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205.000 Pfund hat David Conway im Fußballtoto gewonnen. Aber sein Freund Peter Barlowe, der wie immer Davids Tippschein aufgegeben hat, will die Summe für sich behalten. Aus Zorn über Peters Betrug stößt David vor Zeugen eine Morddrohung aus. Am nächsten Tag findet man Barlowe ertrunken im Teich.
Inspektor Cromwell von Scotland Yard nimmt die Ermittlungen auf...
Der Roman Zwei Rosenblätter von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1959; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
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VICTOR GUNN
Zwei Rosenblätter
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
ZWEI ROSENBLÄTTER
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
205.000 Pfund hat David Conway im Fußballtoto gewonnen. Aber sein Freund Peter Barlowe, der wie immer Davids Tippschein aufgegeben hat, will die Summe für sich behalten. Aus Zorn über Peters Betrug stößt David vor Zeugen eine Morddrohung aus. Am nächsten Tag findet man Barlowe ertrunken im Teich.
Inspektor Cromwell von Scotland Yard nimmt die Ermittlungen auf...
Der Roman Zwei Rosenblätter von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1959; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
Kriminal-Sergeant John Lister von Scotland Yard fühlte sich wie neugeboren, als er in seinem grauen Sportjackett, seinem karierten, am Hals offenen Hemd und seinen untadelig gebügelten Flanellhosen aus der Tür seines Hauses in der Victoria Street in die Maisonne hinaustrat. Mit einem Wort, Johnny hatte sein Ferien-Ich angenommen und schickte sich an, in seinem rassigen Aston-Martin-Wagen in den Urlaub zu fahren.
Der Himmel ist ja eigentlich ganz hübsch blau, meinte er bei sich. Aber das war gar nichts im Vergleich zu dem Blau des Himmels in Italien, dem er entgegenfahren wollte. Denn selbstverständlich war der blaue Himmel Englands nur eine Täuschung. Lange bevor er nach Dover kam, bedeckten ihn sicherlich schon wieder finstere Gewitterwolken - und wahrscheinlich erwartete ihn auf dem Kanal ein Sturm. Nur ein Narr konnte einen Ferienaufenthalt in dem ewig unsicheren englischen Wetter riskieren.
Er wandte sich um, um nochmals ins Haus zu gehen - und schwankte zurück. Denn dort im Haustor erschien eine Gestalt - eine Gestalt, die Johnnys erschreckten Augen wie ein Alptraum vorkam. Gewiss, Chefinspektor Bill Cromwell sah nie aus wie der gepflegte Herr aus den Modejournalen; stets hatte er vom Sitzen spiegelnden blauen Serge an, und sein Hut war meist völlig zerbeult, aber jetzt musste Johnny entsetzt einen Mann in einem überall geflickten Tweedanzug mit einem giftgrünen Tiroler Hut erblicken, der mit einer Feder an der Seite geschmückt war.
»Nein!«, stieß Johnny entsetzt hervor.
Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, in der Hoffnung, sich getäuscht zu haben. Aber noch immer stand die schreckliche Erscheinung im Hauseingang.
»Ich wollte mich noch von dir verabschieden, mein Sohn«, meinte der hagere, mürrische Mann, der bei seinen Kollegen in Scotland Yard als Ironsides bekannt war. »Du wirst dich beeilen müssen, wenn du in Dover noch das Kanalfährschiff erreichen willst.«
Johnny Lister hatte kein Wort verstanden.
»Was willst du denn in diesem Faschingskostüm?«, fragte er entsetzt. »Wo hast du nur diesen Anzug her? Und diesen Hut...? Geh rasch wieder ins Haus zurück, bevor sich ein Menschenauflauf bildet.«
Aber Cromwell überhörte nicht nur den wohlgemeinten Rat, er kam sogar aus dem, Torbogen heraus und trat neben Johnny zu dem geparkten Wagen an den Rand des Bürgersteigs.
»Diesen Anzug und diesen Hut hab ich schon auf mehr Ferienreisen getragen, als ich mich erinnern kann, mein Sohn«, erwiderte er ruhig. »So gute Anzüge macht man heutzutage gar nicht mehr! Gerade das Richtige zum Angeln!« Er betrachtete das Auto kritisch. »Pass nur auf, dass du dir nicht den Hals brichst! Nach unseren Ferien möchte ich dich gern unzerstückelt wiedersehen!«
Johnny lachte. »Die Gefahr, dass ich mir den Hals breche, ist ebenso groß wie die, dass du beim Angeln ins Wasser fällst und ertrinkst«, meinte er vergnügt. »Mein Gott! Auch eine Art, seine Ferien zu verbringen! Zwei endlose Wochen irgendwo bei einem englischen Nest an einem Fluss kauern und auf einen Angelköder starren!«
»Und woraus werden deine Ferien bestehen?«, erwiderte der Chefinspektor. »Aus zwei Wochen Herumrasen auf dem Kontinent, wobei du stündlich den Hals riskierst! Nein, ich will mich in meinen Ferien entspannen, Johnny. Ich suche Stille und vollkommene Ruhe. Dann kann ich mich wieder frisch und munter an die Arbeit setzen. Und du? Du wirst aussehen wie ein nasser Lappen, deine Nerven werden kaputt sein, und du wirst nach deiner Rückkehr einen ganzen Monat lang auf der Nase liegen, bis du dich von deiner Erholungsreise erholt hast.«
»Schön, Old Iron, einigen wir uns darauf, dass wir uns darüber nicht einigen können!«, lachte der junge Sergeant. »Voriges Jahr haben wir ja die gleiche Meinungsverschiedenheit gehabt. Im Übrigen werde ich gar nicht auf dem Kontinent herumrasen - in zwei Tagen bin ich schon an der Adria, und dort will ich mich genauso entspannen wie du hier. Dabei werde ich aber in der Sonne sitzen und in einem warmen Meer schwimmen. Während ich mich dort unten unter einem Sonnenschirm im Liegestuhl aale, will ich daran denken, wie dir hier im Regen eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken läuft. Dabei musst du noch aufpassen, ob ein Fisch anbeißt oder nicht.«
»Nun, ich will zugeben, dass dieser Wagen besser ist als das Selbstmord-Vehikel, das du vor ein oder zwei Wochen hattest«, meinte Cromwell. »Es ist eben eine hübsche Sache, einen Haufen Geld zu haben. Wieviel hast du nach dem Verkauf des alten Wagens zuzahlen müssen?«
»Wenn du es genau wissen willst - ich habe noch fünfhundert Pfund herausbekommen«, erwiderte Johnny stolz. »Mein offener Sportwagen war zwar ein Juwel, aber für unsere Straßen zu schnell - und nicht geeignet für unser Klima. Dieses Wägelchen ist geräumiger, komfortabler, und seine hundert Meilen macht es schließlich auch.«
Sie unterhielten sich noch einige Minuten, ohne dass Johnny versuchte, seinen Vorgesetzten wegen seiner Garderobe zu bekehren. Wenn es Ironsides passte, wie ein Relikt aus den Zeiten Eduards VII. auszusehen, war das schließlich seine Sache. Die beiden Männer waren ja, obwohl sie im Äußern und im Charakter so verschieden waren, eines der erfolgreichsten Arbeitsteams von Scotland Yard; sie bewohnten sogar zusammen eine Junggesellenwohnung. Nur im Sommerurlaub trennten sich ihre Wege.
