168. Zur Ehe Verdammt - Barbara Cartland - E-Book

168. Zur Ehe Verdammt E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Gythas Großvater liegt fast auf dem Sterbebett und es wird nicht erwartet dass er noch lange lebt. Daher ist es wenig tröstlich für sie, dass er sie zu seiner Alleinerbin seines beachtlichen Vermögens gemacht hat. Was noch schlimmer ist, ist Sir Robert Sullivans Angst, dass sie Glücksjägern zum Opfer fallen könnte - weswegen er darauf besteht, dass sie einen ihrer schmeichelhaften und sich einschleimenden Cousins heiratet. Verzweifelt bemüht, diesem Schicksal zu entkommen, sucht sie den Besitzer des benachbarten Guts auf, den gut aussehenden Lord Locke, noch dazu ein Erbfeind ihres Großvaters. Kann er ihr helfen?

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Seitenzahl: 229

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1

»Nein, Großvater, es ist ganz und gar unmöglich! Ich kann auf deine Bedingung nicht eingehen!«

»Du wirst tun, was ich dir sage!« schrie Sir Robert Sullivan außer sich vor Erregung. »Wenn du glaubst, ich würde zulassen, daß sich irgendein lausiger Mitgiftjäger in den Besitz meines Geldes bringt, bist du gewaltig auf dem Holzweg!«

»Nicht jeder Mann, der mir den Hof macht, muß ein Mitgiftjäger sein«, entgegnete Gytha ruhig.

»Bildest du dir etwa ein, es gäbe jemanden auf der ganzen weiten Welt, der dich aus einem anderen Grund heiraten würde!« entgegnete Sir Robert schwer atmend. »Aber meine Entscheidung ist gefallen, mehr habe ich zu dem Thema nicht zu sagen. Du hast nur die Wahl zwischen Vincent und Jonathan. Einen von den beiden wirst du heiraten. Und je früher es geschieht, umso besser ist es.«

Nach diesen Worten gab er seinem Kammerdiener, der hinter dem Rollstuhl stand, in dem er saß, einen Wink, und dieser schob ihn mit unbeweglicher Miene aus dem Zimmer.

Gytha blickte den beiden nach, bis die Tür hinter ihnen zugefallen war, dann ließ sie sich auf das Sofa sinken.

»Was soll ich nur tun?« murmelte sie verzweifelt. »Mein Gott, was soll ich tun!«

Es erschien ihr immer noch unfaßbar, doch seit zwei Monaten wußte sie, daß sich ihr Großvater allen Ernstes mit der Regelung seiner Vermögensverhältnisse für den Fall seines Todes beschäftigte. Und was sein Vermögen betraf, so war es wahrhaftig nicht unbeträchtlich.

Es stand tatsächlich nicht gut um die Gesundheit des alten Herrn. Die Ärzten hatte Gytha im Vertrauen wissen lassen, daß er nur noch zwei, im Höchstfälle drei Monate zu leben habe.

Sie hatte noch mit niemandem über diese vertrauliche Mitteilung gesprochen. Auch gegenüber ihrem Großvater hatte sie kein Wort davon erwähnt.

Aber mit jener untrüglichen Scharfsichtigkeit, die dem Alter oft zu eigen ist, mußte Sir Robert wohl erkannt haben, daß seine Lebenstage gezählt waren.

Oft hatte er die Frage erörtert, wen er zum Erben seines riesigen Vermögens machen solle, das er während des vergangenen Jahrhunderts in Indien erworben hatte.

Wie riesig dieses Vermögen war, vermochte niemand genau zu sagen. Das wußten nur er selbst, sein Anwalt und sein Buchhalter. Den wenigen restlichen Familienmitgliedern war lediglich bekannt, daß es sich um eine enorme Summe handeln mußte.

Gytha wußte, daß seine zwei Neffen, Vincent und Jonathan, die Söhne seines jüngeren Bruders, bereits ungeduldig die Tage zählten, die sie noch von dem gewaltigen Reichtum trennten, den sie mit Sicherheit vom Bruder ihres Vaters erben würden.

