Zuhause - Eva Maria Schalk - E-Book

Zuhause E-Book

Eva Maria Schalk

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Beschreibung

Der Roman beschreibt kurz das Leben von Joseph Mohr (Textdichter des Liedes Stille Nacht! Heilige Nacht!) in Hintersee. Streift den Ersten Weltkrieg, schildert Ängste, Trauer und Flucht aus dem Zweiten Weltkrieg sowie den schwierigen Aufbau danach. Im Mittelpunkt steht eine Liebesgeschichte: Lena und David lernen sich als Kinder im Zweiten Weltkrieg während einer gefährlichen Flucht kennen. David kann mit seiner Mutter auswandern, aber sein Vater, ein Jude, wird gefasst. Martina, Lenas Mutter, flüchtet mit ihrer Tochter in das sichere Dorf Hintersee. Nach Kriegsende baut Martina in Salzburg ein neues Zuhause auf und unterstützt das große musikalische Talent ihrer Tochter. Lena und David sind immer in Briefkontakt und sehen sich als Jugendliche erstmals wieder. Eine große Liebe entsteht, die sich durch etliche Turbulenzen in einem ständigen Auf und Ab befindet. Lena lebt als erfolgreiche Pianistin für ihre Musik und der Journalist David für seine Arbeit. Eines Tages erfährt David ein Geheimnis, das sein Leben komplett durcheinanderwirbelt. Ein spannender Liebesroman: dramatisch, herzlich und humorvoll, auf historischen Wurzeln aufgebaut.

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Seitenzahl: 219

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Motivation und Widmung

Joseph Mohr, der Textdichter des Liedes

„Stille Nacht! Heilige Nacht!“,

schrieb vor 200 Jahren die sensiblen

und einfühlsamen Strophen für das

weltberühmte Lied, welches eine große

Friedenssehnsucht ausdrückt.

Damals war gerade eine enorme

Auswanderungswelle: Tausende

von Europäern, die an den Folgen

der Napoleonischen Kriege und der

wirtschaftlichen Not durch den

Vulkanausbruch Tambora litten,

sind nach Südrussland und in die

Vereinigten Staaten von Amerika

geflüchtet.

Gestern, heute, morgen, immer wieder

sind Menschen auf der Flucht,

weil sie durch die Wirren eines Krieges

oder durch eine wirtschaftliche Not ein

neues Zuhause suchten oder suchen.

Diesen Menschen widme ich dieses Buch.

1818 wurde das weltberühmte Weihnachtslied

(Musik von Franz Gruber) erstmals

in Oberndorf bei Salzburg öffentlich gesungen.

Inhaltsverzeichnis

Weihnachten 1833 in Hintersee

Erster Weltkrieg 1914–1918

Zweiter Weltkrieg

Frieden für immer

Erstes Klavierkonzert

Ungarisches Intermezzo

Ein kurzes Gastspiel in Wien

Der Blitz auf der Leiter

Wiedersehen mit Salzburg

Verpatzter Heiratsantrag

Schmerzvoller Abschied

Start in ein neues Leben

Weihnachten 1833 in Hintersee

Joseph Mohr und die Wilderer

Das tief verschneite Dorf Hintersee, friedlich, so schien es, lag im Winterschlaf.

Die Dorfstraße war eine Pferdespur breit freigeschaufelt und die sehr schmalen Seitenwege, die zu den einzelnen Häusern führten, wurden von hohen Schneemauern eingegrenzt, sodass die Bewohner nur vom ersten Stock aus die schneebedeckten Dächer der anderen Häuser sehen konnten. Winterschlaf? Keine Spur!

Zwei Wilderer, die schwere Leinensäcke auf dem Rücken schleppten, schlichen spätabends zum Pfarrhaus, immer wieder wendeten sie ängstlich ihre Köpfe, um sicher zu sein, dass sie nicht entdeckt oder gar verfolgt werden.

Endlich kamen sie im Pfarrhaus an, rissen die Tür auf und rumpelten mit ihren genagelten, schneeverklebten, hohen Lederschuhen durch den Flur. Die schmale Holztreppe hinauf in den ersten Stock und da kam ihnen auch schon der Vikar Joseph Mohr entgegen.

Auf der Kommode stand eine Kerze, die das Stiegenhaus beleuchtete. Mohr nickte den Männern freundlich zu, nahm die Kerze und ging über die steile Holztreppe, die in den Dachboden führte, den beiden voraus.

