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Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Erstschlag Berlin Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und die Mordwaffe Berlin wird von einer Serie von Sprengstoffattentaten heimgesucht. Die Hintergründe erscheinen rätselhaft. Ein geheimer Code und ein mysteriöses Symbol scheinen damit in Zusammenhang zu stehen. Kommissar Kubinke und sein Team nehmen die Ermittlungen auf und stehen vor einem Rätsel. Was ist der teuflische Plan der unbekannten Verschwörer?
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Seitenzahl: 270
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Zwei Sommerkrimis Juli 2023
Copyright
Erstschlag Berlin
Commissaire Marquanteur und die Mordwaffe
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Erstschlag Berlin
Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und die Mordwaffe
Berlin wird von einer Serie von Sprengstoffattentaten heimgesucht. Die Hintergründe erscheinen rätselhaft. Ein geheimer Code und ein mysteriöses Symbol scheinen damit in Zusammenhang zu stehen. Kommissar Kubinke und sein Team nehmen die Ermittlungen auf und stehen vor einem Rätsel. Was ist der teuflische Plan der unbekannten Verschwörer?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Zum Blog des Verlags geht es hier:
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Alles rund um Belletristik!
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Berlin wird von einer Serie von Sprengstoffattentaten heimgesucht. Die Hintergründe erscheinen rätselhaft. Ein geheimer Code und ein mysteriöses Symbol scheinen damit in Zusammenhang zu stehen. Kommissar Kubinke und sein Team nehmen die Ermittlungen auf und stehen vor einem Rätsel. Was ist der teuflische Plan der unbekannten Verschwörer?
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Krimis, Fantasy-Romanen, Science Fiction und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er auch an zahlreichen Spannungsserien mit wie z. B. Jerry Cotton, Ren Dhark, John Sinclair, Kommissar X, Jessica Bannister, Bad Earth und andere mehr.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Ein eiskalter Abend in Berlin.
Mein Kollege Rudi Meier und ich hatten einen langen Tag hinter uns. Elendig lange Observationen, von denen wir nicht wussten, ob sie jemals zum Ziel führen würden.
Und dann passierte der Super-Gau.
Die Currywurstbude, wo wir uns ab und und zu mal was Leckeres genehmigten, hatte geschlossen. Wegen Krankheit, so stand es an der Bude.
“Ist schon besser so”, sagte Rudi. “Der Kerl hatte doch schon die letzten Tage immer eine Triefnase - das war nicht mehr feierlich.”
“Hunger habe ich jetzt aber trotzdem”, sagte ich.
“Ja, das heißt ja auch nicht, dass wir jetzt nichts essen, nur weil unser Lieblings-Currywurstmann Grippe hat!”
“Was schlägst du vor?”
“Eine andere Bude?”
“Mit einer anderen Wurst?”
“Wer hätte das gedacht: Du bist ein Konservativer, Harry!”
“Hast du daran je gezweifelt?”
“Ja, aber wenn’s um die Wurst geht…”
“Gerade dann!”
“Wie?”
“Na, irgendeine Wurst anstatt der einzig wahren Currywurst - das ist doch nichts.”
Rudi zuckte mit den Schultern.
“Die Alternative?”
Ich zuckte auch mit den Schultern.
“Dönerbude?”
“Wenn es sein muss.”
“Wir haben doch jetzt Feierabend, Rudi.”
“Richtig.”
“Für irgendein Rendezvous ist es sowieso zu spät.”
“Auch richtig.”
”Abgesehen davon, dass ich mich an ein Privatleben kaum noch erinnern kann.”
“Du musst das Positive sehen, Rudi.”
“Und was ist das Positive?”
“Du kannst hemmungslos furzen!”
“Naja…”
“Und das bedeutet auch: Du kannst bedenkenlos Döner essen.”
Rudi hob die Augenbrauen.
“Von dieser Seite habe ich das noch nie betrachtet.”
“Also, was ist? Hungrig vor den Fernseher und dann ins Bett oder zur Dönerbude?”
“Okay. Dann werde ich darauf hemmungslos einen lassen.”
*
Wir fuhren also zur nächsten Döner-Bude.
Der Betreiber hieß Mario und war der Sohn einer Italienerin und eines Polen.
Da stand allerdings “Original-türkischer Döner” auf einem Schild an der Bude.
Darauf sprach ich Mario an, während Rudi und ich schon aßen.
“Ich habe nicht behauptet, dass ich original türkisch bin”, sagte Mario. “Sondern nur mein Döner.”
“Ja, das leuchtet ein”, fand Rudi.
“Außerdem ist das immer eine Frage der Perspektive”, sagte Mario.
“Du drückst dich ja geschwollen aus”, sagte ich.
“Ich hab studiert.”
“Das hört man.”
“Soziologie.”
“Also was mit Menschen und ohne Arbeitsplatz.”
“Ja, so ähnlich.”
“Und wieso ist das mit den Dönern eine Sache der Perspektive?”
“Naja, hier sagt jeder, dass ein Döner etwas Türkisches sei.”
“Ja, und? Stimmt das denn nicht?”
Mario grinste. “Manche sagen so, manche sagen so.”
“Häh?”
“In China gilt Döner als deutsche Spezialität.”
“Na, dann…”
*
Ich hatte schon längere Zeit den Mann mit dem gelb gestreiften Parka beobachtet. Der stritt sich jetzt mit eine Frau, die unwahrscheinlich dünn war. Selbst in ihren Jeans waren ihre Oberschenkel dünner als meine Unterarme. Ihr Alter war schwer zu schätzen.
Aber das war bei Drogensüchtigen oft der Fall.
Relativ junge Leute, die bereits greisenhaft und hinfällig wirkten.