Unglücklicherweise hatte Sir Robert nur einen Sohn besessen. In der Schlacht bei Waterloo war er gefallen. Kurze Zeit nach Gythas Geburt, die sein einziges Kind gewesen war.

Alex Sullivan war ein ungewöhnlich sympathischer und charmanter Mann gewesen, der das Leben leidenschaftlich geliebt hatte.

In Wellingtons Heer hatte er sich als einer der fähigsten Offiziere und Kommandeure erwiesen.

Sein Heldentod war nicht nur für sein Regiment eine Tragödie gewesen, sondern auch für seinen Vater, der sich fest darauf verlassen hatte, daß sein Sohn den Namen und die ehrgeizigen Pläne der Sullivans fortführen würde.

Gytha hatte oft gedacht, daß ihr Vater an Geld nicht sonderlich interessiert wäre.

Er liebte die Gesellschaft anderer Menschen und fand seine Freude an weitaus einfacheren Dingen als dem Streben nach Geld und Reichtum.

Ihre Mutter war genauso gewesen.

Sie entstammte einer Grafschaftsfamilie und liebte das Landleben über alles. Nie hatte sie den Wunsch gehabt, nach London zu gehen und an Bällen, Empfängen und großen Gesellschaften teilzunehmen.

Diese waren während des ganzen Krieges nicht ausgefallen und hatten weiterhin stattgefunden — glanzvoll und rauschend wie immer.

Statt dessen gab sie das kleinere Haus, das sie auf dem Gut bewohnt hatten, auf. Das prächtige Herrenhaus, das ihr Schwiegervater Sir Robert wiederaufgebaut und ständig erweitert hatte, wurde ihr Zuhause.

Manchmal hatte sie lachend zu Gytha gesagt: »Oft habe ich das Gefühl, wir wären zwei winzige Erbsen in einem riesigen Topf.«

Doch als ihr Mann, der lebensfrohe und immer heitere Alex, gefallen war, wurde das riesige Haus für sie zu einem Alptraum, erschien ihr noch düsterer und bedrohlicher als zuvor.

Fast hätte man sie für einen Geist halten können, wenn sie durch die weiten, hohen Räume schritt oder die Treppe mit dem wuchtigen holzgeschnitzten Geländer hinaufstieg.

Das Leben schien von Tag zu Tag mühsamer für sie zu werden, und sie wurde immer mehr zum Schatten ihrer selbst.

Gytha glaubte, daß es nicht nur der Schock über den Tod des geliebten Mannes war, der sie dahinsiechen ließ.

Es war noch mehr die Tatsache, daß ihre Mutter es einfach nicht zu fassen vermochte, daß etwas derartig Schreckliches in ihrem Leben überhaupt hatte geschehen können.

Es dauerte nicht lange, und Gytha war mit ihrem Großvater allein.

Da er schon sehr alt war, lag ihm kaum noch etwas an menschlicher Gesellschaft, an Gastfreundschaft und nachbarschaftlichen Kontakten, was zur Folge hatte, daß Gytha nur selten einmal einen Menschen ihres Alters zu Gesicht bekam.

Es war ein beklagenswertes Leben, das sie führte, für ein junges Mädchen.

Gytha fand einen gewissen Trost im Umgang mit den Pferden, die die langgestreckten Ställe füllten und die nach ihrer Meinung viel zu wenig Bewegung hatten.

Jede freie Minute des Tages saß sie im Sattel, die übrige Zeit verbrachte sie im Schulzimmer, wo sie von ihren Gouvernanten unterrichtet wurde.

Diese kamen und gingen mit monotoner Regelmäßigkeit, denn Sir Robert hatte an jeder etwas auszusetzen. Sie ihrerseits ärgerten sich über seine Einmischung und Bevormundung und fühlten sich in seinem Haus so eingeengt, daß sie sich schon bald wieder nach einer anderen Stellung umschauten.

