Zum achtzehnten Mal vier eiskalte Sommerkrimis: 4 Krimis im Paket - Alfred Bekker - E-Book

Zum achtzehnten Mal vier eiskalte Sommerkrimis: 4 Krimis im Paket E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis (499) von Alfred Bekker: Der Tod der Witwe Der Kommissar und die blutigen Hände Kommissar Jörgensen und die Mafia Kommissar Jörgensen und der Professor In Berlin geht ein Serienmörder um, dessen Taten eine ganz bestimmte Handschrift tragen. Er beschmiert die Hände seiner Opfer mit Blut - denn in der Vergangenheit spielten Blutige Hände eine entscheidende Rolle in seinem Leben. Kommissar Kubinke und sein Ermittler-Team machen sich auf die Spur des Wahnsinnigen… Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Krimis, Fantasy-Romanen, Science Fiction und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er auch an zahlreichen Spannungsserien mit wie z. B. Jerry Cotton, Ren Dhark, John Sinclair, Kommissar X, Jessica Bannister, Bad Earth und andere mehr.

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Alfred Bekker

Zum achtzehnten Mal vier eiskalte Sommerkrimis: 4 Krimis im Paket

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Inhaltsverzeichnis

Zum achtzehnten Mal vier eiskalte Sommerkrimis: 4 Krimis im Paket

Copyright

Der Tod der Witwe

Der Kommissar und die blutigen Hände

Kommissar Jörgensen und die Mafia

Kommissar Jörgensen und der Professor

Zum achtzehnten Mal vier eiskalte Sommerkrimis: 4 Krimis im Paket

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis

von Alfred Bekker:

Der Tod der Witwe

Der Kommissar und die blutigen Hände

Kommissar Jörgensen und die Mafia

Kommissar Jörgensen und der Professor

In Berlin geht ein Serienmörder um, dessen Taten eine ganz bestimmte Handschrift tragen. Er beschmiert die Hände seiner Opfer mit Blut - denn in der Vergangenheit spielten Blutige Hände eine entscheidende Rolle in seinem Leben. Kommissar Kubinke und sein Ermittler-Team machen sich auf die Spur des Wahnsinnigen…

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Krimis, Fantasy-Romanen, Science Fiction und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er auch an zahlreichen Spannungsserien mit wie z. B. Jerry Cotton, Ren Dhark, John Sinclair, Kommissar X, Jessica Bannister, Bad Earth und andere mehr.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER: A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Der Tod der Witwe

von Alfred Bekker

"Ich bringe sie um!" schimpfte Ernst Marek und ballte dabei grimmig die Faust. "Du sprichst von deiner Mutter!" gab sein Bruder Kurt zu bedenken. Er war war zwar nur gerade zwei Jahre älter als Ernst, litt aber schon sichtlich unter Haarausfall. "Na und?" knurrte Ernst dann. "Sie ist nur unsere Stiefmutter, wenn man es genau nimmt! Und Sie ist drauf und dran, uns zu ruinieren - oder siehst du das etwa anders?" Seit dem Tod ihres Vaters war es mit den Marek-Werken rapide bergab gegangen. Und das war nicht die Schuld der beiden Brüder, die jetzt als Geschäftsführer fungierten. Die ganze Branche der Verpackungsindustrie steckte in einer Krise. Die beiden Marek-Söhne hätten die Firma am liebsten verkauft, solange sie noch nicht ganz den Bach hinuntergegangen war.

Aber da hatten die beiden die Rechnung ohne Franziska Marek, ihrer Stiefmutter gemacht. Sie wollte die Firma unter keinen Umständen verkaufen. Zwar verstand sie nichts vom Geschäft, interessierte sich noch nicht einmal besonders dafür, aber sie hatte sich in den Kopf gesetzt, das Unternehmen unbedingt im Besitz zu behalten. "Ohne Mutters Einverständnis können wir nichts machen", meinte Kurt schulterzuckend. "So ist es nun einmal im Testament festgelegt!"

"Ich möchte wissen, was Vater sich dabei gedacht hat!" knirschte Ernst indessen zwischen den Zähnen hindurch. "Vielleicht versuche ich noch mal, mit ihr zu reden", meinte Kurt. Ernst blickte auf und lachte heiser. "Du weißt so gut wie ich, daß das nicht den geringsten Zweck hat!" versetzte er.

*

"Na, was ist?" fragte Jutta, Kurts blondmähnige Ehefrau, als er am Abend nach Hause kam. "Hattest du Erfolg?"

Kurt schüttelte den Kopf. "Nein. Mutter läßt nicht mit sich reden!" - "Aber wir brauchen das Geld aus der Firma, wenn wir etwas Neues aufbauen wollen, Kurt!" - "Ich weiß. Aber da ist nichts zu machen. Ich war gerade noch bei ihr und habe mal wieder auf Granit gebissen." Jutta seufzte. "Keine Chance?" - "Dieser Anwalt Krueger heißt er ja wohl, hat ihr inzwischen völlig den Verstand benebelt, wie mir scheint! Die beiden wollen übrigens demnächst heiraten." - "Ach!" machte Jutta. Kurt nickte. "Ja, das hat sie mir bei der Gelegenheit auch gleich mitgeteilt!"

Es war auf der Fahrt zum Büro, als Kurt einen Anruf über Funktelefon erhielt. Es war Ernst, sein Bruder. "Mutter ist tot", berichtete er knapp. "Die Mordkommission ist hier in der Firma und stellt mir Fragen... Du mußt mir ein Alibi geben! Hörst du? Wir waren gestern zwischen vier und acht bei dir zu Hause und haben über den Bilanzen gesessen! Hast du verstanden?" - "Habe ich." - "Ich muß jetzt Schluß machen. Die belauern mich hier auf Schritt und Tritt!" - "Sag am besten gar nichts!" versuchte Kurt seinem Bruder einen Rat zu geben.

Aber der hatte bereits aufgelegt.

*

Als Kurt Marek wenig später das Büro seines Bruders erreichte, begrüßte ihn ein Mann namens Berger von der Kripo.

"Kriminalpolizei?" fragte Kurt stirnrunzelnd.

"Ihre Mutter..." - "Stiefmutter", korrigierte Kurt.

"...ist ermordet worden", fuhr Berger indessen fort. "Gestern am späten nachmittag. So gegen fünf, halb sechs. Ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand. Wahrscheinlich hat es zuvor noch eine Auseinandersetzung gegeben..." Kurt Marek atmete tief durch und blickte kurz zu seinem Bruder hinüber, der aber den Kopf zur Seite gewandt hielt. "Wer sollte so etwas tun?" fragte Kurt anschließend.

"Die haben mich in Verdacht!" meldete sich jetzt Ernst zu Wort. Er schien ziemlich außer sich zu sein.

Berger nickte. "Ihre Sekretärin hat gestern zufällig ein Gespräch mit angehört, in dessen Verlauf Ihr Bruder wörtlich gesagt hat, daß man Ihre Stiefmutter umbringen müßte!"

"Ich verstehe nicht, wie die Sekretärin..."

"Die Sprechanlage war versehentlich eingeschaltet", erläuterte Berger. Der Kripo-Mann hob die Schultern. "Naja, jedenfalls können Sie beide jetzt mit der Firma machen, was Sie wollen."

"Das mit der Firma wäre weder für mich noch für meinen Bruder ein Grund gewesen, jemanden umzubringen!" sagte Kurt.

"Wo waren Sie gestern am späten Nachmittag?" ließ Berger dann die Katze aus dem Sack. Aber Kurt war nicht verwundert. Es war nur logisch. Ernst war sicher die Nummer eins auf Bergers Verdächtigenliste, aber er -Kurt - kam sicher gleich dahinter. Kurt setzte einen maskenhaften Gesichtsausdruck auf und spulte das herunter, was Ernst ihm am Telefon gesagt hatte. Aber nach Bergers Gesichtsausdruck zu urteilen war das nicht besonders überzeugend...

*

"Einen Mord zu decken, ist schon eine ganz besondere Sache", erklärte Kurt, nachdem Berger gegangen war. "Aber für meinen Bruder nehme ich das auf mich..." - "Das ist verdammt nett von dir!" meinte Ernst. "Die können uns gar nichts, wenn du bei deiner Aussage bleibst! Glaub mir!" - "Aber sonst hätten sie dich am Wickel, ja?"

"Ich hätte kein Alibi, die Aussage der Seketrärin und..."

"Ich erwarte allerdings eine kleine Gelegenleistung von dir, Ernst!" - "Natürlich!" - "Du überschreibst mir deine Anteile an der Firma!" Ernst glaubte, sich verhört zu haben. "Was?"

"Das ist kein hoher Preis, Ernst. Nicht wenn man bedenkt, daß du vielleicht auch lebenslänglich im Zuchthaus sitzen könntest!"

Ernst überlegte kurz. Dann nickte er. "Ich habe wohl keine andere Wahl, was?" - "So ist es."

Ein paar Tage später saß Kurt Marek bei Kommissar Berger in der Amtsstube, damit seine Aussage zu Protokoll genommen werden konnte.

Doch kaum hatte Kurt den Mund aufgemacht, da meinte Berger: "Diese Lügengeschichte brauchen Sie mir gar nicht erst aufzutischen!"

Kurt runzelte die Stirn und beugte sich etwas nach vorn. "Was?" meinte er. "Beweisen Sie mir erst einmal, daß auch nur ein einziges Wort von dem, was ich gesagt habe gelogen ist!" - "Bemühen Sie sich nicht!" versetzte Berger. "Ihr Bruder Ernst war hier und hat uns die Wahrheit erzählt. Sie haben ihm ein falsches Alibi gegeben und versucht, ihn dazu zu bringen, Ihnen seinen Anteil an der Firma zu überschreiben!" - "Ernst muß verrückt geworden sein!" murmelte Kurt dann. "Ihr Bruder war nicht der Mörder, das steht fest", erklärte Berger. "So, wer dann?" fragte Kurt mit einem säuerlichen Lächeln.

