16,99 €
Was bringt Menschen dazu, stundenlang regungslos auf einem Kissen zu sitzen? Die Faszination des Zen-Buddhismus ist groß, da nimmt so mancher Beschwernisse auf sich bei der Suche nach Erkenntnis. Inken Prohl hat das Unaussprechliche des Zen in leicht verständliche Worte gefasst. Sie zeigt, warum das angebliche "Nichts" des Zen - keine Lehre und keine Antworten - gerade für westliche Sinnsuchende so attraktiv ist, was es mit der besonderen Beziehung zwischen Schüler und Meister auf sich hat und wie die vollkommene innere Befreiung erreicht werden kann.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 602
Ungefähr im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung soll dem Selbstverständnis des Buddhismus nach Buddha Shakyamuni Erleuchtung erfahren haben. Er teilt laut zen-buddhistischer Lehre seine Erfahrung jenseits der Worte mit seinem Schüler Mahakasyapa.
Im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung soll der legendäre indische Mönch Bodhidharma den Chan-Buddhismus in China gegründet haben.
Zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert erlebte seinem Selbstverständnis nach das chan sein Goldenes Zeitalter in China.
Zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert werden die Berichte über das Goldene Zeitalter verfasst – es entstanden die berühmten Koan-Sammlungen des chan.
Im 12. und 13. Jahrhundert gründen Eisai und Dogen die Schulen des Rinzai- und Soto-Zen-Buddhismus in Japan.
Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet sich in Europa die Erkenntnis, dass der Chan-/Zen-Buddhismus eine eigenständige Schule des Buddhismus bildet.
1893 nimmt Soen Shaku, Abt des rinzai-buddhistischen Engakuji-Tempels in Japan, am Weltparlament der Religionen in Chicago teil.
1897 geht D.T. Suzuki in die USA und wird Assistent von Paul Carus.
1906 kommt Sokei-an nach San Francisco; auf ihn geht das First Zen Institute of America zurück.
1922 lehrt Senzaki Nyogen das Zen in Kalifornien mit seinem »umherschwebenden zendo«.
1927 erscheinen die Zen-Essays von D.T. Suzuki zum ersten Mal in englischer Sprache.
Ab Ende der 1950er-Jahre werden Zen-Zentren in den USA gegründet.
Ab Ende der 1960er-Jahre werden Zen-Zentren in Europa gegründet.
1970er Jahre bis heute: Immer mehr asiatische Zen-Lehrer kommen in den Westen, gründen Zentren und bestimmen westliche Nachfolger.
dharma – buddhistische Wahrheit, buddhistisches Gesetz, Lehre des Buddhismus
Hinayana – »Kleines Fahrzeug« – Lehren des frühen Buddhismus, in denen das Streben nach Erleuchtung vor allem den Mitgliedern der Mönchsgemeinschaft vorbehalten ist; zuweilen wird diese Form des Buddhismus auch Theravada-Buddhismus genannt.
Mahayana – »Großes Fahrzeug« – Lehren des späteren Buddhismus, in denen die Befreiung aller Lebewesen zentral ist. Im Mittelpunkt steht die erleuchtete Figur des Bodhisattva, der allen Lebewesen bei ihrem Streben nach Erleuchtung und Befreiung beisteht; der Chan-/Zen-Buddhismus ist eine Variante des Mahayana-Buddhismus.
sangha – Gemeinschaft der Mönche und Nonnen
satori – Erleuchtung
Vajrayana – »Diamant-Fahrzeug« – buddhistische Lehren, in denen komplexe Rituale zentral sind, wie der Vollzug bestimmter, mudra genannter Gesten, die Rezitation von mantra genannten Lauten und Visualisierungsübungen mithilfe von mandala.
Buddha Shakyamuni – hat nach Lehre des Buddhismus ungefähr im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Wahrheit erkannt und ist »erleuchtet«; die Anhänger des Buddhismus streben nach der Erleuchtung, wie sie Buddha Shakyamuni vollzogen haben soll.
Bodhidharma – indischer Mönch, der den Chan-Buddhismus im 6. Jahrhundert nach China gebracht haben soll. Er gilt als der Begründer des chan in China.
Huineng (638 – 713) – chinesischer Mönch und Chan-Meister, der im 7. Jahrhundert das Goldene Zeitalter des chan in China eingeleitet hat und auf den sich die wichtigen Traditionslinien des chan und späteren Zen berufen
Eisai (1141 – 1215) – Gründer der Rinzai-Schule des Zen in Japan, der außerdem den Tee in Japan eingeführt haben soll
Dogen (1200 – 1253) – Gründer der Soto-Schule des Zen in Japan, der viele wichtige Werke verfasst hat, unter anderem »Die Schatzkammer der Erkenntnis des wahren Dharma«
D.T. Suzuki (1870 – 1966) – japanischer Gelehrter und Laienbuddhist, der den Zen-Buddhismus im Westen bekannt gemacht hat
Shunryu Suzuki (1904 – 1971) – japanischer Priester der Soto-Schule, der seit Ende der 1950er-Jahre in San Francisco lehrte und das San Francisco Zen Center aufbaute, das bis heute zu den einflussreichsten Zen-Zentren im Westen gehört
Taisen Deshimaru (1914 – 1982) – japanischer Priester der Soto-Schule, der seit Ende der 1960er-Jahre den Zen-Buddhismus in Europa verbreitete und auf den sich die Mehrheit der europäischen Zen-Zentren der Gegenwart berufen
Thich Nhat Hanh (geboren 1926) – vietnamesischer Zen-Lehrer, der aufgrund seiner Aktivitäten für den Frieden und seiner Lehren über Achtsamkeit neben dem Dalai Lama der berühmteste Buddhist der Gegenwart ist
Eiheiji – im 13. Jahrhundert von Dogen gegründetes Kloster der Soto-Schule, das bis heute für seine strenge Ausbildungspraxis bekannt ist
Sojiji – im 14. Jahrhundert von Keizan gegründetes Kloster der Soto-Schule auf der Halbinsel Noto an der Japan-See. Im 19. Jahrhundert wurde das Kloster nach Yokohama in die Nähe von Kioto verlegt und gilt als Zentrum zen-buddhistischer Gelehrsamkeit, das auch viele Ausländer anzieht.
Myoshinji – im 14. Jahrhundert in Kioto gegründete Klosteranlage des Rinzai-Zen und Haupttempel der Myoshinji-Richtung des Rinzai-Zen in Japan
Engakuji – im 13. Jahrhundert gegründeter Tempel des Rinzai-Buddhismus in Kamakura in der Nähe von Tokio, an dem viele berühmte Zen-Buddhisten praktizierten, unter anderem Soen Shaku und D.T. Suzuki
San Francisco Zen Center – in den 1960er-Jahren von Shunryu Suzuki gegründetes Zen-Zentrum der Soto-Richtung, das viele wichtige Persönlichkeiten des Zen im Westen hervorbrachte
Tassajara-Kloster – 1966 von Shunryu Suzuki in Kalifornien gegründetes erstes Zen-Kloster der Soto-Schule im Westen
Los Angeles Zen Center – 1967 von Taizan Maezumi gegründetes Zen-Zentrum der Soto-Richtung
Bodhi Manda Zen Center – 1973 von Kyozan Joshu Sasaki gegründetes Zen-Zentrum in New Mexico, das dem Rinzai-Buddhismus angehört
La Gendronnière – in den 1970er-Jahren gegründetes Zen-Kloster der Association Zen Internationale in Frankreich, in der das ganze Jahr Zen praktiziert wird
Zen-Zentrum Schönböken – 1989 gegründetes Zen-Zentrum der Zen-Vereinigung Deutschland e.V., in dem unter der Leitung von Ludger Tenbreul Zen praktiziert wird
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage 2010
© 2010 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
Alle Rechte vorbehalten inklusive des Rechtes auf Reproduktion im Ganzen oder in Teilen und in jeglicher Form.