Als Mohr oben ankam, half er Sepp, dem Jüngeren den schweren Sack abzulegen. Plötzlich gab es ein lautes Gepolter: Lois, der Ältere, rutschte aus, fiel die ganze Treppe hinunter und blieb liegen. Mohr schob Sepp aufgeregt zur Seite und eilte zu Lois. Der aber lachte nur, rappelte sich schnell wieder auf und sagte: „Kreizkruzifix! Die, die verdammten, bleden Schuach!“ Mohr faltete die Hände. „Fluch nicht.“ Dann meinte er besorgt: „Hast du dir wirklich nicht wehgetan?“ Lois wollte stampfend die Schuhe vom restlichen Schnee befreien, doch Mohr hinderte ihn daran. Mit Hilfe eines Kerzenlöschers befreite er sorgfältig die Schuhsohlen von den lästigen Schneeklumpen.

Dann schob er den kräftigen Mann die Treppe hinauf, schmunzelte ein wenig, deutete auf seinen mit Rehfleischstücken gefüllten Leinensack und sagte leise: „Hast Glück gehabt, warst gut gepolstert!“

Die Wilderer lachten, legten die Beute auf einen großen Tisch und fingen an die leicht gefrorenen Tierteile, sie lagen eine Nacht unter einem Heustadl, zu sortieren und in alte Leinentücher einzupacken.

Mohr dachte sich: Hoffentlich geht alles gut und hoffentlich machen die beiden keinen Fehler.

Der Priester hatte bereits auf einem Zettel die Namen von den Ärmsten, die im Dorf lebten, notiert. Mehr als die Hälfte der Bewohner waren sehr arm. Der Wirt, drei größere Bauernhöfe und einige Familien, die mit der Jagd und dem Holzhandel zu tun hatten, zählten zu den besser Situierten.

Mohr wusste zu gut, wieviele Menschen kaum etwas zu essen hatten und an Hunger litten. Vor allem wenn Kinder im Haus waren, und es gab etliche in Hintersee, dann schmerzte Joseph Mohr die Armut besonders.

Lois steckte den Zettel der Namen in seine Rocktasche und nun sah er Mohr herausfordernd an. Mohr legte einige Kreuzer auf den Tisch. „Das muss reichen, ich hab nicht mehr. Für jeden etwas!“ Fragend schaute er beide an. Sie griffen gierig nach dem Geld, zählten es, zögerten, aber nickten dann doch zustimmend. Mohr nahm ein Fleischpaket und sagte bestimmend: „Das liefere ich selbst.“ Die beiden Männer sahen sich an und grinsten verstohlen.

Der Pfarrer wartete bis die beiden außer Sichtweite waren, warf seinen Umhang über, versteckte darunter das Fleischpaket und stapfte in die Nacht hinaus.

Als er beim Haus seiner Geliebten ankam, hörte er das kleine Mädchen bitterlich weinen, er stürmte in die Küche, von wo das Weinen herkam. Doch plötzlich war alles mucksmäuschenstill und er konnte auch nirgends das Kind entdecken. So verließ er die Küche wieder und das jämmerliche Weinen begann von neuem. Verflixt, dachte Mohr sich, es kommt ja doch aus der Küche. „Also, was ist denn da los?“, fragte sich Mohr mit halblauter Stimme und brummelte: „Ich habe das Mädchen nicht gesehen!“ Mohr betrat neuerlich die Küche, dann war das Kind wieder still, weil es auf Befreiung hoffte.

Er suchte alles ab und dann plötzlich entdeckte er die Kleine in einem leeren Krautfass. Er kniete sich hin, holte die verweinte Anna heraus und drückte sie sanft an sich. Anna gurrte und lächelte ihn an, er stupste zärtlich ihr rotziges Näschen und säuberte es sorgfältig mit seinem Taschentuch. „Mein kleines Mädchen, was machen sie denn mit dir?“ Mohr summte das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ und liebkoste es. Die Tür ging auf und Theresa kam hereingestürmt. Erleichtert, dass alles in Ordnung war mit ihrer Anna, lachte sie Mohr an. „Ich musste in den Stall, die Mutter ist krank und liegt im Bett und der Vater ist wieder einmal beim Wirt!“ Sie küsste Mohr und nahm ihm die Kleine ab. Er umarmte beide innig.

