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Zwei Bergromane in einem Band: "Zu stolz, um zu verzeihen" und "Der Bergführer und die Gipfelstürmerin".
Drama und Schicksal vor dem Hintergrund der alpinen Bergwelt. Hass, Neid und Missgunst regieren auch in den Tälern und an den Berghängen, aber am Ende siegt die Liebe.
Alfred Bekker wurde vor allem durch seine Jugendbücher, Fantasy-Romane und Krimis bekannt. Unter dem Pseudonym ROBERT GRUBER schrieb er eine Reihe gleichermaßen spannender wie romantischer Bergromane.
Cover: STEVE MAYER
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Alfred Bekker schrieb als Robert Gruber
Bergroman
© 2002,2005,2012 by Alfred Bekker
All rights reserved
Ein CassiopeiaPress E-Book
Ausgabejahr dieser Edition: 2012
www.AlfredBekker.de
Eine anstrengende Wanderung lag hinter den beiden jungen Leuten, die sich in diesem Moment an den Ufern des reißenden Wildbachs niedersetzten.
"Mei, ich glaub, von meinen Füßen spür ich gar nix mehr", seufzte Andrea Ramayer.
Um die Lippen des hübschen Dirndls spielte dabei trotzdem ein versonnenes Lächeln.
Thomas Bernrieder, der junge Mann, der sie auf dieser Wanderung begleitet hatte, erwiderte dies.
Beide saßen sie nun am Ufer des Baches, zogen Schuhe und Strümpfe aus und ließen die Füße in das erfrischende kalte Nass hineinbaumeln. Eine willkommene Erfrischung an einem derart heißen Tag. Der Bernrieder-Thomas nahm den kleinen Rucksack von den Schultern und setzte ihn neben sich.
"Sehr viel von unserem Proviant ist net mehr darin", stellte er fest.
Das Madl machte eine wegwerfende Handbewegung. "Im Moment könnte ich ohnehin nix essen", meinte sie. Ihre Blicke trafen sich. Andrea wurde es dabei ganz warm ums Herz.
Mei, mir wird ganz anders, wenn der Thomas mich so ansieht!, ging es dem Madl durch den Kopf.
"Das war ein sehr schöner Tag mit dir zusammen!", murmelte Andrea dann.
"Und die Kraxelei ging dir net ein bisserl auf die Nerven!"
"Mei, für das heiße Wetter kannst du doch nix!"
"Das ist natürlich wahr, aber..."
"...und außerdem ist für mich nur wichtig, dass wir zwei zusammen sind. Wo auch immer das sein mag."
Thomas lächelte. Er nahm ihre Hand.
"Mir geht das ganz genauso, Andrea."
Das Madl atmete tief durch. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte sie. Ein Gefühl, von dem sie gewünscht hätte, daß es niemals aufhörte.
Könntest dir den Thomas vielleicht auch als Ehemann vorstellen? fragte sie sich.
Geh, um darüber nachzudenken ist es doch noch ein bisserl früh!, entgegnete eine andere, skeptischere Stimme in ihr.
Hast dich gerade erst frisch verliebt und denkst schon an den Altar! Warte doch erst einmal ab, ob dein Liebesglück überhaupt über längere Zeit anhält und von Dauer ist!
Thomas' Stimme drang jetzt in ihre Gedanken.
"Hast vielleicht Lust, mit mir übermorgen auf den Dorftanz zu gehen?"
"Beim Kramer-Wirt?", fragte das Madl zurück.
"Ja, freilich!"
"Gerne, Thomas. Ich freue mich schon sehr darauf." Dann seufzte sie. "Ich hoffe nur, daß ich an dem Abend auch frei bekomme. Ich habe dir ja erzählt, was im Moment bei uns los ist..."
