von Alfred Bekker
Ein satanisches Ritual, welches das Leben der Tochter eines
Russenmafia-Paten kostet, wird zum Auslöser einer brutalen Rache.
Fernand Malvassov will diejenigen, die für den Tod der jungen Frau
verantwortlich sind, und er kennt dabei keine Grenzen. Trotzdem
können ihn Commissaire Marquanteur und sein Kollege Leroc zunächst
nicht verhaften, denn Malvassov macht sich selbst nicht die Hände
schmutzig…
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen,
Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb
er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry
Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jenny
Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick,
Henry Rohmer, Jack Raymond, Brian Carisi, Conny Walden und Janet
Farell.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Alles rund um Belletristik!
1
»In Frankreich ist man katholisch, aber nicht unbedingt fromm
und gläubig«, sagte mein Onkel immer. Onkel Henri. Der war genau
vier mal in seinem Leben in der Kirche. Zu seiner Taufe, zu seiner
Konfirmation, zu seiner Hochzeit und zu seiner Beerdigung. Das
erste Mal kann man ja eigentlich nicht richtig mitzählen, denn da
konnte Onkel Henri noch nicht selber bestimmen, ob er zur Kirche
gehen wollte. Und des letzte Mal?
Naja …
Ich habe ihn mal als Junge gefragt: »Warum bist du dann nicht
aus der Kirche ausgetreten?«
»Nee, das ist ja dann auch nichts«, hatte er gemeint.
So ganz konsequent war seine Haltung also eigentlich
nicht.
Mein Name ist übrigens Pierre Marquanteur. Ich bin
Commissaire. Zusammen mit meinem Kollegen Commissaire François
Leroc arbeite ich in der FoPoCri, einer speziellen
Ermittlungsgruppe der Sûreté, die hier in Marseille angesiedelt ist
und sich vor allem mit den größeren Fällen beschäftigt.
Dem organisierten Verbrechen zum Beispiel.
Und bei so manchem, was man hier erlebt, wird man dann auch
wieder ganz von selbst sehr gläubig.
Es stimmt auch nicht, dass immer mehr Leute gar nicht zur
Kirche gehen.
Manche gehen da zum Beispiel aus einem Grund hin, den man als
nicht wirklich sachgerecht bezeichnen könnte.
So in diesem Fall.
Schließlich heißt es doch nicht umsonst Gottesdienst – und
nicht etwa Satansdienst.
Aber der Reihe nach.
2
Es war Mitternacht. Durch die Fenster der L'Eglise de
Saint-Luc drang hin und wieder das flackernde Licht der
Neonreklamen in der Umgebung. Ansonsten erhellten etwa dreißig
Kerzen den Bereich um den Altar. Eine Gruppe von etwa zwanzig
dunklen, in Mönchskutten gehüllten Gestalten bildete einen
Halbkreis. Die Kapuzen waren tief ins Gesicht gezogen. In einer Art
Singsang murmelten sie lateinische Sätze vor sich. Einer der
Kuttenträger trat vor den Altar. Er streckte die Arme aus. Seine
Kapuze rutschte dabei etwas nach hinten, so dass für kurze Zeit ein
Teil des von Narben und Geschwüren entstellten Gesichtes erkennbar
wurde.
»Hier spricht Bruder Maleficius im Namen der Schar deiner
ergebenen Diener, o Herr des Bösen!«
»Amen!«, antwortete der Chor der Kuttenträger.
»Dieser Ort sei von nun an dir geweiht, Satan!«, fuhr der Mann
fort, der sich selbst Bruder Maleficius genannt hatte. Er ergriff
das über den Altar ausgebreitete Tuch und riss mit einem Ruck
daran, so dass Bibel und Holzkreuz zu Boden fielen.
Der Singsang der Kuttenträger schwoll an. Steigerte sich immer
mehr, bis Bruder Maleficius mit dem Zeigefinger der linken Hand ein
Pentagramm in die Luft malte. Von einer Sekunde zur anderen war es
still. Bruder Maleficius stellte sich vor den Altar, kniete
nieder.
»Heute möchten wir eine neue Schwester in die Schar deiner
Anhänger aufnehmen, o Herr des Bösen und der Verdammnis!«, rief der
Narbige. Seine Worte hallten zwischen den hohen Kirchenmauern
wider.
»Dein Wille geschehe, Satan«, so antwortete der Chor der
Kuttenträger. »Wie in der Hölle, so auf Erden.«
Bruder Maleficius erhob sich wieder, drehte sich herum.
»Tritt vor, Schwester der Schande!«, rief er.
Eine relativ zierliche Gestalt unter den Kuttenträgern machte
einen Schritt nach vorn.
»Zeige dich!«, forderte Bruder Maleficius. Die Kapuze glitt
zurück. Ein brauner Haarschopf wurde sichtbar. Das Kerzenlicht
beleuchtete das fein geschnittene Gesicht einer jungen Frau. Sie
ließ die Kutte über die Schultern gleiten. Darunter trug sie
nichts. Ihr wohlgeformter Körper war mit magischen Zeichen bemalt.
Einer der anderen Kuttenträger reichte der jungen Frau einen
messingfarbenen Kelch.
»Trink!«, forderte Bruder Maleficius. »Trink, auf dass du in
das Reich Satans einkehrst und als seine Dienerin
zurückkehrst!«
Die junge Frau trank den Inhalt des Kelches aus. Plötzlich
fiel ihr der Kelch aus der Hand. Ihr Körper verlor den Halt. Sie
sank in sich zusammen. Bruder Maleficius fing sie auf. Er griff ihr
unter die Arme. Einer der anderen Kuttenträger kam herbei, fasste
sie unter den Knien.
Sie wurde auf den Altar gehoben und dort abgelegt.
Ihre helle Haut schimmerte im flackernden Licht der Kerzen.
Die im Halbkreis stehenden Satansjünger begannen wieder mit ihrem
Singsang. Sie beteten magische Formeln vor sich hin.
»Dominus Satanicum!«, rief Bruder Maleficius laut. Er stellte
sich vor den Altar, breitete die Arme aus und wiederholte diesen
Ruf insgesamt sechsmal.
Dann holte Maleficius eine kleine silberfarbene Dose unter
seiner Kutte hervor. Er öffnete sie. Ein leuchtendes,
fluoreszierendes Pulver war darin enthalten.
»Hinabgestiegen bist du in das Reich des Todes. Nimm jetzt das
Salz des Lebens und kehre zurück aus der Unterwelt als SEINE
Dienerin auf ewig!«
Maleficius nahm eine Prise des fluoreszierenden Pulvers,
öffnete mit der anderen Hand ihre Lippen und flößte es ihr ein. Die
Dose ließ er in den weiten Ärmeln seiner Kutte verschwinden.
Mit der rechten Hand fasste er der jungen Frau auf den Bauch.
Am Mittelfinger befand sich ein breiter Ring. Ein roter Stein war
auf der Handinnenseite. Daneben trat eine kaum sichtbare
Injektionsnadel hervor.
Maleficius drückte zu.
Der Einstich war kaum zu sehen, als er die Nadelring
zurückzog.
»Erwache, Tochter des Bösen!«, rief er.
Es herrschte absolute Stille.
Man hätte in diesem Augenblick eine Stecknadel fallen hören
können.
