulen, die so in ihrem inneren Hohlraum ein elektromagnetisches Feld aufbauen, welches die Elektronen beeinflusst.

(2) Leistungsmäßig müsste die durchschnittliche Wellenlänge der in einem 100-kV-EM zur Verwendung kommenden Elektronen von λ= 0,004 nm im Vergleich zum sichtbaren Licht zu einer ca. 105-fachen Steigerung der Auflösung führen. Allerdings ist aus bautechnischen Gründen die numerische Apertur der elektromagnetischen Linsen so klein, dass die Auflösungsverbesserung nach dem Abbe’schen Auflösungstheorem nur ca. das 103-fache beträgt.

Das Abbe’sche Auflösungstheorem beschreibt die Abhängigkeit der Auflösung dmin, das ist der geringstmögliche Abstand zweier getrennt darstellbaren Punkte, von der Wellenlänge