Und ich war ziemlich sicher, dass es sich um eine Junkie-Frau handelte - und nicht einfach um eine Magersüchtige. Die Situation war ziemlich typisch. Sie brauchte ihren Stoff und hatte nicht genug Geld und der Dealer wollte ihr nichts geben. Zumindest nicht mit Rabatt. Deshalb wurde sie laut. Sie schimpfte jetzt herum und schwankte dabei unsicher auf ihren dünnen Beinchen.
“Ey, gib mir jetzt was, du Arsch!”, rief sie laut.
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi, der bereits damit beschäftigt war, einen großen Bissen seines Döners zu zerkauen.
Ich sah dem Kollegen an, dass er die Lage genauso einschätzte wie ich.
Wenn man so lange zusammen auf der Straße ist, wie Rudi und ich, dann versteht man sich auch ohne Worte. Fast wie ein altes Ehepaar.
Ich hatte inzwischen auch schon den Mund voll Döner und konnte nichts sagen.
Stattdessen schaffte es Rudi nun, ein paar Worte herauszubringen.
“Wir haben Feierabend, Harry.”
Ich nickte.
“Wir können schließlich nicht 24 Stunden am Tag dafür sorgen, dass die Straßen sauber bleiben, oder?”
Ich nickte wieder.
Wo er Recht hatte, hatte er Recht.
“Also gönnen wir der Tussi ihren Schuss”, sagte Rudi. “Auch wenn’s nicht legal ist.”
“Wenn sie einen kriegt”, sagte ich, als ich den Mund wieder leer genug hatte, um was sagen zu können.
Rudi zuckte vor dem nächsten Bissen mit den Schultern.
“Ohne Moos nix los!”
“Ist wohl überall so.”
“Allerdings!”
Jetzt meldete sich Mario zu Wort. Er hatte den Drogenhändler und die Junkie-Tussi nämlich auch bemerkt.
Er sagte: “Das wird immer schlimmer hier mit den Junkies. Da sollte man mal was gegen machen.”
“Tja, leichter gesagt als getan”, meinte Rudi. “Aber wenn man dieses Geschäft an einem Ort vertreibt, dann hat man es dafür plötzlich anderswo!”
“Die Leute erzählen, dass sie schon Spritzen auf Spielplätzen gefunden haben”, sagte Mario.
“Wo gibt’s denn hier einen Spielplatz?”, fragte Rudi.
Ein Wagen kam heran.
Ein SUV mit getönten Scheiben.
Und eine davon glitt jetzt herunter.
Etwas blitzte auf.
Mündungsfeuer.
Man hörte nichts, denn die Waffe hatte offenbar einen Schalldämpfer. Der Drogenhändler zuckte zusammen. Er war von mehreren Projektilen getroffen worden. Die Junkie-Frau ebenfalls. Sie schlug wie ein gefällter Baum zu Boden.
“Runter! Sofort!”, rief ich an Mario und Rudi gerichtet.
Ich riss dabei die Waffe raus.
Rudi ebenfalls.
Der Döner landete im Dreck. Schade drum, dachte ich. Manchmal gehen einem in den kritischsten Situationen die absurdesten Gedanken durch den Kopf. Und dies war so ein Moment, in dem man sich fragen kann, was so ein Gedanke in so einer Situation eigentlich im Kopf zu suchen hat.
Die Reifen des SUV quietschten. Der Wagen brauste los. Ein paar Schüsse fielen nun auch in unsere Richtung. Der Laserstrahl einer Zielerfassung tanzte durch die Nacht.
Wir konnte unmöglich zurückfeuern.
Das Risiko für unbeteiligte Passanten wäre viel zu groß gewesen.
Die andere Seite war da wesentlich rücksichtsloser.
Der Wagen brauste jetzt davon - und crashte in einen Lastwagen, der gerade aus einer Einfahrt herauskam.
Rudi und ich sprangen auf.
“Alles in Ordnung, Mario?”, rief Rudi.
“Ja, ja”, sagte der Döner-Mann, der irgendwo Deckung gesucht und offenbar auch gefunden hatte. Ich spurtete bereits los. Rudi rief Verstärkung.
Aus dem SUV sprang jetzt ein Mann mit einer Waffe in der Hand. Weiterfahren wäre in keinem Fall eine Option gewesen. Das Fahrzeug hatte sich durch den Unfall mit dem Lastwagen so verkeilt, dass das unmöglich war.
Der Lastwagenfahrer saß mit bleichem Gesicht und wie zur Salzsäule erstarrt hinter seinem Lenkrad.
Was mit dem Fahrer des SUV war, konnte ich nicht einschätzen.
Aber es musste einen Fahrer geben.
Der Pistolen-Typ war nämlich aus der hinteren Tür des SUV herausgeschnellt.
Und von deren Fenster aus war auch auf den Drogendealer geschossen worden.
Der Pistolen-Typ riss seine Waffe hoch. Der Schalldämpfer war deutlich zu sehen. Das Zielerfassungsgerät mit dem Laserpointer auch. Der Laserstrahl zuckte durch die Luft und brach sich im einsetzenden Nieselregen. Eine Kugel zischte an meinem Kopf vorbei. Haarscharf. Und fast geräuschlos. Das ploppende Geräusch der Waffe, dass der Schalldämpfer übrig ließ, vermischte sich so sehr mit dem Lärm der Stadt, dass man schon die Ohren spitzen musste, um es überhaupt zu hören.
Der Kerl ließ mir keine andere Wahl, als zurückzufeuern.
Mein Schuss traf ihn.
Er taumelte zurück.
Die Waffe riss er noch einmal hoch, feuerte erneut. Zweimal einmal ziemlich ungezielt, das andere Mal war er schon dichter dran.