Maleficius wiederholte seinen Ruf: »Erwache, Tochter des
Bösen!«
Aber die junge Frau rührte sich nicht. Ihre Augen blieben
starr wie die einer Toten.
Einer der anderen Satansjünger schnellte herbei. Er fasste die
junge Frau bei den Schultern. »Donata!«, rief er. Dann tastete nach
ihrem Puls.
Er nahm seine Kapuze vom Kopf. Das Gesicht eines jungen Mannes
mit dunklen Locken und einem dünnen Oberlippenbart kam zum
Vorschein. Angst leuchtete in seinen Augen.
»Scheiße, Mann, die ist tot!«, rief er. Sein Gesicht wurde
leichenblass. Er wandte sich an Maleficius. »Weißt du eigentlich,
wen du da umgebracht hast, du Spinner?«
»Immer schön ruhig bleiben, Baptiste!«, erwiderte der Narbige.
xx
3
Ein übler Geruch schlug mir entgegen, als ich aus dem
Sportwagen stieg. Hunderte von kreischenden Möwen kreisten über der
Mülldeponie. Etwa ein Dutzend Einsatzfahrzeuge von Schutzpolizei
und FoPoCri parkten zwischen den sich auftürmenden Müllbergen. Dazu
noch die Wagen des Gerichtsmediziners sowie einiger Spezialisten
der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst.
Die Commissaires Stéphane Caron und Fred Lacroix sprachen
gerade mit dem zuständigen Chef der Mordkommission. Unser Kollege
Ndonga stand ein paar Meter weiter und blickte auf ein in blaue
Plastikfolie eingewickeltes Paket, das etwa die Größe eines
menschlichen Körpers hatte.
»Ich hoffe, wir haben hier nicht allzu lange zu tun«, raunte
mir mein Freund und Kollege François Leroc zu. Er rümpfte die Nase.
»Es könnte wenigstens eine frische Brise frischer Luft
herwehen!«
»Du wirst es schon überleben«, erwiderte ich.
»Von einer Gasmaske hat mir vor diesem Einsatz niemand etwas
gesagt.«
»Gehört die nicht zur Standard-Ausrüstung – so wie die
Kevlar-Weste?«
»Haha, selten so gelacht!«
»Eigentlich sollten wir die immer im Kofferraum haben.«
Wir erreichten Stéphane.
Der Kollege grüßte uns knapp und deutete anschließend auf den
Mann neben sich. »Das ist Commissaire Rittons von der
Mordkommission. Er hat uns gerufen.«
Ich nickte Rittons freundlich zu.
»Es hieß, eine Leiche sei hier auf der Deponie gefunden
worden.«
Commissaire Rittons nickte.
»Wenn es sich allerdings nur um irgendeine Tote handeln würde,
hätten wir euch nicht verständigt«, erklärte er.
»Um wen handelt es sich?«, fragte ich.
»Um Donata Malvassov, die Tochter des Mannes, der allgemein
als der Russe bekannt ist. Der Name sagt Ihnen sicher etwas. Er
gilt als graue Eminenz im Kokain-Geschäft. Vor drei Tagen ging eine
Vermisstenanzeige ein. Und jetzt finden wir Donata hier nackt und
in Plastik verpackt auf der Müllhalde.«
»Wann wurde sie gefunden?«, erkundigte sich Stéphane.
»Vor anderthalb Stunden. Einer der Mitarbeiter hat das Paket
bemerkt. Die Plastikhülle war beschädigt. Eine Hand ragte
heraus.«
»Verstehe«, brummte Stéphane. Der Commissaire fuhr sich mit
einer schnellen Bewegung über das Gesicht. Die Hitze und der Geruch
setzten uns allen zu.
»Wie konnten Sie Donata Malvassov so schnell identifizieren?«,
fragte ich.
»Die Tote hat eine Tätowierung zwischen den Schulterblättern,
die ziemlich ungewöhnlich ist«, antwortete Rittons. »Ein
umgedrehtes Kreuz. In der aktuellen Vermisstenliste für Marseille
gibt es niemanden sonst, der dieses Merkmal aufweist.«
»Verstehe.«
»Außerdem ist Donata Malvassov vorbestraft. Kirchenschändung,
Schändung von Grabstätten und dergleichen mehr. Ein Verfahren ist
übrigens noch nicht abgeschlossen. Zusammen mit ein paar Mittätern
soll sie nachts in eine Kirche eingedrungen sein und dort die Wände
mit Schweineblut bemalt haben.«
Rittons führte uns zu der Stelle, wo die Tote aufgefunden
worden war. Der Gerichtsmediziner beugte sich über das
Plastikpaket, das von einem Mitarbeiter des Erkennungsdiensts
teilweise aufgeschnitten worden war. Die Tote war vollkommen nackt.
Eigenartige Zeichen waren auf ihren Körper gemalt worden. Kreise,
Pentagramme, Sechsecke. Vermutlich hatten sie irgendeine okkulte
Bedeutung.
»Was ist die Todesursache?«, wandte sich Stéphane Caron an den
Gerichtsmediziner, einen etwa vierzigjährigen Mann mit hoher Stirn.
Ich kannte ihn flüchtig. Sein Name war Sombieres. Er machte ein
ziemlich ratloses Gesicht, zuckte die Achseln.
»Akuter Herzstillstand«, sagte er. »Viel genauer kann ich dazu
noch nicht Stellung nehmen.«
»Mir hat Dr. Sombieres auch noch nicht mehr verraten«,
erklärte Rittons. »Aber bei einer Toten, die so verpackt auf einer
Müllkippe abgelegt wird, kann man wohl kaum eine natürliche
Todesursache annehmen.«
Dr. Sombieres bückte sich und klappte die Plastikplane ein
ganzes Stück zur Seite, so dass der Rumpf der Toten vollständig
sichtbar wurde. Der Arzt deutete auf einen winzigen roten Punkt in
der Nähe des Bauchnabels. »Das könnte die Folge einer Injektion
sein.«
»Sie meinen, Donata Malvassov wurde vergiftet?«, fragte
Stéphane.
»Alles noch Spekulation. Ich habe den Verdacht, dass
Mademoiselle Malvassov ein muskellähmendes Mittel verabreicht
bekam. Genaues kann ich Ihnen natürlich erst nach einer eingehenden
Obduktion sagen.« Sombieres deutete zu den Achselhöhlen. »Sie sehen
hier die Hämatome. Unter den Knien sind ähnliche Stellen zu finden.
Die Tote wurde von zwei Personen getragen, als sie noch lebte. Aber
sie war vermutlich vollkommen gelähmt und konnte keinerlei
Muskelspannung aufbauen. Sonst wären diese Hämatome nicht in der
vorliegenden Form entstanden.«
Dr. Sombieres deckte die Plastikplane wieder über die
Tote.
Mehr konnten wir vom Gerichtsmediziner im Moment nicht
erfahren.
»Diese Zeichen – das sieht mir nach irgendwelchen
satanistischen Ritualen aus«, meinte François. »Passt zu der
Tätowierung auf dem Rücken und ihren Vorstrafen.«
Rittons nickte.
»Das umgedrehte Kreuz ist ein Satanisten-Zeichen.«
»Weiß Monsieur Malvassov schon vom Tod seiner Tochter?«,
erkundigte sich Stéphane.