„Kann ich einen Sprung zu deiner Mutter gehen?“

„Ich glaube sie schläft gerade ganz gut. Soll ich nachschauen?“

„Nein, nein, dann lassen wir sie schlafen. Was hat sie denn?“

„Halsweh, Husten und Fieber, sie zieht sich nie gut an und arbeitet viel zu viel.“

„Lass sie schön grüßen von mir!“

Theresas Mutter putzte und kochte manchmal im Pfarrhaus und Mohr pflegte einen guten Kontakt zu ihr. So hatte er auch Theresa kennengelernt, die manchmal ihrer Mutter bei den Arbeiten behilflich war.

Theresa war die Jüngste in der Familie des Labauern, sie hatte noch zwei größere Brüder. Da gab es den Jakob, den Erstgeborenen, der einmal den Hof übernehmen sollte und dann gab es den Hans. Hans arbeitete im Messingwerk in der Ebenau und Jakob fallweise als Triftknecht in der naheliegenden Strubklamm. Um den Jakob sorgte sich immer die ganze Familie, denn der Beruf als Triftknecht war sehr gefährlich. Die starken und tapferen Männer hingen mit einer Hand an einem 90 Meter langen Seil und mit der anderen Hand lösten sie mit einem Trifthaken die Verklausungen der riesigen Holzstämme und unter ihnen lag drohend die gefährliche Schlucht. Bei dieser harten Arbeit ist so mancher Holzarbeiter abgestürzt.

Das Holz wurde für den Halleiner Salzbergbau verwendet, der immer große Mengen an Sudholz benötigte.

Und so begann im Auftrag der Salzburger Kirche bereits im 12. Jahrhundert im Gebiet von Hintersee eine rege Ansiedelung und Rodungstätigkeit.

Jakob war es auch, der Theresa und die kleine Anna immer wieder unterstützte. Außerdem spielte er den Liebesbriefträger für seine Schwester. Joseph Mohr schätzte den offenen und lustigen, kräftigen Naturburschen Jakob sehr, er war ihm ein guter Freund geworden. Mit ihm konnte er oft scherzen und sehr herzlich lachen.

Als Mohr auf dem Heimweg war, glitten seine Gedanken nach Salzburg ab, in die Stadt seiner Kindheit und er erinnerte sich an seine liebe Mutter. Sie hatte es damals nicht einfach, war er doch eines von mehreren ledigen Kindern. Seine Mutter, die ebenfalls Anna hieß, ermöglichte ihm trotz der Armut eine sehr liebevolle Kindheit. Manchmal karg, doch das zählte für Joseph Mohr nicht. Doch vor allem durch die finanzielle Unterstützung des Salzburger Domchorvikars Johann Nepomuk Hiernle, der schon bald das musikalische Talent des heranwachsenden Joseph erkannte, war es ihm möglich, ins Gymnasium und später ins Priesterseminar zu gehen. Joseph Mohr wirkte auch als Sänger und Violinist an den Chören der Universität und des Benediktinerstiftes St. Peter mit.

Der gut 30-jährige Priester seufzte plötzlich tief: In Salzburg war er immer sehr glücklich. Hier in der Pfarrgemeinde Hintersee, obwohl er viele gute Kontakte aufgebaut hatte, schon über sechs Jahre, fühlte er sich nie so richtig heimisch. Er fragte sich: Vielleicht ist es die heimliche Liebe zu Theresa? Die Angst entdeckt zu werden? Die Sorgen um viele Menschen hier, die nur Not kennen? Das enge Tal? Er betreute fast 300 Katholiken. Dem sozial sehr engagierten Priester fehlten aber vor allem die Anerkennung in seiner Pfarre und manchmal ganz besonders Gespräche mit Gleichgesinnten. Oft dachte er sich es stimme einfach nicht, so wie es ihm gelehrt wurde, dass, wenn man Gott diente und ihn verehrte, so brauche man niemanden mehr.

Durch den Glauben fühlte Mohr sich zwar sehr stark und oft war er über viele Dinge erhaben, doch ihm fehlte ein Zuhause. Zuweilen dachte der hagere, oft kränkliche Mann von kleiner Gestalt sehnsüchtig an seine schöne Stadt Salzburg, an die gute Gemeinschaft im Chor und im Priesterseminar.