Ich schoss ein letztes Mal.
Kopfschuss.
Er stand noch einen Augenblick da und fiel dann auf den Asphalt.
Der Puls schlug mir bis zum Hals.
Ich hatte nur einen Döner zwischen den Zähnen gewollt.
Und jetzt hatte ich eine Leiche nach Feierabend, was bedeutete, dass aus Letzterem wohl nichts werden würde.
In der Ferne hörte ich bereits die Martinshörner unserer Kollegen. Sie waren offenbar schon unterwegs - auch wenn es jetzt wohl egal war, wann sie eintrafen.
*
Für den Drogendealer und seine magere Kundin kam jede hilfe zu spät. Für den Mörder allerdings auch.
Und was den Fahrer betraf, so war er bei dem Aufprall des SUV zwar in Mitleidenschaft gezogen worden, aber der Airbag hätte ihm eigentlich auf jeden Fall das Leben gerettet.
Nur gegen eine Sache hatte er einfach keine Chance gehabt: Und das war die Kugel seines Komplizen gewesen. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Typ mit der Schalldämpferwaffe den Fahrer kurzerhand erschossen hatte, bevor er selbst aus dem Wagen schnellte und zu flüchten versuchte.
Anscheinend hatte er verhindern wollen, dass es einen Zeugen gab.
Jemanden, der gegen ihn aussagen konnte.
So viel Kaltblütigkeit war selbst in einem rauen Pflaster wie Berlin selten.
Da muss auch unsereins dann mal kurz Luft holen, um das zu verdauen.
“Die Welt ist niederträchtig und schlecht”, lautete Rudis Kommentar dazu.
Er hörte sich in diesem Augenblick schon fast an wie ein Prediger der Zeugen Jehovas.
Aber Recht hatte er schon irgendwie.
*
Am Abend zog sich die übliche Tatort-Routine noch etwas hin. Und da Rudi und ich ja Feierabend hatten, blieben wir auch nicht bis zum Schluss.
Immerhin erfuhren wir noch, wer der Killer war.
Er war nämlich aufgrund der Papiere, die er bei sich trug, leicht zu identifizieren. Es handelte sich um den Handlanger eines Libanesen-Clans. Und der Drogendealer hätte hier wohl nicht verkaufen dürfen. Das war nicht sein Gebiet. Er hatte hier nichts zu suchen gehabt, es aber gegen jede Vernunft trotzdem versucht. Niemand konnte mir erzählen, dass er das Risiko nicht geahnt hatte!
Die dünne Frau hingegen hatte einfach zur falschen Zeit am falschen Ort nicht genug Kleingeld für ihren nächsten Schuss gehabt, sodass sich das Verkaufsgespräch länger als gewöhnlich hingezogen hatte.
Dieser Umstand war es wohl, der sie das Leben gekostet hatte.
Aber so war das eben.
Eine Alltagsgeschichte aus der großen Stadt.
*
Ein eiskalter Morgen in Berlin Mitte. Mustafa Haddad blickte kurz auf die Uhr an seinem Handgelenk. Es war genau 8.07 Uhr. Haddad war spät dran. In der Linken hielt er eine unscheinbare Einkaufstüte aus braunem Papier mit dem Werbeaufdruck eines nahen Supermarkts. Inhalt: zwei Kilo reines Kokain, so weiß wie Schnee und eingeschweißt in Plastik. Jeweils ein halbes Kilo pro Packung. Die Rechte war in der Tasche des Kamelhaarmantels vergraben. Er spürte den Griff seiner Automatik, aber im Moment suchte Mustafa Haddad den Wagenschlüssel seiner Limousine, die am Straßenrand geparkt war. Es handelte sich um einen zehn Jahre alten Hybridwagen. Eine Sonderanfertigung mit kugelsicheren Scheiben und einer Panzerung, die so viel gekostet hatte, dass Haddad dafür auch den ein oder anderen Nachteil in Kauf nahm. Zum Beispiel, dass dieses Fahrzeug anstatt eines elektronischen ein konventionelles Schloss hatte. Und das war jetzt zugefroren. Haddad bekam den Schlüssel nicht hinein. Er legte die Einkaufstüte auf das Dach, griff in die andere Manteltasche um das Enteisungsspray herauszuholen. Sein Blick glitt seitwärts. Ein Leihwagen einer bekannten Berliner Firma hatte hinter seiner Limousine geparkt. Der war gestern Abend noch nicht hier, dachte er noch.
Es war sein letzter Gedanke.
Denn alles, was dann folgte, bekam er nicht mehr mit.
Im nächsten Moment gab es einen Knall. Der Leihwagen explodierte und wurde zu einem sich ausdehnenden Feuerball. Die Tüte wurde emporgeschleudert, zerriss und entflammte, während gleichzeitig Dutzende von Fensterscheiben zerbarsten. Augenblicke später rieselte der erste Schnee dieses Jahres vom Himmel.
*
Derselbe kalte Morgen, nur eine andere Straße...
“Scheiße, das darf doch nicht wahr sein!”
Niko Buljan stoppte seinen Lastwagen, mit dem er gerade versuchte durch die schmale Einfahrt zu einem Hinterhof hineinzufahren. Sein Blick fiel auf die Uhr an den Armaturen. Es war 8.07. Das bedeutete, er war exakt sieben Minuten zu spät. Die Warenannahme bei dem Schuhdiscounter, zu dem er fuhr, war genau getaktet. Wer zu spät kam, riskierte saftige Konventionalstrafen.
Das konnte einem den ganzen Monat versauen.
Oder sogar noch mehr.
