1638 Tage im Krieg - Hagen Vockerodt - E-Book

1638 Tage im Krieg E-Book

Hagen Vockerodt

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Beschreibung

Hagen Vockerodt war als Soldat 1638 Tage in den Einsatzgebieten der Bundeswehr. Vom Kosovo und Bosnien über Thailand bis Afghanistan erlebt er immer wieder Tod und Verwundung. Als Medic und Fallschirmspringer flickt er verletzte Soldaten unter Beschuss zusammen. Inmitten der Zerstörung des Tsunamis in Banda Aceh desinfiziert er Massengräber und gerät in die Fänge von Rebellen. Im Kampf gegen Taliban bereitet er sich darauf vor, die letzte Patrone für sich selbst zu verwenden. Bei einer Steinigung eines jungen afghanischen Mädchens muss er tatenlos zusehen. Wie kann ein Mensch all diese Dinge aushalten? Den Ausweg aus seinen Alpträumen findet er bei den Invictus Games in Den Haag. Als Teamkapitän der deutschen Mannschaft entdeckt er eine neue Art von Mut und Stärke in sich. Die Spiele werden zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Mit einem Vorwort von General a.D. Wolfgang Schneiderhan, einem Geleitwort von Brigadegeneral a.D. Michael Bartscher und einem Prolog von Marcel Bohnert.

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Inhalt

Vorwort General a.D. Wolfgang Schneiderhan

Geleitwort Brigadegeneral a.D. Michael Bartscher

Soldatsein als Passion von Marcel Bohnert

Unbesiegbar

So wahr mir Gott helfe

Verlockendes Angebot

Vorbereitung auf das Unbekannte

Kosovo Part I

In dreckigen Pfützen

Leicht wie eine Feder

Die Farbe Rosa

That’s my Job, Dude

Eins, zwei, drei, vier

Meilenstein

Kosovo Part II

Mysterium

Ringpolster

Aufkommende Panik

Irgendwo im Nirgendwo

Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz

Bundeshaushaltsordnung

Kosovo Part III

Ein März voller Unruhen

Kein gutes Haar

CR 7

Explosives Fußballmatch

Leberwurstbrötchen

Die Welle

Hinter Gittern

Want to die?

Bulldozer

Die Hand

Die Kräfte der Natur

Das Ultimatum

Ausgewählt

Discopause

Sternenglanz

Vergessen

5000 Schuss

Indirektes Feuer (IDF)

Feuertaufe

That‘s life

Nichts Besonderes zu berichten

Ein Steinwurf entfernt

Captain America

Am seidenen Faden

Kosovo Part IV

2+4

Cheat day

Upgrade

Early bird

Innerlich zerrissen

Mikado

Besteck-Orkan

Auf den Trümmern des Krieges

Keine Angst, Papa

Die unzähligen Leichen

Du sollst nicht töten

Befreiungsschlag

Inmitten freundlicher Worte

I am Vocko

Taps

Persönliche Triumphfahrt

Morgenritual

Natürliche Anmut

Besinnungslosigkeit

Hinter den Narben

Schutzschild

Eine hässliche Realität

Inmitten der Zerstörung

Emotionaler Abschied

Epilog

Hagen Vockerodt

Vorwort von General a.D. Wolfgang Schneiderhan

Herrn Hauptmann a.D. Hagen Vockerodt ist ein bemerkenswertes Buch gelungen. „Die Kehrseite der Einsatzmedaille“ – schon der Titel fordert zum Nachlesen und vor allem zum Nachdenken heraus. Allein die zeitliche Bilanz von 1638 Tagen im Auslandseinsatz löst respektvolle Anerkennung und auch Neugierde aus und deutet an, was in so vielen Tagen für unser Land zu leisten war, fernab von Familie, Freunden, ja unserer ganzen Gesellschaft. Unter schwierigsten Bedingungen immer wieder zu dienen und für unsere Prinzipien und Ideale konsequent einzutreten, das verdient Respekt und Achtung von uns allen. Der Autor beschreibt beispielhaft, was loyale, mutige und entschlossene Pflichterfüllung heißt. Ohne zu belehren schildert er Einsatzrealität und deren Herausforderungen an Geist, Körper und Seele des Soldaten im Einsatz für uns alle. Tapfer und standhaft gibt er stets ein Beispiel für soldatisches Dienen. Besondere Beachtung und Anerkennung verdienen seine Schilderungen der seelischen Verwundungen, die es zu ertragen galt und die bis heute nicht geheilt sind. Trotz aller Begegnungen mit der oft brutalen Wirklichkeit der militärischen Auftragserfüllung dominiert in seinem Buch eine Botschaft der Hoffnung, abgeleitet aus seinem soldatischen Selbstbewusstsein.

Kosovo, Bosnien und Afghanistan, das sind die uns allen vertrauten Namen der Einsatzgebiete, in denen er mit vielen tausend anderen Soldatinnen und Soldaten treu den Auftrag erfüllt hat. Er lässt uns alle ohne klagenden Unterton an all dem teilhaben, was sein Leben als Soldat prägte und noch heute außer Dienst prägt und bestimmt. Besonders sein Bericht als deutscher Teamleiter der Invictus Games in Den Haag geht unter die Haut. Seine Geschichte und seine Geschichten rütteln auf, mahnen, motivieren und geben Mut.

Als ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr bin ich Herrn Hauptmann a.D. Hagen Vockerodt dankbar für seine tapfere Pflichterfüllung, seinen Mut und vor allem seine konsequente Entschlossenheit, unserem Land zu dienen. Dabei strahlen alle seine einzelnen Erfahrungen immer wieder seine bemerkenswerte Einstellung aus, dass er sich bewusst ist, einem Land zu dienen, dem zu dienen es sich lohnt. Das ist seine Botschaft und für die danke ich ihm ganz besonders.

Ich wünsche seinem eindrucksvollen Buch viele Leser. Vor allem wünsche ich ihm weiterhin die Kraft, die er braucht, um mit dem Erlebten fertig zu werden. Mit Stolz blicke ich dabei auch auf unsere Bundeswehr, die Frauen und Männer seiner Qualität in ihren Reihen hatte und immer noch hat.

Ich danke Herrn Hauptmann a.D. Hagen Vockerodt auch dafür, dass ich in die Lektüre seines Buches mit einigen ganz persönlichen Gedanken einführen darf.

Wolfgang Schneiderhan, März 2024

Geleitwort von Brigadegeneral a.D. Michael Bartscher

„Wir Soldaten sind nicht unsterblich, wir sind auch nur Menschen“ sagt Hauptmann a.D. Hagen Vockerodt, genannt Vocko, ein Spitzname, den er, wie er schreibt, sich in seiner Zeit als Soldat verdient habe. Sein Buch spannt einen facettenreichen Bogen, beginnend mit seinen Motiven, Soldat in der Bundeswehr zu werden und endend mit der Beschreibung der Umstände, die zu seiner Entlassung aufgrund seiner einsatzbedingten Schädigungen geführt haben. In den abschließenden Kapiteln zeigt der Autor auf, wie ihm der Sport geholfen hat, zurück in das Leben und zu neuer Stärke zu finden.

Als Soldat mit erweiterter Sanitäterausbildung, ein sogenannter Medic, erlebt er in seinem Berufsleben den Umgang mit Tod und Verwundung, wie es nur wenige in den Streitkräften erfahren müssen. Professionalität und Verantwortungsbewusstsein zeichnen einen Offizier aus, der sich unter Zurückstellung seiner eigenen Interessen für seine Aufgabe und die Menschen einsetzt. Die Vielzahl an Beschreibungen von kriegsähnlichen Erlebnissen belegen keine Heroisierung des Krieges, sondern zeichnen auch das Bild von Trauer und Verlust. Gewalterfahrungen in allen Formen, Suizide und Unfälle dokumentiert der Autor bildhaft, verbunden mit einem tiefen Blick in die Seele des Hagen Vockerodt. Diese schicksalhafte Konfrontation mit dem Tod haben einen Soldaten geprägt, der nie den Mut und die Entschlossenheit verloren hat, jede Herausforderung anzunehmen. Stolz auf die eigene Leistung und Zuversicht charakterisieren einen beispielgebenden Soldaten.

Pflichtbewusstsein, Fürsorge und ein vertrauensvoller Umgang mit seinen Mitarbeitern zeichnen einen Teamplayer aus, der mit Freude und ausgeprägter Motivation neue Aufgaben annimmt. Sein berufliches Selbstverständnis dokumentiert sich in seiner fachlichen Kompetenz sowie seinen bemerkenswerten militärischen Grundfertigkeiten, die neben seiner sportlichen Leistungsfähigkeit Garant für herausragende Leistungen sind. Alles Voraussetzungen, um die in diesem Buch beschriebenen Herausforderungen zu bewältigen.

