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Dieser Band enthält folgende SF-Romane: Hundssterne (Alfred Bekker) Galaktische Auslese (Ann Murdoch) Agentin für Catron (Margret Schwekendiek) Japha Pitala ist die beste Studentin ihres Jahrgangs und wünscht sich sehnlichst, den exklusiven Stab der Wissenschaftler, den Kosmotikern, zuzugehören. Ein Weg dorthin scheint es zu sein, sich vom Geheimdienst anwerben zu lassen. Sie kann nicht wissen, dass ihr Leben durch diesen Entschluss einen völlig anderen Verlauf nehmen soll. Auch als Agentin gehört sie zu den Besten, doch als sie völlig unverständliche Gefühle entwickelt, wird sie für den Geheimdienst nicht mehr tragbar.
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Seitenzahl: 491
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Zum Sirius und noch viel weiter: 3 Science Fiction Romane
Copyright
Hundssterne
Galaktische Auslese
Erstes Kapitel: Ungewöhnlicher Besuch
Zweites Kapitel: Vertrauliche Gespräche
Drittes Kapitel: Vermittlungsversuche
Viertes Kapitel: Verrat ist eine Frage des Datums
Fünftes Kapitel: Geheimnisse
Sechstes Kapitel: Trügerische Ruhe
Siebtes Kapitel: Spurlos verschwunden
Glossar Schwarze Division
Agentin für Catron
Dieser Band enthält folgende SF-Romane:
Hundssterne (Alfred Bekker)
Galaktische Auslese (Ann Murdoch)
Agentin für Catron (Margret Schwekendiek)
Japha Pitala ist die beste Studentin ihres Jahrgangs und wünscht sich sehnlichst, den exklusiven Stab der Wissenschaftler, den Kosmotikern, zuzugehören. Ein Weg dorthin scheint es zu sein, sich vom Geheimdienst anwerben zu lassen. Sie kann nicht wissen, dass ihr Leben durch diesen Entschluss einen völlig anderen Verlauf nehmen soll. Auch als Agentin gehört sie zu den Besten, doch als sie völlig unverständliche Gefühle entwickelt, wird sie für den Geheimdienst nicht mehr tragbar.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker ( https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/ )
© Roman by Author / COVER A. PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Vier Science Fiction Romanserien - ein Kosmos!
CHRONIK DER STERNENKRIEGER - die kontinuierlich fortlaufende SF-Serie über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger. Bislang 47 Romane.
CHRONIK DER STERNENKRIEGER EXTRA - Extra-Romane und Stories aus dem Sternenkrieger-Universum. Bislang 4 Titel.
COMMANDER REILLY - das kontinuierlich fortlaufende Prequel über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger unter seinem ersten Kommandanten. Bislang 22 Romane.
MISSION SPACE ARMY CORPS - Romane aus dem Sternenkrieger Kosmos über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger und anderer Schiffe des Space Army Corps der Humanen Welten in den Weiten der Galaxis. Mehr als 30 Titel in Vorbereitung.
Im Verlauf des 23.Jahrhunderts wird die Menschheit durch Angriffe aggressiver Alien-Zivilisationen bedroht. Die Raumschiffe des Space Army Corps stellen sich diesen Bedrohungen entgegen und erforschen die Weite des Alls.
von Alfred Bekker
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Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps, unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...
Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA, die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.
>+++<
Ein Orden ohne Namen waren wir.
Ein Kloster ohne Abt.
Aber nach der Erfindung des Sandström-Antriebs und der ersten Begegnung mit den Ontiden änderte sich die Lage fundamental. Neben der Erforschung des Inneren Raums rückte nun der Äußere Raum für uns näher denn je. So ist die Gründung des Olvanorer-Ordens mit seiner Flotte von Forschungsschiffen nur der letzte Schritt einer folgerichtigen Entwicklung.
Aus den verschlossenen Dokumenten des Abtes Mato Arewo
*
SAINT – „Heiliger“ – männlicher Vorname, der vor allem von den Angehörigen der strenggläubigen evangelikal-islamischen Bewegung benutzt wird. Nach der Lehre der evangelikal-islamischen Bewegung ist nämlich jeder Gläubige potenziell ein Heiliger. Bekannter Träger dieses Namens: SAINT ARRAN, der Gründer jener Gemeinschaft, aus der unter seinem NachfolgerMato Arewo (siehe dort ->) der OLVANORER-ORDEN (siehe dort ->) entstanden ist.
Aus der Datenbank Solarpedia
*
Lieutenant Pia Graves war Kommandantin des unterlichtschnellen Raumbootes DOG STAR 12, das zu den lokalen Verteidigungskräften des Sirius-Systems gehörte. Fünf Mann Besatzung hatten diese Raumboote vom Typ Far Galaxy Defender, wenn sie im Wacheinsatz flogen. Allerdings war es jederzeit möglich, bis zu zwanzig Marines in voller Kampfmontur mitzunehmen und sie an jedem Ort des Sirius-Systems abzusetzen, falls das erforderlich war. Insgesamt 867 Himmelskörper kamen dafür innerhalb des Systems in Frage, darunter nicht nur Planeten, sondern auch Monde, Asteroiden und Zwergplaneten, denen die Astronomie seit der Pluto-Affäre zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts den Planetenstatus aberkannt hatte.
Die gegenwärtige Position der DOG STAR 12 befand sich etwa achtzig Astronomische Einheiten vom gemeinsamen Gravitationsschwerpunkt entfernt, um den sich der von der Erde aus als sehr heller Stern zu sehende Sirius A und der viel kleinere und lichtschwächere Sirius B drehten. In der Nähe befand sich ein Zwergplanet von Plutogröße, der allerdings aus massivem Gestein bestand, das sehr eisenhaltig war. Deshalb wurde er auch schlicht Fe genannt, was die chemische Abkürzung für Eisen – Ferrum – ist.
Die astronomisch korrekte Katalogbezeichnung hatte sich dagegen aus irgendwelchen Gründen nie so richtig durchsetzen können.
Auf Fe gab es eine kleine Prospektoren-Siedlung, die permanent besetzt war. Außerdem wurde der Zwergplanet regelmäßig von unterlichtschnellen Transportern angelaufen, die das Erz nach Sirius III, der Hauptwelt des Systems brachten.
„Kurskorrektur auf fünf Grad“, meldete der Rudergänger, ein Mann mit kurzen Haaren namens Narrows. „Ich drossele etwas die Geschwindigkeit.“
„Tun Sie das“, nickte Graves.
„Captain, ich habe jetzt schon zum dritten Mal unser ID-Signal an Fe Point geschickt“, erklärte der Funker. „Keine Antwort von der Prospektoren-Station.“
„Versuchen Sie es noch einmal, Mister Donovan.“
„Ja, Ma’am.“
„Achtung, Objekt auf dreizehn Grad Backbord vertikal, 35 Grad horizontal!“, meldete Ortungsoffizierin Rita McConnolly. „Signatur entspricht ...“
„Was?“, fragte Graves. Sie strich sich eine Strähne ihrer roten Haare aus dem Gesicht und hatte zu schwitzen begonnen. In den ganzen sieben Jahren, die sie schon im Sirius-System Dienst tat, war noch nie etwas Bemerkenswertes passiert. Ein paar Transporte von Marines, die einen illegalen Frachter aufbrachten, das war alles gewesen. Ansonsten – kein Kampfeinsatz. Acht Gauss-Geschütze des Raumbootes waren bisher nur im Manöver eingesetzt worden. Lieutenant Pia Graves’ Kampferfahrung bestand darin, zum Training auf alte Frachter im Orbit eines abgelegenen Asteroiden gefeuert zu haben.
Obwohl die nachtblauen Uniformen der lokalen Systemverteidigung kaum von der bei Angehörigen des Space Army Corps getragenen Kleidung zu unterscheiden waren, war der Unterschied zwischen beiden gewaltig.
Die Ortungsoffizierin McConnolly schaltete an ihrer Konsole herum. Sie veränderte die Darstellung des Panorama-Schirms. Eine Positionsübersicht wurde eingeblendet. Das fremde Objekt kam langsam aus dem Ortungsschatten des Kleinplaneten.
„Das Objekt scheint ohne Antrieb“, stellte McConnolly fest.
Graves schluckte.
Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn. „Oder es handelt sich um ein Schiff unbekannter Bauart im Schleichflug. Funk! Geben Sie eine Meldung an die Raumkontrolle durch! Waffen! Gefechtsbereitschaft herstellen.“
„Aye aye, Ma’am!“, meldete der Waffenoffizier, ein rundlicher Mann namens Sogdir Myers.
„Ich übergebe die Schiffskontrolle!“, sagte der Navigator.
Die Geschütze der DOG STAR 12 waren fest installiert und konnten daher nur durch eine Veränderung der Schiffsposition ausgerichtet werden. Waffenoffizier Myers übernahm nun die Kontrolle über die Steuerung.
„Meldung an das Systemkommando abgesetzt!“, bestätigte unterdessen der Funker. „Soll ich die andere Seite zur Identifizierung auffordern?“
„Genau das“, bestätigte Pia Graves. Aber ich fürchte, das wird nicht viel Sinn haben, setzte sie noch in Gedanken hinzu. Der Plasma-Schirm wurde aktiviert. Wenig später kamen die ersten Bilder über die optischen Sensoren auf den Schirm.
Das fremde Objekt schimmerte golden im Licht der beiden Sirius-Sonnen. Dann zuckte etwas aus diesem Objekt heraus. Den traserähnlichen Energieblitz konnte die Ortung noch registrieren, aber nicht mehr melden – ebenso den Zusammenbruch des Plasma-Schirms, der noch in seiner Aufbauphase gewesen war. Das Schiff wurde voll getroffen. Der Energiestrahl fraß sich durch die Außenpanzerung.
Auf der Brücke der DOG STAR 12 war jetzt die Hölle los. Ein plötzlicher Druckabfall, verbunden mit dem Ausfall der künstlichen Schwerkraft schleuderte die Mitglieder der Brückencrew von ihren Sitzen. Augenblicke später zerplatzte die DOG STAR 12 und verwandelte sich in eine schon nach wenigen Augenblicken wieder verglühende Atomsonne.
*
Dan Reilly. Bruder Daniel. Meister Daniel.
Namen. Ränge.
Stufen einer Entwicklung.
Kaleidoskopartig wirbelte eine bunte Vielfalt von Gedanken, Bildern und Eindrücken aller Art in seinem Kopf herum und er fragte sich, ob das der Beginn der Erkenntnis oder der Anfang von Wahn war. Denn manche, die sich in diese Höhe wagten, waren tatsächlich wahnsinnig geworden. Ob vor Angst oder weil ihre Sauerstoffversorgung unzureichend gewesen war, spielte dabei eigentlich nur eine untergeordnete Rolle.