»Wenn du fertig gepackt hast, Old Iron, werde ich dich am Bahnhof absetzen«, meinte Johnny. »Du willst doch irgendwohin nach Kent, nicht wahr?«
»Ja, in einen kleinen Ort in der Nähe von Maidstone namens Wootton Mead«, erwiderte Cromwell. »Ich bin noch nie dort gewesen, aber es soll da ein gutes Fischwasser geben, und der Gasthof Zum Hufeisen soll ganz hervorragend sein.«
»Bestimmt!«, grinste Johnny. »Verbrannten Toast zum Frühstück, Einbrennsuppe zum Mittag- und Abendessen und knödelige Vanillesoße mit Backobst als Nachtisch. Aber was macht das dir mit deinem eisernen Magen schon aus?«
Nach diesem letzten Hieb drückte er Cromwell die Hand und stieg in seinen Wagen: Erst im letzten Augenblick fiel ihm ein, dass er ja eigentlich Cromwell hatte zum Bahnhof bringen wollen, aber sein Vorgesetzter beruhigte ihn, er habe noch nicht fertig gepackt und werde sich ein Taxi nehmen.
So fuhr Johnny Lister in bester Laune in Urlaub. Trotz Cromwells Prophezeiung kam er rechtzeitig nach Dover, um noch den Kanaldampfer zu erwischen. Früher hatte er seinen Wagen meist zu Hause gelassen, aber diesmal hatte er in dem Autotransportwaggon des Schnellzuges Boulogne-Lyon einen Platz für sein Auto gebucht, was ihm als ausgezeichneter Gedanke erschienen war. Wenn er nämlich in Boulogne am späten Abend wegfuhr, kam er auf diese Weise am nächsten Morgen um acht Uhr mit dem Zug in Lyon an - und hatte zwei Drittel Frankreichs schon hinter sich. So sehr man auch die Landschaft des südöstlichen, und südlichen Frankreich bewundern mag, schließlich muss jeder zugeben, dass die Landstraßen im Norden Frankreichs langweilig und monoton sind.
Wie Johnny angenommen hatte, bedeckten drohende Wolken den Abendhimmel, als der Dampfer den Hafen von Dover verließ, und ein scharfer Wind wühlte die See auf. In Boulogne war das Wetter keineswegs besser. Es fiel sogar leichter Regen, als Johnny seinen Wagen zu den Autotransportwaggons brachte. Er aß im Bahnhof schnell zu Abend und zog sich dann in sein Schlafwagenabteil zurück.
Da er jung und gesund war, schlief er wie ein Stein die Nacht durch; als er erwachte, blieb ihm kaum genügend Zeit, um sich zu waschen und zu rasieren, bevor der Zug in den Bahnhof von Lyon einlief. Von hier wurden die Autofahrer mit einem Bus zu dem eine halbe Meile entfernten Güterbahnhof gebracht, wo die verladenen Wagen auf ihre Besitzer warteten. Zwanzig Minuten später saß Johnny wieder in seinem Aston-Martin und fuhr in praller Sonne weiter.
So hatte er es sich gedacht: Wenn man einmal ein tüchtiges Stück von dem lausigen Kanal fort war, kam auch die Sonne wieder.
Lister fuhr die berühmte Autostraße entlang, die von Lyon nach Chambery zur italienischen Grenze führt. Frisch und vergnügt, in richtiger Ferienlaune, musste er lachen, als er jetzt an Bill Cromwell dachte, der nun wohl brummig aus dem Fenster des Hufeisens über die Wiesen blickte, die vom Regen schwammen. Wieder sah er im Geist den verbrannten Toast und den verschrumpelten Speck vor sich, den man Ironsides vorsetzen mochte.
Er hielt eine halbe Stunde an einem Rasthaus, ließ sich Kaffee und Hörnchen geben und fuhr nach dem Imbiss vergnügt weiter. Es war wenig Verkehr, und so konnte Lister lange Zeit hindurch eine Geschwindigkeit von mehr als siebzig Meilen einhalten. Hinter Chambery, halbwegs zwischen den Dörfern Aiguebelle und Epierre, erblickte er vor sich am Straßenrand eine einsame Gestalt, die mit dem Daumen unmissverständliche Zeichen machte.