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
Wiley, the Wiley logo, Für Dummies, the Dummies Man logo, and related trademarks and trade dress are trademarks or registered trademarks of John Wiley & Sons, Inc. and/or its affiliates, in the United States and other countries. Used by permission.
Wiley, die Bezeichnung »Für Dummies«, das Dummies-Mann-Logo und darauf bezogene Gestaltungen sind Marken oder eingetragene Marken von John Wiley & Sons, Inc., USA, Deutschland und in anderen Ländern.
Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autorin und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Korrektur Frauke Wilkens, München
Illustrationen, wenn nicht anders vermerkt, von Inken Prohl
ISBN: 978-3-527-70501-6 ePDF ISBN: 978-3-527-65812-1 ePub ISBN: 978-3-527-65811-4 mobi ISBN: 978-3-527-65813-8
Inken Prohl kommt aus Norddeutschland, wo sie eine Ausbildung im Gartenbau absolvierte. Aus ihrem Interesse an Gärten, insbesondere an der Ästhetik der sogenannten Zen-Gärten entwickelte sich eine große Begeisterung für Japan, die japanische Kultur und den Buddhismus. Sie studierte an der Freien Universität Berlin Japanologie und Religionswissenschaft und lernte zen-buddhistische Zentren und Praktiken in Deutschland kennen. Während der zwei Jahre ihres Studiums, die sie in Japan verbrachte, besuchte sie viele zen-buddhistische Tempel und Klöster.
Nach ihrem Studium in Berlin forschte sie am Institut für Religionswissenschaft der University of Tokyo über Religionen im heutigen Japan. Den größten Teil dieser Zeit verbrachte sie mit sogenannter Feldforschung: Sie suchte buddhistische Tempel, shintoistische Schreine und viele weitere religiöse Orte auf und nahm so oft und intensiv wie möglich an religiösen Praktiken teil. Dazu gehörten stundenlange Rezitationen buddhistischer Sutren unter freiem Himmel und die Teilnahme an buddhistischen Ritualen.
Im Anschluss an ihre Dissertation wurde Inken Prohl Dozentin an der Freien Universität Berlin. Nach ihrer Habilitation ging sie mit ihrem Sohn in einen kleinen Ort in den japanischen Alpen und nahm ein Jahr lang an den Aktivitäten eines ländlichen Zen-Tempels teil, während ihr Sohn einen buddhistischen Kindergarten besuchte. Seit 2006 ist Inken Prohl Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Heidelberg.
Die Autoren vieler moderner Einführungen in den Zen-Buddhismus behaupten, dass sich das Wesentliche des Zen nicht mit Worten erfassen lässt. Es gilt als etwas, das man mit dem Verstand nicht erschließen kann.
Dennoch verfassen diese Autoren dicke Bücher über das Zen. Wenn sie schreiben, die Essenz des Zen sei jenseits der Worte zu finden, wiederholen moderne Autoren die typische Überlieferung traditioneller Zen-Schriften. Obwohl diese immer und immer wieder beschwören, dass es sich beim Zen um eine besondere Überlieferung außerhalb der Schriften handle, die unmittelbar auf das Herz des Menschen trifft und mit dem Verstand nicht zu vermitteln ist, hat die Zen-Tradition unzählige Schriften hervorgebracht. Wie kann man diesen Widerspruch erklären? Ist es überhaupt sinnvoll, ein weiteres Buch über den Zen-Buddhismus zu schreiben? Kann man den Zen-Buddhismus mit Worten erfassen?
Ich behaupte: Man kann!
Viele Menschen behaupten, dass es nur eine Essenz, eine Wahrheit des Zen-Buddhismus gibt. Gegenüber dieser Behauptung lautet die schlechte Nachricht: Dieses Buch sagt Ihnen nicht, was Erleuchtung ist und worin die Wahrheit des Zen besteht. Zum einen nicht, weil sich Erleuchtung und Wahrheit des Zen sowieso nicht in Worte fassen lassen, und zum anderen nicht, weil es ganz viele Meinungen darüber gibt, worin die Erleuchtung und die Wahrheit des Zen bestehen.
Die gute Nachricht dieses Buches lautet, dass Sie statt einer Wahrheit eine Vielfalt von Ansichten und Aussagen zum Zen kennenlernen. Ein chinesischer Zen-Meister umschreibt die Wahrheit des Zen mit Anspielungen auf vorbeifliegende Wildgänse. Eine amerikanische Zen-Meisterin zieht Vergleiche mit dem paradoxen Zustands des Verliebtseins, um das Verständnis ihrer Schüler für die Erleuchtung zu vertiefen.
Die Herangehensweisen des chinesischen Meisters und der amerikanischen Meisterin zeigen: Die Lehren und Interpretationen des Zen sind an die Umstände der Zeit und Kultur gebunden, aus der sie stammen. Dieses Buch präsentiert Ihnen daher nicht, was Zen ist, sondern was sich die Meister und Schüler zu verschiedenen Zeiten seiner Entwicklung vorgestellt haben und heute noch vorstellen, was Zen ist.
Dabei dürfen Sie sich nicht davon verwirren lassen, dass die meisten Meister und Lehrer des Zen ihre Sichtweise als die einzig wahre bezeichnen. In dieser Hinsicht erweist sich der Zen-Buddhismus als eine ganz gewöhnliche Religion, die wie andere Religionen auch den Anspruch erhebt, die einzige Wahrheit zu lehren.
Sie sollten sich auch nicht davon verwirren lassen, dass viele Vertreter des Zen und zeitgenössische Autoren über das Zen immer und immer wieder behaupten, dass es keine Religion sei. Zu den vielfältigen Ansichten über das Zen gehören auch die beiden Standpunkte, dass der Zen-Buddhismus eine Religion ist und dass er keine Religion ist.
Dieses Buch ergreift keine Partei in dieser Frage. Es erklärt Ihnen vielmehr, warum die Lehren und Praktiken des Zen-Buddhismus zu manchen Zeiten und für manche Menschen dem entsprechen, was man als religiös bezeichnen kann, und zu anderen Zeiten und für andere Menschen gar nichts mit Religion zu tun haben. Im Zuge dieser Erklärungen konfrontiert Sie dieses Buch mit der Ansicht, dass der Zen-Buddhismus wie jede Religion, Weisheitslehre oder menschliche Praxis nicht immer gleich bleibt, sondern sich beständig ändert.
Das Erstaunliche am Zen ist, dass sich die Lehren und Praktiken, die unter »Zen« oder »Zen-Buddhismus« zusammengefasst werden, extrem vielfältig sind. Von religiöser Wahrheitssuche, dem einzigen Weg zur Erleuchtung, über Praktiken der Selbstfindung und Leistungssteigerung bis hin zu Parfums und Designgegenständen, die entspannen, kann alles Mögliche »Zen« sein.
»Zen für Dummies« geht davon aus, dass es gerade die Weigerung des Zen war ist und ist, seine Lehre in Wort zu fassen, die diese Vielfalt ermöglicht. So sind »Zen-Buddhismus« und »Zen«, lautet der Ausgangspunkt dieses Buches, nicht durch einen geheimnisvollen Kern, eine religiöse Essenz bestimmt, sondern vielmehr dadurch, was sich die Menschen zu verschiedenen Zeiten und Orten unter Zen vorgestellt und vom Zen erhofft haben.