Wer bist du?
Ein Nachfolger von Saint Arran, in dem manche zunächst nur einen wundersamen Kauz sahen, der sich in den Kopf gesetzt hatte, den Menschen davon zu predigen, wie sie Glück und Erkenntnis finden könnten? Ein Wahnsinniger, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, die dreißigtausend Meter hohen Wände jenes Kraters zu übersteigen, der viel später dann seinen Namen trug – so wie die Klosterruine, die er fand und zum Zentrum einer Gemeinschaft von Männern machte, die man später den Olvanorer-Orden nennen sollte? Oder nur einer, der es vielleicht schaffte, alle Prüfungen mit Brillanz zu bestehen, sowohl in der Wissenschaft als auch innerhalb des Ordens? Einer, der als Bruder erwählt wurde – und später den Rang eines Meisters erreichte, aber vielleicht das Wichtigste verfehlt hat.
Erkenntnis.
Glück.
Glück der Erkenntnis und Erkenntnis des Glücks.
Meister Daniel, wie er jetzt seit ein paar Jahren genannt wurde, suchte den Tritt und fand ihn. Seine Finger krallten sich in die kleinen Vertiefungen des ansonsten glatten Gesteins. Er zog sich empor und gelangte auf ein Felsplateau, das schräg abfiel. Meister Daniel blickte auf. Blinzelte in das Zwielicht von Sirius A und B. Die beiden Sonnen standen bereits ziemlich weit auseinander. Bald würden die Jahre kommen, in denen es keine Nacht auf Sirius III gab, weil der Planet seine Bahn zwischen den beiden Komponenten des Zwillingssterns hindurch zog. Die Nächte waren jetzt schon sehr kurz. Sie machten kaum ein Drittel der Eigenrotationszeit aus.
Meister Daniel wartete eine Weile, ehe er sich erhob. Es drängte ihn niemand. Die Zeit, so lautete eines der Axiome von Saint Arran, existierte nicht. Sie war eine Illusion. Kein Wunder, dass der gute Mann vor mehr als hundert Jahren hier oben auf solche und ähnliche Gedanken gekommen ist, dachte Meister Daniel. Hier oben existiert die Zeit tatsächlich nicht. Oder sie hat keine Bedeutung. Aber das läuft auf dasselbe hinaus ...
Der Weg, den ein Mann mit dem Namen Saint Arran vor mehr als hundertsiebzig Jahren gemacht hatte. Ein Mann, der zu den ersten Kolonisten gehört hatte, die Sirius erreichten.
Zwanzig Jahre für acht Lichtjahre – das war die Geschwindigkeit gewesen, mit der die ersten Raumschiff-Konvois den Sirius von der Erde aus erreicht hatten.
Es war nicht unbedingt gleich zu erkennen gewesen, dass aus Saint Arran mal eine Art Prophet werden würde. Nur mit einer Atemmaske ausgerüstet hatte er sich aufgemacht, um die dreißigtausend Meter hohe Kraterwand zu überqueren. Später hatte man nicht nur den Krater nach ihm benannt, sondern auch das alt-sirianische Bauwerk, das die Olvanorer zu ihrem Stammsitz und Ordenszentrum ausgebaut hatten.
Und nun folge ich ihm nach, dachte Meister Daniel. Auch er hatte an Hilfsmitteln nichts weiter bei sich als eine Atemmaske. Sie saugte die dünne Luft der Umgebung ab und konzentrierte sie, sodass man auch in dieser Höhe atmen konnte. Meister Daniel trug darüber hinaus noch einen Thermoanzug, der ihn warm hielt. Seine Thermofunktion wurde durch Solarkraft gespeist. Davon gab es auf Sirius III reichlich und die wenigen Nachtstunden ließen sich durch die Akkufunktion leicht überbrücken. Ein interner Rechner sorgte dafür, dass die Temperatur des Anzugs immer gleich blieb. Seine Hände steckten in hauchdünnen Handschuhen, die Teil des Anzugs waren.
Seine übliche dunkelgraue Kutte mit der Kapuze, die getragen an die Gewänder der mittelalterlichen Franziskanermönche erinnerte, trug er auf diesem Ausflug nicht. Eigentlich nicht sehr stilecht, aber das war ihm – obwohl er die meisten modernen Hilfsmittel im Kloster gelassen hatte - dann doch zu gefährlich gewesen.
Einen derartigen Anzug hatte Saint Arran nicht!, rief sich Meister Daniel ins Gedächtnis. Er muss ziemlich gefroren haben… Aber dafür begegnete ihm hier die Entität …
Meister Daniel ließ den Blick schweifen.
Den höchsten Punkt hatte er längst überschritten und war seit längerem bereits mit dem Abstieg an der Kraterinnenseite beschäftigt. Wie weit er noch über dem fiktiven Normal-Nullpunkt von Sirius III war, konnte Meister Daniel nur schätzen. Jedenfalls war der atmosphärische Druck auf dem Planeten deutlich höher als auf der Erde. Der Sauerstoffanteil der Atmosphäre ebenfalls. Das bedeutete, dass Menschen auf der Oberfläche erst von einer Höhe von 2000 Meter und mehr an ohne Atemschutzgerät leben konnten, ohne an der sogenannten Taucherkrankheit zu leiden. Ein zu hoher Sauerstoffanteil, verbunden mit erhöhtem Druck war eben durchaus problematisch. Die auf dem Planeten beheimateten Organismen waren an diese Verhältnisse angepasst – der Mensch allerdings nicht.
Die menschlichen Siedlungen auf Sirius III waren daher so gut wie alle an den Hängen von Kraterkegeln in einer Höhe von über 2000 Metern errichtet worden. Dort konnte man problemlos ohne zusätzliche technische Hilfe atmen.
Meister Daniel blickte hinab zum Kratersee, in dem das Licht reflektiert wurde. Der Saint Arran-See ...
Das gleichnamige Kloster lag an den inneren Hängen des See-Kraters. Die imposanten Türme, Zinnen und Mauern waren von Meister Daniels gegenwärtigem Standpunkt aus nicht zu sehen, da sie Tausende von Höhenmetern unter ihm in den Hang eingelassen worden waren. Dafür konnte man die Stadt auf der anderen Seite des Kratersees erkennen, die sich nach und nach um die Brüderschule gebildet hatte. Während das, was sich hinter den Mauern des Kloster Saint Arran abspielte, nur Mitglieder des Ordens und Novizen sehen durften, war die Brüderschule auf der anderen Seite des Kraters eine öffentliche Universität, die jedermann zugänglich war. Zwar diente diese Universität auch und vornehmlich der Auswertung der Forschungsergebnisse und der Vorbereitung der Forschungsreisen, die die Olvanorer seit vielen Jahren durchführten, aber unter Dozenten wie auch unter den Studierenden gab es einen erheblichen Anteil von Nicht-Olvanorern.
Der Orden war zwar religiösen Werten und dem Glauben an Gott verpflichtet, aber seine Mitglieder bewährten sich genauso als Forscher. Nichts war ihnen daher so zuwider wie Einseitigkeit von Meinungen oder gar geistige Zensur im Dienst irgendwelcher Dogmen. Die letzte Erkenntnis ist immer die Erkenntnis Gottes, so hatte es Mato Arewo, der Gründungsabt des Klosters vor gut einem halben Jahrhundert formuliert, als aus der von Saint Arran gebildeten Gruppe von Einsiedlern längst eine Gemeinschaft geworden war, die ihre eigenen Regeln und Traditionen entwickelt hatte. Eigene Formen der Meditation und der geistigen Schulung, die der vollen Entfaltung jener Fähigkeiten dienten, für die die Olvanorer später berühmt werden sollten. Mit zahllosen Schiffen waren sie in den Weltraum aufgebrochen und weit über jenes Gebiet hinausgeflogen, das die Menschheit sehr schnell als ihre Einflusszone abgesteckt hatte. Aber all diese Schiffe waren unbewaffnet gewesen. Der Pazifismus gehörte zu den Säulen der Olvanorer-Lehre. In der Verschiedenartigkeit des Seins und in der Wiederkehr von Mustern und Gesetzmäßigkeiten des Universums sahen sie nichts anderes als einen Ausdruck Gottes. Ein Logos durchdrang nach ihrer Auffassung jedes Staubkorn im Kosmos. Jedes einzelne Quantum gehörte dazu. Man sprach von der Geheimen Gestalt, die allem innewohnte.
Und so hatte Saint Arran auch die Entität einst als einen Ausdruck Gottes begriffen. Dieses Geistwesen, das Materie beinahe nach Belieben auf der Nano-Ebene zu beeinflussen vermochte, hatte Saint Arran wohl hier oben zum ersten Mal getroffen.
Was genau da mit ihm vorgegangen war, konnte später niemand sagen, Saint Arran selbst wohl am wenigsten. Aber Tatsache war, dass diese Entität nicht mehr auf Sirius III weilte. Es hatte sich durch einen Effekt, der nur gerade einmal ansatzweise mit der so genannten Quantenfernwirkung zu erklären war, fort teleportiert.
Wer immer also bei der Überquerung des Kraterrandes nach Erkenntnis suchte und dem Weg Saint Arrans folgte, musste in seine Überlegungen mit einbeziehen, dass er nicht dieselbe Art von Erkenntnis gewinnen konnte wie sein Vorbild.
Aber das war auch gar nicht Meister Daniels Ziel.
Er blickte vorsichtig über den Rand der Felsenkanzel. Sein erster Versuch, die Kanzel zu verlassen, war gescheitert und er hatte schätzungsweise fast zwanzig Höhenmeter verloren, weil er wieder empor klettern musste. Der Abstieg war immer besonders heikel. Durch den Aufstieg auf der Krateraußenseite und die Überquerung der Kuppe war Meister Daniel geschwächt. Erst ab 12000 Höhenmeter begann in dieser Region von Sirius III jene Höhenzone, in der ein Mensch nur mit Sauerstoffmaske atmen konnte. Ein Olvanorer konnte vielleicht auch noch dreizehn- bis vierzehntausend sirianische Höhenmeter aushalten, da er durch sein meditatives Training innerhalb der Klostermauern gelernt hatte, seinen Körper und seine Sinne auf ganz besondere Weise zu schulen und zu kontrollieren. Die Kontrolle der Atmung war dabei einer der wichtigsten Lerninhalte. Wenn Meister Daniel darüber nachdachte, dass Saint Arran viele dieser Techniken, die ihm selbst selbstverständlich waren, noch nicht gekannt hatte und selbst erst finden und verfeinern musste, so wuchs Daniels Bewunderung für die Leistung dieses Mannes noch um ein Vielfaches.