Der Autor versteht es, Situationen bildhaft zu beschreiben, sodass der Leser sich in die jeweilige Rolle und die Umstände hineinversetzen kann. Detailreich werden die Charaktere seiner Vorgesetzten und Untergebenen beschrieben, aber auch eigene Schwächen werden schonungslos thematisiert. Die Realisierung der Veränderung der eigenen Psyche und der Weg in die Sporttherapie der Bundeswehr, um über den Sport zu Stabilität und Lebensfreude zu finden, runden dieses gelungene Porträt ab. Neben diesem Prozess, betont „Vocko“ die Bedeutung der Familie. Seine Frau und seine Kinder haben ihm die notwendige Stabilität ermöglicht, den erfolgreichen Weg zu gehen, der mit der Teilnahme als Team Captain an den Invictus Games in Den Haag vorerst seinen Abschluss fand.

Die militärische Lebensgeschichte von Hagen Vockerodt ist ein Beleg dafür, dass der Soldatenberuf ein Beruf „sui generis“ ist. Das Prinzip von Befehl und Gehorsam und die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, welches das Töten und getötet werden umfasst, sind prägend für den Soldatenberuf.

Ich bin dankbar, dass ich Vocko und zu meinen Freunden zählen darf.

Brigadegeneral a.D. Dr. (phil.) Michael Bartscher, März 2024

Prolog: Soldatsein als Passion von Marcel Bohnert

Man sieht ihm seine Erfahrungen nicht an. Als ich Hauptmann a.D. Hagen Vockerodt das erste Mal traf, fiel er inmitten des bunten Treibens der Invictus Games nicht sonderlich auf. Es waren die ersten sonnigen Tage im Frühjahr 2022 und die internationalen Sportwettkämpfe für verwundete und traumatisierte Einsatzkräfte in Den Haag hatten gerade begonnen.

Hagen Vockerodt war Captain des deutschen Teams und schien zu denjenigen zu gehören, die alles mit ein wenig Abstand und innerer Ruhe betrachteten. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass er eine stattliche Erscheinung war: Vor mir stand ein gut trainierter Mann mit durchdringendem Blick, gerader Haltung und akkurat geschnittenen Haaren. Im Umgang wirkte er immer freundlich, überlegt und reflektiert. Niemand, der einem seine Erfahrungen ungefragt aufdrängen würde. Hagen Vockerodt hätte jedoch allen Grund dazu gehabt, denn er hat einiges zu berichten. Wie bei allen anderen Athletinnen und Athleten war mir klar, dass sich hinter der strahlenden Fassade auch bei ihm einige tiefe Risse verbergen mussten.

Wenn er seinen Dienstanzug trägt und man die reihenweise an seine Brust gehefteten Ordenspangen betrachtet, erhält man eine erste Ahnung davon, welchen intensiven Erfahrungen er ausgesetzt war. Liest man sein Buch, kann man sich kaum vorstellen, dass er überhaupt noch stolz und aufrecht vor einem steht. Wer den platzenden Kopf eines jungen Mädchens bei einer Steinigung sieht, zerfetzte Soldaten unter Feuer zusammenflickt, einen Hubschrauberabsturz überlebt und im Kampf auf Nahdistanz darüber nachdenken muss, ob er die letzte Patrone für sich selbst aufhebt, kann daran schnell zerbrechen. Man fragt sich unweigerlich, wie ein einzelner Mensch all diese Dinge aushalten kann.

Hauptmann a.D. Hagen Vockerodt gehört zu den Menschen, die von Visionen angetrieben werden und für die das Soldatsein eine Berufung ist. Die bestmögliche Erfüllung seines Auftrages ist für ihn immer handlungsleitend und sinnstiftend. Er dient der Bundeswehr mit Leib und Seele, und seine Aufträge verpassen ihm regelmäßig Adrenalinschübe. In jedem seiner Worte wird spürbar, dass ihn das Gemeinschaftsgefühl und das Durchstehen von Strapazen mit Kameradinnen und Kameraden begeistert und beflügelt. Als Vorgesetzter will er um jeden Preis Vorbild sein und er führt fair, aber mit der notwendigen Härte und Disziplin. Dabei verlangt er nichts von seinen Soldatinnen und Soldaten, was er persönlich nicht erfüllen könnte – im Gegenteil: An sich selbst setzt er die höchsten Ansprüche für Professionalität und Leistungsfähigkeit. Er verkörpert damit das Ideal einer pflichtbewussten Wächterkaste, die sich dem konkreten Schutz von Demokratie und Freiheit verschrieben hat und bereit ist, dafür im äußersten Falle ihr Leben zu geben. Hagen Vockerodt ist zweifelsfrei ein Vollblutsoldat und ein „Kampfsani“ im besten Sinne. Einer derjenigen, die man sich für gefährliche Patrouillen und Missionen an seiner Seite wünscht. Einer, der sich Richtung Feuer bewegt, wenn sich andere schon wegducken oder ausweichen. Das Schicksal forderte ihn auf seinem Weg immer wieder in besonderer Weise heraus, wobei er stets von einer schon surreal wirkenden Portion Soldatenglück begleitet wurde. Er gerät auch in die eine oder andere skurrile Situation, die Leserinnen und Leser unweigerlich schmunzeln lassen. Jedoch kriechen seine extremen Erfahrungen nach und nach in jede Windung seiner Seele und trüben sie zusehends ein.

Am Ende kann er seine innerliche Abstumpfung nicht mehr verdrängen: Das Gewicht seiner Erinnerungen wurde zu stark; Hagen Vockerodt zahlt den Preis für seine Einsätze. Jede Einsatzmedaille hat zwei Seiten. Hinter jeder an die Uniform gehefteten Bandschnalle, hinter jedem verliehenen Coin, hinter jedem aufgehängten Wappen und hinter jeder eingerahmten Urkunde verbirgt sich eine persönliche Geschichte. Wie Hagen Vockerodt geht es vielen Einsatzveteraninnen und -veteranen: Sie haben Monate ihres Lebens in den Krisen- und Konfliktgebieten dieser Welt verbracht und dabei Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die nicht kompatibel mit dem friedlichen Alltag im Herzen des geeinten Europas sind. Seit Beginn der 1990er Jahre hat die Bundeswehr Soldatinnen und Soldaten schon weit mehr als 400.000 Mal in Auslandseinsätze entsandt. Fast alle kehrten verändert zurück. Viele von ihnen stolz, andere aber auch seelisch oder körperlich geschunden. Wenn sich schwer traumatisierte Veteranen aus den düsteren Winkeln ihrer Gedanken herauskämpfen wollen, dann können sie das nicht allein. Es bedarf der Hilfe ihres sozialen Umfeldes, ihrer Familien und Freunde. Aber auch der Unterstützung von Bundeswehr, Politik und Gesellschaft.

Es ist ein Glücksfall, dass Hagen Vockerodt sich entschieden hat, eine breitere Öffentlichkeit an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Sein Buch reiht sich in eine zunehmende Zahl von Publikationen ein, die wichtige Puzzleteile der Einsatzhistorie unserer Streitkräfte sind. An seinem persönlichen Weg lassen sich verschiedene Stadien der bundeswehreigenen Geschichte nachvollziehen – den drastischen Wandel der Friedensarmee im Kalten Krieg zu Stabilisierungsoperationen und Kampfeinsätzen hat er hautnah miterlebt. Politik und Gesellschaft haben mit diesen Entwicklungen kaum Schritt halten können. Nach wie vor ist jegliche Glorifizierung des Militärs aus unserem Umfeld verbannt. Wenn Sie mich fragen, ist Hagen Vockerodt aber zweifellos ein Held. Und so sollten wir ihn nennen dürfen. Ein Krieger mit Narben. Seinem früh erwachsenen Anspruch, etwas Bedeutungsvolles in seinem Leben zu tun, ist er ganz sicher gerecht geworden. Und in vielerlei Hinsicht ist er deshalb unbesiegt!

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine spannende Entdeckungsreise in die Gedanken- und Erlebniswelt eines besonderen Mannes – in der Hoffnung, dass Sie in Ihrem Freundes- und Familienkreis davon berichten und damit einen Teil dazu beitragen, dass die bemerkenswerten Leistungen unserer Veteraninnen und Veteranen zukünftig eine angemessene Würdigung erfahren. Das Mindeste, was wir tun können, ist ihnen nach ihrer Rückkehr einen Platz in unserer Mitte zu gewähren und ihnen eine echte Heimat zu geben. Die Männer und Frauen haben es zweifellos verdient!