Johnny zog die Stirn kraus. Wieder ein Anhalter! Johnny war zwar ein geselliger Mensch, aber er hatte nicht viel dafür übrig, Leute von der Straße mitzunehmen, die sich dann meist als äußerst langweilig erwiesen. Vielleicht konnte der Mann dort kein Wort Englisch, wenn auch Johnny etwas Französisch verstand.
Aber dieser Mensch mit seinem Rucksack und seiner kurzen Khakihose war fraglos Engländer. Er war ein großer, schlanker junger Mann mit wirrem kastanienbraunem Haar.
Johnny, schon halb entschlossen, vorbeizufahren, hatte nicht das Herz, die Hoffnung des jungen Mannes zu enttäuschen. Er trat auf die Bremse.
»Das ist wirklich schrecklich nett von Ihnen«, sagte der Bursche eifrig. »Ich sah Ihre englische Nummer, und so hoffte ich, dass Sie vielleicht stoppen werden.«
»Warum denn nicht?«, meinte Johnny freundlich. »Steigen Sie ein.«
Der Fremde gefiel ihm auf den ersten Blick so gut, dass er nicht bedauerte, gehalten zu haben.
»Einen herrlichen Wagen fahren Sie«, meinte sein Begleiter, als der Aston-Martin anfuhr. »Ich bin eigentlich auf dem Weg nach Italien. Fahren Sie vielleicht zufällig in dieser Richtung?«
»Da haben Sie sich gerade den Richtigen ausgesucht!«, lachte Johnny. »Ich fahre nicht nur nach Italien, sondern sogar quer durch Italien durch. Nach Rimini an der Adria. Wohin wollen Sie denn?«
»Irgendwohin«, erwiderte sein Mitfahrer, und seine Augen leuchteten. »Aber jedenfalls nach Italien. Italien ist ja viel billiger als Frankreich - die französischen Preise kann ich mir nicht leisten. Ich kam vor zwei Tagen von England und hatte das Glück, von einem Fernlaster bis Lyon mitgenommen zu werden... Ihr Wagen ist aber wunderbar. Herzlichen Dank. Hoffentlich falle ich Ihnen nicht lästig.«
»Wenn Sie es tun sollten, so gibt es dagegen ein großartiges Mittel - dann werfe ich Sie nämlich hinaus«, lachte Johnny. »Mein Name ist übrigens Lister - John Lister.«
»Ich heiße David Conway. Ich möchte mir drei Wochen in Italien leisten«, meinte er. »Das dürfte gehen, wenn man billig fährt. Ich bin früher noch nie per Anhalter gereist...« Er hielt inne und zog die Stirn kraus, als ob ihm ein unklarer Gedanke durch den Kopf ginge. »Aber hören Sie, Ihren Namen muss ich doch schon gehört haben«, fuhr er fort und sah Johnny von der Seite prüfend an. »John Lister - das klingt irgendwie bekannt. Sind Sie vielleicht Schriftsteller? Ich hoffe nämlich, eines Tages selbst ein Schriftsteller zu werden
»Sehe ich wie ein Schriftsteller aus?«, lachte Johnny.
»Wie kann man das sagen? Sie müssen also Schauspieler sein oder... Mein Gott!« Conway fuhr zusammen. »Jetzt hab’ ich es! Sie sind natürlich von Scotland Yard! Erst vor ein oder zwei Monaten las ich ja von einem Mordfall - Chefinspektor Cromwell führte die Untersuchung, und auch Ihr Name wurde in der Zeitung erwähnt.«
»Das freut mich«, antwortete Johnny. »Im Allgemeinen erntet Ironsides allein den Ruhm. Jawohl, er ist mein Chef. Augenblicklich sind wir beide auf Urlaub, aber während ich nach Italien fahre, hat er sich irgendwo in Kent vergraben, um dort zu fischen. Ich hoffe nur, dass er sich im Regen gut amüsiert.«
»Es gibt in Kent sehr schöne Orte«, entgegnete Conway. »Und schließlich regnet es auch dort nicht immer.« Er wechselte das Thema. »Sagten Sie nicht etwas von Rimini? Würden Sie es furchtbar aufdringlich finden, wenn ich Sie bitte, mich bis dorthin mitzunehmen?« Seine Stimme klang ängstlich. »Es ist ja wirklich eine schreckliche Zumutung - aber in Rimini gibt es wunderbare romanische Ruinen, so dass ich dort vielleicht Stoff für einen längeren Artikel finden kann...«
»Das ist wohl Ihr Beruf? Sie schreiben Artikel?«
»Hin und wieder, und gelegentlich auch eine Kurzgeschichte«, war die Antwort. »Aber das liegt mir nicht so sehr. Am liebsten möchte ich ein Buch schreiben.«
Johnny Lister verzog das Gesicht.
»Sind Sie etwa einer von diesen zornigen jungen Männern?«
»Aber nein! Jedenfalls nicht von der Art, die Sie meinen! Ich bin Landwirt, auf dem Lande geboren und aufgewachsen und möchte über Landwirtschaft schreiben - besonders über Obstbau«, sagte Conway plötzlich ernst. »Englisches Obst - speziell das aus Kent - ist das beste auf der Welt. Es ist ein Jammer, wie es in England vernachlässigt wird. Mit modernen Methoden könnte man eine große, blühende Obstwirtschaft aufbauen. Gewiss, nicht alle Obstzüchter sind rückständig, aber doch viele. Er brach ab. »Ich möchte ein Buch schreiben, das die Leute darüber aufklärt.«
Johnny musste über den Enthusiasmus seines Reisegefährten lächeln.
»Sie gehören also nicht zu den zornigen jungen Männern?«, fragte er.
