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Rund 160.000 Anwälte und Anwältinnen bevölkern Deutschlands Kanzleien und Gerichtsflure, vertreten verfeindete Nachbarn, Eheleute und Wirtschaftsbosse, verteidigen Geld und verletzte Egos, schreiben Gesetze und Rechtsgeschichte. Zu beneiden sind sie nicht. Hervorragende Juristen sollen sie sein und zugleich perfekte Mandantenversteher. Und nun stellt sogar die Europäische Kommission die Frage, ob die Privilegien des Freien Berufes Rechtsanwalt inklusive dem Versorgungswerk noch gerechtfertigt sind. Darauf Antworten zu finden, ist nicht leicht, hat die Anwaltschaft doch eben erst begonnen, ihre glorreiche Vergangenheit aufzuarbeiten und die Anwältinnen hinter dem Herd hervorzuholen. Wer mit ihnen dennoch erfolgreich zu seinem Recht kommen will, sollte wissen, wie man sie anpackt. Dafür listet das Buch liebevoll und tiefironisch 111 Gründe auf, warum man Anwälte hassen, beneiden, bewundern und manchmal sogar recht gern haben kann. EINIGE GRÜNDEWeil sie einfach nicht aussterben. Weil sie furchtbar schlau sind. Weil sie selbst ihr Spiegelbild von oben herab betrachten. Weil sie das letzte Haar in der Suppe finden. Weil sie mehr Recht haben, als gut für sie ist. Weil sie Rechtspflege mit Kontopflege verwechseln. Weil sie Unabhängigkeit als Luxus betrachten, den sich nicht jeder leisten kann. Weil sie Spitzenplätze auf der Psychopathenskala einnehmen. Weil auch ihnen die Frist davonläuft. Weil sie ohne Statussymbole nicht mal unter die Dusche gehen. Weil sie einander nicht die Butter auf dem Brot gönnen. Weil sie beim Fernsehsessel Anschnallgurte empfehlen. Weil sie sich bei der Schlammschlacht die Weste beflecken. Weil sie keine Probleme lösen, sondern Rechtsprobleme. Weil sie nur sonntags Kinder haben. Weil sie mit 'Anwalt' die 'Anwältin' nicht mitmeinen. Weil sie auf Partys nur über Porsches reden. Weil selbst ihre Hobbys Karriere machen. Weil sie die falsche Ausbildung haben. Weil aus ihren Lehrbüchern braune Soße tropft. Weil sie niemals die Note 'sehr gut' vergeben. Weil man ihre Sätze dreimal um den Block wickeln kann. Weil sie auf gute Verbindungen achten. Weil sie manchmal mehr rechts als Rechtsanwalt sind. Weil ihre Liebe zum Detail sie blind macht. Weil sie den Zugang zum Recht mit Stolperdraht sichern. Weil sie ihr privates Rententöpfchen füllen. Weil sie ihre Vergangenheit nur im Schneckentempo aufarbeiten.
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Seitenzahl: 334
Eva Engelken
VORWORT
Warum macht man sich die Mühe, 111 Gründe aufzuzählen, Anwälte zu hassen? 111 Gründe aufzuzählen, sie zu lieben, wäre doch viel menschenfreundlicher gewesen. Erstens sind auch Anwälte Menschen und zweitens beantworten nicht alle die Frage »Was sind 1.000 Rechtsanwälte aneinandergekettet auf dem Meeresgrund?« mit »ein guter Anfang«.
Andererseits sagte schon der Philosoph Diogenes,1es würdeselbst bei Menschen, die man liebt, langweilig, sie pausenlos zu loben. Und schließlich muss man realistisch bleiben, es gibt nicht umsonst zu keiner Berufsgruppe mehr Witze als zu Anwälten. Oscar Wilde sagte daher: »Ich bin, was Anwälte angeht, durchaus nicht zynisch, ich habe nur Erfahrung.«
Natürlich kann es trotzdem passieren, dass sich einige Personen verunglimpft fühlen und zur Wehr setzen. Auch wenn Anwälte in Wahrheit ganz anders sind, hat es schon Fälle gegeben, wo sie sich wegen der an den Haaren herbeigezogensten Vorwürfe vor Gericht gezerrt haben. Etwa, weil sich einer durch den Ausdruck Beutelschneider beleidigt fühlte und nicht genug Selbstironie aufbrachte, um die Äußerung mit Humor zu nehmen. Wir nennen Anwälte in diesem Buch deshalb ausdrücklich nicht Beutelschneider. Ansonsten hoffen wir auf die Nehmerqualitäten des Berufsstandes, denn es gehörte schon immer zu den schwierigeren Turnübungen, sich selbst auf den Arm zu nehmen.
In jedem Fall könnten Sie, liebe Leserin und lieber Leser, falls Sie das Glück hatten, noch ein Exemplar dieses Buches zu ergattern, bevor sein Weiterverkauf per einstweiliger Verfügung verboten wurde, menschenfreundlich sein und es weiterschenken. Ihre Lieblingskarikaturen können Sie sich ja vorher rausreißen. Das tun Jurastudierende auch (siehe 35. Grund).
Doch vorher wünschen wir Ihnen angenehme Lektüre an einem sonnigen Plätzchen. (Wir hoffen, dass Sie zu den Menschen gehören, die überwiegend auf der Sonnenseite des Lebens stehen.) Und wenn Ihnen jemand das streitig macht, antworten Sie einfach mit den Worten des Philosophen Diogenes: »Geh mir aus der Sonne.«
Eva Engelken
ARTIKEL 1
1. GRUND
Weil sie nicht auf ihrem eigenen Planeten bleiben
Eigentlich sind Anwälte Außerirdische. Solange sie in ihrem eigenen Sonnensystem bleiben, fällt das nur niemandem auf, nicht mal ihnen selbst. Erst wenn sie zur Erde reisen und mit Nichtanwälten zusammenstoßen, beginnen die Probleme.
Sie sind betroffen und wollen wissen, wie Sie die Kollision gut überstehen? Sie wollen recht bekommen? Brauchen Hilfe? Oder wollen sich einfach gut amüsieren? Lesen Sie weiter. Ihnen wird geholfen. Versprochen!