Mohr blieb stehen, bestaunte den aufgehenden Mond, den klaren Sternenhimmel und die zauberhafte Schneelandschaft. Mit kraftvoller Stimme sagte er: „Oh Herr, um glücklich sein zu können, brauche ich auch Menschen. Menschen, denen ich vertrauen kann und die ich liebe und verehre!“

Es war Heiliger Abend und noch viel zu früh für die Christmette, der Priester ging zwischen den hohen Schneemauern durch das Dorf, beim Wirt vorbei und dachte dankbar an seine Mutter und an seinen Gönner. Dann schweiften seine Gedanken ab zu Theresa und der kleinen Anna und diese gruben sich tief in sein Herz. Im Frühjahr wird er die beiden nach Salzburg bringen können. Theresa kann in der Dompfarre in der Küche arbeiten. Beim Wegkreuz vor dem Pfarrhaus bekreuzigte er sich und sagte: „Herrgott, ich weiß, das verbotene Schachern mit den Wilderern und vor allem die Liebe zu Theresa sind ein irdisches Versagen, aber ich bin ja nicht der einzige Sünder in unserer großen Schar. Und ich bin unendlich dankbar für diese Liebe und dass du mir eine gesunde Tochter geschenkt hast!“

Trotz der Kälte spürte Mohr Schweißtropfen auf seiner Stirn und wollte sie mit seinem Taschentuch abwischen. Oh Schreck, oh Schreck! Das Tuch hatte er wohl bei Theresa gelassen, er entsetzte sich sehr über seine Vergesslichkeit und Zerstreutheit. Noch dazu mit meinem Monogramm! Wenn das der Bauer sieht, dachte er verzagt.

Der Priester ging auf die Kirche zu, er wollte in Ruhe einige Fürbitten beten und ganz für sich sein. Erstaunt stellte er fest, dass bereits einige Kerzen in der Kirche brannten und dann sah er auch schon seinen Mesner. Fast zornig ging Mohr auf ihn zu. „Was ist denn heut los? Du bist schon vor der heiligen Messe da, ansonsten kommst du immer zu spät!“

Leicht schwankend ging der Hias auf den Priester zu. „Nichts ist ihm recht, aber schon gar, gar nichts!“

Joseph Mohr friedlich: „Schon gut, Hias. Aber du weißt, was eine Kerze kostet“, klopfte ihm auf die Schulter und dabei kam ihm eine Alkoholfahne entgegen. „Oh Gott, du hast wieder einmal zu viel in das Glas geschaut!“

Der Hias grinste übers ganze Gesicht und sagte frech: „Jaaaa, und eine ganz, eine nette Gesellschaft hab ich gehabt. Der, der Labauer, der Vater von der Theresa, du weißt schon. Und eine Gaudi wars. Der Wirt hat uns einen Vogelbeerschnaps spendiert. Meine Herren, da fehlt dir dann nichts mehr. Wir haben schon vor der Metten eine Metten gehabt. Und einen Hunger habe ich, auf das Mettenkoch freu ich mich jetzt schon ganz wahnsinnig. Der Vogelbeerschnaps, der, der macht ordentlich Appetit, und wie!“

Joseph Mohr war verärgert. „Hoffentlich kannst noch singen, schließlich hast du als Lehrer und Mesner ein Vorbild zu sein. Für alle.“

Grinsend schlapfte der Hias in die Sakristei. Joseph Mohr kniete sich vor dem Altar nieder und murmelte ein paar Gebete, doch er fand keine Ruhe und so verschwand er ins Pfarrhaus. Er ging in seine Küche, bestückte den Kachelofen mit Holz, ließ sich auf der Ofenbank nieder und meditierte.

Noch wusste Joseph Mohr, der Textdichter des Liedes „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ nicht, dass im nächsten Jahr das Lied durch die Zillertaler Sängergruppe Straßer verbreitet und anschließend weltweit bekannt werden sollte.

Dieses sehr gefühlvolle, friedliche Lied entstand 1818 in Oberndorf bei Salzburg, die Melodie dazu schrieb der Halleiner Lehrer Franz Xaver Gruber nach den gegebenen Textvorlagen von Joseph Mohr.

Zur Mitternachtsmette wurde damals das heute immer noch berühmteste Weihnachtslied der Welt das erste Mal gesungen.

Mohr war in Hintersee wegen seiner gönnerhaften und friedensliebenden Art bei vielen Gläubigen sehr beliebt, aber er wusste zu gut, dass es auch feindselig Gesinnte gab.