Niko Buljan hatte es bisher meistens geschafft, so etwas zu vermeiden. Auch, wenn es oft genug verdammt knapp gewesen war.
Und jetzt - kurz vor dem Ziel - hatte irgend so ein Idiot seinen Wagen so dämlich in die Einfahrt gestellt, dass Buljan mit seinem Wagen nicht daran nicht vorbei kam.
Jedenfalls nicht so einfach.
“Mist!”, knurrte Niko Buljan vor sich hin.
Fluchen half nicht.
Das wusste er wohl.
Er musste noch einmal ein Stück zurücksetzen, damit das Fahrzeug dann in einem anderen Winkel auf der Straße stand. Und was dann folgte, war Zentimeterarbeit.
Immer mit der Ruhe!, versuchte er sich zu sagen.
Aber er wusste, dass das sinnlos war.
Früher oder später ging sein Temperament mit ihm durch.
Er kannte sich selbst gut genug, um das vorhersagen zu können.
„Verfluchter Mist! Wenn man die Polizei braucht, ist sie nicht da”, knurrte Buljan.
Auf seinen Touren fluchte er häufig laut vor sich hin. Vor allem dann, wenn er es mit Verkehrsteilnehmern zu tun hatte, die ihn durch ihre unsichere Fahrweise aufhielten oder in Gefahr brachten. Das Vor-sich-hin-Fluchen half Buljan, sich wieder zu beruhigen. Denn dass es nichts brachte, sich über solche Dinge aufzuregen, dass wusste er selbst ganz genau.
Buljan sah in den Rückspiegel. Da war bereits ein SUV hinter ihm und blendete die Scheinwerfer auf, weil der Fahrer wohl nicht verstand, weshalb der Lastwagen vor ihm jetzt unbedingt zurücksetzen musste.
„Ja, wenn du schneller denken würdest, du Schlipsträger in deiner Limousine, dann würden wir beide jetzt etwas schneller vorwärts kommen”, knurrte Buljan finster vor sich hin.
Endlich begriff der Limousinenfahrer und setzte jetzt auch ein Stück zurück. Buljan konnte daher ebenfalls ein paar Meter rückwärts fahren. Alles nur nach der Sicht im Außenspiegel. Aber das war Buljan gewohnt.
Und dann brach vor ihm plötzlich die Hölle los.
Der für Buljan so ungünstig abgestellte Wagen platzte regelrecht auseinander.
Buljan konnte nur noch die Hände emporreißen und sich zusammenkrümmen. Die Frontscheibe seines Lastwagens zerbarst und es regnete Scherben.
Die Explosion war mörderisch.
Im wahrsten Sinn des Wortes.
*
“Herr Kriminaldirektor Hoch, ich zähle jetzt auf Sie”, sagte der Regierende Bürgermeister.
Herr Hoch fand, dass sein Gegenüber etwas blass um die Nase war.
Aber das fand der “Regierende”, wie man den Bürgermeister von Berlin auch einfach nannte, wohl umgekehrt auch von Kriminaldirektor Hoch.
“Ich kann Ihnen nichts versprechen”, sagte Hoch. “Außer, dass wir unsere Arbeit tun werden.”
“Das weiß ich.”
“Und zwar so gut wir können.”
Der Regierende atmete tief durch.
Sehr tief.
So tief, dass man es tief in seiner Lunge rasseln hörte und es war nicht ganz klar, ob das von einer verschleppten ERkältung herrührte oder einfach ein Ausdruck der tiefen Verunsicherung war, die den Regierenden erfasst hatte.
“Ich weiß nicht…”, sagte er dann gedehnt.
Kriminaldirektor Hoch hob die Augenbrauen.
“Was wissen Sie nicht?”
“Ob das ausreichen wird - was Sie mir versprochen haben.”
Der Regierende bedachte Kriminaldirektor Hoch mit einem durchdringenden Blick. Dieser hatte sich aber in vielen Dienstjahren mit wechselnden “Regierenden” angewöhnt, solche Blicke schlicht und ergreifend zu ignorieren.
War besser für die Nerven.
Und letztlich auch besser für die Arbeit.
Das durfte man nur niemandem sagen. Schon gar nicht dem Regierenden!
*
Dieser Morgen begann wie viele andere auch. Ich holte Rudi an der bekannten Ecke ab. Schon zwei Kreuzungen weiter ging es dann ziemlich zäh voran. Der morgendliche Verkehrsinfarkt hatte Berlin mal wieder voll im Griff. Aber daran gewöhnt man sich und eigentlich war ich früh genug losgefahren, um das Präsidium pünktlich zu erreichen.
Aber an diesem Morgen sollten wir dort vorerst gar nicht ankommen.
Ein Anruf erreichte uns. Wir nahmen ihn über die Freisprechanlage entgegen, während ich den Dienst-Porsche vor der nächsten roten Ampel anhalten musste.
Es war Kriminaldirektor Hoch,unser Chef, der sich da meldete. Und was er uns mitzuteilen hatte, klang schier unglaublich.
„Heute morgen hat es nahezu gleichzeitig insgesamt acht Anschläge durch Autobomben in Berlin gegeben. Die Bomben gingen zur selben Zeit hoch und wir wissen im Moment nur eins: Es ist allein schon wegen der Anzahl von Vorfällen und der Koordination, die da offenbar im Spiel war, von einem professionell geplanten Verbrechen auszugehen - aller Wahrscheinlichkeit nach mit terroristischem Hintergrund.”
„Klingt nach einem generalstabsmäßig durchgeführten Angriff auf die Stadt”, meinte ich.
