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Bernard Cornwell

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Beschreibung

Thomas of Hookton, bekannt als «Der Bastard», ist ein versierter englischer Bogenschütze. Der Hundertjährige Krieg hat ihn in die Gascogne verschlagen, wo er eine Gruppe von Söldnern anführt. Dort fängt seine Truppe einem widerlichen französischen Adeligen die entlaufene Ehefrau wieder ein. Doch als der Mann ihnen den versprochenen Lohn in wertlosen Münzen auszahlt, nimmt Thomas die Frau mit – und schafft sich einen Feind fürs Leben. Bertille ist eine atemberaubende Schönheit, die den Männern in Thomas' Tross den Kopf verdreht. Zur selben Zeit versammelt Edward, Prince of Wales, ein Heer. Bevor Thomas mit ihm für den Ruhm seines Vaterlandes kämpfen kann, soll er ein geheimnisvolles Schwert finden, das seinen Besitzer unbesiegbar machen soll: La Malice, «Die Bosheit». Angeblich gehörte es dem heiligen Petrus, der damit seinen Herrn Jesus Christus verteidigte. Aber nicht nur Thomas, sondern auch andere, zwielichtigere Gestalten machen sich am Vorabend der Schlacht der Engländer gegen die überwältigende französische Übermacht auf die Jagd nach dem heiligen Schwert. Auch Thomas' Feinde sind unter ihnen …

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Seitenzahl: 651

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Bernard Cornwell

1356

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Karolina Fell

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Thomas of Hookton, bekannt als «Der Bastard», ist ein versierter englischer Bogenschütze. Der Hundertjährige Krieg hat ihn in die Gascogne verschlagen, wo er eine Gruppe von Söldnern anführt. Dort fängt seine Truppe einem widerlichen französischen Adeligen die entlaufene Ehefrau wieder ein. Doch als der Mann ihnen den versprochenen Lohn in wertlosen Münzen auszahlt, nimmt Thomas die Frau mit – und schafft sich einen Feind fürs Leben. Bertille ist eine atemberaubende Schönheit, die den Männern in Thomas’ Tross den Kopf verdreht.

Zur selben Zeit versammelt Edward, Prince of Wales, ein Heer. Bevor Thomas mit ihm für den Ruhm seines Vaterlandes kämpfen kann, soll er ein geheimnisvolles Schwert finden, das seinen Besitzer unbesiegbar machen soll: La Malice, «Die Bosheit». Angeblich gehörte es dem heiligen Petrus, der damit seinen Herrn Jesus Christus verteidigte.

Über Bernard Cornwell

Bernard Cornwell, geboren 1944, machte nach dem Studium Karriere bei der BBC. Nach Übersiedlung in die USA entschloss er sich, einem langgehegten Wunsch nachzugehen, dem Schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er als unangefochtener König des historischen Abenteuerromans. Bernard Cornwells Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt, die Gesamtauflage liegt bei über 20 Millionen Exemplaren.

 

Weitere Informationen zum Autor

Inhaltsübersicht

WidmungKarteMottoPROLOG: CarcassonneTEIL EINS: AvignonEinsZweiDreiTEIL ZWEI: MontpellierVierFünfSechsSiebenAchtNeunTEIL DREI: PoitiersZehnElfZwölfDreizehnTEIL VIER: SchlachtVierzehnFünfzehnSechzehnNACHWORT DES AUTORS

1356

widme ich meinem Enkel

Oscar Cornwell

in Liebe.

«Die Engländer reiten, niemand weiß, wohin.»

Warnung, die im Frankreich des 14. Jahrhunderts im Umlauf war, zitiert aus «A Fool and His Money» von Ann Wroe

PROLOG

Carcassonne

Er war spät angekommen.

Inzwischen war es dunkel, und er hatte keine Laterne, aber die Brände in der Stadt loderten so grell, dass ihr Licht bis weit in die Kirche drang und sogar noch einen Schimmer auf die Steinplatten in der Krypta warf, wo der Mann mit einer eisernen Brechstange auf eine Steinplatte losging, in die ein Wappen eingemeißelt war. Es zeigte einen Pokal, um den ein Schnallengürtel lief, der die Inschrift Calix Meus Inebrians trug. Gemeißelte Sonnenstrahlen ließen es aussehen, als stiege Licht aus dem Pokal auf. Das eingemeißelte Bild und die Schrift waren im Laufe der Zeiten abgetreten worden und wirkten etwas verschwommen, und der Mann hatte sie kaum wahrgenommen, doch was er wahrnahm, waren die Schreie aus den Gassen rund um die kleine Kirche. Es war eine Nacht des Feuers und des Leidens, und die Schreie waren so laut, dass sie den Lärm überdeckten, mit dem er eine Spalte zwischen den Steinplatten vertiefte. Er rammte die Eisenstange abwärts, dann erstarrte er, weil durch die Kirche über ihm Gelächter und Schritte hallten. Er zog sich gerade noch rechtzeitig in einen Bogengang zurück, bevor zwei Männer in die Krypta herunterkamen. Sie hatten eine Fackel bei sich, die das langgestreckte Gewölbe ausleuchtete und ihnen zeigte, dass es hier keine leichte Beute zu holen gab. Der Altar der Krypta bestand aus einfachen Steinplatten, und sein einziger Schmuck war ein Holzkreuz, nicht einmal ein Kerzenhalter stand darauf. Einer der Männer sagte etwas in einer fremden Sprache, der andere lachte, und beide gingen wieder hinauf ins Kirchenschiff, dessen Wandmalereien und entweihte Altäre von den Bränden in den Straßen beleuchtet wurden.

Der Mann mit der Eisenstange war in einen langen, schwarzen Kapuzenumhang gehüllt. Unter der schweren Kutte trug er ein weißes Gewand mit Schmutzstreifen, das in der Mitte von einer dreifach geknoteten Kordel zusammengehalten wurde. Er war ein Predigermönch, ein Dominikaner, doch das bedeutete in dieser Nacht keinen Schutz vor der Armee, die Carcassonne verwüstete. Er war groß und kräftig, und bevor er das Ordensgelübde abgelegt hatte, war er Waffenknecht gewesen. Er hatte eine Lanze zu schleudern gewusst, ein Schwert zu schwingen und mit der Axt zu töten. Sein Name hatte Sire Ferdinand de Rodez gelautet, doch nun war er einfach Fra Ferdinand. Einst hatte er Rüstung und Kettenhemd getragen, Turniere bestritten und in der Schlacht Menschen niedergemetzelt, doch nun war er seit fünfzehn Jahren Mönch und hatte jeden Tag um Vergebung für seine Sünden gebetet. Er war nun alt, beinahe schon sechzig Jahre, doch noch immer breit in den Schultern. Er war zu Fuß in diese Stadt gekommen. Der Regen hatte seine Reise behindert, Flüsse waren über die Ufer getreten und Furten unpassierbar geworden, und deshalb war er so spät angekommen. Er war spät angekommen, und er war müde. Er rammte die Brechstange unter die Steinplatte mit den Einmeißelungen und lehnte sich erneut darauf, während er zugleich fürchtete, dass sich das Eisen verbiegen könnte, bevor der Stein nachgab, doch dann stieg plötzlich ein hohles, kratzendes Geräusch auf, der Granit hob sich, rutschte ein Stückchen zur Seite und gab eine schmale Lücke zu dem Hohlraum darunter frei.

Der Hohlraum war dunkel, denn die Flammen des Teufels, die in der Stadt wüteten, reichten nicht bis in das Grab, und so kniete sich der Mönch neben das dunkle Loch und tastete darin herum. Er fühlte Holz, also rammte er die Brechstange erneut in das Loch. Ein Hieb, zwei Hiebe, und das Holz splitterte. Er betete, dass kein Bleisarg in dem Holzsarg stand, und rammte die Brechstange ein letztes Mal abwärts, dann griff er in das Loch und zog gesplittertes Holz heraus.

Es gab keinen Bleisarg. Seine Fingerspitzen glitten über Stoff, der unter seiner Berührung zerfiel. Dann spürte er Knochen, erkundete eine ausgetrocknete Augenhöhle, lockere Zähne und den Bogen einer Rippe. Er legte sich auf den Bauch, sodass er seinen Arm tiefer hinabstrecken konnte, tastete in der Schwärze des Grabes umher und entdeckte bald etwas Festes, das kein Knochen war. Aber es war nicht das, wonach er suchte; es hatte die falsche Form. Es war ein Kruzifix. Plötzlich wurden in der Kirche über ihm Stimmen laut. Ein Mann lachte, und eine Frau schluchzte. Der Mönch lag bewegungslos da, lauschend und betend. Verzweiflung überkam ihn bei dem Gedanken, dass der Gegenstand, den er suchte, nicht in dem Grab sein könnte, doch dann streckte er seinen Arm noch einmal so weit wie möglich in die Tiefe, und seine Fingerspitzen berührten etwas, das in zarten Stoff gewickelt war, der nicht zerfiel. Er tastete blind umher, erwischte ein Stück des Stoffs und zog daran. Ein Gegenstand war in den zarten Stoff gewickelt, ein schwerer Gegenstand, und er zog ihn behutsam näher, dann bekam er ihn schließlich richtig zu fassen und zog ihn aus dem Griff der Knochenhände, die den Gegenstand gehalten hatten. Er zog den Gegenstand aus dem Grab und stand auf. Er musste ihn nicht auswickeln. Er wusste, dass er La Malice gefunden hatte, und zum Dank drehte er sich zu dem schlichten Altar auf der Ostseite der Krypta um und bekreuzigte sich. «Danke, Herr», murmelte er, «danke, Sankt Petrus, und danke, Sankt Junien. Jetzt müsst ihr mich beschützen.»