Zum Glück war Gytha auf ihre Lehrerinnen nicht wirklich angewiesen. Sie war so voller Wißbegierde, daß sie sich die meisten Dinge selbst beizubringen vermochte.

Die längste Zeit des Tages hielt sie sich in der riesigen Bibliothek auf, die voller Bücher war. Bei erstaunlich vielen handelte es sich um Veröffentlichungen aus jüngster Zeit. Ihr Großvater hatte nämlich den etwas ausgefallenen Ehrgeiz, als belesen zu gelten.

Er hatte es stets bedauert, daß seine Eltern ihn als Jungen nicht auf eine der angesehenen Public Schools schickten. Eine seiner extravaganten Marotten war es daher, Bücher zu kaufen. Nicht nur seine riesige Bibliothek war voll damit, auch die anderen Räume des Hauses quollen über von Büchern.

In der Tat waren es die Bücher, die zwischen Gytha und ihrem Großvater einen engen Kontakt schufen.

Wenn sie ihn nach einem Ritt aufsuchte und ihr plötzlich einfiel, daß sie die Hausaufgaben, die er ihr aufgab, nicht gemacht hatte, brauchte sie ihn nur in ein Gespräch über einige Neuerscheinungen zu verwickeln, und alles war gut.

Manchmal las sie ihm laut daraus vor. In den meisten Fällen jedoch ließ er sich von ihr eine Zusammenfassung des Gelesenen in ihren eigenen Worten geben, worin sie eine wahre Meisterschaft besaß.

In der letzten Zeit waren seine Augen immer schwächer geworden. Er war nicht mehr imstande, lange zu lesen, und wenn, mußte es sich um Großdrucke handeln.

So kam es, daß Gytha zu einer Geschichtenerzählerin wurde.

Ohne daß ihr es bewußt wurde, schulte dies auf ganz außerordentliche Weise ihr Sprachgefühl, erweiterte ihre Literaturkenntnisse, vermehrte ihr Wissen von der Welt und nicht zuletzt auch ihren Wortschatz.

Es war ein sonderbares Leben, das Gytha führte.

Und als sie ihren achtzehnten Geburtstag feierte, gab es wohl in England kein Mädchen ihres Alters, dessen Dasein so behütet gewesen wäre wie das ihre.

Es sei, denn, es hätte sich um ein Mädchen gehandelt, das den Beruf der Klosterfrau erwählt und sich in einem Kloster lebendig begraben hätte.

Doch dann erfolgte der Schicksalsschlag.

Sir Robert wurde sich plötzlich darüber klar, daß Gytha mutterseelenallein dastehen würde, falls er sterben sollte. Und dies konnte schon sehr bald der Fall sein.

Wenn sie dann — wie es sein Wille war — den größten Teil seines Vermögens erbte, würden sich die Mitgiftjäger wie die Aasgeier auf sie stürzen.

Daran gab es für ihn ebenfalls keinen Zweifel.

Und sie würde weder die Lebenserfahrung noch die Klugheit haben, sich ihrer zu erwehren.

Also gab es nur die eine mögliche Alternative für. ihn: sie würde einen ihrer Cousins heiraten müssen.

Diese Cousins waren die Söhne seines jüngeren Bruders, mit dem er sich nie verstanden hatte.

Tatsächlich hatte er in den letzten zehn Jahren vor dessen tödlichem Verkehrsunfall kein einziges Wort mehr mit ihm gesprochen.

Jasons Söhne jedoch waren zu vernünftig, um nicht zu wissen, wo ihre Chancen und Interessen lagen. Und so waren sie in den vergangenen sechs Monaten in kluger Voraussicht dazu übergegangen, dem Herrensitz mit schöner Regelmäßigkeit ihre Besuche abzustatten.

Einigermaßen überraschend für sie selbst, machte Gytha die Feststellung, daß sie beide nicht mochte.

Vincent — davon war sie überzeugt — trat als Stutzer auf, wenn er sich in London aufhielt. Er pflegte jene näselnde, gedehnte Sprechweise, die dort augenblicklich wohl in Mode war und die Gytha nicht nur entnervend fand, sondern ihr auch regelrechte Minderwertigkeitskomplexe beibrachte.

