2020 - Die Neue Erde - Jesus Urlauber - E-Book

2020 - Die Neue Erde E-Book

Jesus Urlauber

4,5

Beschreibung

Dies ist die unglaubliche Geschichte von Nathan, der eines schönen Sommertages in der Welt von 2020 landet. Dieses Buch liefert Eindrücke und Inspirationen, und gibt dem Leser die Möglichkeit in die Hand, sich aktiv an der Gestaltung einer neuen Erde zu beteiligen. Doch Nathan trifft auf seiner Reise nicht nur völlig reale Menschen aus dem Jahre 2020, sondern findet eine neue Wahrnehmungsform, und über all das sich selbst. Anschnallen und festhalten. JETZT gehts los!

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Seitenzahl: 190

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Vorwort

Ich erinnere mich an den Tag, an dem wir am Strand waren. Ein wirklich heißer Tag. Er ist, wo ich diese Worte schreibe, gerade mal zwei Wochen her, doch in diesen zwei Wochen hat sich mein Leben schon maßgeblich geändert.

Erst fiel uns nichts Besonderes auf. Dass Nathan mal etwas schweigsamer ist, ist nichts Ungewöhnliches. Er ist ein guter Beobachter und Zuhörer und redet bei weitem nicht so viel wie ich.

Dennoch war auf der Rückfahrt spürbar, dass ihn irgendetwas beschäftigte, und als er dann am Abend zuhause mit der Sprache heraus rückte, verschlug es uns allen die Selbe.

Dann erzählte er uns eine Geschichte, die keinen von uns kalt ließ.

Inzwischen bin ich in Wien und schreibe diese, Nathans, Geschichte, weil sie mich, auch, wenn ich immer noch nicht weiß, was ich davon halten soll, einfach selbst nicht mehr los lässt, zumal meine eigene Geschichte ein Teil der seinen ist. Nathan bat mich diese Geschichte für ihn aufzuschreiben, aber es ist SEINE. Er möchte gern anonym bleiben, hat selbst nicht einmal ein Konto bei Facebook, und nutzt das Internet insgesamt eher sehr vorsichtig. Im Moment skypen wir fast täglich und gleichen das Geschriebene regelmäßig ab. Nichts geht hier an die Öffentlichkeit, ohne dass es von ihm abgesegnet wurde und bestätigt, dass es genau SO war und nicht anders.

So unglaublich sie ist, und wir haben ihm ALLE erst einmal unterstellt, dass er am Strand “nur geträumt” habe, enthält sie doch sehr überzeugende Aspekte, und dass er sich das alles innerhalb weniger als einer halben Stunde, die er da gelegen hat, als wir im Wasser waren, ausgedacht hätte, halte ich für noch unglaubwürdiger als einen Traum. Aber auch der Traum relativiert sich angesichts der MASSE an Erinnerungen, die er an ihn hat.

Sollte es wirklich wahr sein? Hat mein Freund eine Zeitreise gemacht?

Ich bin mir wirklich nicht mehr sicher, ob sowas unmöglich ist, doch mein kleingeistiger Verstand bekommt es derzeit einfach nicht hin, zu GLAUBEN was Nathan erzählt.

Aus dem Grund habe ich mich entschieden dieses Buch zu schreiben, weil es für mich den einzigen Weg darstellt, es heraus zu finden. Und es werden lange fünf Jahre, um an den Punkt zu kommen, an dem wir alle es wissen werden.

Allerdings.. reichten zwei Wochen, um ersten Anhaltspunkten die Gelegenheit zu geben, sich gemäß seiner Angaben als wahr zu erweisen.

So hätte ich zum Beispiel vor zwei Wochen jedem mit 10 Fingern einen Vogel gezeigt, der mir gesagt hätte, dass ich heute in Wien sitzen werde. Und zwar genau so wie ich sie ihm gezeigt hab, als er das erwähnte.

Aber: ich sitze in Wien. Völlig unvorhersehbar, wenn auch im Nachhinein völlig erklär- und nachvollziehbar.

