Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieser Band enthält folgende Krimis: (399) Grausame Rache (Alfred Bekker) Stirb, Schnüffler (Alfred Bekker) Steve Tierney nahm das Diktiergerät zur Hand und versuchte zum letzten Mal, endlich seinen Bericht abzuschließen. Aber im Grunde wußte er, daß es auch diesmal nichts werden würde. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Als sein Blick seitwärts ging, sah er seine eigene Hand ein wenig zittern. Ich bin schon weit gekommen! durchfuhr es ihn. Er atmete tief durch, erhob sich von seinem unbequemen Bürostuhl und legte das Diktiergerät auf den unaufgeräumten Schreibtisch. Tierneys Büro lag in der Lower East Side, weil er sich nichts Teureres leisten konnte. Doch jetzt hatte er vielleicht die Chance, den Aufstieg vom Schmalspur-Schnüffler zum Gentlemen-Ermittler zu schaffen. Aber die Sache war noch nicht sicher. Sie stand auf Messers Schneide und wenn er Pech hatte, schnitt ihm dieses Messer am Ende die Kehle durch. Tierney mußte höllisch aufpassen und wußte das auch. Aber die Versuchung war einfach zu groß gewesen. Eine solche Chance gab es nicht zweimal... Tierney trat ans Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Es war schon spät. Eigentlich hatte er längst zu Hause sein wollen, aber in seinem Job durfte man nicht auf die Uhr schauen. Er dachte plötzlich an seine Frau Karen und an Michael, seinen Sohn, der in ein paar Wochen zehn Jahre alt wurde. Um ihretwillen hätte ich mich nie auf diese verdammte Geschichte einlassen sollen! ging es ihm schmerzhaft durch den Kopf. Aber jetzt war es zu spät dafür, irgend etwas zu bereuen. Jetzt mußte er die Sache durchstehen und hoffen, daß alles gut ging. Wenn die Sache ausgestanden war, würden sie alle drei davon profitieren und eine bessere Zukunft haben. Keine nächtlichen Observationen von untreuen Ehemännern mehr, kein stundenlanges Herumlungern in der Nähe von Geldautomaten mehr, um irgendwelchen Scheckkartenbetrügern auf die Spur zu kommen...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 241
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Zum siebten Mal 2 superspannende Strandkrimis Juni 2023
Copyright
Grausame Rache
Stirb, Schnüffler!
Dieser Band enthält folgende Krimis:
(399)
Grausame Rache (Alfred Bekker)
Stirb, Schnüffler (Alfred Bekker)
Steve Tierney nahm das Diktiergerät zur Hand und versuchte zum letzten Mal, endlich seinen Bericht abzuschließen. Aber im Grunde wußte er, daß es auch diesmal nichts werden würde. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Als sein Blick seitwärts ging, sah er seine eigene Hand ein wenig zittern.
Ich bin schon weit gekommen! durchfuhr es ihn. Er atmete tief durch, erhob sich von seinem unbequemen Bürostuhl und legte das Diktiergerät auf den unaufgeräumten Schreibtisch. Tierneys Büro lag in der Lower East Side, weil er sich nichts Teureres leisten konnte. Doch jetzt hatte er vielleicht die Chance, den Aufstieg vom Schmalspur-Schnüffler zum Gentlemen-Ermittler zu schaffen. Aber die Sache war noch nicht sicher. Sie stand auf Messers Schneide und wenn er Pech hatte, schnitt ihm dieses Messer am Ende die Kehle durch. Tierney mußte höllisch aufpassen und wußte das auch. Aber die Versuchung war einfach zu groß gewesen. Eine solche Chance gab es nicht zweimal...
Tierney trat ans Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Es war schon spät. Eigentlich hatte er längst zu Hause sein wollen, aber in seinem Job durfte man nicht auf die Uhr schauen.
Er dachte plötzlich an seine Frau Karen und an Michael, seinen Sohn, der in ein paar Wochen zehn Jahre alt wurde. Um ihretwillen hätte ich mich nie auf diese verdammte Geschichte einlassen sollen! ging es ihm schmerzhaft durch den Kopf. Aber jetzt war es zu spät dafür, irgend etwas zu bereuen. Jetzt mußte er die Sache durchstehen und hoffen, daß alles gut ging. Wenn die Sache ausgestanden war, würden sie alle drei davon profitieren und eine bessere Zukunft haben. Keine nächtlichen Observationen von untreuen Ehemännern mehr, kein stundenlanges Herumlungern in der Nähe von Geldautomaten mehr, um irgendwelchen Scheckkartenbetrügern auf die Spur zu kommen...
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / CoVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter
https//twitter.com/BekkerAlfred
Zum Blog des Verlags geht es hier
https//cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
Thriller von Alfred Bekker (Henry Rohmer)
Der Umfang dieses Ebook entspricht 114 Taschenbuchseiten.
Einige Männer, die allesamt in dunkle Geschäfte verwickelt sind, werden grausam zu Tode gefoltert. Erst glauben die Ermittler an Machtkämpfe innerhalb des organisierten Verbrechens. Aber schließlich wird klar, dass hier ein persönliches Motiv vorliegen muss.
Es geht um ein grausames Verbrechen aus der Vergangenheit - und die ebenso grausame Rache dafür.
Ein Thriller von Henry Rohmer.