Marcel Bohnert

Oberstleutnant i.G., stellvertretender Vorsitzender des

Deutschen BundeswehrVerbandes, März 2024

Unbesiegbar

Mein Name ist Hagen Vockerodt. Ich bin im August 1978 in Landau in Rheinland-Pfalz geboren. „Vocko“ ist mein Spitzname, den ich mir in meiner aktiven Armeezeit verdient habe.

Ich wuchs in der Stadt Ludwigshafen am Rhein auf, die von der BASF, einem der größten Chemieunternehmen der Welt, geprägt wurde. Während meiner Schulzeit war ich ein ehrgeiziger Schüler und ambitionierter Sportler. Ich spielte in der höchsten Jugendliga Fußball gegen Mannschaften wie Kaiserslautern, Mainz und Saarbrücken. Es war eine Herausforderung, denn als kleiner Sportverein aus Ludwigshafen mussten wir uns gegen etablierte Gegner behaupten. Unsere Fußballkarriere war geprägt von ständigem Abstiegskampf, aber wir haben uns immer wieder zusammengerissen und es geschafft, die Klasse zu halten. Als das Halbjahreszeugnis der 10. Klasse ausgeteilt wurde, stand ich vor einer wichtigen Entscheidung: Welchen Beruf wollte ich nach der Schule ergreifen? Die meisten meiner Mitschülerinnen und Mitschüler bewarben sich bei der BASF für eine Lehre zum Chemikanten oder Chemielaboranten oder auf einen Bürojob. Daran hatte ich jedoch nie einen Gedanken verschwendet. Eines Tages sprach mich mein Sozialkundelehrer Herr M. während seiner Pausenhofaufsicht an. Er erzählte mir von seiner Zeit bei der Bundeswehr und wie ihm diese Erfahrung in seinem Lehramtstudium und später im Umgang mit seinen Schülern geholfen habe. Seine Worte ließen mich nicht mehr los. Auch mein Vater hatte vor meiner Geburt für vier Jahre als Fallschirmjäger bei der Bundeswehr gedient. Obwohl ich nie Kontakt zu ihm hatte, spürte ich plötzlich eine tiefe Neugier, mehr über seine Armeezeit zu erfahren. Ich wandte mich telefonisch an meine Oma, die in Landau in der Pfalz lebte. Sie war eine liebevolle ältere Dame mit einem englischen Akzent, den sie charmant mit ihrem pfälzischen Dialekt vereinte. Meine Oma hatte meinen Opa Kurt L. kennengelernt, als er als Kriegsgefangener in England inhaftiert war. Leider starb mein Opa, als ich sechs Monate alt war. Ich hatte ihn nie kennengelernt. Doch meine Oma erzählte mir voller Stolz und Begeisterung von seiner Armeezeit und ich spürte, wie sich in mir eine Leidenschaft für das Militär entfachte.

Ich begann, mich intensiver mit den Karrieremöglichkeiten bei der Bundeswehr zu beschäftigen. Obwohl ich wusste, dass es ein harter Weg werden würde, war ich fest entschlossen, in die Fußstapfen meines Vaters und Opas zu treten. Ich machte mich also auf den Weg nach Landau, um meine Oma zu besuchen und endlich mehr über meine Familie zu erfahren. Meine Nervosität war kaum zu übersehen, als wir uns gegenüberstanden. Das Thema des Zweiten Weltkrieges war in unserer Familie immer ein Tabu gewesen. Weder meine Großeltern noch andere Familienmitglieder hatten jemals von dieser Zeit berichtet. Ich fragte meine Oma direkt, was mein Opa Kurt eigentlich im Krieg getan hatte und wie sie sich kennengelernt hatten. Anfangs schien es ihr schwerzufallen, über diese Zeit zu sprechen. Doch dann erzählte sie mir voller Freude die Geschichte meines Großvaters:

Kurt war zuletzt Oberstleutnant und Pilot eines zweimotorigen Bombers, der während der Schlacht um England im Frühjahr 1941 abgeschossen wurde. Er hatte Glück und konnte mit dem Fallschirm abspringen. Leicht verletzt wurde er als Kriegsgefangener nach Fort Knox in Kentucky, USA, gebracht. Obwohl nach Kriegsvölkerrecht Offiziere nicht arbeiten mussten, entschied sich mein Großvater, als Koch seine Kameraden zu versorgen. Während seiner Kriegsgefangenschaft in Fort Knox wurde er gut behandelt. Im Februar 1943 erfolgte seine Verlegung nach England, wo er im Gefangenenlager Trent Park in der Nähe von London untergebracht war. Hier übernahm er erneut die Aufgaben eines Kantinenkochs für die deutschen Kriegsgefangenen. Als immer mehr Gefangene ins Lager kamen, bat er um Hilfe. Ein junges englisches Mädchen, gerade einmal 17 Jahre alt, wurde ihm als Küchenhilfe zugeteilt. Nach und nach entwickelten sich Gefühle zwischen den beiden. Sie verbrachten ihre Freizeit miteinander, in der mein Großvater den Stern mit den Initialen PW auf dem rechten Ärmel trug, der ihn als Kriegsgefangenen auswies. Trotzdem ging meine Oma erhobenen Hauptes mit ihm durch die Straßen Londons. Nach seiner Freilassung bekamen sie drei Kinder in England, bevor sie sich schließlich dazu entschlossen, nach Deutschland zurückzukehren. Hier wurden weitere drei Kinder geboren, und mein Großvater arbeitete für mehrere Jahre als Verbindungsmann für die amerikanische Armee.

Als meine Oma mir diese Geschichte erzählte, bemerkte ich, wie stolz sie auf meinen Großvater war und wie sehr sie ihn geliebt hatte. Es war eine bewegende Geschichte, und ich war dankbar, dass meine Oma sie mit mir teilte. Danach wusste ich, dass ich selbst beruflich etwas Bedeutungsvolles tun musste.

Ein Klassenausflug ins Berufsinformationszentrum schien die perfekte Gelegenheit zu sein, um mehr über die Bundeswehr zu erfahren. Dort gab es jedoch kein Internet und nur eine Loseblattsammlung mit Informationen. Ich schnappte mir ein paar Blätter und sprach meinen Lehrer Herr M. an, um meine offenen Fragen zu klären. Ich wusste nun, dass ich Soldat werden wollte. Aber mit 17 Jahren war ich noch nicht berechtigt, ohne die Zustimmung meiner Mutter in die Bundeswehr einzutreten. Ich erzählte meiner Mutter also von meinen Plänen und hoffte, dass sie mich unterstützen würde. Zum Glück war sie nicht dagegen. Zusammen schrieben wir meine Bewerbung für die Freiwilligenannahmestelle.

Ein paar Tage später fuhren wir zum Kreiswehrersatzamt nach Neustadt an der Weinstraße. Dort informierte mich ein Wehrdienstberater über alles, was ich wissen musste. Die Aussicht darauf, als Beamter mit 55 Jahren in Rente zu gehen, erschien mir als ein erfreulicher Nebenaspekt. Ich hatte damals aber keine Ahnung, dass es ein sehr steiniger und langjähriger Prozess war, Berufssoldat zu werden. Bevor ich mich verpflichten konnte, musste ich einen Eignungstest in Düsseldorf absolvieren. Der dreitägige Test machte mir viel Spaß, besonders die Gruppengespräche und der Sport. Mit meiner sportlichen Figur schaffte ich alle körperlichen Anforderungen mit Bravour. Ich spielte schon seit meinem achten Lebensjahr Fußball und wechselte gerade in die B-Jugend der höchsten Jugendliga von Rheinland-Pfalz. Die vier Trainingseinheiten pro Woche halfen mir dabei, die sportlichen Prüfungen mit der maximal möglichen Punktzahl abzulegen. Nachdem auch die Musterung durch den Arzt abgeschlossen war, erhielt ich den Tauglichkeitsgrad T1. Ich war überglücklich und meinem Ziel wieder ein Stück näher gerückt.

Ich erzählte meinem besten Freund Tomislav von meinen Plänen. Schon bald wurde ich von meinen Kumpels aufgezogen. Sie lachten über Sprüche wie beispielsweise „Du kommst bald ohne Beine aus irgendeinem Krieg zurück“. Damals war ich naiv und konnte mir nicht vorstellen, dass ich jemals in den Krieg ziehen oder schlimme Dinge erleben würde.