Ludwig Ramayer, Andreas' Vater, war der Wirt des kleinen, idyllisch gelegenen Gasthofs ZUM GIPFEL. Und zur Zeit herrschte dort ein wahrer Hochbetrieb. Ausgerechnet jetzt war eine der Kellnerinnen, die der Vater zusätzlich eingestellt hatte, ausgefallen. Sie hatte sich den Fuß verstaucht und fiel in der nächsten Zeit mit Gewißheit aus.
Ersatz war nur schwer zu bekommen. Der Ramayer-Wirt bemühte sich zwar redlich darum, aber bislang ohne Erfolg.
"Ich weiß wie das ist, wenn man im elterlichen Betrieb mitarbeitet", meinte der Thomas, dessen Vater Sägemüller war. "Man kann sich net einfach wie ein x-beliebiger Angestellter aus der Verantwortung stehlen, schließlich geht es ja immer auch um die Zukunft des Betriebes, den man einmal weitführen soll."
"Mei, da sagst ein wahres Wort!", seufzte Andrea. "Aber das ändert nix daran, daß es auch mal möglich sein muss, zum Tanz zu gehen."
"Ich freue mich schon sehr, Andrea."
"Ich mich auch..."
Thomas strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus der Frisur herausgestohlen hatte. Andrea schluckte.
Und einen Augenblick später trafen sich ihre Lippen zu einem vorsichtigen, tastenden Kuss.
*
Die Dämmerung hatte sich längst über die Bergwelt gelegt, als Andrea und Thomas den Gasthof ZUM GIPFEL erreichten. Der Name war Progamm. Das Wirtshaus lag weit außerhalb des Dorfes auf einer Hochebene. Nach Süden hin hatte man eine fantastische Aussicht über die nahen Berggipfel.
Schneebedeckt erhoben sie sich in den dunkler werdenden Himmel. Das Sonnenlicht schimmerte nur noch als ein schwaches Leuchten hinter den Bergspitzen hervor und ließ diese in einem zauberhaften Licht erscheinen. In nördlicher Richtung lag ein Stück Wiese, das von den Gästen des Gasthofs ZUM
GIPFEL als Parkplatz genutzt wurde. Ludwig Ramayer hatte es zu diesem Zweck extra gepachtet - denn was konnte schon aus aus einem Gasthaus ohne ausreichende Parkmöglichkeiten werden?
Jene Gäste, die es vorzogen, am Ende einer anstrengenden Bergwanderung hier einzukehren, waren deutlich in der Minderzahl.
Und auch der Bernrieder-Thomas hatte auf diesem Stück Land seinen Geländewagen abgestellt, denn von hier aus waren er und Andrea am Morgen zu ihrer Tour aufgebrochen.
Um diese Zeit befanden sich kaum noch Fahrzeuge auf dem behelfsmäßigen Parkplatz. Im Anschluss daran erstreckte sich der Hochwald, in dem um diese Zeit bereits ziemlich dunkel war.
Andrea war erschöpft aber glücklich, als sie die letzten Meter bis zum Gasthaus endlich hinter sich gebracht hatten.
"Komm doch noch auf ein Glasl herein", forderte sie. "Auf Kosten des Hauses natürlich!"
Der Thomas seufzte.
"Warum eigentlich net?" meinte er.
Trotz der fortgeschrittenen Tageszeit war es nämlich immer noch ziemlich warm. Die Luft stand regelrecht. Kein kühles Lüftchen wehte von den Berghängen herunter und vielleicht würde es in der Nacht sogar noch ein Gewitter geben.
"Dann komm!", forderte Andrea, nahm Thomas' Hand und zog den Sohn des Sägemüllers mit sich.
Einen Augenblick später betraten sie den Schankraum.
Resi und Vroni, die beiden noch einsatzfähigen Bedienungen rannten sich regelrecht die Hacken ab. Die Wirtin selbst stand in der Küche, während Ludwig Ramayer seinen Platz hinter dem Schanktisch hatte und dafür sorgte, daß die Krüge der Gäste stets gut gefüllt waren.