Commissaire Rittons schüttelte den Kopf.
»Nein, wir dachten, dass ihr diesen unangenehmen Job
übernehmen würdet.«
Stéphane nickte.
»Verstehe.« Er wandte sich an mich. »Malvassov und ich sind
vor Jahren mal böse zusammengerasselt. Er wird sich an mich
erinnern …«
»… und jetzt hast du wenig Lust, ihm gegenüberzutreten«,
schloss ich.
Stéphane nickte erneut.
»Es geht darum, so viel wie möglich an Informationen aus dem
Kerl herauszubekommen. Wenn ich dabei bin, trägt das wahrscheinlich
nicht gerade zu einer guten Gesprächsatmosphäre bei.«
»Wir machen das schon«, mischte sich François ein. »Das war’s
doch, was du hören wolltest, oder?«
»Ihr habt was bei mir gut«, sagte Stéphane.
»Wir kommen darauf zurück«, erwiderte ich.
»Ich hoffe nur, dass das Ganze nicht der Auftakt zu einem
Krieg zwischen den Drogenkartellen ist!«, meldete sich Fred Lacroix
zu Wort. »Schließlich wissen wir nicht, ob der Zusammenhang zum
Satanismus nicht vielleicht nur vorgetäuscht ist.«
»Dazu hat mir Norbért noch etwas Interessantes gesagt, kurz
bevor ich das Hauptgebäude verließ, um herzukommen«, ergänzte
Stéphane an mich und François gerichtet. Norbért Navalle war ein
Kollege aus dem Innendienst, dessen Spezialgebiet die
Betriebswirtschaft und das Aufspüren von Geldströmen war. »Nach
Norbérts Angaben hat es auf Malvassovs bekannten Konten sehr
bemerkenswerte Bewegungen gegeben. Auffällig sind unter anderem
mehrere Barabhebungen von jeweils über einer halben Million
Euro.«
»Dann wurde Malvassov vielleicht erpresst«, entfuhr es
mir.
»Das war auch mein erster Gedanke, Pierre.«
4
Anderthalb Stunden später waren François und ich auf dem Weg
nach Pointe-Rouge. Fernand Malvassov bewohnte dort eine Villa
direkt am Meer. Früher hatte er in Altona residiert. Offenbar war
ihm dieses Pflaster seit einigen Jahren zu heiß geworden.
Sordide Fernand war er früher wegen seiner rücksichtslosen
Vorgehensweise genannt worden. Mehrere Vorstrafen wegen
Körperverletzung und Drogendelikten standen auf seinem Konto. Aber
Sordide Fernand war mit den Jahren geschickter geworden. Er hatte
begriffen, dass man besser davonkam, wenn man andere die
Drecksarbeit verrichten ließ und dafür sorgte, immer eine weiße
Weste zu behalten. So war aus Sordide Fernand schließlich jener
Mann geworden, den die Leute in Pointe-Rouge fast ehrfurchtsvoll
der Russe nannten – wohl wegen seiner russisch-französischen
Herkunft. Eine graue Eminenz, die aus dem Hintergrund heraus einen
Großteil des Drogenhandels kontrollierte. Darüber hinaus hielt er
auch seine Hand über zahllose Nachtclubs und Wettbüros, mit deren
Hilfe das schmutzige Geld weiß gewaschen wurde.
Inzwischen hatte Malvassov einen Großteil seines Geldes in
legale Geschäfte investiert, so dass absehbar war, wann er sich
vollkommen vom illegalen Sektor verabschieden würde. Für uns
bedeutete dies, dass es immer schwieriger wurde, ihm überhaupt noch
irgendwelche Straftatbestände nachzuweisen.
Dutzende von Auftragsmorden gingen wahrscheinlich auf das
Konto von dem Russen.
Bis jetzt war es uns nicht gelungen, ihn auch nur für einen
davon zur Verantwortung zu ziehen.
Er regierte seine Organisation bis heute mit eiserner Hand.
Verrat bedeutete den sicheren und oft auch qualvollen Tod.
Malvassov duldete weder Widerspruch noch Kooperation mit der Justiz
in seinen Reihen. Wer immer sich nicht daran hielt, musste bitter
dafür bezahlen.
Seit Jahren waren wir von der FoPoCri Marseille diesem Kerl
auf den Fersen. Dasselbe galt für die Kollegen der Drogenpolizei
und der Steuerfahndung. Aber bislang war bei all diesen
Ermittlungen nicht genug herausgekommen, als dass ein Staatsanwalt
darauf eine Anklage gründen konnte.
Möglicherweise war der Russe jetzt selbst Opfer eines
Verbrechens geworden. Mit seiner Unterstützung konnten wir deshalb
trotzdem wohl kaum rechnen. Leute wie Malvassov pflegten derartige
Probleme auf ihre eigene Art zu lösen. Meistens sehr blutig. Genau
das mussten wir verhindern.
»Ich frage mich, wer hinter einer Entführung von Malvassovs
Tochter stecken könnte«, sagte François, als wir gerade die
Marseiller Bezirke durchfuhren und uns weiterhin südlich hielten.
»Auf jeden Fall scheiden irgendwelche Amateure wohl aus. Wer die
Tochter von Sordide Fernand entführen will, der ist entweder
lebensmüde oder sehr, sehr mächtig.«
»Du glaubst also, die Konkurrenz des Russen steckt dahinter.
Irgendetwas ging schief, Donata kam ums Leben und wurde dann auf
die Müllkippe gelegt, wo sie mit etwas Glück vielleicht nie
gefunden worden wäre.«
»Ergibt doch Sinn, oder?«
»Nach dem alten Mafia-Kodex waren die Familien der Gangster
tabu, François.«
»Du weißt, dass diese humanen Zeiten längst vorbei sind,
Pierre.«
»Ja, ich weiß.«
»Heute wird auf nichts mehr Rücksicht genommen, wenn der
Profit in Gefahr ist.«
»Die Entführer haben offenbar gewusst, dass Donata etwas mit
Satanismus zu tun hat«, vermutete ich. »Sonst hätten sie nicht
versucht, das Ganze als einen Ritualmord zu tarnen.«
»Kann ja sein, dass die Entführer Helfer im näheren Umfeld der
Malvassovs hatten.«
»Immer vorausgesetzt, es gab überhaupt eine Entführung, und
der Tod der jungen Frau ist nicht doch das Ergebnis irgendwelcher
Rituale.«
»Der Gerichtsmediziner sprach davon, dass wahrscheinlich ein
muskellähmendes Mittel verabreicht wurde. Das passt eher zu einer
Entführung als zu einem Grufti-Ritual, wenn du mich fragst.«
»Hängt vom Ritual ab, würde ich sagen.«
»Du kennst dich da aus?«
»Nicht genug, um wirklich mitreden zu können, fürchte ich.
Warten wir erst mal ab, welche Substanzen der Gerichtsmediziner im
Körper von Donata Malvassov letztlich feststellt.«
»Bis der Gerichtsmediziner soweit ist, hat der saubere
Monsieur Malvassov längst eine Armee von Killern in Gang gesetzt«,
gab François zu bedenken.