Er war fünfunddreißig Jahre alt und durch und durch ein Stadtmensch. Er nutzte jede Gelegenheit, um ihr und allen, die es wissen wollten oder nicht, darzutun, welch eine bedeutsame Rolle er im gesellschaftlichen Leben Londons spielte.

Vor allem aber gab es keine Unterhaltung mit Gytha, in der er nicht seine unwiderstehliche Anziehungskraft auf das schöne Geschlecht ins rechte Licht rückte.

Sein Kammerdiener, den besonders die älteren Diener auf dem Herrensitz partout nicht ausstehen konnten, prahlte unablässig mit den Liebesabenteuern seines Masters, in die die schönsten Frauen der Hauptstadt verwickelt sein sollten.

Die Hausmädchen berichteten Gytha dann jedes Wort, das er gesagt hatte.

Sie alle kannten Gytha schon, als sie noch ein Kind gewesen war. Folglich waren sie ihr gegenüber mitteilsamer, als dies sonst der Fall gewesen wäre. Gytha war für sie immer noch das kleine pausbäckige Mädchen von früher, und keine von ihnen wollte oder konnte es so richtig wahrhaben, daß sie längst zu einer jungen Frau herangewachsen war.

»Wenn Sie mich fragen«, sagte eines der Mädchen einmal zu Gytha, »ist es keineswegs etwas, auf das man stolz sein sollte, wenn man einer armen Lady das Herz gebrochen hat! Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr Vater — Gott hab ihn selig! — jemals etwas Derartiges getan hätte.«

»Nein, um Gottes willen«, stimmte ihr Gytha zu, »das hätte er nie getan!«

Ihren Cousin Jonathan mochte sie noch weniger als dessen Bruder. Vincent war herablassend und hatte nur ein verächtliches Lächeln für ein Mädchen übrig, das keine Ahnung von der Welt besaß, in der er glänzte.

Gytha war sicher, er hielt sie für reizlos und unansehnlich.

Jonathan aber war ein Kriecher und Speichellecker: Sie beobachtete, wie er vor ihrem Großvater unablässig katzbuckelte und ihm auf eine fast abstoßende Weise nach dem Mund redete.

Er tat es so offensichtlich und mit einer derartigen Unterwürfigkeit, daß sie vor lauter Peinlichkeit nicht hinzusehen oder gar zuzuhören vermochte.

Als die beiden nach dem Tod ihres Vaters das erste Mal im Herrenhaus erschienen waren, hatten sie ihr keinerlei Beachtung geschenkt.

In ihren Augen war sie nur ein Kind gewesen.

Außerdem nahmen sie an, daß Sir Robert ihr, weil sie kein Mann war, nur einen geringfügigen Teil seines Geldes hinterlassen würde. Vielleicht gerade so viel, daß sie über eine angemessene Mitgift verfügte. Der Rest würde an Sir Roberts Neffen fallen, weil sie ja den Namen Sullivan trugen.

Erst im letzten halben Jahr schienen sie argwöhnisch geworden zu sein. Daraufhin hatte Jonathan sein Verhalten ihr gegenüber völlig geändert.

Anstatt Gytha mehr oder weniger zu übersehen, wich er nun nicht mehr von ihrer Seite, machte ihr schöne Augen und hofierte sie, daß es schon peinlich wurde.

Auch Vincent war mit einem Mal anders zu ihr und machte ihr einige offenbar ernstgemeinte Komplimente.

Gytha registrierte den Sinneswandel der beiden mit dem Gefühl abgrundtiefer Verachtung.

Schließlich, nachdem die Cousins nach London zurückgekehrt waren, hatte ihr Großvater ihr eröffnet, daß er beschlossen habe, sie zu seiner Universalerbin zu machen.

Erstaunt hatte sie ihn angeschaut.