HENRY ROHMER ist das Pseudonym des Schriftstellers ALFRED BEKKER, der vor allem durch seine Fantasy-Romane und Jugendbücher einem großen Publikum bekannt wurde. Daneben schrieb er Krimis und historische Romane und war Mitautor zahlreicher Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2015 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
postmaster @ alfredbekker . de
In der Fabrikhalle herrschte Halbdunkel. Nur durch eine hohe Fensterreihe fiel etwas Licht herein. Der Geruch von Altöl hing in der Luft.
Es war kühl.
John Delgrew fröstelte in seinem dünnen Cool-Wool-Anzug.
Er blickte sich um. Mit der Linken trug er einen Diplomatenkoffer, die Rechte war immer in der Nähe der Beretta, die in seinem Quick-Draw-Holster steckte.
"Hey, Menendez, wo steckst du?", rief er. In einer vom Licht beschienen Zone bemerkte er einen dunkelroten Fleck auf dem Betonboden. Frisches Blut...
Ein surrendes Geräusch ließ Delgrew zusammenzucken. Er riss die Waffe hervor. Jemand hatte einen Hebekran aktiviert.
Ein nur als Schattenriss sichtbares Bündel hing am Haken.
Langsam wurde es herabgelassen.
Als das Licht darauf fiel, erstarrte Delgrews Gesicht zur Maske.
"Menendez!"
Die Leiche war blutüberströmt. Dutzende von Einschüssen hatten Menendez' Kleidung zerfetzt. Das Gesicht war jedoch unverletzt. Aus diesem Grund hatte Delgrew es auch sofort erkannt.
"Scheiße", flüsterte er, wich einen Schritt zurück.
"Die Waffe weg!", brüllte eine Stimme von hinten. Delgrew wirbelte herum, blickte in die Schattenzone auf der anderen Seite der Halle. Panik keimte in ihm auf. Delgrew schoss seine Waffe ab, zog immer wieder den Stecher durch. Er feuerte blindlings drauflos und hielt dabei in die Schattenzone oben auf der Balustrade.
Der Puls schlug ihm bis zum Hals.
Sekundenbruchteile später wurde von der anderen Seite auf ihn gefeuert.
Auch dort gab es eine Zone, die im Schatten lag.
Eine MPi ratterte los.
Das Mündungsfeuer blitzte in der Dunkelheit auf.
Die Kugeln schlugen dicht rechts und links neben Delgrew in den Betonboden, sprengten kleine Stücke heraus.
Delgrew dachte einen Augenblick lang daran, zurück bis zum Eingangstor zu laufen. Aber seine Angst war zu groß. Etwa zwanzig Meter lagen zwischen ihm und dem Tor. Zwanzig Meter, auf denen er eine leicht zu treffende Zielscheibe gewesen wäre. Delgrew ließ die Waffe fallen.
"Nicht schießen!", kreischte er.
"Stell den Koffer hin!", wies ihn eine andere Stimme an.
Eine weibliche Stimme.
Delgrew schluckte, ließ den Blick schweifen und versuchte in den dunklen Schatten etwas zu sehen.
Vergebens.
"Ihr seid scharf auf das Geld, ja?", rief er und hielt den Koffer empor. "Hier ist es! Nehmt es euch! Ich habe nichts dagegen! Aber lasst mich..."
Eine weitere MPi-Salve wurde abgefeuert.
Die Projektile zischten über Delgrews Kopf hinweg und perforierten das Hallentor.
Delgrew zitterte. Er stellte den Koffer auf den Boden und hob die Hände.
Eine halbe Million Dollar, ging es ihm durch den Kopf. Wenn ich diese Schweinehunde mal in die Finger kriege, haben die nichts zu lachen!
Erneut ertönte jetzt ein surrendes Geräusch. Ein zweiter Hebekran war aktiviert worden. Er bewegte sich auf den unter der Decke befestigten Schienen und positionierte sich so, dass er ziemlich genau über Delgrews Kopf zum Stillstand kam. Der Haken wurde herabgelassen. Es hing etwas daran. Delgrew sah im Licht kurz etwas Metallisches funkeln.
Handschellen!
Der Haken senkte sich etwa bis auf Delgrews Augenhöhe.
"Nimm die Handschellen!", kam die Anweisung, diesmal wieder von der männlichen Stimme.
Delgrew gehorchte. Er dachte an Menendez, der tot an dem anderen Haken baumelte. Panik lähmte ihn.
Du hast keine Chance, durchzuckte es ihn.
Er zermarterte sich das Hirn darüber, wem er in letzter Zeit wohl dermaßen auf die Füße getreten war, dass er sich eine so grausame Rache ausgedacht hatte. Delgrew ließ die Handschellen einrasten.
Die Stimmen - hast du sie schon einmal gehört?, fragte Delgrew sich. An die der Frau konnte er sich nicht erinnern, aber an die Männliche. Verdammt, wenn ich nur wüsste, wo und in welchem Zusammenhang, durchzuckte es ihn. Muss wohl schon länger her sein...
Die nächste Anweisung folgte. Wieder von der männlichen Stimme. "Leg...das...Zwischenstück...der Handschellen...in den Haken!"
Die abgehackte Sprechweise fiel Delgrew auf.
"Verdammt, was soll das denn?", zeterte er. "Im Koffer ist eine halbe Million Dollar! Ihr könnt die Greenbucks haben!"