2. GRUND
Weil es immer mehr werden
Manche Berufe sterben irgendwann aus. Anstelle von Heiratsvermittlern gibt es jetzt Parship und Datingcafé. Geld bekommt man nicht mehr vom Schalterbeamten, sondern vom Geldautomaten, und in Afrika haben die Leute nicht einmal mehr ein Konto, sondern ein Handy. Greift das um sich, rafft es sogar Banker irgendwann dahin.2
Das gilt nicht für die Anwälte. Sie vermehren sich prächtig. Okay, nicht mehr ganz so schnell wie noch vor einigen Jahren. Mittlerweile kommen nur noch rund 2.000 Anwälte pro Jahr hinzu.3 Aber trotzdem gibt es ziemlich viele Anwälte, 163.690 insgesamt.4 In Ballungszentren, wo sie sich vorzugsweise zusammenrotten, gibt es mehr als auf dem platten Land, sagen wir in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt.5 Entsprechend unterschiedlich stark besetzt sind die 22 Kammerbezirke. Ganz vorn liegt München, dahinter folgen Frankfurt6, Hamm, Köln und Düsseldorf sowie Berlin.7 Dort balgen sich 12.700 Anwälte um ihre Kundschaft, statistisch gesehen jedenfalls. Allerdings ist etwa ein Drittel der zugelassenen Anwälte und Anwältinnen gar nicht aktiv. Sie besitzen zwar eine Anwaltszulassung, arbeiten aber in einem anderen Beruf. Im Durchschnitt müssen sich in Deutschland knapp 500 Einwohner und Einwohnerinnen einen Anwalt teilen.8
Und – ist das nun gut oder schlecht, so viele Anwälte zu haben? Gut, sagen manche. Eine hohe Zahl von Anwälten ist ein Zeichen für einen funktionierenden Rechtsstaat. »Ineffiziente Rechtssysteme führen unmittelbar dazu, dass Privatjustiz entsteht«, schreibt Prof. Dr. Benno Heussen, Rechtsanwalt aus Berlin.9 Solange Anwälte wirksam eingeschaltet würden und man darauf vertrauen könne, dass die Gerichte ihre Aufgaben neutral und sorgfältig wahrnähmen, entstünden solche grauen und schwarzen Märkte der Gewalt nicht. Dieses Vertrauen in den Rechtsstaat ist in Deutschland vorhanden. Das ist die gute Nachricht.
Auch die Prozessdauer ist überschaubar und trägt dazu bei, das Geschäftsleben und das Privatleben für alle ein bisschen sicherer zu machen, also abgesehen von sich bekriegenden Nachbarn. In Indien dauern Prozesse bis zu 30 Jahren. In Deutschland dauert die erste Instanz im Schnitt weniger als zwei Jahre.10
Nicht ganz unwichtig für die Frage ist die Finanzierung von Prozessen. Da geht es uns in Deutschland halbwegs gut. Dank Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe sowie einer Rechtsschutzversicherung können es sich die meisten Leute leisten, einen Rechtsanwalt zu beauftragen.
Ob ihnen das im Einzelfall immer zu ihrem Recht verhilft, steht auf einem anderen Blatt und im 77. Grund. Zur Zeit spricht jedoch alles dafür, dass uns die Anwälte auch in Zukunft erhalten bleiben. Oder, um mit den Worten von Lionel Hutz, dem Rechtsanwalt aus der amerikanischen Comicserie Die Simpsons zu sprechen: Can you imagine a world without lawyers?11
3. GRUND
Weil man an ihnen nicht vorbeikommt
Dass es so viele sind, deutet darauf hin, dass Anwälte zu etwas nütze sind. Tatsächlich gibt es Momente im Leben, da braucht man Fachkräfte vom Anwaltsplaneten. Nicht, weil eine kritikwürdige Vorschrift ihre Anwesenheit erzwingt,12 sondern weil manche Mitmenschen einen nur ernst nehmen, wenn man mit dem Anwaltsbrief wedelt. In der Steinzeit musste man das Recht in die eigene Hand nehmen, heute kann man sich einen Anwalt nehmen und zumindest in Deutschland darauf vertrauen, dass die Gerichte das für einen regeln.
In bestimmten Fällen muss das ein Anwaltsbrief einer renommierten Großkanzlei oder Boutique sein. Boutique nennt man Kanzleien, die sich auf ein einziges Rechtsgebiet oder Beratungsfeld spezialisiert haben, etwa Strafrecht oder Distressed M&A. In anderen Fällen reicht es, wenn auf dem Brief einfach »Rechtsanwalt« draufsteht. So wie in dem Fall, der sich jüngst in Hamburg zutrug.13
In der Ecke der überteuerten Studentenbude eines jungen Mannes erblühten an der Wand kreisförmige Schimmelrosen. Der Sohn – mit Schimmelpilzallergie – rotzte und nieste so stark, dass er sich nicht mehr auf seine Klausuren konzentrieren konnte. Sein Vater, ein pensionierter Richter, glaubte, eine Mietminderung begründen zu können. Er schrieb also dem Vermieter, dass sein Sohn bis zum Auszug oder bis zur Beseitigung der Schimmelpilzzucht nur noch ein Viertel der Miete zahlen werde. Sogar die relevante BGH-Mietrechtsentscheidung mit Fundstelle und Aktenzeichen zitierte er. Der Sohn – voller Vertrauen auf den juristisch gebildeten Papa – überwies ab sofort nur noch den geminderten Mietzins.
Und der schimmelige Vermieter? Der drohte dem Sohn mit dem Rauswurf, falls der Rest der Miete nicht binnen einer Woche auf dem Konto eingetroffen wäre.
Erst da erkannte der pensionierte Richter, dass nur Anwälte können, was Anwälte können: nämlich gierigen und dumpfen Zeitgenossen14 Respekt einflößen. Er rief seinen Kumpel an, einen stadtbekannten pensionierten Strafverteidiger. Kein Mietrechtsexperte, aber Anwalt. Der kopierte den Brief des Richters auf sein Kanzleibriefpapier und schickte ihn dem Vermieter. Der zog brav seine Drohung zurück und ließ den schniefenden Richtersohn bis zum Ende seines Studiums für ein Viertel der ursprünglichen Miete bei sich wohnen.
Und die Moral von der Geschichte? Wenn man weiß, was man will, kann man mit Anwälten und ihren Briefen ganz schön Eindruck schinden. In anderen Fällen sind sie nicht ganz so nützlich, aber das weiß man dann erst hinterher.
ARTIKEL 2
4. GRUND
Weil sie ohne Statussymbole höchstens unter die Dusche gehen
Dass der erste Eindruck entscheidet, wissen Sie. Bei Anwälten dürfte das der Grund dafür sein, dass sie ohne ihre Statussymbole keinen Schritt aus dem Haus tun. (Welche Statussymbole sich ein Anwalt leisten kann, hängt vom Einkommen ab. Und da gibts gewaltige Unterschiede, dazu später mehr.) In jedem Fall gilt: Anwälte, die recht bekommen wollen, müssen ihre Claims durch entsprechende Symbole abstecken. Symbole, die ihren geistigen, territorialen, finanziellen und evolutionären Alphastatus sinnlich erfassbar machen. Das wichtigste Statussymbol ist die
Nichts spiegelt Größe und Bedeutung des Anwalts besser wider als ein sattes Brummen unter der Motorhaube. Und mal unter uns: Wer bucht schon einen Anwalt, der Fiat fährt? Steigern lässt sich der Imagebeitrag des Wagens nur durch den Parkplatz direkt vor der Haustür beziehungsweise in der Tiefgarage. Noch höher steht der Wagen mit Chauffeur.