Der Zen-Buddhismus lässt seine Anhänger extrem im Unklaren darüber, wie seine Essenz zu fassen ist. Das besondere Wesen der Wahrheit des Zen wird angedeutet, umschrieben, aufgeführt. Die zen-buddhistische Tradition schafft es seit 1.500 Jahren, ihre Anhängerschaft mit Andeutungen zu verzaubern und zur Wahrheitssuche anzuspornen, ohne dabei ihre Geheimnisse preiszugeben.
Dieses Buch zeigt die vielfältigen Wege, mit denen das gelingt. Ich beschreibe die geschickten Mittel und unermüdlichen Versuche der chinesischen, japanischen und westlichen Zen-Meister, die Existenz der Wahrheit zu beschwören und ihr auf die Spur zu kommen.
Es geht in »Zen für Dummies« um wundersame Geschichten von großen Meistern, rätselhafte Wortspiele sowie Worte und Momente der Erleuchtung im alten China und mittelalterlichen Japan und um den Zusammenhang, in dem diese entstanden, um die Lehrer und Meister, die diese wundersamen Geschichten in den Westen gebracht haben und die vielfältigen Formen des Zen, die in den USA und Europa entstanden.
Die Besonderheiten des Zen werden durch Wissen über den Buddhismus, Kenntnisse über die chinesische und japanische Kultur sowie den Weg des Zen in den Westen und Einsichten in seine Lehre und Praxis verständlicher. Der Zauber des Zen entspringt allerdings einem komplexen Zusammenspiel sehr verschiedener Faktoren. Jede Erklärung ist daher immer nur eine Annährung, da sich der Zauber des Zen einer endgültigen und umfassenden Erklärung – wie es sich für einen guten Zauber gehört – verschließt.
Der Zen-Buddhismus entwickelte sich als eine Spielart des indischen Buddhismus unter dem Namen chan zunächst in China, bevor er in andere Teile Ostasiens gelangte und besonders in Japan neue Vorstellungen und Praxisformen hervorbrachte.
Im 20. Jahrhundert breiteten sich die verschiedenen Strömungen des chan (China), Zen (Japan), son (Korea) und thien (Vietnam) im Westen aus, wobei wieder neue Interpretationen und Praktiken entstanden. Im Westen herrschen die Vorstellungen und Praktiken des japanischen Zen-Buddhismus vor. Aus diesem Grund stammen auch die im Westen mit dem Zen assoziierten Begriffe wie zazen (stilles Sitzen) oder dojo (Ort des Weges) aus dem Japanischen.
Dieses Buch konzentriert sich daher auf die Vorstellung der aus Japan stammenden Begriffe und Praktiken des Zen. Die Schreibweise der japanischen Begriffe ebenso wie Wörter aus anderen Sprachen des Buddhismus wie Sanskrit und Chinesisch wurde dabei so vereinfacht, dass man diese Wörter möglichst mühelos wiedererkennen kann. All diese Begriffe sind im Text kursiv gesetzt.
Beim Schreiben dieses Buches habe ich mir Sie, liebe Leser, so vorgestellt:
Sie sind an östlichen Weisheiten interessiert und möchten sich über die Entstehung, die Lehren und Praktiken des Zen-Buddhismus informieren. Sie haben bei Freunden und Bekannten etwas über den Zen-Buddhismus gehört und möchten nun auch mitreden können. Sie sind mit zen-buddhistischen Vorstellungen und Praktiken in der Hirnforschung, in der Psychologie, in der Kunst oder in einem ähnlichen Bereich in Berührung gekommen und wollen genauer wissen, was es mit dem Zen auf sich hat. Sie fragen sich seit Langem, wieso Produkte aus der Unterhaltungsindustrie, Kosmetik und anderen Bereichen den Begriff Zen tragen. Sie wurden von ihrem Arbeitgeber zu einem Zen-Wochenende verpflichtet und fragen sich, was Sie dort erwartet. Sie sind auf der Suche nach neuen Wegen der Entspannung, der Verbesserung Ihres Leistungsvermögens oder Ihres Umgangs mit sich selbst und wollen mal schauen, was das Zen zu bieten hat. Ebenso wie ich sind auch viele von Ihnen fasziniert von den Geheimnissen des Zen und Sie möchten gern wissen, wie man diese Geheimnisse erklären kann, auch ohne dabei an eine bestimmte Sache oder eine religiöse Lehre glauben zu müssen. Viele Leute behaupten, dass es eines besonderen Geistes – womöglich einer religiösen oder spirituellen Einsicht – bedarf, um den Geist des Zen zu verstehen. Ich gehe davon aus, dass Sie wie jeder die Besonderheiten des Zen-Buddhismus und des Zen verstehen können.Der Zen-Buddhismus hat im Laufe seiner Geschichte viele Wandlungen durchlaufen. Heute sind unter dem Begriff Zen ganz unterschiedliche Vorstellungen und Praktiken bekannt. Der Aufbau dieses Buches trägt dieser Vielfalt Rechnung. Wer mehr über die Geschichte und Gegenwart des Zen in China und Japan wissen will, kann mit Teil I anfangen oder sich in Teil III über das Zen im heutigen Japan informieren. Wer sich vor allem für den Zen-Buddhismus im Westen interessiert, kann auch gleich mit der Lektüre von Teil IV beginnen. Und wer vor allem etwas über das Zen außerhalb zen-buddhistischer Zentren zum Beispiel in der Psychotherapie oder im Management erfahren möchte, kann mit den entsprechenden Kapiteln von Teil V loslegen. Natürlich können Sie das Buch auch von vorn bis hinten ganz durchlesen.
Die Vielfalt des heutigen Zen beruht auf dem Zen-Buddhismus, wie er sich in China und Japan entwickelte. Nachdem das Kapitel 1 einen kurzen Überblick über die Vielfalt des Zen gibt, widmet sich Teil I dem Aufkommen des chan im 6. Jahrhundert und seiner Verbreitung in China und Japan. In diesem Kapitel lernen Sie viele der berühmten alten Meister des chinesischen chan und japanischen Zen kennen, von denen im Zen bis heute so häufig die Rede ist. Teil I schließt mit den Veränderungen im japanischen Zen zum Ende des 19. Jahrhunderts, die die Grundlage und den Ausgangspunkt für den Weg des Zen in den Westen bildeten.
Ende des 19. Jahrhunderts bildete der Zen-Buddhismus einen kleinen, konservativen Teil des japanischen Buddhismus. In Teil II erfahren Sie, welche Ereignisse und welche Persönlichkeiten vom Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die Grundlage dafür legten, dass sich das Zen weltweit verbreitete und der Begriff Zen weltweit bekannt wurde.
Im heutigen Japan gibt es fast 20.000 zen-buddhistische Tempel, doch an den wenigsten dieser Tempel wird die zentrale Praxis des Zen, das zazen genannte stille Sitzen, ausgeführt. Was geschieht in einem Zen-Tempel? Warum suchen Japaner einen Tempel auf? Was zieht sie zu großen Zen-Klöstern in Kioto und welche Bedeutung kommt dem Zen-Buddhismus im heutigen Japan überhaupt zu? In Teil III finden Sie Antworten auf diese und weitere Fragen, die Ihnen einen Eindruck vom gelebten Zen im heutigen Japan vermitteln.