»Nein, ich bin nicht zornig - aber ungeduldig«, erwiderte Conway. »Da gibt es Obstplantagen um Wootton Mead herum, die wirklich eine Schande sind. Richtig bewirtschaftet, könnten sie die doppelte und dreifache Ernte erbringen.«
»Sagten Sie nicht Wootton Mead? Nun, die Welt ist wirklich klein!« Johnny schüttelte verwundert den Kopf. »Ich habe immer behauptet, dass es im Leben noch viel merkwürdigere Zufälle gibt als in Romanen. Bill Cromwell, mein Chef, will nämlich seine Ferien in Wootton Mead verbringen.«
»Tatsächlich?«, fragte Conway interessiert. »Sowas - dort ist mein Vater Pastor!«
»Dann müssen Sie auch einen Gasthof kennen, der Zum Hufeisen heißt. Dort wird Bill Cromwell wohnen - der arme Kerl! Bei dem Essen, das man ihm auftischen wird, kann er mir leid tun.«
»Er braucht Ihnen nicht leid zu tun«, meinte Conway lächelnd »Sie kennen eben das Hufeisen nicht. Es ist der schönste Gasthof in der ganzen Gegend - vielleicht in Kent überhaupt. Und was das Essen anlangt - nun, die Wirtin, Mrs. Grant, versteht zu kochen. Im Westend von London setzt man ihm keine besseren Mahlzeiten vor, nur ist es dort viermal so teuer.«
»Das überrascht mich«, meinte Johnny. »So ein schlauer, alter Teufel! Er hat mir ganz verschwiegen, dass das Hufeisen so berühmt ist!«
Dass dieser nette junge Mann aus Wootton Mead war, machte ihn Johnny noch sympathischer, denn diese Tatsache gab ihnen so etwas wie ein gemeinsames Interesse. Je länger sie sich unterhielten, umso netter fand Johnny seinen Begleiter. In Modane, einer kleinen französischen Alpenstadt, aßen sie, umgeben von großartigen Bergen, in einem billigen Hotel zu Mittag. Johnny hatte aus Rücksicht auf Conway einen einfachen Gasthof gewählt - und war angenehm überrascht, feststellen zu können, dass das Essen trotz des niedrigen Preises ausgezeichnet war.
Nach dem Essen fuhren sie weiter, überquerten die italienische Grenze, fuhren an Turin vorbei und landeten abends im Hotel Royal in dem italienischen Weinstädtchen Asti.
Im gleichen Augenblick, als sich die beiden Italienreisenden in Asti zum Essen setzten, löffelte, weit fort im ländlichen Kent, Bill Cromwell seine Suppe in dem eichengetäfelten Esszimmer des Gasthauses Zum Hufeisen. Ein reizenderer Raum wäre kaum vorzustellen gewesen. Das Zimmer war nicht groß und wirkte sehr behaglich. Die kleinen Tische blitzten von weißem Leinen, blankpoliertem Glas und schimmerndem Silber. Ironsides wusste, dass auch die Küche über jeden Tadel erhaben war. Mrs. Grant, die Wirtin, führte ihr Unternehmen mit wahrer Liebe. Daher war auch die Küche des Hufeisens viele Meilen im Umkreis berühmt, und die Bauern und Obstzüchter der Gegend kehrten gern zum Mittag- und Abendessen bei ihr ein. Mit einem Wort, das Hufeisen war einer der ländlichen Gasthöfe, die heute in England leider schon selten geworden sind. Er zeigte, was mit guter Führung und Geschick geleistet werden kann. Der Gasthof bot nur für ein halbes Dutzend Gäste Unterkunft, so dass sich Cromwell gratulieren konnte, dass er sich rechtzeitig für vierzehn Tage sein Zimmer gesichert hatte. Übrigens wohnte er hier unter dem Namen William Oliver, da er nicht wünschte, neugierig angestarrt zu werden und sich ansehen zu müssen, wie man sich Bemerkungen über ihn ins Ohr flüsterte. In den Ferien stellte Ironsides sein Licht gern unter den Scheffel. Hier wollte er einfach als älterer Herr gelten, der angeln und ansonsten ungestört bleiben wollte.
Als er das ausgezeichnete Mahl beendet hatte, ging Cromwell in die Halle, in der auch die Bar war und machte es sich dort in einer Ecke in einem Lehnstuhl bequem. Das Hufeisen war nicht nur ein Restaurant; am Abend wurde es zu einer Art Treffpunkt der Einwohner, wo sie tranken und sich unterhielten. Auch war jeden Samstagabend Tanz in der alten Scheune - einem geräumigen Anbau im Hof des Gasthofes.
Cromwell machte es Spaß, dem allgemeinen Gespräch zu lauschen und dabei die verschiedenen Gäste zu klassifizieren. Oft wanderten neugierige Blicke zu ihm hinüber, die er jedoch völlig ignorierte. Er zog es vor, das Gespräch anzuhören, ohne daran teilzunehmen. Er hatte sich am Nachmittag einen vielversprechenden Platz zum Angeln ausgesucht und war überzeugt, am nächsten Morgen gute Beute zu machen.
Erst gegen neun Uhr abends begann sich die kleine Bar in der Halle zu füllen. Die meisten Gäste waren typische Ortsansässige. Cromwell genoss in seiner Ecke bei einem Glas Whisky seine Muße; es war für ihn nicht schwer, die Gäste einzuordnen. Im allgemeinen wurden sie bei ihrem Eintritt mit ihrem Namen begrüßt, und so erfuhr Ironsides bald, wie sie hießen und was sie waren. Der eine war George Fitch, dem der Lang-Hof am Ende des Dorfes gehörte - ein untersetzter, wettergebräunter Mann, der gern und viel lachte. Wilfred Adams, der Besitzer der Getreidemühle am Fluss, war ein hagerer Mann mit harten Zügen und Hornbrille, der mehr wie ein Geschäftsmann als wie ein Müller aussah. Dann war ein Oberst John Bascombe da, ganz der Typ des Gutsherrn; er war ein Mann mit dröhnender Stimme, der keinen Widerspruch duldete. Offenbar war er nicht einmal geneigt, sich eine andere Ansicht auch nur anzuhören. Cromwell amüsierte sich über diesen Menschen, den Typ kannte er zur Genüge.