Aber bleiben wir auf dem Teppich, die meisten Anwälte fahren selbst, sogar die Einkommensmillionäre aus den internationalen Transaktionskanzleien. Und das Einkommensprekariat unter den Anwälten erst recht. Das verdient so wenig, dass es selbst Taxi fahren muss. Und der Mittelbau? Liebt Porsche. Der gehört zur Grundausstattung jedes erfolgreichen Anwalts. Die älteren Semester mögen Jaguar, die jüngeren Audi, die Newcomer unter den Strafverteidigern kommen zur Not mit einem Alpha Romeo Cabrio um die Ecke. Zur Not leiht man sich den Porsche ab und an aus.
Das nächstwichtige Statussymbol ist die …
Die ersten Sekunden entscheiden über den Eindruck, den ein Mandant von der Kanzlei hat. Das wussten Anwälte schon in der Steinzeit. Das nötige Kleingeld für eine individuell gestaltete und an das Corporate Design angelehnte Empfangssituation haben sie noch nicht so lange. Und heutzutage nur die großen Wirtschaftskanzleien. Bei ihnen prügeln sich die Architekturbüros und europaweit führende Objektmöbelhersteller darum, die Firmenstandorte zu designen.
Was so eine toperfolgreiche Wirtschaftsanwältin ist, mit LL.M. (Harvard) oder LL.M. (Oxford), die sitzt nicht einfach am Tisch. Sie sitzt an einer gebeizten Platte mit individuell ausgewählter Kantenausführung auf Tischbeinen aus verchromtem Rundstahlrohr. Und über ihr sorgt eine eigens entwickelte Deckenverkleidung mit integriertem Leuchtkonzept für punktuelle, aber homogene Beleuchtung der Konferenzräume. Man könnte sagen: Das Statussymbol ist das Büro mit eigener Innenarchitektur. Die Innenarchitektur ist natürlich nichts ohne das richtige Personal, sprich die …
Die Anwaltswelt ist traditionell männlich, was sich langsam wandelt, wie wir in den Gründen 51 bis 53 noch sehen werden.Derzeit gilt: Je länger die Haare und je kürzer die Röcke, desto höher ist der Status des jeweiligen Partners. Nur dann kommt es glaubwürdig rüber, wenn der grauhaarige Partner vielsagend auf seinen Schreibtisch klopft und seinem jungen Associate zuraunt: »Wenn Sie wüssten, wie viele Sekretärinnen ich da schon rübergezogen habe.«
Besonders gut macht sich die hübsche Assistentin, wenn Folgendes hinzukommt. Die …
Je teurer die Lage, desto teurer die Kanzlei, heißt die Grundformel für Kanzleien. Nur ausnahmsweise sitzen junge Kanzleien in den schönsten Villen der Stadt. Dann kann das an den guten Verbindungen der Anwälte liegen. Sprich, ein alter Herr hat seinen Füxen einfach die Büroräume günstig überlassen. Oder an ihrer Nähe zu Notaren, die aufgrund ihrer Nähe zu Immobilien wiederum schöne Immobilien bewohnen.
Internationale Großkanzleien oder Boutiquen streben dagegen räumlich hoch hinaus. Für sie muss der Blick von der Lounge, wo der Kaffeevollautomat leise summend den Latte macchiato ausspuckt, durch die Glasfront auf die tief unten wuselnde Fußgängerzone fallen.
Apropos Fußgängerzone: Zu viel Nähe zum gemeinen Volk kann sich rächen, etwa bei einer Kanzlei, in deren Büroturm unten ein Imbiss mit Schädlingsproblem aufgemacht hatte. Fast hätte der Anwalt den Latte macchiato über seine Seidenkrawatte geschüttet, als er gebannt auf die Wandvertäfelung starrte, denn quer über den Designerteppich flitzte wieselflink eine – Kakerlake.
Gott sei Dank, dachte der Anwalt, und wischte sich den Kaffee vom Jackett, ist mein Mandant noch nicht da, und er beschloss, den Imbiss noch am selben Tag dem Erdboden gleichzumachen, bevor er sich wieder auf geistige Höhenflüge begab, quasi up in the air, womit sich auch das nächste Statussymbol beschäftigt, die …
»Up in the Air« heißt das Motto für die Vielflieger unter den vielbeschäftigten Anwälten. Selbst wenn sie nicht ganz so viele Meilen wie George Clooney in dem Film Up in the Air zusammenbekommen, können einige dennoch über die Senator Card nachdenken.
Und was tat daher jüngst ein Partner, der sich ärgerte, dass er die nötigen Meilen nicht zusammenbekam? Er meldete einen Wohnsitz in Polen an, weil da die Senator Card schon ab weniger Meilen zugeteilt wurde.
Wir hingegen kommen zurück auf den Boden und sehen uns das nächste Statussymbol an, auch bekannt als …
Mit welchem Namen du kommst gegangen, so wirst du empfangen. Wer nur Thilo Müller heißt, muss mindestens einen Doktortitel haben, um in Anwaltskreisen was herzumachen, oder einen Adelstitel oder einen LL.M. Weil wir darüber in Grund 102 noch sprechen, kommen wir hier unmittelbar zum nächsten Statussymbol, das sind …
Alle guten Kanzleien werben damit, dass sie nur Prädikatsexamen einstellen. Das ist ein Statussymbol. Leider eines, das unsichtbar wird, sobald der betreffende Associate (Junganwalt oder Junganwältin) in der Kanzlei angestellt ist. Denn so sehr Anwälte mit allem anderen werben, ihren Aufsätzen, Vorträgen etc. Niemand schreibt hin: Rechtsanwältin Verena Muster LL.M. Harvard, Examensnote: 9,3 (erstes Examen) und 10,3 (zweites Examen). Allerdings deutet ihre Anstellung in einer Großkanzlei darauf hin, dass sie irgendwann gute Noten hatten, sonst wären sie nicht imstande und könnten sich all die anderen Statussymbole leisten, die wir hier nur noch am Rande aufführen, unter …
Dazu gehören die Golf- oder Skiausrüstung, die Rolex am Handgelenk und natürlich die Kleidung. Aber die ist ein eigenes Thema und erhält deshalb einen eigenen Grund.
5. GRUND
Weil sie so aussehen, wie sie reden
Wegen des Buchtitels, in dem das Wörtchen »hassen« vorkommt, könnten Sie den Eindruck bekommen haben, Anwälte wären nicht nett. Nichts könnte weniger wahr sein. Anwälte sind zuvorkommend, nett, höflich, können mit Messer und Gabel essen, manche wissen sogar, wie man ein Hummerbesteck hält. Und außer im Gerichtssaal, bei Verhandlungen oder an der Bar werden sie nie ausfällig. Und manche sehen sogar richtig gut aus. Die Scherzfrage »Hat dir schon mal jemand gesagt, wie sexy du bist? Wird auch niemand tun!« verfängt bei ihnen nicht. Zumindest ziehen sie sich immer gut an. Zumindest besser als Richter. Die spüren einfach nicht so viel Druck und tragen, wenn sie auf Publikum treffen, ja ohnehin immer eine Robe. Zahnpastaspritzer auf der Krawatte sieht man da nicht, außer ganz oben, wo sie aus der Robe rausschaut – und auch nur bei rosa Zahnpasta.