Und himmlischen Schutz würde der Mönch auch notwendig haben. Einen Moment dachte er daran, sich in der Krypta zu verstecken, bis die Armee, die in Carcassonne eingefallen war, wieder abzog, doch das konnte Tage dauern, und davon abgesehen würden die Soldaten, nachdem sie sich die leichte Beute geholt hatten, auch die Gräber in der Krypta aufbrechen und nach Ringen, Kruzifixen und allem anderen suchen, das sich verkaufen ließ. Die Krypta hatte La Malice einhundertfünfzig Jahre lang Zuflucht geboten, aber der Mönch wusste, dass sie ihm selbst höchstens ein paar Stunden lang Sicherheit bieten konnte.

Fra Ferdinand ließ die Brechstange liegen und ging die Treppe hinauf. La Malice war so lang wie sein Arm und überraschend schwer. Die Waffe hatte einst einen Griff gehabt, doch nun war nur noch die dünne, metallene Angel übrig, und an diesem groben Heft hielt er das Schwert. Immer noch war es in den zarten Stoff gehüllt, den er für Seide hielt.

Das Kirchenschiff war von den lodernden Flammen erhellt, die aus den Häusern auf dem kleinen Platz davor schlugen. Es waren drei Männer in der Kirche, und einer rief der Gestalt im dunklen Umhang, die auf der Treppe zur Krypta auftauchte, herausfordernd und mit vorgerecktem Kinn etwas zu. Die drei waren Bogenschützen, ihre langen Bogenstäbe lehnten am Altar, und im Grunde interessierten sie sich nicht für den Fremden, sondern ausschließlich für die Frau, die sie mit gespreizten Beinen auf die Altartreppe gedrückt hatten. Einen Augenblick lang war Fra Ferdinand versucht, die Frau zu retten, doch dann kamen durch eine Seitentür vier oder fünf weitere Männer herein und brüllten begeistert auf, als sie den nackten Körper auf den Stufen sahen. Sie hatten ein weiteres Mädchen mitgebracht, ein Mädchen, das schrie und kämpfte, und der Mönch erschauerte bei den verzweifelten Rufen. Er hörte, wie die Kleidung der jungen Frau zerriss, hörte ihr Jammern, und er dachte an all seine eigenen Sünden. Er bekreuzigte sich. «Vergib mir, Herr Jesus», flüsterte er und trat, weil er doch nicht helfen konnte, durch die Kirchentür auf den kleinen Vorplatz. Flammen fraßen sich in lodernd brennende Strohdächer und schossen wilde Funkengarben in den Wind. Rauch quoll über der Stadt empor. Ein Soldat mit dem roten Sankt-Georgs-Kreuz auf dem Wappenrock übergab sich auf der Kirchentreppe, und ein Hund lief herbei, um das Erbrochene aufzulecken. Der Mönch wandte sich Richtung Fluss, weil er hoffte, über die Brücke und schließlich in die Cité zu gelangen. Hinter den Doppelmauern, Türmen und Zinnen von Carcassonne hoffte er Schutz zu finden, denn er bezweifelte, dass diese wilde Armee die Geduld für eine Belagerung aufbringen konnte. Zwar hatten sie die Bourg erobert, das Handelsviertel auf dem Westufer des Flusses, aber dieses Viertel hatte noch nie verteidigt werden können. Die meisten Werkstätten der Stadt lagen in der Bourg, dort waren die Lederhändler, die Silber- und Waffenschmiede und Geflügelverkäufer und Kleidungshändler, und deren Besitztümer wurden nur von einem ringförmigen Erdwall geschützt, und die Armee war wie eine Flut über diese kümmerliche Befestigung hinweggegangen. Die Cité von Carcassonne dagegen war eine Festung, eine der gewaltigsten in Frankreich, eine Bastion, die von enormen Steintürmen und hoch aufragenden Mauern umgeben war. Dort wäre er sicher. Er würde ein Versteck für La Malice finden und abwarten, bis es eine Möglichkeit gab, die Waffe an ihren Besitzer zurückzugeben.

Im Schutz der Dunkelheit betrat er eine Straße, in der keine Brände gelegt worden waren. Männer brachen in Häuser ein, sie benutzten Hämmer und Äxte, um die Holztüren einzuschlagen. Die meisten Bewohner waren in die Cité geflohen, doch einige wenige Narren waren geblieben, weil sie hofften, ihren Besitz verteidigen zu können. Die Armee war so unvermittelt aufgetaucht, dass keine Zeit gewesen war, alles Wertvolle über die Brücke und hinauf zu den riesigen Stadttoren zu bringen, von denen die mächtige Zitadelle auf dem Hügel geschützt wurde. Zwei Tote lagen im Rinnstein, der in der Mitte der Straße verlief. Sie trugen das Wappen von Armagnac mit den vier Löwen. Es waren Armbrustschützen, die bei der aussichtslosen Verteidigung der Bourg getötet worden waren.

Fra Ferdinand kannte die Stadt nicht. Er suchte nach einem versteckten Weg zum Fluss, ging durch dunkle Gassen und enge Durchlässe. Gott, dachte er, war bei ihm, denn er begegnete keinem Feind, als er ostwärts hastete, doch dann kam er zu einer breiteren Straße, die von Bränden erleuchtet war, und er sah die lange Brücke und dahinter, hoch auf dem Hügel, die vom Feuer angestrahlten Mauern der Cité. Die Mauersteine leuchteten rot im Abglanz der in der Bourg lodernden Flammen. Die Mauern der Hölle, dachte der Mönch, und dann nahm Rauch ihm den Blick auf die Mauern, jedoch nicht auf die Brücke, deren westliches Ende von Bogenschützen bewacht wurde. Englische Bogenschützen mit dem roten Kreuz auf ihren Wappenröcken und ihren tödlichen Bögen. Zwei Reiter mit Kettenrüstungen und Helmen waren bei ihnen.

Unmöglich, über die Brücke zu kommen, dachte er. Unmöglich, in die Sicherheit der Cité zu gelangen. Er kauerte sich nieder, dachte nach, und dann schlich er zurück in das Gassengewirr. Er würde nach Norden gehen.

Er musste eine Hauptstraße überqueren, die von neu gelegten Feuern erhellt war. Eine Kette, eine der vielen, die über die Straßen gespannt worden waren, um die Eindringlinge aufzuhalten, lag im Rinnstein, wo eine Katze aus einer Blutlache trank. Fra Ferdinand eilte im Laufschritt durch das Licht des Feuers, tauchte in die nächste Gasse ein und lief weiter. Gott war immer noch bei ihm. Die Sterne wurden von funkendurchwirbeltem Rauch verdeckt. Er überquerte einen Platz, geriet in eine Sackgasse, ging zurück und wandte sich wieder nach Norden. Eine Kuh brüllte in einem brennenden Gebäude, ein Hund, der etwas Schwarzes, Tropfendes im Maul hielt, kreuzte seinen Weg. Er kam an einer Gerberwerkstatt vorbei, sprang über die Tierhäute, die übers Straßenpflaster verstreut lagen, und dann hatte er den Erdwall vor sich, die einzige Verteidigungsanlage der Bourg, er stieg hinauf, und dann hörte er einen Ruf, drehte sich um und sah, dass er von drei Männern verfolgt wurde.

«Wer bist du?», rief einer.

«Halt!», brüllte ein anderer.

Der Mönch beachtete sie nicht. Er hastete den Abhang hinunter und wandte sich zu der dunklen Landschaft, die jenseits des Erdwalls und der dahinter errichteten Ansammlung von Hütten lag. Ein Pfeil zischte an ihm vorbei, verfehlte ihn durch die Gnade Gottes um einen Fingerbreit, und er wich seitlich in einen Durchgang zwischen zweien der kleinen Häuser aus. Ein stinkender Misthaufen erhob sich dort. Er rannte vorbei und sah, dass der Durchgang an einer Mauer endete, und als er sich umdrehte, hatten ihm die drei Männer den Weg abgeschnitten. Sie grinsten triumphierend.

«Was hast du bei dir?», fragte einer von ihnen.

«Je suis Gascon», sagte Fra Ferdinand. Er wusste, dass die Eindringlinge Gascogner und Engländer waren, und er sprach kein Englisch. «Je suis Gascon!», wiederholte er, während er auf die Männer zuging.

«Ein Predigermönch», sagte einer der Männer.

«Aber warum ist der gottverdammte Bastard vor uns weggelaufen?», fragte einer der Engländer. «Du hast was zu verbergen, stimmt’s?»

«Hergeben», sagte der dritte Mann und streckte die Hand aus. Er war der Einzige, der einen Pfeil bereithielt, die anderen hatten ihre Bögen über die Schulter gehängt und Schwerter in der Hand. «Komm schon, Arschgesicht, gib’s mir.» Der Mann wollte nach La Malice greifen.

