21 Jahre - Nikki Sixx - E-Book

21 Jahre E-Book

Nikki Sixx

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Beschreibung

Nikki Sixx: vom Landei zum Rockstar Über seine Zeit mit den Skandalrockern von Mötley Cüre und sein drogengeschwängertes Leben danach berichtete Nikki Sixx bereits in den erfolgreichen Rock-Biografien The Dirt und The Heroin Diaries. Jetzt geht er in seinen Erinnerungen ein Stück weiter zurück und blickt auf die ersten 21 Jahre seines Lebens: auf die Zeit, als er noch nicht Nikki Sixx, sondern Franklin Carlton Feranna war. Der kleine Frankie wuchs in ungeordneten Verhältnissen auf: Der Vater verließ die Familie früh, seine Mutter kämpfte mit ihren eigenen Dämonen und gab den Jungen oft bei seinen Großeltern ab, die als Arbeiter von Farm zu Farm und von Staat zu Staat zogen. Es war ein ländliches Leben, bei dem Jungs angelten oder jagten, sich für Sport begeisterten und den Mädchen hinterherguckten - ein Leben, von dem Frank schon früh wusste, dass es ihm nicht reichte. Für ihn wurde der Glamrock der Siebziger zum Fluchtweg aus dem familiären Beziehungschaos und der provinziellen Enge. Noch als Teenager stieg er in einen Greyhound-Bus und fuhr nach Hollywood. Für kurze Zeit kam Frank bei seinem Onkel unter, der, wie es der Zufall wollte, in der Musikindustrie arbeitete. Und nachdem ihm diese Verbindung am Ende nicht viel mehr als einen Stapel Platten von The Sweet einbrachte, biss er sich allein weiter durch: In 21 Jahre erzählt er pointiert und selbstironisch von seiner Odyssee auf dem Weg zum Ruhm, von versifften Kellern, kleinen Betrügereien, geklauten Instrumenten und miesen Jobs. Wie ein moderner Huckleberry Finn tingelt er durch eine Welt des schönen Scheins und erweist sich als scharfsichtiger Beobachter der Szene in Los Angeles. Viele spätere Rockstars kreuzen dabei seinen Weg, von Blackie Lawless bis Randy Rhoads, während er sein Ziel stets im Blick behält: eine Band, die das Beste aus Punk, Glam und Hardrock kombiniert und eine Bombenshow abliefert. Wie dabei aus dem Provinzjungen Frank Feranna der Rockstar Nikki Sixx wird, ist eine faszinierende Neuerzählung des uralten amerikanischen Traums - und der wahrhaftige Beweis, dass man alle Widerstände überwinden kann, wenn man nur fest genug daran glaubt.

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Nikki Sixx

21 JAHRE

Wie ich Nikki Sixx wurde

von Frank Feranna und Nikki Sixx

Aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Schiffmann

www.hannibal-verlag.de

Außerdem von Nikki Sixx

The Dirt – Sie wollten Sex, Drugs & Rock’n’Roll

mit Vince Neil, Tommy Lee, Mick Mars und Neil Strauss

Tagebuch eines Heroinsüchtigen:

365 höllische Tage im Leben eines Rockstars

Leben heißt Leiden: Fotografie. Musik. Kunst.

Widmung

Dieses Buch ist für meine Familie,

damit ihr mein Herz, meine Hingabe,

meine Lebenslust und Liebe für euch

besser versteht.

Impressum

Deutsche Erstausgabe 2022

© 2022 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-730-5

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-729-9

Titel der Originalausgabe: The First 21 – How I Became Nikki Sixx

Copyright © 2021 by Nikki Sixx

Publiziert von Hachette Books, einem Imprint von Perseus Books, LLC, ein Tochterunternehmen der Hachette Book Group,1290 Avenue of the Americas, New York, NY 10104, USA

ISBN 978-0-306923708

Cover © 2021 Hachette Book Group, Inc.