"Ah, da bist ja, Andrea!", rief der Ramayer-Ludwig seiner Tochter zu, als sie zusammen mit Thomas an den Schanktisch herantraten. "Die Mama und ich, wir haben uns schon ein bisserl Sorgen gemacht!"
"Geh, Papa! Was sollte denn schon passieren?" Sie zwinkerte dem Thomas zu und fuhr dann fort: "Schließlich war ich doch in guten Händen..."
Ludwig Ramayer nickte nun auch dem Thomas zu.
Einerseits hielt er große Stücke auf den Sohn des Sägemüllers, der sein Handwerk sicherlich gut beherrschte und einmal den Betrieb seines Vatrs weiter führen würde. So hatte der Wirt im Prinzip auch gar nichts dagegen einzuwenden, dass seine Tochter sich mit ihm traf - mal davon abgesehen, dass er in seinem Innersten sehr wohl wusste, daß er Andrea auch nicht daran hätte hindern können. Das Madl hatte nämlich einen äußerst starken Willen, der sich nicht so einfach zähmen ließ. Wenn sie sich etwas wirklich in den Kopf gesetzt hatte, dann war es nahezu unmöglich, sie wieder davon abzubringen.
Andererseits dachte er aber auch mit Schrecken daran, dass seine Älteste womöglich schon bald das Elternhaus verlassen würde.
Ein bisserl, so fand er, konnte das doch noch warten.
Ludwig Ramayer wandte sich an Thomas.
Das Gesicht des eigentlich stets gutgelaunten Wirtes wirkte jetzt sehr ernst.
"Thomas, es kam vorhin ein Anruf für dich..."
"Für mich?", fragte Thomas verwundert.
"Mei, es war dein Vater. Falls ich dich sehe, soll ich dir sagen, dass du so schnell wie möglich nach Hause kommen sollst!"
"Der Vater hat net zufällig erwähnt, was los ist?"
Ludwig Ramayer schüttelte den Kopf.
"Na, das hat er net, aber es klang so, als ob es wirklich wichtig wäre..."
Thomas seufzte hörbar und wandte sich dann an Andrea.
"Dann mache ich mich jetzt mal lieber auf den Weg", meinte er. "Wer weiß, was zu Hause los ist..."
Andrea nickte. "Ich hoffe net, daß du mit irgendeiner Hiobsbotschaft konfrontiert wirst..."
"Geh, Andrea. Was soll schon geschehen sein?", sagte er scheinbar gelassen, aber Andrea kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß es in seinem Inneren wohl anders aussah.
Thomas verabschiedete sich und Andrea sah ihm noch nach, bis er durch die Tür ins Freie verschwand.
"Übermorgen möchte ich mit dem Thomas zum Dorftanz", sagte sie dann an den Vater gewandt.
"Mei, du warst heute schon den ganzen Tag weg!", seufzte der Vater. "Aber ich habe jetzt eine Vertretung für die Franzi, die sich den Fuß verstaucht hat und damit sicher noch eine ganze Weile zu tun haben wird."
"Wirklich?", freute sich das Madl.
"Es ist die Waldner-Birgit. Du kennst sie ja."
"Freilich, wir haben in der Schule zusammen in einer Bank gesessen."
"Ich weiß net warum, aber offenbar hat sich das Madl mit dem Wirt vom Dorfgasthof zerstritten und so fängt sie nun morgen bei uns an. Viel Einarbeitungszeit wird sie ja wohl net brauchen..."
In Gedanken ließ Andrea dabei noch einmal das Geschehene Revue passieren. Es war ein wunderschöner Tag, dachte sie.
Das Gefühl des Verliebtseins erfüllte sie vollkommen. Sie glaubte, in ihrem Leben noch nie so glücklich gewesen zu sein. Vor ihrem inneren Augen sah sie das Gesicht des geliebten Thomas vor sich. Seine blauen Augen, das unvergleichliche Lächeln... Es fiel ihr schwer, überhaupt noch an etwas anderes zu denken.