Zwar war er hier, um im Wesentlichen dasselbe wie Saint Arran zu durchleben, aber es war ihm natürlich durchaus bewusst, dass es keineswegs dieselben Bedingungen waren, unter denen das geschah.
Meister Daniel wartete eine Weile, bis er glaubte, sich zu Genüge ausgeruht zu haben. Man musste mit seinen Kräften hier oben sehr sorgfältig haushalten, das hatte er inzwischen am eigenen Leib erfahren. Übertriebene Eile führte zu gar nichts – außer vielleicht einem vorzeitigen Kollaps, den dann auch die beste Atemtechnik nicht mehr verhindern konnte.
Sein Pulsschlag war extrem beschleunigt, eine natürliche Folge der ebenso extremen Bedingungen hier in der Nähe des beinahe dreißigtausend Meter hohen Kraters. Um das zu erkennen, brauchte Bruder Daniel keine entsprechenden Messinstrumente. Er spürte es einfach und wartete ab, bis sich der Puls wieder auf ein Maß herunterreduzierte, das für diese extremen Höhen als normal angesehen werden konnte.
Dann rutschte er an den Rand der Felsenkanzel und warf einen prüfenden Blick in die Tiefe.
Sein letzter Abstiegsversuch hatte bei einem sehr glatten Stück des Hanges geendet, an dem es so gut wie unmöglich war, Halt zu finden. Dort hatte es einfach kein Weiterkommen gegeben. Also musste er es auf einem anderen Weg versuchen – oder wieder zurück zu seinem einigermaßen sicheren Platz auf der Felsenkanzel klettern, wie es soeben geschehen war.
Wenn man will, kann man darin ein Gleichnis sehen!, dachte Meister Daniel. Ein Gleichnis des menschlichen Schicksals, ein Gleichnis für die immerwährende Suche nach Gott und ein Gleichnis für den Weg des Forschers auf dem steinigen Pfad von Erkenntnis, Zweifel und daraus folgender vermeintlich neuer Erkenntnis ...
*
Die Zukunft war es, auf die es ankam – nicht die Vergangenheit.
Man war innerhalb der Nostan-Föderation Araskor stolz darauf, dass man ein weitaus größeres Sternenreich beherrschte als die Nostan von Nostanor, aus denen sie einst vor vielen Generationen hervorgegangen waren.
Stolz erfüllte die Araskor-Nostan auch auf ihre Herkunft, die sie direkt auf das Volk der Erhabenen zurückführten. Die Herkunft von Nostanor war jedoch kaum mehr als die mythisch verklärte Erinnerung an eine Gruppe von Auswanderern, die sich gegen das ganz auf die Bewahrung des Erbes der Erhabenen ausgerichtete Gesellschafts- und Regierungssystem der Nostan von Nostanor aufgelehnt hatten und dann ausgewandert waren. Man wollte nichts mehr mit den Traditionalisten zu tun haben.
Vergangenheit und Herkunft mochten wichtig sein, aber andererseits waren die Erhabenen seit unvorstellbar langer Zeit vom Antlitz des bekannten Universums verschwunden. Jedenfalls war der Kontakt zwischen der Nostan-Föderation Araskor und den Nostan von Nostanor nahezu abgebrochen.
Zu dem wenigen, was man in Araskor über die Alte Heimat wusste, gehörte, dass man sich dort Angehörige einer intelligenten Art von Riesenspinnen als Haustiere hielt und man diese für würdig erachtete, weil ihre DNA eine bestimmte Sequenz enthielt. Die Legende auf Nostanor wollte wissen, dass diese Sequenz jedem Lebewesen zu eigen war, das von den Erhabenen erschaffen worden war, aber die Nostanor von Araskor verwiesen dies in das Reich der Mythen.
Es war die Wissenschaft, die zählte.
Für die meisten Nostan von Araskor war dies nur ein weiteres Indiz für die vollkommene Dekadenz, der die alte Heimat inzwischen erlegen war. Anders war es nicht erklärlich, dass man sich mit den Spinnenartigen in dieser Form abgab und sie in das tägliche Leben wie Familienmitglieder integrierte.
War das Zusammenleben von fünf Geschlechtern nicht schon kompliziert genug?
Viele Araskor-Nostan reagierten sehr befremdet auf diese Angewohnheiten der Bevölkerung des Nostanor-Systems. Waren solche Verhaltensweisen nicht typisch für eine Kultur, die nicht mehr bereit war, sich echten Herausforderungen zu stellen?
Die Nostanor-Nostan mögen sich selbst ja als Sachwalter der Tradition sehen, aber das vollständige Wissen der Erhabenen ist entschieden zu wertvoll, um es mit ihnen oder sonst irgendwem zu teilen, lautete die Devise der Führung von Araskor.
Respekt verschaffen und Forderungen stellen – darauf war die Strategie ausgerichtet, die Kommandant Sragash verfolgte.
Und das Erbe der Vergangenheit war nur insofern von Interesse, als es sich für die Expansion nutzen ließ, die seit langem das politische Programm der Föderation Araskor darstellte. Das Wissen der Erhabenen war dabei ein entscheidender Faktor für diese Expansion.
Der Funkoffizier meldete sich.
„Wir werden in weniger als acht Standard-Zeitintervallen eintreffen“, versprach er. „Schneller ist es nicht möglich.“
„Das wird ausreichen“, erklärte der Kommandant.
Eigentlich war geplant gewesen, sich der Hauptwelt dieses Systems, das laut den Datenbanken von den Bewohnern „Sirius“ genannt wurde, zunächst weiter im Schleichflug zu nähern.
So, wie es bis jetzt schien, war das problemlos möglich.
*
Als die derzeit sehr kurze sirianische Nacht hereinbrach, hatte Meister Daniel den Abstieg zu einem tiefer gelegenen Plateau geschafft.
Er ruhte sich aus. Der Weg war das Ziel und es gab nichts, was ihn bei seiner Suche nach innerer Erkenntnis gedrängt hätte - nicht einmal das Knurren seines Magens, denn dessen Funktionen hatte er mit Hilfe der Meditationstechniken, die man ihn als Novize hinter den Mauern von Saint Arran gelehrt hatte, in einem weitaus höheren Maß unter seiner willentlichen Kontrolle, als dies bei Nicht-Olvanorern der Fall war.
Der menschliche Körper konnte erstaunlich lange ohne oder nur mit einem Minimum an Nahrung und Wasser auskommen, wenn man in der Lage war, den Stoffwechsel bewusst zu kontrollieren. Buddhistische Mönche der irdischen Prä-Weltraum-Ära waren in dieser Hinsicht zu erstaunlichen Leistungen fähig gewesen. Es wurde von Männern berichtet, die sich einen Winter lang ohne Nahrungsmittel und Wasser in ein Kloster einschließen ließen, dort in einer Meditationshaltung verharrten und im Frühling wieder unversehrt und bei guter Gesundheit aufgefunden wurden.
Der Olvanorer-Orden hatte versucht, sich dieses uralte Wissen zu erschließen, aber selbst Meister Barentius, der vor kurzem in sein Amt gewählte Abt von Saint Arran, der damit auch Oberhaupt des Ordens insgesamt war, hatte Daniel gegenüber zugegeben, dass die Olvanorer in dieser Hinsicht erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung standen. So weit ihre Beherrschung des Geistes, ihre mitfühlende, an Telepathie grenzende Beobachtung des Gegenübers und ihr damit in einem engen Zusammenhang stehendes diplomatisches Geschick auch gehen mochten – was die geistige Beherrschung des Körpers anging, hatte man in Saint Arran noch viel zu lernen.
Meister Daniel verließ sich daher auch keineswegs ausschließlich darauf, seinen Hunger durch Meditation zu besiegen, auch wenn ihm das gewiss eine große Hilfe war. Zusätzlich hatte er ein paar Nahrungskonzentrate dabei – sowie einen ausreichenden Vorrat an Präparaten, um Wasser zu schmelzen und aufzubereiten.
Wasser gab es in diesen Höhen nämlich genug – allerdings ausschließlich in tief gefrorener Form als Eis und Schnee.
Meister Daniel setzte sich nieder und ruhte sich aus. Trotz ihrer Kürze war die Nacht auf Sirius III phasenweise sehr dunkel. Zwar konnte man während der meisten Zeit den schimmernden Lichtstreifen zumindest einer der beiden Gestirne am Horizont sehen, aber während der Phase, in der tatsächlich beide Sonnen vollkommen versunken waren, wurde es fast stockdunkel. Sirius III besaß keinen Mond. Nur Sterne waren am Himmel zu sehen – und einer dieser Sterne war die Erdsonne. Auf Grund der Tatsache, dass es nur knapp acht Lichtjahre bis dorthin waren, leuchtete Sol besonders hell.
Meister Daniel hatte inzwischen genug Erfahrungen im Hochgebirge des Arran-Kraters gesammelt, sodass er wusste, wie man sich zu verhalten hatte. Zum Beispiel empfahl es sich, sein Lager zu suchen, bevor die dunkle Phase begann. Denn danach war eine Orientierung in den großen Schattenfeldern an den Kraterhängen so gut wie unmöglich.
Zumindest dann, wenn man keinerlei technische Hilfsmittel besaß und auf die hatte Meister Daniel ja bewusst verzichtet.
Nicht einmal einen Kommunikator hatte er mit in diese schroffe Bergwelt genommen. Er wollte ganz auf sich selbst gestellt und vor allem losgelöst von jeglicher Kommunikation sein.
Eine ganze Weile saß Meister Daniel einfach nur da und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Das einzige Geräusch, das er hörte, war das Ansauggeräusch seiner Atemmaske. Ein Surren, das man unter normalen Umständen wohl gar nicht wahrgenommen hätte. Aber hier oben, in dieser Einsamkeit, fiel es auf.
Der Schein des viel größeren Sirius A strahlte in einem glitzernden Band über den gegenüberliegenden Kraterrand. Dabei fiel das Licht durch eine Spalte im Gipfelmassiv und bündelte sich an einer Stelle in der Felswand. Vielleicht war jene Spalte von den Alt-Sirianern angelegt worden – jenem humanoiden Volk, das bis vor zwanzigtausend Jahren den dritten Sirius-Planeten bewohnt und sich an der Schwelle zum Atomzeitalter selbst vernichtet hatte, soweit die planetare Archäologie das inzwischen rekonstruiert hatte. Jedenfalls waren die Atomexplosionen jener Zeit noch heute eindeutig nachweisbar. Und da diese Katastrophe durch die starken Ausschüttungen von harter Gamma-Strahlung auch dazu geführt hatten, dass nahezu sämtliche auf Magnetbasis arbeitenden Speichermedien unbrauchbar wurden, existierten so gut wie keine Aufzeichnungen dieser Zivilisation.