Anwälte und Anwältinnen treffen dagegen meistens ohne Robe auf ihre Mandanten, die ziehen sie erst im Gerichtssaal an.17 Das ist eigentlich schade, denn so eine Robe macht schon was her.18 Vor allem, was dicke Mandate angeht, ist das Outfit ein Honorarargument. Erfahrungsgemäß bezahlt der Mandant eine Rechnung über 100.000 Euro bereitwilliger, wenn der Anwalt Budapester Schuhe trug beziehungsweise die Beraterin ein Tuch von Hermès.
Das Prinzip dahinter ist die Mimikry. Das ist die optische Angleichung an den Feind, die Insekten oder andere Tiere betreiben. Ungiftige Schlangen ahmen die Muster ihrer giftigeren Artgenossen nach, in der Hoffnung, für einen von ihnen gehalten zu werden. Wirtschaftsanwälte versuchen daher immer, so auszusehen, als seien sie reich und erfolgreich. Der normale Anwalt kündigt lieber das Abo bei C.H. Beck als die Leasingraten für den neuen Porsche.
Man kann über Wirtschaftsanwälte so viel lästern, wie man will, aber in einem Punkt muss man sie wirklich loben: Sie tragen nie, aber auch wirklich nie Sandalen mit Tennissocken. Das liegt daran, dass schon junge Anwälte sorgfältig darin unterwiesen werden, was sie anzuziehen haben. Tipps wie etwa im Inside-Dossier Karrierein der Großkanzlei gibt es für keine Lehramtsanwärter oder Junginformatiker.
»Zwei Dinge sind es, die ein Businessoutfit seriös erscheinen lassen: starke Hell-Dunkel-Kontraste und dezente Farben beziehungsweise Muster.« – »In konservativ geprägten Büros bestehen zudem möglicherweise Vorbehalte gegenüber braunen, beigen oder sehr sportlichen Anzügen.«19
Für Hemden gilt: je heller, desto besser. Den Kragen trägt man am liebsten Button-Down, also mit Knöpfchen. Beim Polosport (das mit dem Pferd, was auch Prinz Charles spielt) verhindern die Knöpfchen, dass der Kragen beim Reiten hochschlägt. Die Queen würde sonst die Augenbrauen hochziehen. Im normalen Anwaltsalltag ist es vermutlich auch zu irgendetwas nütze. Ich habe leider nicht herausgefunden zu was.
Und Schuhe und Strümpfe? Sind ebenfalls Pflicht. Bitte gediegen und no brown after six. Und Frauen? Gibt es auch in Anwaltsbüros. Ihnen »ist grundsätzlich mehr modische Extravaganz gestattet als Männern«, weiß der Insider Report. Heißt: Kostüme dunkel, Rock knielang, nicht aufreizend (außer man respektive frau ist Sekretärin).
Und wann lassen die Anwälte kleidermäßig mal so richtig die Sau raus? Vielleicht am Casual Friday, dem lockeren Freitag, den sich seit einigen Jahren die meisten Großkanzleien verordnet haben? Da lassen sie höchstens die Krawatte weg. Wer da mit Flipflops anschlappt, lässt die Karriere floppen.
Ich war daher bass erstaunt, als ich die Website einer ganz internationalen und ganz große Fische beratenden Transaktionskanzlei entdeckte, die bei ihren jungen Anwälten damit warb, dass sie Jeans tragen dürften. Ich habe sofort nachgesehen, ob Larry Fink etwa Jeans trägt,20 aber Fehlanzeige. Er verwaltet in Anzug, Hemd und Manschettenknöpfen. Meine Prognose: Der Anzug bleibt den Anwälten erhalten. Er sitzt und kaschiert kleine Pölsterchen, später, wenn der Hintern ein bisschen platt gesessen ist.
6. GRUND
Weil alleine ihre Briefköpfe schon zwei Drittel der Seite bedecken
Wo wir gerade bei den positiven Seiten des Anwaltsberufes sind. Wer vom Anwalt einen Brief bekommt, bekommt für sein Geld meistens ziemlich viel Brief. Bei den seriösen Kanzleien meist mit ziemlich viel Buchstaben, was daran liegt, dass sie Rechtsfragen immer fundiert prüfen (mehr dazu im 11. Grund), und bei denen, die nur so tun, als ob sie fundiert prüfen, daran, dass sie so viele Zeichen brauchen, um so zu tun als ob.
Doch selbst wenn in einem Brief vom Anwalt nichts weiter mitgeteilt wird, als dass bestimmte »Unterlagen zur Akte genommen« wurden, ist der Brief mindestens zwei DIN-A4-Seiten lang. Das liegt am Briefkopf, der alleine schon drei Viertel der Seite einnimmt. Briefköpfe von Kanzleien entsprechen mit ihren Inschriften den Grabsteinen. »Grabsteine haben in der abendländischen Bestattungsgeschichte eine lange Tradition, waren nicht selten ein teures Privileg der sozialen Oberschicht […] und prägen im Zusammenspiel aller Einzelgrabmale das Erscheinungsbild unserer Friedhöfe«, erläutert die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal auf ihrer Homepage www.grabmal-portal.de.
Genau so ist es mit den Briefköpfen. Im Briefkopf sind alle Köpfe der Kanzlei inklusive der oft schon toten Kanzleigründer eingemeißelt. Die anwaltliche Berufsordnung verlangt, sämtliche Anwälte mitsamt Fachanwaltstitel im Briefkopf zu nennen.21 Bei großen Kanzleien mit 200 Anwälten und mehr dürfte der eigentliche Brief daher erst auf Seite 15 beginnen. Doch so viele Inschriften im Grabstein sind dann selbst den Großen zu imposant. Sie nennen deshalb ihre Anwälte nur auf der Rückseite der Briefbögen.
Mehr zu den anwaltlichen Briefen und der Kriegstaktik erfahren Sie im übernächsten Kapitel. Hier geht es weiter mit dem Denken der Anwälte.
ARTIKEL 3
7. GRUND
Weil sie in die Zukunft blicken können
Anwälte können, was keine Glaskugel kann: in die Zukunft blicken. Sie wissen, was die naiveren Normalsterblichen gern verdrängen: dass sie böse ist. Und dass von allen möglichen Ausgängen immer der Worst-Case eintritt.22 Schüttet ein Mitarbeiter Bohnerwachs aufs Parkett, weil er seinen Konkurrenten kurzfristig aus dem Feld ziehen will, wird der Kerl nicht nur ausrutschen, sondern sich den Kopf anschlagen, ins Koma fallen und anschließend mit Querschnittslähmung wieder erwachen. Noch bevor der Mitarbeiter das Fläschchen aufschraubt, sieht der Jurist das alles vor sich. Nur leider fragt ihn keiner.