Dann ließ sie suchend den Blick durch den Schankraum kreisen. Sie vermisste ihre jüngere Schwester.
"Wo ist eigentlich Petra?", fragte sie den Vater.
"Bei einer Freundin im Dorf. Eigentlich wollte sie auch schon längst zurück sein." Der Wirt seufzte. "Eines net mehr allzu fernen Tages stehen die Mama und ich allein hier im Gasthaus ZUM GIPFEL und können sehen, wie wir mit dem Ansturm der Gäste fertig werden!", meinte er augenzwinkernd, aber doch mit einer leisen Spur von Tadel.
"Geh, Papa, red doch net so einen Schmarrn!"
"Ich sag doch nur wie's ist!" Er zuckte die Schultern.
"Andererseits bin ich natürlich froh, dass das Geschäft so brummt und wir keine Schwierigkeiten haben, uns über Wasser zu halten."
"Stell dir nur vor, wir hätten den Parkplatz net", gab das Madl zu bedenken. "Was meinst du wohl, wie es dann aussähe!"
Der Wirt nickte heftig. "Das kannst wohl laut sagen! Wenn der alte Bernrieder uns die zusätzliche Fläche net zu einem so günstigen Zins verpachtet hätte, hätten wir längst dichtmachen können..."
*
Als Thomas Bernrieder die Sägemühle seines Vaters erreichte, stellte er den Wagen direkt vor dem Wohnhaus ab und sprang aus der Tür.
Aus dem Haus hörte er Stimmen.
Wenn der Vater extra beim Ramayer anrief, um ihn zu erreichen, dann musste wirklich etwas sehr wichtiges geschehen sein.
Augenblicke später betrat er das Haus und gelangte dann in die Stube.
Seppl Bernrieder und seine Frau Clara saßen dort und unterhielten sich.
Sie verstummten, als der Sohn den Raum betrat.
"Mei, da bist ja endlich!", stieß die Bernriederin hervor.
Thomas hob die Schultern. "Was ist denn geschehen?", erkundigte er sich.
Doch noch ehe der Sägemüller oder seine Frau antworten konnten, öffnete sich die Tür des Nachbarraums. Ein hochgewachsener Mann in dunkelbrauner Mönchskutte trat heraus. Sein Haar war grau, aber noch immer voll. Die Haut wirkte wettergegerbt. Das Alter dieses Mannes war schwer zu schätzen. Thomas erkannte den Mann in der Mönchskutte sofort.
Es war Pater Munsonius, ein Einsiedlermönch, der in der Gegend lebte.
Franz Josef Bernrieder - Thomas' Großvater - hatte oft von dem Einsiedler erzählt, ihn manchmal auch mit zu sich nach Hause auf die Sägemühle eingeladen. Aus den Erzählungen wusste Thomas, wie verbunden sich sein Großvater mit Pater Munsonius fühlte.
Der Pater wandte sich an den Sägemüller.
"Er ist friedlich eingeschlafen", war der Einsiedler überzeugt. "Und das kann gewiss net von jedem behauptet werden, der die Augen für immer schließt, um vor den Herrgott zu treten."
Einige Augenblicke herrschte Schweigen.
Dann entfuhr es Thomas: "Reden Sie von unserem Großvater?"
Pater Munsonius nickte. "Ja, Thomas. Dein Großvater ist von uns gegangen..." Er legte dem jungen Burschen tröstend die Hand auf die Schulter. Thomas schüttelte nur stumm den Kopf. Der Großvater tot? Gewiss, er hatte ein beachtliches Alter erreicht. Fast neunzig Jahre war er inzwischen geworden, auch wenn ihm das niemand angesehen und er bis vor ein paar Jahren sogar noch hier und da in der Sägemühle ausgeholfen hatte. In den letzten Jahren hatte er sein Pensum auf einen täglichen Spaziergang zum nahen Hochwald reduziert.