Ich gebe zu, dass ich aufgeregt bin und dieses Buch mit großer Spannung und wachsender Begeisterung schreibe. Da die in ihm enthaltenen Details der Reise seine Erzählung am ersten Abend doch sehr erweitern, sich aber bisher nicht im Geringsten widersprochen haben, erfahre ich selbst während des Schreibens immer weiter dazu.

Und so freue ich mich aufs Endprodukt, von dem er mir versichert, dass es Ende Juli 2015 fertig gestellt sei.

Ein Floh geht mir dabei nicht aus dem Kopf: Nathan, der seit diesem Tag wie ausgewechselt ist, hätte es dennoch weder früher noch heute nötig gehabt, irgendwem einen Bären aufzubinden. Und der humorvolle Ernst in seinen Augen und die RUHE in ihm sind definitiv neu und ungewohnt. Er hat meine Welt verändert, und ich selbst bin definitiv auch nicht mehr derselbe wie vor zwei Wochen.

Ich wünsche jedem Leser mindestens den gleichen Spaß mit diesem Buch, der mit gegönnt ist.

Ob die Geschichte wahr ist oder nicht spielt dabei keine Rolle.

Ich tendiere dazu, mir die Frage gar nicht erst zu stellen, sondern zu gucken, wozu sie uns inspirieren kann.

Wir seh‘n uns 2020!

Bauchi

(Jesus Urlauber)

„Überlege Dir

wie Du die Welt siehst,

denn so nimmst Du

sie wahr!“

Hochverehrtes Publikum!

Ich begrüße Dich an Bord der BRAINLINES.

Mein Name ist E. Kensington, ich bin Dein Kapitän.

Ich bitte Dich, eine entspannte Position einzunehmen

und das Denken einzustellen.

So kann ich für eine sichere Reise garantieren,

von der wir vielleicht nicht mehr zurückkommen.

Die Handlung der nun folgenden Geschichte

und alle handelnden Personen

sind nicht frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen

ist nicht zufällig!

Weckt irgendetwas Dein Interesse, könnte es lohnen,

im Internet ein wenig Recherche zu betreiben.

Dennoch ist alles reine Fiktion.

Dennoch ist alles völlig real.

Bevor Du anfängst zu lesen

erlaube Deinem Geist,

sich frei zu bewegen.

Bezüglich Risiken und Nebenwirkungen

vergiss, was Dein Arzt und Apotheker möglicherweise

sagen könnten.

Mach Deine EIGENEN Erfahrungen.

Ich wünsche eine angenehme Reise

in das Jahr

*

Es ist Juli und einer der heißesten Sommer, die wir je hatten. Die Sonne brennt unerbittlich auf unsere Köpfe nieder, doch das stört uns nicht. Ich bin mit ein paar Freunden am Strand, und so dicht am Wasser ist Hitze kein Problem. Sie ist eher eine Einladung, das kühle Nass ein ums andere Mal zu genießen und sich darüber zu freuen, dass wir die Zeit dazu haben. Ein stressfreier Urlaubstag, an dem die Welt in Ordnung scheint, und wir nicht die geringste Lust haben, das anders zu sehen. Ich schaue zu meinen Freunden hinüber, die gerade im Wasser spielen und sichtbar Spaß miteinander haben.

"Das Leben rockt!", denke ich, "wieso kann das nicht immer so sein?"

Ich schließe die Augen und lege mich zurück. "Gibs mir, Sonne.. Volle Ladung, bitte!"

Ein Weilchen später öffne ich die Augen wieder, immer noch lächelnd, weil eine kühle Brise meinen Körper streichelt. Ein wenig benommen setze ich mich wieder auf, suche nach meiner Wasserflasche und finde sie nicht. Meine Tasche ist weg! Und nach kurzer Zeit wird mir klar, dass meine Freunde auch nicht mehr da sind.

"Toller Witz", denke ich, und stehe auf. Suchend wandert mein Blick umher, und langsam wird mir klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Es sind nicht nur meine Freunde nicht mehr da, sondern es ist NIEMAND am Strand. Das ist selbst für diesen Strand, an den wir so gern fahren, weil die Touristen ihn nicht kennen, doch eher ungewöhnlich.