Wir brauchten etwas über eine Stunde, ehe wir Malvassovs
Residenz erreichten. Das Gelände um die Villa war weiträumig
abgesperrt. Es gab hohe, elektrisch geladene Zäune. Bewaffnete
Männer in Kampfanzügen patrouillierten daran entlang. Manche von
ihnen führten mannscharfe Dobermänner bei Fuß.
Wir mussten mit dem Sportwagen, den die Fahrbereitschaft des
FoPoCri uns zur Verfügung stellte, an einer Art Checkpoint
anhalten. Die Security-Leute, die hier Wache schoben, trugen
Schutzwesten. Sie sahen sich unsere Ausweise eingehend an und
nahmen über Funk Kontakt mit ihrem Boss auf. Schließlich wurden wir
durchgewunken.
»Da kommt man sich ja vor wie an einer Landesgrenze«, knurrte
François.
»Ja, aber wenn der Russe meint, dass dieses Anwesen
exterritoriales Gelände sind, hat er sich geschnitten!«
Von diesem Checkpoint aus führte ein breiter Weg über eine
Anhöhe. Dahinter lag die Villa. Ein großes dreistöckiges Anwesen.
Ungefähr ein halben Kilometer feinsten Sandstrandes am Ufer des
Golf von Marseille gehörte zu Malvassovs Domizil. Außerdem hatte
sich der Russe einen eigenen kleinen Yachthafen angelegt. Es musste
ein Vermögen gekostet haben, das Hafenbecken ausbaggern zu lassen.
Eine größere, hochseetaugliche Yacht und mehrere kleinere Boote
lagen an Stegen vertäut.
»Dieser Mann hat wirklich alles, was man sich nur wünschen
kann«, stellte François fest.
»Nur seine Tochter. Die kann ihm trotz all seines Reichtums
niemand mehr zurückbringen«, erwiderte ich.
»Alles kann man sich eben nicht kaufen!«
»Du sagst es.«
Ich parkte den Sportwagen vor dem großen Hauptportal der
Villa. Es war durch massive Säulen gekennzeichnet, die wohl an
Bauwerke der Antike erinnern sollten.
Wir stiegen aus. Bis zum Portal waren es etwa zehn Meter. Vier
Security-Leute in schwarzen Anzügen erwarteten uns. Zwei der Männer
trugen MPs über der Schulter. Bei den anderen drückten sich die
Pistolen durch die Jacketts. François und ich zeigten erneut unsere
Ausweise.
»Wir werden Sie nach Waffen durchsuchen«, erklärte der
Anführer der vier. Ein breitschultriger Kerl mit kurz geschorenen,
dunklen Haaren, durch die die Kopfhaut hindurchschimmerte.
»Kommt nicht in Frage!«, erwiderte ich. »Wir gehen durch diese
Tür da vorne, und jemand von Ihnen bringt uns zu Monsieur
Malvassov, ohne auch nur den Versuch zu machen, uns vorher
abzutasten!«
Der Dunkelhaarige verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Du kommst dir wohl sehr wichtig vor, Bulle«, knurrte
er.
»Stell dir vor, ich bin wichtig!«
»So?«
»Frag mal deinen Chef! Bei dem sind wir nämlich
angemeldet.«
François mischte sich jetzt ein.
»Wir lochen dich höchstens ein, wenn du uns daran hinderst,
unsere Pflicht zu tun. Was dein Chef mit dir macht, wenn er
erfährt, dass du uns unnötigerweise aufgehalten hast, möchte ich
gar nicht wissen.«
Einer der anderen Bodyguards sagte ein paar Sätze auf
Russisch. Ich verstand kein Wort.
Der Dunkelhaarige antwortete mit einem knappen »Da!« und
atmete tief durch. »Folgen Sie uns!«
5
Fernand Malvassov empfing uns in einem weitläufigen Salon.
Durch die hohe Fensterfront hatte man einen fantastischen Blick auf
den Atlantik.
Malvassov war ein hochgewachsener, grauhaariger Mann mit
braungebranntem Gesicht und aufmerksamen braunen Augen. Er trug
einen grauen Anzug. Sein Alter schätzte ich auf Mitte Fünfzig bis
Anfang Sechzig.
Neben ihm stand ein etwa dreißigjähriger junger Mann. Er
wirkte wie eine jüngere Ausgabe Malvassovs.
Ich zeigte meinen Ausweis und stellte uns vor.
»Pierre Marquanteur, FoPoCri. Dies ist mein Kollege François
Leroc. Monsieur Malvassov?«
»Dobrogo vremeni sutok gospoda«, knurrte der Russe. Er deutete
auf den Mann neben sich. »Das ist mein Sohn Jerome.«
Ich nickte Jerome Malvassov kurz zu.
Zwar war ich ihm noch nie persönlich begegnet, hatte aber
schon einiges über den jungen Malvassov gehört. Sordide Fernand
wollte ihn zu seinem Nachfolger aufbauen. Einem Nachfolger mit
blütenreiner Weste. So hatte der Alte ihn bislang aus allem
rausgehalten, was irgendwie nach Illegalität roch. Jerome Malvassov
war für uns ein unbeschriebenes Blatt. Abgesehen davon, dass er auf
der Universität Betriebswirtschaft studiert hatte, wussten wir
nichts über ihn. Vor allem war er bislang nicht ein einziges Mal
mit der Justiz in Berührung gekommen.
Fernand Malvassov musterte zuerst mich, dann François mit
einem abschätzigen Blick. Ein geschäftsmäßiges Lächeln bildete sich
um seine dünnen Lippen.
»Die Kriminalpolizei hat schon versucht, mir was am Zeug zu
flicken, als Sie beide vermutlich noch auf die Grundschule gingen.«
Er lachte heiser. »Sie werden da wohl kaum mehr Glück haben. Ich
bin gespannt, was Sie von mir wollen.« Er warf einen demonstrativen
Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk. »Meine Zeit ist knapp.
Und da Sie schon ein paar Minuten zu spät zu dieser Unterredung
gekommen sind, sollten Sie den Rest der Zeit, die ich Ihnen
zugestehen will, gut nutzen. Tak o chem eto? Ich denke, es lohnt
sich nicht, dass wir uns extra setzen …«
»Wir sind nicht wegen Ihrer Drogengeschäfte hier«, erklärte
ich ruhig.
»Seien Sie vorsichtig, was Sie sagen, Monsieur Commissaire!
Alles was Sie hier unter Zeugen äußern, werde ich vor Gericht sonst
gegen Sie verwenden! Etwa, wenn ich Sie wegen Verleumdung verklagen
sollte.« Er lachte heiser. Dann trat er einen Schritt vor, richtete
den Zeigefinger wie den Lauf einer Waffe auf mich. »Niemand hat mir
je die Beteiligung an Drogengeschäften oder dergleichen nachweisen
können. Also passen Sie gut auf, was Sie so von sich geben!«
Innerlich kochte ich. Die Arroganz von Sordide Fernand war
kaum zu überbieten.
Stéphane Caron, der ihn besser kannte, hatte schon gewusst,
weshalb er François und mir diesen Besuch aufgehalst hatte. Ich
musste mir alle Mühe geben, ruhig zu bleiben.
»Wir sind nicht wegen Ihrer Geschäfte hier«, erklärte ich noch
einmal. »Es geht um Ihre Tochter.«
»Donata! Was ist mit ihr?«
Sein Gesicht veränderte sich. Die Besorgnis, die jetzt in
seinen Zügen zu lesen war, erschien mir echt.