„Die Kollegen geben uns laufend neue Daten herein und ich verteile gerade unsere Leute auf die verschiedenen Tatorte. Ich gebe Ihnen gleich eine Adresse durch, zu der Sie jetzt unverzüglich fahren…”
Die Adresse, die Kriminaldirektor Hoch uns durchgab, gehörte zu einem Block mit Luxusappartments. Eine der Bomben dieses Morgens war wohl in einem Fahrzeug deponiert gewesen, das in unmittelbarer Nähe geparkt hatte.
„Das pikante an der Sache ist, dass sich unter den Opfern ein Mitarbeiter der Botschaft Saudi-Arabiens befindet. Es handelt sich um Mohammed Hussein Ibn Ahmad. Er wurde schwerverletzt in eine Klinik eingeliefert und es ist noch nicht sicher, ob er durchkommt.”
„Wissen Sie, welche Funktion dieser Ibn Ahmad in der Botschaft hatte?”, fragte ich.
„Er hat in untergeordneter Funktion gearbeitet, besaß zwar einen Diplomatenpass, hat sich allerdings vorrangig um die Pflege von Wirtschaftskontakten gekümmert.”
„So ein Mann wäre immerhin ein mögliches Al-Quaida-Ziel” ergänzte Rudi.
„Richtig”, bestätigte Kriminaldirektor Hoch. „Allerdings sollten wir zunächst in alle Richtungen ermitteln. Noch wissen wir nicht, ob es zwischen den verschiedenen Opfern, die diese koordinierten Anschläge gekostet haben oder noch kosten werden, irgendwelche Gemeinsamkeiten gab. Die Daten tröpfeln hier so nach und nach ein und ehrlich gesagt ist es noch viel zu früh, um sich irgendein Bild zu machen.”
Wir machten uns also auf den Weg.
„Acht Autobomben - exakt zur selben Zeit gezündet - das ist keine Kleinigkeit”, meinte Rudi. „Wer immer auch dahintersteckt, das waren Leute, die etwas von Sprengstoff und dem Gebrauch von Zeit- oder Fernzündern verstanden. Und vermutlich kann es auch kein Einzeltäter gewesen sein, sondern eine gut vernetzte, hochprofessionell organisierte Gruppe.”
„Du meinst, es käme auch ein ausländischer Geheimdienst in Frage”, meinte ich.
„Jedenfalls Leute, die weitaus mehr vorzuweisen haben, als nur irgendeine radikale politische oder religiöse Ausrichtung, die die Betreffenden jedes Risiko vergessen lässt.”
„So wie ich das sehe, sind die gar kein Risiko eingegangen”, gab ich zu bedenken.
„Sag ich doch: Eher Terror-Profis als fanatische Selbstmordattentäter! Zumindest sagt mir das mein Bauchgefühl.”
„Dann wollen wir mal sehen, wie man sich auf deinen Bauch verlassen kann, Rudi.”
„Im Moment knurrt der nur, weil ich heute Morgen nicht mehr dazu gekommen bin, was zu frühstücken.”
„Ach Rudi, so was sind wir doch gewöhnt, oder?”
Rudi nickte. „Leider.”
Als wir den uns zugewiesenen Tatort erreichten, war dort bereits die Hölle los. Zahlreiche Einsatzfahrzeuge blockierten die Straße. Der Verkehr wurde bereits eine Kreuzung vorher umgelenkt. Die Folgen für den Verkehrsfluss waren natürlich verheerend. Inzwischen kamen auch die ersten Meldungen über das Radio sowie über das Navigationssystem. Ohne dass schon Näheres über die Tatumstände gemeldet wurde, empfahl man allen Verkehrsteilnehmern bestimmte Bereiche so weiträumig wie möglich zu umfahren.
Am besten sei es, den gesamten Bereich heute zu meiden, wenn es einem irgendwie möglich sei, so der Radiomoderator.
Witzbold, dachte ich. Für die meisten Pendler, die um diese Zeit unterwegs waren, war das schlicht und ergreifend unmöglich. Sie mussten zu ihren Büros und Geschäften oder wo sie sonst ihre Jobs hatten.
Ich nahm den erstbesten legalen Parkplatz in der Nähe des Appartmenthauses, vor dem eine der acht Bomben explodiert war. Den Rest des Weges gingen wir zu Fuß, weil das letztendlich schneller ging.
Es war ziemlich kalt. Eine der ersten Frostnächte in diesem Jahr lag gerade hinter uns. Wir erreichten die Absperrung der Kollegen. Rudi und ich hielten unsere Ausweise hoch.
Wenig später trafen wir dann bei dem explodierten Wagen ein. Das Fahrzeug war für einen Laien kaum noch zu identifizieren. Überall lagen Teile der Karosserie herum. Fensterscheiben waren in der Umgebung des eigentlichen Explosionsherdes dutzendweise geborsten. Durch die Luft geschleuderte Trümmerteile hatten für weitere Schäden an den Fassaden und an benachbarten Fahrzeugen gesorgt.
Schwer beschädigt war offenbar auch eine dunkle Limousine mit Überlänge.
Wir trafen Gregor den Kollegen Gregor Nöllemeyer. Nöllemeyer war ein drahtiger Mittfünfziger. Der graue Haarkranz war kurzgeschoren. Nöllemeyer hatte gerade sein Smartphone am Ohr und telefonierte, als wir ihn begrüßten. „Wir brauchen hier dringend Verstärkung”, hörten wir ihn eindringlich sagen. „Glaubt ihr vielleicht, die Spuren warten darauf, bis wir genügend Leute hier haben, um sie zu sichern? Von den Zeugen mal ganz abgesehen… Na also!” Nöllemeyer beendete das Gespräch und sein Kopf nahm daraufhin eine hochrote Farbe an.
„Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Rudi Meier”, sagte ich.
„Kann es sein, dass wir uns schonmal gesehen haben?”