Nach erfolgreichem Abschluss meiner schulischen Laufbahn durchzog mich eine Mischung aus Vorfreude und Nervosität, als ich mich auf die Bundeswehr vorbereitete. Sorgfältig hatte ich zahlreiche Informationen über das Soldatenleben gesammelt und mich in Bücher vertieft, um einen Einblick in die Welt zu gewinnen, die mich erwartete. Meine körperliche Leistungsfähigkeit steigerte ich durch intensives Training, um den bevorstehenden Strapazen der Grundausbildung gewachsen zu sein.

Während meine Freunde Tomislav und Dennis ihre Ausbildung als Chemielaboranten bei der BASF begannen, trat ich meinen Dienst in Hemer, Nordrhein-Westfalen, an. Am Hauptbahnhof erblickte ich einen olivgrünen VW Bulli, an dem zwei in Uniform gekleidete Soldaten lehnten. Mit entschlossenem Schritt begab ich mich zu ihnen und stieß dort auf weitere junge Männer. Nach einer knappen Begrüßung wurden wir aufgefordert, in den VW-Bus einzusteigen. Die Stille im Wagen war durchzogen von einer Unsicherheit, die uns alle ergriffen hatte.

Die etwa 20-minütige Fahrt endete in der Kaserne. Auf einem endlos langen Flur eines großen Gebäudes stand ich in Rührt-euch-Haltung und bewegte mich im Zehn-Sekunden-Takt auf ein bestimmtes Dienstzimmer zu. Nach gefühlter Ewigkeit betrat ich den Raum und erhielt den Schlüssel für meine Stube sowie frische Bettwäsche. Dort traf ich auf meine fünf Mitbewohner für die kommenden drei Monate. Es war, als ob die Chemie zwischen uns sofort stimmte. Seit diesem Moment waren wir ein Team, eine Einheit, die zusammenarbeiten musste, um die Herausforderungen der militärischen Grundausbildung zu meistern. Ein neues Abenteuer begann, und meine anfängliche Unsicherheit wurde von der Aufregung über das Unbekannte überlagert.

So wahr mir Gott helfe

Die Entscheidung, mich der Grundausbildung beim Militär zu stellen, war von einer Flut an Erwartungen begleitet, die in mir aufstiegen wie stürmische Wellen. Mein Herz pulsierte vor Vorfreude, während ich mir vorstellte, wie ich körperlich und geistig zu einem gestählten Soldaten heranwachsen würde. Eine Vision von mir selbst tauchte vor meinem inneren Auge auf – eingebettet in ein diszipliniertes Kollektiv unter der Führung von strengen, aber gerechten Ausbildern. Diese würden mich in die tiefen Geheimnisse des Soldatentums einweihen, mich formen und gestalten. Ich hegte die Hoffnung, dass neue Freundschaften aufblühten und sich eine mächtige Gemeinschaft erhob. Ich selbst war bereit, bis an meine Grenzen zu gehen. Der Wille, die eigenen Limits zu überschreiten und mich ohne Zögern den Unwägbarkeiten zu stellen, war fest in mir verankert. Mit der Entschlossenheit eines Kriegers wollte ich das Beste aus dieser einzigartigen Erfahrung herausholen. Mein Selbstvertrauen war unbeirrt, und ich wollte der Welt beweisen, dass ich die Stärke besaß, ein Soldat zu sein, auf den mein geliebtes Land stolz sein konnte. Mir war klar, dass die Grundausbildung nicht nur physisch, sondern auch mental eine harte Prüfung darstellen würde. Ich sehnte mich danach zu lernen, wie man unter enormem Druck agiert und in den entscheidenden Momenten klare Kopfentscheidungen trifft.

Bereits am ersten Tag wurde mir vor Augen geführt, wie mein bisheriges Leben sich radikal ändern würde. Um 05:00 Uhr wurde ich mit großem Lärm aus meinem Tiefschlaf gerissen. Der Drill und die eiserne Disziplin beherrschten fortan jede Sekunde meines Daseins. Mein Zugführer und sein ebenso strenger Hilfsausbilder duldeten keinerlei Widerspruch, verlangten von uns nichts Geringeres, als jederzeit ihren Befehlen zu gehorchen. Der Dienstplan strukturierte unsere Tage von der ersten Morgenröte bis in die späte Nacht. Das nächtliche Ritual des Waffenreinigens und das penible Aufräumen der Stuben und Reviere gehörten zur Tagesordnung. Zwischen 22:00 Uhr und 05:00 Uhr war Nachtruhe. Meine Gespräche mit höheren Rängen blieben rar, da ich Verfehlungen vermied. Wenn der Hauptfeldwebel einen meiner Kameraden zum Rapport zitierte, konnte man seine tosende Stimme auf dem gesamten Kasernengelände hören. Mein unmittelbarer Vorgesetzter, Stabsunteroffizier Sch., war ein Mann von sanften Gesichtszügen. Mit respektvoller Härte führte er uns an, erklärte und demonstrierte alles akribisch. Er betonte unablässig, dass jeder von uns nur eine einzige Gelegenheit hätte, ihn nicht zu enttäuschen. Lügen und Unehrlichkeit waren in seinen Augen Todsünden, die unweigerlich Konsequenzen nach sich zogen. Diese Lektion sollte ich nie vergessen.

Der Drill und die physischen sowie mentalen Herausforderungen schnitzten sich tief in unsere Seelen. Der Zusammenhalt in der Grundausbildungskompanie war unzerbrechlich, geschmiedet durch die vielen endlosen Märsche, die Übernachtungen im unwirtlichen Gelände, die Waffenkunde und die schweißtreibenden Sporteinheiten. Drei Monate vergingen wie ein heftiger Sturm und ließen uns verwandelt und gestählt zurück. Am Ende der Grundausbildung war ich ein fitter und extrem selbstbewusster junger Mann. Nach meiner feierlichen Vereidigung fühlte ich mich stolzer als je zuvor. Mit erhobenem Haupt und den Worten „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe“ endete die erste Etappe auf meinem Weg in der Bundeswehr.

Verlockendes Angebot

Der Versetzungsbescheid am Ende der Grundausbildung führte mich in die Stadt Köln. Dort sollte ich bei der Militärpolizei meine Ausbildung fortsetzen. Wie stolz fühlte ich mich in meiner makellosen Uniform, als ich vor der Hauptwache meinen Truppenausweis präsentierte und durchgewunken wurde. Doch die Informationstafel an der Wache, gespickt mit Codes und Begriffen, die mir fremd waren, ließ mich einen Moment zweifeln. Gefährdungsstufe Alpha? Wer zur Hölle war Verteidigungsminister Volker Rühe? Ich hatte keine Ahnung, aber immerhin kannte ich nun den Namen des Mannes an der Spitze unserer Bundeswehr. Politik war nie mein Steckenpferd gewesen – mein Kopf war stets gefüllt mit Fußball.

Mein Leben als Soldat in der neuen Kompanie war von monotoner Routine geprägt. Tag für Tag dasselbe Programm: Training, Sport, Schießübungen und die ständige Pflicht, Stuben und Revier sauber zu halten. Als Sanitäter oblag mir zusätzlich die Verantwortung, mich um die Gesundheit meiner Kameraden zu kümmern. Ich vereinbarte Arzttermine und versorgte kleinere Verletzungen selbst. Nach drei Monaten eröffnete mir mein Chef, dass ich für spezielle Sanitätslehrgänge vorgesehen war.

Die Lehrgänge begannen mit einfachen Übungen, von der richtigen Handhabung von Verbandsmaterial bis zur korrekten Anwendung von Erste-Hilfe-Maßnahmen. Unter der geduldigen Anleitung erfahrener Ausbilder tauchte ich in die Geheimnisse von Blutzirkulation, Atemwegsmanagement und traumatologischer Versorgung ein. Mein Wissen wuchs, während ich lernte, die Körpersprache eines Patienten zu deuten und die grundlegenden Prinzipien der medizinischen Versorgung in einem Einsatzszenario anzuwenden.

Die Zeit im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg fügte eine neue Dimension zu meiner Ausbildung hinzu. Dort durfte ich mit echten Patienten arbeiten, beobachtete Operationen und assistierte bei der Versorgung von Verletzten. Jeder Tag brachte neue Erkenntnisse und ein tieferes Verständnis für die Verantwortung, die ich als Soldat im Sanitätsdienst tragen würde. Damals ahnte ich allerdings noch nicht, was ich nur kurze Zeit später in den Auslandseinsätzen durchmachen musste.

Nach den mehrmonatigen Lehrgängen im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg stand der Erwerb des Führerscheins der Klasse B in Unna an. Nach vier Wochen hatte ich meine Fahrerlaubnis in der Hand, und es ging zurück in die Feldjägerkompanie Köln.