Seit den 1970er-Jahren entstanden immer mehr Zen-Zentren und -Gruppen in den USA, von denen sich viele Ableger seit den 1980er-Jahren auch in Europa und anderen Teilen der Welt verbreiteten. Teil IV widmet sich den Lehren, Praktiken und Anliegen des amerikanischen und europäischen Zen und macht Sie dabei auch mit den Persönlichkeiten und Entwicklungen in Europa und im deutschsprachigen Raum bekannt. Außerdem lernen Sie in Teil IV Zen-Buddhisten aus China, Korea und Vietnam sowie das »christliche Zen« kennen.
Heute finden sich Vorstellungen, Praktiken und Einflüsse des Zen in so unterschiedlichen Bereichen wie der Psychotherapie, der Hirnforschung, dem Management und der Populärkultur. Teil V erklärt, wie zen-buddhistische Vorstellungen und Praktiken mit diesen unterschiedlichen Bereichen des modernen Lebens zusammenpassen. Das letzte Kapitel dieses Teils fasst den Zauber und die Verzauberungen des Zen für die Menschen von heute zusammen.
Es gibt so viele interessante Zen-Persönlichkeiten, so viele bedeutsame Schriften des Zen und nicht zuletzt so viele Missverständnisse über das Zen, dass eine Auswahl der jeweils zehn wichtigsten schwerfällt. Wer einen schnellen Überblick über wichtige Figuren und Werke des Zen sucht und sich kurz und knapp Antworten auf die Frage wünscht, warum ihm einige Vorstellungen und Praktiken des Zen schon immer spanisch vorgekommen sind, ist in diesem Teil genau richtig. Im Anhang finden Sie eine Zusammenstellung von wichtigen Büchern über das Zen und Links zum Thema für alle, die sich ausführlicher mit dem Zen beschäftigen möchten.
Dieses Symbol kennzeichnet Erklärungen von Begriffen und Vorstellungen, die entweder grundlegend für den Zen-Buddhismus oder für die Vorstellungen über Buddhismus und Religion sind. Es lohnt sich, sie zu wiederholen, da sie immer wieder vorkommen.
Dieses Symbol verweist auf Kommentare und Erklärungen, mit deren Hilfe Sie den gerade behandelten Aspekt des Zen-Buddhismus besser verstehen können.
Dieses Symbol kennzeichnet Kommentare, die der besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, da sie weitverbreitete Missverständnisse über das Zen richtigstellen.
Historische Zusatzinformationen sind mit diesem Symbol gekennzeichnet.
Dieses Symbol zeigt Ihnen einen traditionellen Dialog an.
Wenn Sie dieses Symbol sehen, finden Sie eine historische oder persönliche Geschichte.
Dieses Buch steuert nicht nach und nach auf eine heilige Wahrheit des Zen zu und macht keine Unterscheidungen zwischen wahrem und falschem oder gutem und schlechtem Zen. Jede Vorstellung und Praktik des Zen, die ich in diesem Buch beschreibe, ist so gut wie die andere. Daher können Sie anfangen zu lesen, wo sie möchten. Vielleicht lassen Sie sich erst mal von der Zen-Vielfalt in Teil V neugierig machen. Sie können sich aber auch von Teil III in den Zen-Buddhismus des heutigen Japans entführen lassen oder ganz einfach auf den nächsten Seiten weiterlesen. Es gibt nichts Heiliges im Zen und zugleich ist dem Zen alles heilig. Was Ihnen am Zen wichtig ist, bestimmen Sie.
Woher kommt der Zen-Buddhismus? In welcher Beziehung steht er zum übrigen Buddhismus? Und wie lässt sich eine Wahrheit, die jenseits der Worte liegt, in Worte fassen? In diesem Teil erfahren Sie etwas über die weltweite Verbreitung des Zen der Gegenwart, die Praxis des Zen und die Gründe, warum er bis heute so beliebt ist.
Es geht um die alten Meister des Zen in China und Japan und ihre besonderen Mittel, die Lehre des Zen-Buddhismus zu vermitteln. Sie erfahren, wie sich der Zen-Buddhismus in China entwickelte und wie er sich in China und Japan verbreitet hat. Dabei werden Sie mit Worten und Momenten der Erleuchtung konfrontiert, aber auch mit erbitterten Kämpfen um rechtmäßige Nachfolger und Debatten über den richtigen Weg, die Wahrheit des Zen, jenseits der Worte, weiterzugeben.
Heutzutage verbergen sich hinter dem Begriff Zen alle möglichen Vorstellungen und Praktiken. Dieses Kapitel gibt Ihnen einen Überblick über das, was alles Zen genannt wird, und einige Gründe dafür, warum die Vorstellungen und Praktiken, die mit Zen in Verbindung gebracht werden, so beliebt sind.
In der Praxis des Zen wird – so wollen es zumindest die traditionellen Überlieferungen – vor allem gesessen. Daher steht im Mittelpunkt des Zen im Westen zazen, das stille Sitzen, das meistens als Meditation bezeichnet wird. Das stille Sitzen in der Haltung von Buddha Shakyamuni soll laut Lehre des Zen die Praktizierenden zur Erleuchtung bringen. Manche Zen-Lehren betonen aber auch, dass durch die Einnahme dieser Haltung die Erleuchtung bereits verwirklicht wird und es außer dem Sitzen nichts zu erreichen gibt. Im Zen ranken sich viele Geheimnisse darum, was die Erleuchtung ist und wie die Praktizierenden des zazen ihr näher kommen.
Die viel beschworenen Geheimnisse des Zen motivieren heutige Großstadtmenschen dazu, sich den Wecker zwei Stunden früher zu stellen und, während viele noch schlafen, ein bis zwei Stunden bewegungslos auf ihrem Kissen zu verweilen. In Vergangenheit und Gegenwart bereitet das zazen leichte bis schwere Schmerzen in den Knien, im Rücken, im Nacken und an vielen anderen Körperteilen, die man erst bemerkt, wenn man sich zwingt, einige Zeit still zu sitzen.
Warum nehmen so viele diese Anstrengung auf sich? Worin liegt der Zauber der Zen-Idee? Und weshalb konnte sie sich über Grenzen und Zeiten hinweg so lange behaupten?
Einen Schlüssel zu diesen Fragen bieten die Legenden über die Erleuchtungserfahrungen der frühen chinesischen Meister des chan: Nur wer sich lange und ausdauernd dem stillen Sitzen hingibt, so lauten die Überlieferungen, kann seine Gedanken so weit zur Ruhe bringen, dass sie einfach nur noch vorbeifließen. Dieser Zustand bildet die Voraussetzung für das Erwachen zu Wahrheit, zur Erkenntnis der Natur der Dinge, wie sie ihrer »Soheit« existieren. Die Literatur des Zen stellt diese Erkenntnis als ein ungemein befreiendes und beglückendes Erlebnis dar. Die Haltung beim zazen hat physiologische Vorteile: Der Rücken ist gerade, die Körpermitte ruht auf dem Kissen und der Atem kann frei fließen. Wird diese Haltung korrekt ausgeführt, fühlen sich die Praktizierenden, als hätten sie vollständige Kontrolle über ihren Körper und Geist und als könnten sie sich zugleich von den Belangen von Körper und Geist frei machen. Das zazen vollzieht sich in Stille. Nichts ist da, womit sich die Übenden ablenken könnten. Sie sind daher gezwungen, sich ihren Gedanken und Gefühlen zu stellen, und merken in der Einsamkeit des Sitzens auf ihrem Kissen, dass es nichts bringt, sich etwas vorzumachen, sich mit oberflächlichen Gedanken abzulenken und sich mit Eitelkeiten und Eingebildetheiten zu trösten. Diese Erfahrung hat für viele Menschen eine befreiende und kräftigende Wirkung, die sie immer wieder wiederholen möchten.Abbildung 1.1: Eintritt in eine andere Welt: Das Tor zu einem Zen-Tempel in Kioto
Schweigend und mit halb geschlossenen Augen sollen die Praktizierenden beim zazen in der Lotusposition vor einer Wand sitzen und nichts denken. Die klassischen Schriften des Chan-und Zen-Buddhismus betonen die Bedeutung der korrekten Sitzhaltung und geben detaillierte Anweisungen dafür.