Die Spalte in den Felsen am gegenüberliegenden Kraterrand war ziemlich gerade, was durchaus durch einen natürlichen Abbruch des Gesteins hervorgerufen worden sein konnte. Aber das scheinbar gezielt einfallende Licht, das nun direkt in eine bestimmte Stelle in der gegenüberliegenden Felswand strahlte, ließ Meister Daniel an vorzeitliche Observatorien wie Stonehenge denken, wo es ähnliche Phänomene gab. Der Lauf des Mondes, die Sonnenwenden … all das hatte man mit Hilfe einer genauen Positionierung riesiger Steinblöcke bestimmen können.
Meister Daniel drängte sich der Gedanke auf, dass hier vielleicht etwas ähnliches bislang unentdeckt geblieben war. Vielleicht deshalb, weil man sich einfach nicht genug mit der versunkenen Kultur der Alt-Sirianer beschäftigt hatte. Die einzigen, die das getan hatten, waren die Olvanorer, denn für sie stellte das Schicksal dieses Volkes ein warnendes Beispiel dar. Der Krieg hatte höchstwahrscheinlich ihre Vernichtung herbeigeführt. Ein Krieg, der wie die meisten Kriege andernorts wahrscheinlich mit guten Gründen geführt worden war. Vielleicht sogar, um den Frieden zu erhalten, wie es auf der Erde häufig vorgekommen war. Tatsache blieb aber, dass am Ende die völlige Vernichtung einer ganzen Kultur gestanden hatte. Für die Olvanorer war dies nur ein weiteres Argument, dass ihren absoluten Pazifismus unterstützte.
Die anderen irdischen Siedler, die zum Sirius gekommen waren, hatten sich hingegen zunächst einmal kaum für das alt-sirianische Erbe interessiert. Man war in den vergangenen hundertsiebzig Jahren einfach mehr mit dem Aufbau der eigenen Kolonien beschäftigt gewesen. Die ersten Siedler waren mit unterlichtgetriebenen Raumschiffen im System des Doppelsterns angekommen. Weder Sandström-Funk noch Sandström-Antrieb hatte es seinerzeit gegeben. Selbst ein Funkspruch zur Erde hatte acht Jahre gebraucht, die Antwort war dann frühestens in weiteren acht Jahren eingetroffen. Dementsprechend auf sich allein gestellt war die Kolonie der Sirius-Siedler zu Anfang gewesen. Ein Schicksal, das sie mit anderen frühen menschlichen Kolonien im All teilte. Wega, Tau Ceti – selbst Alpha und Proxima Centauri, wohin der Weg gerade einmal halb so lang gewesen war wie zum Sirius. Man hatte einfach andere Sorgen gehabt, als sich um irgendwelche Artefakte zu kümmern, die zur täglichen Sicherung des Überlebens keinen Beitrag leisten konnten.
Meister Daniel starrte auf den Punkt, wo die Sonnenstrahlen auf den Felsen trafen. Während Sirius A sank, wanderte der Strahl etwas zur Seite und fiel dann auf ein paar Schriftzeichen, die in den Felsen hineingeritzt worden waren.
Meister Daniel erstarrte. Nie zuvor hatte er derartige Zeichen gesehen. Sie ähnelten Runen und waren sehr einfach gehalten, sodass man sie leicht in harte Materialien hineinmeißeln konnte – ähnlich der Runen- und Keilschrift in der irdischen Geschichte.
Vielleicht ein altes Zeichensystem der Alt-Sirianer!
Dass die Alt-Sirianer es irgendwie geschafft haben mussten, den Kraterrand zu überschreiten, lag auf der Hand. Schließlich hatten sie den ursprünglichen Bau des Klosters Saint Arran errichtet und man wusste inzwischen, dass diese Ruine bereits Jahrtausende vor dem Beginn des technischen Zeitalters auf diesem Planeten errichtet worden war. Wie die Alt-Sirianer es geschafft hatten, den Bau so harmonisch in die Felsen des inneren Kraterrands hineinzubauen, war bis heute eines der vielen ungelösten Rätsel. Ein Rätsel, das vielleicht nie gelöst werden konnte.
Umso wichtiger war vielleicht ein Ort wie dieser.
Konnte es wirklich Zufall sein, dass die Sonnenstrahlen genau jenen Punkt trafen, an dem die Schrift zu sehen war?
Meister Daniels Abgeschlagenheit vom bisherigen, sehr anstrengenden Abstieg war wie weggeblasen. Die Neugier des Forschers war in ihm erwacht. Nur immer die Ruhe!, sagte er zu sich selbst und wiederholte es in seinen Gedanken immer wieder wie ein Mantra. Denn jede übereilte Reaktion, jede Folge von zu hastigen, zu anstrengenden, zuviel Energie raubenden Bewegungen konnten in dieser extremen Bergwelt das Ende bedeuten. Wenn man Saint Arran nachfolgen wollte, dann war es in erster Linie erforderlich zu lernen, mit seinen Kräften zu haushalten.
Meister Daniel musste sich dazu regelrecht zwingen. „Du willst zu viel zu schnell!“, erinnerte er sich der Worte, die Meister Barentius zu Daniel gesagt hatte, als er einfacher Novize gewesen war. Ein junger Mann, den die Oberen des Ordens lange beobachtet hatten. Von klein auf hatte er im Fokus ihrer Aufmerksamkeit gestanden, ohne dass er oder seine Eltern zunächst etwas davon geahnt hatten.
Wo innerhalb des fünfzig Lichtjahre-Radius um das Sol-System Menschen zu finden waren, die den besonderen Anforderungen des Ordens entsprachen, wie sie das taten, wie sie heraus fanden, wer geeignet war, in den Orden aufgenommen zu werden, wusste niemand, der nicht wenigstens die Stufe eines Meisters erreicht hatte.
Für Dan Reilly war es seinerzeit keine Frage gewesen, diesem Ruf zu folgen, obwohl für ihn als Sohn des Betreibers einer interstellaren Frachtlinie eigentlich ein ganz anderes Leben vorgezeichnet gewesen wäre.
Sein Bruder Willard hingegen hatte vergeblich darauf gewartet, berufen zu werden.
Meister Daniel kroch langsam auf die Stelle zu, an der die rätselhafte Schrift in den Felsen graviert worden war – deutlich genug, um mehrere Jahrzehntausende zu überdauern.
Vielleicht war der Spalt im Felsen tatsächlich ein natürliches, durch Erosion hervorgerufenes Phänomen – aber die Platzierung dieser Schrift war sicher mit Bedacht geschehen! Die Strahlen der Sonne sollten auf diese Botschaft hinweisen, es gab keinen Zweifel.
Angesichts der komplizierten Umlaufbahn, auf der Sirius III mit stark schwankender Geschwindigkeit seinen Weg nahm, war ein derartiges Phänomen wahrscheinlich sehr selten und äußerst schwer vorauszuberechnen.
Gerade als Meister Daniel die in den Stein gemeißelte Schrift erreichte, verschwand der Lichtstrahl. Sirius A war offenbar etwas tiefer hinter den Horizont gesunken. Noch sorgte das Licht von Sirius B dafür, dass es nicht völlig dunkel wurde. Meister Daniel konnte die Zeichen auf dem Stein gut erkennen und obwohl er sich vergleichsweise intensiv mit der Kultur der Alt-Sirianer beschäftigt hatte, sagte ihm keines davon etwas.
Dann bemerkte er einen winzigen Ritz im Felsen.
Offenbar war hier ein Stein sehr exakt in eine Lücke hineingepasst worden. Es gab zwei Vertiefungen jeweils an der rechten und linken Seite, die wahrscheinlich als Griff gedient hatten. Kurz entschlossen fasste Meister Daniel hinein. Der Stein ließ sich mit überraschender Leichtigkeit lösen. Es handelte sich um eine Deckplatte von drei bis vier Zentimetern Dicke. Der Stein war offenbar intensiv und mit hoher handwerklicher Präzision bearbeitet worden.
Meister Daniel legte den Stein zur Seite.
Das spärlich gewordene Licht reichte vollkommen aus, um zu erkennen, was sich darin befand.
Ein Totenschädel grinste ihn an.
Der Schädel wirkte entfernt humanoid, hatte aber eine deutlich ausgeprägte Nasenpartie und einen unübersehbaren Stirnwulst.
Ein Grab!, ging es Meister Daniel durch den Kopf. Die Angehörigen dieses Alt-Sirianers hatten den gefahrvollen Aufstieg in diese Höhen gewagt, nur um einen der ihren zu bestatten. Und das nicht an einer x-beliebigen Stelle, sondern an einem genau ausgeklügelten Punkt, sodass er dem Licht der Sonne begegnen konnte.
*
„Austritt aus dem Sandström-Raum!“, meldete Lieutenant Pierre Templeton, der Rudergänger des Sondereinsatzkreuzers AMSTERDAM.
Commander Raphael Wong, der an Bord des Space Army Corps-Schiffs das Kommando führte, hatte gerade im Sessel des Captains Platz genommen und trank den Becher mit synthetisch auf dem Sirius angebautem, grünem Tee zur Hälfte aus, den er sich aus dem Aufenthaltsraum mitgenommen hatte. Eigentlich war es nicht die Art des sehr korrekten Captains der AMSTERDAM, Getränke mit auf die Brücke zu nehmen. Von jedem seiner Brückenoffiziere hätte sich Wong das auch tunlichst verbeten. Schon als Erster Offizier an Bord der STERNENKRIEGER hatte er derartigen Schlendrian nicht durchgehen lassen. Umso peinlicher war es ihm nun, mit einem Becher Tee angetroffen zu werden.
„Wohl bekomm’s!“, meinte Lieutenant Commander Brian Mayer, Wongs Erster Offizier auf der AMSTERDAM. Ein Offizier, dessen Fähigkeiten Wong durchaus schätzte, der aber, was die äußeren Formen anging, sehr viel lockerer war als sein Vorgesetzter. Im Grunde war Wong froh, dass man ihn nach der Schlacht von Taralon, in der die stark beschädigte AMSTERDAM einen Großteil ihrer Crew verloren hatte, seine Crew von der NEPTUN hatte mitnehmen können. Doch auf der anderen Seite barg das auch Schwierigkeiten, denn so komfortabel ein hoher Vertrauensgrad innerhalb der Crew auch sein konnte, desto schwieriger war es, die nötige Distanz zueinander zu halten, die Commander Raphael Wong für unerlässlich für die Disziplin hielt. Nicht zum ersten Mal dachte er neidisch an Captain Rena Sunfrost von der STERNENKRIEGER, der immer so leicht zu fallen schien, diese Waage zu halten.