Was er zu dieser Zeit nicht wusste, war, dass ihm eine kirchenamtliche Untersuchung wegen nachlässiger Berufspflichten bevorstand und dass ihm auf Grund der Wildfleischgeschichten eine Anzeige wegen Hehlerei ins Haus flattern würde.

Der Geistliche erhob sich von der Ofenbank, streichelte seine Katze und schrieb noch ein paar Notizen für die Predigt. Als er dann später in der Kirche die Kommunion verteilte, sein Lied erklang und er in die Augen seiner Theresa blickte, kämpfte er mit den Tränen und seine Sehnsucht nach einem Seelenfrieden und vor allem nach einem gemeinsamen Zuhause war enorm groß. Die Pfarre Hintersee war bereits seine zwölfte Arbeitsstelle, denn aus gesundheitlichen Gründen wechselte er oft die Plätze und sprang in einigen Gemeinden manchmal als Aushilfspriester ein. So war seine Sehnsucht mehr als verständlich.

Am Abend des anderen Tages, als es schon dunkel war, huschte eine zierliche Gestalt durch die verschneiten Wege. Es war Theresa, sie hatte für Joseph ein Wildfleischgulasch gekocht und trug in einem kleinen Topf eine Kostprobe ins Pfarrhaus. Heute, so dachte sich die junge Frau, wird der Joseph besonders hungrig sein, weil er in der Faistenau die Messe gelesen hat und einen weiten Fußmarsch bewältigen musste.

Zögerlich öffnete Theresa die Pfarrhaustür, meistens war sie nicht abgeschlossen, weil auch der Mesner in diesem Haus wohnte und der, wenn er betrunken war, nicht mehr aufsperren konnte.

Die bildhübsche, aber sehr schüchterne Frau mit ihren langen dunkelblonden Zöpfen und blaugrauen Augen öffnete die Tür, ging in die Küche und stellte fest, Joseph war noch nicht da. Sie blickte durch das Fenster und schon sah sie ihn. Schnell eilte sie zur Haustür, öffnete sie und strahlte den heraneilenden Mann an. Mohr schob Theresa sanft in den Hausflur, umarmte sie liebevoll und küsste sie innig.

Später verschlang er das Gulasch und ein paar Kartoffeln. „Das schmeckt gut. Köstlich! Ich dank dir sehr herzlich. Ein richtiges Festmahl. Aber du weißt, dass ich auch mit Kartoffeln zufrieden wär.“ Theresa nickte fröhlich. „Du musst doch auch von dem guten Fleisch ein bisserl kosten.“

Mohr lachte herzlich.

„Wie war es denn in der Faistenau?“

„Du weißt, ich mag die Leut alle, aber es ist schon sehr anstrengend. Alles! Aber Lisl, die Grillwirtin, hat mir heimlich was zugesteckt.“ Mohr stand auf, holte ein kleines Packerl aus seinem Rucksack heraus und sorgfältig entfernte er das löchrige Leinentüchlein. „Da, schau einmal her, Theresa, ein Stückerl Apfelstrudel. Das nimmst du mit heim.“

Die junge Frau strahlte ihn an, Mohr schmunzelte, wickelte den Strudel wieder ein und drückte ihn Theresa in die Hand.

„Dank dir schön, lieber Joseph. Die Mutter hat auch was für dich mitgegeben. Schau her!“ Sie hielt ein kleines Glas in der Hand, das mit einem Wachstuch zugebunden war. Mohr nahm es, drehte es nach allen Seiten, doch er konnte den Inhalt nicht erkennen. „Was ist das?“

„Eingelegte Weinbergschnecken, du weißt ja, im Sommer, da haben wir sie massenhaft, sodass wir die Tiere auch in Essig einlegen. Hoffentlich schmecken sie dir.“

„Sicher, Theresa! Danke, das ist ja wirklich ganz was Besonderes.“

„Und da hab ich noch einen Kletzenbrotscherz für dich.“

Mohr liebkoste seine Theresa, lachte sie an. „Kannst du noch ein bisserl bleiben?“

„Nein, ich muss gleich wieder gehen, der Vater, der spinnt schon wieder und…“

Theresa schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich.