Die MPi knatterte wieder los. Delgrew zuckte zusammen. Haarscharf neben ihm schlugen die Projektile ein. Keines hatte ihn jedoch getroffen. Offenbar wollen sie mich nicht töten, ging es ihm durch den Kopf. Noch nicht...
Er gehorchte, legte das Zwischenstück der Handschellen in den Haken. Mit einem Surren wurde der Haken empor gezogen.
"Was soll das denn, was habt ihr vor?", rief er.
Sekunden später hatte er den festen Boden unter den Füßen verloren und hing mit zusammengeketteten Händen am Haken. Er schrie. Die Handschellen schnitten sich in seine Arme hinein. Es tat höllisch weh.
Als Delgrew etwa zwei Meter über dem Boden hing, stoppte der Kran die Aufwärtsfahrt.
Einige Augenblicke lang geschah nichts.
"Hey, ihr wollt mich doch so nicht hängen lassen, oder?", kreischte Delgrew.
Keine Antwort. Er hörte Schritte.
Eine Frau mit weißblonden Haaren trat aus dem Schatten heraus. Sie näherte sich Delgrew.
Ihre Schritte hallten auf dem kahlen Betonboden wider. Sie trug einen knappen Ledermantel, der so gut wie alles von den langen, wohlgeformten Beinen freiließ. Mit der Linken hielt sie eine kurzläufige MPi vom Typ Uzi.
Sie trat ins Licht, sodass John Delgrew sie sehr genau sehen konnte. Mit einem kalten Lächeln musterte sie ihn.
"Erkennst du mich nicht?", fragte sie.
Schweißperlen standen auf Delgrews Stirn. "Nein, keine Ahnung, wer du bist!"
"Ich bin Candy! Und jetzt behaupte nicht, dass du dich nicht an mehr an mich erinnerst..."
"Verdammt, lass mich hier runter! Meine Hände sterben ab!"
"Hat man dir nie erzählt, dass man für seine Sünden ins Fegefeuer kommt, John Delgrew?"
"Hey, woher kennst du meinen Namen?"
"Du bist jetzt schon in der Hölle angekommen, John!"
"Was?"
"Du weißt es nur noch nicht. Ich habe dir übrigens in dieser Beziehung etwas voraus. Ich war nämlich schon dort..."
"Scheiße, wovon redest du eigentlich?"
"Von der Hölle!"
Die Frau, die sich Candy genannt hatte, riss ihre MPi empor und feuerte.
Sie hielt in Delgrews Richtung.
Dutzende von Kugeln ließen seinen Körper zucken und sich winden. Sein Todesschrei erstarb rasch.
Candys hübsches Gesicht wurde zu einer hassverzerrten Maske. Sie feuerte, bis die letzte Kugel ihres Magazins verschossen war.
Dann herrschte Stille.
John Delgrews Leiche baumelte leicht hin und her.
Milo blickte auf die Uhr.
Ich wurde auch langsam ungeduldig.
"John Delgrew scheint es sich anders überlegt zu haben", meinte mein Kollege.
Ich zuckte die Achseln, ließ dabei den Blick schweifen.
Wir saßen in einem Straßencafé in Greenwich Village. Delgrew hatte diesen Treffpunkt vorgeschlagen.
Er war Teilhaber einer Nobeldiskothek mit dem Namen "Bailando" in Spanish Harlem. Trotz seines englisch klingenden Namens war Delgrew alles andere als ein gewöhnlicher "Anglo-White American". Seine Mutter stammte aus Puerto Rico, sein Vater aus Argentinien.
Wir waren auf das "Bailando" im Zuge der Ermittlungen gegen einige Bosse des organisierten Verbrechens aufmerksam geworden, die den Latino-Glitzerladen offenbar bevorzugt zur Geldwäsche nutzten. Außerdem diente die Diskothek als Drogenumschlagplatz. Neben dem unvermeidlichen Kokain gab es vor allem sogenannte Designer-Drogen. Künstlich hergestellte und gewissermaßen für den Konsumenten chemisch maßgeschneiderte Substanzen, von denen die meisten illegal waren.
Allerdings hinkt die Justiz beim Verbot derartiger Stoffe erheblich hinterher, da laufend neue Chemikalien auf den wachsenden Markt geworfen werden.
Meistens werden sie in Form von Tabletten verkauft.
"Ecstasy" ist das bekannteste Beispiel dafür.
Die Wenigsten wissen, was für Nebenwirkungen sie sich bei dem Konsum dieser Drogen einhandeln können. Dauerhafte Hirnschäden, Realitätsverfall oder Veränderungen der Persönlichkeit sind keine Seltenheit.
Leider wussten wir nicht, wer der große Lieferant war, der das "Bailando" und ein paar Dutzend anderer Diskotheken mit den gefährlichen Pillen belieferte.
Angeblich kannte John Delgrew auch nur die kleinen Dealer, jedoch nicht die Hintermänner. Aber er hatte sich bereit erklärt, für uns als V-Mann zu fungieren. Wahrscheinlich hegte er die Hoffnung, dass die Justiz ihm bei seinen Geldwäschegeschäften freie Hand lassen würde. Da erhoffte er sich allerdings wohl etwas zu viel. Außerdem gab es da noch Lester Reyes und Paco Garcia, seine Teilhaber. Nach Delgrews Angaben steckten beide bis zum Hals in den Drogengeschäften mit drin. Offenbar wollte Delgrew seine Partner lieber heute als morgen aus dem Weg geräumt haben und erhoffte sich dabei die Mithilfe des FBI.