„Ja, aber da waren Sie noch auf einer Dienstelle in Potsdam.”
„Dachte ich es mir doch. Gesichter merke ich mir.”
„Ich sehe, Sie sind ziemlich im Stress.”
Nöllemeyer machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es fehlt an allen Ecken und Enden. Von den acht Autobomben, die irgendwelche Irre heute gezündet haben, liegen zwei in meinem Revier. Und das heißt, hier steht alles Kopf. Die Spezialisten, auf die wir warten, sind immer noch nicht da und ich habe auf die Schnelle noch nichtmal genug Leute, um alle Zeugenaussagen aufzunehmen.”
„Sie sind nicht zu beneiden.”
„Was erwarten Sie? Das ist das übliche Chaos. In ein oder zwei Stunden hat sich das gelegt. Und mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass uns in dieser Zeit nicht irgendwelche wichtigen Hinweise durch die Lappen gehen.”
„Was ist mit der ramponierten Limousine da vorne?”, fragte ich. „Ist das der Wagen von Herr Mohammed Hussein Ibn Ahmad?”
Nöllemeyer nickte. „Ja, ist es.”
„Was ist genau passiert?”
„Herr Ahmad kam aus dem Haupteingang des Apartmenthauses. Sein Leibwächter war bei ihm. Eine Limousine wurde vorgefahren, hielt. Der Fahrer wartete im Wagen. Sie sehen ihn da vorne. Er scheint nicht ansprechbar zu sein.”
„Und was geschah dann? Wo war Ibn Ahmad, als die Bombe losging?”, hakte Rudi nach.
„Der Leibwächter machte ihm gerade die hintere Tür der Stretch-Limousine auf. Ein paar Sekunden später und weder Ibn Ahmad noch sein Leibwächter hätten etwas abbekommen, denn die Limousine ist gepanzert. Sie sehen ja, dass dem Fahrer nichts passiert ist.”
Ich nickte leicht.
Der Fahrer starrte einfach nur vor sich hin. Man musste kein Arzt sein, um einen schweren Schock zu diagnostizieren.
„Ich frage mich, wer so eine Wahnsinnstat begeht”, meinte Nöllemeyer und fuhr sich mit der flachen Hand über den kahlen Kopf. Die Eiseskälte schien ihm nichts auszumachen. „Acht Autobomben auf einmal - dass ist ja fast so etwas wie ein Sturmangriff auf Berlin.”
“Naja, sagte ich. “Hat hier glaube ich schon Schlimmeres gegeben. Auch wenn es lange her ist…”
„Wir werden früher oder später schon herausbekommen, wer dahintersteckt”, versicherte ich.
Nöllemeyer nickte. „Ja - fragt sich nur, ob früher oder später. Den Irren, die dahinterstecken, geht es ja wohl ganz offensichtlich darum, einen möglichst großen Schrecken zu verbreiten. Und zumindest dieses Ziel ist auf jeden Fall erreicht worden. Es wird Monate dauern, bis sich die Leute hier in Berlin wieder sicher fühlen.”
Was seine letzte Bemerkung anging, musste ich Nöllemeyer leider Recht geben. Aber was die Intention des oder der Attentäter betraf, hatte ich mir angewöhnt, zurückhaltender zu sein. Frühzeitige Festlegungen haben so manche Ermittlung ruiniert, die eigentlich ganz vielversprechend begann. und wenn man erst einmal mit der falschen Brille durch die Gegend lief, sah man sehr schnell selbst die Dinge nicht mehr, die eigentlich unübersehbar sind.
„Sagen Sie, haben Sie eine Ahnung, was Herr Ibn Ahmad in diesem Haus wollte?”, fragte ich.
Nöllemeyer sah mich verwundert an.
„Keine Ahnung. Darum konnten wir uns noch nicht kümmern. Zurzeit lasse ich so viele Leute wie möglich ausschwärmen, um Zeugen zu befragen und zu ermitteln, wer zum Beispiel den Wagen dort abgestellt hat, der plötzlich explodiert ist. Was diesen Ibn Ahmad angeht - fragen Sie doch den Fahrer. Vielleicht lernt man bei Ihnen beim BKA ja Befragungstechniken, die sensibel genug sind, um selbst jemandem, der so unter Schock steht, noch eine brauchbare Information zu entlocken.”
*
Wir gingen zu dem Fahrer am Steuer der Stretch-Limousine. Ich klopfte gegen die Fensterscheibe aus Panzerglas. Sie war von außen etwas ramponiert. Kleine Metallteile und Glassplitter des explodierten Fahrzeugs waren wie Geschosse durch die Luft geflogen und hatten auch die Panzerscheiben der Stretch-Limousine getroffen. Allerdings waren sie nicht durchgedrungen, sondern hatten nur unübersehbare Spuren hinterlassen.
Ich klopfte ein zweites Mal, als der Fahrer zunächst nicht reagierte. Dann wandte er den Blick, sah mich mit teilnahmslos wirkenden Gesichtsausdruck an und ich hielt ihm den Dienstausweis so hin, dass er ihn erkennen musste.
Einige Augenblicke lang geschah gar nichts. Aber mir war klar, dass man bei jemandem in seinem Zustand Geduld haben musste. Also wartete ich einfach ab.
Der Fahrer wandte den Kopf, sah mich einige Augenblicke lang starr an und blickte dann kurz auf meinen Ausweis. Anschließend ließ er das Fenster herunter.
„Sir?”, fragt er.
„Brauchen Sie Hilfe?”, fragte ich.
„Nein”, war seine Antwort.