"Wahrscheinlich haben Sie als erstes an mich gedacht! Denn wenn ich mir jetzt durch meine Frau ein Alibi geben lasse, wäre das wohl kaum noch sehr glaubwürdig!" Berger nickte. "Sie haben recht. Ich habe an Sie gedacht. Und ich war auch schon beim Haftrichter, um einen Haftbefehl zu bekommen!" Kurt atmete tief durch. Dann streckte er beide Hände nach vorn und meinte: "Bitte!" - "Sie haben wirklich Glück", erwiderte Berger. "Vor einer knappen halben Stunde haben wir nämlich das Geständnis der wahren Mörderin bekommen." Kurt blickte auf. "Von wem sprechen Sie?" - "Ihre Mutter wollte doch einen Anwalt namens Krueger demnächst heiraten. Das Aufgebot war jedenfalls schon bestellt! Aber Kruegers Ex-Freundin war damit alles andere als einverstanden. Sie hat Ihre Mutter aufgesucht, sie zur Rede gestellt und dabei ist es dann passiert!"

Der Kommissar und die blutigen Hände

Alfred Bekker

Ein Harry Kubinke Thriller

***

In Berlin geht ein Serienmörder um, dessen Taten eine ganz bestimmte Handschrift tragen. Er beschmiert die Hände seiner Opfer mit Blut - denn in der Vergangenheit spielten Blutige Hände eine entscheidende Rolle in seinem Leben. Kommissar Kubinke und sein Ermittler-Team machen sich auf die Spur des Wahnsinnigen…

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Krimis, Fantasy-Romanen, Science Fiction und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er auch an zahlreichen Spannungsserien mit wie z. B. Jerry Cotton, Ren Dhark, John Sinclair, Kommissar X, Jessica Bannister, Bad Earth und andere mehr.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Der Kommissar und die blutigen Hände

Da ist ein blutiges Messer in ihrer Hand.

Der Junge steht da und sieht sie, wie sie sich über den Mann beugt, das Messer in ihrer Faust.

Der Mann bewegt sich nicht.

Nicht mehr.

Er ist tot.

Überall Blut.

Und die Frau schreit irre.

Sie sieht den Jungen an.

Er wird diesen Blick nie vergessen.

Sein ganzes Leben nicht.

Und das, was er jetzt gesehen hat, wird er ständig vor Augen haben. All die Jahre.

Es ist ein inneres Bild, das er nicht loswerden wird.

Ein Bild, das sein Leben bestimmt.

*

“Es ist schön, dass du mich doch noch besuchen kommst, Junge.”

“Hi.”

“Wir haben uns lange nicht gesehen. Sehr lange.”

“Was willst du?”

“Dich sehen.”

“Dann sieh dir auch das an!”

“Junge…”

“Die Narbe, die du hinterlassen hast!” Er deutete auf sein Gesicht.

“Es tut mir Leid…”

“Diese Narbe ist das einzige, was du mir hinterlassen hast.”

“Ich bin froh, dich zu sehen.”

“Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass ich mir wünsche, du wärst tot.”

“Sag so etwas nicht!”

“So ist es einfach.”

“Vielleicht habe ich nicht alles richtig gemacht, aber…”

“Du bist eine Mörderin.”

“Hör mal!”

“Und um ein Haar hättest du mich auch umgebracht.”

“Nein, das wollte ich nicht. Das war…”

“Ich bin eigentlich nur deswegen hier, um dir eine Sache zu sagen: Bring es zu Ende.”

“Was?”

“Dich braucht niemand. Du bist nur schädlich und zwar für alle, die etwas mit dir zu tun haben. Also bring es zu Ende. Besorg dir eine Rasierklinge, häng dich mit einem Bettlaken auf - wie auch immer! Aber es wäre wirklich besser, wenn du diese Mauern nie mehr verlässt!”

“Es ist schrecklich, was du sagst!”

“Es ist schrecklich, was du getan hast!”

“Dafür büße ich!”

“Aber nicht genug! Nicht genug!”

“Aber…”

“Wirst du irgendwann wieder aus dem Knast kommen?”

“Ja, das ist sehr wahrscheinlich.”

“Ich finde, du solltest hierbleiben. Hier gehörst du her. Und hier sollte man dich begraben.”

“Ich…”

“Lebenslang sollte wirklich auch lebenslang sein.”

“Hör zu…”

“Zumindest in deinem Fall.”

“Ich hoffe irgendwann auf eine zweite Chance…”

“Nicht bei mir!”

“Was?”

“Versuch nicht mehr, mit mir in Kontakt zu treten. Unsere Wege trennen sich hier. Und deiner führt in die Hölle.”

Und meiner vielleicht auch, dachte er. Aber in eine andere Hölle!

*

Noch mehr Jahre später…

Viele Jahre später...

Eine Stimme wie schwarzer Samt.

Einschmeichelnd.

Tief.

Sonor.

Verheißungsvoll.

Der Mann mit der Samtstimme - so hatte Janina Dachelmeyer ihn in Gedanken genannt, als sie ihn in Suri's Bar kennengelernt hatte. Scheinbar zufällig. „Nenn mich Rob”, hatte diese Samtstimme gesagt.

Jetzt saß Janina auf einem Stuhl - gefesselt und geknebelt. Und die Samtstimme hatte für sie auf einmal einen eiskalten, grausamen Unterton.

Der ging ins Mark.

„Halt still, sonst tut es nur weh”, sagte Rob. Und während er das sagte, öffnete er die Tasche, die er schon in der Bar bei sich trug. Er hatte plötzlich eine Spritze in der Hand.

Janina zitterte. Sie fragte sich, was für ein Teufelsgift er ihr wohl verabreichen wollte.

Und dann suchte er die Ader in der Armbeuge und stach hinein. „Es ist bald vorbei”, sagte er. „Und dann bekommst du, was du verdienst. So wie die anderen…”

Janina Dachelmeyer ahnte, dass sie dieses Zimmer nicht lebend verlassen würde. Sie war in die Hände eines Monsters in Menschengestalt gefallen…

*

Im ersten Augenblick war Janina erleichtert, als sie begriff, dass ‘Rob’ ihr keineswegs eine Injektion verpassen, sondern ihr stattdessen Blut abnehmen wollte.

Die Art und Weise, wie er das machte, war laienhaft. Janina Dachelmeyer konnte das beurteilen, denn sie selbst war Ärztin in einer Berliner Klinik. Anästhesistin, um genau zu sein. Und das bedeutete, es gehörte zu ihrem täglichen Job, Spritzen so zu setzen, dass die Patienten hinterher möglichst nicht durch einen riesigen Bluterguss gezeichnet waren.

Rob beherrschte das nicht so gut. Aber der Bluterguss, den sie davontragen würde, war wohl Janina Dachelmeyers kleinstes Problem.

Sie sah ihm zu, wie er den Inhalt der Kanülen in medizinische Blutbeutel füllte.

Janina Dachelmeyer zitterte am ganzen Körper, während sie ihm zusah. Die Knebelung war so fest, dass ihr der Kiefer schmerzte. Ihre Hände und Füße spürte sie schon gar nicht mehr. Drei mal nahm er ihr Blut ab. Dann packte er die medizinischen Utensilien wieder sehr sorgfältig in seine Tasche.

Er war langsam dabei.

Pingelig.

Wie ein Pedant.

Was Janina Dachelmeyer irritierte, war die Tatsache, dass Rob vor der Blutabnahme einen prall gefüllten Blutbeutel aus der Tasche genommen und auf den Tisch gestellt hatte.

Was sollte das alles? Was machte das für einen Sinn, Blut mitzubringen und ihr welches abzuzapfen?

Mit was für einem Spinner hatte sie es hier zu tun?

Ein gefährlicher Spinner.

Der Puls schlug ihr bis zum Hals.

Er hämmerte hinter ihren Schläfen.

Scheiße!, dachte sie.

Die Gedanken rasten nur so in ihrem Kopf. Die dunkle Ahnung, dass sie in die Hände eines perversen Irren gefallen sein musste, wurde nach und nach zur Gewissheit. Nein, das war kein gewöhnlicher Krimineller. Keiner, der es auf ihr Eigentum oder ihren Körper abgesehen hatte. Jedenfalls nicht auf eine Weise, die man irgendwie hätte nachvollziehen können.

Er lächelte.

Sehr verhalten.

Sehr hinterrndig.

Er wusste, wie es weitergehen würde - sie nicht.

Und das schien er zu genießen.

Das - und die Angst in ihren Augen.

Die Ungewissheit, die sie quälte.

„Du fragst dich sicher, was ich hier mache und warum das alles geschieht”, sagte Rob. Und die Samtstimme, die diesen Mann auszeichnete, hatte plötzlich für Janina Dachelmeyer einen ganz anderen Klang.

Ein Klang, der sie an klirrendes Eis erinnerte. Oder an Messer, die gegeneinander gewetzt wurden.

Er sah sie an und sie begegnete seinem Blick.

Ein kaltes Glitzern war jetzt in Robs Augen zu sehen. Nervöse Unruhe schien seinen gesamten Körper erfasst zu haben. Die Ruhe, die er bisher demonstriert hatte, war nur aufgesetzt gewesen.

„Du glaubst inzwischen wahrscheinlich nicht mehr, dass es purer Zufall war, der uns in dieser Bar zusammengeführt hat“, fuhr er fort. Sein Lächeln wirkte jetzt unsicher. „Das war es auch nicht. Ich habe dich ausgesucht. Ja, unter sehr vielen habe ich dich ausgesucht. Ich habe dich beobachtet und wahrscheinlich weiß ich mehr über dich, als alle, die von sich behaupten, dich näher zu kennen. Du glaubst, dass wir uns heute zum ersten Mal begegnet sind. Doch ich versichere dir, dass wir uns schon zuvor über den Weg gelaufen sind. Öfter, als du denkst übrigens. Allerdings...“ Er machte eine Pause. Als zwei quälend lange Sekunden des Schweigens vergangen waren, fuhr er fort: „Wir sind uns fast ein Dutzend Mal über den Weg gelaufen. Nur hast du mich nicht bemerkt. Aber das ist nichts Ungewöhnliches. Weißt du, ich bin eben so ein Typ, den man schnell übersieht. Das nehme ich niemandem übel. Ein paar andere Dinge machen mich allerdings schon richtig sauer...“

Sein Gesicht wurde zu einer vollkommen starren Maske, während er das sagte. Die Lippen zitterten, so als wollten da ein paar wüste Beschimpfungen und Schreie aus ihm heraus.