Nicht einmal die Mülltonnen sind noch da, wo ich eine halbe Stunde zuvor meine Bananenschale entsorgt habe. Und alles um mich herum ist so GRÜN!

Träume ich? Das ist nicht real!

Die Sonne brennt nach wie vor, und da mein Wasser verschollen bleibt, treibt es mich gerade noch einmal ins Meer. Ich gehe diesem Drang nach, vergesse für eine Sekunde meine Verwirrung, doch als ich den Strand und die Insel dahinter vom Meer aus sehe, durchfährt mich ein Schreck. Wo bin ich hier??

Ich erkenne die Umrisse der Berge, doch sie sehen völlig anders aus als eben. Das sonst im Sommer so karge Land ist grün. Ich sehe Wälder, die es auf dieser Insel seit Jahrhunderten nicht gegeben hat. Bin ich in der Vergangenheit? Habe ich eine Zeitreise gemacht? Nein, ich muss träumen. Aber alles ist so verwirrend real!

Langsam schwimme ich an den Strand zurück, obwohl mir das Wasser gerade mal bis zur Hüfte geht, bis ich den Meeresboden meinen Bauch kitzeln spüre. Wie ein Alligator liege ich da, rühre mich nicht, und meine Augen suchen die Umgebung ab. Ich weiß nicht einmal, wonach ich suche. Irgendetwas, irgendeinen Anhaltspunkt der mir erklärt, was ich hier gerade erlebe und wieder Klarheit in meinen definitiv verwirrten Kopf bringt. Ich fühle mich nicht schlecht, ich verspüre keine Angst, dennoch sind meine Sinne voll konzentriert.

Langsam stehe ich auf und gehe zu meinem Handtuch, das noch genauso da liegt, wie ich es eben verlassen habe. Achtsam hebe ich es auf, jederzeit darauf gefasst, dass irgendetwas damit passiert. Doch es passiert nichts. Es verhält sich wie jedes Handtuch, das man gerade aufhebt. Ich werfe es mir über die Schulter und gehe langsam in Richtung Parkplatz, wo ich hoffe, meine Freunde zu finden, obwohl ich langsam begreife, dass es sich nicht um einen Scherz von ihnen handeln kann. Den Parkplatz erkenne ich als solchen nicht wieder. Ich erkenne die Fläche, irgendwie, aber er ist überwachsen von Pflanzen. Mittendrin eine Lagerfeuerstelle. Ich gehe hin und überprüfe die Asche und verbrenne mich am Zeigefinger. Hier muss vor Kurzem jemand gewesen sein, denn die Asche glüht zum Teil noch.

"Hallo? Ist hier jemand? Haaallooo!", rufe ich erst zögerlich, dann so laut ich kann. Noch einmal: "HAAALLOOO!!!". Doch außer ein paar Vögeln, die zeternd aus den Bäumen ringsum vor mir und meinem Lärm Reißaus nehmen, reagiert niemand.