Bis jetzt war Delgrew während unserer Zusammenarbeit immer zuverlässig gewesen. Heute allerdings hatte er sich bereits eine Viertelstunde verspätet.
Milo trank seinen Milchkaffee aus. "Vielleicht hat Delgrew es sich anders überlegt!"
Ich hob die Augenbrauen. "Fragt sich nur, wer ihn dazu überredet hat!"
"Ich verstehe das nicht..."
"Er wäre nicht der Erste, der plötzlich kalte Füße bekommt..."
Der Kellner kam plötzlich an unseren Tisch heran.
"Sie wollten sich mit Mister Delgrew treffen?", fragte er.
"Das ist richtig", nickte ich.
"Uns erreichte gerade ein Anruf. Sie sollen sich in die Subway-Station an der nächsten Ecke begeben."
Der Kellner deutete mit der Hand. Das Subway-Schild war deutlich zu sehen.
"Mister Delgrew erwartet Sie an Bahnsteig 2."
Milo und ich wechselten einen kurzen Blick.
"Mir scheint, Delgrew dreht jetzt vollkommen durch", meinte Milo.
"Sie müssen sich allerdings beeilen", erklärte der Kellner. "Mister Delgrew sagte mir, dass er den Zug um 13.57 Uhr Richtung Midtown Manhattan nehmen wollte. Er wartet jetzt auf dem Bahnsteig."
Es blieben uns keine fünf Minuten. Ich bezahlte unsere Rechnung. Wir liefen die wenigen Schritte zur Subway-Station. Die Rolltreppe war uns zu langsam. Wir nahmen immer mehrere Stufen mit einem Schritt, drängten uns zwischen den Passanten hindurch.
Wenig später hatten wir Bahnsteig 2 erreicht. Hunderte von Menschen warteten darauf, Richtung Midtown Manhattan mitgenommen zu werden.
Wir blickten uns um.
"Wäre ein Kunststück, ihn hier, in diesem Gewimmel zu finden", rief ich Milo zu.
Irgendetwas war faul an der Sache. Das hatte ich im Gefühl.
Der Zug lief ein. Die Menschen drängten zu den Schiebetüren der Subway-Waggons.
Ich blickte auf die Uhr. Exakt eine Minute und dreißig Sekunden lang würde der Zug im Bahnhof halten, bevor er seinen Weg planmäßig fortsetzte.
"Jesse, da hat uns einer aufs Kreuz gelegt", raunte Milo mir zu.
Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit einer Zeitung fiel mir auf. Er hielt die Zeitung so, dass man die rechte Hand nicht sehen konnte. Die Augenpartie wurde durch eine Sonnenbrille mit Spiegelgläsern verdeckt. Das Haar war grau und kurzgeschoren. Die muskulöse Bodybuilderfigur drohte den 500-Dollar-Anzug beinahe zu sprengen.
Der Grauhaarige blickte kurz zur Seite. Dort befand sich ein zweiter Mann, schwarzhaarig, mit dünnem Oberlippenbart und dunklem Teint. Unter dem engsitzenden Jackett malte sich ein Schulterholster ab. Der Mann mit dem Oberlippenbart nickte dem Grauhaarigen zu. Beide Männer fielen schon dadurch auf, dass sie außer uns so ziemlich die Einzigen auf dem Bahnsteig waren, die nicht im Strom Richtung der Subway-Waggons mitschwammen.
Ein älterer Herr mit dicker Brille rempelte den Grauhaarigen aus Versehen an. Für Sekundenbruchteile sah ich etwas Dunkles, Metallisches unter der Zeitung hervortauchen.
Die Mündung einer Waffe oder ein Schalldämpfer...
"Vorsicht Milo!", rief ich, griff unter meine Jacke und riss die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P226 hervor.
Der Grauhaarige ließ die Zeitung zur Seite gleiten, richtete eine Automatik mit aufgeschraubtem Schalldämpfer in meine Richtung und feuerte. Das Schussgeräusch war nicht zu hören.
Milo und ich duckten uns. Die erste Kugel zischte dicht über unsere Köpfe hinweg, ließ eines der Kunstglasfenster des Subway-Triebwagens zerspringen. Passanten stießen entsetzte Schreie aus.
Nur der Bruchteil einer Sekunde blieb mir, um abzuwägen, ob ich zurückfeuern sollte. Normalerweise verbot sich ein Schusswaffengebrauch unter diesen Bedingungen. Schließlich waren wir von viel zu vielen Passanten umgeben. Andererseits nahm dieser Killer darauf keinerlei Rücksicht.
Wenn er ein zweites oder gar drittes Mal zum Schuss kam, war die Gefährdung der Passanten vielleicht noch viel größer.
Ich schoss.
Meine Kugel traf den Grauhaarigen am Oberkörper, schleuderte ihn zurück. Die Waffe meines Gegners wurde dadurch nach oben gerissen. Seine Hand krampfte sich zusammen. Ein Schuss löste sich, ging aber weit über die Köpfe der Passanten hinweg. Die Anzeigetafel wurde getroffen.
Ein zischendes Geräusch ließ viele der Fahrgäste verwundert aufsehen. Offenbar wurde durch diesen Treffer ein Kurzschluss verursacht. Ein Teil der Beleuchtung fiel aus.
Der grauhaarige Killer stürzte rückwärts zu Boden. Ich schnellte hinterher.