Joseph nahm sie in die Arme und versuchte sie zu trösten. „Um Himmels willen, was ist denn passiert?“ Sie schluchzte kräftig, ihr ganzer Körper bebte. „Er hat gesagt, wenn wir mit unserer Gspusi nicht aufhören“, sie deutete auf seine und ihre Brust, „dann redet er mit dem Langreithbauern, du weißt schon, der Bauer, der die Jagdaufsicht hat.“ Liebevoll und tröstend meinte Joseph Mohr: „Drei Monate noch, dann kannst du nach Salzburg, dann wird alles besser. Und wegen mir, da mache dir bitte keine Sorgen.“

„Aber ich sehe dich dann ganz selten und das tut mir bitterlich weh.“

„Ich habe immer eine Mitfahrgelegenheit, mit den Holzhändlern, den Fischern oder auch den Jägern. Sind alles erzbischöfliche Hoflieferanten und bringen mich direkt zu dir nach Salzburg.“

Mohr setzte sich mit seiner Geliebten auf die Ofenbank, streichelte sie zärtlich. „Oder ich geh zu Fuß. Ich verspreche dir, wir werden uns oft sehen, öfter und länger als jetzt.“

Theresa war zwar froh, dass sie Hintersee verlassen konnte, aber sie hatte große Angst vor der Stadt. Und dann ihre Familie. Auf den Vater konnte sie gut und gerne verzichten, aber ihre Mutter und ihre Brüder, die werden ihr sehr fehlen. Und ob sie die neue Arbeit zur Zufriedenheit aller schaffen würde, das bereitete ihr Sorgen.

„Ich will ja auch meiner Tochter ein halbwegs guter Vater sein.“

Theresa nickte nur und wagte es nicht, von ihren Ängsten zu erzählen.

„Du wirst dich viel freier fühlen in Salzburg und du weißt, Hiernle und auch der Erzbischof Gruber sind mir gut gesinnt.“

Diese hohen Herren, dachte die junge Frau, die will ich gar nicht kennen.

„Außerdem hast du für die kleine, liebe Anna mein Baserl Hilda zum Aufpassen. Das gefällt dir doch?“

Theresa nickte abermals und dann meinte sie ganz kleinlaut: „Aber weit weg ist diese Stadt Salzburg schon und ob meine Mutter die Arbeit alleine schafft, das weiß ich nicht. Ich fürchte nein! Sind zu viele Männer im Haus, aber zum Helfen bräuchte sie eine Frau. Für die Küche, teilweise für den Stall und auch für die Obstbäume, den Gemüseacker und für das Pfarrhaus.“

„Für das Pfarrhaus suche ich mir jemand, sorge dich nicht, es wird schon alles gut gehen.“

Theresa lächelte, wischte sich die Tränen ab und küsste ihren Joseph. Dann ging sie rasch. Mohr blieb in der Tür stehen, bis Theresa in der Kälte und Dunkelheit verschwand.

Erster Weltkrieg 1914–1918

Kinderarbeit und Not

Franz warf ein Steinchen auf die Fensterscheibe und rief kräftig: „Rudi, komm!“ Rudolf öffnete das Fenster und krächzte: „He, nicht so laut. Mutter schläft noch.“

Franz gestikulierte heftig mit den Händen, was soviel hieß wie: Beeil dich.

Erst in der Postkutsche, die über Hof und Faistenau nach Hintersee fuhr, kamen die beiden Jünglinge wieder zur Ruhe. Vorher liefen sie, so schnell sie nur konnten, von Salzburg Parsch nach Gnigl, um dort die Kutsche zu erreichen.

Nach einer Weile öffnete Rudolf seinen Rucksack, nahm einen Brotscherz heraus und teilte ihn mit Franz. „Beim Labauern, bei deinem Urgroßonkel, wirds uns sicher gut gehen. Da werden wir nach dem Essen auch satt sein, sagte meine Mutter.“

Franz lachte. „Ja, ja, aber arbeiten müssen wir auch nicht wenig. Und das blöde Kartoffelsetzen freut mich schon überhaupt nicht.“

„Ach geh, werden halt deine feinen Hände etwas dreckig. Hast ja ein Glück, dass du nicht an die Front hast müssen.“

Franz grinste. „Wäre untauglich, bin zu klein.“

Nach einer gemächlichen Fahrt durch die sonnige, spätfrühlingshafte Gegend machte der Kutscher in Hof einen längeren Halt. Er tränkte und fütterte die Pferde und auch die Burschen und ein anderer Mitreisender tranken beim Dorfbrunnen Wasser.