Coverdesign: Richard Ljoenes

Cover Fotos: Nikki in 1989 © Koh Hasebe/Shinko Music/Getty Images; concert flyer from the collection of Max and Sherri Mazursky; Frank Feranna at seventeen or eighteen and Frank on Christmas Eve 1978 © Angie Diehl; vinyl record © Shutterstock; alle anderen Fotos mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Grafischer Satz in deutscher Sprache: Thomas Auer

Übersetzung: Andreas Schiffmann

Deutsches Lektorat: Alan Tepper und Thomas Wachter

Korrektorat: Thomas Wachter

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

1. Die Stadiontour

2. Snake River

3. Bloß Kids

4. Nona und Tom

Bilderstrecke 1

5. Twin Falls

6. Jerome

7. Mc Cleary‘s

8. Seattle

9. Teenage Wasteland

10. Diamond Dogs

11. Zurück auf der Farm

12. Los Angeles

13. Eruption

14. London Calling

15. Vom Spotlight ins Rampenlicht

Bilderstrecke 2

16. Nikki Nine

17. Niki Syxx

18. Nigel

19. Das Starwood

20. Ein neues Ungetüm

21. Bleib bei deinen Leisten

Danksagungen

Fotonachweise

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1. Die Stadiontour

Frühling in Los Angeles bei etwas über 20°C, und mein Agent Dennis Arfa hatte mich zu einem Baseballspiel mitgenommen. Die Dodgers waren im siebten Inning. Dennis futterte seinen zweiten Hotdog und konnte kein Wässerchen trüben, also fragte ich ihn naturgemäß im höhnischsten Tonfall, den ich annehmen konnte: „Warum haben wir nie im Dodger Stadium gespielt?“

Ich arbeite seit vielen Jahren mit Dennis, und er kennt die Orte, an denen wir gespielt haben genauso gut wie wir selbst: Budokan, Wembley, Red Rocks, Madison Square Garden. Mötley Crüe waren Vorgruppe der Rolling Stones. Wir haben jede Freiluftarena vollgepackt, für die wir gebucht wurden, und standen bei Open-Air-Festivals auf der ganzen Welt als Headliner auf der Bühne. In Los Angeles machten wir den Hollywood Bowl voll und verkauften das Staples Center aus. Aber das Dodger Stadium? Ich hatte nur einmal einen Fuß aufs Feld gesetzt, und zwar für einen feierlichen ersten Wurf.

„Ich schätze, das liegt daran, dass ihr auf die schlaue Idee gekommen seid, die Band aufzulösen.“

Wir prusteten beide vor Lachen.

„Falls ihr es euch irgendwann anders überlegt“, fuhr Dennis fort, „ruft mich einfach an.“

Wenige Stunden später weckte ich meine Ehefrau.

„Sollten wir je wieder zusammenkommen, werden wir im Dodger Stadium spielen.“

Courtney ist daran gewöhnt, dass ich sie nach Mitternacht wecke. Meistens sieht sie es mir nach. Diesmal sagte sie: „Aber Schatz, die Band hat einen Vertrag unterschrieben.“

Das stimmte. Ein paar Jahre zuvor hatten Mötley Crüe eine „Tournee-Unterlassung“ unterzeichnet – und Courtney weiß, dass ich ein Mann bin, der sein Wort hält. Allerdings bin ich auch jemand, der sich von seinen Leidenschaften leiten lässt.

„Ich denk mir was aus“, erwiderte ich.

Zu der Zeit arbeitete ich an TheDirt, der Filmadaption des Buchs über Mötley. Es war ein Bestseller gewesen, und bislang sah es so aus, dass der Streifen besser ausfallen würde, als irgendjemand von uns hätte ahnen können. Tommy wurde von Machine Gun Kelly gespielt, ein englischer Schauspieler namens Douglas Booth übernahm meine Rolle. Er gab also seinen besten Nikki Sixx, während der echte Nikki Sixx Meetings mit Live Nation, Apple, Spotify, Radiosendern und Social-Media-Plattformen abhielt, um den Film zu promoten. Ich zeigte dabei Ausschnitte, teilte einige meiner eigenen Erinnerungen und spielte einen neuen Song, den ich geschrieben hatte.