Dieses Sitzen soll ebenso wie der Zen-Buddhismus insgesamt kein definiertes Ziel, keinen Nutzen und keine Bedeutung haben. Zen soll nichts Besonderes sein. Häufig behaupten Zen-Meister gegenüber ihren Schülern, dass Zen nichts bedeute. Sie sagen das, um den Schülern die Illusion zu nehmen, sie könnten ein besonderes Wissen erwerben oder etwas Nützliches lernen.
Andererseits stellen die traditionellen Texte ebenso wie moderne Meister in Aussicht, Zen biete ihnen die Erkenntnis der Natur des Seins, wie sie sich dem erleuchteten Geist offenbart. Dieses Sein, heißt es, kennt kein Innen und Außen, kein Sein oder Nichtsein. Jenseits aller Dualitäten bietet sich dem erleuchteten Geist das »Universum«.
Zen-Schüler werden hin und her gerissen zwischen ernüchternden Warnungen, dass es sowieso nichts zu erreichen gibt, und großen Versprechungen, die ganze Welt zu erkennen. Die Kraft dieser Überzeugung brachte sie über die Jahrhunderte hindurch bis heute dazu, bewegungslos auf ihrem Kissen zu verharren.
Häufig praktizieren Anhänger des Zen das stille Sitzen in einem Zen-Zentrum. Die meisten Zen-Zentren orientieren sich am Vorbild einer der japanischen Schulen des Zen-Buddhismus und halten Kontakt mit den japanischen Institutionen.
Doch Zen wird schon lange nicht mehr nur in Gruppen und Zentren geübt, die sich auf eine ostasiatische Traditionslinie berufen und sich in ihrer Praxis an ihr orientieren. Vorstellungen über das Zen haben sich in allen Bereichen der Gesellschaft verbreitet.
Es gibt im Westen sehr viele Gruppen und Gemeinschaften von Gleichgesinnten, die sich für die Meditation und die Vorstellungen des Zen interessieren, ohne mit einer japanischen oder sonstigen Institution in Ostasien in Verbindung zu stehen. Das stille Sitzen hat, obwohl es häufig als anstrengend und schmerzhaft empfunden wird, eine große Anziehungskraft.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben Zen-Vorstellungen und -Praktiken auch innerhalb christlicher Kreise Aufnahme gefunden. Daher kann es sein, dass Kirchengemeinden Einladungen zum gemeinsamen zazen aussprechen. Derartige Übungen knüpfen an die Vorstellung an, dass das Zen ein Weg zur Erfahrung letzter Wahrheiten ist, was Christen als Erfahrung der Einheit mit Gott interpretieren.
Andere Zen-Gruppen und -Anbieter haben sich vom ostasiatischen Vorbild gelöst und verstehen Zen als einen Weg zum Abbau von Stress, als Entspannungstechnik oder als Strategie zur Leistungssteigerung, wie etwa in Zen-Kursen für Manager.
Vor allem durch die Schriften von D.T. Suzuki entstand im Westen ein Bild vom Zen als von jeder Form von Weltanschauung und Religion unabhängig und daher mit allen möglichen Praktiken und Zielen vereinbar.
Zen wird auch als Übung der Konzentration angesehen, die dazu verhilft, Abläufe zu optimieren. Daher werden Vorstellungen des Zen auch auf Sport und Kunst übertragen.
Da Zen als Weg zur Loslösung von Illusionen dargestellt wird, der zu Befreiung führt, interessierten sich schon früh Psychologen und Psychotherapeuten für das Zen. Vor allem in den vergangenen Jahrzehnten wurden neue, vom Zen inspirierte Therapien entwickelt. Und immer mehr Menschen, die in heilenden Berufen tätig sind, erhoffen sich neue Einsichten und neue Kraft vom Zen.
Das Zen behauptet von sich selbst, dass seine Lehren nicht in Worte gefasst werden können. Diese Verschwiegenheit des Zen über den Kern seiner Lehre führte im 20. Jahrhundert dazu, dass Zen von vielen Künstlern, Intellektuellen und Therapeuten für ihre jeweiligen Anliegen angepasst wurde. Gleichzeitig geht dem Zen auch der Ruf voraus, einen Schlüssel zum Zugang zur Wahrheit über die Wirklichkeit zu besitzen. Aus dieser Mischung aus Vagheit und Geheimnis resultiert ein großer Teil der Faszinationskraft des westlichen Zen im 20. und 21. Jahrhundert.
Der Zen-Buddhismus ist eine japanische Weiterentwicklung des chinesischen chan, einer Form des Mahayana-Buddhismus, die sich zunächst in China formte. In den folgenden Abschnitten erläutere ich die Zusammenhänge zwischen indischem Buddhismus, chinesischem chan und japanischem Zen. Sie erfahren außerdem, inwiefern es sich beim Zen um Meditation handelt und inwiefern auch nicht.
Der chinesische Begriff chan leitet sich als lautmalerische Umschreibung vom Sanskritwort dhyana ab. Viele Schriften des Mahayana-Buddhismus (mehr zum Mahayana-Buddhismus erfahren Sie auf den nächsten Seiten dieses Kapitels), zu dem die Schulen des chan/Zen gehören, wurden in Sanskrit, der klassischen Sprache Indiens, verfasst. In Sanskrit bezeichnet das Wort dhyana eine Übung der Konzentration und Beobachtung des eigenen Geistes. Häufig wird unter dhyana auch »Versenkung« verstanden.
Dhyana ist die zentrale Handlung des unter dem Bodhi-Baum verharrenden Buddha Shakyamuni, in der er laut Überlieferung die Wahrheit des buddhistischen Gesetzes erkannt hat. Dieses buddhistische Gesetz wird dharma genannt. Der dharma ist die Lehre von der Natur des Seins. Unter dem dharma kann man auch die buddhistische Wahrheit verstehen.
Buddha Shakyamuni hat diese Wahrheit gesehen; er hat sie erkannt. Dieser Prozess der Erkenntnis wird als Erwachen zur Wahrheit verstanden. In Sanskrit wird dieser Prozess nirvana genannt. Viele Schriften über den Buddhismus geben diesen Erkenntnisprozess des nirvana als »Erleuchtung« wieder. Der buddhistische dharma erklärt die Ursache vom Leiden und die Quelle der Illusionen. Jemand, der zur Wahrheit erwacht ist, ist daher nicht länger gefangen im Netz von Begierden und Illusionen. Darum wird nirvana auch als Akt der Befreiung verstanden.