Mayer hatte seine Bemerkung in einem betont neutralen Tonfall gemacht und sich dabei auch in der Mimik stark beherrscht. Trotzdem war die Süffisanz in seiner Stimme nicht zu überhören. Es war, als freue er sich wirklich darüber, seinen Captain einmal etwas informeller erleben zu dürfen.
Raphael Wong war sich dessen bewusst – und es war ihm unangenehm. „Das hat seinen Grund, Lieutenant.“
„Natürlich, Sir“, sagte Mayer und nahm unwillkürlich Haltung an.
„Es ist keineswegs so, dass ich beabsichtige, hier irgendetwas einreißen zu lassen oder dass ich von meinen Leuten mehr Einschränkungen und Opfer erwarten würde, als von mir selbst!“
„Sir, daran hätte auch nie jemand gezweifelt“, gab Mayer zurück. Ortungsoffizier Lieutenant Derek Batista und Fähnrich Jay Ondeo, der im Augenblick Lieutenant Pemmo Nebbson an der Konsole des Funkers vertrat, wandten sich ab, damit man ihr Schmunzeln nicht sah. Einzig und allein die Waffenoffizierin Celine Al-Malik bewahrte ihr ernstes Gesicht, dessen Ausdruck durch die strenge Knotenfrisur noch unterstrichen wurde, zu der sie ihr rotschwarzes Haar zusammengefasst hatte.
„Es hat mit dem Systemfehler in der Navigationskonsole zu tun“, erklärte Wong.
„Ja, Sir, wir wissen darüber Bescheid“, erklärte Mayer.
Der Systemfehler, mit dem die Crew zu kämpfen hatte, musste derzeit als Entschuldigung für vieles herhalten. Und eigentlich hasste es Wong, wenn jemand eine Verfehlung auf die Umstände schob. Doch jetzt war er selbst in dieser Lage. Obwohl sein asiatisch geprägtes Gesicht selten viel von seinem Innenleben preiszugeben pflegte, war es in dieser Situation nicht zu übersehen, wie peinlich ihm das alles war.
Zumindest Lieutenant Commander Brian Mayer hingegen hatte durchaus sein Vergnügen daran.
Eine bekannte Story mit vertauschten Rollen, das brachte Abwechslung ins Bordleben. Und wirklich gefährlich war der Systemfehler nicht. Nur lästig.
„Lieutenant Templeton hat die Austrittszeit zunächst elf Minuten später angegeben, als es dann tatsächlich der Fall war“, erläuterte Wong, obwohl jeder auf der Brücke sich denken konnte, wie es zu dem Teebecher in Wongs Hand gekommen war. „Ich hätte also Zeit genug gehabt, den Becher zu leeren und mich dann pünktlich zur Beendigung der Sandström-Phase auf die Brücke zu begeben.“
„Vollkommen klar, Sir“, nickte Mayer mit todernster Miene.
„Aber dann hieß es plötzlich, dass der Austrittszeitpunkt in einer halben Minute ist und da hatte ich gerade noch Zeit, auf die Brücke zu eilen. Ich konnte nur abwägen, wertvolle Ressourcen zu verschwenden, indem ich einen gerade gefüllten Becher mit Tee der Müllvernichtung übergebe oder noch eben meinen Tee austrinke …“
Wong atmete tief durch. Er fühlte jetzt die Blicke aller auf sich gerichtet.
Vielleicht ist es das Beste, wenn ich gar nichts mehr sage, überlegte er. Aber warum rechtfertige ich mich eigentlich?
Wong schluckte, schwieg und nahm einen Schluck aus seinem Becher. Schwamm drüber, Captain Sunfrost wäre auf der STERNENKRIEGER sicher einfach über derartige Dinge hinweggegangen, ohne sich Gedanken zu machen. Für einen Moment war Wong grundlos ärgerlich auf seine ehemalige Vorgesetzte, die sich immer vorbildlich hatte beherrschen können und immer die Contenance bewahrte. Wahrscheinlich würde es ihr nicht einmal etwas ausmachen, wenn man irgendwo Pin-up-Bilder von ihr auf der STERNENKRIEGER findet.
Wong warf Mayer noch einen Blick zu und sah in Richtung Bildschirm. Gar nicht mehr erwähnen. So tun als wäre es nie geschehen. Vielleicht ist das in diesem Fall tatsächlich die beste Strategie, obwohl ich so etwas eigentlich hasse.
Die Hierarchie an Bord hatte wohl ihre Eigendynamik, die eben auch einen Perfektionisten wie Commander Raphael Wong manchmal erfasste.
Wong wandte sich an Mayer. „Was ist mit dem Systemfehler?“
In der letzten Zeit kam es immer wieder zu falschen Berechnungen von Austrittszeitpunkten nach längeren Sandström-Phasen, die dann kurzfristig durch den Bordrechner korrigiert wurden. Nichts, was die Sicherheit des Schiffes gefährdete, so weit es sich sagen ließ. Aber lästig. Und die Tatsache, den Fehler bisher nicht wirklich zu kennen, beunruhigte Wong schon. Also musste die Ursache woanders liegen.
Aber die Suche nach Fehlern, die nur ab und zu auftraten, erwies sich stets als besonders kompliziert. Zu kompliziert offenbar auch für die Wartungscrew auf Spacedock 13c im Sol-System, wo das technische System der AMSTERDAM nach dem Flug zum Merkur gründlich gecheckt worden war – mit dem anschließenden Hinweis, dass der Fehler nun behoben sei.
War er aber nicht.
Man konnte nur von Glück sagen, dass die AMSTERDAM derzeit in keiner heiklen Mission unterwegs war. Zumindest nicht in einer militärisch heiklen.
„Der L.I. hat die Sandström-Aggregate gründlich gecheckt“, erklärte Mayer. „Es liegt definitiv weder am Triebwerk, noch am Von-Schlichten-Aggregat und auch nicht an irgendwelchen Wechselwirkungen zwischen beiden.“
„Na großartig, dann sind wir also genauso weit wie vorher“, meinte Wong leicht gereizt.
„Nein. Lieutenant Nebbson meint, dass es definitiv am Bordrechner und am Kommunikationssystem liegt. Er kümmert sich gerade darum.“
Wong atmete tief durch und trank den Rest des Tees aus.
„Bremsmanöver wird eingeleitet“, meldete Rudergänger Templeton. Mit leicht verengten Augen und sehr konzentriert wirkendem Blick, wanderten seine für einen Mann sehr langen, dünnen Finger über den Touchscreen der Pilotenkonsole.
Auf dem Bildschirm war eine rote Sonne zu sehen. Ein roter Zwerg, wie die eingeblendeten Daten in einem Seitenfenster verrieten. Siebzig Prozent aller Sterne in der näheren Umgebung Sols waren solche Winzlinge.
Der Name wurde auf einem Fenster eingeblendet, das in üblicher 3-D-Manier einige Zentimeter vor dem Hauptschirm zu schweben schien, dazu ein paar Datenkolonnen.
Proxima Centauri.
Der nur wenige Lichtjahre von der Erde entfernte, lichtschwache Stern bildete zusammen mit Alpha Centauri ein Doppelsystem. Beide Sonnen umkreisten in relativ weitem Abstand zueinander einen gemeinsamen Schwerpunkt.
Der einzige bewohnbare Planet von Proxima Centauri hieß einfach Proxima oder kurz: Prox.
Prox war eine erdähnliche Welt, deren Durchmesser den Erdmaßen entsprach, aber auf Grund der geringeren Dichte nur zwei Drittel der Erdmasse besaß.
Prox gehörte auf Grund der Nähe zur Erde zu den frühesten Kolonien der Menschheit. Es gab genügend Wasser dort, einige pflanzliche Lebensformen und eine für die Besiedlung geeignete Sauerstoffatmosphäre. Die Kolonisten hatten also fast ideale Bedingungen vorgefunden, wenn man einmal davon absah, dass Prox seine Sonne in einem so engen Abstand umkreiste, dass die Eigenrotation mit der Rotation um das Zentralgestirn synchronisiert war, sodass der Planet dem roten Zwerg stets dieselbe Seite zuwandte.
„Wir bekommen eine Sandström-Transmission“, erklärte Funkoffizier Derek Batista.
„Wer ist es?“, fragte Wong.
„Die Raumüberwachung von Proxima Centauri.“
„Geben Sie die Standard-Grußbotschaft durch und senden Sie unsere Kennung.“
„Aye, aye, Sir. Aber ich glaube, da möchte Sie jemand auch noch persönlich sprechen.“
„Dann auf den Schirm mit diesem Jemand“, sagte Wong. Er blickte auf seinen Teebecher und wirkte etwas unschlüssig. Es gab auf der Brücke keinerlei Vorrichtungen zur Müllentsorgung, da es normalerweise nicht vorgesehen war, dass hier Mahlzeiten eingenommen wurden.
Das habe ich jetzt davon!
„Ich schalte den Kanal frei, Sir“, meldete Batista.
Wong erhob sich aus seinem Sessel. Den leeren Becher drückte er im letzten Moment dem überraschten Lieutenant Mayer in die Hand, der nicht so recht etwas damit anzufangen wusste. Auf dem großen Panaroma-Schirm veränderte sich die Anzeige. Das Symbol des Space Army Corps erschien zunächst, dann das Symbol der lokalen Systemverteidigungskräfte von Proxima Centauri.
Anschließend war das Gesicht eines Mannes zu sehen, dessen Haaransatz bereits sehr hoch war.
„Hier spricht Colonel Tanavandrataman, Kommandant der Proximäischen Systemverteidigung“, erklärte er.
Wong nickte. Dass dieser Mann nicht dem Space Army Corps angehörte, war schon seinem Rang zu entnehmen. Einen Colonel gab es bei den Raumstreitkräften nur bei den Marines, aber nicht bei den eigentlichen Rängen der Flotte. Bei der Proximäischen Systemverteidigung war das anders. Der Rang und vor allem der volle Name wurden jetzt vor dem unteren rechten Bildrand eingeblendet.
In drei Zeilen.
Colonel Abdel-Heinz K. Tanavandrataman.