Die Türen der Waggons schlossen inzwischen selbsttätig. Der Zug fuhr ab.
Milo richtete seine Waffe auf den Mann mit dem Oberlippenbart, der eine Beretta aus dem Schulterholster gerissen hatte.
"Machen Sie Platz, FBI!", rief Milo.
Passanten stoben auseinander.
Milo feuerte einen Warnschuss ab.
Der Mann mit dem Oberlippenbart rannte davon. Er rempelte rücksichtslos Passanten beiseite und strebte in Richtung der Rolltreppen.
Milo setzte nach.
"Waffe weg!", sagte ich inzwischen zu dem Grauhaarigen.
Er lag auf dem Rücken, seine Brust war rot. Ein röchelnder Laut kam ihm über die Lippen. Die Rechte hielt noch immer die Schalldämpfer-Automatik umklammert. Sein Arm zuckte. Offenbar hatte er immer noch nicht aufgegeben.
Ich kickte ihm die Waffe aus der Hand. Sie rutschte über den Boden. Der Lauf meiner SIG zeigte auf sein Gesicht.
Mit der freien Hand griff ich zum Handy. Der grauhaarige Killer brauchte dringend einen Notarzt.
Milo hetzte inzwischen hinter dem Komplizen her, drängte sich durch die Passanten, die die Rolltreppe verstopften. Der Mann mit dem Oberlippenbart sprintete in Richtung des Straßencafés, in dem wir auf Delgrew gewartet hatten. Milo folgte ihm. Vierzig, fünfzig Meter lagen zwischen ihnen. Der Killer hatte ein Handy am Ohr, nahm den Apparat jetzt herunter. Er drehte sich herum und bemerkte Milo.
Der Killer feuerte sofort. Milo duckte sich hinter einem parkenden Fahrzeug. Zurückzuschießen war unmöglich. Mindesten dreißig Personen hatten in dem Straßencafé Platz genommen und auf diese Entfernung war es nicht so leicht einen Gegner mit einem exakten Treffer auszuschalten.
Ein metallicfarbener Chevrolet hielt ganz in der Nähe. Der Killer spurtete auf diesen Wagen zu. Augenblicke später erreichte er ihn. Er riss die Tür hinten rechts auf und hechtete sich förmlich ins Wageninnere. Mit quietschenden Reifen fuhr der Chevy davon.
Milo setzte noch zu einem Spurt an. Als er für einen Moment freies Schussfeld hatte, zielte er mit der SIG auf die Reifen. Sein Schuss stanzte ein Loch in die Stoßstange hinein.
Der Wagen bog quietschend in die nächste Einfahrt.
"Verdammt", murmelte Milo vor sich hin. Der Kerl war ihm erst einmal durch die Lappen gegangen.
Wir standen immer noch auf dem Subway-Bahnsteig. Inzwischen waren die Kollegen der City Police eingetroffen und sperrten das gesamte Gelände weiträumig ab. Es ging darum, eventuell vorhandene Spuren zu sichern. Verschossene Projektile und dazugehörige Patronenhülsen zum Beispiel. Die Beamten der Scientific Research Division waren unterwegs. Sie würden die Feinarbeit leisten müssen. Milo hatte sich die Nummer des Chevy gemerkt, mit dem der zweite Killer geflohen war. Leider ergab eine entsprechende Halterabfrage wenig später, dass das Nummernschild offenbar falsch war. Der Emergency Service brachte den Grauhaarigen in das nur ein paar Straßen entfernte Bethesda Hospital. Bei ihm kam jede Hilfe zu spät. Nur etwa eine halbe Stunde später erreichte uns die Nachricht, dass er bei der Notoperation verstorben war.
Ich hatte offenbar zu gut getroffen.
Andererseits war ich in der Situation dazu gezwungen gewesen, den Grauhaarigen mit nur einem einzigen Schuss wirkungsvoll auszuschalten.
Immerhin hatten wir ihm noch am Tatort das Handy abnehmen können. Bevor sich die Kollegen der Scientific Research Division, des Zentralen Erkennungsdienstes aller New Yorker Polizeieinheiten, mit dem Ding eingehend befassen würden, nahm ich es mir erst einmal vor.
Natürlich zog ich mir Latexhandschuhe dafür an.
Ich durchsuchte das Menü nach bekannten Nummern in den Anruflisten. Eine einfache aber sehr wirkungsvolle Fahndungsmethode.
Ich wurde auch fündig.
"Bingo!", sagte ich an Milo gerichtet.
"Was hast du ausgegraben?"
"Der grauhaarige Killer wurde etwa zehn Minuten, bevor hier die Schießerei losging, von einer Nummer angerufen, die mir bekannt vorkommt."
Ich nahm mein eigenes Handy hervor, tippte mit dem Daumen etwas darauf herum. Und siehe da, mein Erinnerungsvermögen hatte mich nicht getrogen. "Es ist die Nummer des Bailando, Milo!"
"Wir schauen dort am Besten so schnell wie möglich vorbei", schlug Milo vor. "Dieser Delgrew kann was erleben, wenn wir ihn in die Finger kriegen."
"Du meinst, er hat diese beiden Killer auf uns angesetzt?"
"Wieso nicht?"
"Und aus welchem Grund?"
"Vielleicht wurde ihm die Zusammenarbeit mit uns einfach zu heiß."
Ich schüttelte den Kopf.
"Das gibt doch alles keinen Sinn."