Die Sorgfalt, mit der er die Blutprobe in seiner Tasche verstaute, wirkte pedantisch. Er nahm den Blutbeutel, den er mitgebracht hatte, öffnete ihn und schüttete den Inhalt über Janina Dachelmeyers gefesselte Hände. Dann trat er zurück und betrachtete sie.

Nie zuvor hatte Janina Dachelmeyer so viel Hass und gleichzeitig so viel Furcht in einem einzigen Gesichtsausdruck gesehen. Rob betrachtete sie eine ganze Weile. Die Sekunden rannen dahin, sammelten sich zu einer kleinen Ewigkeit, während Rob vor ihr stand und wie erstarrt wirkte.

Die ganze Zeit über quälte sie der Gedanke, was er wohl noch vor hatte und welcher verborgene, perverse Sinn in dieser ganzen Aktion lag.

Eine vorläufige Antwort sollte sie jedoch wenig später bekommen. Die Erstarrung löste sich bei Rob. Mit einer ruckartigen Bewegung griff er in die Tasche, holte eine Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer hervor. Dann trat er von der Seite an sie heran, setzte den Schalldämpfer an ihre Schläfe auf. Sie konnte fühlen, dass sein Finger zitterte, als er versuchte abzudrücken.

Janina Dachelmeyer schloss die Augen.

Es dauerte fünf quälend lange Sekunden ehe ‘Rob’ schließlich die Kraft hatte, den Abzug der Waffe zu betätigen. Janina Dachelmeyers Kopf sackte weg. Die Einschusswunde war klein, die Austrittsöffnung des Projektils dafür um so größer. Blut und Hirn hatten die Tapete vollgespritzt.

Aber nicht den Mann, der sich ‘Rob’ nannte. Und auch nicht Robs Tasche. Er hatte Janina Dachelmeyer extra so hingesetzt, dass das nicht passieren konnte. Schließlich war das nicht sein erstes Opfer und ‘Rob’ hatte inzwischen dazugelernt.

‘Rob’ stand noch eine ganze Weile einfach da. Die Waffe hatte er gesenkt. Er sah auf die reglos auf dem Stuhl hängende, gefesselte Tote herab und sagte schließlich laut und mit einer Stimme, die wieder sehr nach weichem Samt klang: „Jetzt ist es gut. Jetzt...ist alles...gut.”

Aber das hatte er beim letzten Mal auch gesagt.

Und eigentlich wusste er auch diesmal im tiefsten Inneren seiner Seele, dass es nicht stimmte.

Nichts war gut.

Und es würde wohl auch niemals vorbei sein. Schließlich hatte er die Vorbereitungen für das nächste Mal bereits getroffen. Er ging zu seiner Tasche, legte die Pistole hinein und sein Blick fiel dabei auf den Beutel mit Blut, den er Janina Dachelmeyer abgenommen hatte.

*

Zwei Jahre später…

„Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Rudi Meier”, sagte ich, während ich meinen Ausweis vorzeigte.

Rudi und ich standen in einem engen Flur in einem Mietshaus und ein breitschultriger Kollege in Uniform hatte wohl die strickte Anweisung, niemanden die Treppe hinauf zu lassen.

Er hieß Giesenbracht. Als er meinen Ausweis betrachtete, runzelte er die Stirn und gab sie mir dann zurück. „Tut mir leid, dass ich so pingelig sein muss“, sagte Giesenbracht.

„Keine Ursache, dass ist Ihr Job“, meinte Rudi.

„Es soll auch schon Presseleute gegeben haben, die sich mit gefälschten Poilizeiausweisen Zugang zu interessanten Tatorten verschafft haben.“

Ehrlich gesagt, kommt so etwas eher selten vor, aber ausschließen kann man das natürlich nicht vollkommen. Aber ich wollte dem Kollegeb Giesenbracht jetzt nicht widersprechen.

Ich steckte meinen Ausweis wieder ein.

„Gibt es hier eigentlich keinen Aufzug?”, fragte ich.

„Ist seit einem halben Jahr defekt, wie mir einige andere Mieter erzählt haben“, sagte Giesenbracht. Er machte eine ausholende Geste. „Sie können raufgehen. Dr. Köppler erwartet sie bereits.“

„Dr. Köppler?“, fragte ich.

„Sie hat schon angekündigt, dass sie für ihren Fall noch Verstärkung bekommt. Und das sind dann ja wohl Sie.“

„Ihren Fall?“, echote ich ziemlich perplex.

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi. Die Informationen, die Rudi und ich bisher zu dem Fall hatten, waren äußerst knapp. Kriminaldirektor Hoch hatte uns hier her geschickt. Kurz nachdem ich Rudi am Morgen an der bekannten Ecke abgeholt hatte, meldete sich unser Chef und beorderte uns an diesen Tatort.

Denn dieser Fall fiel in die Zuständigkeit des BKA. Ein Serienkiller, der Frauen auf eine ganz spezielle Weise tötete. Zumindest war das bis jetzt die Hypothese.

Kriminaldirektor Hoch hatte zwar erwähnt, dass wir Unterstützung durch Fachleute bekommen würden, aber dass jetzt jemand diesen Fall als seinen bezeichnete und in uns so etwas wie herbeigerufenes Hilfspersonal sah, überraschte mich doch ziemlich.

Wir gingen die Treppe hinauf. Wenig später erreichten wir die offen stehende Wohnungstür. Es stand kein Name auf dem Schild an der Klingel. Kollegen der Abteilung Erkennungsdienst waren bereits bei der Arbeit. Außerdem sah ich Kollege Hansen von der zuständigen Mordkommission. Er nickte Rudi und mir zu.

Ich kannte ihn ganz gut, auch wenn wir selten zusammengearbeitet hatten.

„Hier soll eine Dr. Köppler sein“, sagte ich.

„Dr. Köppler ist hier“, sagte eine Stimme, die ziemlich resolut klang. Eine weibliche Stimme. Wir drehten uns um und sahen einer sehr zierlichen, grazilen Frau entgegen. Sie war schätzungsweise Mitte Dreißig, hatte dunkles, gelocktes und bis über die Schultern fallendes Haar und war nicht größer als ein Meter sechzig.

„Guten Tag“, sagte ich.

„Sie sind die Leute vom BKA, auf die ich gewartet habe?“

„Jedenfalls sind wir vom BKA. Dies ist mein Kollege Herr Rudi Meier, mein Name ist Harry Kubinke.“

„Dr. Melanie Köppler, Profilerin. Ich unterrichte normalerweise an der Akademie.“

„Und was führt Sie dann nach Berlin?”

„Dieser Fall, Herr Kubinke.”

„Das verstehe ich nicht.”

„Hat Sie Ihr Vorgesetzter darüber nicht informiert?”

„Ehrlich gesagt hatte Kriminaldirektor Hoch noch kaum Gelegenheit, uns über Einzelheiten in Kenntnis zu setzen.”

„Dann hat er Ihnen nichts darüber gesagt, dass dieser Fall mit einer Serie von Verbrechen in Zusammenhang steht?”

„Doch, aber wir sind bis jetzt nur grob informiert.”

Dr. Melanie Köppler atmete tief durch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es war der letzte Fall, den ich bearbeitet habe, bevor ich den Unterrichtsauftrag der Akademie annahm.”

„Lassen Sie mich raten: Sie haben damals die Sache nicht aufklären können.”

„Das ist leider wahr, Herr Kubinke. Glauben Sie mir, es hat mir nächtelang keine Ruhe gelassen, dass da so ein Irrer durch die Gegend läuft, Frauen anspricht, sie in eine Wohnung wie diese lockt und ihnen eins über den Schädel zieht. Wenn sie dann erwachen, finden sie sich gefesselt auf einem Stuhl wieder. Der Täter besudelt die Hände des Opfers mit Blut und erschießt es mit einer Waffe, die einen Schalldämpfer trägt.”

„Und bei der Reihenfolge sind Sie sich sicher?”, fragte ich.

„Wie meinen Sie das?”

„Was das Blut und den Schuss angeht. Sie wissen genau, dass er nicht erst den Schuss abgibt und anschließend der Toten das Blut über die Hände gießt?”

Melanie Köppler sah ich etwas überrascht an. „Nein, sicher ist das nicht, Herr Kubinke.”

„Und wie kommen Sie dann darauf?”

„Es ist einfach nur… Intuition. Ich glaube, dass es so gewesen ist. Aber vielleicht sollten Sie sich mal mit eigenen Augen ansehen, worum es hier geht.”

„In Ordnung.”

Dr. Melanie Köppler führte uns in das Wohnzimmer. Dort saß das Opfer noch immer gefesselt auf dem Stuhl - so wie der Täter die junge Frau drapiert hatte.

„Sie heißt Luisa Mitzmann und war als Krankenschwester im nahegelegenen Krankenhaus beschäftigt”, erläuterte Melanie Köppler. „Alle Opfer dieses Täters waren irgendwo im medizinischen Bereich beschäftigt. Es waren Ärztinnen darunter, Krankenschwestern, eine Altenpflegerin, eine Sprechstundenhilfe, eine Angestellte in einer Blutbank…”

„Sagen Sie jetzt nicht, dass der Täter aus Hass gegen das Gesundheitssystem diese Morde begangen hat”, mischte sich Rudi ein.

Melanie Köppler hob die Augenbrauen. „Wieso nicht? Das wäre noch nicht einmal das absurdeste Mordmotiv, auf das ich während meiner Arbeit gestoßen bin. Auf jeden Fall müssen wir diesen Aspekt im Auge behalten.”

Ich sah die Einschusswunde am Kopf und die Austrittswunde des Projektils. Es sah grässlich aus.

„Der Täter hat den Schalldämpfer immer aufgesetzt”, erläuterte Melanie Köppler.

„Eine Art Hinrichtung”, sagte ich.