Aber nie hatte man den Eindruck gehabt, einen hinfälligen Greis vor sich zu haben. Mit seinem Tod hatte Thomas einfach nicht gerechnet.
"Er hatte ein erfülltes Leben, wie sonst nur wenige auf Gottes Erdenrund", hörte Thomas den Pater sagen. "Daran solltest du denken."
Thomas fühlte einen dicken Kloß in seinem Hals.
Er war unfähig, auch nur eine einzige Silbe herauszubringen.
So nickte er nur stumm.
Erinnerungen stiegen in ihm empor. Von Kindheit an war der Großvater für Thomas eine wichtige Bezugsperson gewesen.
Pater Munsonius wandte sich an Seppl Bernrieder, den Sägemüller. Auch der blickte ziemlich betroffen drein. Er starrte ins Nichts, während seine Frau das Gesicht für einige Augenblicke in den Händen barg.
"Es war gut, daß du mich noch hast rufen lassen", erklärte der Pater.
"Es war der Wunsch meines Vaters", erwiderte der Bernrieder-Seppl. "Immer wieder hat er mich geradezu beschworen, den Munsonius herzubringen, damit er mit dem die letzten Dinge besprechen könne..."
Und genau das hatte Seppl Bernrieder getan.
Pater Munsonius lebte in einer Berghütte am Rande des Hochwaldes. Kein Auto konnte bis dorthin fahren. Das letzte Stück des Weges musste man wohl oder übel zu Fuß gehen.
Außerdem besaß der Einsiedler kein Telefon. So hatte Seppl Bernrieder seinen Gehilfen Cornelius aus dem Schlaf geklingelt und ihn gebeten, den Pater herbeizuholen.
Schließlich hatte der Sägemüller seinen sterbenden Vater auch nicht allein lassen wollen.
Einen Arzt hatte Seppl ebenfalls herbeigerufen.
Aber Dr. Martin Eder, der junge Arzt, der sich im nahen Ort Kayserstein niedergelassen hatte, war ausgerechnet an diesem Abend zu einem Notfall auf einem abgelegenen Gehöft gerufen worden.
In diesem Moment fuhr ein Wagen vor. Das musste er sein.
Augenblicke später stand der junge Arzt in der Tür.
"Sie kommen zu spät", erklärte Seppl Bernrieder mit ernstem Gesicht.
"Das tut mir leid", erklärte der junge Arzt mit tonloser Stimme.
Dann folgte er dem Sägemüller ins Totenzimmer.
"Der Großvater war schon den ganzen Nachmittag so eigenartig schweigsam", stellte die Sägemüllerin jetzt fest. "Dass er sich schon am frühen Abend zu Bett legen wollte, ist auch net gerad seine Art gewesen." Sie seufzte hörbar. "Und dann hat er schließlich verlangt, Sie zu holen, Pater Munsonius. Vielleicht stand er seit dem Tod seiner Frau Ihnen näher als sonst irgendeinem Menschen."
"Ja", nickte der Pater. "Wir kennen uns eine halbe Ewigkeit. In der Schule haben wir net in einer Bank sitzen dürfen, weil der Lehrer gemeint hat, dass wir zuviel miteinander redeten." Ein mildes Lächeln umspielte den Mund des Einsiedlers. Einige der tiefen Furchen, die sich durch sein wettergegerbtes Gesicht zogen, glätteten sich dabei. In seinen Gedanken schien der Mönch in die Vergangenheit zurückzuwandern.
"Werden Sie die Totenmesse für ihn lesen?", fragte die Bernriederin.
"Nun, ich bin zwar geweihter Priester, aber net der zuständige Gemeindepfarrer und..."
"Bitte!", beschwor ihn die Bernriederin. "Sie wissen ganz genau, dass sich mein Schwiegervater nix so sehr gewünscht hätte wie das. Und was Ihren Amtsbruder angeht, den Pfarrer im Dorf... mei, das wird doch wohl zu regeln sein!"