"Was zum Henker geht hier vor?", sage ich laut, und wie zur Antwort lacht auf einmal eine Möwe über mir. Doch es klingt nicht unheilvoll, es klingt einfach als wüsste sie etwas, das mir entgangen ist. Ich schau ihr nach, sie fliegt in Richtung Insel-Inneres, und ohne dass ich etwas hätte entscheiden müssen, setzen sich meine Beine in Bewegung. Langsam gehe ich ihr nach. Sie verschwindet aus meinem Blickfeld, und ich verlasse den "Parkplatz" über den Weg, auf dem wir ihn vor etwa einer Stunde erreicht haben. Doch auch der Weg ist anders als eben. Er ist noch da, aber wie alles um mich herum wesentlich bewachsener. Nach ein paar hundert Metern stelle ich fest, dass er nicht IRGENDWIE bewachsener ist, sondern alles um mich herum Früchte trägt. Vieles davon ist reif, vieles noch nicht, aber alles ist essbar! Ich halte vor einem Strauch voller dicker Brombeeren, aus dessen Mitte ein Feigenbaum wächst. Ich erinnere mich an meinen Durst und die Abwesenheit meiner Wasserflasche und erlaube mir, mich reichlich zu bedienen. Mein Gott schmeckt das! Der Saft der Früchte läuft mir wohltuend die Kehle hinunter, und für einen weiteren Moment vergesse ich alles um mich herum. Ich wusste nicht, dass Feigen so "saftig" sein können, doch sie sind es. Saftig und süß. Ein wenig verzaubert folge ich dem Weg weiter, dann bleibe ich wie angewurzelt stehen. Unweit von mir sehe ich einen Turm, ein Stahlgerüst mit einer Kuppel oben drauf. Ich habe so etwas schon gesehen, aber nicht in real sondern in Videos über Tesla-Technologie. Und ich sehe noch etwas: das alte, halb verfallene Haus, unweit des Weges auf dem wir hier her kamen, steht, in einer Entfernung von etwa 200 Metern vom Turm, gar nicht mehr so verfallen da. Es sieht ganz im Gegenteil toll aus, liebevoll hergerichtet, und es scheint bewohnt zu sein. Die Fensterläden sind geschlossen, doch ich sehe, dass die Terrassentür offen steht und ein weißer Vorhang sich im seichten Wind bewegt. Wie magisch angezogen, doch zögerlich, gehe ich darauf zu. Um mich herum blüht das Leben. Überall summen Insekten, zwitschern Vögel, zirpen Grillen wie im Wettstreit. Es ist regelrecht laut und gleichzeitig ruhig und harmonisch. Als ich auf der Terrasse stehe und gerade Luft hole, um "Hallo" zu rufen, kommt eine Frau aus dem Haus, sieht mich und strahlt mich an: "Hey, schön, dass Du da bist, magst Du eine Limonade mit mir trinken? Ich habe gerade welche gemacht!"

Sie winkt mich einladend zu einem Tisch, auf dem ein paar die Sonne reflektierende Gläser stehen, zu denen sie jetzt die Kanne stellt die sie in der Hand hält. Verunsichert und neugierig folge ich der Einladung und setze mich auf einen der Stühle.

"Wie darf ich Dich nennen?", fragt sie mich freundlich und ohne jede Scheu.

"Nathan", sage ich zurückhaltend, und schaue sie das erste Mal direkt an. Sie ist kaum älter als ich, hat schulterlanges, braunes Haar und eine Sanftmut in den Augen, die mir die Sprache verschlägt. Ich erkenne mich selbst nicht so ganz wieder. Wo ist der charmante Unterton in meiner Stimme, wo meine Wortgewandtheit, wo mein Selbstvertrauen? Normal bin ich nicht schüchtern, aber in diesem Moment, in dieser Situation, würde ich mich am liebsten in ein Mauseloch verkriechen. Was geht hier vor sich?

"Hallo, Nathan, es freut mich sehr, dass Du heute vorbei gekommen bist. Die anderen sind alle irgendwo unterwegs, und ich hab schon gedacht, ich muss hier allein sitzen und meine Limo genießen. Ich heiße Samira, und es freut mich sehr, Dich als Gast zu haben." Sie reicht mir ihre Hand, und ich erwidere den Gruß. Sie schenkt uns Limo ein und reicht mir ein Glas. Vergnügt und unbedarft schaut sie mir dabei in die Augen. Sie freut sich WIRKLICH über meinen Besuch. Die Limo schmeckt und löscht meinen Durst noch einmal völlig anders als die Beeren und Feigen zuvor. In einem Zug leere ich das Glas, und sie quietscht vor Vergnügen. "Das ist ein tolles Lob! Noch eins?" Ich japse nach Luft, während ich sie dankbar anschaue und ihr mein Glas hinhalte. Lachend schenkt sie nach, dann erst trinkt sie von ihrem eigenen.