„Eine Hinrichtung, eine Bestrafung - irgend etwas in der Art wird es ein”, stimmte mir die Profilerin zu. „Unser Täter nimmt die Dinge außerdem sehr genau und will sich selbst auf gar keinen Fall beschmutzen. Er hat vielleicht sogar eine gewisse Phobie vor Blut und meidet den Kontakt damit - obwohl er es braucht, um seine Opfer so herzurichten, wie wir es hier sehen.”

„Das müssen Sie mir erklären”, sagte ich, denn ich verstand wirklich nicht, worauf Melanie Köppler hinaus wollte. Dass die Hände Blut besudelt waren, war mir auch schon aufgefallen. Blut, dass nicht zur Austrittswunde des Projektils passte, denn das war in die andere Richtung gespritzt und hatte die Wand mit rotbraunen Flecken versehen.

„Er hat das Opfer so positioniert, dass er möglichst nichts abbekommt”, stellte Melanie Köppler fest. „Das meinte ich eben.” Sie schien meinen etwas ratlosen Blick bemerkt zu haben. „Und das Blut, das sie da an den Händen sehen, war bei den anderen Opfern Tierblut, dass der Täter mitgebracht haben muss.”

„Wissen Sie, was für ein Tier?”

„Schweineblut. Aber bei seiner letzten Tat gab es eine Besonderheit.”

„Und die wäre?”

Melanie Köppler sah mich an. „Die letzte Tat liegt zwei Jahre zurück. Damals hat der Täter dem Opfer Blut abgenommen. Das steht auch so im Bericht der Gerichtsmedizin. Sie haben alle Unterlagen gemailt bekommen.”

„Wir werden das alles auch sicher noch lesen, Dr. Köppler”, versprach ich.

Dr. Köppler streifte die Latexhandschuhe über. Dann schob sie nacheinander vorsichtig die Ärmel der Toten hoch. Auf der rechten Seite fand sie, was sie suchte. „Einstichstellen und ein typischer Bluterguss, der entsteht, wenn jemand nicht so sehr darin geübt ist, eine Spritze zu benutzen.“

„Das bedeutet, der Täter kam vermutlich nicht aus der Gesundheitsbranche“, sagte Rudi.

„Jedenfalls hätte ich mir von ihm nicht so gerne Blut abnehmen lassen“, meinte Dr. Köppler. „Ich will es mal so ausdrücken: Der Täter wusste genau, was er tun musste. Er hatte also medizinisches Wissen und hat sich offenkundig gut informiert. Aber er war ohne Übung.“

„Was will er mit dem Blut, das er dem Opfer abgenommen hat?“, fragte ich.

„Er gießt es dem nächsten Opfer über die Hände, wenn sie mich fragen“, antwortete Melanie Köppler. „Auf die Gefahr hin, dass ich mich zu weit aus dem Fenster lehne, aber ich denke, dass das Blut, mit dem die Hände von Luisa Mitzmann besudelt wurden in Wahrheit von einer gewissen Janina Dachelmeyer stammt. Der DNA-Test wird es beweisen. Da wette ich drauf.”

„War Janina Dachelmeyer das letzte Opfer dieser Serie - vor zwei Jahren?”

„Ja”, murmelte Melanie Köppler. Ihre Stimme klang jetzt auf einmal tonlos. Es war ihr anzusehen, dass ihr der Fall sehr naheging. Auch zwei Jahre später noch. Ich konnte gut verstehen, warum das so war. Mir selbst ist das auch schon so gegangen. Man weiß, dass ein Täter weitere Morde begehen wird - aber man kann ihn einfach nicht fassen. So etwas kommt vor und es gehört zu unserem Job, damit irgendwie klar zu kommen. Aber es nagt an einem - und in diesem Fall nagte es wohl seit zwei Jahren an der Seele von Melanie Köppler.

Ihr besonderer Eifer bei diesem Fall war daher mehr als erklärlich. Aber wenn man sich so sehr in eine Sache hineinsteigert, kann es leicht ein, dass man den Blick für das Naheliegende verliert.

„Aber eine Aufbewahrungszeit von zwei Jahren für Blut?”, hakte ich nach. „So weit ich weiß zersetzen sich Blutproben schon nach kurzer Zeit.”

Melanie Köppler nickte, während sie den Blick dem Opfer zuwandte. „Das ist korrekt. Aber erstens ist Plasma durchaus nach zwei Jahren noch verwendbar, wenn es fachgerecht gelagert wird und zweitens…” Sie sprach nicht weiter. Irgend etwas schien ihr an der Toten aufzufallen. Allerdings war sie offenbar nicht gewillt, ihre Beobachtung mit uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu teilen. „Wir warten den DNA-Test ab, Herr Kubinke. Und sollte ich Recht behalten und diese Blutprobe tatsächlich DNA von Janina Dachelmeyer enthalten, dann erkläre ich Ihnen, wie er das gemacht hat, einverstanden?”

„Nun…”

„Im Moment habe ich keine Zeit dafür.”

„Aber das ist ein Punkt, der…”

„Später, Herr Kubinke. Bislang ist es ja auch nur eine Vermutung. Oder sagen wir besser: Eine begründete Hypothese.”

„Auf die Sie wetten wollten.”

„Ja, allerdings…” Einige Augenblicke schwieg sie nachdenklich. Sie gab einem das Gefühl, lästig und außerdem schwer von Begriff zu sein. Ich ahnte schon, dass die Zusammenarbeit mit ihr vielleicht nicht ganz einfach werden würde. Vielleicht war sie auch nur so sehr von dem Gedanken besessen, dass dieser Fall mit dem Mord an Janina Dachelmeyer in Zusammenhang stand, dass sie sich in etwas hineinsteigerte und den Wald vor lauter Bäumen nicht sah. Vermutlich war es tatsächlich das Beste, erst einmal den DNA-Test für das Blut abzuwarten, mit dem der Täter die Hände der Toten besudelt hatte. Und streng genommen war ja auch das zunächst einmal nichts weiter als eine ‘begründete Hypothese’.

„Erzählen Sie uns mehr über den Fall vor zwei Jahren”, verlangte jetzt Rudi, der wohl erkannt hatte, dass wir, was die Blut-Sache anging, bei Dr. Köppler erst einmal nicht weiterkamen. Aber ich nahm mir vor, darauf zurückzukommen.

„Janina Dachelmeyer war eine Ärztin”, fuhr Melanie Köppler dann in gedämpftem Tonfall fort. „Sie hat den Täter in einer Bar kennengelernt. Wir konnten sogar ermitteln, in welcher.”

„Dann gab es Zeugen, die Janina Dachelmeyer zusammen mit dem mutmaßlichen Täter gesehen haben?”, hakte ich nach.

Sie nickte. „Leider waren deren Aussagen sehr unpräzise. Andererseits - ich weiß nicht, an was ich mich erinnern würde, wenn ich zwei Menschen beiläufig in einer Bar sitzen gesehen hätte. Womöglich noch in eine Situation, in der jeder genauere Blick aufdringlich und peinlich wirken würde. Und wenn man dann später erfährt, dass sich da eine Frau von ihrem Mörder davon überzeugen ließ, ihn mit nach Hause zu nehmen, denkt man vielleicht, dass man doch besser genauer hingesehen hätte. Aber dann ist es zu spät. Insofern kann ich den Zeugen keinen Vorwurf machen.”

Immerhin war es also wohl schonmal ziemlich sicher, dass es sich bei dem Unbekannten tatsächlich auch um einen Mann handelte. Einen Mann zudem, der offenbar einiges an Geschick im Umgang mit Frauen hatte. Einer, der genug Charme und Witz hatte, um mit dieser Flirt-Masche an sein grausames Ziel zu gelangen.

*

In diesem Augenblick trat der Gerichtsmediziner in den Raum. Es war Dr. Bernt Heinz von der Abteilung Erkennungsdienst, Rudi und ich kannten Dr. Heinz ziemlich gut, wir hatten immer wieder mal im Rahmen unserer Ermittlungen mit ihm zu tun.

Dr. Heinz begrüßte uns kurz.

Als sein Blick dann auf die tote Luisa Mitzmann traf, fiel ihm der Kinnladen herunter. Und das, obwohl Dr. Heinz nun wirklich allerhand gewohnt ist und als Gerichtsmediziner schon von Berufswegen hart im Nehmen sein muss. „Oh”, sagte er nur und atmete tief durch.

„Ich habe gesehen, was ich sehen wollte”, sagte hingegen Melanie Köppler. Sie wandte sich an Rudi und mich. „Wir sehen uns wahrscheinlich später irgendwann zum Meeting. Ich nehme an, dass Ihr Chef auch dabei sein wird. Der Fall hat einiges Aufsehen in den Medien erzeugt und deshalb besteht ein gewisser Druck auf die ermittelnden Behörden. Sie kennen das ja…”

„Allerdings”, murmelte ich.

Mit diesen Worten ging Melanie Köppler davon. Dr. Heinz nahm sie gar nicht weiter zur Kenntnis. Und an dem, was der Gerichtsmediziner nach der Erstuntersuchung vielleicht beitragen konnte, schien sie gar nicht interessiert zu sein.

„Die geht ihren Weg”, raunte Rudi mir zu. „Unbeirrbar.”

„Sie hat ihre eigene Meinung”, gab ich zurück. „Allerdings eine, die für meinen Geschmack manchmal ein bisschen zu vorgefasst ist.”

„Ach komm, Harry. Der Tag hat schon übel genug begonnen. Da kannst du ruhig etwas großzügiger sein!”

„Ich sage ja nur, was mir auffällt, Rudi.”

„Genau dasselbe macht Dr. Köppler auch.”

Ich atmete tief durch. „Wie es scheint, bleibt die einfache Ermittlungsarbeit jetzt an uns hängen.”

„Sag bloß, du hast was anderes erwartet, Harry!”

Dr. Heinz bestätigte einige der Vermutungen von Melanie Köppler. Insbesondere, was den angenommenen Tathergang betraf. „Näheres kann ich Ihnen natürlich erst nach der vollständigen Obduktion sagen”, fügte er noch hinzu.