In den ersten Monaten hatte ich wegen der Lehrgänge nicht viel von meiner Stammeinheit mitbekommen. Dies änderte sich nun schlagartig. Da ich jetzt viel besser ausgebildet war, stieg auch meine Verantwortung. In den nächsten Wochen folgten Aufenthalte auf dem Truppenübungsplatz. Die dortigen Übungen waren faszinierend und fordernd zugleich. Ich erlernte grundlegende Taktiken des Häuserkampfes und erfuhr Wissenswertes über Überfälle, Spezialwaffen, Tarnung und militärischen Nahkampf. Mein Vorgesetzter Kai R., ein Koloss von mindestens 110 Kilo, der in seiner Freizeit American Football spielte, wurde mein treuer Partner in militärischen Taktiken und Nahkampfübungen. Er schleppte mich auch ins Fitnessstudio, überzeugt davon, dass ich noch ein paar Muskeln mehr vertragen könnte. Als ich mich auf meine Unteroffizierlehrgänge vorbereitete, erhielt ich spezielle Anleitungen von meinen Vorgesetzten in der Kompanie. Der Umgang mit Waffen und die Techniken der Selbstverteidigung lagen mir. Zudem konnte ich Informationen in Rekordzeit verinnerlichen. Gesetzestexte, Vorschriften und Bauteile von Waffen betete ich aus dem Effeff herunter. Diese Fähigkeiten kamen mir besonders bei den militärischen Lehrgängen zugute.

Der Winter von 1997 brachte nicht nur eisige Kälte, sondern auch eine entscheidende Wende in meinem militärischen Werdegang. Es war an der Zeit, meinen Unteroffizierlehrgang in München zu absolvieren. Wir lernten nicht nur die richtige Anwendung medizinischer Verfahren, sondern auch, wie man als zukünftiger Vorgesetzter Menschen führt.

Der Lehrgang brachte mich an manchen Tagen an die Grenzen meiner mentalen Leistungsfähigkeit. Glücklicherweise war Jan B. mein Stubenkamerad. Jan stammte von der nordostdeutschen Küste bei Rostock und war wie ich begeisterter Fußballer. Gemeinsam durchlebten wir die Höhen und Tiefen des Lehrgangs. Die Wochenenden verbrachten wir fast ausschließlich in München. Zusammen schauten wir im Olympiastadion den Spielern des FC Bayern München zu. Jan schloss unseren Lehrgang schließlich als bester ab – ein brillanter Geist mit Abitur in der Tasche. Durch ihn konnte ich viel lernen, und seine Freundschaft erleichterte mir die Vorbereitung auf die Prüfungen erheblich. Jan schied nach vier Jahren Dienst in der Bundeswehr aus, um ein Studium aufzunehmen. Er blieb einer meiner engsten Freunde. Heute lebt er in Hamburg und bekleidet einen hohen Rang bei der Polizei.

Die Tage waren erfüllt von einer Vielzahl von Themen, angefangen bei der präzisen Anwendung von Erste-Hilfe-Maßnahmen bis hin zur Planung und Durchführung von Sanitätsdiensten im Einsatz. Intensiv beschäftigten wir uns mit Fragen von Führung und Organisation, studierten die Kunst der Kommunikation und entwickelten Fähigkeiten, die notwendig sind, um in kritischen Situationen kluge Entscheidungen zu treffen. Die Stunden vergingen wie im Flug, aber nicht ohne Zweifel. Als künftiger Vorgesetzter spürte ich schon jetzt die Last der Verantwortung auf meinen Schultern. Die Prüfungen waren nicht nur eine Überprüfung meines medizinischen Wissens, sondern auch ein Test meiner Fähigkeiten als militärischer Führer. Die Frage, ob ich den Erwartungen gerecht werden konnte, nagte an mir. In ruhigen Momenten überfielen mich Gedanken, ob ich in der Lage sein würde, im Ernstfall die richtigen Entscheidungen zu treffen und meine Kameraden sicher zu führen. Doch in diesen Momenten der Selbstreflexion fand ich auch die Entschlossenheit, die mich antreiben sollte.

Mit Abschluss unseres Lehrgangs wurde mir der Dienstgrad eines Unteroffiziers verliehen. Die Beförderung war nicht besonders spektakulär, fand aber in einem würdigen Rahmen statt.

Mein Weg führte mich zurück nach Köln zu den Feldjägern. Mein Kompaniechef, Major F., las mir aus einem Fernschreiben der Stammdienststelle des Heeres vor. Es wurden dringend junge Unteroffiziere gesucht, um Kompanien in den neuen Bundesländern zu verstärken. Major F., meinte, dies sei eine fantastische Gelegenheit für mich – verbunden waren damit außerdem ein höheres Gehalt, verbesserte Karrierechancen und die Beförderung zum Feldwebel. Ich überlegte nicht lange und schrieb ein offizielles Versetzungsgesuch. Meine neue Heimat wurde die 4. Kompanie des Sanitätsregiments in Halle an der Saale, Sachsen-Anhalt.

Vorbereitung auf das Unbekannte

Im Jahr 1999, als die Medien von nichts anderem berichteten als vom gewaltigen Sturm, der den Kosovo ergriff, gab es im gesamten Regiment nur dieses eine Thema: die Vorbereitung auf einen Auslandseinsatz. Mein Weg führte mich zunächst in die Sanitätslehrkompanie nach Idar-Oberstein, wo ich mich auf eine dreimonatige Odyssee zur Ausbildung zum Rettungssanitäter begab.

Die Zeit in Idar-Oberstein war alles andere als gewöhnlich. Sechs Wochen lang wurden wir von erfahrenen Ärzten, Krankenpflegern und bereits ausgebildeten Rettungssanitätern in die medizinische Nothilfe eingeführt. Nach der Zwischenprüfung wurde ich nach Kusel auf eine Rettungswache versetzt, wo ich fast vier Wochen lang auf einem Notfalleinsatzfahrzeug Dienst tat. Meine Heimfahrten führte ich nur alle zwei Wochen durch, da ich meine Bereitschaftsdienste auf der Wache aufrechterhalten wollte. Diese Zeit war intensiv und lehrreich, eine Zeit, in der ich praktische Erfahrungen wie kostbare Juwelen sammelte. Und dann folgten noch zwei Wochen, in denen ich auf der Intensivstation und in der Notfallaufnahme hospitierte. Die Abschlussprüfung bestand ich mit einer Leichtigkeit, die mir selbst erstaunlich vorkam. Die Urkunde zum Lehrgangsbesten und die Traumnote 1,0 in den Händen zu halten, erfüllte mich mit Stolz. Das Streben nach mehr Wissen erfüllte mich. Nie zuvor hatte ich so leidenschaftlich gelernt.

Im Kraftfahrausbildungszentrum in Weißenfels erwarb ich den Führerschein der Klasse BCE. Nun konnte ich zu meiner Stammeinheit, der Medevac-Kompanie in Halle an der Saale, zurückzukehren.

Zu dieser Zeit gab es keinen voll ausgebildeten Feldwebel. Daher wurde ich zum Zugführer ernannt – eine gewaltige Verantwortung, die ich bereitwillig auf mich nahm. Meine Absicht war es, meine Untergebenen zu unterstützen und sie durch mein Beispiel zu motivieren. Ich hatte mir geschworen, von meinen Soldaten nur das zu verlangen, was ich selbst erbringen konnte. Ich wollte hart, aber gerecht sein, und immer mein Bestes geben.

Dann kam der Tag, an dem unser Kommandeur, Oberfeldarzt Dr. N., eine Nachricht bekanntgab, die unsere Welt auf den Kopf stellte. Unser Regiment wurde ausgewählt, um am Ende des Jahres in den Kosovo zu verlegen. Jeder Mann wurde gebraucht. Erstaunlicherweise nahm das Leben in der Einheit in den Wochen danach seinen gewohnten Lauf. Wir trieben Sport, pflegten unser Material und vertieften unsere Fähigkeiten im Umgang mit dem Gewehr G 36. Schließlich wurde ich nach Altenstadt zu einem weiteren Lehrgang entsandt. Dort erlernte ich die Kniffe des Luftverladens und des Lufttransportwesens. Erstmals kam ich mit den beeindruckenden Fallschirmjägern des Heeres in Kontakt. Die Disziplin und die Art ihrer Ausbildung beeindruckten mich zutiefst. Das VENÜ-Prinzip, Vormachen, Erklären, Nachmachen, Üben, ging mir in Fleisch und Blut über. Leider dauerte der Lehrgang nur drei Wochen. Ich verließ die Fallschirmjäger in der Hoffnung auf zukünftige Zusammenarbeit.