"Und was glaubst du?"
Ich zuckte die Achseln. "Vielleicht war Delgrew nicht vorsichtig genug und jemand hat herausgekriegt, dass er für uns als Informant tätig ist."
"In dem Fall sollten wir uns schleunigst darum kümmern, ob Mister Delgrew noch lebt."
Wir erreichten etwa eine Stunde später das "Bailando", Hausnummer 489 in der 86. Straße. Den Sportwagen, den uns die Fahrbereitschaft des FBI Field Office New York zur Verfügung stellte, parkte ich ein paar Meter vom Eingang der Latino-Diskothek entfernt.
Es war früher Nachmittag.
Das bedeutete, dass hier um diese Zeit noch kein Betrieb war. Allerdings hoffte ich, trotzdem jemanden anzutreffen. Im günstigsten Fall Delgrew selbst, ansonsten einen seiner Partner, mit denen er zusammen das "Bailando" betrieb. Neben der Tür war eine Klingel mit Gegensprechanlage. Noch bevor ich auf den Knopf gedrückt hatte, hörten wir von drinnen einen ziemlich abgedämpften Schrei. Milo und ich wechselten einen schnellen Blick.
"Hast du das auch gehört?", fragte ich.
"Ich hoffe, da zieht sich nur jemand ein Video rein!"
Ein weiterer Schrei folgte. Durch die dicken Isolierschichten der Wände wurde das meiste davon geschluckt. Eine Sekunde später schaltete innen jemand die Musikanlage ein. Draußen kam davon kaum mehr als ein dumpfes Vibrieren der Bässe an.
"Los, rein!", forderte ich.
Milo und ich hatten denselben Gedanken. Dort drinnen wurde vermutlich gerade jemand grob in die Mangel genommen und die musikalische Untermalung sollte verhindern, dass man außerhalb des "Bailando" davon etwas mitbekam.
Milo riss an der Tür.
Sie war abgeschlossen.
Es war nicht möglich, sie einzutreten, da sie wie alle Außentüren in öffentlich zugänglichen Gebäuden aus Feuerschutzgründen nach außen zu öffnen war.
Ich zog die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P226 aus dem Quick-Draw-Holster an meinem Gürtel und öffnete das Schloss mit einem gezielten Schuss.
Mit einer ruckartigen Bewegung riss ich sie auf. Wir stürmten vorwärts in einen halbdunklen Vorraum, wo wohl normalerweise ein Türsteher postiert war. Im Augenblick befand sich hier niemand. Der Eingang zur eigentlichen Diskothek stand halb offen. Im Profil war zu sehen, dass diese zweite Tür mit dicken Schichten aus Styropor und Schaumstoff abgedämmt war.
Wäre sie geschlossen gewesen, hätten wir draußen wahrscheinlich nichts von den Schreien gehört.
Die Musik hämmerte stampfend im monotonen Rhythmus.
Es war ohrenbetäubend. Selbst unseren Schuss hatte man bei dieser Geräuschkulisse vermutlich überhört.
Ich stürzte zuerst in den Tanzsaal, die SIG im beidhändigen Anschlag.
Das Laserlicht flackerte.
Die eigentliche Tanzfläche befand sich auf einer Art Podest. Davor gab es ein paar Tische, auf der linken Seite eine Bar. Auf einem der Tische lag ein Mann. Ich erkannte ihn von Fotos wieder, die unsere Kollegen gemacht hatten. Es handelte sich um Paco Garcia, einen der Partner, mit denen John Delgrew das "Bailando" betrieb.
Er wurde von vier Kerlen an Armen und Beinen gehalten.
Ein fünfter hielt einen Elektroschocker in der Hand. Der Folterer wandte den vollkommen haarlosen Kopf in unsere Richtung. Mitten auf seinem Schädel trug er eine Tätowierung in Form eines Blitzes.
"FBI! Hände hoch und Waffen weg!", rief ich und versuchte die stampfende Musik zu übertönen.
Mit der Linken hielt ich die FBI-Marke hoch.
Die Mobster bemerkten mich.
Wirbelten herum.
Sie ließen Paco Garcia los, griffen sofort zu ihren Waffen.
Ein großer Blonder ließ die Hand zum Griff der MPi vom Typ Uzi gleiten, die ihm über der Schulter hing. Er feuerte aus der Hüfte heraus. Milo traf ihn mit einer Kugel in die Schulter. Der Blonde taumelte rückwärts zu Boden und riss ein paar Stühle mit sich. Die ganze Zeit über schoss er wild um sich. Die Spiegel, die einen Teil der Decke zierten, regneten in Scherben hernieder.
Die anderen Mobster zogen ihre Waffen, zumeist automatische Pistolen.
Auch sie feuerten wild drauf los, sprangen in Deckung.
Milo gab mir von der Tür aus Feuerschutz.
Ich hechtete zu Boden, riss einen der Tische um.
Das Inventar des "Bailando" war größtenteils in einer Art Metalloptik gehalten. Aber als Schutzschild gegen massives Dauerfeuer taugte die Tischplatte nichts.
Mehrere Projektile schlugen hindurch, stanzten augengroße Löcher hinein.
Ich tauchte hervor, feuerte zurück.
Einen der Kerle traf ich. Er sank schreiend zu Boden.
Die anderen befanden sich auf der Flucht.