Gegen Mittag kamen sie im Dorf Hintersee an, das damals bereits 330 Einwohner zählte.

Franz ging in Richtung Kirche und forderte seinen Freund auf: „Komm! Du musst mich begleiten.“

„Klar. Will ja unbedingt sehen, wo Joseph Mohr, dein Urgroßvater, der Chef war.“

„Grüß Gott, Nani!“, sagte der Franz zu einer älteren Frau, die vom Friedhof kam. „Ja! Da schau her. Der Labauer Franz. Grüß di Gott! Wie gehts denn alleweil?“, fragte die Frau freundlich.

Franz lächelte die Frau etwas verlegen an. „Geht schon. Geht schon. Jetzt will ich ein paar Tage auf dem Hof helfen.“

„Das ist recht, bist ein Braver, wir brauchen jede Hilfe, jede. Ganz notwendig. Fehlen uns ja die starken Männer, sind alle an der Front. Alle! Und jetzt müssen wir Frauen und auch die Kinder herhalten. Ein Kreuz ist das. Im Herbst, wenn die Schule wieder beginnt und die Kinder mit Blasen an den Füßen und Händen zum Unterricht gehen, dann haben sie alles vergessen, was sie ein halbes Jahr vorher schon gelernt haben. Mein Gott, was ist das für eine Zeit. Mein Gott!“

Freundlich verabschiedete sie sich bei den jungen Männern und mit Hilfe eines Haselnussstockes trat sie ihren Heimweg an.

Die Burschen blieben sechs Tage in Hintersee. Für die mühselige Arbeit auf den Feldern bekamen sie ein paar Eier, einen großen Brotlaib und eine Lebensmittelkarte für Brot.

Ziemlich müde bestiegen sie bei der Heimfahrt die Postkutsche nach Salzburg und los ging die gemütliche Fahrt durch das wunderbare Hinterseer Tal.

Die Vögel zwitscherten lustig, die Wiesen leuchteten in frischem zartem Grün und unzählige Schlüsselblumen und Vergissmeinnicht schmückten den Wegesrand.

Die Pferde, die die Postkutsche zogen, scheuten plötzlich. Der Kutscher hielt sie an, stieg aus und sah eine Ringelnatter auf einem Begrenzungsstein, die sichtlich die Sonne genoss. Der Mann beruhigte die Pferde und dann, ganz plötzlich, tauchte ein Reiter auf, der aus dem Wald kam. Ein Jäger mit Jagdhund. Ein auffallend gut gekleideter Jäger, er näherte sich der Kutsche. „Wohin des Weges?“, fragte er. Franz sagte leise zu Rudolf: „So eine blöde Frage, wohin soll die Postkutsche schon fahren.“ Der Kutscher verbeugte sich vor dem Reiter und grüßte außerordentlich höflich.

Rudolf flüsterte Franz zu: „Was ist denn das für ein Geschniegelter. Der Kaiser persönlich?“ In diesem Moment erkannte Franz den edlen Herrn, er erhob sich in der Kutsche, machte einen Diener und sagte: „Grüß Gott, Kaiserliche Hoheit!“ Gleichzeitig zog er Rudolf kräftig am Ärmel und deutete, dass er aufstehen soll. Als dieser stand, drückte er ihm den Kopf nach vorne, weil Rudolf sichtlich nicht begriff, dass auch er einen Diener machen sollte. Und nun machte Franz nochmals gemeinsam mit Rudolf eine Verbeugung vor dem prunkvollen Jäger und wiederholte seinen Gruß. Die Hoheit lächelte, nickte wohlwollend mit dem Kopf und lenkte das Pferd in Richtung Jagdschloss Langreith. Der Hund bellte die Pferde an, die noch immer etwas unruhig waren, doch nach einer Weile lief er seinem Herrn nach.

„Wer war denn das?“, fragte Rudolf entgeistert. Franz grinste und sagte: „Der Erzherzog Joseph Ferdinand persönlich.“

Der Kutscher stieg wieder auf den Bock, schnalzte mit der Zunge und die Pferde trabten los. Nach einer Weile drehte er sich zu den Burschen um. „Anstatt an der Front zu kämpfen, so wie alle anderen, geht er jagern und meine Buben müssen die Köpfe hinhalten. Eine verdammte Sauerei ist das.“

„Aber soviel ich gehört habe, ist er doch auch oft an der italienischen Front im Einsatz“, entgegnete Franz.