Genau genommen hatte ich mehrere neue Songs – gut ausformulierte Ideen, die ich alle aufregend fand. Ich war mit dem Gitarristen John 5 zugange gewesen, der mit jedem von k.d. lang über Marilyn Manson bis zu Rob Zombie gearbeitet hatte, sowie mit dem Sänger Sahaj Ticotin, der einen Rekord aufgestellte hatte, da er Töne länger halten kann als jeder andere Mann. Wir hatten ein paar Demos aufgenommen, und ich hatte sie alle Bob Rock vorgespielt, der 1989 mitverantwortlich war für Mötleys Crües größtes Album Dr. Feelgood. Kaum zu fassen, dass seitdem 30 Jahre vergangen sind, doch beim Hören der Tracks meinte Bob: „Die klingen wie klassische Crüe-Nummern.“ Derjenige, die ich für den Abspann komponiert hatte, erinnerte ihn an „Kickstart My Heart“ – Riesenlob vom Produzenten des Originals.

„Wir haben die Songs“, sagte ich zu Courtney.

Die Songs – die Musik ist der Ausgangspunkt. Ohne sie keine Clubtourneen, keine Hallentouren. Keine Arenen und keine Privatjets, um die Arenen anzufliegen. Ohne Musik kein Geld, keine Platinauszeichnungen zum Tapezieren von Studiowänden. Mötley hätten nichts von der Liebe, dem Hass, dem Tod und der Zerstörung erlebt, die mit dem Lifestyle einhergehen. Wir vier zusammen kommen auf 160 Jahre voller Erfahrungen, von denen wir zehren können. Wäre dies ein VH1-Special, würden wir einstimmig sagen: „Einige der schönsten, die wir je gemacht haben! Einige der schlimmsten! Und nicht viele, die wir bereuen!“

Wir alle würden die Wahrheit sagen. Als kleiner Junge malte ich Bands auf meine Schreibblöcke. Vier einander ergänzende Charaktere mit Superheldenfähigkeiten an Schlagzeug, Bass, Gitarre und Mikro. Diese Typen sahen immer cool aus, hatten immer die besten Songs, die sie auch gut spielten, und aussagekräftige Texte. Im Kopf baute ich ein neues Ungetüm.

Jene Bands waren Mötley im Embryonalstadium. Ich musste lediglich nach Los Angeles ziehen, das Bassspielen lernen und drei andere Musiker finden, die die Welt so sahen wie ich. Letztendlich ist genau das passiert. Natürlich erforderte es tonnenweise Schwerstarbeit und dabei nicht nur die naheliegende. Abgesehen vom Komponieren, Proben, der Arbeit an unserem Look und der Bühnenshow sowie dem Spielen – spielen, spielen, spielen – gab es ständig Anfragen und Verpflichtungen gegenüber der Musikindustrie: Vergnügungsreisen, Interviews mit Journalisten, die unseren Alkohol soffen und unsere Drogen nahmen, uns dann aber in den Rücken fielen und in ihren Magazinen verrissen. Wir mussten uns als Band jahrelang therapieren lassen, um zusammenzubleiben und uns all die Gründe vor Augen zu halten, die wir zum Weitermachen hatten.

Ich besaß aber auch meine eigene Familie, um die ich mich kümmern musste. Zu der Zeit war Courtney schwanger. Unsere Tochter Ruby sollte im Juli zur Welt kommen. Touren ist nicht gerade leicht, wenn man kleine Kinder zu Hause hat. Im Lauf der Jahre habe ich mehr Ferien versäumt, als ich zählen kann. Ich verpasste auch Geburtstage. Es gab Elternabende, die ich besuchen wollte, doch du kannst nicht von Japan nach Hause fliegen, wenn der Rest der Band unterwegs nach Australien ist.