Die buddhistischen Lehren haben sich bei ihrer von Indien ausgehenden Entwicklung in China und Japan verändert. In Japan entstanden daher mindestes drei Begriffe, die das nirvana genannte Erwachen bezeichnen:
satori – meistens als Erleuchtung verstandenkensho – die erste Erfahrung der Erleuchtungbodai – die Buddhaschaft erlangenMan sollte sich von den vielen Begriffen wie dharma, nirvana oder satori nicht verunsichern lassen. Über diese Begriffe und ihre Bedeutungen wurde in unzähligen Texten spekuliert. Niemand kann sagen, was sie bedeuten. Man kann höchstens annähernd Aussagen darüber treffen, was in bestimmten Zusammenhängen mit diesen Begriffen gemeint ist.
»Erleuchtung erlangen«, »Erwachen«, »Buddhaschaft erlangen« und die Formulierung »ein Buddha werden« sind Umschreibungen des buddhistischen Heils, das darin besteht, die Wahrheit zu erkennen und von Illusionen und dem Kreislauf der Wiedergeburten befreit zu werden. Daher wird dieses Heil auch Befreiung genannt.
Die Begriffe dhyana, chan und Zen werden in westlichen Sprachen meistens mit dem Begriff »Meditation« wiedergegeben und der Zen-Buddhismus wird als »Meditations-Buddhismus« angesehen. Sicher verstehen die meisten Praktizierenden im Westen den Kern ihrer Zen-Praxis als Meditation.
Unter »Meditation« werden unterschiedliche Konzentrations- und Versenkungsübungen verstanden. Meistens geht es modernen Praktizierenden darum, Ruhe und Entspannung, verborgene Zugänge zu ihrem Selbst oder ein erweitertes Bewusstsein zu erlangen.
Im ostasiatischen Zusammenhang ist Zen zunächst einmal eine stark körperbetonte Übung der Versenkung, die auf die Erkenntnis der buddhistischen Wahrheit ausgerichtet ist. Der genaue Blick auf traditionelle chinesische und japanische Praktizierende zeigt, dass sie die stille Versenkung als Nachahmung der Erleuchtung des Buddha angesehen haben. Ihnen ging es mehr um eine möglichst getreue Kopie der körperlichen Haltung und geistigen Übungen von Buddha Shakyamuni, um so ebenfalls die buddhistische Wahrheit erkennen zu können.
Traditionellen Buddhisten lag es fern, mit den Versenkungsübungen ihr Selbst oder unbekannte religiöse Sphären zu entdecken. Sie wollten die buddhistische Wahrheit erkennen.
Es ist richtig zu sagen, dass moderne Praktizierender des Zen sich auf die Meditation konzentrieren. Da dieses Wort aber verschiedene Bedeutungen hat und viele mit modernen Dingen wie Stress oder dem Wunsch nach Entspannung zu tun haben, hilft die Bezeichnung »Meditation« nicht weiter, wenn man das Zen in seinen traditionellen Bedeutungen verstehen möchte.
Mit Mahayana-Buddhismus (wörtlich: Großes Fahrzeug) wird eine der drei großen Schulrichtungen des Buddhismus bezeichnet. Der Mahayana-Buddhismus ist vor allem in Ostasien verbreitet. Andere Richtungen sind der Hinayana-Buddhismus (wörtlich: Kleines Fahrzeug), auch Theravada-Buddhismus genannt, der vor allem in Südostasien zu verbreitet ist, und der Vajrayana-Buddhismus (Diamantfahrzeug), der in Zentralasien, Tibet und der Mongolei die meisten Anhänger hat.
In allen Richtungen spielen die vier edlen Wahrheiten vom Leid, von der Entstehung des Leides durch Gier und die Möglichkeit von der Befreiung von der Gier durch den edlen achtfachen Pfad sowie die Ordensregeln für die Mönche eine grundlegende Rolle.
Die vier edlen Wahrheiten:
Leben ist Leid. Leid wird durch Wünsche und Begierden hervorgerufen. Befreiung von Wünschen und Begierden führt zum Erlöschen des Leids. Zur Befreiung von den Wünschen und Begierden und Erlöschen des Leids führt der edle achtfache Pfad.Die Verhaltensregeln des edlen achtfachen Pfads werden in die drei Bereiche Weisheit, Ethik und Versenkung eingeteilt:
Weisheit: rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung Ethik: rechte Rede, rechtes Handeln und rechter Lebenserwerb Versenkung: rechtes Streben, rechte Achtsamkeit, rechte SammlungWichtig im Mahayana-Buddhismus ist außerdem die Lehre vom Nicht-Selbst. Diese Lehre besagt, dass die individuelle Persönlichkeit keine unabhängige oder kontinuierliche Substanz hat. Die Vorstellung eines individuellen Selbst ist reine Illusion. Es hat keine Seele nach europäischem Verständnis, sondern ist substanzlos und damit leer.
Das, was wir als unser individuelles Selbst wahrnehmen, ist das sich stetig verändernde Produkt unserer jeweiligen Empfindungen und Wahrnehmungen. Es ist durch die Gier an den Kreislauf der Wiedergeburten (samsara) gebunden. Wer diese Natur des Selbst durchschaut, wird aus dem Kreislauf der Wiedergeburten befreit. Daher besteht das klassische buddhistische Heilsziel darin, die Natur des Selbst und des Seins zu erkennen, was auch als Erleuchtung bezeichnet wird. Die buddhistischen Lehren sind in den Sutras des Pali-Kanons festgehalten, die Anfang unserer Zeitrechnung auf Sri Lanka niedergeschrieben wurden.
Typisch für alle buddhistischen Schulen ist die Trennung zwischen dem sangha, der in Klöstern lebenden Gemeinschaft der Mönche und Nonnen, und den Laien. Angehörige des sangha praktizieren die buddhistischen Formen der Versenkung. Laien unterstützen die klösterlich lebenden Mönche und Nonnen und erwerben so religiöse Verdienste. Diese religiösen Verdienste führen im Verständnis der meisten Buddhisten zu diesseitigem Nutzen, zum Beispiel in Form von Heilung oder Wohlstand, oder zu jenseitigem Nutzen, zum Beispiel in Form eines verbesserten Karmas und einer guten Wiedergeburt.
Die Versenkung der Mönche zielt auf die Erkenntnis der Wahrheit und bringt daher die sogenannte Wahrheitskraft hervor. Die Vorstellung über religiöse Verdienste basiert auf dieser Wahrheitskraft. Laien unterstützen den sangha, weil sie im Gegenzug in den Genuss der Wirkung der übernatürlichen Macht dieser Wahrheitskraft kommen möchten, die in der Verbesserung der Lage im Diesseits oder Jenseits besteht.
Während Laien im Hinayana-Buddhismus durch den Verdiensterwerb ein gewisses Maß an Heil erwerben können, liegt der Schwerpunkt der Lehren auf den Mönchen und ihrem Erleuchtungsstreben.
Der Mahayana-Buddhismus hingegen berücksichtigt die Anliegen der Laien stärker. Daher wird diese Schule des Buddhismus auch »Großes Fahrzeug« genannt. Der Mahayana-Buddhismus betont das Potenzial aller Lebewesen, Buddhaschaft zu erlangen. Die wichtigste Figur des mahayanistischen Erlösungsprogramms ist der Bodhisattva.
Ein Bodhisattva hat Erleuchtung erfahren und könnte aus dem Kreislauf der Wiedergeburten austreten. Er schiebt dies jedoch auf, um allen Lebewesen bei ihrem Streben nach Erkenntnis und Heil beizustehen. Diese Lehren des Mahayana-Buddhismus wurden in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung in Indien aufgeschrieben.