Paco Garcia war inzwischen vom Tisch heruntergesprungen, hatte sich zu Boden gehechtet und machte sich dort so klein wie möglich. Er lag dicht an der untersten Stufe, die zu der auf einem Podest gelegenen Tanzfläche führte. Auf diese Weise hatte er etwas Deckung. Den Kopf verbarg er unter den Armen, während ein Regen aus Scherben über ihm niederging.
Ein wahrer Geschosshagel prasselte in unsere Richtung.
Für Sekunden konnten Milo und ich uns nicht hervorwagen.
Ich versuchte es einmal, zuckte jedoch sofort wieder zurück.
Der Kahlköpfige mit dem Blitz-Tattoo schoss in Paco Garcias Richtung, traf ihn am Rücken. Anschließend rannte der Tätowierte weiter in Richtung eines Nebenausgangs.
Ich tauchte aus der Deckung hervor, schickte dem Kerl mit dem Blitz-Tattoo eine Kugel hinterher.
Das flackernde Licht verlosch auf einmal.
Die dröhnende Musik ebenfalls.
Einer der Mobster hatte offenbar mit seiner Ballerei dafür gesorgt, dass der Strom in weiten Teilen des "Bailando" ausgefallen war. Es herrschte jetzt Halbdunkel.
Die Gangster flohen durch einen Nebenausgang.
Nur noch der Uzi-Schütze befand sich im Raum.
Er war trotz des Treffers, den er erhalten hatte, wieder auf die Beine gekommen, taumelte seinen Komplizen hinterher und ballerte dabei wie ein Wahnsinniger durch die Gegend, bis sein Magazin leergeschossen war.
Immer wieder leckte das Mündungsfeuer blutrot aus der kurzen MPi-Mündung. Die Kugeln zischten über mich hinweg. Dann machte es "klack!".
Das Magazin der MPi war leer geschossen.
"Stehenbleiben!", rief ich.
Der Kerl wankte. Einen Moment zögerte er. Vom Nebenausgang her krachten Schüsse. Der MPi-Schütze sank getroffen zu Boden. Seine beiden Komplizen hatten ihn kaltblütig hingestreckt, um zu verhindern, dass er sie verraten konnte.
Ich erreichte Paco Garcia, kniete mich neben ihn. Milo war hinter mir. Er hatte das Handy schon am Ohr, um Verstärkung zu rufen. Ich drehte Garcia vorsichtig herum. Selbst im Halbdunkel war zu sehen, dass sein gesamter Rücken blutig war.
Er stieß einen röchelnden Laut aus.
"Garcia lebt noch!", rief ich. "Aber er braucht dringend einen Arzt!"
"Schon unterwegs!", meldete Milo.
Ich erhob mich, rannte in Richtung des Nebenausgangs, durch die die Mobster geflüchtet waren.
Auch im sich anschließenden Korridor war der Strom ausgefallen. Da hatte einer dieser schießwütigen Kerle offenbar einen richtigen Volltreffer gelandet. Ich schnellte in geduckter Haltung vorwärts, rannte bis zum Hinterausgang.
Die Tür stand offen.
Das hereinfallende Sonnenlicht wirkte grell, wenn man sich an die Sichtverhältnisse im fensterlosen "Bailando" gewöhnt hatte.
Ich stürzte ins Freie. Ein Van fuhr mit quietschenden Reifen davon. Die seitliche Schiebetür stand noch offen. Einer der Insassen richtete seine Waffe auf mich. Er feuerte mehrfach. Ich duckte mich. Die Kugeln meines Gegners stanzten Löcher ins Mauerwerk. Der Van brauste die Straße entlang. Ich setzte zu einem Sprint an, blieb schließlich stehen und zielte. Auf die Reifen des Vans hatte ich es abgesehen.
Mein erster Schuss brachte den Reifen hinten links zum Platzen. Das Heck des Transporters brach aus, knallte in die Reihe der parkenden Fahrzeuge hinein. Blech wurde eingedrückt.
In der Ferne waren schon die Sirenen unserer NYPD-Kollegen sowie des Emergency Service zu hören.
Drei der Mobster befanden sich noch im Van.
Der Fahrer ließ den Motor aufheulen, trat das Gaspedal voll durch. Der Wagen schrammte am Blech der parkenden Fahrzeuge entlang. Das Geräusch, das dabei entstand, war geradezu ohrenbetäubend. Der Geruch von verbranntem Gummi verbreitete sich.
Innerhalb von Augenblicken war die Felge hinten links vollkommen blank. Das Metall ratschte funkensprühend über den Asphalt. Dem Fahrer gelang es trotzdem einigermaßen die Richtung zu halten.
Aus der offenen Seitentür heraus wurde gefeuert.
Schüsse peitschten.
Ich suchte Deckung hinter den am Straßenrand parkenden Fahrzeugen.
Etwa 50 Yards waren es noch bis zur nächsten Kreuzung. Wenn es dem Kerl mit dem Blitz-Tattoo und seinen Komplizen gelang, sich dort in den fließenden Verkehr einzufädeln, würde es schwer sein, die Bande noch zu stellen.
Ich griff zum Handy, rief die Zentrale an.
Für die zu erwartende Verfolgungsjagd brauchten wir dringend einen Hubschrauber, um das flüchtige Fahrzeug nicht zu verlieren. Außerdem mussten die zur Verstärkung anrückenden Kollegen so instruiert werden, dass weiträumig Straßensperren errichtet wurden.