Nach Rückkehr in meine Stammeinheit begann die Vorbereitung auf den Einsatz im Kosovo. Minenkunde, Waffenausbildung, Konvoi-Fahrten, Orientierungsmärsche und Gewässerüberquerungen gehörten genauso dazu wie das Gefechtsschießen. Wenige Wochen später saß ich in einer Transall C-160 der Luftwaffe.

Kosovo Part I

Nach einem mehr als dreistündigen Flug erreichten wir das Flugfeld des Pristina-Flughafens in Mazedonien. Noch bevor ich die Flugzeugtreppe hinabsteigen konnte, drückte man mir eine kugelsichere Weste in die Hand. Schnell zog ich sie über und setzte meinen Gefechtshelm auf. Allerdings irritierte mich, dass wir unsere Waffen erst im Feldlager erhalten sollten. Die anschließende Busfahrt durch Mazedonien erfolgte bei Nacht, aber auch in der Dunkelheit konnte ich die Armut dieses Landes nicht übersehen. Nach längerer Zeit erreichten wir die Grenze zum Kosovo, die von griechischen Soldaten bewacht wurde. Minuten wurden zu Stunden, bis wir endlich den Checkpoint passieren durften. Nur wenige hundert Meter hinter der Grenze schien es, als hätte ich eine andere Welt betreten. Zerbombte Häuser erstreckten sich in alle Richtungen, die Straßen waren in einem üblen Zustand, überall war es schmutzig. Die Busfahrt wurde nun zusehends beschwerlicher, da der Busfahrer behutsam um tiefe Krater auf der Straße manövrieren musste.

Während der langen Fahrt spürte ich kaum noch meine Knochen. Die kugelsichere Weste, die ich stundenlang tragen musste, drückte mit ihrem Gewicht von 18 kg auf meinen Körper, und der Gefechtshelm schien mit jedem Kilometer schwerer zu werden. Der alte Bus, in dem wir saßen, rüttelte und schaukelte uns durch die unebenen Straßen und verstärkte das ohnehin schon unerträgliche Gefühl von Erschöpfung und Übelkeit. Als wir Prizren erreichten, konnte ich die Spannung in mir kaum noch aushalten. Ich brannte darauf, das militärische Feldlager zu sehen, in dem ich die nächsten Monate verbringen würde. Die Nacht war so dunkel, dass ich kaum meine eigene Hand vor Augen sehen konnte. Wir passierten mehrere kleine Checkpoints, an denen wir kontrolliert wurden. Im Feldlager angekommen wurden wir direkt in unseren Bereich geführt. Und dann, zu guter Letzt, da waren sie: unsere Zelte. Es waren große Typ II-Zelte, die inmitten des Feldlagers standen. Der Spieß vor Ort rief unsere Namen auf und teilte uns eine Nummer zu. Ich war im Zelt 15, zusammen mit acht anderen Männern. Als ich das Zelt betrat, war ich überrascht von dem, was ich sah. Es gab keine Spinde oder Schränke, nur fünf Doppelstockbetten, die eng beieinanderstanden. Die erste Nacht im Kosovo war ruhig und ich lag wach, den Kopf voller Gedanken. Ich konnte nicht aufhören zu grübeln, was in den nächsten Wochen auf mich zukommen würde. Ich war aufgeregt und wollte herauszufinden, was das Leben als Soldat in einem Feldlager wirklich bedeutete.

Das Feldlager Prizren war gigantisch – es erstreckte sich über eine Fläche von mindestens 100 Fußballfeldern und war direkt an einem Hang gelegen, der durch Felsen und Berge geschützt wurde. Alle 100 Meter ragte ein kleiner Sicherungsturm in die Höhe. Das gesamte Lager war von einer mächtigen Mauer umgeben, um es vor Eindringlingen zu schützen.

Am höchsten Punkt des Feldlagers thronte das markante Stabsgebäude. Es war komplett aus roten Steinen gebaut. Direkt am Haupteingang stand ein Feldlazarett, das aus Zelten und Spezialcontainern bestand. Minute für Minute wurde dies modulare Sanitätseinrichtung weiter ausgebaut, und es war faszinierend zu sehen, wie effektiv die Arbeit daran verlief.

Rechts vom Stabsgebäude befand sich eine kleine Militärpolizeistation. Darunter hatten die Infanterieeinheiten ihren Unterkunftsbereich aufgeschlagen. Da das Feldlager Prizren früher der jugoslawischen Armee als Standort gedient hatte, war die Infrastruktur überraschend gut.

Doch ein Teil des Lagers war eine No-Go-Area – hier standen zerbombte Gebäude, in denen noch Blindgänger und Minen vermutet wurden.

Zwei Wochen vergingen wie im Flug, während wir das Feldlager weiter ausbauten. Gemeinsam mit meinem Fahrer Dirk R. hatte ich diverse Aufträge im ständigen Wechsel auszuführen. Oberstabsgefreiter Dirk R. war als Busfahrer in einer Reservelazarettgruppe in Deutschland eingesetzt. Trotz seiner geringen Körpergröße war er durchtrainiert und strahlte eine natürliche Energie aus. Dirk war nicht nur ein zuverlässiger Fahrer, sondern auch ein echter Entertainer auf der Straße. Mit seinem stets humorvollen und freundlichen Charakter schaffte er es oft, mich und andere zum Lachen zu bringen und unsere Reisezeit angenehm zu gestalten.

Jeden zweiten Tag mussten wir die Erste Hilfe für das Feldlager sowie die Stadt Prizren sicherstellen. An den anderen Tagen leistete ich Gefechtsstanddienst, lief Streife oder begleitete Konvois oder Infanterieeinheiten auf Patrouille. Langsam aber sicher wurden wir dank der Einsatzplanung durch unseren Einsatzoffizier Hauptmann N. immer routinierter.

Direkt oberhalb des Feldlazaretts bauten einheimische Firmen vier große Unterkunftsgebäude für den Sanitätseinsatzverband. Endlich sollten wir in festen Unterkünften leben können, mit richtigen Duschen und Toiletten anstelle von Dixiklos. Und wir würden nur zu viert auf einer Stube sein. Der Gedanke daran war ein wahrer Lichtblick, auf den jeder einzelne von uns hinfieberte. Der Gedanke an ein Zuhause, in dem wir uns nach einem harten Arbeitstag ausruhen konnten, gab uns Kraft und Zuversicht.

In dreckigen Pfützen

Im Dezember 1999 war es soweit. Wir verlegten in unsere neuen Unterkünfte. Endlich hatte ich ein bequemes Bett und auch etwas Privatsphäre. Ich konnte mir dank eines kosovarischen Sprachmittlers sogar einen Kühlschrank und einen Fernseher leisten. Und natürlich hatte ich meine drei besten Kameraden an meiner Seite: Dirk, Gabriel und Mike. Wir waren schon im Zelt gut miteinander ausgekommen und wollten zusammenbleiben. Wir waren wie Brüder, der Dienstgrad spielte für uns keine Rolle.

Ein neuer Dienstplan sah für mich zweimal pro Woche EOD-Bereitschaft vor. Wir sollten mit deutschen und holländischen Bombenentschärfungskommandos zusammenarbeiten. Deren Aufgabe war es unter anderem, verlassene Häuser von Minen und Sprengfallen zu befreien, um den vertriebenen Menschen eine sichere Rückkehr zu ermöglichen. Zudem sollten wir Konvois begleiten, die Kameraden vom Flughafen in Mazedonien abholten und andere zum Feldlager Prizren brachten.