Dass der Dorfpfarrer und der alte Einsiedler sich nicht immer ganz grün waren, war ein offenes Geheimnis in der Gegend. Aber durfte das wirklich bei dieser Sache eine Rolle spielen?
Pater Munsonius nickte.
"Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde das schon regeln."
*
Genau an jenem Tag, an dem Thomas und Andrea eigentlich zum Tanzen hatten gehen wollen, fand die Beerdigung des Franz Josef Bernrieder statt.
Fast das gesamte Dorf drängte sich in der uralten Kirche des kleinen Ortes Kayserstein und nahm von dem beliebten alten Bernrieder Abschied.
Die Tage gingen dahin, und da es bei den Bernrieders im Augenblick viel zu regeln gab, was mit dem Tod des Grovaters in Zusammenhang stand, hatte Thomas wenig Zeit für seine Andrea.
Erst in der darauffolgenden Woche gingen Thomas und Andrea dann zum Dorftanz nach Kleinwanger, dem Nachbarort. Eine zünftige Musi spielte auf und immer wieder drehten die beiden sich über den Tanzboden, bis sie schließlich ganz erschöpft waren.
"Mei, ich glaub, ich kann net mehr!", sagte Andrea. "Mir ist schon ganz schwindelig!"
Thomas lächelte. "Dann lass uns hinaus gehen und etwas frische Luft schnappen!"
"Nix dagegen, Thomas!"
Und so gingen sie ins Freie.
Die Sterne am Himmel funkelten wie kostbare Edelsteine und der Mond bildete ein großes, hell leuchtendes Oval. Sie gingen ein paar Schritte den holperigen Weg entlang, der zum Festzelt führte.
Thomas legte behutsam den Arm um Andreas' Schulter.
Das Madl seufzte dabei und schmiegte sich an ihn.
"Mei, bin ich froh, dass wir zwei uns gefunden haben", stieß Andrea dann hervor.
Thomas strich Andrea über das Haar. "Mir geht es genauso", meinte er.
Sie sahen sich dann einige Augenblicke lang schweigend an.
Andrea bemerkte, wie sich das Mondlicht in seinen Augen spiegelte. Ihre Blicke verschmolzen miteinander. Andrea fühlte einen wohligen Schauer über ihren Rücken laufen, dann trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss.
Andrea schlang ihre Arme um Thomas.
"Mei, ich möchte dich für immer so festhalten", sagte sie, als such ihre Lippen wieder voneinander gelöst hatten.
"Und ich hätt wirklich net das geringste dagegen einzuwenden", erwiderte er.
Sehr spät erst brachte Thomas Bernrieder Andrea nach Hause.
Die beiden verabschiedeten sich mit einer innigen Umarmung.
Dann trat Andrea ins Haus und versuchte dabei, so wenig Krach wie möglich zu machen. Sie hörte noch, wie Thomas' Wagen davonfuhr. Die Eltern waren längst zu Bett gegangen. Andrea zog die Schuhe aus, schlich durch die Schankstube und verzichtete dabei sogar darauf Licht zu machen. Schließ-
lich gelangte sie in den privaten Teil des Hauses, durchquerte die Stube und schließich ging sie die Treppe ins Obergeschoss hinauf, wo sich ihre eigene Kammer befand.
Auf dem Flur ließ der Anblick einer sich lautlos fortbewegenden und mit einem Nachthemd bekleideten Gestalt das Madl kurz erschrocken zusammenfahren.
Dann atmete Andrea erleichtert aus.
"Mei, du bist es Petra!"
Petra, ihre jüngere Schwester hatte sich ebenfalls erschrocken.
"Ich hab schon gedacht, dass ein Einbrecher im Haus ist!", gestand das Madl.
"Gut, dass du noch keinen Alarm geschlagen hast!"
"Das kannst wohl laut sagen, Andrea!" Dann nahm Petra ihre Schwester am Arm und zog sie mit sich. Ein paar Meter waren es nur bis zu Petras Kammer. Sie machte die Tür auf und zog Andrea mit hinein.