Ich wies ihn auf das Blut an den Händen hin und darauf, dass unbedingt ein DNA-Vergleich mit einer gewissen Janina Dachelmeyer durchgeführt werden musste.

Etwas später sprachen wir mit Katrin Menckenhorst. Sie wohnte einen Stock tiefer und arbeitete im selben Krankenhaus wie Luisa Mitzmann.

Laut Auskunft von Kollege Hansen, wäre der Mord an Luisa Mitzmann immer noch unentdeckt geblieben, wenn sie nicht gewesen wäre.

Katrin Menckenhorst war eine Frau von Ende zwanzig mit dunkelroten Haaren, die sie zu einem praktischen Knoten zusammengefasst hatte. Als sie uns in ihrer Wohnung empfing, war ihr Make-up verschmiert. Sie hatte geweint und sah alles in allem ziemlich mitgenommen aus.

„Stellen Sie ruhig Ihre Fragen“, sagte sie und ihre Stimme klang dabei heiser.

„Wie sind Sie darauf gekommen, dass bei Luisa Mitzmann etwas nicht stimmt?“, fragte ich.

„Wir hätten eigentlich beide heute Morgen unsere Schicht gehabt. Und Luisa ist - war - sehr gewissenhaft. Sie hätte niemals einfach verschlafen oder sich nicht abgemeldet. Und normalerweise war es so, dass sie bei mir vorbeigekommen ist, um mich abzuholen.”

„Aber an diesem Morgen kam sie nicht.”

„So ist es”, bestätigte sie. „Es wurde langsam Zeit, ich habe sie erst mit dem Handy zu erreichen versucht. Dann bin ich zu ihr rauf und habe geklopft. Aber es hat niemand geöffnet.”

„Und dann?”

„Ich habe es noch ein paarmal versucht, es reagierte niemand. Und dann habe ich bemerkt, dass die Tür nicht richtig geschlossen war. Es ist nämlich so: Die Wohnungstür bei Luisa ist nicht mehr ganz in Ordnung. Man muss aufpassen, dass das Schloss wirklich eingeschnappt ist, sonst ist sie nur angelehnt.” Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein Fachmann für so etwas, aber ich denke, Sie wissen ungefähr, was ich meine.”

Ich nickte. Der Täter hatte das offenbar nicht gewusst und gedacht, dass er die Tür geschlossen hatte, als er die Wohnung verließ. „Fahren Sie fort”, forderte ich sie auf. ”Erzählen Sie einfach alle, was Ihnen einfällt. Wir können das immer noch ordnen. Aber jetzt sind Ihre Erinnerungen noch frisch und jede Kleinigkeit, jede scheinbar noch so unwichtige Beobachtung könnte uns helfen, den Mörder Ihrer Kollegin zu finden. Und ich denke, das ist auch in Ihrem Sinne.”

„Natürlich.” Sie schluckte und wich meinem Blick aus. Katrin Menckenhorst kämpfte mit den Tränen und für einige Augenblicke hatte ich die Befürchtung, dass sie vielleicht die Fassung wieder verlor. Ich hätte dafür volles Verständnis gehabt. Aber andererseits gab es da einen offenbar tötungswütigen Killer. Eine Bestie, die vor zwei Jahren das Töten vorübergehend eingestellt hatte und nun von Neuem damit begann. Und man brauchte nicht unbedingt Psychologe oder Profiler zu sein, um voraussagen zu können, dass Luisa Mitzmann nicht sein letztes Opfer war, wenn ihn niemand stoppte.

Die Wahrscheinlichkeit war zumindest sehr groß.

Was auch immer der Grund dafür sein mochte, dass der Killer zwei Jahre mit dem Töten aufgehört hatte, dieser Grund schien nicht mehr zu bestehen. Vielleicht konnte er den inneren Drang, der ihn zu beherrschen schien, auch einfach nicht länger bändigen und hatte ihm nun erstmals wieder nachgegeben.

Zwei Jahre…

Ich fragte mich, was ihn zwei Jahre davon abgehalten haben mochte, sich weitere Opfer zu suchen.

Möglicherweise war der Grund, dass er sich keine weiteren Opfer suchen konnte, zum Beispiel, weil er in dieser Zeit inhaftiert oder außer Landes gewesen war. Ich nahm mir vor, diesen Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn eines dieser beiden Merkmale zutraf, war das vielleicht ein erster Schritt, um den Täterkreis zumindest schonmal ganz grob einzugrenzen.

Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während Katrin Menckenhorst um ihre Fassung rang und sie schließlich wider Erwarten doch noch zurückgewann.

„Ich betrat die Wohnung und dann habe ich Luisa gefunden“, murmelte sie. „Es war furchtbar. Ich stand erst eine ganze Weile da und konnte nichts tun. Verstehen Sie, was ich meine? Ich war wie zur Salzsäule erstarrt... als ich mich wieder rühren konnte, habe ich dann die Polizei angerufen.“

„Wann haben Sie Luisa Mitzmann zuletzt gesehen?“, fragte ich.

„Gestern Abend, so um 18.00. Wir hatten beide Spätschicht und dann Dienstschluss.“

„Sind Sie zusammen nach Hause gegangen?“

„Nur bis zur U-Bahn-Station. Ich wollte noch was einkaufen, deshalb haben wir uns getrennt.“

„Wissen Sie, was Luisa Mitzmann noch vorhatte? Haben Sie darüber gesprochen?“

„Ich nehme an, dass sie in Rico's Snackbar gegangen ist, um zu essen. Die haben dort das beste Chili weit und breit und Luisa mochte Chili für ihr Leben gern.“

„Hat sie ausdrücklich gesagt, dass sie dort noch hinwollte?“

„Ja, wir haben darüber gesprochen. Sie hatte nämlich ziemlich großen Hunger.“ Sie schluckte. „Wenn ich bei ihr geblieben wäre, würde sie jetzt noch leben...“

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte ich etwas irritiert.

Sie hob den Blick. „Na, sie muss ihren Mörder doch irgendwann danach kennengelernt haben! Entweder in Rico's Snackbar oder sie ist später nochmal weggegangen, aber eigentlich glaube ich das nicht.“

„Und warum nicht?“

Katrin Menckenhorst strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und hob die Augenbrauen. Sie sah mich an, als wäre ich etwas schwer von Begriff. Vielleicht war ich das auch. Zumindest aus ihrer Perspektive. „Sie hatte am nächsten Morgen Frühschicht. Da wäre sie niemals am Abend noch weggegangen, da bin ich mir sicher. Dazu war sie einfach zu gewissenhaft.“

„Ich verstehe.“

„Luisa hat im OP gearbeitet. Wenn man sich da nicht richtig konzentriert, dann ergibt sich daraus ganz schnell ein Fehler, der verhängnisvoll sein kann. Das gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für uns vom Pflegepersonal. Nein, Luisa war da immer ausgesprochen korrekt. Ich habe nie erlebt, dass sie müde zum Dienst kam. Und was Alkohol und solche Sachen angeht, die sind natürlich sowieso tabu, es sei denn man hat zwischendurch mal einen Tag frei.“

„Hatte Luisa Mitzmann einen Freund?“, mischte sich jetzt mein Kollege Rudi Meier plötzlich in das Gespräch ein. Er hatte bisher nur schweigend zugehört, was Katrin Menckenhorst über die Tote berichtet hatte.

„Dafür hatte sie keine Zeit”, behauptete Katrin Menckenhorst.

„Sie meinen, Luisa ist überhaupt nicht mit Männern ausgegangen?“, wunderte sich Rudi.

„Nein, ich meinte damit, für eine richtige Beziehung hatte sie keine Zeit. Oder sie hat einfach nicht den Richtigen kennengelernt, ich weiß es nicht. Aber das Problem ist, dass man in unserem Job aufgrund des Schichtdienstes einen Freizeitrhythmus hat, der sich ziemlich stark von der Allgemeinheit unterscheidet. Das ist nicht gerade förderlich für eine Beziehung, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Das ist nicht nur in Ihrem Job so“, stellte ich fest.

Katrin Menckenhorst atmete tief durch. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ich hatte das Gefühl, dass sie mit sich rang, ob sie mir noch etwas anderes sagen sollte. Etwas, von dem sie noch nicht so genau zu wissen schien, ob sie es mir offenbaren sollte. Ich entschied, ihr etwas Zeit zu geben. Das war in solchen Situationen meistens am effektivsten.

„Sie hat sich manchmal mit Männern getroffen”, sagte sie schließlich. „Und den einen oder anderen hat sie auch mit nach Hause genommen. Es ist halt nichts wirklich Ernstes daraus geworden. Wir hatten viel gemeinsam, aber in dem Punkt waren wir einfach unterschiedlich…”

„Wie meinen Sie das?”

„Ich kann das nicht.”

„Was?”

„Mit einem Mann, den ich gerade erst irgendwo kennengelernt habe, ins Bett zu gehen.”

„Aber Luisa schon.”

„Ja, ab und zu schon.”

„Können Sie uns irgendjemanden sagen, der sie - außer Ihnen - noch etwas näher kannte”, fragte ich. „Sehen Sie, wir müssen so viel möglich über das Leben Ihrer Arbeitskollegin in Erfahrung bringen. Nur so haben wir eine Chance, den Mörder zu kriegen.”

„Sie ist erst vor einem Jahr hier her gezogen. Und ehrlich gesagt: Viele Bekannte hat sie in dieser Zeit nicht gewonnen. Aber das liegt am Job, wie ich Ihnen ja schon erklärt habe. Bei mir ist das genauso. Die meisten Leute, die ich kenne, sind genau wie ich im Krankenhaus beschäftigt - aber gerade mit denen will man eigentlich nicht auch noch unbedingt seine Freizeit verbringen.”

Rudi wechselte einen Blick mit mir. ‘Es ist genug’, schien dieser Blick zu sagen und wahrscheinlich hatte mein Kollege recht. Katrin Menckenhorst hatte entweder keine entscheidende Beobachtung gemacht oder sie erinnerte sich im Moment einfach nicht daran. Allerdings konnte das ja durchaus noch kommen. Also gab ich ihr meine Karte. „Falls Ihnen noch irgend etwas einfallen sollte, rufen Sie mich einfach an.”