Da wagt man ja gar nicht zu fragen, wofür das K. steht, dachte Wong. Ich kann nur hoffen, dass er in seiner Position nicht allzu viele Unterschriften zu leisten hat …
„Ich bin Captain Wong vom Sondereinsatzkreuzer AMSTERDAM. Wir werden in etwa drei Stunden unser Bremsmanöver abgeschlossen haben und in einen Orbit um Prox einschwenken.“
„Botschafterin Dur möchte gerne, dass dieser Plan geändert wird und ich wurde angewiesen, sie in jeder Hinsicht zu unterstützen. Sie wird Ihnen entgegenkommen und wünscht dann sofort und ohne Verzögerung an Bord kommen zu dürfen.“
Das Corps Diplomatique, das diplomatische Missionen sowohl im Inneren der Humanen Welten als auch nach außen organisieren sollte, existierte erst seit kurzem und so bekleidete auch Botschafterin Jessika Dur ihren Posten noch nicht lange. Aber bereits in dieser kurzen Zeit hatte sich die stark zum Übergewicht neigende, gleichermaßen streitbare wie eigenwillige Frau einen Namen gemacht – und das nicht nur im Space Army Corps.
„Wie genau soll denn das aussehen, wenn ich fragen darf?“, fragte Wong, der äußerlich ruhig blieb, Dur aber innerlich wegen ihrer Extravaganz verfluchte. Warum konnte sie nicht einfach die Bremsgeschwindigkeit eines SEK als gegeben hinnehmen?
„Sie möchte der AMSTERDAM mit einem Shuttle entgegenkommen, Captain Wong. Sie sollen dann in einem Abstand von anderthalb AE von Prox den Kurs in einem 45-Grad-Winkel ändern, so dass das Shuttle der Botschafterin und ihrer Assistentin dann die Möglichkeit hat, auf einen Parallelkurs zu gehen und anzudocken.“
Commander Wong zuckte mit den Schultern.
„Warum dieser Umstand?“
„Weil Botschafterin Dur es so will“, sagte Colonel Abdel-Heinz Tanavandrataman. „Ich weiß nicht, ob Sie ihre Art kennen, aber ...“
„Ich habe davon gehört“, erklärte Wong zurückhaltend. Dass Botschafter sich an Bord von Space Army Corps-Schiffen mitunter aufführten, als befände sie sich an der Spitze der Kommandohierarchie und sich in Belange einmischten, die sie trotz ihrer diplomatischen Missionen nichts angingen, war Wong zuwider.
Er hatte das schon früher nicht leiden können. Ganz besonders unangenehm war ihm da Botschafter John Aljanov während mehrerer Missionen aufgefallen, die Wong während seiner Zeit als Erster Offizier der STERNENKRIEGER hatte durchstehen müssen. Er dachte auch an die internen Space Army Corps-Berichte, die von den Missionen handelten, bei denen Jessika Dur die STERNENKRIEGER in Anspruch genommen hatte.
Das kann ja heiter werden!, dachte er in Hinblick auf Jessika Dur, der in dieser Hinsicht ja bereits ein entsprechend übler Ruf vorauseilte. Ein Ruf, den sie gerade im Begriff war zu bestätigen. Selbst Rena Sunfrost ist bei dieser Frau nicht immer gelassen geblieben!
Denn was war die Forderung nach einer Begegnung mit einem Shuttle und einem Andockmanöver anders als eine Einmischung in Belange, die einzig und allein etwas mit der Schiffsführung zu tun hatten? Belange des Captains eben.
„Die Dame denkt, dass sie durch dieses Vorgehen etwas Zeit spart, denn die Mission, in der sie gerade unterwegs ist, ist natürlich unglaublich wichtig. Und da das Schiff, mit dem sie eigentlich nach Sirius III fliegen wollte, leider derzeit defekt in einer Werft liegt ...“
„Ich verstehe schon“, unterbrach Wong den Redeschwall seines langnamigen Gegenübers. „Bitte geben Sie mir die Dame doch mal.“
„Ich glaube kaum, dass sie in diesem Punkt mit sich diskutieren lässt, Captain“, sagte Colonel Tanavandrataman.
Wongs Gesicht blieb unbewegt.
„Dann haben Jessika Dur und ich anscheinend schon einmal eine Sache gemeinsam!“
Tanavandrataman hob die dünnen Augenbrauen.
„Wie Sie meinen, Captain Wong.“ Sein Blick glitt etwas seitwärts. „Wundert mich übrigens, dass Sie Ihren Leuten das Mitführen von Getränken auf die Brücke gestatten.“
„Wieso?“
Wong blickte irritiert zur Seite. Brian Mayer, der den Becher noch in seiner Hand hatte, stand offenbar einen halben Schritt im Erfassungsbereich der Kamera, und wurde rot, als er seinen Captain ansah. Er versteckte den Becher schnell hinter seinem Rücken.
Wong warf seinem Ersten Offizier einen vernichtenden Blick zu.
„Nichts für ungut“, meldete sich Tanavandrataman noch einmal zu Wort. „Ich stelle Sie zu Jessika Dur durch.“
„Ich bitte darum!“
Tanavandrataman grinste.
„Auf Ihre Verantwortung!“
Im nächsten Moment erschien das Gesicht der schwergewichtigen Botschafterin auf dem Schirm.
„Was hat das zu bedeuten, Captain?“, fragte Dur. „Hat der Kerl mit dem langen Namen, den sich kein Mensch merken kann, Ihnen nicht ausgerichtet, wo ich abgeholt werden möchte? Ich muss dringend nach Sirius III und da ist jede Verzögerung von Übel.“
„Sie werden in der Orbitalstation der Systemverteidigung auf mich warten und diese nicht verlassen“, sagte Wong sehr trocken und bestimmt.
„Wollen Sie mir jetzt erzählen, dass das von mir vorgeschlagene Manöver nicht möglich ist, Captain -“
„Wong.“
Die Art und Weise, in der Wong seinen eigenen Namen aussprach, glich schon beinahe einer Zurechtweisung. Dies ist mein Schiff. Merk dir das gut!, schien dieses eine Wort zu sagen.
„Ihre Annahme, dass dadurch Nennenswertes an Zeit gespart wird, ist falsch“, sagte Wong. „Sie bezogen die nötigen Bremsmanöver nicht in Ihre Überlegungen mit ein, sondern scheinen der Vorstellung anzuhängen, dass man mit einem Raumschiff einfach so herumkurven kann wie mit einem Atmosphärengleiter. Aber ich versichere Ihnen, das ist nicht der Fall.“
„Auch eine kleine Zeitersparnis wäre von Vorteil!“, erwiderte Jessika Dur unbeirrt.
Wong trat an die Konsole des Ersten Offiziers, tippte auf den Sensorpunkten herum und sagte schließlich in einem Tonfall, der keinerlei Emotion verriet: „Wenn man bedenkt, dass wir bei dem von Ihnen vorgeschlagenen Manöver ganze 34 Minuten früher in den Sandström-Raum einträten, dann steht diese Ersparnis in einem krassen Missverhältnis zur aufgewandten Energie. Bei einem Gefechtseinsatz mag solch Einsatz gerechtfertigt sein, aber nicht bei dieser einfachen Transportaufgabe. Nehmen Sie das zur Kenntnis, Botschafterin, und halten Sie sich zur voraussichtlichen Andockzeit im Schleusenbereich bereit, damit es nicht noch zu weiteren Verzögerungen kommt. Wong Ende.“ Wong wandte sich Fähnrich Ondeo zu. „Unterbrechen Sie die Verbindung, Fähnrich.“
„Aye, Sir.“
„Herzlichen Glückwunsch zur Drachenbändigung, Sir“, grinste Mayer. Aber dieses Grinsen verschwand augenblicklich, als Wong ihn ansah.
*
Das Licht hunderter Kerzen flackerte und tauchte den kathedralenartigen Raum in ein weiches Licht. Dieser erhabene Raum befand sich tief im Inneren des Kratergesteins. Ein Bereich des Klosters Saint Arran, den nur betreten durfte, wer bereits die Weihen zum Bruder empfangen hatte. Novizen war der Aufenthalt in der Halle der Äbte untersagt.
Alle bisherigen Äbte des Olvanorer-Ordens, wie sich diese Gemeinschaft seit Anfang des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts nannte, waren hier aufgebahrt, wobei man bei der Auslegung des Begriffs Abt großzügig war. Abt Mato Arewo war der Erste gewesen, der offiziell diesen Titel trug. Unter ihm hatte der Orden auch seinen Namen bekommen und da in seine Amtszeit die Erfindung des Sandström-Antriebs fiel, hatte sich von da an auch die Ausrichtung des Ordens auf Forschungsprojekte in den Weiten des Alls geändert. Die berühmten Expeditionen von Meister Darenius folgten, die ihn bis nach Aradan, dem Zentrum des K’aradan-Reichs, geführt hatten.
Dank der großzügigen Auslegung des Begriffs Abt, worunter man hier alle geistigen Führer verstand, die die Gemeinschaft während ihrer wechselvollen Geschichte gehabt hatte, lag hier auch der legendäre Saint Arran aufgebahrt – jener Prediger, mit dem alles begonnen hatte. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern war er kein Wissenschaftler gewesen. Und doch sollten seine überlieferten Worte und Weisheiten noch viele Generationen von Wissenschaftlern des Olvanorer-Ordens bei ihrer Arbeit inspirieren.
Abt Barentius war ein Mann mit schwarzem Bart und schräg gestellten Augenbrauen. Die Augen verwirrten jeden, der in sie hineinsah. Eines von ihnen war blau, das andere grün.
Abt – nicht mehr Meister – Barentius.
Daran musste er sich erst gewöhnen.
Er kniete vor dem Sarkophag seines Vorgängers, in dem dessen einbalsamierter, mit den neuesten Konservierungstechniken erhaltener Leichnam lag. Seit er in dieses Amt berufen worden war, trieb es Barentius oft hier her. Er hatte das Gefühl, hier Kraft schöpfen zu können. Kraft aus der Anwesenheit dieser großen Geister, denen er sich hier und jetzt so nahe fühlte. Ich werde alles tun, um das Erbe von Saint Arran, Mato Arewo und all den anderen fortzuführen!, ging es ihm durch den Kopf. Aber es wird nicht leicht ...
Er blickte auf zu der grauen Wand hinter den Särgen. Dort leuchtete eine Schrift auf. Mit fluoreszierenden Materialien war sie auf die Wand gemalt worden. Die Farbe der Buchstaben veränderte sich auf eine ganz eigentümliche Weise, wie sie kristallinem Darenium eigen war, einem fluoreszierendem Mineral, das von Meister Darenius einst mitgebracht worden war. Darenium kam nur auf Aradan vor, der Heimatwelt der K'aradan.