Wie das rote Blinklicht an einer Bahnschranke blinken in seinem Kopf die Rechtsfolgen auf: Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzung, Ansprüche auf Schmerzensgeld, Schadensersatz, Rehabilitationskosten, lebenslange Rente und so weiter. Juristen sind darauf getrimmt, Katastrophen vorherzusehen. Das macht sie für die Herrschenden unentbehrlich und den normalen Leuten unheimlich.
Nur Kleingeister empfinden Anwälte deshalb als Reichsbedenkenträger. Dabei wäre Mitleid angebracht. Wer immer nur den Worst Case vor Augen hat, verwendet irgendwann selbst beim Fernsehsessel Anschnallgurte (siehe 21. Grund).
8. GRUND
Weil sie extraterrestrisch schlau sind
Sind Anwälte und Anwältinnen besonders intelligent? Braucht man einen bestimmten Intelligenzquotienten (IQ), um gut in Jura zu sein? Sehr fraglich. Von Ludwig Thoma, Jurist und Dichter, stammt der Satz: »Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande.«23
Ein sehr schlauer Jurist warnt sogar davor, die Rolle von Intelligenz oder Begabung für den Erfolg im Jurastudium zu überschätzen. Erfolg im Jurastudium sei vorwiegend eine Frage von Strebertum, behauptet der höchst renommierte und respektable Berliner Juraprofessor Uwe Wesel. »Mit Begabung hat dieses Studium sowieso weniger zu tun. Eher zählen Anpassungsfähigkeit, Kritiklosigkeit, Hartnäckigkeit«24, schreibt Wesel. Und vielleicht auch die Fähigkeit, die richtigen Lehrbücher zu hamstern oder den Professor zu umgarnen (siehe 35. Grund).
Das passt zu dem Bild, das Hirnforscher zeichnen. »Beruflicher Erfolg«, so etwa Gerhard Roth, »hängt nur zu einem Drittel von der Intelligenz ab.« Der größere Rest sei bereits mit Motivation und Fleiß zu erreichen – fehlt dies, so scheitere auch mancher intelligente Zeitgenosse.25
Legt man diese Aussagen zugrunde, bedeutet das: Nur die angepassten Streber bekommen die guten Noten und erwerben damit die Eintrittskarten in die besser bezahlten juristischen Berufe in Gerichten, Verwaltungen und (Groß)Kanzleien. Und die anderen? Die werden mit »Ausreichend« benotet und landen im sogenannten Anwaltsprekariat (siehe 39. Grund).
Oder gehört doch Intelligenz dazu? Manche gehen die Sache umgekehrt an. Übt jemand einen bestimmten Beruf aus, gehen sie davon aus, dass die Person schlau genug ist dafür. Es gibt sogar Tabellen, welcher IQ für bestimmte Berufe nötig ist. Für Handwerker reicht 70, für Verkäufer 90, für Juristen und Anwälte 125. Die Intelligenzforscherin und Professorin Linda S. Gottfredson verwendet eine solche Tabelle in einem Aufsatz in Spektrum der Wissenschaft.26
Wenn erfolgreiche Anwälte wirklich bei einem IQ von 125 starten, wäre das verdammt viel. 125 liegt nur 5 Punkte unter der Schwelle zur Hochbegabung, die bei 130 beginnt. Hochbegabt ist, wessen Intelligenzquotient höher liegt als bei 98 Prozent der Bevölkerung.27 Eine Tatsache, die Leben für Hochbegabte manchmal etwas schwierig macht, schließlich können sie nur mit zwei Prozent der Bevölkerung auf Augenhöhe sprechen.
Linda S. Gottfredson sagt, Intelligenz erlaube es, den schulischen, sozialen und beruflichen Erfolg vorherzusagen. Daraus lässt sich folgern, dass erfolgreiche Anwälte intelligent sind, zumindest soweit man Intelligenz auf die in gängigen Tests messbare Intelligenz beschränkt oder von guten Schulnoten auf Intelligenz rückschließt. Nach Meinung des Rechtswissenschaftlers Claus Roxin, Strafrechtsprofessor, Lehrbuchautor und Träger von mindestens 30 Ehrendoktorwürden, kann jemand mit einer Abiturnote von 1 bis 1,5 im Examen auf 10 oder mehr Punkte hoffen.28
Aber lässt sich daraus schließen, dass nicht so erfolgreiche Anwälte dumm sind? Ich fürchte, nein. Ihnen fehlen vielleicht einige andere Eigenschaften zum Erfolg. Nach Claus Roxins Ansicht brauchen gute Juristen/Juristinnen unbedingt:
•Ein gutes Gedächtnis.
•Eine überdurchschnittliche schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit, weil es bei Juristen »auf die allein durch Sprache vermittelte argumentative Genauigkeit und Schlüssigkeit« ankomme.
•Interesse an sozialen Konflikten und Problemen, der Beseitigung sozialer Störungen und dem Ausgleich verschiedenartiger Interessen.
•Die Fähigkeit, mit juristischen Denkmethoden und unter assoziativer Verknüpfung zahlreicher Informationsdetails eine Lösung für die genannten Konflikte und Probleme zu finden.
Für nicht so notwendig hält Roxin die mathematische und die praktische Intelligenz. Falls Sie Eltern sind, machen Sie sich keine Sorgen. Roxin sagt: Auch wenn Ihr Kind keinen Nagel in die Wand schlagen kann, steckt in ihm womöglich großes juristisches Talent.
9. GRUND
Weil sie ignorieren, dass Normalmenschen nicht so abstrakt denken wie sie
Abstrakte Kunst kennen Sie. Das sind Bilder ohne Menschen, Bäume oder Hirsche drauf. Abstraktes Denken kennen Sie vielleicht noch nicht, aber das geht so ähnlich. Es denkt, aber ohne Menschen, Bäume oder Hirsche. Juristen üben das vom ersten Tag ihres Jurastudiums an. Das wirkt von außen ein bisschen merkwürdig, aber es ermöglicht ihnen, abstrakte Konstrukte zu erdenken. Und noch besser: Es befähigt sie, selbst so konkret blutige Angelegenheiten wie einen Mord in ein unpersönliches Gesetz zu pressen.
Schauen wir uns also das Verbrechen Mord an. Täglich bringen Menschen einander um die Ecke. Sie stoßen sich vor den Zug, rammen sich ein Messer zwischen die Rippen oder sprengen sich mit drei Pfund Nitroglyzerin in die Luft. Geht mal schneller, mal weniger schnell, mal bleibt die Leiche am Stück, mal fliegt sie 30 Meter weit.