Ich war gerade einmal 21 Jahre alt, als die Bundeswehr mich in den Kosovo schickte. Zu Beginn meines Einsatzes konnte ich noch nicht ahnen, welche Hölle mich dort erwarten würde. Die Routine des Einsatzes, die anfangs noch erträglich schien, hatte sich mittlerweile in einen Albtraum verwandelt. Jeden Tag gab es neue Opfer von grausamen Ehren- und Rachemorden. Männer, Frauen und sogar Kinder fielen ihnen zum Opfer, und ich musste ihre Leichen bergen. Es war ein schrecklicher Anblick: ihre Hände mit Draht hinter dem Rücken gefesselt, ihr Leben brutal ausgelöscht, bevor sie kopfüber in dreckigen Pfützen am Straßenrand liegen gelassen wurden. Ich konnte den Geruch von Tod und Verwesung nicht mehr ertragen. Jeder neue Einsatzort war wie ein weiteres Kapitel in einem blutigen Buch voller Schmerz und Trauer. Besonders verstörend waren die Schicksale der Frauen. Sie wurden nicht nur brutal ermordet, sondern vorher auch vergewaltigt und missbraucht. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie viel Hass und Gewalt nötig waren, um solche Gräueltaten zu begehen. Selbst die Kinder blieben nicht verschont und wurden einfach kaltblütig erschossen. Ich war froh, dass ich Bestnik, einen Sprachmittler, an meiner Seite hatte. Er verfügte über ein tiefes Verständnis der Mentalität und Sitten in diesem Land. Er erzählte mir von den schrecklichen Taten, die den Opfern zu Beginn des Krieges angetan worden waren. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie jemand dazu fähig sein konnte, so etwas zu tun. Ich spürte, wie ich innerlich immer mehr abstumpfte. Die Grausamkeiten, die ich sah, schienen meinen Geist zu zerstören. Ich fragte mich, ob dieser Einsatz überhaupt einen Sinn hatte, wenn wir jeden Tag mit ansehen mussten, wie unschuldige Menschen auf grausame Weise umgebracht wurden. Doch ich wusste, dass ich nicht aufgeben durfte. Ich musste stark bleiben und meinen Teil dazu beitragen, dass diese Schrecken irgendwann ein Ende finden würden.

Leicht wie eine Feder

Das Leben im Norden des Kosovo war ein ständiger Kampf ums Überleben. Hier tobte seit Jahrzehnten ein unerbittlicher Konflikt zwischen den verfeindeten Gruppen der Serben und der Albaner. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Volksgruppen hatten tiefe Wunden hinterlassen und das ohnehin schon schwierige Zusammenleben in dieser Region zur reinen Hölle gemacht. Auf der einen Seite standen die kampferprobten Serben, die sich nichts sehnlicher wünschten als die vollständige Herrschaft über das Land. Auf der anderen Seite kämpften die Albaner mit aller Kraft gegen ihre Unterdrückung und für ihre Freiheit. Trotz der brutalen Gewalt und des tiefen Hasses, der zwischen ihnen herrschte, lebten Serben und Albaner noch immer gemeinsam in dieser Region. Wer hier überleben wollte, musste wachsam sein.

Im düsteren Februar des Jahres 2000 wurde ich von meinem Einsatzoffizier, Hauptmann Heiko N., mit einer besonderen Mission beauftragt. Heiko N. war ein integrer Offizier des militärfachlichen Dienstes, der Respekt einflößte und Vertrauen weckte. Schon bei unserem ersten Zusammentreffen in Deutschland hatte er mich beeindruckt. Ein Mann von imposanter Statur, mit einer Aura der Entschlossenheit und einem verschmitzten Grinsen, das von seiner inneren Stärke zeugte. Seine ruhige Ausstrahlung und sein außergewöhnliches Führungstalent waren eine Quelle der Inspiration für mich.

Das Ziel unserer Mission war diesmal Mitrovica, ein Ort direkt an der serbischen Grenze im Norden des Kosovo, wo die Kämpfe noch immer tobten. Er galt als sogenannter Hotspot. Es war keine leichte Aufgabe, die sanitätsdienstliche Versorgung für die vor Ort stationierten Soldaten sicherzustellen. Diesmal unterstützten wir die Fallschirmjäger. Dafür hatte Hauptmann N. mich und mein Team, bestehend aus meinem Kraftfahrer Stabsgefreiter Dirk R. und Stabsunteroffizier Gabriel G., ausgewählt. Unser Transportpanzer Fuchs war vollständig mit einem speziellen Sanitätsrüstsatz ausgestattet, der jede Menge medizinisches Zusatz-Equip-ment enthielt. Wir hatten auch EPA-Nahrungspakete und PET-Wasserflaschen mitgenommen, um während unseres mehrwöchigen Einsatzes autark zu sein. Dirk hatte das Fahrzeug noch mit nützlichen Gegenständen ausgestattet, darunter einen Tisch mit vier Stühlen sowie eine Bord-sprechanlage, um während der langen Konvoi-Fahrten Musik zu hören.

In Mitrovica erwarteten uns täglich Aufstände und kleinere Scharmützel, die unsere Nerven auf die Probe stellten. Aber wir waren Soldaten und wir waren bereit, für unser Land zu kämpfen und zu sterben, wenn es nötig war. Klingt naiv – aber damals fühlte es sich genauso an. Als wir das französische Feldlager außerhalb von Mitrovica erreichten, spürte ich sofort die düstere Stimmung, die von den dort stationierten Soldaten ausging. Den Franzosen schien es an fast allem zu mangeln. Sie lebten in maroden Zelten und Baucontainern. Uns erschienen sie zunächst sehr unnahbar zu sein. Sie sprachen nur Französisch und schienen sich nicht für uns zu interessieren. Ich begegnete schließlich einigen mit spanischen Wurzeln, mit denen ich mich auf Spanisch verständigte. Auch traf ich Franzosen aus dem Elsass, mit denen ich mich auf Deutsch unterhielt. Später tauschten wir sogar unsere Essensrationen aus.

Unser Auftrag war, deutsche Fallschirmjäger, die eine Brücke über den Fluss Ibar sicherten, zu unterstützen. Der Ibar trennte Mitrovica in einen Nord- und einen Südteil, wobei die Serben im Norden und die Albaner im Süden lebten. Als wir unsere Position erreichten, sah ich Sandsackstellungen mit einer Höhe von 150 Zentimetern, die sich über die gesamte Länge der Brücke erstreckten. Die Brücke konnte von hier aus in alle Richtungen verteidigt werden. Uns war klar: Wir befanden uns hier mitten in einem heißen Konflikt.

Ich war etwas nervös, als ich mich bei einem Oberstabsfeldwebel der Fallschirmjägereinheit meldete. Der Gedanke, inmitten dieser kampferprobten Krieger zu dienen, jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Als ich schließlich vor ihm stand, wurde mir klar, dass er der Kompaniefeldwebel der Einheit war – der berüchtigte Spieß. Sein strenger Blick und seine straffe Haltung verrieten mir, dass ich es hier mit einem Mann zu tun hatte, der keine Kompromisse eingehen würde. Zwar wurde ich kameradschaftlich aufgenommen, aber dennoch spürte ich eine gewisse Distanz zu mir als Soldat im Sanitätsdienst. Die Fallschirmjäger betrachteten uns mit Skepsis, da wir in Deutschland als Freizeit- und Schönwettersoldaten galten.

Ein Oberfeldwebel des Fallschirmjägerzuges erklärte mir deren Auftrag: die strategisch wichtige Brücke zu sichern und einen Checkpoint zu betreiben. Es gab nur zwei Brücken, die über den Fluss Ibar führten und den Serben und Kosovoalbanern den Zugang zu ihren jeweiligen Gebieten ermöglichten. Allerdings standen sich an den Ufern des Ibar Serben und Albaner unversöhnlich gegenüber. Der Oberfeldwebel teilte mir besorgt mit, dass seine Jungs Mühe hätten, die Todfeinde auf Distanz zu halten. Als ich die Stellungen für den kleinen und wendigen Panzer Wiesel sah, wurde mir klar, dass der Einsatz auf der Brücke kein Kinderspiel war. Der Panzer, der speziell für die Fallschirmjäger entwickelt worden war, war mit seiner Bewaffnung, einer 20 mm Maschinenkanone, nahezu perfekt für den Auftrag, die Brücke zu sichern.

Die Schanzkörbe (Hesco-Barrier), die spanischen Reiter auf der Brückenmitte und die langen S-Drahtrollen an den Seiten zeigten uns, wie gefährlich unser Auftrag war. Von jedem Fenster der umliegenden Häuser aus konnten Heckenschützen uns ins Visier nehmen. Als eine Alarmsirene aufheulte, zog ich schnell meine Splitterschutzweste an und setzte meinen Helm auf. Während ich aus dem Panzer stieg, sah ich, wie ein dunkler LKW mit hoher Geschwindigkeit auf die Brücke zuraste. Kameraden schrien lauf auf, als ein Einheimischer eine Handgranate in unsere Richtung schleuderte. Plötzlich wurde aus jeder Himmelsrichtung auf uns geschossen. Meine Ohren klingelten, als mein Körper von Adrenalin und Todesangst durchflutet wurde. Ich riss mein Gewehr hoch und gab mehrere Warnschüsse auf eine größere Menschenmenge vor der Brücke ab. Glücklicherweise war der LKW durch fünf parallel ausgelegte S-Draht-Rollen gestoppt worden.