„Sie sind der Fahrer von Herr Ibn Ahmad.“
„Bin ich.“
„Können Sie mir etwas darüber sagen, was Herr Ahmad hier gewollt hat? Wen hat er im Three Seasons besucht?“
„Ich glaube nicht, dass dies etwas mit dem Verbrechen zu tun hat, dass Sie aufklären sollen“, sagte der Fahrer jetzt und vermittelte auf einmal überhaupt nicht mehr den Eindruck eines Mannes, der unter einem tiefen Schock stand und quasi wie gelähmt war.
„Die Beurteilung dieser Frage müssen Sie schon uns überlassen“, gab ich zurück. „Jede zusätzliche Information, die wir bekommen können, kann uns am Ende helfen, den oder die Täter zu fassen.“
„Sie sind nicht autorisiert, mich zu verhören. Ich besitze als Botschaftsangehöriger...“
„Ich will nicht an Ihrem Diplomatenstatus kratzen - und auch nicht an dem von Herrn Ibn Ahmad“, versicherte ich.
Der Fahrer hielt mir seinen Ausweis entgegen, der ihn als Mitarbeiter der saudischen Botschaft identifizierte. Sein Name war Daud al-Katibi. „Es tut mir leid, ich habe meine Anweisungen und Vorschriften. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihren Ermittlungen im Hinblick auf Herr Ibn Ahmad enge Grenzen gesetzt sind. Genau genommen...“
„Herr al-Katibi, Sie scheinen mich vollkommen missverstanden zu haben“, unterbrach ihn ihn, „wir betrachten Herrn Ibn Ahmad als Opfer und ich nehme an, dass auch Ihre Regierung ein hohes Interesse an der Aufklärung dieses Falls hat.“
Die Art und Weise, wie der Fahrer uns ansah, hatte etwas Automatenhaftes. „Ich bin leider nicht ermächtigt, mit Ihnen darüber zu reden. Sie sollten außerdem beachten, dass den Befragungen von Botschaftsangehörigen enge Grenzen gesetzt sind und…”
„Sie sind uns nicht gerade eine Hilfe, wenn es darum geht, die Sicherheit Ihrer Boschafter und des dazugehörigen Personals auch in Zukunft zu sichern”, unterbrach Rudi ihn genervt.
„Ich habe meine Vorschriften.”
„Aber Sie können zumindest bestätigen, dass er im Apartmenthaus war?”
„Ich werde nichts bestätigen oder dementieren. Wenden Sie sich einfach an meine Botschaft, reichen Sie Ihre Fragen schriftlich ein und ich bin überzeugt davon, dass man Ihnen weiterhelfen kann.”
Rudi seufzte. Der Blick, den er mir zuwarf, sagte alles. Es war ganz gut, dass er das, was er in diesem Moment dachte, für sich behielt. Eigentlich hatte ich gedacht, dass der Fahrer das Gespräch damit als beendet ansah. Aber das war offenbar nicht der Fall, denn plötzlich wurde er - gemessen an seinen Verhältnissen - dann doch noch ungewohnt auskunftsfreudig. „Ich versichere Ihnen, dass der Grund für Herrn Ibn Ahmads Besuch in diesem Teil der Stadt nichts mit dem Anschlag zu tun hat.”
„Wie können Sie da so sicher sein?”, fragte ich etwas ratlos. „Bis jetzt haben wir nicht einmal den leisesten Anhaltspunkt dafür, wer dahinter stecken könnte und was alles damit in Zusammenhang steht. Oder wissen Sie mehr?”
„Ich habe alles gesagt, Sir.”
Er wich meinem Blick aus und mir war klar, dass er mir nicht eine einzige weitere Silbe sagen würde.
„Lass es, Harry”, meinte Rudi.
Mein Kollege hatte natürlich recht. Es lohnte sich nicht, sich an diesem Mann festzubeißen, zumal ihn sein Status einen weitgehenden Schutz gab. Wir hätten nicht einmal den Kofferraum der Stretch-Limousine durchsuchen dürfen.
*
Wir gingen ins Apartmenthaus, dass den schönen Namen >Drei Jahreszeiten< trug, und nahmen Kontakt mit dem Sicherheitsdienst auf. Das >Drei Jahreszeiten< war ein Apartmenthaus, das in Sachen Sicherheit einen sehr hohen Standard aufwies. Kameras überwachten sämtliche Flure, die zum Haus gehörende Tiefgarage und die Bereiche vor den Eingängen.
Uniformierte Kräfte eines privaten Sicherheitsdienstes zeigten schon in der Eingangshalle auffällig viel Präsenz. Wir zeigten dem erstbesten Security Guard unsere Ausweise und wurden zum Einsatzleiter gebracht, der uns zusammen mit den Kollegen der Videozentrale erwartete. Hier wurden die Daten der Kameraüberwachung gesammelt und die einzelnen Kameras live überwacht. Falls sich irgendwo eine kritische Situation ergab, konnte sofort eingegriffen werden.
Der Einsatzleiter hieß Jürgen Thomas, war mindestens zwei Meter groß, Afroamerikaner und hatte einen vollkommen haarlosen Kopf. Selbst die Augenbrauen fehlten ihm.
„Freut mich, wenn wir Ihnen helfen können”, meinte Jürgen Thomas, während er mir auf eine Weise die Hand drückte, die gleich klarmachen sollte, wer hier der Herr im Haus war. „Es war schon jemand von der Versicherung hier und hat schon angekündigt, dass es eventuelle Schwierigkeiten geben könnte.”
„Und welche?”, fragte ich.
Jürgen Thomas machte eine wegwerfende Handbewegung. „Immer dasselbe. Diese Halsabschneider wollen nicht zahlen. Das kann man doch immer wieder erleben. So lange kein Versicherungsfall eintritt, sind die scheißfreundlich zu einem, aber wehe, genau der Fall, für den man die Police abgeschlossen hat, tritt auch ein, dann wollen die plötzlich nichts mehr von einem wissen.”