»Aber das kannst du nicht machen Großvater!«

»Wer sollte mich daran hindern?« brummte der alte Mann. »Du brauchst das Geld, und wem ich es gebe, ist meine Angelegenheit. Aber wenn ich auch für keinen meiner Neffen sehr viel übrig habe, so sind sie beide jedoch Sullivans, und wenn du etwas Verstand in deinem Kopf hast, gelingt es dir ja vielleicht sogar, sie auf die eine oder andere Weise etwas zurechtzubiegen.«

»Aber, Großvater, schon allein der Gedanke ans Heiraten entsetzt mich — vor allem aber, wenn ich an Vincent oder Jonathan denke!«

»Du wirst tun, was ich dir sage!« schrie ihr Großvater erbost.

So ging es seitdem Tag für Tag.

Der Großvater bestand darauf, daß sie in seinen Plan einwilligte.

Sie erklärte ihm, daß es ihr ganz und gar unmöglich sei, das zu tun.

Das einzig Gute war nur, daß weder Vincent noch Jonathan von den Diskussionen zwischen Großvater und Enkelin etwas wußten.

Sie hatten keine Ahnung, daß Sir Robert bezüglich seines zukünftigen Erben endlich einen Entschluß gefaßt hatte und es für ihn nun nichts mehr an diesem Entschluß zu rütteln gab.

Er hatte dies Gytha soeben eindeutig zu verstehen gegeben und sie gleichzeitig davon in Kenntnis gesetzt, daß er seine beiden Neffen aus diesem Grund zu sich bestellt habe.

Seit dem Augenblick waren die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Gytha noch heftiger entbrannt. Die Ankunft der beiden Neffen erwartete Sir Robert in zwei Tagen.

Gytha hatte das Gefühl, in einer Falle zu stecken, aus der es für sie kein Entrinnen gab.

Sie lief umher wie mit einem unsichtbaren Strick um den Hals, der sich von Tag zu Tag immer enger zuzog. Sie vermochte im Haus keinen klaren Gedanken mehr zu fassen und glaubte, die Decke würde ihr auf den Kopf fallen.

Nachdem nun die Tür hinter ihrem Großvater und seinem Diener in Schloß gefallen war, sprang Gytha auf und eilte in die Halle. Sie. nahm den dicken Mantel, den sie auf einem Stuhl liegen gelassen hatte, und zog ihn an, noch bevor der Diener herbeieilen und ihr dabei helfen konnte,

»Sie gehen aus, Miss Gytha?« fragte er.

»Ich bin bei den Ställen, Harry«, erwiderte Gytha. »Wenn Großvater nach mir sucht, sagen Sie ihm, Sie wüßten nicht, wo ich sei.«

Harry, der schon seit vielen Jahren auf dem Herrensitz war, lächelte verschwörerisch.

»Sie können sich auf mich verlassen, Miss.«

Gytha war zu verwirrt, um ihm zuzulächeln. Sie wartete nur ungeduldig, daß er ihr die Haustür öffnete.

Rasch trat sie hinaus in die kalte Luft, die noch empfindlicher geworden war, nachdem die Sonne nicht mehr schien.

Gytha hatte das Gefühl, daß es etwas war, was sie jetzt unbedingt brauchte.

Sie lief über den kiesbedeckten Hof zur linken Hausecke, wo sich eine bogenförmiger Durchgang befand. Er führte zu den Ställen. Die Türen waren bereits geschlossen für die Nacht, doch Gytha verschaffte sich Zutritt.

Die Tiere, die sie so liebte, befanden sich alle in ihren Boxen. Einige zupften noch das Heu aus ihren Krippen, andere hatten sich schon auf der frischen Strohschütte niedergetan.

Abbey, der Stallmeister, achtete sorgfältig darauf, daß das Stroh täglich erneuert wurde.

Gytha betrat die Box eines ihrer Lieblingspferde: Dragonfly. Als sie seinen Nacken tätschelte, rieb der Hengst die Nase liebevoll an ihrer Schulter.