»Wir müssen Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, dass Ihre
Tochter Donata Malvassov nicht mehr lebt.«
»Was?«
»Ihre Leiche wurde auf der Deponie in La Blancarde gefunden.
Sie war in Plastik eingewickelt, hatte den Körper mit eigenartigen
Zeichen bemalt und …«
»Eto nepravda!«, entfuhr es Fernand Malvassov. »Gospod’ na
nebesakh, das kann nicht wahr sein.«
»Leider ist es so, wie mein Kollege gerade berichtet hat«,
mischte sich jetzt François in das Gespräch ein.
»Donata … Was mit ihr geschehen?«
»Das wissen wir nicht«, erklärte ich. »Die Todesursache ist
noch weitgehend unklar. Außer einem kleinen Einstich in der
Bauchgegend gibt es keine sichtbaren Verletzungen. Näheres wissen
wir, wenn die Obduktion abgeschlossen ist.«
»Ich habe ein Foto zur Identifizierung hier«, sagte François.
Er griff in die Innentasche seiner Jacke und zog es hervor.
»Geben Sie her!«, forderte jetzt Jerome Malvassov. Er warf
einen kurzen Blick auf das am Tatort gemachte Polaroid und gab es
anschließend seinem Vater.
Tränen glitzerten in Fernand Malvassovs Augen. Seine Hände
ballten sich zu Fäusten. Das Gesicht wandelte sich zu einer Maske
unbändiger Wut.
»Das ist meine Schwester«, sagte Jerome. »Da gibt es überhaupt
keinen Zweifel. Am besten Sie lassen uns jetzt allein.«
»Das kann ich nicht«, erwiderte ich.
»Wieso?«
»Weil wir diesen Fall bearbeiten und sowohl Ihnen als Ihrem
Vater ein paar Fragen stellen möchten. Wir gehen bislang davon aus,
dass Donata Malvassov nicht eines natürlichen Todes starb und daher
…«
»Kann ich nochmal Ihren Ausweis sehen?«
»Sicher.«
Er sah ihn sich an. Runzelte die Stirn.
»Force spéciale de la police criminelle …«
»Ja, das ist die korrekte Bezeichnung unserer
Abteilung.«
»Also die FoPoCri.«
»Hören Sie …«
»Sie sind eine Sonderabteilung.«
»Ja.«
»Seit wann kümmert sich Ihre Abteilung um solche Fälle?«,
brauste jetzt Fernand auf. Er lockerte die Krawatte und den
obersten Hemdknopf. »Das ist kein Fall für Sie. Ihre Abteilung hat
damit überhaupt nichts zu tun.«
»Da irren Sie sich«, erklärte ich.
»Geben Sie es doch zu, Monsieur Marquanteur! Sie wollen jetzt
sogar den Tod meiner Tochter dazu benutzen, mir auf der Nase
herumtanzen zu können. Um mir was anzuhängen, ist Ihnen
buchstäblich jedes Mittel recht.«
»Es geht darum, den oder die Mörder Ihrer Tochter zu finden«,
sagte ich so ruhig wie möglich. »Ein Zusammenhang mit dem
organisierten Verbrechen ist im Übrigen nicht
ausgeschlossen.«
»Ach, hatte Donata etwa jetzt plötzlich auch etwas mit
Drogenhandel zu tun? Hören Sie doch auf, Monsieur Marquanteur! Sie
sind geschmacklos.«
»Sie haben Ihre Tochter vor drei Tagen als vermisst
gemeldet?«
»Da, eto pravda. Sie hat in Marseille eine Wohnung, die ich
ihr gemietet habe. Ich lasse diese Wohnung rund um die Uhr
überwachen. Man hört ja heute so viele schreckliche Dinge über die
Kriminalität …«
Ich sah, dass François die Augen verdrehte, als wollte er
sagen: Ausgerechnet dieser Mann muss sich darüber beklagen!
»Sie kam nicht nach Hause?«, schloss ich.
Malvassov nickte.
»Weder in ihre Marseiller Wohnung noch hier. Für eine Nacht
hätte ich nichts gesagt. Donata führte ein Leben, das in der
Tradition unserer Familie als – kak govoryat? – zügellos gegolten
hätte. Aber so ändern sich die Zeiten.«
»Monsieur Malvassov, ich frage Sie gerade heraus: Wurde Donata
Opfer einer Entführung?«
Er sah mich entgeistert an.
»Njet! Wie kommen Sie darauf?«
François meldete sich zu Wort: »Im Laufe Ihres Geschäftslebens
– oder wie immer man das bezeichnen mag – haben Sie sich nicht nur
Freunde gemacht, Monsieur Malvassov.«
»Drug dlya vsekh lyudey – wer kann das schon sein, Monsieur
Leroc?«
»Was den Tod Ihrer Tochter betrifft, glauben wir, dass sie
zuerst entführt wurde. Irgendetwas ging schief. Vielleicht hat sie
das muskellähmende Gift nicht vertragen, das man ihr verabreicht
hat. Jedenfalls kam Donata ums Leben, und dieser Mord wurde als
Teil eines satanistischen Rituals getarnt.«
»Das ist nur eine Theorie«, stellte Jerome Malvassov klar, der
bisher geschwiegen hatte.
François drehte sich zu ihm herum.
»Aber eine, für die es Indizien gibt. So hat Ihr Vater in
letzter Zeit große Barabhebungen vorgenommen. Möglicherweise haben
sich die Entführer also mit einer Forderung gemeldet.«
»So, Sie überwachen immer noch meinen Zahlungsverkehr?«,
fragte Sordide Fernand. Ein Raubtierlächeln erschien auf seinem
Gesicht. »Ist das nicht illegal?«
»Sie wissen genau, dass derartige Maßnahmen von unabhängigen
Richtern überprüft werden müssen«, antwortete François. »Im Übrigen
sind wir ja nicht die einzigen, die hinter Ihnen her sind. Mit der
Drogen- und der Steuerfahndung gibt es wohl auch ein paar
Meinungsverschiedenheiten.«
»Wir sollten den Anwalt anrufen«, meinte Jerome an seinen
Vater gerichtet.
»Wie wär’s, wenn Sie mit uns kooperieren und auspacken!«, fuhr
ich dazwischen, ehe Fernand etwas sagen konnte. »Es geht um die
Mörder Ihrer Tochter.«
»Ja, ich weiß«, murmelte er.
»Dann sollten Sie es auch riskieren, dass vielleicht das eine
oder andere ans Tageslicht kommt, wenn Sie mit uns
zusammenarbeiten. Wie gesagt, einige Indizien deuten auf eine
Entführung hin. Ich gehe davon aus, dass Sie zumindest ahnen, wer
dahinter steckt.«
Fernand Malvassov verschränkte die Arme.