Die drei Männer waren halb so alt wie der Mönch, und weil sie Bogenschützen waren, vermutlich doppelt so stark, aber Fra Ferdinand war ein fähiger Waffenknecht gewesen und hatte seine Schwertkunst nie verlernt. Und er war wütend. Wütend über all das Leid, das er gesehen, und die Grausamkeiten, von denen er gehört hatte, und diese Wut machte ihn wild. «Im Namen Gottes», sagte er und schwang La Malice aufwärts. Das Schwert war immer noch in die Seide gewickelt, aber seine Klinge schnitt tief ins Handgelenk des Bogenschützen, durchtrennte die Sehnen und brach Knochen. Fra Ferdinand hielt die Waffe an der Angel, wodurch sein Griff unsicher war, aber das Schwert schien mit einem Mal lebendig geworden. Der Verwundete zog sich blutend zurück, doch seine Gefährten brüllten vor Zorn und stießen ihre Klingen vorwärts, also ließ der Mönch das Schwert vorschnellen und parierte beide Hiebe mit einem einzigen Schwung. La Malice, obwohl sie über hundertfünfzig Jahre in einem Grab gelegen hatte, erwies sich als so scharf wie eine frischgewetzte Klinge, und ihre Vorderkante bohrte sich durch das gepolsterte Kettenhemd des nächsten Mannes, brach seine Rippen und riss einen Lungenflügel auf, und bevor der Mann noch wusste, dass er verletzt war, hatte Fra Ferdinand die Klinge seitwärts geschwungen und dem dritten Mann die Augen ausgestochen, sodass helles Blut durch die Gasse sprühte, und nun zogen sich alle drei Männer zurück, doch der Predigermönch gab ihnen keine Gelegenheit, zu entkommen. Der blinde Mann taumelte rücklings auf den Dunghaufen, sein Begleiter ließ sein Schwert verzweifelt durch die Luft rasen, La Malice traf es, und das englische Schwert zerbrach, und der Mönch schnellte mit der seidenumhüllten Klinge vor, schnitt dem Mann die Kehle durch, und das Blut spritzte ihm ins Gesicht. Wie warm dieses Blut ist, dachte er und, Gott vergib mir. Ein Vogel schrie in der Dunkelheit, und die Flammen tosten in der Bourg.

Er tötete alle drei Bogenschützen, dann benutzte er die Seide, um die Klinge von La Malice abzuwischen. Er überlegte, ob er ein kurzes Gebet für die Männer sprechen sollte, die er gerade umgebracht hatte, fand dann aber, dass er den Himmel nicht mit solchen Rohlingen teilen wollte. Stattdessen küsste er La Malice, und anschließend durchsuchte er die drei Toten und fand ein paar Münzen, einen Brocken Käse, vier Bogensehnen und ein Messer.

Die Stadt Carcassonne brannte und erfüllte die Winternacht mit Rauch.

Und der Predigermönch ging nach Norden. Er ging nach Hause, nach Hause zu dem Turm.

Seine Bürde waren La Malice und das Schicksal der Christenheit.

Und er verschwand in der Finsternis.

 

Die Männer kamen vier Tage nach der Plünderung Carcassonnes zu dem Turm.

Es waren sechzehn, alle waren in gute, dicke Wollumhänge gehüllt, und alle saßen auf guten Pferden. Fünfzehn der Männer trugen Kettenrüstungen und Schwerter, während der sechzehnte Reiter ein Priester war, auf dessen Handgelenk ein Falke mit einer Haube saß.

Ein heftiger Wind fuhr den Bergpass herunter, zerzauste das Federkleid des Falken, rüttelte an den Kiefern und wehte den Rauch von den kleinen Hütten des Dorfes hinter dem Turm weg. Es war kalt. In diesem Teil Frankreichs schneite es selten, aber der Priester, der unter der schwarzen Kapuze seines Umhangs herausspähte, glaubte, ein paar Flocken im Wind zu sehen.

Um den Turm lagen eingestürzte Mauern, von der früheren Festung waren nur der Turm geblieben und ein niedriges Gebäude mit Strohdach, in dem vermutlich die Bediensteten wohnten. Hühner scharrten im Dreck, eine angepflockte Geiß starrte die Pferde an, wogegen eine Katze die Neuankömmlinge nicht beachtete. Was einst eine schöne kleine Festung gewesen war, von der aus die Straße zu den Bergen überwacht wurde, hatte sich in ein Bauerngehöft verwandelt, wenn der Priester auch zur Kenntnis nahm, dass sich der Turm noch in gutem Zustand befand und das Dorf hinter der alten Feste recht wohlhabend wirkte.

Ein Mann eilte von dem strohgedeckten Gebäude heran und verbeugte sich tief vor den Reitern. Er verbeugte sich, nicht weil er sie erkannte, sondern weil Männer mit Schwertern Respekt verlangen. «Ihr Herren?», fragte der Mann ängstlich.

«Stell die Pferde unter», forderte der Priester.

«Aber zuerst führst du sie herum, damit sie sich abkühlen», fügte einer der Männer in Kettenrüstung hinzu, «du führst sie herum, reibst sie ab und lässt sie nicht zu viel grasen.»

«Herr», sagte der Mann und verbeugte sich erneut.

«Ist das Mouthoumet?», fragte der Priester beim Absteigen.

«Ja, Vater.»

«Und du dienst dem Sire de Mouthoumet?», fragte der Priester.

«Dem Comte de Mouthoumet, ja, Herr.»

«Ist er noch am Leben?»

«Lob sei dem Herrn, Vater, er lebt.»

«Lob sei dem Herrn, wahrhaftig», sagte der Priester nachlässig, dann ging er mit großen Schritten zu der Tür des Turmes, die sich am Ende eines kurzen, gemauerten Treppenaufgangs befand. Er rief zwei der Männer in Kettenrüstung zu seiner Begleitung, befahl den anderen, im Hof zu warten, schob die Tür auf und fand sich in einem weitläufigen, runden Raum wieder, der als Lager für Feuerholz genutzt wurde und in dem Schinkenseiten und Kräuterbündel von den Deckenbalken herabhingen. Eine Treppe wand sich bis zur Hälfte der Wand hinauf, und der Priester stieg, ohne auf den Empfang durch einen Bediensteten zu warten, ins obere Stockwerk, das rauchgeschwängert war vom Kamin. Auf den alten Dielenbrettern lagen fadenscheinige Teppiche; auf zwei Holzkisten brannten Kerzen, denn obwohl es Tag war, hatte man die Fenster mit Decken gegen die Zugluft verhängt. Auf einem Tisch lagen zwei Bücher und einige Pergamente neben einem Tintenfässchen, einem Bündel Schreibfedern, einem Messer und einem alten, verrosteten Brustpanzer, der als Schale für drei runzlige Äpfel diente. Ein Stuhl stand neben dem Tisch, der Comte de Mouthoumet aber, der Herr dieses einsamen Turmes, lag in einem Bett dicht bei dem schwelenden Feuer. Ein grauhaariger Priester saß bei ihm, und zwei ältere Frauen knieten am Fußende. «Geht», befahl der Priester den dreien. Die beiden Männer in Kettenrüstung kamen hinter ihm die Treppe herauf und erfüllten den Raum mit unheilvoller Stimmung.

«Wer seid Ihr?», fragte der grauhaarige Priester beunruhigt.

«Ich habe gesagt, Ihr sollt gehen, also geht!»

«Er liegt im Sterben!»

«Geht!»

Der alte Priester, der ein Skapulier um den Hals trug, unterbrach das Sterbesakrament und folgte den beiden Frauen die Treppe hinunter. Der sterbende Mann musterte die Neuankömmlinge, sagte jedoch nichts. Sein Haar war lang und weiß, sein Bart nicht geschnitten, und seine Augen waren tief in die Augenhöhlen eingesunken. Er sah, wie der Priester den Falken auf dem Tisch absetzte.

Die Klauen des Vogels kratzten über das Holz. «Das ist eine Calade», erklärte der Priester.

«Eine Calade?», fragte der Comte sehr leise. Er starrte die schiefergrauen Federn des Vogels an und seine hell gestreifte Brust. «Es ist zu spät für eine Calade.»

«Ihr müsst den Glauben haben», sagte der Priester.

«Ich habe über achtzig Jahre gelebt», sagte der Comte, «und habe nun mehr Glauben als Zeit.»

«Dafür reicht Eure Zeit noch», sagte der Priester grimmig. Die beiden Männer mit den Kettenhemden standen schweigend oben an der Treppe. Die Calade machte ein maunzendes Geräusch, doch auf ein Fingerschnippen des Priesters wurde der Vogel mit der Kopfhaube still. «Habt Ihr die Sterbesakramente erhalten?», fragte der Priester.

«Vater Jacques wollte sie mir gerade spenden», sagte der Sterbende.

«Ich werde es tun», sagte der Priester.

«Wer seid Ihr?»

«Ich komme aus Avignon.»

«Vom Papst?»

«Von wem sonst?», fragte der Priester. Er ging durch den Raum, sah sich um, und der alte Mann beobachtete ihn dabei. Er sah einen großen Mann mit unerbittlichem Gesichtsausdruck, dessen Priestergewand von einem guten Schneider stammte. Als der Besucher eine Hand hob, um das Kruzifix zu berühren, das an der Wand hing, rutschte sein Ärmel zurück, sodass ein Futterstoff aus roter Seide sichtbar wurde. Der alte Mann kannte diese Sorte Priester, hart und ehrgeizig, reich und gewieft, die Sorte Priester, die sich nicht um die Armen sorgte, sondern die Leiter der klerikalen Macht erstieg, um in den Kreis der Begüterten und Privilegierten zu gelangen. Nun drehte der Priester sich um und richtete den gefühllosen Blick aus seinen grünen Augen auf den alten Mann. «Erklärt mir», sagte er, «wo La Malice ist.»