Nur einen jungen Mann konnte er eine Zeitlang nicht recht unterbringen, bis er merkte, dass es der Dorfarzt war. Er war gegen halb zehn in Begleitung eines sehr hübschen Mädchens mit leuchtend rotem Haar auf ein Glas Whisky hereingekommen. Das schlanke, graziöse Mädchen war dem Chefinspektor sofort aufgefallen. Er fand ihr fröhliches Lachen und das Funkeln ihrer hellen Augen ganz reizend. Aber die zwei Männer, die neben ihm saßen, betrachteten das Paar anscheinend von einem anderen Standpunkt aus.
»Wie gut, dass der junge Conway auf Urlaub ist!«, lachte einer der Männer. »Doktor Drummond scheint sich ja an Debbie heranmachen zu wollen. Ein tüchtiges Mädel!«
»Und verdammt hübsch«, meinte der andere fast neidisch. »Ich sah sie öfters, als ich vor zwei Monaten wegen meines Beines immer ins Krankenhaus musste - leider war sie nicht meine Pflegerin.«
Dieser Unterhaltung und ein paar weiteren Bemerkungen entnahm Cromwell, dass das rothaarige Mädchen, Deborah Fraser, die Sekretärin des Oberarztes des Krankenhauses und mit einem jungen Mann namens David Conway verlobt war, der gegenwärtig seine Ferien auf dem Kontinent verbrachte. David Conway war, wie er gleichzeitig erfuhr, der Sohn des Pastors Augustus Conway.
Die Atmosphäre im Lokal war durchaus freundlich und angenehm. Ironsides war zufrieden. Am Tage am Wasser sitzen und angeln, und am Abend es sich in einer Ecke des Gasthofs gemütlich machen. Das war viel schöner, als in wildem Tempo durch Frankreich und Italien zu rasen, wie Johnny, dieser Narr. Hier war es wirklich friedlich...
Wirklich?
Das Murmeln der allgemeinen Unterhaltung wurde plötzlich von einem lauten Ausruf unterbrochen, der von außen hereindrang. Einen Augenblick später flog die Tür auf, und ein höchst erregter Mann trat ein, dem zwei oder drei andere folgten, die ihn nach vorn zum Bartisch drängten. Nun war es um den ruhigen Frieden geschehen. Mrs. Grant blickte hinter der Bar entrüstet auf.
»Aber Mr. Barlowe - was soll denn das?«, protestierte sie, als der aufgeregte Mann an die Theke trat. »Mein Gott - was haben Sie denn? Sie können doch nicht jetzt schon betrunken sein!«
»Ich spendier' eine Runde!«, schrie Barlowe mit einer weiten Handbewegung. »Bestellt euch, was ihr wollt, Leute - doppelte Whiskys oder Champagner -, was ihr wollt!«
»Sie sind betrunken!«, rief Mrs. Grant.
»Muss wohl so sein...«, murmelte einer der Männer neben Cromwell. »Barlowe hat, solange ich ihn kenne, noch nie jemandem einen ausgegeben. Sicherlich hat er sich schon in Maidstone volllaufen lassen, nach dem Büro.«
»Ich hab’ vielleicht einen Rausch, Mrs. Grant - aber nicht vom Alkohol!«, schrie Barlowe und schlug mit seiner schweren Faust auf die Theke. »Was ist mit der Runde? Bestellt euch was! Jeder!« Sein Gesicht war rot, »eine Augen flackerten. »Sie glauben wohl, bei mir ist eine Schraube locker, wie?« Er lachte wild. »Aber ich habe gerade zweihundertfünftausend Pfund auf meine Fußballwette bei der Wettannahme Sherwood gewonnen!«
Dieser Mitteilung folgte für eine Sekunde völliges Schweigen; dann kamen von überall her aufgeregte Zurufe. Die Männer drängten sich um Barlowe, klopften ihm auf die Schulter, schüttelten ihm die Hand und überschütteten ihn mit neidischen Glückwünschen.
»Den Haupttreffer!«, stieß Barlowe heiser hervor. »Vor zwei Stunden haben mich die Leute von Sherwood angerufen!« Seine Stimme überschlug sich fast. »Ich setzte anderthalb Schilling Einsatz für neun Spiele. Können Sie sich das vorstellen? Am letzten Tag der Fußballsaison habe ich den Hauptgewinn geholt.«
Der Mann war außer sich vor Aufregung - von seinem Erfolg völlig überwältigt. Darum versuchte Mrs. Grant erst gar nicht, Ordnung zu schaffen. Hier war ja auch eine einmalige Gelegenheit. Es war schon Jahre her, seit Wootton Mead sich wegen einer Fußballwette aufgeregt hatte. Damals hatte der alte Jerry Saunders von der Sägemühle zweihundert Pfund gewonnen - eine lächerliche Lappalie im Vergleich zu diesem ungeheuren Gewinn.
»Zweihundertfünftausend!«, murmelte Fitch, der nicht weit von Cromwell stand. »Großer Gott! Was manche Leute für Glück haben! Was hat er nur gemacht, um das zu verdienen?«
»Wer ist denn der Mann überhaupt?«, fragte ein anderer, der neben Fitch stand.