»Und an wen dachten Sie da so?«
»Geschäftliche Konkurrenten, vielleicht auch Leute aus Ihrer
Organisation …«
»Jetzt werden Sie unverschämt!«
»Die Entführer hatten auf jeden Fall Insider-Wissen.«
»Das haben Sie sich alles schön zurechtgelegt, nicht wahr?«
»Es wäre nett, wenn Sie uns die Auflistung Ihrer
Telefongesellschaft über sämtliche angenommenen Gespräche
überlassen würden.«
»Ich dachte, die hören Sie ab!« Malvassovs Gesicht wurde
grimmig. »Ein Entführer wäre kaum so dämlich, sich per Telefon zu
melden, Marquanteur. Im Übrigen ist das alles Unsinn, was Sie sich
da ausgedacht haben.«
Ich zuckte die Achseln.
»Möglich. Aber ich warne Sie: Versuchen Sie nicht, auf eigene
Faust den Rächer zu spielen! Wir werden Ihnen genau auf die Finger
sehen, bei allem, was Sie tun!«
»Halten Sie mich für so dumm? Sie und Ihresgleichen träumen
doch nur davon, dass ich mich vergesse und wie ein Berserker durch
Marseille laufe. Dann könnten Sie mich endlich in Handschellen
legen! Aber Sie kennen mich schlecht, Monsieur Commissaire!
Verdammt schlecht!«
Einige Augenblicke lang herrschte eine angespannte
Stille.
François und ich wechselten einen kurzen Blick. Auf die Sache
mit der Entführung stieg Fernand Malvassov nicht ein. Ob der Russe
die Wahrheit sagte, war allerdings eine zweite Frage.
»Okay, gehen wir mal davon aus, Sie sagen die Wahrheit, dann
bleibt noch die Spur in Richtung Okkultismus«, nahm François das
Gespräch wieder auf. »Ihre Tochter hatte entsprechende Kontakte und
wurde mehrfach wegen Kirchen- und Grabschändung bestraft.«
Fernand Malvassov nickte. Er bedeckte einige Augenblicke lang
das Gesicht mit der rechten Hand, atmete schließlich tief durch und
schüttelte stumm den Kopf.
»Ich bin gläubig, Monsieur Marquanteur. Ich bin tiefgläubiger
Mensch, und meine Tochter ließ sich das Zeichen Satans zwischen die
Schulterblätter tätowieren, so dass man es immer sehen konnte, wenn
sie etwas tiefer ausgeschnittene Kleidung trug. Mater’ Bozh’ya! Zu
meiner Zeit trugen nur Sträflinge Tätowierungen, heute laufen
selbst Töchter aus gutem Hause damit herum. Aber dieses Zeichen …«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie wollte provozieren«, mischte sich Jerome ein. »Ich
glaube, sie hat das mit dem Satanismus gar nicht so richtig ernst
genommen. Das war ein Spaß für sie.«
»Jerome, wie redest du? Ist das ein Spaß, nachts in Kirchen
einzudringen und im Haus des Herrn – v dome boga! – abartige
Rituale mit Schweineblut durchzuführen, Grabsteine umzuwerfen oder
zu besudeln? Ist das ein Spaß?« Fernand Malvassov drehte sich um,
ging ein paar Schritte bis zur Fensterfront. Er blickte hinaus in
Richtung Wasser. Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
Schließlich fuhr der Russe in gedämpftem Tonfall fort: »Ich hatte
immer gehofft, dass Donata auf den rechten Weg zurückfindet. Schon
um ihrer Mutter willen.«
»Mit Ihrer Frau hätten wir auch gerne gesprochen«, sagte
ich.
»Das dürfte kaum möglich sein.«
»Warum?«
»Meine Frau ist seit längerem psychisch krank. Sie befindet
sich im Sanatorium in Saint Pierre. Falls Sie versuchen sollten,
Kontakt mit ihr aufzunehmen, werde ich alles tun, um das zu
verhindern.«
»Soll das seine Drohung sein?«
»Fassen Sie es auf, wie Sie wollen, Monsieur Marquanteur! Wenn
meine Frau von Donatas Tod erfährt, könnte das ihren Zustand sehr
verschlimmern. Und nun betrachte ich dieses Gespräch als beendet.«
Malvassov wandte sich an die Bodyguards, die die ganze Zeit über
gewartet hatten. »Bringt sie raus!«
»Moment!«, rief ich.
»Ihre Zeit ist um, Monsieur Commissaire. Ich gehe nicht davon
aus, dass Sie ernsthaft daran interessiert sind, den Mord an meiner
Tochter aufzuklären. Ich wüsste also nicht, worüber wir weiter zu
reden hätten.«
»Wir können das Gespräch gerne im Polizeigebäude fortsetzen«,
erwiderte ich. »Aber vielleicht sind Sie ja vernünftig und geben
uns doch noch ein paar Auskünfte.«
Fernand Malvassov lag eine Erwiderung auf der Zunge. Jerome
legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter. Der Russe beruhigte
sich daraufhin wieder etwas und schwieg. Jerome sagte ein paar
Sätze auf Russisch. Anschließend wandte er sich an uns.
»Mein Vater ist sehr mitgenommen von der Nachricht, die Sie
ihm überbringen mussten. Ich glaube, es wäre das Beste, wir setzen
das Gespräch ein anderes Mal fort. Ich werde in der Zwischenzeit
mit meinem Vater reden.«
Ich hatte eigentlich keine Lust, diesen Bandenchef so einfach
davonkommen zu lassen. Fernand Malvassov spielte mit falschen
Karten. Er verschwieg uns etwas. Aber François nickte mir leicht
zu.
»Geht schon in Ordnung!«
François hatte recht. Dieser Mann mochte ein übler Krimineller
sein. Aber in diesem Moment war er in erster Linie ein Vater, der
seine Tochter verloren hatte. Dafür hatte er Mitgefühl verdient,
was auch immer er auf dem Kerbholz haben mochte.
Jerome wechselte ein paar Sätze auf russisch mit den
Bodyguards und begleitete uns anschließend anstelle dieser
kampflustigen Gorilla-Meute zum Wagen.
»Ich sehe ein, dass Sie unsere Hilfe brauchen«, erklärte er,
als wir allein waren. »Im Grunde haben wir dasselbe Interesse: Der
Mord an meiner Schwester muss aufgeklärt werden.«
»Ihr Vater scheint das etwas anders zu sehen«, erwiderte
ich.
»Mein Vater gehört einer anderen Generation an. Er kam als
Einwanderer und musste sich nach oben kämpfen. Die Polizei war
dabei nicht immer ein Freund und Helfer für einen jungen Russen,
der es zu etwas bringen wollte. Ich hingegen bin hier geboren.«
Mir kommen die Tränen, dachte ich. Jetzt versuchte Jerome
seinen Vater als armes Opfer von polizeilicher Diskriminierung
darzustellen. Ehe ich etwas erwidern konnte, reichte Jerome
Malvassov mir eine Visitenkarte.
»Besuchen Sie mich in meinem Firmenbüro. Da können wir uns
vielleicht ungestört unterhalten, Monsieur Marquanteur.«
»Darauf werde ich bestimmt zurückkommen«, antwortete
ich.
6
»Was hältst du von dem Kerl?«, fragte François, nachdem wir
das abgezäunte Gelände rund um das Malvassov-Anwesen verlassen
hatten.