Ein Sattelschlepper mit dem Reklameaufdruck eines Getränke-Großvertriebs bog von der Hauptstraße her ein.
Die Durchfahrt war dadurch versperrt. Der Fahrer des Vans trat in die Bremse. Reifen quietschten.
Der Van brach erneut aus, setzte sich quer zur Fahrbahnrichtung und krachte in die Vorderfront der Zugmaschine hinein. Ich setzte nach. Der Mann mit dem Blitz-Tattoo und seine beiden Komplizen stiegen aus. Einer der Mobster hatte offenbar bei dem Aufprall etwas abgekriegt. Er blutete aus einer Platzwunde an der Stirn.
Der Truck Driver hingegen schien unverletzt geblieben zu sein. Er saß wie erstarrt hinter seinem Lenkrad. Als er merkte, in was für eine Situation er geraten war, duckte er sich und verschwand hinter dem Armaturenbrett. Die Gangster feuerten in meine Richtung. Ich nahm hinter den parkenden Fahrzeugen Deckung, deren Seitenscheiben eine nach der anderen zu Bruch gingen.
Nur einmal gelang es mir, hinter der Motorhaube eines Buick hervorzutauchen und meinerseits einen Schuss abzugeben.
Der Typ mit dem Blitz-Tattoo schaffte es inzwischen, die Tür zur Fahrerkabine des Trucks aufzureißen.
Er schwang sich hinauf.
Der Truck Driver richtete sich mit erhobenen Händen auf. Ein Mann Mitte zwanzig mit Vollbart und gelocktem Haar. Sein Gesicht wurde vollkommen blass, als ihm der Kahlköpfige mit dem Blitz-Tattoo die Automatik an die Schläfe hielt.
Seine Komplizen stellten jetzt das Feuer ein. Im Gesicht des Tattoo-Trägers erschien ein zynisches Grinsen. Ich konnte mir denken, was er beabsichtigte. Der Truck Driver war jetzt seine Geisel.
"Komm hervor, G-man!", rief der Tätowierte durch die heruntergelassene Seitenscheibe. "Und wirf deine Waffe weg, sonst ist der Mann hier keine zwei Sekunden mehr am Leben!"
Mir blieb keine andere Wahl. Ich erhob mich. Das Leben eines völlig Unbeteiligten wollte ich nicht riskieren. Ich konnte nur hoffen, dass die Kollegen früh genug eintrafen und die Lage sofort erfassten.
Andernfalls sah es in Anbetracht der kalten Skrupellosigkeit, die dieser Tattoo-Träger bislang an den Tag gelegt hatte, schlecht für mich aus.
"Geben Sie auf!", rief ich. "Sie machen ja nur noch alles viel schlimmer!"
"Auf deine guten Ratschläge scheiße ich, G-man!", höhnte er. "Wirf dein Schießeisen zu uns 'rüber!"
Ich gehorchte. Die SIG landete auf dem Asphalt. Inzwischen stieg auch der am Kopf verletzte Gangster in die Fahrerkabine. Der dritte Mann lud zunächst seine Waffe nach, blieb dann auf der Beifahrerseite des Trucks stehen und richtete seine Pistole in meine Richtung. Er grinste zynisch. Eine Strähne seines gelockten Haars fiel über die Stirn.
"Komm hinter dem Wagen hervor, damit ich dich besser sehen kann!", rief er.
Ich gehorchte, umrundete langsam den Buick, hinter dem ich mich zuvor verschanzt hatte, trat anschließend zur Straßenmitte.
Der Tätowierte versetzte dem Truck Driver einen Stoß.
Daraufhin startete der Fahrer den Motor.
Der Motorblock der Zugmaschine befand sich unter den Sitzen. Daher hatte er beim Aufprall des Transporters offenbar nichts abbekommen.
Der Truck setzte ein Stück zurück. Der Tätowierte gab dem Lockenkopf ein Zeichen. Er fuhr sich mit der flachen Hand wie mit einer Messerklinge am Hals entlang. Eine Geste, deren Botschaft an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. "Kill den G-man, bevor du einsteigst!", hieß das.
Mit erhobenen Händen stand ich da.
Unbewaffnet.
Ich erwartete meinen Tod.
Candy war nackt.
Nackt bis auf ein schwarzes, etwa fünf Zentimeter breites Lederhalsband sowie breite, mit Nieten besetzte Manschetten, die sie um die Hand- und Fußgelenke trug.
Sie stand vor dem Spiegel im Bad, betrachtete ihren formvollendeten Oberkörper.
Die großen Brüste wogten bei der kleinsten Bewegung hin und her. Ihre Lippen wirkten voll und weich. Aber das war eine Illusion, die durch das Make-up bewirkt wurde. In Wahrheit waren sie dünn wie Striche.
Ein kaltes Lächeln war jetzt in ihrem Gesicht zu sehen.
"Hey, Baby, komm unter die Dusche!", hörte sie eine männliche Stimme wie aus weiter Ferne. "Na los, Candy, wo bleibst du?"
"Leck mich doch", murmelte sie.
"Ja, immer gerne, Baby!"
Sie schloss die Augen.
In ihrer Vorstellung sah sie ein Gesicht vor sich. John Delgrews Gesicht. Ganz genau hatte sie sich dieses Gesicht angesehen, als er da vor ihr am Haken hing und endlich begriff, was mit ihm geschehen würde...
Namenloses Entsetzen hatte seine Züge in jenem Moment gezeichnet.