Sie ist so schön wie sie da sitzt. Nicht wie eine Schönheitskönigin, nicht wie ein Model, sondern einfach schön. Innere Schönheit, die nach außen strahlt. Ich bin erneut wie verzaubert, vergesse jede mir beigebrachte Form von Höflichkeit und bekomme weiter kein Wort über die Lippen.

Lächelnd lehnt sie sich in ihrem Stuhl zurück und schließt genießerisch ihre Augen. Ihre Mundwinkel zucken ein wenig, und dann sagt sie:

"Du bist nicht von hier, oder?" "Naja", sage ich, "irgendwie schon. Aber ich weiß nicht, wo ich hier bin".

Erstaunt und interessiert öffnet sie ihre Augen und schaut tief in die meinen. Ich fahre fort: "Ich kenne die Insel und lebe schon seit ein paar Jahren hier, aber sie ist irgendwie völlig anders, als ich sie kenne. Kann es sein, dass ich träume?" - "Ich weiß nicht, was nimmst Du denn gerade wahr?"

Ich erzähle was seit eben passiert ist, und sie schaut mich verwundert, aber nicht verurteilend, an. Ihre Blicke sagen, dass sie mich ernst nimmt, und sie fragt mich, was denn gerade so anders sei als vorher.

"Irgendwie alles. Ich merke, dass ich immer noch auf der Insel bin, aber die Insel ist völlig anders. Das Erste was mir auffiel war, dass alles so üppig bewachsen ist, was ich hier vor allem im Sommer überhaupt nicht kenne, dann, dass die Mülleimer nicht da sind, dann, dass der Parkplatz und der Weg voller Grün und Essen ist, dann dieser Turm da hinten, und dann.. naja, wie soll ich sagen.. als ich vor ein, zwei Stunden hier her kam, war dieses Haus noch in einem desolaten Zustand. Ich hab mich mit meinen Freunden darüber unterhalten, wie schade das ist, und dass man es eigentlich einfach besetzen müsse, wenn sich niemand drum schere, und was man alles Tolles damit machen könne. Es ist einfach, als sei ich in einem Paralleluniversum, in dem alles ist, wie es sein sollte."

Nachdenklich, aber immer noch freundlich schaut sie mich an und dann rüber zum Turm. "Nathan.. welches Jahr haben wir?"- "Na, 2015", sage ich, "zumindest, soweit ich weiß". Sicher bin ich mir gerade über gar nichts. Überrascht schaut sie wieder zu mir. Einen kurzen Moment scheint sie zu überlegen, und dann sagt sie mit einer sanften Stimme, die mich wieder verzaubert: "Mein lieber Freund, entweder hast Du eine Amnesie, oder Du bist ein Zeitreisender. Aber hier, wo wir gerade sind, schreiben wir das Jahr 2020, wenn wir es denn noch tun, weil es eigentlich völlig uninteressant geworden ist", und vergnügt fügt sie hinzu, "was wäre Dir lieber?"

Völlig verdutzt durch diese Mischung aus Information, die man lieber nicht hätte, und ihrem Ausdruck von: 'Das ist überhaupt nichts Schlimmes, weder das eine noch das andere‘, suche ich nach einer Antwort.

"Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich weiß nicht, was passiert ist, und ich habe auch keine Ahnung, wie diese Insel sich in 5 Jahren so erheblich geändert haben kann. Ich würde, glaube ich, gern nach Hause, aber das sind etwa 20 Kilometer, die wir 'vorhin' mit dem Auto zurück gelegt haben, das ich nicht mehr finde. Vielleicht kann ich per Anhalter fahren."

Sichtlich vergnügt schaut sie mich an, und ich verstehe nicht so ganz, was an der ganzen Sache so spaßig sein soll. Mir ist gerade gar nicht nach Lachen zumute. Ich bin in höchstem Maße verwirrt.