Wenn Courtney nicht wollte, dass ich verreise, konnte ich ihr das nicht verübeln. Bat sie mich, zu bleiben, blieb ich auch. Bat sie mich nicht, zu bleiben, fühlte ich mich gekränkt. Nun, da ich das Thema allerdings zur Sprache gebracht hatte, wussten wir beide, dass ich nicht aufhören würde, darüber nachzudenken.

„Ihr habt die Songs“, bestätigte Courtney, ehe sie sich wieder ihren süßen, rätselhaften Träumen hingab.

* * *

„Live Wire“, „Looks That Kill“, „Shout At The Devil“. Die Songs haben uns zu einer Hit-Band gemacht. Sie sind das, wonach sich das Publikum sehnt und was es hören will. Das Publikum macht einen Großteil des Ungetüms aus, das wir geschaffen haben, und obwohl wir sehr gerne weniger bekannte Sachen, Coverversionen oder gerade erst geschriebene Songs zum Besten geben, kriegt das Ungetüm die rohen Fleischbrocken, die es braucht.

Der neue Kram ist wichtig. Ohne ihn würden wir auf der Stelle treten und zu einer Cover-Kapelle verkommen: Mötley Crüe, die Mötley Crüe nachspielen.

Er ist genauso wichtig wie die Fähigkeit, weiterhin Hits zu komponieren. Wir spüren immer noch, wenn sich einer anbahnt, und sind dieselbe Band wie damals am ersten Tag. Dieselben vier Typen. Älter und pfiffiger, nicht mehr hungernd und trotzdem schlank, tüchtig und fünfzehntausend Mal klüger als früher. Mal waren wir so schlau, weiterzumachen, ein andermal wussten wir, dass Aufhören besser war.

Eine Lektion lernten wir ganz früh: In Grass Valley in Nevada waren wir zu einer Radiosendung eingeladen. Es handelte sich um unseren ersten Auftritt im Radio, doch als wir später am selben Tag in einem Plattenladen Autogramme geben sollten, kam niemand. Wir standen dort, durchstöberten das Angebot und taten so, als würden wir einkaufen. Drei Typen mit blauschwarzen Haaren, einer mit gebleichten, und wir kauften rein zufällig Schallplatten. Wenige Stunden zuvor waren wir unheimlich aufgeregt gewesen, jetzt kannte uns niemand. Wir wollten nicht so gesehen werden, wie wir da rumstanden, mit den Füßen scharrten und enttäuscht dreinschauten. Beim Hinausgehen bemerkten wir einen cool aussehenden Langhaarigen.

Ich dachte: „Oh, noch ein Musiker!“

„Hey, wie geht’s?“, fragte ich.

„Bestens, und dir?“

„Bist du in ’ner Band? Ich auch!“

Der Kerl nickte.

„Welche Band?“, wollte ich wissen.

„Supertramp.“

Ich war Supertramp-Fan. Einige ihrer Songs liebte ich, doch bevor ich weitere Fragen stellen konnte, sagte der Kerl die eine Sache, die man normalerweise nicht von einer alten Band hören möchte, die man mag: „Wir haben gerade zwei neue Stücke aufgenommen.“

„Oh! Das ist toll“. Ich war deswegen nicht zynisch.

„Ja“, fuhr er fort. „Wir sprechen nie miteinander. Die Mitglieder wohnen alle an verschiedenen Orten. Einer von uns in England, ein anderer in Florida. Ich lebe hier, also haben wir die 24-Spur-Parts aufgenommen und uns gegenseitig zugeschickt.

„Ihr habt sie nicht gemeinsam gespielt?

„Wir haben uns überhaupt nie getroffen. Ich habe mich kein einziges Mal mit ihnen unterhalten.“

Die Jungs und ich kehrten verwirrt zum Van zurück.

„Ihr müsst versprechen, dass uns das nie passieren wird.“

„Auf keinen Fall, Alter. Wir bleiben ein Leben lang Brüder.“

Doch siehe da, als wir neue Tracks für unser Album Greatest Hits aufnahmen, sprachen wir auch nicht miteinander. Auch beim Schreiben an TheDirt tauschten wir uns nicht aus. Nicht einmal die Parts der jeweils anderen schauten wir uns an, bis das ganze Ding zusammengeschnitten war.