»Von wem sprichst du? Dem Vater oder dem Sohn?«
»Ich meine Jerome.«
»Ein aalglatter Typ. Ehrlich gesagt, kann ich mir noch keinen
Reim darauf machen, was für ein Spiel er spielt.«
»Ich habe das Gefühl, dass es gewisse Gegensätze zwischen
Vater und Sohn gibt, Pierre.«
»Ja, das glaube ich auch.«
»Vielleicht kommt ja wirklich etwas dabei heraus, wenn wir uns
mit ihm allein unterhalten. Und gleichgültig, womit Sordide Fernand
uns auch drohen mag – vielleicht werden wir doch noch mit Madame
Malvassov reden müssen!«
»Mal abwarten.«
Ich schaltete einen Gang höher und beschleunigte den
Sportwagen etwas.
»Sordide Fernand hat uns nach Strich und Faden belogen«, sagte
François. »Ich wette, es gab eine Entführung. Und ich wette auch,
dass der große Boss ganz genau weiß, wer dahinterstecken könnte.
Aber davon sagt er uns keinen Ton, weil er selbst mit den
Schuldigen abrechnen will.«
»Falls das stimmt, haben die Betreffenden keine besonders
große Lebenserwartung mehr.«
»Du sagst es.«
Ȇber eins komme ich allerdings bei Malvassov nicht hinweg,
François!«
»Worüber sprichst du?«
»Ich nehme Sordide Fernand ab, dass er als tiefgläubiger
Katholik über das Satans-Zeichen auf dem Rücken seiner Tochter
entsetzt war …«
»Mal ehrlich: Man muss doch kein Katholik sein, um davon nicht
begeistert zu sein, Pierre?«
»… aber dieser Kerl findet nichts dabei, mit dem Finger zu
schnipsen und eine Armee von Killern von der Kette zu lassen, wenn
ihm irgendein Gesicht nicht passt. Mal davon abgesehen, dass
seinetwegen Tausende Crack-Süchtige wie lebende Zombies durch die
Gegend gehen, bevor sie schließlich jämmerlich krepieren.«
»Sei fair, Pierre! Die Justiz konnte ihm nie etwas
nachweisen.«
»Dass du in diesem Zusammenhang von Fairness sprichst,
François, wundert mich. Wenn du mich fragst, ist nicht fair, dass
dieser Verbrecher seinen Kopf bislang immer aus der Schlinge ziehen
konnte.«
François zuckte die Achseln.
»Schätze, den Teil über Nächstenliebe hat der Russe in der
Bibel rasch überschlagen.«
7
Von der Deponie in La Blancarde aus machten sich Stéphane
Caron und unser Kollege Boubou Ndonga auf den Weg zu Donata
Malvassovs Marseiller Wohnung.
Sie lag in der Marseiller Speicherstadt in einem Gebäude, das
im Stil der sogenannten Cast Iron-Architektur errichtet worden war,
die von großen, zusammengeschweißten Metallplatten gekennzeichnet
wurde. Man imitierte damit den Stil von Fabrik- und Lagerhallen,
die diesen Stadtteil ursprünglich geprägt hatten. In den sechziger
und siebziger Jahren hatten sich viele Künstler hier
niedergelassen, die in den Achtzigern von den Yuppies verdrängt
worden waren. Aber in den wenigen Häusern, die noch existierten und
die wie Industriebauten aussahen, zu wohnen, war immer noch hip vor
allem bei jungen Leuten.
Donata Malvassovs Wohnung lag im vierten Stock. Die Kollegen
Stéphane und Boubou ließen sich mit dem Aufzug hinauffahren.
Ein Team des Erkennungsdienstes war verständigt worden und auf
dem Weg hierher. Es würde dafür sorgen, dass Donatas Zimmer
erkennungsdienstlich genauestens unter die Lupe genommen
wurde.
Unsere Kollegen erreichten die massive Stahltür. Sie stand
einen Spalt offen. Am Zustand des Schlosses war zu sehen, dass sie
gewaltsam geöffnet worden war.
Stéphane und Boubou wechselten einen kurzen Blick. Beide
griffen zu den Dienstpistolen vom Typ SIG Sauer P 226 und
postierten sich rechts und links der Tür. Offenbar gab es noch
jemanden, der sich für die Wohnung von Donata Malvassov
interessierte.
Boubou öffnete mit einem Tritt die Tür. Sie flog zur
Seite.
Stéphane stürzte mit der SIG im Anschlag in den Raum.
»FoPoCri! Hände hoch!«, rief er.
Boubou sicherte ihn von hinten.
Donata Malvassovs Wohnung war etwa zweihundert Quadratmeter
groß und bestand aus einem einzigen Raum. Das Inventar war fast
ausschließlich in den Farben schwarz und weiß gehalten. Von der
Decke hing ein Mobilé. Totenschädel in unterschiedlicher Größe
baumelten an hauchdünnen Fäden. Beim geringsten Luftzug tanzten sie
wild durcheinander. In der Mitte des Raumes befand sich eine
Regalwand. In den Regalen standen ein paar Bücher, außerdem mehrere
Kristallkugeln, Tierschädel und Geistermasken.
Hinter der Regalwand bewegte sich etwas. Eine Gestalt tauchte
hervor. MP-Feuer knatterte los.
Kristallkugeln und Tierschädel wurden aus dem Regal
gefeuert.
Stéphane warf sich zu Boden. Im Fallen schoss er die SIG ab,
rollte sich dann herum, während neben ihm die Kugeln den
Teppichboden zerfetzten.
Boubou konnte gerade zwei Schüsse in Richtung des MP-Schützen
abfeuern. Der Commissaire zuckte zurück. Neben der Tür fand er
Deckung, presste sich gegen die Wand.
»Durchs Fenster!«, rief jemand.
Offenbar war außer dem MP-Schützen noch jemand hinter den
Regalen. Die MP knatterte erneut los. Diesmal in die andere
Richtung. Fensterscheiben zersprangen. Ein schwarz gekleideter Mann
sprang nach draußen, krümmte sich dabei wie ein Embryo zusammen. Er
rollte sich auf dem etwa anderthalb Meter tiefer gelegenen Dach des
Nachbargebäudes ab, rappelte sich auf.
Der MP-Schütze ballerte noch einmal mit seiner Waffe durch den
Raum.
Stéphane hechtete sich hinter eine niedrige Ledercouch.
Gut ein Dutzend MP-Kugeln rissen die Polster auf.
Boubou tauchte aus seiner Deckung hervor, ging volles Risiko
und feuerte seine SIG ab. Der MP-Schütze wurde am Oberkörper
erwischt, taumelte und fiel zu Boden. Die Regalwand riss er mit
sich.
Stéphane sprang auf. Mit der SIG in der Rechten lief er auf
den am Boden liegenden MP-Schützen zu. Der Kerl war zweifellos
tot.
»Alles klar, Stéphane?«, fragte Boubou, der ebenfalls
herbeieilte.
»Mit mir schon!«, erwiderte der Commissaire.
»Ich kauf mir den zweiten Mann!«, versprach Boubou. Er wandte
sich der zerschossenen Fensterfront zu.
Von dem Flüchtenden war nichts zu sehen.
Boubou schwang sich aus dem Fenster und landete auf dem
angrenzenden Dach des Nachbarhauses. Er rannte in geduckter Haltung
vorwärts. Die Schräge und der rutschige Untergrund sorgten dafür,
dass Boubou sein Tempo bremsen musste, wollte er nicht hinunter
stürzen.