»Das ist Peter Barlowe - er wohnt drüben auf der anderen Seite des Dorfangers, er hat eine Grundstücksagentur in Maidstone«, antwortete Fitch. »Jetzt kann sich seine Frau freuen - aber ich habe gehört, sie leben wie Hund und Katze. Siehst du dort das hübsche Mädchen mit dem roten Haar? Das ist die Schwester von Barlowes Frau!«
Ein wenig später, als sich die Aufregung schon etwas gelegt hatte, stellte Bill Cromwell verwundert fest, wieviel er, ohne auch nur eine Frage zu stellen, dadurch erfahren hatte, dass er einfach still dasaß und die Ohren offenhielt. Schon an seinem ersten Abend im Hufeisen war er über Namen und Beruf so vieler Dorfleute informiert worden.
Heute waren schon vor zehn Uhr viele beschwipst - etwas, was im Hufeisen ungewöhnlich war. Barlowe selbst war natürlich ganz außer sich - er forderte immer wieder alle in seiner Nähe auf, sich etwas zu bestellen.
Mehr als einmal bemerkte Ironsides, wie Mrs. Grant ängstlich auf die große Uhr an der Wand hinter der Theke blickte. Offenbar war sie froh, dass die Polizeistunde näher rückte. Noch eine halbe Stunde, und Barlowe musste entweder besinnungslos umsinken - oder rabiat werden. Wahrscheinlich das letztere, denn er schien zu den rabiaten Typen zu gehören.
Dieser plötzliche Reichtum wird dem Mann mehr schaden als nützen. Das habe ich mehr als einmal erlebt, musste er denken.
Durch sein Benehmen wurde ihm Barlowe mehr und mehr unsympathisch. Er hatte ihm von Anfang an nicht sehr gefallen, und der erfahrene Chefinspektor irrte sich selten bei einem Urteil über einen Menschen. Seinem geschulten Auge war der unstete Ausdruck auf Barlowes Gesicht nicht entgangen - etwas Verstohlenes, das sich trotz seiner Aufregung bemerkbar machte. Er war unfähig, einen fest anzusehen.
»Polizeistunde, meine Herren!«, ließ sich Mrs. Grants höfliche, aber feste Stimme hören.
Die Anwesenden bestellten sich noch ein letztes Glas - und wieder bestand Peter Barlowe darauf, alles zu bezahlen.
»Was bedeutet denn für mich schon Geld?«, prahlte er mit belegter Stimme. »Was habe ich denn schon ausgegeben? Ein paar lumpige Pfund - und dabei habe ich doch Geld wie Heu! Der Teufel soll alles Knausern holen!«
»Gehen Sie lieber nach Hause, Barlowe!« riet ihm Oberst Bascombe, trat zu ihm und legte ihm väterlich die Hand auf die Schulter. »Seien Sie kein Narr und...«
»Der Gutsherr höchst persönlich!«, unterbrach ihn Barlowe, stolperte zurück und richtete seine flackernden, blutunterlaufenen Augen auf den Obersten. »Na ja, Sie spielen jetzt hier nicht mehr die Erste Geige, Bascombe! Sie mit Ihrem Gut und Ihrem Herrenhaus! Jetzt bin ich hier der große Mann. Ich könnte Sie ja mit der linken Hand auskaufen!«
»Peter, um Gottes willen, rede doch keine Dummheiten!« Das rothaarige Mädchen eilte zu ihm und fasste ihn am Arm. »Helfen Sie mir doch, Doktor! Entschuldigen Sie bitte, Oberst Bascombe«, fügte sie errötend hinzu. »Für gewöhnlich ist er ja nicht so! Die Nachricht von seinem Glück hat ihn eben überwältigt.«
Der Oberst, der schon zornig hatte werden wollen, hielt sich mit Mühe zurück.
»Schon recht - bringen Sie ihn nur nach Haus«, brummte er.
Langsam leerte sich die Bar, aber noch eine Weile drangen die aufgeregten Stimmen der Fortgehenden zu Bill Cromwell, der ruhig in seiner Ecke sitzen geblieben war.
Ein Jammer, meinte er zu sich selbst und schüttelte den Kopf. Hat nicht jemand schon in der Bibel behauptet, dass Geld ein Fluch ist? Und damals gab es noch keine Fußballwetten.
Der Himmel war blau, und die Luft war warm, als Johnny Lister und David Conway in dem reizenden Badeort Riccione, ein paar Meilen von Rimini, gemächlich die Viale Gramsci entlangschlenderten. Sie waren im Hotel Romagna, das nicht nur in seinen Prisen bescheiden - und damit für Conways Brieftasche geeignet -, sondern auch außerordentlich gemütlich war, gut untergebracht. Das Essen war ausgezeichnet, die Bedienung tadellos, und die reizende Tochter des Besitzers, die gut Englisch sprach, war stets bereit, den Hotelgästen behilflich zu sein.
»So gefällt es mir!«, sagte Johnny zufrieden und zündete sich eine Zigarette an. »Ein erfrischendes Bad, nachher müßig im Sand herumliegen, mit der Aussicht auf ein gutes Essen! Wir haben Glück, ein so nettes Hotel gefunden zu haben, das auch nahe am Strand liegt.«
»Das Hotel kostet leider mehr, als ich mir leisten kann«, seufzte Conway. »Aber ein oder zwei Tage kann ich schon bleiben. Ich bin wirklich nicht darauf erpicht, von hier fortzugehen. Riccione gefällt mir ausgezeichnet. Ich habe mich aber noch gar nicht gebührend bei Ihnen für alles bedankt, was Sie für mich getan haben...«
»Unsinn!«, unterbrach ihn Johnny.
Nach einem heißen Tag war der Abend wunderbar, und so machten die beiden jungen Männer noch vor dem Abendessen, wie die meisten Badegäste, einen kleinen Spaziergang in die Stadt. Von der engen Viale Gramsci bogen sie bald in die Viale Ceccarini mit ihren bunten Läden und vielen Cafés ein, die allesamt bunte Stühle vor die Türen gestellt hatten.