Der alte Mann zögerte eine Sekunde zu lange. «La Malice?»

«Sagt mir, wo sie ist», forderte der Priester, und als der alte Mann schwieg, fügte er hinzu: «Ich komme vom Heiligen Vater. Ich befehle Euch, es mir zu sagen.»

«Ich weiß es nicht», flüsterte der alte Mann, «wie könnte ich es Euch also sagen?»

Ein Holzscheit im Kamin knackte und sprühte Funken. «Die Predigermönche», sagte der Priester, «haben ketzerische Lehren verbreitet.»

«Gott behüte», sagte der alte Mann.

«Habt Ihr sie gehört?»

Der Comte schüttelte den Kopf. «Ich höre wenig dieser Tage, Vater.»

Der Priester griff in einen Beutel, den er am Gürtel trug, und zog ein Stück Pergament heraus. «Das Schwert war im Besitze der Sieben Schattenfürsten», las er vor, «und sie sind verflucht. Er, der über uns regieren soll, wird es finden, und er soll gesegnet sein.»

«Ist das Ketzerei?», fragte der Comte.

«Es ist das Lied, das die Predigermönche in ganz Frankreich singen. In ganz Europa! Es gibt nur einen Mann, der über uns regiert, und das ist der Heilige Vater! Wenn La Malice existiert, ist es Eure Christenpflicht, mir zu sagen, was Ihr wisst. Die Klinge muss der Kirche übergeben werden! Ein Mann, der anders denkt, ist ein Ketzer.»

«Ich bin kein Ketzer», sagte der alte Mann.

«Euer Vater war ein Schattenfürst.»

Den Comte überlief ein Schauder. «Die Sünden meines Vaters sind nicht meine.»

«Und die Schattenfürsten waren im Besitz von La Malice.»

«Über die Schattenfürsten wird vieles geredet», sagte der Comte.

«Sie haben die Schätze der häretischen Katharer gehütet», sagte der Priester, «und als diese Ketzer durch die Gnade Gottes aus dem Land getrieben worden waren, haben die Schattenfürsten ihre Schätze in Verstecke gebracht.»

«Das habe ich auch gehört.» Die Stimme des Comtes war kaum mehr als ein Flüstern.

Der Priester streckte die Hand aus, um dem Falken über den Rücken zu streichen. «La Malice», sagte er, «war all die Jahre verschwunden, aber die Predigermönche sagen, sie kann wiedergefunden werden. Und sie muss wiedergefunden werden! Sie ist ein Schatz der Kirche, ein machtvolles Objekt, und Ihr versteckt sie!»

«Das tue ich nicht!», widersprach der alte Mann.

Der Priester setzte sich auf das Bett und beugte sich dicht zu dem Comte. «Wo ist La Malice?», fragte er.

«Ich weiß es nicht.»

«Ihr steht kurz vor Eurem göttlichen Richterspruch, alter Mann», sagte der Priester, «also lügt mich nicht an.»

«So wahr mir Gott helfe», sagte der alte Mann, «ich weiß es nicht.» Und das stimmte. Er hatte gewusst, wo La Malice versteckt gewesen war, und weil er ihre Entdeckung durch die Engländer befürchtete, hatte er seinen Freund Fra Ferdinand losgeschickt, um die Reliquie zurückzuholen, und der Comte vermutete, dass der Mönch dies auch getan hatte, und wenn Fra Ferdinand erfolgreich gewesen war, dann wusste der Comte wirklich nicht, wo sich La Malice nun befand. Also hatte er nicht gelogen, aber er hatte dem Priester auch nicht die ganze Wahrheit gesagt, denn manche Geheimnisse sollte man mit ins Grab nehmen.

Der Priester starrte den Comte lange an, dann streckte er die linke Hand aus und nahm die Geschühriemen des Falken auf. Der Vogel, der immer noch die Haube über dem Kopf trug, trat vorsichtig auf das Handgelenk des Priesters. Nun hob der Priester den Vogel zum Bett hinüber und drängte ihn mit leise gemurmelten Worten auf die Brust des sterbenden Mannes, löste sanft die Schnüre der Falkenhaube und zog die Lederkappe vom Kopf des Vogels. «Diese Calade», sagte er, «ist anders. Denn sie verrät uns nicht, ob Ihr leben oder sterben werdet, sondern ob Ihr im Zustand der Gnade sterbt und in den Himmel eingeht.»

«Darum bete ich», sagte der Mann auf dem Totenbett.

«Seht den Vogel an», befahl der Priester.

Der Comte de Mouthoumet richtete seinen Blick auf den Vogel. Er hatte von solchen Vögeln gehört, den Calades, die voraussagen konnten, ob ein Mann leben oder sterben würde. Wenn der Vogel einem Kranken direkt ins Auge sah, dann würde sich der Kranke erholen, und wenn nicht, würde er sterben. «Ein Vogel, der das ewige Leben voraussagen kann?», fragte der Comte.

«Seht ihn an», sagte der Priester, «und sagt mir: Wisst Ihr, wo La Malice versteckt ist?»

«Nein», flüsterte der alte Mann.

Der Falke schien an die Wand zu schauen. Er machte ein paar kleine Schritte auf der Brust des alten Mannes, seine Krallen verhakten sich in der zerschlissenen Decke. Niemand sprach ein Wort. Der Vogel war sehr still, doch dann, plötzlich, schoss sein Kopf vor, und der Comte schrie.

«Ruhig!», knurrte der Priester.

Der Falke hatte das linke Auge des Sterbenden mit seinem Hakenschnabel aufgeschlitzt, es ausgedrückt und eine Spur aus blutigem Schleim auf der unrasierten Wange des alten Mannes hinterlassen. Der Comte wimmerte. Der Falke machte ein klapperndes Geräusch mit dem Schnabel.

«Die Calade zeigt, dass Ihr gelogen habt», sagte der Priester, «und wenn Ihr Euer rechtes Auge zu behalten wünscht, werdet Ihr die Wahrheit sagen. Wo ist La Malice?»

«Ich weiß es nicht.» Der alte Mann schluchzte.

Der Priester schwieg eine Zeitlang. Das Feuer knisterte, und der Wind blies Rauch in den Raum. «Ihr lügt», sagte er. «Die Calade verrät mir, dass Ihr lügt. Ihr spuckt Gott und Seinen Engeln ins Angesicht.»

«Nein!», widersprach der alte Mann.

«Wo ist La Malice?»

«Ich weiß es nicht!»

«Euer Familienname ist Planchard», sagte der Priester anklagend, «und die Planchards waren schon immer Ketzer.»

«Nein!», protestierte der Comte und setzte dann mit schwächerer Stimme hinzu, «wer seid Ihr?»

«Ihr könnt mich Vater Calade nennen», sagte der Priester, «und ich bin der Mann, der entscheidet, ob Ihr in die Hölle oder in den Himmel kommt.»

«Dann nehmt mir die Beichte ab», flehte der alte Mann.

«Da würde ich lieber dem Teufel den Arsch ablecken», sagte Vater Calade.

Eine Stunde später, als der Comte blind war und schluchzte, war der Priester endlich davon überzeugt, dass der alte Mann nicht wusste, wo La Malice versteckt war. Er lockte den Falken auf sein Handgelenk und zog ihm die Haube über den Kopf, dann nickte er einem der Männer im Kettenhemd zu. «Schickt den alten Narren zu seinem Herrn.»

«Zu seinem Herrn?», fragten die Waffenknechte verwirrt.

«Zum Satan», sagte der Priester.

«Um Gottes willen», flehte der Comte de Mouthoumet, und dann zuckte er hilflos, als ihm die Waffenknechte ein mit Schafswolle gestopftes Kissen aufs Gesicht drückten. Der alte Mann brauchte erstaunlich lange zum Sterben.

«Wir drei gehen zurück nach Avignon», erklärte der Priester seinen Begleitern, «aber die anderen bleiben hier. Sagt ihnen, sie sollen alles durchsuchen. Sie sollen den Turm einreißen! Kein Stein soll auf dem anderen bleiben.»

Der Priester ritt Richtung Osten nach Avignon. Später an diesem Tag schneite es, und weiche, zarte Flocken legten einen weißen Hauch über die fahlen Olivenbäume in dem Tal unter dem Turm des toten Mannes.

Am nächsten Morgen war der Schnee verschwunden, und eine Woche später kamen die Engländer.