„In Ordnung, das werde ich tun”, versprach sie.

Wir verließen die Wohnung von Katrin Menckenhorst und wurden Zeuge eines ziemlich heftigen Wortgefechts. Kollege Giesenbracht versuchte gerade einen Mann davon abzuhalten, im Haus Fotos zu machen. Der Mann war Mitte dreißig, schlank und trug ein graues Tweed-Jackett mit Fischgrätmuster, das ziemlich ausgebeult wirkte. Ihm hing eine Digitalkamera um den Hals und eine Tasche über der Schulter. Ein Presseausweis war unübersehbar an das Revers seines Jacketts geklemmt.

„Wir leben in einem freien Land”, rief der Mann mit der Kamera.

„Sie können hier trotzdem nicht einfach rein. Und jetzt gehen Sie bitte, oder ich muss Sie festnehmen.”

Kollege Giesenbracht schien mit der Situation etwas überfordert zu sein. Der Mann mit der Kamera war wohl einfach zu aufdringlich. Abgesehen davon zitierte er schnell ein paar Paragraphen, von denen Giesenbracht anscheinend noch nie etwas gehört hatte.

Als der Mann Rudi und mich auf dem Treppenabsatz sah, versuchte er erneut, an Giesenbracht vorbeizukommen. „Heh Sie, leiten Sie die Untersuchung hier?”, rief er uns zu. „Sind Sie vom BKA? Oder von der Mordkommission?”

Ich entschloss mich, Giesenbracht etwas beizustehen.

Wir kamen zu ihm. Ich zog meinen Dienstausweis und hielt ihn dem Reporter unter die Nase. „Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Rudi Meier.”

„Dann bin ich bei Ihnen ja richtig! Ich bin Jörn-Erik Domkätz, Journalist.”

„Wofür schreiben Sie denn?”

„Ich bin Freelancer und arbeite für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und lokale Fernseh- und Radiostationen.”

„Hören Sie, mein Kollege Giesenbracht hat Recht, Sie können sich hier jetzt nicht umsehen und wir können Ihnen im Moment auch keine weitergehenden Auskünfte geben.”

„Aber…”

„Gehen Sie jetzt. Sie hätten es eigentlich gar nicht bis hier her schaffen dürfen. Aber ganz egal, wie Sie an den Kollegen vorbeigekommen sind, hier ist Endstation. Es werden Spuren genommen und Befragungen durchgeführt - und Sie stören uns bei der Arbeit.”

„So einfach können Sie es sich aber nicht machen Herr...!”

„Kriminalhauptkommissar Kubinke”, sagte ich zu ihm. „Falls Sie sich über mich beschweren wollen, dann merken Sie sich diesen Namen. Und jetzt tun Sie bitte, was Kollege Giesenbracht Ihnen gesagt hat.”

„Stimmt es, dass der Fall mit einer Serie von Morden zu tun hat, von denen der letzte vor zwei Jahren geschehen ist?”

“Kommen Sie…”

“Der Fall Janina Dachelmeyer. Können Sie dazu nichts sagen?

„Wie kommen Sie denn darauf?”

„Na, wenn Sie vom BKA sind, ist der Gedanke doch nicht ganz abwegig, oder?”

„Ich habe dem, was ich eben gesagt habe, nichts hinzuzufügen”, erklärte ich. „Aber Sie können sicher sein, dass wir die Medien informieren werden, sobald es etwas Substantielles zu berichten gibt und unsere Ermittlungen dadurch nicht gefährdet werden.”

Unsere Blicke begegneten sich. Er schien abzuschätzen, wie weit er gehen konnte. Und offenbar vermittelte ich ihm den Eindruck, dass hier und jetzt für ihn Endstation war.

„Haben Sie zufällig eine dieser Visitenkarten, die man für die Angehörigen des BKA auf Kosten von uns Steuerzahlern für gewöhnlich drucken lässt?“

„Habe ich”, sagte ich, während ich in meinen Jacketttaschen danach suchte. „Was wollen Sie damit? Wenn Sie nur wissen wollen, über wen Sie sich beschweren müssen, dann…”

„Nein, nein. Ich dachte mir, ich rufe Sie vielleicht an, wenn ich irgend etwas über den Fall hören sollte…” Ich gab ihm meine Karte. Und er gab mir seine. „Könnte ja auch sein, dass Sie das Bedürfnis haben, mit etwas mitzuteilen”, glaubte er. Ich konnte mir das im Moment zwar nicht vorstellen, aber ich ließ es so stehen. Danach verließ er auch ganz bereitwillig das Gebäude.

„An Ihnen ist ein Diplomat verloren gegangen”, meinte Kollege Giesenbracht.

„Ich hoffe nur nicht, dass der dich jetzt Tag und Nacht anruft”, meinte Rudi.

„Ich kann ja die Nummer des Typen sperren, falls er das versuchen sollte”, gab ich zurück.

„Ich nehme an, dass der Kerl nur die Spitze des Eisbergs ist”, meinte Rudi.

„Wie meinst du das?”

„Ich meine damit, dass wir mal mit Dr. Köppler bei Gelegenheit darüber reden sollten, mit wem sie eventuell schon über diesen Fall gesprochen hat”, sagte ich.

„Wir gehen davon aus, dass Luisa Mitzmann irgendwann gestern Abend oder in der Nacht gestorben ist. Genauer wird uns das Dr. Heinz sicher noch mitteilen können. Und wenn Dr. Köppler heute am frühen Morgen aus Quantico eingeflogen wurde…”

„Etwas knapp, oder?”

„Aber…”

„Sie war schon hier, Harry. Und ehrlich gesagt, möchte ich gerne wissen, wie sie genau von dem Fall erfahren hat und wem sie in der Zeit bis zu Ihrer Ankunft hier am Tatort davon erzählt hat, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem Fall und einer Mordserie geben soll! Denn das ist ihre Theorie, Harry und wenn dieser Reporter die nacherzählt, dann muss er sie irgendwo her haben.”

„Und sie wird sich verbreiten wie ein Lauffeuer.”

„Richtig.”

„Ich hätte ihn festhalten dazu befragen sollen, diesen…” Ich sah auf die Karte, die er mir gegeben hatte, „...Domkätz.”

„Ist jetzt zu spät.”

„In dem Moment ist mir das nicht eingefallen.”

„Mir ja auch nicht, Harry. Sonst hätte ich eingegriffen.”

Ich atmete tief durch. Das alles würde den Job, den wir vor uns hatten, nicht gerade leichter machen, fürchtete ich.

*

Rudi und ich begaben uns zu Rico’s Snackbar. Wie wir feststellten, befand sie sich ganz in der Nähe. Und das Chili, das es hier gab, schien tatsächlich gut zu sein. Zumindest wenn man nach dem Geruch ging.

Der Besitzer hieß Memet Kücük, hatte türkische Vorfahren. Aber er wurde von allen im Laden Rico genannt.

„Rico klingt besser”, erklärte er uns. „Würden Sie Chili von jemandem kaufen, der Memet Kücük heißt?”

„Wenn es gut ist”, sagte ich.

„Na, da gehören Sie aber nicht zur Mehrheit. Wissen Sie, ich habe eine Weile in Mexiko gelebt, bevor ich nach Berlin gezogen bin. Und da habe ich gelernt, wie man richtiges Chili macht.”

Ich zeigte ihm meinen Ausweis. „Leider sind wir nicht wegen Ihres hochgelobten Chilis hier, Herr Kücük”, eröffnete ich ihm.

„Ich habe schon gehört, hier in der Nähe ist jemand umgebracht worden.”

„Ja, das stimmt leider.”

„Sowas spricht sich hier schnell herum.”

„Es geht um…”

„Die Krankenschwester”, schnitt er mir das Wort ab. „Jedenfalls um eine der beiden. Die sind öfter zu zweit hier, aber gestern Abend war nur eine der beiden in meinem Laden.”

Rudi zeigte ihm ein Foto, das er von Luisa Mitzmann mit dem Handy am Tatort gemacht hatte. Kücüks Gesicht wurde daraufhin sehr ernst. Er war ohnehin ziemlich blass. Aber jetzt verlor er den letzten Rest von Farbe und schluckte. „Ja, ich erkenne sie wieder”, murmelte er. „Wissen Sie, ich habe mich einige Male mit den beiden etwas unterhalten. Was man eben so redet.”

„Wann ist sie gestern hier gewesen?”

„Kann ich nicht mehr genau sagen. Könnte sechs oder sieben Uhr Abends gewesen sein. So um die Zeit herum.” Er beugte sich über den Tresen und fragte dann: ”Was ist denn genau passiert? Es sind ja die wildesten Gerüchte im Umlauf.”

„Ich kann Ihnen dazu im Moment keine weitergehenden Auskünfte geben, Herr Kücük”, erklärte ich. „Solange die Ermittlungen laufen...”

„Ja, ich verstehe, ich verstehe. Ermittlungstaktische Gründe oder so ähnlich nennt man das wohl.”

„Genau.”

„Haben Sie sich gestern auch mit Luisa Mitzmann unterhalten, Herr Kücük?”

„Ich habe ja manchmal richtig mit ihr herumgeflirtet. Mit ihrer Freundin ging das nicht. Die war irgendwie nicht so locker. Aber gestern, da…” Er zögerte.

„Ja?”

„Jemand anders war schneller.”

„Wie soll ich das verstehen?”

„Es hat sich jemand zu ihr gesetzt. Und die beiden schienen sich recht gut zu verstehen.”

„Sind sie auch zusammen raus gegangen?”

„Ja, sind sie. Es wirkte fast so, als würden sie sich ganz gut kennen. Aber das kann ich letztlich nicht beurteilen.”

„Können Sie mir eine Beschreibung von dem Mann geben?”

„Mittelgroß, mittelschlank, gepflegt, es war irgendwie nichts Besonderes an ihm. Aber er muss eine tolle Wirkung auf Frauen haben.”