»O Dragonfly, was soll ich nur tun?« flüsterte sie. »Hilf mir, ich habe doch sonst niemanden, und ich will einfach keinen Mann heiraten, den ich nicht — liebe!«

Bei diesen Worten dachte sie daran, wie ungewöhnlich glücklich ihr Vater und ihre Mutter miteinander gewesen waren.

Nachdem ihr Vater gefallen war, schien es, als wären im Lehen ihrer Mutter alle Lichter erloschen. Nur noch Dunkelheit hatte sie umgeben.

»So wie Mama Vater geliebt hat, möchte ich einen Mann lieben, Dragonfly«, murmelte Gytha. »Und nur ihn werde ich heiraten!«

Das Tier stellte die Ohren auf, und sie wußte, daß es ihr zuhörte und sie verstand.

Dann vernahm sie Schritte im Gang.

Es war Hawkins, der ehemalige Bursche ihres Vaters. Er war mit ihr und ihrer Mutter ins Große Haus gezogen, nachdem der Krieg zu Ende gewesen war.

»Ich hörte sie kommen, Miss«, sagte Hawkins. »Gibt es etwas, was ich für Sie tun kann?«

Hawkins kannte Gytha seit sie zehn war. Und so wußte er längst, daß sie stets zu den Pferden kam, um sich von ihnen trösten zu lassen, wenn sie ein Problem hatte.

Doch im Augenblick konnte sie nicht einmal mit Hawkins über das sprechen, was sie beschäftigte.

Aber sie war sicher, daß er es längst wußte. Der Kammerdiener des Großvaters würde die Neuigkeit nicht für sich behalten haben. Und nicht nur Hawkins, der ganze Haushalt würde schon Bescheid wissen über das, was ihr solche Sorgen bereitete.

Hawkins betrat die Box, sah die Tränen auf ihren Wangen und sagte: »Nun regen Sie sich mal nicht auf, Miss Gytha. Ich warte schon den ganzen Tag darauf, um Ihnen sagen zu können, daß es morgen einen mächtigen Spaß für uns geben wird.«

»Einen Spaß?« gelang es Gytha zu fragen.

Gleichzeitig aber dachte sie daran, daß Vincent und Jonathan am Nachmittag des folgenden Tages auf dem Herrensitz eintreffen würden. Und das würde wohl kaum ein Spaß für sie werden.

»Zufällig hörte ich, daß morgen nebenan auf dem Gut Seiner Lordschaft ein Hindernisrennen stattfindet«, erwiderte Hawkins. »Wenn wir uns schon früh am Morgen wegstehlen, bekommen wir bestimmt einen Platz, von dem aus wir einen ausgezeichneten Blick auf den Kurs haben werden.«

Gytha war sofort Feuer und Flamme.

»Ein Hindernisrennen, Hawkins? Soll das heißen, Seine Lordschaft ist wieder zurück? Soviel ich weiß, war er doch im Ausland, nicht wahr?«

»Man sagt, er wäre wieder zu Hause«, antwortete Hawkins, »und das erste, was er macht, er arrangiert für seine Freunde aus London ein Hindernisrennen. Ist das nicht großartig! Und die Pferde müssen Sie sehen, mit denen die Gentlemen angekommen sind. Pferde, wie ich sie in diesem Teil des Landes noch nie angetroffen habe!«

»O Hawkins, woher wissen Sie das alles?«

»Hab ich heute zufällig im Grünen Mann gehört«, entgegnete Hawkins. »Ein Stallmann von Locke Hall kam rein und trank ein Bier am Tresen.« Er machte eine Pause, und als er Gythas Interesse sah, fuhr er fort:. »Spuckte große Töne, der Bursche, erzählte von den Partys in London und davon, daß Seine Lordschaft all die eleganten Herrschaften mit aufs Land gebracht hätte, die jetzt den Park und die Ställe unsicher machten.«

Gytha lachte.