Das hätte auf der Bühne nicht so gut funktioniert.

Die Risse zu übertünchen, die sich nach fünf oder zehn Jahren aufgetan hatten – und zu dem Zeitpunkt existierten wir seit über 20 –, war für uns unmöglich geworden.

Wenn man jung ist, kann man verkatert oder in denselben Klamotten wie schon die ganze Woche aufkreuzen und sieht trotzdem irgendwie gut aus. Du machst was her in deiner engen Hose, mit hochhackigen Schuhen und dem ganzen Haar. Dann wachst du eines Tages auf, und alles kostet mehr Mühe. Du magst dich musikalisch stark verbessert haben, wohingegen es körperlich anstrengender geworden ist. Auf Tour zu gehen ist anstrengend. Auf Tour zu bleiben ist anstrengend. Auf der Bühne fühlst du dich wie immer, doch es dauert jedes Mal länger, dich davon zu erholen, und der Umgang mit den anderen Jungs kann nerven.

Auf jede Rockband, der es gelingt, diesen Punkt zu überwinden, kommen vermutlich Tausende, die es nicht schaffen. Wir haben es wohl deshalb geschafft, weil zwischen uns auf mehreren wichtigen Ebenen ein genau ausgewogenes Gleichgewicht herrschte. Dennoch gab es sicherlich Zeiten, in denen ich nicht auf unser langfristiges Überleben gewettet hätte.

Tommy ist ein extrem getriebener Mensch. Wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen, ist das von unschätzbarem Wert.

Mick interessiert sich für nichts als seine Parts und seinen Ton. Ihm sind Pyros, Kostüme, die Bühnenshow und alles weitere egal – ihm geht es nur um seine Gitarre. Er spielt so laut, dass wir alle Hörschäden haben. So war Mick schon, als wir ihn kennenlernten, und so ist er auch heute noch.

Vince ist ein Maschinengewehr. Er kommt hereingeschneit. Er macht sein Ding, und zwar üblicherweise zu 200 Prozent genau. Dann zieht er alleine los wie ein Wolf oder einsamer Samurai.

Daraus ergibt sich oft genug eine funktionierende Einheit. Sind wir uns einig, sind wir ehrgeizig, leidenschaftlich und sehr fokussiert: „Das ist das, was unser Wesen ausmacht. Es ist das, wozu wir geboren wurden. Das, was die Leute von uns wollen, und die Art, unser Soll zu erfüllen.“ Wenn sich Tommy und ich aber nicht auf Augenhöhe begegnen, Mick passiv ist, Vince keinen Bock hat und ich Flausen im Kopf hab, die uns alle in den Wahnsinn treiben, braucht man mehr als Blumen oder Pralinen, um uns zurück in die Spur zu bringen.

Historisch betrachtet ist die Kommunikation eines der Probleme, das wir hatten. Ich bestand schon früh darauf, ganze Bühnenprogramme zu proben, sie umgekehrt von der Zugabe an und dann wieder von vorne zu spielen, unsere Intros auszuarbeiten, jeden Song herunterzubrechen, neu zusammenzusetzen und dann noch einmal auseinanderzunehmen. Es war erbarmungslos. Den anderen könnte es albern und redundant vorgekommen sein, zumal wir es sieben Tage die Woche so machten. Der einzige Weg raus aus diesem Teufelskreis war ein Gig, doch der einzige Weg zu einem Gig führte über neue Musik oder ein neues Lied. Wenn wir dann neue Lieder hatten, bedeutete dies, einen Gig im Whisky, Starwood oder Troubadour zu buchen, beziehungsweise an der Westküste zu touren. Die Band musste beschäftigt und konzentriert bleiben, und ich konzentrierte mich immerzu voll auf sie. Ich war besessen. Besessenheit war das Einzige, was man brauchte, um großartig zu werden, sich zu wappnen und zu wissen, dass wir es mit den großen Fischen aufnehmen konnten. Sie machte mich aber nicht zum umgänglichsten Menschen.