Ich fluchte innerlich. Mittelgroß, mittelschlank… All die Wort, die mit mittel anfangen sind meistens Kennzeichen einer Beschreibung, anhand der man niemanden wirklich identifizieren kann. Oft stellt sich heraus, dass die Zeugen gar nicht richtig hingesehen haben. Und das war in diesem Fall vermutlich auch der Fall. Der begnadete Chili-Koch, der sich lieber Rico als Memet nennen ließ, war wohl etwas enttäuscht darüber gewesen, dass der Flirt mit seiner attraktiven Kundin gestern ausfallen musste, weil die dem Charme eines anderen erlegen war - oder einfach nur einen Bekannten getroffen hatte. Beides war möglich.

Trotzdem, wir mussten über den Mann so viel wie möglich erfahren. Falls er nicht der Täter war, war er mit Sicherheit ein wichtiger Zeuge.

„Wir werden Ihnen unseren Zeichner Herr Peiker vorbeischicken”, kündigte unterdessen Rudi an. „Der erstellt dann mit Ihnen ein Phantombild des Mannes.”

„Ja gut, ich habe nichts dagegen. Allerdings, wenn Sie mich so fragen. Er hatte eigentlich ein sehr unscheinbares Gesicht.” Eine tiefe Furche erschien jetzt genau in der Mitte von Memet Kücüks Stirn. Er wirkte einen Augenblick ziemlich nachdenklich und ich hoffte wirklich, dass ihm noch irgend etwas einfiel, was uns vielleicht weiterbringen konnte.

„Sprechen Sie es einfach aus, was Ihnen gerade durch den Kopf geht“, forderte ich ihn auf. „Ganz gleich, wie wichtig Ihnen Ihre Beobachtung vielleicht auch erscheinen mag.“

„Also ich weiß nicht, ob das was zu bedeuten hat und ich habe mir in dem Moment auch nichts weiter dabei gedacht...“

„Wobei?

„...aber jetzt, da ich höre, dass Luisa Mitzmann ermordet wurde, erscheint mir das in einem anderen Licht.“

„Können Sie das vielleicht etwas präzisieren?“

„Da war so ein Typ, der hat die Frau beobachtet.“ Kücük streckte den Arm aus und deutete auf das Fenster zur Straße. „Durch die Scheibe, verstehen sie? Er hat sich regelrecht die Nase daran plattgedrückt, das war sowas von aufdringlich. Aber Luisa und der Mann an ihrem Tisch haben davon gar nichts mitbekommen. Die waren so ins Gespräch vertieft, dass die das gar nicht gesehen haben.“

„Aber sie waren da aufmerksamer“, stellte ich fest.

„Mir kam der Typ am Fenster gleich eigenartig vor. Er hatte übrigens hier am Kinn eine Narbe, die sich gabelte. Sah aus wie ein liegendes Y, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Wie ging es mit dem Kerl weiter?“, wollte ich wissen.

Kücük hob den Blick und sah mich dann einen Moment stirnrunzelnd an, so als versuchte er, möglichst jedes Detail aus seinen Erinnerungen an diesen Moment wieder wach zu rufen. „Ich habe zu ihm hingesehen“, fuhr O'Donnel dann dort. „Er hat sich offenbar erschrocken, einen Augenblick zu mir zurück geglotzt und ist dann verschwunden.“

„Haben Sie ihn später nochmal gesehen?“, hakte Rudi nach. Memet Kücük wandte den Blick in Richtung meines Kollegen.

„Ja sicher! „

„Wann?“, fragte Rudi.

„Als ich den Tisch sauber machte. Luisa und der Typ, der so einen großen Eindruck auf sie gemacht hat, waren gerade zur Tür hinaus. Da sah ich, dass dieser Kerl mit der Y-Narbe ihnen über die Straße folgte. Wie so ein streunender Hund, der eine Spur aufgenommen hat und Passanten verfolgt, weil er hofft, dass da noch was für ihn abfällt.“

„Ah ja…”

„Ja, ich weiß, für Berlin Mitte vielleicht nicht gerade ein passender Vergleich, aber in Mexiko, da hatten wir dauernd Probleme mit streunenden Hunden. Da war eine richtige Seuche - und niemand hat was dagegen gemacht. Außerdem...“

Ich hörte ihm nicht mehr wirklich zu. Was Memet Kücük über streunende Hunde in Mexiko zu sagen hatte, interessierte mich nur mäßig. Aber was seine anderen Aussagen anging, waren da vielleicht ein paar Hinweise dabei, auf die wir aufbauen konnten.

Aber das würde sich vielleicht deutlicher zeigen, wenn unser Zeichner es geschafft hatte, mit Memet Kücük an seinem Laptop Phantombilder zu erarbeiten. Und zwar von beiden Männern.

Rudi erkundigte sich noch nach eventuell vorhandenen Überwachungskameras in Rico's Snackbar. Wenn es so etwas gegeben hätte, dann wäre das für uns im Moment sehr hilfreich gewesen.

Aber wie sich herausstellte, war das nicht der Fall.

Es gab keine Kameras in Rico's Snackbar.

Weder im Innenraum, noch im Eingangsbereich oder an der Straßenfront.

„Ist eine friedliche Gegend hier“, meinte Memet Kücük. „Also zumindest bis heute. Deshalb habe ich bis jetzt auch nicht eingesehen, dass ich für so etwas Geld ausgeben soll.“

„Es war ja nur eine Frage“, sagte ich.

*

Wir verließen Rico's Snackbar. Es wehte ein kühler Wind durch die Häuserzeilen.

„Eine Narbe in Form eines Y - das ist ja immerhin ein Anhaltspunkt”, meinte Rudi.

„Nur weil jemand aufdringlich gafft, muss er noch kein wahnsinniger Serienkiller sein, Rudi”, sagte ich.

„Das werden wir ja sehen.”

„Ich denke, wir sollten uns auf den Mann konzentrieren, mit dem Luisa Mitzmann nach Hause gegangen ist.”

„Und ich denke, wir sollten uns da nicht vorzeitig festlegen, Harry. Sagst du doch selbst auch immer.”

„Eins zu Null für dich, Rudi”, musste ich zugeben.

Wir sahen uns um. Nach Geschäften, die vielleicht ihre Schaufenster mit Video-Überwachung gesichert hatten. Und wenn wir ganz großes Glück hatten, dann waren darauf beide Männer zu sehen: Der Charmeur, mit dem Luisa Mitzmann über die Straße gegangen war und der Gaffer mit der Y-Narbe, der die beiden verfolgt hatte.

„Und wenn die beiden zusammengearbeitet haben?”, fragte Rudi.

„Wäre möglich.”

„Das würde erklären, dass Luisa Mitzmann’s Gesprächspartner offenbar nichts von dem Gaffer mitbekommen hat.”

„Naja, dazu reicht eigentlich auch die Feststellung, dass sie eine attraktive Frau ist und er sich vielleicht einfach nur sehr angeregt mit ihr unterhalten hat. Ehrlich gesagt, kann ich gut verstehen, dass er auf nichts anderes geachtet hat.”

„Siehst du, das macht mich nachdenklich, Harry.”

Ich sah meinen Kollegen fragend an. „Was bitte meinst du genau?”

„Na, wenn ich mit einer Frau am Tisch sitzen würde, die ich umbringen will, dann würde ich die Umgebung doch genauestens im Auge behalten. Oder nicht? Aber der war völlig fixiert auf die Frau und hat überhaupt nicht darauf geachtet, ob ihn jemand beobachtet oder ob er irgendwie auffällt oder so.”

„Und gerade hast du ihn noch für den Mörder gehalten”, gab ich zu bedenken.

„Da ist mir dieser Gedanke noch nicht gekommen.”

Wir erreichten ein Geschäft für Unterhaltungselektronik. Dessen Fenster war tatsächlich mit einer Kamera gesichert. Neben TV-Geräten und Großbildschirmen verkaufte man hier schließlich auch Überwachungsanlagen. Und die zeigte man dann im Schaufenster gleich in Funktion. Rudi und ich sahen uns auf einem der Flachbildschirme in hochauflösender Qualität.

Wir gingen ins Geschäft, sprachen zuerst mit einem der Verkäufer, dann mit der Besitzerin, einer gewissen Madleen Hummelbach. Madleen Hummelbach war eine resolute, leicht übergewichtige Frau mit einem freundlichen Lächeln. Dieses Lächeln verschwand allerdings sofort, als sie begriff, dass wir die Aufzeichnungen ihrer Überwachungsgeräte haben wollten.

„Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen”, meinte sie.

„Wir brauchen nur die Datenträger”, sagte ich. „Und es wäre sehr freundlich, wenn Sie es uns ersparen würden, dass wir mit einem richterlichen Beschluss zurückkommen müssen. Das würde uns eine halbe Stunde kosten - und nur dem Mörder einer jungen Frau hier in der Gegend nützen.”

„Nein, so meinte ich das nicht”, wehrte Madleen Hummelbach ab. „Es ist einfach so, dass unsere Anlage erst seit heute wieder in Betrieb ist. Bis einschließlich gestern haben wir das alles neu eingerichtet und deswegen gibt es erst seit heute Morgen Aufzeichnungen.”

„Das ist schade.”

„Und wenn es Aufzeichnungen gäbe, wären Sie auch etwas zu spät dran, Herr…”

„Herr Kubinke”, erinnerte ich sie an meinen Namen, obwohl ich ihr sowohl meinen Ausweis gezeigt, als auch meinen Namen genannt hatte. Sogar mehrfach.

„Wieso wären wir zu spät dran?”, fragte jetzt Rudi.

Madleen Hummelbach musterte zuerst Rudi, dann mich, dann wieder Rudi. „Da war schon jemand da, der sich nach diesen Aufnahmen erkundigt hat. Allerdings wollte der mir tausend Dollar dafür bieten. Und ich hätte die tausend Dollar genommen, wenn es Aufzeichnungen gegeben hätte, da können Sie Gift drauf nehmen.”

„Wer war das?”, fragte ich sofort.

Madleen Hummelbach zuckte mit den Schultern. „Er hat seinen Namen nicht genannt. Aber er sagte, er wäre Reporter und er bräuchte die Aufnahmen, weil er hoffte, dass darauf irgend etwas Spektakuläres zu sehen sei. Leider hat er mir nicht weiter gesagt, was er unter spektakulär versteht.”