Johnny bedauerte es nicht, sich mit David Conway zusammengetan zu haben. Der junge Mann hatte sich als höchst liebenswürdiger Reisegenosse erwiesen, der bereit war, jedem Wunsch Johnnys zuzustimmen. Nur schien er das Gefühl zu haben, dass er Johnnys Gutmütigkeit ausnütze; seine wiederholten Dankesbeteuerungen wurden allmählich etwas lästig.
Als sie langsam dahinschlenderten, gelegentlich die Auslagen eines Schaufensters betrachteten oder die Schönheit der italienischen Mädchen bewunderten, kamen sie an eine Buchhandlung.
»Nanu!«, sagte Johnny. »Englische Zeitungen - noch dazu die von heute! Großartig, dass das so schnell geht!«
Jeder kaufte sich eine Zeitung; dann schlenderten sie weiter und warfen einen nicht sehr interessierten Blick auf die Schlagzeilen.
»Die alte Geschichte«, meinte Johnny. »Die Opposition schlägt Krach - zum Wochenende sind alle Straßen verstopft - ein Glückspilz hat bei einer Fußballwette einen Haufen Geld gewonnen...«
Er wurde von einem plötzlichen Ausruf David Conways unterbrochen - einem Ausruf, der fast ein Aufschrei war. Conway war mitten auf der belebten Straße stehengeblieben; völlig entgeistert starrte er vor sich hin.
»Was, zum Teufel...«, begann Johnny.
Aber er unterbrach sich sofort. Conway war sich offenbar seiner Umwelt überhaupt nicht mehr bewusst, sondern starrte nur auf die Zeitung in seinen Händen. Auf seinem frischen, hübschen Gesicht lag der Ausdruck ungläubiger Überraschung.
»Was ist denn?«, fragte Johnny rasch. »Etwas Schlimmes?«
Conway versuchte zu sprechen, aber es gelang ihm nicht. Der Schweiß perlte auf seiner Stirn, strömte ihm übers Gesicht. Johnny wurde dabei langsam ungemütlich zumute, denn die Vorübergehenden starrten sie recht seltsam an.
»Das verstehe ich nicht«, murmelte Conway schließlich. »Hier steht - hier steht doch, dass Peter bei Sherwood die große Fußballwette gewonnen hat. Bei Sherwood!«, wiederholte er ungläubig. »Großer Gott! Zweihundertfünftausend Pfund!« Die Nennung der genauen Summe schien ihn zu elektrisieren. »Oh, mein Gott! Ich habe über zweihunderttausend Pfund gewonnen!«, rief er und schwenkte die Zeitung in der Luft. »Ich kann es gar nicht fassen! Das ist zu schön, um wahr zu sein! Zweihunderttausend Pfund...«
»Beruhigen Sie sich doch...«, unterbrach ihn Johnny und griff nach dem Arm seines Reisegefährten. »Sie haben es wohl falsch verstanden. Ich habe die Notiz ja auch gelesen - aber der, der das Geld gewonnen hat, heißt Barlowe und nicht Conway. Nehmen Sie sich doch um Himmels willen zusammen!«
»Es ist nicht wahr!«, rief Conway aufgeregt. »Barlowe kann das Geld gar nicht gewonnen haben! Es gehört mir! Es war mein Wettschein, der gewonnen hat! Ach, du meine Güte! Zweihunderttausend Pfund!« Er wiederholte die Summe ungläubig. »Jetzt kann ich Debbie heiraten - jetzt kann ich mein Buch schreiben! Dabei habe ich niemals auch nur einen Augenblick gehofft, dass ich je so einen Betrag gewinnen könnte...«
»Seien Sie schon still!«, schrie ihn Johnny an. »Gehen wir nach Hause. Die Menschen starren uns ja schon an.«
Er zog seinen Begleiter mit sich fort, und schon nach wenigen Schritten änderte sich Conways Benehmen. Die wilde Aufregung wich einer ruhigen Freude.
»Entschuldigen Sie, dass ich mich gehenließ...«
»Ach was«, unterbrach ihn Johnny. »Hier sind immer noch viel zu viele Leute...«
Eigentlich hatte er beabsichtigt, Conway ins Hotel zurückzubringen, aber er änderte seinen Plan und ging mit ihm auf die Strandpromenade, die nur ein kurzes Stück entfernt war. So überlaufen die Ladenstraße gewesen war, so leer war es auf der breiten Strandpromenade. Die Abendsonne schien auf die Adria und ließ die bunten Farben der langen Reihen der Badekabinen aufleuchten. Man konnte sogar den goldfarbenen Meeressand sehen, der sich meilenweit an dieser herrlichen Küste entlang erstreckte.
Johnny löste seinen Griff um Conways Arm erst, als sie an eine ruhige Bank kamen. Im näheren Umkreis war kein Mensch zu sehen. Gelegentlich fuhr ein Auto vorüber, aber sonst waren sie ganz allein.