TEIL EINS

Avignon

Eins

Die Mitteilung traf nach Mitternacht in der Stadt ein, überbracht von einem jungen Mönch, der England im August zusammen mit zwei anderen Ordensbrüdern verlassen hatte. Alle drei waren sie in den großen Zisterzienserkonvent in Montpellier befohlen, wo Bruder Michael, der Jüngste von ihnen, Medizin studieren und die anderen beiden die berühmte Theologieschule besuchen sollten. Wie allen Reisenden, die einen weiten Weg vor sich haben, hatte man ihnen Mitteilungen anvertraut. Eine war für den Abt bei Puys, und dort war Bruder Vincent an der Ruhr gestorben, dann waren Michael und sein Gefährte nach Toulouse gegangen, wo Bruder Peter krank und ins Hospital eingewiesen wurde, in dem er, soweit Michael wusste, noch immer lag. Also war der junge Mönch jetzt allein, und er hatte nur noch eine Mitteilung übrig, ein versiegeltes Pergament, das mittlerweile recht mitgenommen wirkte, und man hatte ihm gesagt, dass er den Mann, für den das Schreiben bestimmt war, möglicherweise verpassen würde, wenn er sich nicht noch am gleichen Abend auf den Weg machte. «Le Bâtard», hatte ihm der Abt in Paville erklärt, «bewegt sich schnell von einem Ort zum anderen. Vor zwei Tagen war er noch hier, jetzt ist er in Villon, aber morgen – wer weiß?»

«Le Bâtard?»

«So wird er hier in der Gegend genannt», hatte der Abt gesagt und sich bekreuzigt, was darauf hinzudeuten schien, dass der junge englische Mönch von Glück reden konnte, wenn er die Begegnung mit dem Mann namens le Bâtard überlebte.

Jetzt, nach einem ganzen Tagesmarsch, blickte Bruder Michael über ein Tal hinweg zur Stadt Villon. Sie war leicht zu finden gewesen, denn als es dunkel wurde, hatten Flammen den Himmel erhellt und ihm als Leuchtturm gedient. Flüchtlinge, die ihm auf der Straße entgegenkamen, erzählten ihm, dass Villon brannte, und so musste Bruder Michael nur auf den hellen Feuerschein zugehen, um le Bâtard zu finden und seine Mitteilung abzugeben. Beunruhigt durchquerte er das Tal, sah die Flammen über den Stadtmauern lodern und quellende Rauchwolken in den Himmel ziehen, die hellrot leuchteten, wo sie der Abglanz des Feuers aufschimmern ließ. Der junge Mönch dachte, so müsse der Himmel des Satans aussehen. Noch immer strömten Flüchtlinge aus der Stadt, und sie rieten Bruder Michael umzudrehen und wegzulaufen, weil in Villon die Dämonen der Hölle wüteten, und er war in Versuchung, oh so sehr in Versuchung, doch ein anderer Teil seiner jungen Seele war neugierig. Er hatte noch nie einen Kampf gesehen. Er hatte noch nie gesehen, was Männer taten, wenn sie sich in den Rausch der Gewalt stürzten, und deshalb ging er weiter und vertraute auf Gott und auf seinen kräftigen Pilgerstab, den er den ganzen Weg von Carlisle bis hierher getragen hatte.

Die meisten Feuer brannten um das westliche Stadttor, und ihre Flammen beleuchteten die massige Burg, die im Osten den Hügel krönte. Es war die Burg des Comtes de Villon, das hatte ihm der Abt bei Paville erklärt, und der Comte de Villon wurde von Söldnern belagert, die der Bischof von Lavence und der Comte de Labrouillade angeheuert hatten und die befehligt wurden von le Bâtard.

«Und worum geht es bei dem Streit?», hatte Bruder Michael den Abt gefragt.

«Um zwei Dinge», hatte der Abt geantwortet und dann innegehalten, bis ihm ein Diener Wein eingeschenkt hatte. «Der Comte de Villon hat einen Karren mit Fellen beschlagnahmt, der dem Bischof gehörte. Jedenfalls behauptet der Bischof das.» Er verzog das Gesicht, denn der Wein war jung und sauer. «In Wahrheit ist Villon ein gottloser Patron, und der Bischof hätte gern einen neuen Nachbarn.» Er zuckte mit den Schultern, als müsse er zugeben, dass dieser Teil der Auseinandersetzung allzu banal war.

«Und die zweite Sache?»

Der Abt wartete einen Moment, bevor er antwortete. «Villon hat dem Comte de Labrouillade die Frau weggenommen», sagte er schließlich.

«Ah.» Bruder Michael wusste nicht, was er sonst sagen sollte.

«Männer sind immer streitlustig», hatte der Abt gesagt, «aber wenn es um Frauen geht, werden sie noch schlimmer. Man muss nur einmal an Troja denken! All diese Männer, die dort für ein einziges hübsches Mädchen umgebracht wurden!» Er sah den jungen englischen Mönch mit großem Ernst an. «Frauen haben die Sünde in die Welt gebracht, Bruder Michael, und das tun sie noch immer. Sei dankbar, dass du Mönch bist und Keuschheit gelobt hast.»

«Dank sei dem Herrn!», hatte Bruder Michael gesagt, jedoch ohne große Überzeugung.

Und nun herrschten in Villon Feuer und Tod, und all das wegen einer Frau und einer Karrenladung Felle. Bruder Michael ging über die Talstraße auf die Stadt zu, überquerte eine Steinbrücke und kam so zum westlichen Stadttor, wo er stehen blieb, denn die Tore waren von einer derartig gewaltigen Kraft aus dem steinernen Torbogen gerissen worden, dass er sich nichts vorstellen konnte, was dazu imstande wäre. Die Angeln waren aus Eisen geschmiedet und mit Eisenbändern an den Torflügeln befestigt gewesen. Diese Eisenbänder waren länger als der Krummstab eines Bischofs, breiter als eine Männerhand und daumendick, und doch hingen die beiden Torflügel nun schief, ihre Balken waren verkohlt und gesplittert, und die massiven Angeln hatten sich zu grotesken Windungen verzogen. Es war, als hätte der Teufel persönlich seine grässliche Riesenfaust durch den Torbogen gerammt, um einen Weg in die Stadt frei zu machen. Bruder Michael bekreuzigte sich.

Er schob sich an den angekohlten Torflügeln vorbei und blieb sofort wieder stehen, denn direkt hinter dem Torbogen brannte ein Haus, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag in einem Hauseingang die Leiche einer jungen Frau, bäuchlings und splitternackt, und über ihre weiße Haut zog sich ein Gittermuster aus Blutrinnsalen, die im Licht der Flammen vollkommen schwarz aussahen. Der Mönch blickte die Frau mit gerunzelter Stirn an und fragte sich, warum die Form eines Frauenrückens so erregend wirkte, und dann schämte er sich dafür, einen solchen Gedanken gehabt zu haben. Er bekreuzigte sich erneut. Der Teufel, dachte er, war an diesem Abend überall, aber ganz besonders in dieser brennenden Stadt unter den flammengefärbten Höllenwolken.

Zwei Männer, der eine in einem ramponierten Kettenhemd, der andere in einem losen Lederwams und beide mit Messern bewaffnet, stiegen über die tote Frau. Der Anblick des Mannes auf der Straße ließ sie zusammenzucken, und sie wandten sich ihm angriffsbereit und mit weit aufgerissenen Augen zu, doch dann erkannten sie das schmuddelige weiße Gewand, sahen das Holzkreuz um den Hals Bruder Michaels und rannten auf der Suche nach reicheren Opfern davon. Ein dritter Soldat übergab sich in den Rinnstein. Ein Dachbalken stürzte in ein brennendes Haus und verbreitete eine Druckwelle aus heißer Luft und wirbelnden Funken.

Bruder Michael ging die Straße hinauf, machte dabei einen Bogen um die Leichen, und dann sah er einen Mann neben einem Regenfass sitzen, der versuchte, die Blutung aus seiner Bauchwunde zum Stillstand zu bringen. Der junge Mönch war Gehilfe in der Krankenstube seines Klosters gewesen, und deshalb ging er auf den Mann zu. «Ich kann das verbinden», sagte er und kniete sich hin, aber der Verwundete knurrte ihn an und holte mit einem Messer aus, dem Bruder Michael nur entging, indem er sich zur Seite fallen ließ. Er kam wieder auf die Füße und schob sich vorsichtig rückwärts weg.

«Zieh dein Gewand aus», sagte der verwundete Mann und versuchte, dem Mönch zu folgen, aber Bruder Michael rannte inzwischen den Hügel hinauf. Fluchend brach der Mann wieder zusammen. «Komm zurück», rief er, «komm zurück!» Über seinem Lederwams trug er einen Wappenrock, der einen goldenen Falken auf einem roten Feld zeigte, und Bruder Michael wurde klar, dass der goldene Vogel das Symbol der Verteidiger dieser Stadt war und dass der verwundete Mann hatte entkommen wollen, indem er sein Mönchsgewand stahl und es als Verkleidung benutzte, doch stattdessen wurde der Mann nun von zwei Soldaten in grün-weißen Wappenröcken gestellt, die ihm kurzerhand die Kehle durchschnitten.

Einige Männer trugen Wappenröcke, die einen gelben Bischofsstab zeigten, umgeben von vier schwarzen Wiederkreuzen, und Bruder Michael kam zu dem Schluss, dass dies die Soldaten des Bischofs sein mussten, während die Truppen, die das grüne Pferd auf einem weißen Feld trugen, dem Comte de Labrouillade dienten. Die meisten der Toten hatten den Wappenrock mit dem goldenen Falken an, und dem Mönch fiel auf, wie viele dieser Leichen von langen, englischen Pfeilen mit blutbespritzter, weißer Befiederung durchbohrt waren. Der Kampf war schon durch diesen Teil der Stadt gezogen, und nun sprang das Feuer von einem Strohdach zum nächsten über, während dort, wo es noch nicht brannte, Horden von betrunkenen, zügellosen Soldaten plünderten und vergewaltigten. Ein Säugling weinte, eine Frau schrie, dann taumelte ein Mann, dessen Augen nur noch blutende Höhlen waren, aus einer Gasse und stieß mit dem Mönch zusammen. Der Mann zuckte wimmernd zurück und hob die Hände, um den erwarteten Schlag abzuwehren.