Eine Reformbewegung ist der Vajrayana-Buddhismus, der Diamant-Buddhismus, der sich vor allem in Tibet, aber auch in China und Japan entwickelte. Die chinesischen und japanischen Schulen sind im Westen unter der Bezeichnung esoterischer Buddhismus bekannt. Im Mittelpunkt stehen komplexe Rituale, mit deren Hilfe die Buddhaschaft erlangt werden soll.
Zu den Ritualen gehört die Rezitation von mantra genannten Silben, wie zum Beispiel der Silbe »om«, die Konzentration auf mandalas – komplexe Diagramme, die das Wirken der Buddhas zeigen – und die Einnahme einer bestimmten Handhaltung, die mudra genannt werden. In China und Japan konkurrierten die Strömungen und Schulen des esoterischen Buddhismus und des chan miteinander um die Gunst des Staates, von dessen Unterstützung sie abhängig waren.
In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung entstanden neue buddhistische Schriften, die nach und nach ins Chinesische übersetzt wurden, sodass sich ein komplexes Bild buddhistischer Lehren formte.
Der Chan-Buddhismus ist eine Reaktion auf dieses komplexe Bild, bringt er doch Vereinfachung. Der Chan-Buddhismus rückt die Versenkung beim stillen Sitzen in den Mittelpunkt. Laut der Lehre des chan führt die Versenkung automatisch zu rechter Ethik und rechter Weisheit. Mit dieser ebenso einfachen wie eingängigen Lehre wurde das chan im Laufe des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zur mächtigsten Strömung des chinesischen Buddhismus.
Auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung in China wurde der Chan-Buddhismus von reisenden Mönchen aus Japan aufgenommen und in Japan verbreitet. Dort entwickelten sich die Vorstellungen und Praktiken des Zen, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Westen bekannt wurden. In den folgenden Abschnitten erfahren Sie, wie sich der Chan-/Zen-Buddhismus in China und Japan formierte.
Der Chan-Buddhismus ist eine Strömung innerhalb des chinesischen Buddhismus, die sich seit dem 6. Jahrhundert im kaiserlichen China ausbreitete. Basierend auf den Sutras des Mahayana-Buddhismus, betont die Lehre des chan, dass alle Lebewesen das Potenzial besitzen, Buddhaschaft zu erlangen. Chan lehrt ein direktes Sehen der in jedem Menschen existierenden Buddha-Natur.
Die Wege der Erkenntnis verlaufen jenseits der intellektuellen Vermittelbarkeit. Die Erkenntnis soll vielmehr durch Versenkungsübungen oder die Beschäftigung mit paradoxen Rätseln, den koan, herbeizuführen sein. Eine wichtige Rolle spielt die Begegnung zwischen Lehrer und Schüler. Diese Begegnung konfrontiert den Schüler mit Worten und Gesten der Erleuchtung, um ihn zur Erkenntnis zu bringen. So vollzieht sich laut Lehre des chan die Weitergabe der Lehre jenseits der Worte von Meister zu Schüler.
Laut Selbstverständnis des chan wurde diese Lehre vom indischen Mönch Bodhidharma im 6. Jahrhundert nach China gebracht. Bodhidharma soll viele Jahre vor einer Wand in einer Höhle in schweigender Versenkung gesessen haben, bevor er den Chinesen Huike als seinen Schüler anerkannte. Huike wurde berühmt, da er sich einen Arm abschnitt, um Bodhidharma von der Ernsthaftigkeit seines Strebens zu überzeugen. Als Bodhidharma endlich das Wort an Huike richtete, erfuhr jener, so berichteten die Chroniken des Zen, sofort Erleuchtung.
Voraussetzung für die Erleuchtung im chan/Zen ist die Übung der schweigenden Versenkung. Die Erleuchtung erfährt der Praktizierende aber nicht aus sich selbst heraus, sondern durch die Begegnung mit einem bereits erleuchteten Meister.
Huike wurde der zweite Patriarch, das heißt Vater des chan in China. Die Erleuchtung wurde jenseits der Worte von Meister zu Schüler weitergeben bis zu Huineng, dem sechsten und letzten Patriarchen des chan in China.
Huineng leitete das Goldene Zeitalter des chan in China ein. Chroniken berichten von den alten Meistern als unabhängigen Freigeistern, die sich allein dem Ackerbau und ihrem Streben nach Erleuchtung hingaben. Diese alten Meister sind die Hauptdarsteller in der Literatur der koan, für die der Zen-Buddhismus bis heute so berühmt ist. Das wohl berühmteste koan lautet:
Frage: Hat ein Hund Buddha-Natur?
Antwort: Mu.
Koan kann man sich vorstellen als Erleuchtungsdialoge, in denen die Meister ihre Schüler durch scheinbar sinnlose Fragen, paradoxe Aussprüche, heftige Gesten oder Schläge zur Erleuchtung bringen. Um die buddhistische Wahrheit zu erkennen, so lehrt das Zen, muss man das gewöhnliche Alltagsdenken, die Kategorien, mit denen man die Wirklichkeit wahrnimmt, und persönliche Anliegen hinter sich lassen.
Koan berichten, wie die alten Meister ihre Schüler durch Wortspiele, Schläge oder plötzliche Gesten dazu gebracht haben, ihr gewöhnliches Denken aufzugeben und die Wirklichkeit zu erkennen, »wie sie wirklich ist«.
Berichte über die alten Meister und die Sammlungen der koan entstanden in der Mehrzahl erst ab dem 10. Jahrhundert, als sich das chan zur mächtigsten Strömung innerhalb des chinesischen Buddhismus entwickelte. Die Überlieferungen, von denen Chroniken und die koan berichten, sind reine Legenden. Aus der Sicht des Zen haben sich die Geschichten allerdings wirklich abgespielt und bilden bis heute die Grundlage für das Selbstverständnis des Zen.
Laut Eigenverständnis des Zen »kennt« das Zen keine Lehre. Diese Behauptung bezieht sich darauf, dass die Wahrheit, so wie sie das Zen sieht, von Meister zu Schüler weitergegeben wird, ohne sie in Worte zu fassen. Um diese Lehre mit dem historischen Buddha in Verbindung zu bringen, haben sich die Chinesen sogar eine Geschichte über Buddha Shakyamuni und seinen Schüler Mahakasyapa ausgedacht.
Laut chinesischen Chan-Chroniken hielt Buddha bei seiner Blumen-Predigt einfach eine weiße Blume hoch. Nur Mahakasyapa lächelte daraufhin still. Im Selbstverständnis des chan ist Mahakasyapa daher der erste indische Patriarch des chan/Zen. Von Mahakasyapa aus nennt die Chan-Tradition 26 indische Patriarchen. Der 26. indische und zugleich erste chinesische Patriarch des chan ist Bodhidharma.
Im Kern des Selbstverständnisses des chan/Zen liegt die Überzeugung, dass die Wahrheit, so wie sie Buddha Shakyamuni erkannt hat, in einer ununterbrochenen Linie von ihm und den Meistern des chan/Zen weitergeben wird.
Man darf sich also vom Selbstverständnis des Zen nicht in die Irre leiten lassen. Die Wahrheit über die Natur des Seins, die das Zen beansprucht zu lehren, lässt sich in der Tat nicht in Worte fassen. Das heißt aber nicht, dass das Zen keine Lehre kennt. Zwei wichtige Säulen, auf denen die Tradition des chan/Zen basiert, sind:
Die Wahrheit vermittelt sich jenseits der Worte von Meister zu Schüler. Diese Wahrheit geht in einer ununterbrochenen Linie bis auf den historischen Buddha zurück.Damit kennt das Zen sehr wohl eine Lehre. Vor allem Menschen im Westen finden am Zen attraktiv, dass es nach ihrem Dafürhalten keine Lehre kennt, und schließen daraus, dass man im Zen machen kann, was man will. Dabei handelt es sich allerdings um ein großes Missverständnis.