„Ja, ja, hin und wieder, aber ganz oft hat er Heimaturlaub.“

Der Kutscher deutete auf den Rucksack. „Habt ihr einen Proviant bekommen?“

Franz nickte und lachte.

„In der Stadt gehts euch noch viel schlechter als uns, hab eine Tante in der Getreidegassen, die geht sogar zum Wirt und bittet um Essensreste.“

Die Burschen sagten gar nichts, sie blickten sich vielsagend an und genossen die Aussicht auf den schönen blauen und türkisfarbenen Hintersee, an dem sie gerade ratternd und holpernd vorbeifuhren. Der Kutscher blieb beim Fischerwirt am See stehen, der Wirt reichte ihm ein Schnapserl und sagte: „Geh, nimm bittschön das Eis für den Grillwirt mit, sonst hat er am Sonntag, wann die Kirchleut kommen, kein kühles Bier.“

„Das passt ganz gut, weil ich zwei tüchtige Helfer hab.“ Er drehte sich zu den Burschen um und meinte herausfordernd: „Auf gehts, Buam!“

Direkt am See befand sich ein kleines gemauertes Haus, in dem das Wintereis vom See aufbewahrt wurde. Forstleute schnitten und lagerten die Eisblöcke in der sogenannten Eiskapelle. So hatten die Wirte über den ganzen Sommer Eis und auch die Fischer, wenn sie frische Fische in die Stadt transportierten.

Mit bloßen Händen wickelten die Burschen und der Kutscher ein paar Eisblöcke in eine Decke und los gings wieder.

Beim Grillwirt bekamen sie als Dankeschön ein frisch gezapftes Bier. Für Franz und Rudolf war das ihr erstes Bier und dementsprechend lustig verlief die Heimfahrt nach Salzburg.

Zweiter Weltkrieg

Ein Jahr vor dem Ende

Martina ging in der Küche auf und ab, dann warf sie einen verzweifelten Blick in die Speisekammer. Es fehlte alles Wichtige! Sie fand nur ein wenig Mehl, einen verschwindenden Rest Zucker und ein Ei. Dabei warteten fünf hungrige Menschen auf eine Stärkung! Es fehlten Gemüse, Obst und Brot. Aber es gab Wasser!

Seufzend öffnete sie das Fenster und warf einen Blick Richtung Gaisberg, so als ob sie dort unbedingt etwas Verwertbares finden könnte.

Es klopfte an der Tür, Martina erbleichte und öffnete nicht gleich. Es klopfte noch einmal, etwas kräftiger. Die zittrige öffnete, ihre Nachbarin aus der Kellerwohnung stand vor ihr und sah sie missmutig an. Martina spürte, wie sie einen hochroten Kopf bekam. Was weiß sie? Diese falsche Ziege! Und dann sagte sie: „Guten Morgen, Frau Brand! Was gibt es?“

Nur mit einem Kopfnicken drängte sich Frau Brand in die Wohnküche und ihre Blicke schweiften neugierig durch den Raum. „Seit Tagen schlaf ich schlecht, weil ich immer Schritte höre. Fast die ganze Nacht!“ Sie deutete auf das Sofa. „Schläft hier jemand?“

„Oh, Frau Brand, das ist mir aber peinlich, ich, ich schlafe hier. Ich, ich habe Rheuma, Rheuma im Kopf, und gehe die ganze Nacht auf und ab, so sehr quälen mich die Schmerzen.“ Frau Brand sah Martina von oben bis unten an. „Sie und Rheuma?“ „Sie doch auch. Oder nicht?“ Martina nahm hastig ihren Rucksack und dachte sich: Du blödes, stinkendes Weib. Du ekelhaftes Miststück. Ich könnte dir die Pest wünschen! Laut hörte sie sich sagen: „Frau Brand, Sie sind so ein wertvoller Mensch. Ich weiß, Sie verstehen mich.“ Martina war erstaunt über ihre liebevolle Reaktion und Frau Brand lächelte. Gut! Sie lächelt. Wenn sie lächelt, dann ist alles gut. Aber trotzdem: Zum Teufel mit ihr.

Martina schulterte den Rucksack, schob Frau Brand sorgfältig aus der Wohnung. „Ich muss leider dringend weg.“