Es waren Worte aus den verschlossenen Dokumenten des Abtes Mato Arewo, die hier an die Wand geschrieben worden waren. Worte, die die Ziele und Ideale des Ordens erläuterten und jedem, der diese Halle betrat, in Erinnerung rief, wofür die Gemeinschaft der Olvanorer-Mönche eigentlich stand.
Nun, da ich wohl bald die Augen für immer schließen werde, vermache ich euch, meinen Mitbrüdern, das Vermächtnis, weiter die Erkenntnis der Geheimen Gestalt anzustreben und eure Mitbrüder sorgfältig nach den geheimen Kriterien auszuwählen – so stand es dort. Gerade der Auswahl der neuen Mitglieder kam eine besondere Bedeutung zu. Denn trotz allen Bemühungen war nicht jeder dafür geeignet.
Wendet dabei die Kriterien an, die wir dafür entwickelt haben und die sich als zuverlässig erwiesen haben. Es sind Kriterien des Geistes, denn der Geist ist die Quelle von allem. Im Anfang war das Wort. Der Logos. Die Information. Die Abweichung von der Erstarrung der absoluten Kälte und der totalen Entropie. In dieser Information zeigt sich die Geheime Gestalt, aber es bedarf des geschulten Geistes, um sie zu erkennen. Wie Sehende unter Blinden werdet ihr sein und die Gedanken anderer Geschöpfe – seien sie nun Menschen oder Andere – mögen euch bisweilen wie ein offenes Buch erscheinen. Geht den Weg des Friedens, des Verständnisses und der Kooperation auch dann, wenn euch der Rest des belebten Universums weismachen will, dass dies ein Irrweg sei, der in die Selbstaufgabe und in den Untergang führt. Das Gegenteil ist der Fall. Pontifex nannten die Römer ihren obersten Priester – den Brückenbauer. So seid auch ihr Brückenbauer – sowohl in die Welt des Geistes als auch zwischen sich unversöhnlich gegenüberstehenden Gruppen von Geschöpfen, von denen jede Seite auf der Seite der Wahrheit und des Guten zu stehen vermeint.
„Es wird schwer werden, diesem Vermächtnis gerecht zu werden“, sagte eine Stimme links von Meister Barentius.
Barentius erkannte diese Stimme sofort. Sie gehörte Meister Leon. Barentius wusste, dass Meister Leon die Berufung des neuen Abtes hinter den Kulissen maßgeblich beeinflusst hatte. Der Abt wurde durch das Kollegium der Meister bestimmt und zwar nur im Konsens. Alle Äbte nach dem Tod von Mato Arewo waren auf diese Weise bestimmt worden und oft hatte man um den nötigen Konsens hart gerungen. Aber auf Grund der besonderen Fähigkeiten der Olvanorer, ihre Spiegelneuronen gezielt einzusetzen und sich in das jeweilige Gegenüber hineinzufühlen, war am Ende immer eine Lösung gefunden worden, mit der alle einverstanden waren.
Meister Leon war grauhaarig. Das Gesicht hager, die Augen hatten etwas Falkenhaftes. Seine Haut wirkte wettergegerbt. Das aggressive Licht der beiden Sirius-Sonnen, deren Strahlung gerade in den höhergelegenen Gebirgsregionen der Krater ziemlich intensiv war, hatte sie ledrig werden lassen. Das Alter hingegen hatte für ein reliefartiges Faltenmuster gesorgt. Niemand wusste genau, wie alt Meister Leon war. Aber es stand fest, dass er die im Jahr 2254 durchschnittliche Lebenserwartung von 110 Jahren wohl schon deutlich überschritten hatte.
„Es ist kein Zufall, dass wir am Corps Diplomatique nicht beteiligt worden sind“, sagte Meister Leon. „Obwohl zweifellos auf unserer Seite das größte Maß an diplomatischer Kompetenz versammelt ist, das es im Umkreis von tausend Lichtjahren und mehr gibt.“
„Ich weiß“, murmelte Abt Barentius.
„Kannst du dir den Grund dafür denken?“
Barentius hob leicht die Schultern. Es ist wie früher, dachte der sehr viel jüngere Barentius. Er war kaum halb so alt wie Meister Leon. Als Barentius in den Orden eintrat, war Leon längst Meister gewesen und hatte ihn unterrichtet, was sehr häufig in Form von Frage und Antwort geschah. Obwohl ich jetzt Abt bin, hat sich nichts daran geändert, dachte Meister Barentius.
Er war unter dem Namen Roger Barentson auf dem „Eisklotz“ geboren worden, einem Zwergplaneten in der Peripherie des Sirius-Systems, auf dem es eine kleinere Prospektoren-Siedlung gab, die einfach nur Siedlung hieß. Eines Tages, als er gerade fünfzehn geworden war, waren die seltsamen Männer in den dunklen Kutten im Raumhafen der Siedlung gelandet. Sie hatten sich nach Roger Barentson erkundigt und ihm ein paar Fragen gestellt. Meister Barentius erinnerte sich noch sehr genau an jenen Moment.
Seltsamerweise war Roger nicht überrascht gewesen, als sie aufgetaucht waren.
Vom Olvanorer-Orden hatte er bis dahin wenig gewusst. Für die Leute von Eisklotz waren das ein paar Spinner, die glücklicherweise hinter der Wand eines Kraters lebten, sodass sie der Allgemeinheit nicht auf die Nerven gingen.
Unter den Kuttenträgern war auch Meister Leon gewesen.
„Wir haben in dir die Zeichen erkannt“, hatte er gesagt.
„Welche Zeichen?“, hatte der Junge, der später den Ordensnamen Barentius bekommen sollte, neugierig gefragt.
„Du weißt, was ich meine. Wenn du tief genug dein Selbst erforschst, dann weißt du es. Falls es anders wäre, wärst du nicht der Richtige.“
Roger Barentson hatte in jenem Augenblick schlucken müssen – aber es war ihm schlagartig klar geworden, dass der Mann in der Kutte Recht hatte. Niemand auf Eisklotz hatte verstanden, weshalb sich Roger seit diesem Tag unbedingt dem Orden anschließen wollte. Aber Roger hatte genau gewusst, dass es das Richtige für ihn war, es gab nicht den Hauch eines Zweifels. Weder bei ihm, noch bei jenen, die ihn erwählt hatten. Seinem Vater – einem einfachen Prospektor, hatten die Kuttenträger die Angelegenheit nur dadurch schmackhaft machen können, dass sie ihm von der neu gegründeten Brüderschule erzählten – der einzigen Universität im Umkreis mehrerer Lichtjahre. Die Ausbildung kostete für Novizen nichts. Nicht für die, die der Orden berufen hatte und von denen die Kuttenträger glaubten, dass sie das ganz besondere Begabungsprofil erfüllten, das den Olvanorern eigen war.
Das ist lange her, dachte Abt Barentius, der den Namen Roger Barentson nur noch vor dem Gesetz der Humanen Welten trug. Aber nicht mehr im täglichen Leben. Nicht einmal seine Frau nannte ihn Roger.
„Der Punkt ist, dass man uns insgeheim verdächtigt, unsere eigenen Ziele zu verfolgen“, stellte Meister Leon fest.
„Ich weiß“, murmelte Abt Barentius.
Zwischen ihm und dem Mann, der einst sein Meister gewesen war und dem er jetzt als Abt vorstand, womit die spirituelle Führungsrolle zumindest formal von Leon zu Barentius gewechselt hatte, herrschte ein großes Einvernehmen. Barentius wusste oft im Voraus, was Leon ihm sagen wollte. Umgekehrt war es noch häufiger, was wohl daran lag, dass Leon einen sehr viel größeren Grad an Vollkommenheit in der Beherrschung der besonderen olvanorischen Meditations- und Konzentrationstechniken besaß. Es ist eine Ironie, dass ich der Abt und er nur ein Meister ist, dachte Abt Barentius.
„Nein, das ist es nicht!“, widersprach Meister Leon. „Ich weiß, dass dich diese Frage immer wieder beschäftigt – aber du solltest dieser Sache keine Gedanken mehr widmen.“
„Meine geistige Disziplin scheint dafür nicht auszureichen, Meister.“
„Du wirst es lernen, mein ehrwürdiger Abt!“
„Wie kann ich Abt sein, wenn mir jemand gegenübersteht, dessen Grad an Vollkommenheit ich immer bewundert habe?“
„Der Grad an Vollkommenheit ist nicht das entscheidende Kriterium nach dem der Abt berufen wird. Und du weißt das.“
„So?“
„Du bist Mitglied im Kollegium der Meister gewesen.“
„Und dennoch fühle ich mich so unvollkommen.“
„Der Konsens ist das Kriterium. Nichts weiter. Und im Gegensatz zu mir, dessen Tage sich dem Ende nähern, wirst du die Kraft haben, das Kloster Saint Arran in die Zukunft zu führen und unserem Orden den ihm gebührenden Platz verschaffen. Nichts, was wir tun, geschieht aus Selbstzweck.“
„Ich weiß“, murmelte Abt Barentius.
Einige Augenblicke herrschte Schweigen.
Barentius sah dem flackernden Schein der Kerzenflammen zu, ließ den Blick über die Schriftzeichen an der Wand wandern, die sich neu zusammen zu setzen schienen. Worte und Sätze mit veränderter Bedeutung entstanden. Das ist nichts weiter als ein Spiel. Du solltest dich den wahren Problemen stellen und versuchen, Lösungen zu finden. Auf die Gefahr hin, dass du falsch liegst und sich später herausstellt, dass dein Fehler den Lauf der Geschichte änderte. Barentius begann seine Atmung zu beruhigen. Eine leichte Übung. Jeder Novize lernte das innerhalb eines Tages, wenn er wirklich zu jenen gehörte, auf die das Begabungsprofil des Ordens zutraf.
„Jessika soll bereits auf dem Weg hier her sein“, sagte Meister Leon.