»O Hawkins, wie aufregend! Und natürlich müssen wir uns das Hindernisrennen ansehen! Aber kein Wort darüber zur Dienerschaft! Sonst trägt Großvaters abscheulicher Kammerdiener ihm gleich wieder zu, was ich vorhabe, und ich muß zu Hause bleiben!«

»Aber, Miss, was denken Sie von mir! Diesem Mann würde ich nicht mal die Uhrzeit sagen, selbst wenn er mich danach fragen sollte.«

Wieder lachte Gytha.

Sie dachte an den erbitterten Streit, der schon ewig zwischen Großvaters langjährigem Diener und dem übrigen Haushalt herrschte.

Man hielt Sir Roberts Kammerdiener nämlich für einen ausgemachten Spitzel und Zuträger — und dies mit Recht.

Alles was im Haus geschah oder gesagt wurde, hinterbrachte er stets auf der Stelle seinem Herrn.

»Wissen Sie, was wir tun werden, Hawkins?« stieß Gytha aufgeregt hervor. »Wir sagen ganz einfach, wir machten unseren kurzen Ausritt wie an jedem Morgen und seien zum Luncheon wieder zurück.« Sie schaute ihn an und fügte hinzu: »Allerdings werden wir hungern müssen, wenn es Ihnen nicht gelingt, der Köchin ein paar Sandwiches abzuluchsen, ohne daß sie erfährt, was Sie damit vorhaben.«

»Überlassen Sie das nur mir, Miss Gytha«, erwiderte Hawkins. »Und ich gehe jede Wette mit Ihnen ein, daß Seine Lordschaft das Rennen haushoch gewinnen wird.«

»Natürlich gewinnt er das Rennen«, stimmte Gytha ihm zu. »Und es wird herrlich sein, ihn nieder einmal reiten zu sehen. Ich frage mich nur, ob er sich in den letzten zwei Jahren sehr stark verändert hat.«

»Älter wird er geworden sein«, meinte Hawkins, »aber der Stallbursche im Grünen Mann prahlte damit, daß er über alle Hindernisse setzen würde, ohne auch nur einen Fußbreit zu verschenken.«

Gytha seufzte glücklich. Sie erinnerte sich daran, wie sie Lord Locke das letzte Mal bei der Fuchsjagd erlebt hatte.

Sie hatte gedacht, daß es keinen besseren Reiter geben könnte als ihn. Er schien mit dem Pferd, das er ritt, regelrecht verwachsen zu sein.

Obwohl sein Anwesen an das des Großvaters angrenzte, war Gytha Seiner Lordschaft noch nie begegnet. Noch hatte er jemals seinen Fuß ins Große Haus gesetzt.

Ursache war ein langer, erbittert geführter Krieg wegen eines Grenzwaldes. Lord Lockes Vater hatte ihn für sich beansprucht, während Sir Robert behauptete, er gehöre ihm.

Beide Gentlemen hatten gegeneinander getobt und gewütet.

Dann schalteten sie ihre Anwälte ein, die zahlreiche alte Landkarten und Urkunden studierten. Aber auch die Fachleute fanden keine befriedigende Antwort auf die Besitzfrage.

Es endete damit, daß beide Männer sich anknurrten wie zwei zähnefletschende Hunde und danach alle gesellschaftlichen Kontakte zueinander abbrachen. Selbst wenn es um Grafschaftsangelegenheiten ging, mieden sie einander verbissen und hartnäckig.

Lord Lockes Familie lebte auf Locke Hall schon seit vielen Generationen. Die Sullivans waren erst später ins Land gekommen.

Lord Locke war der Schirmherr der Pferdeschau und mehrerer angesehener Wohltätigkeitseinrichtungen. Sir Robert war der Schirmherr der Landwirtschaftsschau und unterstützte die übrigen örtlichen Wohltätigkeitsvereine.

Die meisten Nachbarn gaben Lord Locke vor Sir Robert den Vorzug, obwohl einige glaubten, die Quadratur des Kreises finden zu können, und den Versuch unternahmen, sich mit beiden Gentlemen gutzustellen. Was zur Folge hatte, daß sie sich gewissermaßen zwischen die Stühle setzten.