Der Chan-Buddhismus entwickelte sich seit dem 7. Jahrhundert zur mächtigsten Strömung innerhalb des chinesischen Buddhismus. Seit dem 13. Jahrhundert gelangte das chan nach Japan und wurde dort als Zen aufgenommen, praktiziert und verändert.
In Japan entstanden die Schulen des Rinzai-, Soto und Obaku-Buddhismus. In allen Schulen werden koan studiert und zazen, das stille Sitzen, geübt. Diese Praktiken haben jedoch bei den verschiedenen Schulen einen unterschiedlichen Stellenwert:
Das Rinzai-Zen betont das Studium der koan. Das Soto-Zen betont das shikantaza, »einfach nur sitzen«. Das Obaku-Zen betont die Mischung von Praxis der koan und des zazen mit Anrufungen von Buddha Amida, des mythischen Buddha, der im sogenannten Amida-Buddhismus verehrt wird.Während der Rinzai-Buddhismus zunächst vor allem von der japanischen Oberschicht aufgenommen wurde, verbreitete sich der Soto-Buddhismus in der ländlichen Bevölkerung. Die Obaku-Schule gelangte erst im 17. Jahrhundert von China nach Japan. Der Chan-Buddhismus verbreitete sich auch in Korea (son) und Vietnam (thien).
In der Neuzeit fanden die verschiedenen Strömungen des chan, Zen, son und thien zahlreiche Anhänger im Westen, wobei wieder neue Interpretationen und Praktiken entstanden.
Im Westen herrschen die Vorstellungen und Praktiken des japanischen Zen-Buddhismus vor. Daher stammen auch die im Westen mit dem Zen in Zusammenhang gebrachten Begriffe wie zazen (stilles Sitzen) oder dojo (Ort des Weges) aus dem Japanischen.
Abbildung 1.2: Blick auf einen Zen-Tempel im heutigen Japan
Ende des 19. Jahrhunderts musste sich der japanische Buddhismus grundlegend ändern. Lange war er vom Staat gefördert worden. Doch der japanische Staat setzte Ende des 19. Jahrhunderts mehr auf den Kult der einheimischen Götter, den sogenannten Shinto (im Gegensatz zum Buddhismus, der aus Indien und China gekommen war und daher zuweilen als ausländisch gebrandmarkt wurde). Da buddhistische Institutionen jahrhundertelang als Handlanger des Staates agiert hatten, hatten viele Japaner den Respekt vor der buddhistischen Lehre verloren. Sie waren nicht länger vorbehaltlos bereit, den Buddhismus, der sich aus ihrer Sicht zu großen Teilen hinter hohen Kloster- und Tempelmauern im Verborgenen abspielte, zu unterstützen.
Um ein besseres Image zu erlangen und Rückhalt zu gewinnen, öffneten fortschrittliche Äbte seit Ende des 19. Jahrhunderts die Tore ihrer Klöster für Laien. Einer von ihnen war Soen Shaku, der Abt eines großen Klosters in Kamakura, der ehemaligen Hauptstadt von Japan in der Nähe von Tokio.
Als auch an Vertreter des japanischen Buddhismus die Einladung erging, 1893 am Weltparlament der Religionen in Chicago teilzunehmen, wurde Soen Shaku ausgewählt. Seine Rede in Chicago beeindruckte die Zuhörer sehr und erste Kontakte zwischen westlichen Buddhismus-Interessieren und japanischen Zen-Buddhisten wurden geknüpft. Die Rede von Shaku hatte ein junger Japaner ins Englische übersetzt, der als einer der ersten Japaner als Laie an den Aktivitäten in einem Kloster teilnehmen durfte. D.T. Suzuki wurde später zum Wegbereiter des Zen-Buddhismus im Westen.
Als Soen Shaku nach dem Weltparlament der Religionen zu Vorträgen in die USA eingeladen wurde, um sein Wissen über den Zen-Buddhismus weiterzugeben, schickte er an seiner Stelle keinen ausgebildeten Zen-Priester aus seinem Kloster, sondern den jungen Suzuki, der eine große Begabung für die englische Sprache zeigte.
D.T. Suzuki blieb als Übersetzer und wissenschaftlicher Assistent über zehn Jahre in den USA und half bei englischen Übersetzungen und Schriften zum Buddhismus. Nach langer Tätigkeit als Privatgelehrter verfasste er seit den 1920er-Jahren Schriften über den Zen-Buddhismus auf Englisch. Seine späteren Bücher machten sowohl ihn als auch den Zen-Buddhismus weltweit bekannt.
Suzuki entwirft in seinen Schriften ein Bild vom Zen als einem Weg persönlicher, mystischer Erfahrung, der sich von anderen Religionen grundsätzlich unterscheidet. Im Mittelpunkt vom Suzuki-Zen steht das satori als persönlicher Erfahrungsweg zur Wahrheit.
Dieses Suzuki-Zen unterschied sich gewaltig von dem Zen-Buddhismus, den Suzuki in japanischen Tempeln und Klöstern selbst erfahren hatte. Mehr noch als von traditionellen buddhistischen Zen-Lehren war das Suzuki-Zen von westlichen Vorstellungen über Religion und Buddhismus beeinflusst, mit denen Daisetsu Teitaro Suzuki während seiner Zeit in den USA in Kontakt gekommen war. Doch das tat dem Erfolg seiner Schriften keinen Abbruch.
Wahrscheinlich ist es gerade auf die Vertrautheit von D.T. Suzuki mit der westlichen Geistesgeschichte und westlichen Vorstellungen über Religion zurückzuführen, dass sein Bild vom Zen sich im Westen so stark durchgesetzt hat.
Die Bücher von D.T. Suzuki machten den Zen-Buddhismus auf der ganzen Welt bekannt. In Deutschland war der Heidelberger Privatdozent der Philosophie Eugen Herrigel so angetan vom Zen, den D.T. Suzuki präsentierte, dass er nach Japan ging, um mehr über Zen zu erfahren. Er lernte einen japanischen Bogenschießmeister kennen, den er für den Inbegriff eines Zen-Meisters hielt.
Eugen Herrigels Buch »Zen in der Kunst des Bogenschießens« (1948) trug maßgeblich dazu bei, das Zen im Westen bekannt zu machen. Auch Herrigels Zen hat mehr mit seinen westlichen Wunschvorstellungen zu tun als mit dem Zen-Buddhismus seiner Zeit in Japan, war ihm doch entgangen, dass der Meister des Bogenschießens, den er so sehr bewunderte, gar kein Zen-Priester war und auch sonst so gut wie nichts mit dem Zen zu tun hatte.
In den USA kam es in den 1950er-Jahren zu einem regelrechten Zen-Boom: Künstler, Literaten, Intellektuelle und Therapeuten interessierten sich für das Zen. Besonders die sogenannten Beatniks verarbeiteten zen-buddhistisch inspirierte Ideen in ihren Büchern und trugen weiter zu dessen Verbreitung bei. Zu ihrem Sprachrohr wurde Alan Watts, dessen Bücher über das Besondere und den Geist des Zen das Bild einer überlegenen östlichen Tradition weiter vertiefte, in deren Mittelpunkt persönliche, außergewöhnliche Erfahrungen stehen.