Ich horchte gebannt auf die klaren Kommandos des Oberfeldwebels, der souverän seine Soldaten in ihre Stellungen befahl. Auch ich handelte schnell und effizient. Mit meinem Gewehr im Anschlag ging ich links um den Transportpanzer herum, um mir einen besseren Überblick über die Lage zu verschaffen. Vor mir lagen drei junge Mannschaftssoldaten. Ihre Gesichter waren blutüberströmt, aber trotzdem blieben sie erstaunlich ruhig und gefasst. Sie hingen im S-Draht fest, der sich um die Achse des LKW gewickelt und sie meterweit mitgerissen hatte. Die Schrapnell-Verletzungen von der explodierten Handgranate waren klein, aber stark blutend. Ich nahm den Bolzenschneider, der am Transportpanzer befestigt war, um sie aus dem S-Draht zu befreien. Die Kugeln flogen mir nur so um die Ohren und der Gefechtslärm war enorm. Doch ich konzentrierte mich auf meine verletzten Kameraden. Ich war erleichtert, dass ich ihre Verletzungen schnell versorgen konnte und sie sich auf den Weg zurück in ihre Stellungen machten. Mir war allerdings klar, dass wir noch lange nicht aus dem Gröbsten raus waren.

Der Oberfeldwebel gab den Befehl, die Wiesel mit der Bordmaschinenkanone nach vorne zu ziehen. Die Spannung in der Luft war greifbar, als ich meine Beschussklappe am TPZ-Fuchs herunterließ und mich auf das bevorstehende Gefecht vorbereitete. Ich konnte das Adrenalin in meinen Adern spüren, als ich mein Magazin aus meinem Gewehr nahm und den Munitionsverbrauch prüfte. Die Schüsse, die durch die Luft flogen, hallten im Inneren meines Fahrzeugs wider, als ich meine Backupwaffe, die Pistole P-8, griffbereit machte. Ich lauschte gebannt den Funkmeldungen der anderen Schützen, die den Munitionsverbrauch durchgaben, und atmete tief ein, um mich zu sammeln. Dann rückten die Wiesel vor. Ihre Feuerkraft war beeindruckend, und ich konnte sehen, wie die Angreifer zurückwichen. Nach nur zehn Minuten hatten unsere Fallschirmjäger die Lage unter Kontrolle gebracht.

Als ich dachte, der Kampf sei vorbei, klopfte es plötzlich an meiner Fahrzeugtür. Als ich ausstieg, bekam ich ein kleines verletztes Mädchen, leicht wie eine Feder, in meine Arme gelegt. Ihr Körper war von Blut und Granatsplittern bedeckt, und ich konnte den Schrecken in ihren Augen sehen.

Mein Herz zerriss bei dem Anblick. Ich wusste, dass ich schnell handeln musste, um ihr Leben zu retten. Es war ein Moment, den ich nie vergessen würde – der Moment, in dem ich erkannte, wie brutal Krieg ist. Ich umschlang das Mädchen fest in meinen Armen und trug es um den Transportpanzer herum. Nun erst bemerkte ich, dass ihre Unterschenkel weggerissen waren. Blut sprudelte aus zahlreichen Wunden. Ich roch ihr verbranntes Fleisch. Mir wurde schwindelig, als ich das Ausmaß ihrer Verletzungen sah. Doch ich musste handeln. Ich funktionierte wie ein Roboter und nutzte all das Wissen meiner medizinischen Ausbildung, um das Leben dieser unschuldigen kleinen Seele zu retten. Mit all meiner Kraft band ich Dreiecktücher um die Stümpfe ihrer Beine und drehte sie mit einem Stock enger, um die Blutungen zu stoppen. Es war entsetzlich, als ihr Blut durch meine Hände sickerte. Trotzdem gab ich nicht auf. Ich verband selbst kleinste Splitterverletzungen und verabreichte ihr Infusionen, während mein Propaq-Monitor ihre Vitalfunktionen überwachte.

Trotz meiner Bemühungen verschlechterte sich der Zustand des Mädchens. Ihre Atmung wurde flacher, ihr Puls schwächer. Mein Herz zerbrach, als mir klar wurde, dass sie keine Überlebenschancen hatte. Ich weinte, während ich weiterkämpfte, um ihr Leben zu retten. Schließlich hörte ihr Herz auf zu schlagen. Ich führte sofort eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durch und presste meine Hände auf ihren kleinen Brustkorb. Es war eine Qual, als ich das Knacken ihrer Rippen hörte. Ich rief laut nach einem Kameraden, damit dieser ihr mehr Sauerstoff gab. Doch es half alles nichts, das Überwachungsgerät zeigte nur noch eine Nulllinie an. Wir fuhren schnellstmöglich in ein nahegelegenes Militärlazarett. Dort stellte der Arzt letztlich den Tod des Mädchens fest.

Ich war völlig niedergeschlagen und konnte nicht glauben, dass ich es nicht geschafft hatte, ihr Leben zu retten. Es war eine Tragödie, die sich tief in mein Herz eingrub.

Die Farbe Rosa

Mitrovica war der Wendepunkt in meinem Leben. Eine Zeit, die mich geprägt und verändert hat. Die Erlebnisse dort haben nicht nur mich, sondern auch meine Kameraden schwer mitgenommen. Die traurigen Augen der Kinder, die wir in dieser vom Krieg zerstörten Stadt gesehen hatten, verfolgten uns bis in unsere Träume. Den Unterschied zwischen einem virtuellen Kriegsspiel am PC und der Realität erkannte ich nun deutlicher als jemals zuvor. Explosionen, Gewehrfeuer und Schreie waren wie der blanke Horror. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Albtraum gefangen, dem ich nicht entkommen konnte. Trotzdem mussten wir weitermachen. Wir mussten uns unseren täglichen Aufträgen stellen, egal wie gefährlich sie waren. Jeder Auftrag brachte neue Herausforderungen und Gefahren mit sich. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Aber ich wusste, dass die Narben, die ich in Mitrovica bekommen hatte, für immer bleiben würden.

Die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, als ich mich auf der Fahrzeugplatte im Camp mit einem EOD-Trupp koppeln musste. Nach den harten drei Wochen in Mitrovica hatte sich ein gewisser Alltag eingeschlichen, aber der neue Einsatz versprach neue Herausforderungen. Ich war gespannt, wer uns heute begleiten würde. Und dann waren sie da: Calvin und Fiete aus den Niederlanden. Zwei großgewachsene junge Männer, die außerordentlich gut Deutsch sprachen. Die Sicherungskräfte waren bekannte Gesichter vom Jägerzug; wir hatten uns schon des Öfteren im provisorischen Betreuungszentrum „Grüner Husar“ getroffen und uns bei einem kühlen Bier oder einer Cola light am Kickertisch vergnügt. Unser Konvoi-Führer war an diesem Tag ein etwas älterer Oberfeldwebel der Jägertruppe, der uns zügig in die Lage und den Auftrag einwies. Wir sollten uns in ein abgelegenes Dorf nahe der albanischen Grenze begeben, um in verlassenen Häusern nach Sprengfallen zu suchen und diese gegebenenfalls zu entschärfen. Dies war das Kerngeschäft des EOD, und ich wusste, dass es nicht ohne Risiko war. Während die Spezialisten damit beschäftigt waren, die Häuser auf Sprengfallen zu untersuchen, blieb mir und meinem Trupp nichts anderes übrig, als zu warten und wachsam zu sein. Mein Kernauftrag an diesem Tag war es, im Falle eines Angriffs oder eines Unfalls mit Sofortmaßnahmen zur Stelle zu sein. Doch heute hatte ich zusätzlich noch einen erfahrenen Mediziner an meiner Seite, einen Oberfeldarzt.

Die Fahrt durch die majestätischen Berge war atemberaubend. Die Landschaft erstrahlte in einem satten Rotviolett, als die Sonne langsam über uns aufging. Ich konnte nicht anders, als mich in diesem Moment zu fragen, ob ich wirklich im Einsatz war oder mich in einem Urlaubsparadies befand. Als wir schließlich das verlassene Dorf erreichten, war die Spannung spürbar. Die Häuser standen leer da. Wir parkten unsere Fahrzeuge auf einem geschotterten Platz und begannen, technischen Dienst am Transportpanzer durchzuführen. Ich besprach noch einmal das Vorgehen im Notfall mit den niederländischen Spezialisten, bevor sie sich auf den Weg zum ersten Haus machten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Mein Trupp relaxte ein wenig.

Ich hörte das leise Vogelgezwitscher und konzentrierte mich darauf, die Vögel um mich herum zu identifizieren.