»Nun erzählen Sie mal, mein Junge«, meinte Johnny und wies auf seine Zeitung. »Hier steht in klarem, unmissverständlichem Englisch, dass ein Mann namens Peter Barlowe auf eine Fußballwette zweihundertfünftausend Pfund gewonnen hat...«
»Jawohl, so steht es auch in meiner Zeitung«, unterbrach ihn Conway. »Es tut mir furchtbar leid, dass ich mich vorhin gehenließ. Aber als ich Peters Namen las... Ich meine, hier steht doch ganz deutlich, dass es sich um die Wette von Sherwood handelt! Das war es ja, was mir einen solchen Schock versetzte!«
»Aber jetzt ist doch alles klar...«
»Trotzdem ist es mein Geld - ich habe es gewonnen!«
»Hören Sie mal, alter Freund, da bringen Sie wohl die Dinge ein bisschen durcheinander«, meinte Johnny freundlich. »Fest steht doch, dass Sie nichts gewonnen haben. Aber jetzt regen Sie sich um Gottes willen nicht schon wieder auf...«
»Das werde ich auch nicht«, versprach Conway lachend. »Selbstverständlich ist alles in Ordnung. Die Zeitungen haben nur etwas Falsches gemeldet - das ist alles! Aus irgendeinem Grund hat ihnen Peter nicht die Wahrheit gesagt.«
»Was für eine Wahrheit hat er nicht gesagt?«
»Dass es mein Wettschein war, der gewonnen hat!«
»Einer von uns beiden muss wohl verrückt sein, aber ich bin es nicht!«, stöhnte Johnny verzweifelt. »Machen Sie doch kein so unverschämt glückliches Gesicht, Conway! Sie scheinen sich wirklich einzubilden, dass Sie das viele Geld gewonnen haben...«
»Das ist es ja gerade - ich habe es tatsächlich gewonnen!«, unterbrach ihn sein Begleiter vergnügt. »Bitte geben Sie mir eine Zigarette. Danke.« Er zündete sich die Zigarette an und nahm ein paar kräftige Züge. »Wundern Sie sich, dass ich von meinem Glück so überwältigt bin? Wie oft gewinnt denn jemand zweihunderttausend Pfund?«
»Wollen Sie mir etwa erzählen, dass Sie Peter Barlowe heißen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich werde Ihnen alles erklären«, erwiderte David, lehnte sich zurück und starrte verträumt zum Himmel hinauf. »Ich habe mit Peter eine private Vereinbarung für die ganze Fußballsaison getroffen. Ich kenne Peter schon seit meiner Kindheit, und die Schwester seiner Frau ist meine Braut. Das Peinliche dabei ist natürlich nur mein Vater...«
»Sie stehen mit Ihrem Väter nicht gut?«
»Mein Gott - so ist es auch wieder nicht. Mein Alter Herr ist ein großartiger Mensch. Aber wie viele Pfarrer hat er ein Vorurteil gegen das Spielen«, erklärte Conway und verzog das Gesicht. »Besonders ist er gegen alle Wetten, und - na ja, ich lebe doch unter seinem Dach, und da konnte ich mir die Wettscheine nicht jede Woche mit der Post zuschicken lassen. Schon der Anblick der Scheine hätte auf meinen Alten Herrn wie ein rotes Tuch gewirkt! Darum musste ich die Sache anders anfassen.«
»Das kann ich durchaus verstehen«, meinte Johnny. »Mein Vater hat auch etwas gegen Wetten, und ich würde ihn auch nicht dadurch aufbringen, dass ich...«
»So ist es!«, nickte Conway eifrig. »Auch ich wollte ihn nicht unnötig kränken. Aber es ist doch wirklich nichts Böses dabei, wenn man ein bisschen probiert, ob man nicht doch einmal Glück hat. So schloss ich mit Peter zu Beginn der Fußballsaison ein Abkommen, und dieses Abkommen hat die ganze Zeit über großartig geklappt. Ich setze auf die Spiele von Sherwood, und er auf die von Littlecope. Natürlich schickt er beide Wettscheine unter seinem Namen ein.«
»Beide unter seinem Namen?«
»Ja.«
»Für eine Wettgemeinschaft von zwei Menschen, wie?«
»Oh, nein, es war keine Wettgemeinschaft. Er hat nichts weiter getan, als meinen Wettschein eingeschickt und seinen Namen als Absender auf den Brief geschrieben«, erklärte Conway. »Alles, was er bei Littlecope gewann, sollte ihm allein gehören, und was ich bei Sherwood gewann, mir. Wir hatten auch Anfang des Jahres einen kleinen Treffer; mein Schein bei Sherwood gewann fünfzehn Pfund, die mir Peter sofort auszahlte. Selbstverständlich wird er mit dem großen Gewinn das Gleiche tun.«
»Hm...«, meinte Johnny, und sein Gesicht wurde ernst.
»Was meinen Sie damit?«
»Haben Sie Ihr Abkommen schriftlich niedergelegt?«
»Nein - natürlich nicht. Ich kenne Peter doch seit meiner frühesten Kindheit, wie ich Ihnen vorhin schon, erzählte. Er ist mein bester Freund. Er wird sich über meinen Gewinn genauso freuen wie ich.«
»In der Zeitung steht aber nichts davon, dass...«
»...dass das Geld mir gehört?«, fiel Conway ein. »Natürlich nicht! Warum sollte so etwas drinstehen? Peter wartet einfach, bis ich nach Hause komme. Wissen Sie, ich kann es noch immer gar nicht glauben«, fügte er kopfschüttelnd hinzu. »Keiner von uns beiden glaubte, je mehr als ein paar Pfund zu gewinnen. Aber nun – die ganze Saison über gar nichts - und jetzt das!«
»Nennen Sie fünfzehn Pfund gar nichts?«
»Vergleichsweise, meine ich!«, lachte Conway. »Natürlich sprachen wir wohl auch einmal darüber, was wir anfangen würden, wenn wir tatsächlich einen großen Gewinn machen sollten - aber auch dabei dachten wir niemals an mehr als drei- oder vierhundert Pfund. Peter wollte sein Geld in sein Grundstücksgeschäft stecken, und ich sagte, ich würde meinen Gewinn benutzen, um mich über Wasser zu halten, während ich mein Buch schrieb. Aber natürlich war das nur so dahingeredet. In Wirklichkeit glaubten wir niemals...« Er brach ab und schluckte. »Aber jetzt! Der ganz große Gewinn! Der Gewinn, von dem man wohl hin und wieder liest, ohne je davon zu träumen, dass man selbst so ein Glück haben könnte!«