Stéphane Caron verständigte inzwischen unsere Zentrale.
Boubou erreichte das Ende des Dachs, blickte hinab. Sofort
zuckte er zurück, als auf ihn geschossen wurde. Dicht zischte das
Projektil an seinem Kopf vorbei.
Eine Außentreppe führte hinunter in einen Hinterhof. Boubou
hörte die schnellen klappernden Schritte auf den Metallrosten, aus
dem die Außentreppe bestand. Er blickte über den Dachvorsprung. Der
Commissaire sah kurz das Gesicht des Flüchtenden. Es war zu einer
Maske der Angst erstarrt. Umrahmt wurde es von gelocktem Haar. Ein
dünner Oberlippenbart gab dem unteren Teil des Gesichts Kontur.
Boubou schätzte den Kerl auf nicht älter als 25 Jahre. Er stand auf
einem Treppenabsatz und ballerte in die Höhe.
Boubou feuerte zurück.
Es machte klick. Der Flüchtende hatte das Magazin seiner Waffe
offenbar leergeschossen. In Panik lief er weiter.
»Stehenbleiben!«, rief Boubou.
Der Commissaire landete mit einem Satz auf dem obersten Absatz
der Außentreppe. Boubou nahm immer mehrere Stufen auf einmal und
hetzte weiter hinunter.
Der Lockenkopf war inzwischen mit einem tollkühnen Sprung auf
dem Asphaltbelag gelandet. Er schrie auf, rollte sich einigermaßen
geschickt auf dem Boden ab, wie man es in Selbstverteidigungskursen
beigebracht bekam. Der Flüchtende hielt sich kurz den Fuß, rappelte
sich auf und hetzte weiter.
Boubou feuerte einen Warnschuss ab.
»Bleiben Sie stehen, Mann!«
Der Lockenkopf dachte gar nicht daran. Keuchend rannte er
weiter. Er riss das leere Magazin aus dem Griff seiner Pistole
heraus, schleuderte es von sich und griff in die Jackentasche, um
ein neues hervor zu holen.
Der Hinterhof wurde von drei Seiten durch Gebäude
unterschiedlicher Höhe begrenzt. Einige Pkw parkten hier. Außerdem
standen auf der linken Seite einige überfüllte Müllcontainer. Auf
der vierten Seite befand sich eine zwei Meter hohe Mauer, die von
einer Zufahrt zur Straße unterbrochen wurde.
Eine Schranke versperrte den Weg. Nur wer die richtige
Chipcard hatte, konnte mit dem Wagen hindurch.
Der Lockenkopf lief in Richtung der Müllcontainer. Er schob
hastig das frische Magazin in die Waffe, wirbelte herum und feuerte
in Boubous Richtung.
Der Commissaire hatte gerade den letzten Absatz der
Außentreppe erreicht. Für seinen Gegner war er ein Ziel wie auf dem
Präsentierteller.
Boubou duckte sich, feuerte zurück. Dicht zischten die Kugeln
des Lockenkopfs an ihm vorbei. Manche wurden von den Metallstreben
der Außentreppe als tückische Querschläger weitergeschickt.
Der Lockenkopf rettete sich inzwischen hinter einen
Mercedes.
Boubou nahm die letzten Stufen mit einem Sprung. Der
Lockenkopf tauchte kurz aus seiner Deckung hervor, aber Boubou
rettete sich hinter einen Chevy. Dessen Seitenscheiben zerbarsten
Augenblicke später unter dem Beschuss des flüchtigen
Gangsters.
Der Lockenkopf rollte sich unter den parkenden Fahrzeugen
hinweg.
Stéphane Caron hatte inzwischen die Außentreppe erreicht,
hetzte mit weiten Schritten hinunter.
Im Hintergrund waren die Sirenen der Einsatzfahrzeuge zu
hören. Verstärkung war also im Anmarsch.
Der Lockenkopf tauchte plötzlich zwischen zwei parkenden
Fahrzeugen hervor und feuerte auf Stéphane. Stéphane duckte sich
und feuerte zurück.
Boubou schnellte ebenfalls aus seiner Deckung hervor und
schoss.
Der Lockenkopf duckte sich und rannte zu den Müllcontainern.
Im nächsten Moment war er hinter ihnen verschwunden.
Boubou setzte zu einem Spurt an. Er verständigte sich mit
Stéphane durch ein paar Handzeichen.
Von zwei verschiedenen Seiten pirschten sich die beiden
Commissaires langsam an die Müllcontainer heran. Sie trafen dabei
auf kein Gegenfeuer mehr.
Vorsichtig schlich Boubou vorwärts, hielt sich dabei dicht an
einem der Container. Als er ihn umrundet hatte, schnellte er mit
der Waffe im Anschlag hervor.
Eine Gestalt tauchte von der anderen Seite her auf.
»Stéphane!«, entfuhr es Boubou. Unser Kollege senkte die
Waffe.
Von dem Lockenkopf war nichts zu sehen.
Stéphane machte ein ziemlich ratloses Gesicht.
»Verdammt, wo ist der Kerl?« Er blickte sich suchend um.
»Jedenfalls kann er sich nicht in Luft aufgelöst haben«,
brummte Boubou. Auch er ließ den Blick schweifen. Schließlich
deutete er zu einem Rost, der den Schacht zu einem Kellerfenster
schützte.
Boubou machte zwei schnelle Schritte darauf zu, bückte sich
und hob mit einem Ruck den Rost an. Er schleuderte ihn zur Seite.
Der Schacht war etwa ein Meter fünfzig tief. Das kaum gesicherte
Kellerfenster war eingetreten worden.
»Bingo«, flüsterte Boubou. Er nahm die SIG mit beiden Händen.
Ein Satz und er war unten im Schacht. Im Inneren des Kellers
herrschte Halbdunkel. Ein Geruch stieg von dort unten empor.
Gas!
Stéphane sah, wie selbst das Gesicht unseres Kollegen ziemlich
blass wurde.
»Hey, was ist los, Boubou?«
»Hinlegen!«
Boubou schwang sich aus dem Schacht, presste sich auf den
Boden.
Im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubendes
Explosionsgeräusch. Der Keller verwandelte sich in einen Glutofen.
Glut und Hitze schossen aus dem Kellerfenster heraus.
Genau wie Boubou hatte sich Stéphane flach auf den Boden
gelegt, in der Hoffnung, nicht allzu viel abzubekommen.
Risse bildeten sich im Gemäuer.
Boubou und Stéphane rappelten sich auf, spurteten los und
entfernten sich so schnell wie möglich vom Explosionsort.
»Der Kerl muss verrückt geworden sein!«, stieß Boubou hervor.
»Sich selbst in die Luft zu jagen!«
Stéphane zuckte die Achseln. Sein Griff ging zum Handy. Außer
den Verstärkungskräften von der Polizei und FoPoCri musste jetzt
auch die Feuerwehr gerufen werden.
»Oben in Donata Malvassovs Wohnung wartet übrigens noch eine
Überraschung«, sagte Stéphane, bevor er Verbindung bekam.
Boubou hob die Augenbrauen.
»Wovon sprichst du?«
»Im Bad liegt ein Toter. Während ich die Verstärkung rief,
warf ich einen kurzen Blick hinein und sah den Kerl in der vollen
Wanne liegen.«
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