Müsste man all diese Methoden detailliert in einem Strafgesetzbuch schildern, würde das in kein Bücherregal mehr passen. Das ist der Grund, warum Juristen abstrahieren und verallgemeinern. Mord heißt verallgemeinert: Am Ende gibts immer eine Leiche. Der Mordtatbestand lautet daher: »Mörder ist, wer (unter Erfüllung bestimmter Mordmerkmale, die wir hier nicht weiter erörtern29) einen Menschen tötet.«
So weit, so nachvollziehbar. Schwierig wird es im Einzelfall. Vielleicht ist a) das Nitroglyzerin nur aus Versehen explodiert? Vielleicht war b) der Täter psychisch krank und hat seinem Opfer nur deshalb den Kopf abgehackt, weil er Stimmen hörte, die ihm das befahlen? Vielleicht war c) der Täter Soldat und hat sein Opfer mit Sprengstoff in die Luft gejagt, weil sein Vorgesetzter gesagt hat: »Los, du Sau!«
Das versuchen die Juristinnen und Juristen in den Griff zu bekommen, indem sie versuchen, die unterschiedlichen Fälle jeweils bestimmten Kategorien zuzuordnen. Rechtsanwendung nennt man das.30
Fall a) Betriebsunfall, keinerlei Tötungsvorsatz.
Fall b) Mordvorsatz, aber schuldunfähig.
Fall c) Vorsätzliche Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln, jedoch im Rahmen eines Verteidigungskrieges durch Notwehr gerechtfertigt.31
Mit dieser Methode, das echte Leben in abstrakte Kategorien einzusortieren, arbeiten sie dauernd. Zack, Schublade auf, Etikett »nicht schuldfähig« oder »gerechtfertigt« drauf, Täter rein, zack, Schublade zu. Wenn Sie dieses Prinzip verstanden haben, haben Sie einen großen Schritt getan, um das anwaltliche Denken zu verstehen. All das leidige Juristendeutsch, mit dem wir uns noch befassen, hilft, das wirkliche Leben in abstrakte Kategorien zu packen.
Übrigens: Wer die Kunst beherrscht, abstrakte Kategorien oder Definitionen zu finden oder sie bei Bedarf abzuändern, kann sich aus mancher Klemme winden. Den Beleg dafür lieferte kürzlich das renommierte Onlineportal Postillon. Es berichtete, dass das amerikanische Magazin Esquire die neue Sexiest Woman Alive gekürt hatte. Auf Deutsch etwa: Die sexuell begehrenswerteste noch lebende Frau.32 Laut Esquire kam es zu Protesten, weil zahlreiche Frauen aus aller Welt behaupten, nie für den Titel begutachtet worden zu sein. »Wir haben willkürlich Frauen auf der ganzen Welt angerufen und gefragt, ob sie vom Esquire-Magazin auf ihre Sexyness überprüft wurden«, erklärte der Medienforscher Günter Esslinger dem Postillon. »Nicht eine einzige konnte dies bestätigen. Das riecht nach Betrug.«
Was tat das Magazin Esquire? Es rief seine Anwälte an und die änderten unverzüglich den Titel. Statt »Sexuell begehrenswerteste noch lebende Frau« lautete der Titel ab sofort: »Wahrscheinlich eine der sexuell begehrenswertesten noch lebenden Frauen aus einem eher kleinen Pool hauptsächlich amerikanischer oder englisch sprechender Schauspielerinnen, Models und Sängerinnen«.
Alles eine Frage der Definition. Der Nachteil: Das ganze Abstrahieren und Denken in Definitionen und Kategorien geht Juristen und Juristinnen dermaßen in Fleisch und Blut über, dass sie es nicht mehr abstellen können und völlig vergessen, dass normale Menschen dieses nicht so gut draufhaben wie sie. Ein Grund, Anwälte … Sie wissen schon.
10. GRUND
Weil ihr Hirn nur Gutachtenstil kann
Wenn so ein Anwalt den Auftrag bekommt, einen psychisch kranken Mörder zu verteidigen, beginnt er also mit der Frage: Kann ich den Kerl (Mörder sind statistisch meistens männlich) da raushauen? Kann man ihm die Tat überhaupt nachweisen? Wenn ja, gibt es Rechtfertigungsgründe oder Schuldausschließungsgründe, die dazu führen, dass er nicht bestraft werden darf? Wenn nein, gibt es mildernde Umstände? All das zu prüfen, braucht seine Zeit. Deshalb antworten Anwälte immer erst mal mit »das kommt darauf an« (siehe 11. Grund).
Mit dieser Antwort hat das Anwaltshirn Zeit gewonnen. Zeit, um wie ein Hochleistungsrechner sämtliche Worst-Case-Szenarien durchzurattern. Es summt und brummt im Hirn, dass man das Zischen hören könnte, wäre nicht der Schädel drumherum. Die Frage, die es prüft, lautet beim Mord: Könnte mein Mandant wegen Mordes bestraft werden? Es wirft also eine mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage auf und prüft dann wie ein TÜV-Gutachter durch, ob alle Voraussetzungen dafür vorliegen, ob sein Mandant der Täter ist, ob zu seinen Gunsten Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe eingreifen, welche das jeweils sein könnten, ob deren Voraussetzungen vorliegen und so weiter. Das kann schon mal ein bisschen dauern. Manche Anwälte verheddern sich dabei. Manche tun nur so, als würden sie die Sache durchdenken. In Wirklichkeit denken sie an Sex. In jedem Fall rücken sie das Ergebnis erst ganz am Ende raus.
Als Anwalts-User sollten Sie das wissen. Wenn Sie Ihren Anwalt oder Ihre Anwältin um einen Ratschlag bitten, so antwortet er oder sie nicht einfach »ja« oder »nein«, sondern sagt erst: »Kommt darauf an.« Dann prüft er oder sie das Ganze und schickt Ihnen ein zehnseitiges Schreiben. Auf Seite 10, ganz unten, steht dann der Satz: »Unter den vorgenannten Voraussetzungen kommen wir zu dem Ergebnis »ja«. Das nennt man dann Gutachtenstil.
Das ist bei allem so. Angenommen, Sie fragen: »Soll ich den Sack jetzt verklagen oder nicht?« Oder: »Kann ich das Haus auf diesem Grundstück jetzt bauen?«, fängt es im Anwaltshirn an zu rattern, und am Ende bekommen Sie ein Schreiben, in dem ganz am Ende das Ergebnis steht.33 Wenn Sie damit klarkommen, wunderbar. Wenn nicht, bitten Sie ihn oder sie, das Ergebnis nach vorn zu ziehen. Das nennt man dann Urteilsstil. Da steht das Ergebnis vorn und wird danach begründet. Normalerweise machen das nur die Richter, aber gelernt haben es die Anwälte früher auch mal.
11. GRUND
Weil sie immer »es kommt darauf an« sagen
Naive Mandanten erwarten von ihren Anwälten klare Aussagen. Kluge Mandanten wissen, dass Anwälte jede Frage mit »es kommt darauf an« beantworten. Das liegt am zuvor beschriebenen Gutachtenstil. Manchmal ist das aber nur ein billiger Trick aus der anwaltlichen Trickkiste, weil Anwälte ganz genau wissen, was ihren Mandanten erwartet und welche Möglichkeiten er hat. Fast immer gibt es mehr als eine Möglichkeit. Dass Dinge alternativlos seien, behauptet nur Angela Merkel.34 Und Anwälte wissen oder können sich zumindest vorstellen, welche Konsequenzen die jeweilige Handlung hat.