„Dann naht der Moment der Entscheidung.“
„Wo ist Meister Daniel?“
„Er ist auf dem Pfad der Nachfolge von Saint Arran ...“
„Wir brauchen ihn.“
„Er wird eigentlich schon seit einer Woche zurück erwartet.“
„Ohne sein Talent werden wir kaum Erfolg haben.“
„Er hat keinen Kommunikator bei sich. Und die Abgeschiedenheit während des Nachfolgepfads steht ihm zu. Auch ein Abt hat kein Recht, ihm das streitig zu machen.“
Meister Leon schüttelte schließlich leicht den Kopf. „Möglicherweise wird man in diesem Fall von der üblichen Vorgehensweise abweichen müssen. Aus übergeordnetem Interesse.“
*
„Wir empfangen einen Notruf der DOG STAR 12“, meldete einer der sieben Ortungsoffiziere, die in der Orbitalstation Fort Aschere ihren Dienst taten. Dieses Raumfort im Orbit von Sirius III trug den Namen, den man dem Sirius im alten Mesopotamien der irdischen Prä—Weltraum-Ära gegeben hatte. Eine Stadt auf der Oberfläche des dritten Planeten hieß ebenfalls Aschere und war neben Sirius Town eine der ältesten Siedlungen im System.
Die Station stand unter dem Kommando von Colonel Blesh Haensel, einem kantigen Mann, dessen Gesicht sich durch eine V-förmige, etwas hervorspringende Kinnpartie auszeichnete. Haensel war früher Offizier im Space Army Corps gewesen und hatte unter anderen den Zerstörer SETORRO befehligt, bevor er den Dienst quittiert hatte und in die lokalen Verteidigungsstreitkräfte des Sirius eingetreten war.
Die Angelegenheit hatte in den gesamten Humanen Welten die Schlagzeilen der Netzdienste für ein paar Tage bestimmt. Blesh Haensel hatte den Dienst nämlich nach der Wahl von Gregor Raimondo zum Vorsitzenden des Humanen Rates quittiert, als dessen Humanity First-Koalitionspartner öffentlich einen Völkermord an den Etnord forderten. Daran hatte sich Haensel nicht beteiligen wollen. Schon vorher hatte es zwischen den Auffassungen der politischen Führung und seinen eigenen Ansichten einige Differenzen gegeben und so hatte er schließlich die Konsequenz gezogen.
Die Sirianische Systemverteidigung war natürlich froh gewesen, jemanden mit Blesh Haensels Qualifikation in ihre Reihen zu bekommen. Und für Haensel hatte die Sache auch ihr Positives: Faktisch hatte er in seiner gegenwärtigen Position keinen direkten Vorgesetzten mehr – abgesehen vom Systemgouverneur des Sirius.
Blesh Haensel atmete tief durch. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Der Ortungsoffizier war noch jung. Er hieß Pong Garrison und stammte aus Small Crater City auf Sirius III. Jemand, der sein System bisher noch nie verlassen hatte. „Soeben ist eines unserer Raumboote abgeschossen worden“, stellte er fassungslos fest.
„Geben Sie die Daten auf den Hauptschirm!“, wies Blesh Haensel den Ortungsoffizier an.
„Ja, Sir.“
Eine schematische Systemübersicht erschien auf der Anzeigefläche. Die Daten wurden eingeblendet und die Position einer Explosion durch ein aufblinkendes Signal markiert. „Es ist die DOG STAR 12. Wir bekommen keinen Funkkontakt mehr. Die Kolonie auf Fe meldet sich ebenfalls nicht.“
„Signaturabgleich der Explosion?“ hakte Blesh Haensel ungeduldig nach.
„Es bestehen Ähnlichkeiten zu einer Explosion nach Beschuss mit qriidischen Trasern“, stellte einer der anderen Ortungsoffiziere fest. „Differenz liegt aber über fünfzehn Prozent. Soll ich eine Anfrage an die Datenbank des Space Army Corps richten?“
„Tun Sie das!“, nickte Blesh Haensel.
Mehr als fünf Prozent Abweichung dürfen nicht sein, erinnerte sich der Colonel jener Richtlinie, die in diesen Fällen angewandt wurde. Mit einer Abweichung von bis zu fünf Prozent konnte man davon ausgehen, dass dasselbe Waffensystem angewandt worden war. Schließlich glichen auch qriidische Trasergeschütze sich nicht wie ein Ei dem anderen. Es gab verschiedene Formen und auch jedes einzelne Geschütz erzeugte beim Beschuss von Schiffen eine geringfügig differente Signatur. Aber fünfzehn Prozent ist zuviel. Der Beschuss kann nicht qriidischen Ursprungs sein.
„Suchen Sie nach sich bewegenden Objekten, deren Emissionen Qriid-typisch sind. Nehmen Sie dabei auch Frachter und andere Schiffe unter die Lupe, die scheinbar in dieses System hineingehören ...“, wandte sich Haensel nun an Pong Garrison.
„Glauben Sie wirklich ...“
„Was?“
„Dass die Qriid uns angreifen?“
„Wollen Sie es ausschließen?“, fragte Haensel zurück. „Auf jeden Fall suchen wir nach einem Gegner, der unauffällig zu agieren versucht und sich im Schleichflug nähert. Funker?“
„Sir?“
„Etablieren Sie eine geschützte Leitung zum Systemgouverneur. Geben Sie außerdem einen allgemeinen Alarm für alle Einheiten.“
„In Ordnung, Sir“, bestätigte der Funker. „Das heißt wohl, dass es jetzt ernst wird.“
New Hope II, Tau Ceti, Sol-System, Wega, Alpha Picus ...
In den Kriegen, die die Menschheit zwischen 2236 und dem heutigen Tag gegen Qriid, Etnord und andere außerirdische Völker geführt hatte, war es auf dem Gebiet der Humanen Welten immer wieder zu Invasionen gekommen. Das New Hope-System an der Grenze zum Niemandsland und Alpha Picus waren zwar periphere Gebiete, aber die anderen betroffenen Sterne lagen mitten im Herzland des von der Menschheit besiedelten Raumsektors. Nach einer Zwischenraumpassage konnte jeder Gegner letztlich urplötzlich überall innerhalb der Humanen Welten mit einer Flotte materialisieren. Selbst die Sandström-Sonden aus K’aradan’scher Produktion hatten daran nichts geändert. Schließlich waren die nur dazu in der Lage, den voraussichtlichen Austrittspunkt eines herannahenden Raumschiffs zu bestimmen - und zwar erst relativ spät. So spät, dass es gerade noch dazu reichte, in einem Umkreis von 100 AE eine bereits stationierte Flotte so zu positionieren, dass man den Gegner gleich bei der Rückkehr ins Normaluniversum attackieren konnte.
Aber auf jeden Fall reichte diese Vorwarnzeit nicht aus, um Verstärkung aus anderen Systemen herbeizubeordern.
So hatte man spätestens seit der Tau Ceti-Krise von 2238 die lokalen Verteidigungskräfte sehr gestärkt, doch im Fall des Sirius hatte es jedoch niemals die befürchtete Invasion gegeben. Weder durch Qriid, noch durch die Etnord oder irgendein anderes Volk.
Eine ziemlich späte Feuertaufe also, die jetzt erfolgt, dachte Blesh Haensel, der den Befehl zum Einsatz einer Sandström-Sonde gab. Die Dinger waren zwar ziemlich teuer und normalerweise nur in Kampfverbänden des Space Army Corps im Einsatz, aber Blesh Haensel hatte es nach seinem Amtsantritt als Chef der Systemverteidigung zu seiner Bedingung gemacht, dass Sandström-Sonden in ausreichender Anzahl angeschafft wurden.
„Sandström-Sonde auf FRS-Rakete aus Silo 3 abgefeuert!“, meldete Pong Garrison.
„Gut“, murmelte Blesh Haensel.
Acht Stunden brauchte die Sonde, um auf vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen – den für den Eintritt in den Sandström-Raum erforderlichen Wert. Und bevor dieser Eintritt nicht erfolgt war, gab es auch logischerweise keine Daten aus dem Zwischenraum.
Für einige Stunden – wenn man Glück hatte bis zu einem halben Standard-Tag - würde die Sonde dann über einen Sandström-Kanal Daten aus dem Zwischenraum funken und herannahende Massen, die kurz vor dem Eintritt ins Normaluniversum standen, melden – bis dann irgendwann der Kontakt zur Sonde abriss und sie sich auf einer Reise ohne Wiederkehr verlor.
Vernünftigerweise musste man acht Stunden zuvor bereits die nächste Sonde auf die Reise geschickt haben, wenn man keine allzu große Lücke im Informationsfluss in Kauf nehmen wollte.
Blesh Haensel hoffte allerdings, dass die gerade abgeschossene Sonde nichts an Daten übermitteln würde. Das hätte nämlich bedeutet, dass es sich bei dem Aggressor vielleicht nur um ein einzelnes Schiff oder eine sehr kleine Flottille handelte, die durch die DOG STAR 12 entdeckt worden war und die man deshalb ausgeschaltet hatte.
Aber Blesh Haensels militärische Erfahrung aus mehreren Kriegen im Dienst des Space Army Corps sagte ihm, dass sich diese Hoffnung wahrscheinlich nicht erfüllen würde.
*
Bruder Daniel hatte das Grab des Alt-Sirianers wieder verschlossen. Nichts geschieht ohne Sinn. Gott fließt in allem. Der Logos ist in jedem einzelnen Quantum des Universums. Also ist auch der Zufall nur eine Illusion, die sich aus unserer menschlichen Perspektive ergibt. Einer Perspektive, die maßgeblich durch die Zeit bestimmt wird. Aber in der Welt der Quanten existiert die Zeit nicht, sondern nur unterschiedliche Zustände.
Bruder Daniel erhob sich.
Schlaf konnte er nicht finden. Die Nacht war so kalt, dass selbst sein Thermoanzug, der sich wie eine zweite Haut trug, offenbar nicht dagegen anheizen konnte. Ihn fröstelte. Er musste sich bewegen, aber andererseits war es unmöglich, bei diesen Lichtverhältnissen den Abstieg fortzusetzen.
Heißt es nicht, dass man sich auf seine inneren Sinne verlassen sollte? Alle Tests haben bestätigt, wie stark dieser Sinn bei dir ausgeprägt ist. Stärker als bei den meisten anderen, die in den Orden berufen wurden ... Warum in aller Welt traust du diesem inneren Sinn dann nicht wirklich? Warum verlässt du dich nicht so darauf, wie es möglich wäre?
Vielleicht, so überlegte er weiter, war das der eigentliche Grund für seinen Aufenthalt hier oben in dieser Höhe. Er nutzte sein inneres Potenzial. Das war ihm schon lange klar. Zwar hatte er die Weihen eines Meisters empfangen und darüber hinaus gab es innerhalb des Ordens keine Prüfungen mehr, denen man sich unterwerfen musste. Der Meister stellt sich selbst die Anforderungen, an denen er wachsen will!, erinnerte sich Bruder Daniel an ein Axiom von Abt Mato Arewo.
Wie wahr!