"Was soll das denn werden?", fragte Andrea sichtlich erstaunt.
"Nun erzähl schon, wie ist es gewesen!", verlangte ihre jüngere Schwester zu wissen.
Andrea unterdrückte ein Gähnen.
"Mei, ich bin wirklich hundemüde. Den ganzen Abend haben wir uns auf dem Tanzboden gedreht, bis mir ganz schwindelig war und dann..."
"Und dann?", hakte die Schwester nach.
Andrea stemmte die schlanken Arme in die Hüften.
"Geh, Schwesterherz, findest net, dass du ein bisserl neugierig bist?"
"Mei, man wird ja wohl mal fragen dürfen", erwiderte Petra mit schmollendem Gesicht. Genau das war ihre Masche.
Andrea kannte ihre Schwester gut genug, um sich zumindest vorzunehmen, nicht darauf hereinzufallen. Aber zumeist blieb es bei dem Vorsatz. Petra wusste halt, wie man am Ende das bekam, was man wollte.
"Petra, ich erzähl dir morgen bestimmt alles..."
"Jedes Detail?"
"Naja, fast jedes."
"Hat der Thomas dir eigentlich schonmal einen Heiratsantrag gemacht?"
Jetzt hatte Petra den Bogen überspannt. Andrea warf den Kopf in den Nacken und wandte sich zur Tür. "Ich wüsste net, was dich das angeht!"
"Also noch net!", schloss Petra messerscharf.
"Es gibt doch keinen Grund, das zu überstürzen, finde ich."
Petra zuckte die Achseln. "Ich woaß net..."
"Was woaßt net?", hakte Andrea nach.
"Mei, wenn ich den Richtigen gefunden hätte, den würde ich festhalten und dafür sorgen, dass er mir net wieder durch die Lappen geht! Schau dir die Burschen in der Umgebung doch an! Die Traumtypen sind ja wohl stark in der Minderzahl, wenn ich das recht beurteile!"
Andrea lächelte geheimnisvoll.
"Es war jedenfalls ein sehr schöner Abend... Aber heute kein weiteres Wörtl mehr darüber!" Sie unterdrückte erneut ein Gähnen. "Ich muss jetzt wirklich in die Kissen, sonst komme ich morgen früh net aus den Federn."
Andrea hatte die Tür zum Flur bereits geöffnet, da hielten Petras Worte sie ein letztes Mal zurück.
"Hast übrigens schon davon gehört, wer jetzt wieder im Dorf ist und die Praxis vom alten Kötterer übernommen hat?"
Andrea atmete tief durch und drehte sich halb zu ihrer Schwester herum. Sie flüsterte: "Ja, davon hat ja wohl jeder hier in der Gegend schon gehört!"
"Der Eder-Martin! Jetzt nennt er sich Dr. Martin Eder - so steht es an seiner Praxistür. Als der Eder-Martin damals wegging hätte ich net im Traum gedacht, dass einer wie er nochmal den Weg zurück nach Kayserstein findet, wenn er erstmal studiert hat."
"Hat er aber."
"Bist du inzwischen schon einmal bei ihm gewesen, Andrea?"
"Nein, bin ich net!", sagte Andrea mit einem deutlich gereizten Unterton. "Und nun lass mich schlafen."
"Warum eigentlich net? Du und der Eder-Martin, ihr wahrt doch früher..."
"Früher war früher, Schwesterherz!", schnitt Andrea ihr das Wort ab. "Mit der Gegenwart hat das alles nix mehr zu tun."
"Wirklich net?"
"Geh, Petra!"