„Klingt, als sprächen Sie aus eigener Erfahrung”, sagte ich.
„Ich hatte im vergangenen Jahr ziemlichen Ärger mit meiner Krankenversicherung”, erklärte er. „Aber darüber will ich jetzt eigentlich kein weiteres Wort verlieren. Und unser Ärger mit den Halsabschneidern, die eigentlich dafür sorgen sollen, dass in genau solchen Fällen unsere Fassade und Fenster wieder ohne weiteres erneuert werden können, sofern das unumgänglich ist, ist ja nicht Ihr Problem…”
„Sie überwachen den Eingangsbereich?”, fragte ich.
„Ja, und wir zeichnen die Aufnahmen auch auf”, bestätigte Jürgen Thomas. „Und da wir uns schon gedacht haben, dass früher oder später jemand danach fragen wird, haben wir die Daten, die für Sie interessant sein könnten, bereits für Sie auf einen Datenträger gespeichert.”
„Woher wissen Sie, was für uns interessant sein könnte?”
„Na, ich nehme an, Sie wollen wissen, seit wann der Wagen dort abgestellt wurde, der uns allen schließlich um die Ohren geflogen ist!”
Ich nickte. „Das wäre in der Tat ein wesentlicher Punkt für uns.”
„Sie können sich die Aufnahmen hier gleich ansehen und dann zur weiteren Analyse durch Ihre Spezialisten mitnehmen.”
„Waren Sie mal Polizist?”, fragte ich.
„Wieso?”
„Weil Sie sich gut auskennen.”
Jürgen Thomas lächelte kurz. „Ich war tatsächlich mal bei der Polizei.”
„Und warum sind Sie es nicht mehr?”
Ein Security Guard bei irgendeinem dieser privaten Sicherheitsdienste, die für die Sicherung von Wohnblocks, Parkanlagen, Banken, Geldtransporten, Juwelierläden und unzähligen anderen Objekten eingesetzt wurden, verdienten oft erschreckend wenig. Ausnahmen bestätigten da nur die Regel. Der gute Verdienst konnte es also kaum ein, der Jürgen Thomas dazu bewogen hatte, den Dienst bei der Polizei zu quittieren. Von den Pensionsansprüchen, die es da gab, mal ganz abgesehen.
„Wieso interessiert Sie das?”, wich Thomas mir aus.
„Bin neugierig.”
„Sagen wir so: Es gab Ärger.”
„Ach, ja?”
„Und das ist eigentlich auch alles, was ich dazu noch zu sagen habe.”
„Tut mir leid, vielleicht bin ich manchmal auch zu neugierig.”
„Muss eine Berufskrankheit sein. Geht mir manchmal genauso”, gab Jürgen Thomas zurück.
Dann wies er auf einen der Bildschirme im Kontrollraum und zeigte uns die entscheidende Sequenz. Nach der Zeitangabe der Aufzeichnung war der Wagen, der später explodierte, um vier Uhr morgens an der Stelle abgestellt worden, an der dann einige Stunden später die Hölle losbrach. Es handelte sich um einen unscheinbaren viertürigen Ford in silber-metallic. Davon gab es Millionen auf den Straßen. Das Nummernschild war nicht zu erkennen, aber vielleicht würden unsere Kollegen, die die Trümmer einsammelten und untersuchten, noch irgendwo etwas davon finden.
Interessanter für uns war der Fahrer.
Er trug einen Army-Parka und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Außerdem hatte er sich noch einen Schal so umgewickelt, dass vom unteren Teil des Gesichts ohnehin nichts zu sehen war. Nase, Augen und Stirn lagen ohnehin im Schatten. Bei der im Augenblick herrschenden Kälte fiel er in diesem Aufzug noch nicht einmal auf. Er stieg aus dem Wagen, wandte einmal den Blick, wobei leider keine der Lichtquellen, die den Bereich vor dem Three Seasons auch in der Nacht erhellten, den Schatten unter seiner Kapuze erhellten.
Dann ging er davon und entschwand aus dem Bildausschnitt der Überwachungskameras.
„Vielleicht finden unsere Innendienstler ja noch irgendein Detail, das uns weiterhilft, den Kerl zu identifizieren”, meinte Rudi.
Ich nickte. „Mittelgroß, schätze ich. Irgendwas um die 1,75 m, wenn man berücksichtigt, wie weit er über das Wagendach ragt.”
„Auffällig ist leider was anderes”, meinte Rudi.
„Jedenfalls ist es ein Mann”, meinte Jürgen Thomas. „Zumindest wenn man nach dem Körperbau geht.”
„Was glauben Sie, was wir da schon für Überraschungen erlebt haben”, gab ich zurück.
„Na, komm schon, Harry! Es ist ein Kerl”, gab Rudi seiner Überzeugung Ausdruck. „Dafür würde ich eine Wahrscheinlichkeit von eins zu fünfzig ansetzen. Allerdings wissen wir ja auch nicht sicher, ob der Kerl auch etwas mit der Explosion zu tun hat.” Rudi wandte sich an Jürgen Thomas. „Wir brauchen den gesamten Aufzeichnungszeitraum bis zur Explosion.”
„Sie wollen wissen, ob sich in der Zeit bis zum großen Knall noch irgendjemand an dem Wagen zu schaffen gemacht hat”, schloss Jürgen Thomas.
„Richtig”, nickte Rudi.
„Habe ich mir schon gedacht und daraufhin das Material durchsucht. Wir haben eine Software dafür.”
„Und?”, fragt ich.