Oft haben die guten Anwälte aber einfach Schiss. Sie wollen vermeiden, von ihrem Mandanten wegen einer eindeutigen, aber falschen Aussage zur Verantwortung gezogen zu werden. Deshalb formulieren manche Handlungsempfehlungen absichtlich verschwurbelt. Dann können sie nachher immer noch sagen: So habe ich das aber nicht gemeint.
ARTIKEL 4
12. GRUND
Weil ein Baum für sie kein Baum und Deutsch nicht Deutsch ist
Fangen wir mit einem leichten Beispiel an: dem Baum. Für normale Menschen ist ein Baum ein Baum. Für Gärtner ist ein Baum entweder ein Forstgehölz oder ein Parkgehölz, für Botaniker ist ein Baum entweder ein Quercus pedunculata (Deutsche Eiche) oder ein Acer platonoides (Spitzahorn), und für Anwälte ist ein Baum ein Gegenstand, der sich im Eigentum eines Grundstückseigentümers befindet, der dafür verantwortlich ist, seine Verkehrssicherungspflicht nicht zu verletzen, sprich: das feuchte Laub wegzufegen und morsche Äste zu entfernen, bevor sie Passanten auf den Kopf fallen.
So weit, so einleuchtend, jeder Beruf hat seine Fachsprache, und Juristen definieren nun mal alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, denn sie müssen ja prüfen, ob ihr jeweiliger Fall unter diese Definition passt oder nicht.
Manchmal ist das Definieren ein bisschen manisch. Man könnte sagen: Menschen handeln, Juristen definieren. Nehmen wir das Navigationsgerät. Das ist so ein Ding im Auto, wo eine Frauenstimme sagt: »nach hundert Metern rechts abbiegen«, und Sie mit etwas Glück pünktlich am Ziel ankommen.
Das wäre für Juristen viel zu einfach. Für sie ist ein Navi ein Fahrzeugleitsystem, das Richtungsanweisungen erteilt, wodurch es einem Fahrzeugführer ermöglicht werden soll, sein Fahrzeug zu einem gewünschten Bestimmungsort zu steuern, auch wenn er die Fahrstrecke noch nicht kennt. Es enthält eine mechanische Streckenfortschrittsanzeigevorrichtung, bei der ständig eine Position entlang einer vorherbestimmten Strecke angezeigt wird und Anweisungen erteilt werden, welches Verhalten bei Erreichen einer bestimmten Position erforderlich sei. Dazu wird bei der Streckenfortschrittsanzeigevorrichtung mit einem am Armaturenbrett zu befestigenden Gehäuse über ein Vorschubrad auf einer Führungsbahn ein Bahnmaterial bewegt. Zugleich werden Angaben über die Position entlang der Fahrstrecke angezeigt, während bestimmte Kalibrierungen Anweisungen erteilten, wie weiter zu fahren sei …36
Der Unterschied zwischen Ihnen und dem Juristen ist der: Sie kommen dank Ihres Navis irgendwann am Ziel an. Der Jurist kommt im Begriffshimmel an (siehe Grund 110), aber dafür mit einer schönen Definition. Damit alleine kann man leben, nur das Heimtückische am Juristendeutsch ist: Es klingt wie Deutsch, meint aber was völlig anderes. Das ist eine böse Falle.
Nehmen wir das Wort grundsätzlich. Sie, in Ihrer unjuristischen Naivität, gehen davon aus, dass es so viel heißt wie immer oder echt in jedem Fall. Für Hinz und Kunz ist eine grundsätzlich nette Person ein von Herzen netter Mensch. Für Anwälte ist eine grundsätzlich nette Person jemand, der genau so lange nett ist, wie es ihm nützt, und der einem hinterfotzig in die Parade fährt, wenn ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist.
Ein anderes dieser doppeldeutigen deutschen Wörter ist unverzüglich. Benutzen Juristen gern in ihrer Schriftsprache. Kann man auf Neudeutsch locker mit asap übersetzen, also mit as soon as possible oder mit zeitnah. Juristen übersetzen es mit ohne schuldhaftes Zögern, was letztlich genauso wenig weiterhilft, denn Gerichte haben schon entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Reaktion nach drei Jahren noch unverzüglich sein kann.
13. GRUND
Weil sie Wörter wie »Nichtzulassungsbeschwerde-zurückweisungsbeschluss« verwenden
Das Wort ist der Mantel, in dem der Sinn schweigend auf seine Entkleidung wartet. Wie es sich für Volljuristen gehört, benutzen sie bevorzugt sinnvolle Wörter. Naturgemäß sind diese besonders lang. Damit grenzen sie sich hervorragend vom einfachen Volk ab, das bevorzugt kurze Wörter liest wie »du«, »ich«, »Sex« oder »Tod«.
So was kommt Anwälten nicht in den Text. Statt »du« sagen sie in der dritten Person »der Mandant« oder noch lieber »die Mandantschaft«, statt »ich« sagen sie »diesseits« oder »unsererseits«, statt vom »Sex« reden sie vom »Geschlechtsverkehr« oder, wenn es BGH-Richter sind, von »ehelichen Pflichten«. Verben plustern sie zu Substantiven auf, indem sie ein »ung« oder ein »heit« oder ein »prinzip« daran hängen. Das erzeugt so schöne Wörter wie »Abwägungsdisproportionalität« oder »Güterabwägungsprinzip« oder »Grunddienstbarkeitsbestellung«.
Und wenn sie richtig Eindruck schinden wollen, setzen sie mehrere solcher Wörter zusammen. Mal angenommen, ein Anwalt hat sich beschwert, weil die blöden Richter seine Revision nicht zugelassen haben. Daraufhin könnten die Richter beschließen, sich sein Gemecker jetzt erst recht den Buckel runterrutschen zu lassen. Auf Juristisch heißt das: Sie reagieren auf seine Nichtzulassungsbeschwerde mit einem zurückweisenden Beschluss. Und was ist das Ergebnis? Ein stolzes 48 Buchstaben langes Wort: der Nichtzulassungsbeschwerdezurückweisungsbeschluss,37 was eindeutig die Frage klärt: Wer hat den Längsten?