Andrea verließ den Raum, während sie von ihrer Schwester noch ein geflüstertes "Gute Nacht!" vernahm. Müde ging sie wenig später in ihre eigene Kammer. Vor ihrem inneren Auge erschien ganz kurz das Gesicht des Eder-Martin. Ja, bevor der Martin das Dorf verlassen hatte, da hatte sie einmal kurzzeitig für ihn geschwärmt. Aber das war vorbei. Im Augenblick war ihr Herz vollkommen besetzt. Net ein winziger Winkel war da noch für einen anderen frei. In dem Punkt war Andrea sich vollkommen sicher.
*
Am Vormittag des nächsten Tages kam Seppl Bernrieder in den Gasthof ZUM GIPFEL. Normalerweise gehörte der vielbeschäftigte Sägemüller nicht zu den Stammgästen. Wenn er überhaupt einmal dazu kam, in Ruhe ein Glas Rotwein zu trinken, dann tat er es im Dorfgasthof in Kayserstein.
Ludwig Ramayer war um diese Zeit allein im Schankraum.
Eigentlich war noch gar nicht geöffnet. Der Wirt war um diese Zeit meistens damit beschäftigt, aufzuräumemn, den Boden blank zu wienern und die Gläser zu spülen.
Um so verwunderter war er über den frühen Gast.
"Mei, Sägemüller, was führt dich denn schon um diese Zeit hier her!", stieß er überrascht hervor.
Seppl Bernrieder atmete tief durch. Sein Kopf war hochrot. Er druckste etwas herum und brachte schließlich heraus: "Wir müssen miteinander reden, Ludwig."
Ludwig Ramayer zuckte die Achseln und stellte seine Gläser zur Seite.
"Na, immer heraus damit. Worum geht es denn?"
"Um den Pachtvertrag über das Stückerl Land, das an euer Gasthaus angrenzt..."
"...und das wir Gottseidank als Parkplatz zur Verfügung haben!", vollendete der Ramayer. "Sonst könnten wir den GIPFEL wohl dicht machen. Heut zu Tage ist das eben so. Ohne ausreichenden Parkplatz läuft gar nix mehr."
"Ich weiß, ich weiß", nickte der Bernrieder. "Mein verstorbener Vater hat euch das Stück Land ja zu äußerst günstigen Bedingungen überlassen."
"Wofür ich ihm ewig dankbar sein werd", erklärte Ludwig Ramayer. "Für einen Außenstehenden mag es zwar so aussehen, als wäre der GIPFEL eine Goldgrube, aber die Wahrheit sieht leider ein bisserl anders aus. Wir kommen gerade rund und können uns gegen die Konkurrenz halten."
Der Sägemüller hob die Schultern und steckte etwas verlegen die Hände in die engen Taschen seiner Krachledernen.
"Ein Geschäftsmanmn, der net herumklagt, ist doch keiner!", meinte er, "jedenfalls hat das unser seliger Vater immer gesagt."
"Na, nun übertreibst aber ein bisserl!", fand der Wirt.
Seppl Bernrieder seufzte hörbar. "Ich will die Sach jetzt mal auf den Punkt bringen, Ludwig - so unangenehm es auch ist! Aber glaub mir, für mich ist das genauso schwierig wie es für dich sein wird!"
Der Ramayer runzelte die Stirn. Was druckste der Sägemüller so herum und brachte nicht einfach klipp und klar auf den Tisch, was er wollte.
"Nun red keinen Schmarrn, Seppl. Wir kennen uns seit frühester Jugend und können ja wohl miteinander reden wie erwachsene Männer."
Seppl Bernrieder nickte. "Woaßt unser Vater, der hat manches auf eine Art und Weise geregelt, die vielleicht net mehr so ganz zeitgemäß ist... Das gilt zum beispielsweise für den niedrigen Pachtzins, den ihr für die Parkplatz-Fläche zu bezahlen habt."
"Jetzt ist es also heraus", entfuhr es dem Wirt ziemlich ärgerlich. Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Hast aber lange gebraucht, um mir mit vielen Verrenkungen klarzumachen, dass du mehr Pacht von mir willst!"
"Mei, es ist net persönlich gemeint, aber..."