«Ich tue Euch nichts», sagte Bruder Michael auf Französisch, einer Sprache, die er als Novize gelernt hatte, damit er seine Ausbildung in Montpellier abschließen konnte, aber der Blinde beachtete ihn nicht und stolperte nur weiter die Straße entlang. Irgendwo, vollkommen unvereinbar mit dem Blut und dem Rauch und den Schreien, sang ein Chor, und der Mönch fragte sich, ob er träumte, doch die Stimmen waren echt, so echt wie die Schreie der Frauen und das Schluchzen der Kinder und das Bellen der Hunde.

Er bewegte sich nun mit größerer Vorsicht weiter, denn die Gassen waren dunkel und die Soldaten wie entfesselt. Er kam an einer Gerberwerkstatt vorbei, in der es brannte, und er sah einen Mann, der in einem Fass mit Urin ertränkt worden war, mit dem die Häute behandelt wurden. Auf einem kleinen Platz, auf dem eine Kreuzsäule stand, wurde er von hinten angegriffen und zu Boden geworfen, und ein bärtiger Kerl im Wappenrock des Bischofs bückte sich, um ihm den Beutel abzuschneiden, der an seinem Hanfgürtel hing. «Geh weg! Geh weg!» Bruder Michael vergaß vor Angst, wo er war, und schrie auf Englisch. Der Mann grinste und kam mit dem Messer bedrohlich nah an Michaels Augen, dann riss er selbst die Augen weit auf, starrte entsetzt vor sich hin, und ein dunkler Blutfächer verdunkelte die flammenerhellte Nacht, als der Mann langsam vornüberkippte. Bruder Michael war mit dem Blut des Mannes bespritzt und sah, dass aus dem Hals seines Angreifers ein Pfeil ragte. Der Mann würgte, umklammerte den Schaft des Pfeils, und dann erschauerte er, als ihm das Blut aus dem offenen Mund pulste.

«Bist du Engländer, Bruder?», fragte eine englische Stimme, und als Michael aufsah, hatte er einen Mann in einem schwarzen Wappenrock vor sich, auf dem über ein weißes Wappenzeichen der schwarze Schrägstrich zur Kennzeichnung einer Bastardherkunft lief. «Bist du Engländer?», fragte der Mann noch einmal.

«Ich bin Engländer», brachte Bruder Michael heraus.

«Du hättest ihm eins überziehen sollen», sagte der Mann, hob Michaels Stab auf und zog dann den Mönch auf die Füße. «Wenn du ihm ordentlich eins übergezogen hättest, wäre er umgefallen. Die Kerle sind allesamt betrunken.»

«Ich bin Engländer», wiederholte Bruder Michael. Er zitterte. Das frische Blut fühlte sich auf seiner Haut sehr warm an. Sein ganzer Körper erschauerte.

«Du bist verdammt weit weg von zu Hause, Bruder», sagte der Mann, der einen großen Kriegsbogen über seiner muskulösen Schulter hängen hatte. Er beugte sich zu dem Angreifer des Mönchs hinunter, zog ein Messer und schnitt dem Mann den Pfeil aus dem Hals, wobei er ihn tötete. «Pfeile sind hier schwer zu bekommen», erklärte er, «also versuchen wir, uns möglichst viele zurückzuholen. Falls du welche siehst, sammle sie ein.»

Michael strich sich das weiße Gewand glatt, dann betrachtete er das grobe Abzeichen auf dem Wappenrock seines Retters. Es zeigte ein seltsames Tier, das eine Schale in den Klauen hielt. «Du dienst …», fing er an.

«Dem Bastard», unterbrach ihn der Mann. «Wir sind die Hellequin, Bruder.»

«Die Hellequin?»

«Die Seelen des Teufels», sagte der Mann mit einem Grinsen, «und was zum Teufel hast du hier verloren?»

«Ich habe eine Mitteilung für deinen Herrn, le Bâtard.»

«Dann gehen wir ihn suchen. Mein Name ist Sam.»

Der Name passte zu dem Bogenschützen, der ein jungenhaftes, fröhliches Gesicht und ein bereitwilliges Lächeln besaß. Er führte den Mönch an einer Kirche vorbei, die er mit zwei anderen Hellequin bewacht hatte, weil sich ein paar Stadtbewohner in das Gotteshaus geflüchtet hatten. «Der Bastard lehnt Vergewaltigungen ab», erklärte er.

«Und das ist auch recht so», gab Michael pflichtbewusst zurück.

«Genauso gut könnte er den Regen ablehnen», sagte Sam heiter und ging voran auf einen größeren Platz, auf dem sich ein halbes Dutzend Reiter mit gezogenen Schwertern bereithielten. Sie trugen Kettenhemd und Helm und den Wappenrock des Bischofs, und hinter ihnen war der Chor, etwa zwanzig Jungen, die einen Psalm intonierten. «Domine eduxisti», sangen sie, «de inferno animam meam vivificasti me ne descenderem in lacum.»

«Er würde wissen, was das heißt», sagte Sam, klopfte sich auf den Wappenrock und meinte offenkundig le Bâtard.»

«Es heißt, dass Gott unsere Seelen aus der Hölle geführt hat», sagte Bruder Michael, «und uns das Leben geschenkt hat und uns vor der Grube bewahren wird.»

«Das ist sehr freundlich von Gott», sagte Sam. Er verbeugte sich nebenbei vor den Reitern und führte die Hand an seinen Helm. «Das ist der Bischof», erklärte er, und Bruder Michael sah einen großen Mann, dessen düsteres Gesicht von einem Helm aus Stahl umrahmt war und der unter einem Banner im Sattel saß, das einen Bischofsstab und die Kreuze zeigte. «Er wartet darauf», erklärte Sam, «dass wir das Kämpfen erledigen. Das machen sie alle. Komm und kämpf mit uns, sagen sie, und dann schütten sie sich zu, während wir das Töten erledigen. Allerdings werden wir ja auch dafür bezahlt. Pass jetzt auf, Bruder, es wird gefährlich.» Er nahm den Bogen von der Schulter, führte den Mönch durch eine Gasse und blieb an ihrem Ende stehen. Er spähte vorsichtig vor. «Verdammt gefährlich», fügte er hinzu.

Bruder Michael, fasziniert und abgestoßen zugleich von dem Gemetzel in der Stadt, beugte sich an Sam vorbei und stellte fest, dass sie den höchsten Punkt der Stadt erreicht hatten und am Rand eines weitläufigen Platzes standen, vielleicht an einem Marktplatz, und auf der gegenüberliegenden Seite sah er eine Straße, die, aus schwarzem Fels herausgehauen, zum Burgtor führte. Am Torhaus, das im Licht der von der Stadt herauflodernden Brände lag, hingen große Banner. Einige erbaten die Hilfe der Heiligen, andere zeigten das Wappen mit dem goldenen Falken. Ein Armbrustbolzen raste an die Mauer neben dem Priester und rutschte dann klappernd über das Pflaster der Gasse. «Wenn wir die Burg bis morgen vor Sonnenuntergang erobern», sagte Sam und legte einen Pfeil ein, «wird unser Geld verdoppelt.»

«Verdoppelt? Warum?»

«Weil morgen der Tag von Sankt Bertille ist», sagte Sam, «und weil die Frau unseres Auftraggebers Bertille heißt, ist der Fall der Burg ein Beweis dafür, dass Gott auf unserer Seite ist und nicht auf der Seite des Gegners.»

Dies schien Bruder Michael eine äußerst anfechtbare Theologie zu sein, aber er widersprach nicht. «Ist sie die Frau, die weggelaufen ist?»

«Dafür kann ich ihr keinen Vorwurf machen. Er ist ein Schwein, der Comte de Labrouillade, aber Ehe ist Ehe, oder? Und es muss erst einen kalten Tag in der Hölle geben, bevor sich eine Frau ihren Gemahl selbst aussuchen kann. Trotzdem habe ich Mitleid mit ihr, weil sie mit so einem Schwein verheiratet ist.» Er spannte seinen Bogen halb, trat aus der Gasse heraus, suchte ein Ziel, fand keines und trat wieder zurück. «Die arme Frau ist also dort in der Burg», fuhr er fort, «und das Schwein bezahlt uns, damit wir sie möglichst schnell herausholen.»

Bruder Michael spähte um die Ecke und zuckte zurück, als zwei Armbrustbolzen durch den Schein des Feuers flogen. Die Bolzen rasten dicht neben ihm an die Wand, und auch sie schleuderten klappernd über das Pflaster. «Glück gehabt, was?», sagte Sam fröhlich. «Die Bastarde haben mich gesehen, auf mich gezielt, und dann hast du deine Nase rausgestreckt. Du könntest jetzt schon im Himmel sein, wenn die Kerle zu einem ordentlichen Schuss in der Lage wären.»