"Vielleicht kann ich Dir ein wenig helfen", sagt sie, "in den letzten 5 Jahren hat sich nicht nur auf dieser Insel ganz erheblich etwas geändert, sondern auf der ganzen Erde. Ich weiß etwas über Dich, das Du nicht weißt, aber ich möchte Dir gerade den Spaß nicht nehmen, es selbst heraus zu finden. Aber so viel kann ich Dir erzählen, und dann sag ich Dir, wie Du nach Hause kommst. Einverstanden?" - "Ich schätze schon", antworte ich in Ermangelung einer Alternative. Neugierig und interessiert schaue ich sie an.

Samira lehnt sich im Stuhl zurück, atmet tief durch und fängt an zu erzählen: "Also: auch wenn Du das Jahr 2015 zur Hälfte schon erlebt hast, wenn Du sagst, es ist für Dich Mitte Juli, was soweit ich weiß gerade auch ist, hast Du noch nicht mitbekommen können, dass 2015 für sehr viele Menschen ein Jahr großer Veränderungen war. Vor allem die zweite Jahreshälfte war eine Zeit großen Wandels. Wie das im Genauen aussah, erzählen Dir mit Sicherheit in Kürze viele andere, also beschränke ich mich auf das Wesentliche, den Kern, das, was sich damals fast schlagartig zu ändern begonnen hat. Die politische Situation spitzte sich damals sehr dramatisch zu, und wir standen vor einem großen Krieg in Europa und der ganzen Welt. Doch zu viele Menschen hatten damals schon verstanden, dass es keinen Krieg geben wird, wenn wir alle keinen austragen. Immer mehr von uns begannen, die Vorgaben von oben zu ignorieren, den Gehorsam zu verweigern und SELBST die eigene Autorität zu sein.

Das Internet half uns damals dabei, uns grenzübergreifend zu organisieren. So konnten wir uns allen ebenseitig helfen, und wir begannen, jeder für sich aber keiner allein, das zu tun, was wir selbst für richtig und sinnvoll hielten. Und es begann auf allen Ebenen gleichzeitig. Eltern und Kinder taten sich zusammen und ließen die Schulpflicht einfach links liegen, viele gingen nicht mehr zur Arbeit, die Parks und Wälder waren auf einmal viel interessanter, die Lebewesen um uns herum gewannen wieder an persönlicher Bedeutung, wo wir vorher in persönlicher Abhängigkeit voneinander lebten, und das Wesen unserer Mitmenschen und vor allem der Tiere überhaupt nicht mehr wahrnehmen konnten. Mieter zahlten ihre Mieten nicht mehr, wodurch Vermieter nichts mehr an die Banken zurück geben konnten. Hochrangige Banker kündigten ihre Jobs und zeigten sich solidarisch, selbst Politiker sagten auf einmal Dinge, mit denen sie sich auch identifizieren konnten und traten von ihren Ämtern zurück.

Um es bildlich auszudrücken, haben die Menschen die Hierarchie-Pyramide einstürzen lassen. Es kam zu Unruhen, aber die waren nicht wirklich größer als die Unruhen davor. Sie wurden kompensiert durch eine Ruhe die auf einmal möglich war, weil immer weniger von uns dem Dauerstress des damaligen Systems ausgesetzt waren. Die gewonnene Zeit nutzten wir, um uns - weltweit vernetzt mit allen - über Alternativen auszutauschen, und wir hatten schnell herausgefunden, wie wir uns miteinander wesentlich besser helfen konnten als gegeneinander. Es mangelte ja tatsächlich an nichts, es war nur alles nicht verfügbar und durch das Regiment über das Geld sehr ungerecht verteilt. Irgendwann kamen dann auch die Mainstream-Medien nicht mehr umhin sich anzupassen. Das bis dahin explizit Problemorientierte Programm verschwand und machte Platz für wirklich inspirierende Lösungsansätze.