14. GRUND
Weil man ihre Sätze dreimal um den Block wickeln kann
Wer lange Wörter kann, kann erst recht lange Sätze. Deshalb (bitte tief Luft holen) vervollkommnen Anwälte im Laufe ihres Berufslebens die Fähigkeit, Dinge, von ihnen manchmal Sachverhalt genannt, in einer für Nichtanwälte schier unerträglichen Weise, nämlich mit viel zu vielen Wörtern, viel zu langen und komplizierten Sätzen, auch Schachtelsatzmonster genannt, und langen Wörtern wie zum Beispiel »das Strafzumessungsermessen« auszudrücken, und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass ihnen am Endes des Satzes (von der Atemluft ganz zu schweigen) jegliche Erinnerung daran abhandenkommt, was sie eigentlich sagen wollen, was ein Außenstehender als maßlose berufliche und menschliche Arroganz wie auch als Zeichen kompletter sprachlicher Inkompetenz interpretieren kann.
Alles klar bei Ihnen? Denn das war nur der Anfang. Gerichte können noch viel länger, zum Beispiel das Bundespatentgericht:38 Anders als für die Bejahung der Ausführbarkeit einer Erfindung genügt es für die Zulässigkeit einer Beschränkung auf eine bestimmte Ausführungsform nicht, daß der Fachmann erst dann zu dieser die Ausführung der Erfindung gestattenden Ausgestaltung kommt, wenn er sich nähere und weiterführende Gedanken über die Ausführbarkeit macht und dabei durch die Beschreibung nicht vermittelte Informationen mit seinem Fachkönnen aus seinem Fachwissen ergänzt, auch wenn dies erfinderische Überlegungen nicht erfordert.
Anwälte finden solche Sätze normal. Andere finden, solche Sätze grenzen in ihrer grenzenlosen Unverständlichkeit an Körperverletzung. Dabei steht im Gesetz39 folgender einfache Satz: »Die Gerichtssprache ist Deutsch.« Deutsch, nicht Juristendeutsch. Irgendwas haben die Juristen da missverstanden. Gilt übrigens auch für die Sprache der Verwaltung. (Für Genießer eine Textprobe in den Anmerkungen.40)
15. GRUND
Weil ihre Sätze stärker verschachtelt sind als russische Matroschkas
Lange Sätze kann mit ein bisschen Übung jeder, doch Anwaltssätze sind obendrein verschachtelt. In ihnen stecken die Informationen drin wie in den russischen Matroschkas. Vielleicht kennen Sie diese Souvenirs aus Moskau: Eine Puppe steckt in der Puppe in der Puppe und so weiter. Gleiches Prinzip gilt für die Anwaltssätze. Erfunden haben es nicht die Anwälte. Sie benutzen es nur, damit niemand außer ihnen kapiert, was sie meinen.
Wenn Sie sich nicht so für Sprache interessieren wie ich, können Sie gleich zum nächsten Grund springen. Ansonsten erzähle ich Ihnen jetzt, warum die lateinische Sprache mit daran schuld ist, dass Sie Ihren Anwalt nicht verstehen.
Latein, das ist die Sprache von Cäsar und den anderen spinnenden Römern, die vor rund 2.000 Jahren die halbe Welt eroberten, und früher war Latein die Sprache der Wissenschaft. Das gesamte Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit sprachen und schrieben die Gelehrten lateinisch. Logisch, dass dies ihr Denken prägte.
Ein Merkmal von Latein sind die Partizipien. Das sind zusammengestauchte Verben, quasi zu einem Wort verdichtete Daten. Das Partizip ist gewissermaßen die ZIP-Datei für Informationen. Wer diese Informationen dekomprimieren will, vergrößert ihr Volumen; wer die Partizipien entpackt, verlängert logischerweise den Satz. Das passiert, wenn man lateinische Sätze ins Deutsche übersetzt: All die Informationen, die vorher kompakt in Partizipien steckten, blähen nun als Nebensätze den Satz auf.
Ein Beispiel: »Imperator cohortes adhortatus fundā vulneratus est« lautet wörtlich übersetzt »Der seine Kohorten ermuntert habende Feldherr wurde durch ein Geschoss verletzt.« Auf Deutsch völliger Quatsch, mal abgesehen davon, dass der Inhalt Banane ist. Damit es vernünftig klingt, braucht man Hilfsverben und Nebensätze – was eine Fülle von Variationen erlaubt: »Nachdem der Feldherr seinen Kohorten aufgemuntert hatte, wurde er von einem Geschoss getroffen.« Gemeint könnte auch sein: »Als der alte Knacker seine Soldaten endlich wach gerüttelt hatte, traf ihn seine letzte Kugel.« Oder: »Der Kaiser hatte kaum seine Fußtruppen aufgepeitscht, da traf ihn selbst ein Geschoss.«
Schauen wir uns das Ganze mal mit einem typischen juristischen Satz an – zur Frage Wie ordentlich muss man mit geliehenen Sachen umgehen?. Gerichte haben entschieden, man müsse nur die »Diligentia quam in suis (rebus adhibere solet)« aufwenden. Das ist eine lateinische Redewendung, die wörtlich übersetzt komisch klingt: »Sorgfalt wie in eigenen (Dingen angewendet werden soll)«. Erst wenn man noch Hilfsverb und Nebensatz zu Hilfe nimmt, klingt es auf Deutsch vernünftig: »Die Sorgfalt, wie man sie auch in eigenen Angelegenheiten aufbringt …«
Sie ahnen, worauf das hinausläuft. Das, was Übersetzer machen, wenn sie lateinische Partizipien ins Deutsche übersetzen, machen auch Anwälte. Sie erläutern und begründen und dann packen sie alles möglichst eindrucksvoll in einen Satz. So entstehen Schachtelsätze.41
16. GRUND
Weil sie den Zugang zum Recht mit Stacheldraht verbarrikadieren
Quizfrage in die Runde: Muss man sich an Gesetze halten? Die Antwort ist: Ja, man muss, es sei denn, sie sind verfassungswidrig. Hätten Sie’s gewusst? Wenn ja, haben Sie hundert Punkte. Das Schlimme ist nur, es nützt Ihnen nichts.
Viele Leute sind wie Sie, liebe Leserin und lieber Leser, vollkommen willig, die Gesetze zu befolgen. Mal abgesehen von dem bisschen Schwarzfahren oder Steuerhinterziehen. Und den Nachbarn lassen wir auch mal außen vor; da muss es doch, jetzt mal ehrlich, erlaubt sein, die Bäume ab und an mit etwas Schwefelwasser zu gießen. Aber im Großen und Ganzen bekennen sich die Leute zur herrschenden Rechtsordnung.
Das Problem ist ein anderes. Viele Leute kapieren sie nicht, die Rechtsordnung. Die Leute verstehen das Recht genauso wenig wie die Bedienungsanleitung ihres SAT-Receivers. Sie kapieren nicht, was ihnen die Arbeitsagentur mit einem dreiseitigen »Bescheid« mitteilen will. Liegt es daran, dass Empfänger von Sozialhilfe leben, mittlerweile Hartz-IV-Empfänger, arbeitsfaul und römisch dekadent sind, wie einige Politiker das schon mal gern behauptet haben? Etwa der Rechtsanwalt Guido Westerwelle (FDP), besser bekannt als ehemaliger FDP-Vorsitzender und Bundesaußenminister.