«Ihr werdet es nie schaffen, die Dame aus dieser Burg zu holen», tat Michael seine Meinung kund.

«Werden wir nicht?»

«Die Burg ist zu stark befestigt.»

«Wir sind die Hellequin», sagte Sam, «das heißt, dem armen Luder bleibt noch ungefähr eine Stunde mit ihrem Liebhaber. Ich hoffe, er besorgt’s ihr so richtig, damit sie was hat, woran sie sich erinnern kann.»

Michael wurde rot, ohne dass Sam es bemerkte. Frauen machten Michael unsicher. Die meiste Zeit seines Lebens hatte diese Versuchung keine Rolle gespielt, denn in der Klausur seines Zisterzienserkonvents bekam er kaum jemals eine Frau zu Gesicht, doch seit er von Carlisle abgereist war, hatte der Teufel tausend Fallstricke auf seinem Weg ausgelegt. In Toulouse hatte ihn eine Hure von hinten gepackt, ihn gestreichelt, und er hatte sich losreißen müssen, zitternd vor Scham, und dann war er auf die Knie gesunken. Die Erinnerung an ihr Lachen war wie ein Peitschenhieb auf seine Seele, genau wie die Erinnerungen an all die anderen Mädchen, die er gesehen hatte, angestarrt hatte und über die er nachgedacht hatte, und dann fiel ihm die weiße Haut der jungen Frau am Stadttor ein, und Michael wusste, dass der Teufel ihn wieder in Versuchung führte, und er wollte gerade um Stärke beten, als ihn ein Sirren ablenkte und er einen Hagel von Armbrustbolzen auf den Marktplatz niedergehen sah. Ein paar der Bolzen trafen spitz auf das Kopfsteinpflaster, sodass Funken sprühten, und Bruder Michael fragte sich, warum die Verteidiger schossen, dann sah er Männer in dunklen Umhängen aus allen Gassen auf den Platz hasten und Aufstellung nehmen. Es waren Bogenschützen, die nun begannen, die hoch aufragenden Festungsmauern zu beschießen. Es waren Scharen von Pfeilen; nicht die kurzen, ledergeflügelten Metallbolzen der Armbrustschützen, sondern englische Pfeile, weiß befiedert und lang, die leise auf die Mauerkronen zurasten, nachdem sie von den großen Eibenholzbögen mit den Hanfsehnen geschnellt waren, die bei jedem Schuss schwirrten wie Saiten einer Harfe. Die Pfeile zitterten zunächst, wenn sie von der Sehne wegflitzten, dann stabilisierte die Befiederung ihren Flug, und sie zuckten aufwärts, weiße Blitze im Dunkel, in deren Stahlspitzen sich das Feuer spiegelte, und der Mönch stellte fest, dass die Bolzen der Verteidiger, die gerade noch wie ein dichter Schauer niedergegangen waren, plötzlich spärlich wurden. Die Bogenschützen überschütteten die Verteidiger der Burg mit Pfeilen, zwangen die Armbrustschützen, sich hinter die Brustwehr zu ducken, während andere Bogenschützen die Schießscharten in den Flankentürmen unter Beschuss nahmen. Das Geräusch, mit dem die Stahlspitzen an die Burgmauern rasten, hörte sich an wie Hagel auf Kopfsteinpflaster. Ein Bogenschütze stürzte, einen Bolzen in der Brust, rücklings um, doch er war das einzige Opfer, das der Mönch sah, und dann hörte er die Räder.

«Geh zurück», ermahnte in Sam, und der Priester trat in die Gasse zurück, als ein Karren an ihm vorbeipolterte. Es war ein kleiner, mit Holzfässchen beladener Karren, leicht genug, um von sechs Männern geschoben zu werden, doch er war mit zehn großen Pavesen verstärkt worden, jenen mannshohen Schilden, mit denen sich Armbrustschützen beim Nachladen ihrer sperrigen Waffe schützten.

«Jetzt haben sie nicht mal mehr eine Stunde Zeit», sagte Sam und trat wieder auf die Straße, als der Karren vorbeigefahren war. Er spannte seinen Langbogen und schickte einen Pfeil zum Burgtor.

Es war merkwürdig still. Bruder Michael hatte erwartet, dass eine Schlacht laut wäre, hatte erwartet, dass die Männer Gott mit lauten Rufen um ihr Seelenheil anflehten, dass vor Angst oder Schmerz die Stimmen erhoben würden, doch er hörte nur die Schreie der Frauen in der Unterstadt, das Prasseln der Flammen, die Harfentöne der Bögen, das Geräusch der Karrenräder auf dem Pflaster und das Klappern der Bolzen und Pfeile auf Stein. Ehrfürchtig sah Michael Sam zu, der immer weiter schoss und, anscheinend ohne zu zielen, einen Pfeil nach dem anderen auf die Burgmauern jagte.

«Gut, dass wir was sehen können», sagte Sam, als er den nächsten Pfeil abschnellen ließ.

«Meinst du die Brände?»

«Deswegen haben wir die Häuser angezündet», sagte Sam, «damit die Bastarde im Licht stehen.» Er ließ den nächsten Pfeil abschnellen, offenbar ohne jede Anstrengung; doch Bruder Michael hatte einmal versucht, einen Eibenbogen zu spannen, und hatte die Sehne kaum eine Handbreit zurückziehen können.

Der Karren hatte nun das Burgtor erreicht. Dort blieb er stehen, ein dunkler Schatten unter dem dunklen Torbogen, und Bruder Michael sah einen Lichtschein aufschimmern, in sich zusammenfallen, sich wieder aufrichten und sich zu einem zarten, beständigen Glühen entwickeln, während die sechs Männer, die den Karren geschoben hatten, zu den Bogenschützen zurückrannten. Einer von ihnen stürzte, offenkundig von einem Armbrustbolzen getroffen, und zwei andere nahmen ihn an den Armen und schleppten ihn mit zurück, und in demselben Moment bekam der Mönch zum ersten Mal le Bâtard zu sehen.

«Das ist er», sagte Sam mit hörbarer Zuneigung, «unser verfluchter Bastard.» Bruder Michael sah einen großen Mann in einem schwarz angemalten, gegürteten Kettenhemd. Er trug hohe Stiefel, eine schwarze Schwertscheide und einen Helm, der aus einer einfachen Beckenhaube bestand, die genauso schwarz war wie sein Kettenhemd. Er hatte sein Schwert gezogen und benutzte es, um ein Dutzend Waffenknechte voranzuwinken, die sich mit überlappenden Schilden in einer Linie auf dem Platz aufstellten. Er warf einen Blick auf Bruder Michael, der feststellte, dass die Nase le Bâtards einmal gebrochen und seine Wange vernarbt war, aber er sah auch eine unglaubliche Kraft in diesem Gesicht, eine Wildheit, und er verstand, warum der Abt bei Paville mit solcher Ehrfurcht von diesem Mann gesprochen hatte. Bruder Michael hatte erwartet, dass le Bâtard ein älterer Mann wäre, und war von der Jugend dieses Soldaten mit der schwarzen Rüstung überrascht. Dann sah le Bâtard Sam. «Ich dachte, du bewachst die Kirche, Sam», sagte er.

«Pockengesicht und Johnny sind noch dort», sagte Sam, «ich bin hergekommen, um diesen Mann zu Euch zu bringen.» Er machte eine Kopfbewegung in Bruder Michaels Richtung.

Der Mönch trat einen Schritt vor und fühlte die ganze Eindringlichkeit von le Bâtards Blick auf sich. Mit einem Mal war es ihm bang, und sein Mund wurde trocken vor Angst. «Ich habe eine Nachricht für Euch», stammelte er, «sie ist von …»

«Später», unterbrach ihn le Bâtard. Ein Diener hatte ihm einen Schild gebracht, den er sich mit einer Schlaufe über den linken Unterarm hängte, dann drehte er sich zur Burg um, wo es unvermittelt Feuer und Rauch spuckte. Der Rauch war schwarz und rot, Stichflammen loderten daraus empor, und die Nacht wurde vom Donner einer Explosion erschüttert, bei dem sich Bruder Michael vor Schreck auf den Boden duckte. Brennende Holzfragmente jagten in der heißen Druckwelle durch die Gasse. Rauch verhüllte den Platz, und das Echo der Explosion rollte von der anderen Talseite zurück. Vögel, die in den Spalten der Burgmauer genistet hatten, flatterten in die verqualmte Luft, und eines der großen Banner, das Sankt Joseph um Hilfe anrief, fing Feuer und loderte hell vor der Festungsanlage. «Schießpulver», erklärte Sam lakonisch.

«Schießpulver?»

«Unser Bâtard ist eben ein schlauer Bastard», sagte Sam. «Das Zeug wird ziemlich schnell mit so einem Tor fertig, was? Ist aber teuer, wohlgemerkt. Das Schwein, dem die Frau weggelaufen ist, hatte den zweifachen Preis zu zahlen, damit wir das Pulver benutzen. Anscheinend will er dieses Weibsstück wirklich unbedingt zurückhaben, bei dem vielen Geld! Ich hoffe, sie ist es verdammt noch mal wert.»

Bruder Michael verstand nun, warum das Stadttor ausgesehen hatte wie von der Faust des Teufels aufgerissen. Le Bâtard hatte sich seinen Weg in die Stadt mit Schießpulver erzwungen, und mit demselben Rezept hatte er die großen hölzernen Flügel des Burgtores zerstört. Nun führte er seine zwanzig Waffenknechte zu den Trümmern.