Und noch etwas sehr Entscheidendes änderte sich: Wir hörten fast automatisch auf, uns übereinander zu erheben und andere zu erniedrigen. Erst flüsterten es die Spatzen von den Dächern, und auf einmal war es einfach in aller Munde: wenn wir ständig nur das Negative sehen und uns mit den Unzulänglichkeiten und Schwächen und Fehlern anderer beschäftigen, leiden wir selbst darunter. In einer Gesellschaft, in der zu 90% getadelt und nur zu 10% gelobt wird, ist es fast logisch, dass das Leben keinen Spaß mehr macht. Alle fühlen sich unbeachtet, alle haben das Bedürfnis, über sich hinaus zu wachsen und allen fehlt es an Begeisterung, das zu tun. Wenn du Dein Bestes tust und trotzdem dafür überwiegend negatives Feedback bekommst, macht das Leben nun mal keinen Spaß. Und langsam wurde selbst den Langsamsten klar, dass das ausschließlich am allgemeinen Umgang miteinander lag, und jeder für sich jederzeit damit beginnen konnte, es anders zu tun. Also lebte es sich bereits gegen Ende 2015 für sehr viele Menschen sehr viel lebenswerter, weil SIE SELBST damit begannen, sich anders zu verhalten. Sie begannen, im Gegenüber das Schöne und Gute zu beachten und bekamen auf einmal selbst wieder Spaß am Leben, weil sie in der Folge keine von ihnen gestressten Menschen mehr um sich hatten, sondern MITMenschen, die sich in ihrer Gegenwart jetzt viel wohler fühlten. Und sie begannen auch, mehr zu loben als zu tadeln. Es war ja auch nicht wirklich schwer. Und so griff es wie ein Virus um sich. Vor allem, als gegen Ende des Jahres die Medien umschwenkten. Und so geschah etwas, was sich die Wenigsten bis dahin vorstellen konnten: Wir bekamen wieder Zugang zueinander."

Fasziniert höre ich zu. Ich MUSS träumen! Das kann doch nicht real sein. Zwischendurch kneife ich mir sogar heimlich in den Arm und zucke ein wenig zusammen, weil es weh tut. Auch mein Zeigefinger erinnert mich an das völlig reale Erlebnis an der Lagerfeuerstelle. Samira nimmt einen Schluck aus ihrem Glas, und auch ich muss etwas trinken. Ich kann nicht genau definieren, ob ich meine trockene Kehle der Hitze oder der Situation zu verdanken habe.

"Ich glaube, ich habe genug geredet. Du sagtest, Du möchtest gern nach Hause. Da hinten müsste noch ein Fahrrad stehen, Du kannst aber gern auch noch ein wenig warten. Ich hab das Gefühl, dass Manuel gleich hier her kommt, der wird sich freuen, Dich mit dem Auto zu fahren und Dir auf der Fahrt mehr zu erzählen."

Ich schweige einen Moment. Dann fällt mein Blick wieder auf diesen Turm, der mich die ganze Zeit schon irgendwie fasziniert. "Was ist das für ein Turm?", frage ich. Doch bevor sie antworten kann, biegt ein Auto in die Zufahrt ein und kommt mit schnellem Tempo auf uns zu. Und zwar völlig lautlos.

"Na, was hab ich gesagt?", jubelt Samira, "das ist Manuel. Komm, wir gehen ihn begrüßen!" Ich habe Schwierigkeiten ihr zu folgen, so schnell ist sie bei ihm. Sie fällt ihm um den Hals und begrüßt ihn mit einem innigen Kuss. 'Also ihr Freund, oder Mann' denke ich, und gehe automatisch noch einen Schritt langsamer. Dann lösen sich die beiden aus ihrer Umarmung, und Samira dreht sich zu mir um: "Manuel, das ist Nathan, Nathan, das ist Manuel. Nathan ist hier gerade vorbei gekommen und hat Limo mit mir getrunken. Und mir eine sehr interessante Geschichte erzählt." Mit einem freundlich breiten Grinsen kommt Manuel auf mich zu und begrüßt mich mit einer Umarmung, der ich mich nicht widersetzen kann.. und gerade auch nicht möchte. Seine freundliche Ausstrahlung gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. "Willkommen, Amigo", sagt er, "schön, Dich kennen zu lernen. Du siehst ein wenig durch den Wind aus.. alles in Ordnung bei Dir?"