„Hing ihm eine Kamera um den Hals und trug er so ein Jackett mit Fischgrätmuster, das deutlich aus der Form gegangen ist?”, hakte ich nach.

„Ja, genau.”

Domkätz! Die Beschreibung war jetzt schon so unverwechselbar, dass ich eigentlich gar nicht hätte weiter zu fragen brauchen. Ich tat es trotzdem. Schließlich wollte ich möglichst eine Verwechslung ausschließen.

Wenn es stimmte, was ich vermutete, dann war Domkätz uns einen Schritt voraus gewesen. Und ich begann zu ahnen, dass er uns richtig lästig werden würde. Rudi verdrehte vielsagend die Augen. Er schien das ganze ebenso zu sehen.

„Wir danken Ihnen für Ihre Auskünfte”, sagte ich. „Es ist möglich, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt noch Fragen an Sie haben. Dann werden wir auf Sie zurückkommen.”

„Ich hoffe, Sie kriegen den Killer.”

„Ja, wir tun unser Bestes.”

„Das hat sich hier wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Glauben Sie, dass dieser Irre noch einmal zuschlagen wird?”

„Wir versuchen das zu verhindern”, versicherte ich ihr.

*

„Die Leute hier in der Gegend wissen mir entschieden zu gut Bescheid”, sagte ich. „Wie kann das sein?”

„Harry, du weißt doch, wie das ist.”

„Haben wir irgendetwas davon verlautbaren lassen, dass es sich um einen ‘irren’, psychisch gestörten Täter handelt?”

„Die Leute hören ein paar Bruchstücke und setzen sich daraus ihr eigenes Bild zusammen, Harry. Und wenn mir jemand erzählen würde, dass da ein Kerl Frauen bequatscht, nach Hause bringt und sie anschließend umbringt, anstatt einen netten Abend mit ihnen zu verbringen, dann würde ich auch zuerst an einen Menschen denken, der psychisch nicht alle Tassen im Schrank hat.”

„Trotzdem, Rudi…”

„Ich meine, wenn irgendwo Geld zu holen ist oder zwei einfach in Rage geraten sind und aufeinander losgehen - das versteht jeder. Sowas kann man nachvollziehen. Aber du musst zugeben, dass das, was Luisa Mitzmann passiert ist, in eine andere Kategorie fällt…”

„Habe ich ja nie bestritten!”

„...und jeder, der nur ein paar Bruchstücke davon mitbekommt, tut das auch. Sowas nennt man gesunder Menschenverstand.”

„Aber ich frage mich, woher diese Bruchstücke kommen, Rudi. Das ist doch der Punkt. Irgend etwas sickert immer durch, aber nicht so schnell!”

„Du unterschätzt vielleicht einfach die gute Nachbarschaft hier in der Gegend. Die Leute reden noch miteinander. Was ist daran auszusetzen?”

„Ich habe da eigentlich eher einen anderen Faktor im Auge…”

Rudi zuckte die Achseln. Wir waren inzwischen schon beinahe wieder bei dem Mietshaus, in dem Luisa Mitzmanns Wohnung lag. „Du denkst an diesen Reporter.”

„Genau, Rudi. Der scheint überall herumzulaufen und seine Fragen so zu stellen, dass er damit auch eine Menge von dem preisgibt, was er offenbar weiß.”

„Die Morde dieser Serie werden in den Medien einiges an Aufsehen erregt haben. Dieser Typ in der ausgebeulten Jacke…”

„Domkätz!”

„...wird einfach das getan haben, was jeder gute Reporter tun sollte: Er hat sich gründlich informiert und eine eingehende Recherche betrieben. Und dass er davon etwas herumerzählt, können wir ihm nicht verbieten, Harry.”

„Ich weiß.”

Irgendwie passten für mich ein paar Dinge in diesem Fall nicht zusammen. Und der Reporter namens Jörn-Erik Domkätz war da eigentlich nur ein kleines, nebensächliches Ärgernis, so dachte ich.

Wir kehrten zum Tatort zurück. Die Leiche wurde gerade abtransportiert. Dr. Bernt Heinz hatte eine erste Begutachtung durchgeführt und sich auch am Tatort umgesehen. Ich sprach ihn auf die Sache mit dem Blut an. „Dr. Köppler hat die Theorie, dass das Blut an den Händen von Luisa Mitzmann von einer gewissen Janina Dachelmeyer stammt, die vor zwei Jahren ermordet wurde.”

„Ein DNA-Test dürfte das ja erweisen”, meinte Dr. Heinz stirnrunzelnd. „Also Blut zerfällt in unterschiedliche Bestandteile. Schon wenn Sie eine Blutprobe einfach eine Weile stehen lassen, können Sie sehen, dass sich diese Bestandteile absetzen. Wenn man Blut aufbewahrt, beschleunigt man dies durch eine Fraktionierung. Einige Bestandteile sind nämlich schon nach kurzer Zeit nicht mehr verwendbar. Das Problem ist nämlich, dass man Blut nicht einfach einfrieren kann. Zumindest, wenn man es nochmal verwenden will - und normalerweise wird Blut ja nur zu diesem Zweck aufbewahrt.“

„Der Täter hat bei den ersten Morden Tierblut verwendet”, sagte ich.

„Das ist natürlich leichter zu beschaffen.”

Rudi sprach unterdessen mit Kollege Hansen und Kollege Giesenbracht. Es ging darum, dass wir Unterstützung dabei brauchten, die gesamte Nachbarschaft danach zu befragen, ob sie erstens Luisa Mitzmann am vergangenen Abend in Begleitung eines Mannes gesehen hatte und zweitens ob jemand einen Mann mit einer Y-förmigen Narbe am Kinn gesehen hatte.

„Ich werde ein paar zusätzliche Kräfte anfordern”, kündigte Kollege Hansen an. „Vielleicht können wir ja auch von Ihrer Seite noch ein bisschen Verstärkung bekommen.”

„Ich will sehen, was sich tun lässt”, versprach Rudi.

Später stießen unsere BKA-Kollegen Kalle Brandenburg und Hansi Morell zu uns. Die Nachbarschaft wurde systematisch befragt. Zumindest der Teil, der um diese Zeit zu Hause war. Bei den anderen würden wir es später noch einmal versuchen müssen.

Unser Kollege Kalle Brandenburg stieß auf eine alte Frau, die meinte, sowohl Luisa Mitzmann in Begleitung eines Mannes gesehen zu haben, als auch einem Mann mit einer Y-Narbe am Kinn begegnet zu ein. Allerdings erschien ihre Aussage dem Kollegen reichlich wirr. Zum Schluss behauptete die Frau, der Mann in Begleitung von Luisa Mitzmann wäre der mit der Y-Narbe gewesen - was der Aussage von Memet ‘Rico’ Kücük widersprach.

„Sie war felsenfest davon überzeugt, die beiden zusammen gesehen zu haben”, meinte Kalle Brandenburg später zu mir. „Aber ehrlich gesagt, bin ich mir inzwischen nicht mehr so ganz sicher, ob sie in Wahrheit überhaupt jemandem begegnet ist.”

Einer der uniformierten Polizisten, die uns unterstützten, sprach mit einem Blumenverkäufer, dessen Laden sich ein paar Häuser weiter befand und der darüber klagte, dass ein Mann mit einer Y-Narbe ihm die Einfahrt zugeparkt hätte. Diese Aussage machte einen wesentlich konkreteren Eindruck, sodass Rudi und ich uns ebenfalls zu ihm begaben, um noch einmal ein paar Einzelheiten abzufragen.

Der Blumenverkäufer hieß Sanjay Gupta und war indischer Abstammung. Ein kleiner, schmaler Mann mit dunklen Augen und dunklem Teint. Nur seine Haare waren silbergrau.

„Können Sie den Mann mit der Y-Narbe näher beschreiben - mal von der Narbe abgesehen?”, fragte ich.

„Also ehrlich, ich war so auf diese Narbe fixiert und habe mich immer gefragt, ob das wohl jemand ist, der es gewohnt ist, mit Messern zu kämpfen.Er fuhr einen Ford und hat ihn genau hier, vor meine Einfahrt gestellt. Der Ford stand also hier, ich wollte mit meinem Transporter raus und es war niemand weit und breit zu sehen, der zu dem Wagen gehörte. Also habe ich einen Abschleppdienst gerufen. Dann taucht der Kerl mit der Narbe auf und will einfach wegfahren - und ich wäre dann auf den Kosten für den Abschleppwagen sitzen geblieben.“

„Und - wie ist das Ganze ausgegangen?“

„Er schien es aus irgendeinem Grund ziemlich eilig zu haben. Ja, ich gebe zu, ich bin ein bisschen laut geworden - und dann hat er mir einfach den Abschleppdienst gezahlt. Nur, um schnell wegzukommen. Wenn ich natürlich gewusst hätte, dass er kurze Zeit später vorhat, eine Frau umzubringen…”

„Woher haben Sie das denn?“

„Stimmt das denn nicht? Deswegen sind Sie doch hier, oder?“

Weder Rudi noch ich hatten Lust dazu, ihm gegenüber irgend etwas richtig zu stellen oder auch nur mit ihm darüber zu reden.

Stattdessen fragte ich ihn nach der genauen Zeit, wann die Begegnung mit dem Narbigen stattgefunden hat.

Daran konnte er sich nicht mehr erinnern. Aber immerhin bekamen wir Adresse und Telefonnummer des Abschleppservice, den er beauftragt hatte. Es war anzunehmen, dass die eingehenden Aufträge dort registriert wurden und auf diese Weise konnten wir dann rekonstruieren, wann das Gespräch mit dem Narbigen stattgefunden hatte.

„Haben Sie die Geldscheine noch, die er Ihnen gegeben hat?”, hakte Rudi nach.

Sanjay Gupta sah meinen Kollegen zunächst etwas ungläubig an.

„Wie bitte?”

„Sie bekommen sie wieder. Aber wenn Sie die Scheine noch haben, bräuchten wir die, um sie auf Fingerabdrücke zu untersuchen.”