«Bogenschützen!», rief ein anderer Mann, und die Bogenschützen, einschließlich Sams, folgten den Waffenknechten zum Burgtor. Sie rückten schweigend vor, und auch das war furchterregend. Diese Männer in ihren schwarz-weißen Wappenröcken, dachte Bruder Michael, hatten gelernt, im finsteren Tal des Todes zufrieden zu leben und erbarmungslos zu kämpfen. Keiner von ihnen schien betrunken zu sein. Sie waren diszipliniert, leistungsfähig und schreckenerregend.

Le Bâtard verschwand in dem Rauch. Von der Burg her waren Rufe zu hören, aber der Mönch konnte nicht erkennen, was dort vor sich ging, allerdings waren die Angreifer offenkundig in der Burg, denn nun strömten die Bogenschützen durch den rauchverhangenen Torbogen. Weitere Männer folgten ihnen, Männer mit den Wappen des Bischofs und des Comtes, um in der todgeweihten Festung nach noch mehr Beute zu suchen.

«Es könnte gefährlich werden», warnte Sam den jungen Mönch.

«Gott ist mit uns», sagte Bruder Michael und wunderte sich über seine leidenschaftliche Erregung, die so heftig war, dass er seinen Pilgerstab umklammerte, als wäre er eine Waffe.

Von der Gasse aus hatte die Burg groß gewirkt, doch als er sich zwischen den verkohlten Flügeln des Tores hindurchgeschoben hatte, sah Bruder Michael, dass sie viel kleiner war, als es den Anschein gehabt hatte. Sie hatte keinen Außenhof und keinen großen Bergfried, sondern nur das Torhaus und einen hohen Turm, zwischen denen sich ein enger Hof erstreckte, in dem ein Dutzend sterbender Armbrustschützen in rot-goldenen Wappenröcken lagen. Ein Mann war von der Explosion am Tor ausgeweidet worden, und obwohl seine Eingeweide über den gepflasterten Hof verteilt waren, lebte er noch und stöhnte. Der Mönch blieb stehen, um ihm Beistand zu leisten, sprang jedoch zurück, als Sam dem Mann mit einer Leichtigkeit, die ebenso beiläufig wie herzlos wirkte, die Kehle durchschnitt. «Du hast ihn umgebracht!», sagte Bruder Michael entsetzt.

«Natürlich habe ich ihn umgebracht, verdammt», sagte Sam fröhlich. «Was hast du denn von mir erwartet? Dass ich ihn abküsse? Ich hoffe, dass mir jemand den gleichen Dienst erweist, wenn ich einmal in so einer Lage bin.» Er wischte das Blut von seinem kurzen Messer. Ein Verteidiger schrie auf, als er von der Torhausbrüstung stürzte, während ein anderer Mann die Turmtreppe heruntertaumelte und an ihrem Fuß zusammenbrach.

Oben an der Treppe befand sich eine Tür, doch sie war nicht verteidigt worden, oder vielleicht hatte die Verteidiger der Mut verlassen, als das Burgtor aufgesprengt worden war, und so strömten le Bâtards Männer in den Turm. Bruder Michael folgte ihnen, dann drehte er sich um, als eine Trompete geblasen wurde. Ein Zug Reiter, alle in Grün und Weiß, strömte durch den Torbogen, und die Berittenen drängten mit ihren Schwertern ihre eigenen Männer aus dem Weg. Inmitten der Reiter, beschützt von ihren Waffen, saß ein grässlich fetter Mann in Rüstung auf einem mächtigen Pferd. Der Reiterzug hielt am Fuße der Treppe, und es waren vier Mann notwendig, um dem fetten Mann aus dem Sattel zu helfen und ihn auf die Füße zu stellen. «Seine Schweinelordschaft», sagte Sam hämisch.

«Der Comte de Labrouillade?»

«Einer unserer Auftraggeber», sagte Sam, «und dort ist der andere.» Der Bischof und seine Männer waren dem Comte durch das Tor gefolgt, und Sam und Michael knieten nieder, als die beiden Männer die Treppen hinaufgingen und in dem Turm verschwanden.

Sam und Bruder Michael folgten den Männern des Bischofs in den Eingangssaal und dann eine enge Treppe hinauf in eine große, hohe Säulenhalle, die von einem Dutzend qualmender Fackeln erleuchtet wurde und deren Wandteppiche den goldenen Falken auf seinem roten Hintergrund zeigten. Es waren schon mindestens sechzig Männer in der Halle, die sich nun etwas an die Wände zurückzogen, damit der Comte de Labrouillade und der Bischof von Lavence auf das Podest zugehen konnten, wo zwei Männer le Bâtards den besiegten Comte de Villon auf die Knie hinabgedrückt hatten. Hinter ihnen, groß und schwarz in seiner Rüstung, stand le Bâtard selbst mit ausdrucksloser Miene und neben ihm, ungefesselt, eine junge Frau in einem roten Kleid. «Ist das Bertille?», fragte Bruder Michael.

«Muss sie wohl sein», sagte Sam anerkennend. «Eine hübsche kleine Stute ist sie, das muss man sagen.»

Bruder Michael hielt den Atem an und bedauerte für einen gotteslästerlichen Augenblick, dass er je in den heiligen Priesterstand eingetreten war. Bertille, die treulose Comtesse de Labrouillade, war viel mehr als eine hübsche kleine Stute, sie war eine Schönheit. Sie konnte nicht älter als zwanzig Jahre sein und hatte ein liebliches Gesicht, ohne Narben oder Spuren von Krankheit, volle Lippen und tiefbraune Augen. Ihr schwarzes Haar war gelockt, ihre Augen waren groß, und trotz ihrer entsetzten Miene war sie so entzückend, dass Bruder Michael, der selbst erst zweiundzwanzig war, zu zittern begann. Noch niemals, ging es ihm durch den Kopf, hatte er eine so schöne Erscheinung gesehen, und dann atmete er tief ein, bekreuzigte sich und betete still darum, dass ihn die Heilige Jungfrau und Sankt Michael vor der Versuchung bewahrten. «Sie ist das Geld für das Schießpulver wert, würde ich sagen», sagte Sam gutgelaunt.

Bruder Michael sah zu, als Bertilles Gemahl, der seinen Helm abgenommen hatte, unter dem sich fettiges graues Haar und ein feistes Gesicht zeigten, auf sie zuwatschelte. Der Gang mit der schweren Rüstung ließ den Comte kurzatmig werden. Er blieb ein paar Schritte vor dem Podest stehen und starrte auf das Kleid seiner Frau, auf dem in Brusthöhe das Wappen mit dem goldenen Falken prangte, das Symbol ihres besiegten Liebhabers. «Es scheint mir, Madame», sagte der Comte, «als ließe Euer Kleidergeschmack sehr zu wünschen übrig.»

Die Comtesse fiel auf die Knie und reckte ihrem Mann die gefalteten Hände entgegen. Sie wollte etwas sagen, doch es kam nur ein ersticktes Wimmern aus ihrer Kehle. In den Tränen, die über ihre Wangen rollten, glitzerte der Abglanz der Fackeln. Bruder Michael rief sich ins Gedächtnis, dass sie eine Ehebrecherin war, eine Sünderin, eine Hure, die keine Gnade verdient hatte, und Sam warf einen Seitenblick auf den jungen Mönch und dachte, dass dieser Mönch eines Tages wegen einer Frau in Schwierigkeiten geraten würde.

«Reißt ihr dieses Wappen ab», befahl der Comte, an zwei seiner Waffenknechte gewandt, und deutete auf seine Frau. Die Schritte der beiden Männer in ihren gepanzerten Stiefeln hallten über den Steinboden, und ihre Kettenhemden klirrten, als sie auf das Podest stiegen und die Comtesse packten. Sie versuchte sich zu wehren, schrie, doch dann gab sie ihren Widerstand auf, als ihr einer der Männer die Arme auf dem Rücken festhielt und der andere ein kurzes Messer aus dem Gürtel zog.

Bruder Michael machte eine unwillkürliche Bewegung, als wollte er ihr helfen, doch Sam hielt ihn mit einer Hand zurück. «Sie ist die Frau des Comtes, Bruder», sagte der Bogenschütze leise, «was bedeutet, dass sie sein Eigentum ist. Er kann mit ihr machen, was immer er will, und wenn du dich einmischst, schlitzt er dir den Bauch auf.»

«Ich wollte nicht …», fing Bruder Michael an, aber dann schwieg er lieber, als zu lügen, denn er hatte eingreifen wollen, oder jedenfalls Widerspruch einlegen, doch nun sah er bloß zu, als der Waffenknecht den kostbaren Stoff zerschnitt und an der Goldstickerei zerrte, sodass das geschnürte Oberteil des Kleides bis zur Taille aufriss, und der Waffenknecht schließlich das Stoffstück mit dem eingestickten Falken in der Hand hatte und es seinem Herrn vor die Füße warf. Die Comtesse, von dem zweiten Mann losgelassen, kauerte sich nieder und raffte ihr zerfetztes Kleid vor der Brust zusammen.

«Villon!», befahl der Comte. «Sieh mich an!»

Der Mann, den die beiden Soldaten le Bâtards