Als der gegenwärtige Lord Locke in den Besitz des Titels gelangte und das Gut erbte, hatte er sich bereits einen Namen als Soldat gemacht.

Nach Kriegsende wurde er einer der gefeiertsten und begehrtesten jungen Männer in der Beau Monde. Er galt vor allem als hervorragender Reiter, was ihn automatisch zu einem Mann von Welt machte.

Er war ein bejubelter Schüler der »Gentleman Jackson's Boxing Academy« in der Bond Street. Außerdem war er ein ausgezeichneter Fechter, der sogar, wie man sich erzählte, zwei europäische Champions besiegt hatte.

Nicht zuletzt war er ein unbestrittener Meisterschütze, sowohl mit dem Gewehr auf der Vogeljagd als auch mit der Pistole beim Duell.

Es gab zahlreiche Geschichten über ihn, die nicht nur in der eigenen Dienerschaft, sondern auch in der von Sir Robert die Runde machten.

Seit Gytha denken konnte, war er für sie stets so etwas wie ein strahlender Held gewesen. Das Traurige daran war nur, daß sie ihm noch nie begegnet war.

Natürlich hatte sie ihn gesehen, allerdings nur von weitem. Aber das hatte genügt, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und ihn zum Inhalt ihrer Träume zu machen.

Daß er sich nach der Beendigung des Krieges zu einer Weltreise entschloß, war genau das, was sie von ihm erwartet hatte.

Es paßte jedenfalls besser zu ihm, als seine Zeit damit zu vergeuden, sich in den Boudoirs der Londoner Schönheiten herumzutreiben. Obwohl nicht auszuschließen war, daß er in gewisse Affären verwickelt zu sein schien.

Tatsächlich erzählten sich die Leute, daß er noch nicht die geringste Lust zum Heiraten verspüre. Im Gegenteil wollte er noch recht viele Jahre Junggeselle bleiben. Was den Glorienschein, der ihn in ihren Träumen umgab, nur noch heller erstrahlen ließ.

Und als einen Mann, der wie ihre beiden Cousins nur hinter dem Geld her war, konnte sie sich ihn einfach nicht vorstellen.

Erst recht hielt sie ihn nicht für einen Schmeichler und Speichellecker, der seine Zeit damit verbrachte, sich bei einem unleidigen alten Mann, wie ihr Großvater einer war, lieb Kind zu machen, weil er auf dessen Vermögen spekulierte.

»Nichts wird mich davon abhalten, dem Hindernisrennen zuzuschauen!« sagte Gytha jetzt zu Hawkins. »Wir werden zu der Anhöhe beim Mönchswald reiten. Von da aus kann man den ganzen Kurs übersehen.«

»Wie ich hörte, hat Seine Lordschaft eine Reihe von Veränderungen anbringen lassen, seit er wieder hier ist.«

»Welche Veränderungen?«

»Die Hindernisse sind jetzt noch höher und schwieriger als vorher.«

»Ich wünschte, ich könnte sie einmal ausprobieren«, seufzte Gytha.

Aber sie wußte, dieser Wunsch würde nie in Erfüllung gehen. Mochte sie Lord Locke auch noch so sehr bewundern und ihm beim Reiten zuschauen, es würde nie dazu kommen, daß sie ihm einmal begegnete.

Aber was machte es schon!

Der Gedanke an das. Hindernisrennen hatte ihre Traurigkeit und ihr Entsetzen über das, was ihr Großvater mit ihr vorhatte, vertrieben.

Als sie zum Haus zurückging, lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie dachte nicht mehr an sich, ihre Gedanken weilten bei Lord Locke.

Am nächsten Tag war der Himmel zu Gythas Freude völlig wolkenlos.

Der Reif, der die Wiesen bedeckte, als sie das erste Mal die Fenster geöffnet und nach draußen geschaut hatte, war den wärmenden Strahlen der Sonne gewichen.

Im Augenblick besaß sie wieder einmal keine Gouvernante. Die letzte hatte ihr Großvater fortgeschickt, als Gytha achtzehn geworden war.