Mit mir ist es nicht immer ein Zuckerschlecken, und während wir älter geworden sind, haben einige der anderen Jungs eine Einstellung à la „Kollege, schreib mir nicht vor, was ich tun soll“ angenommen.

Das ist eine gute Sache. Als wir jünger waren, kochten sie nur innerlich und lästerten hinter meinem Rücken, was ich zehn oder 20 Jahre lang ignorierte, bis alles bei der Bandtherapie hochkam.

Meistens sind wir darüber hinweggekommen. Manchmal stürmte ich wütend davon, doch dann fiel mir wieder ein, wie das Leben vor Mötley war.

An Punk-Abenden allein ins Starwood gehen. Ich trug meine hochhackigen Schuhe, und wenn eine Band wie Fear spielte, plärrte mich jemand an: „Du bist eine Schwuchtel!“ Oder ich wurde angespuckt, woraufhin ich mein Glas geschmissen habe – also nicht das Getränk darin verspritzte, sondern wirklich mit dem Glas warf. Die Person hatte dann eine Platzwunde an der Stirn, woraufhin ich Prügel einsteckte und aus dem Club gekickt wurde.

Die anderen in der Band waren genauso. Wenn man uns in einen Raum sperrte, kämpften wir wie blöde. Vince und Tommy gingen sich an die Gurgel, und ich kam dazwischen, um sie voneinander zu trennen, sodass wir am Ende alle Veilchen hatten – außer Mick, der bloß kopfschüttelnd zuschaute. Draußen in freier Wildbahn waren wir jedoch anders, eine vereinte Front. Einmal nach einer langen Nacht, in der wir gesoffen hatten, bot uns ein Kerl mit einem Fu-Manchu-Schnurrbart Amylnitrit an. Ich war zu fertig, um es zu probieren, aber Tommy und Vince taten es, und prompt ging der Streit los. Ich ging hin, um sie voneinander loszumachen, und während wir rauften, kamen vier oder fünf Mann zu uns herüber. „Hey, was zum Geier treibt ihr da?“, fragten sie.

Wir drehten uns um und stürzten uns auf sie. Nachdem wir sie vermöbelt hatten, machten Tommy und Vince mit ihrer Kabbelei weiter. Als sie fix und alle waren, gingen wir auf den Parkplatz und tranken gemeinsam eine Flasche Jack Daniels.

Das waren Mötley Crüe, wenn sie miteinander kommunizierten.

Nicht die am besten funktionierende Band der Welt, aber trotzdem funktionsfähig, wenn es darauf ankam. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von TheDirt befanden wir uns wieder in einer guten Situation. 73 Millionen Menschen sahen den Film. Wir hatten jene neuen Songs abermals mit Bob Rock auf dem Produzentensessel im Studio aufgenommen, und sie klangen wirklich nach Mötley Crüe.

Ich war in L.A. herumgefahren, um sie wiederholt zu hören und Fehler auszumachen.

Nachdem ich das eine Woche lang getan hatte, gelangte ich zu dem Schluss: „Die Nummern haben Hand und Fuß.“

Anschließend rief ich Tommy an.

„Verdreh ruhig die Augen“, sagte ich, „doch kommt es dir nicht so vor, als ob etwas fehlen würde?“

„Was denn?“

„Touren zum Beispiel.“

„Aber haben wir nicht versprochen, nicht mehr zu touren?“

„Ich weiß, ich weiß.“

Ihn davon zu überzeugen, dass Versprechen manchmal gebrochen werden müssen, dauerte eine Weile. Es gab eine Möglichkeit, uns von dem unterschriebenen Vertrag loszumachen – aber nur, wenn wir uns alle vier darauf einigten. Falls wir nicht alle mitzogen, konnte es niemand alleine tun.

„Nikki, wir haben überall erzählt, wir seien mit dem Touren fertig“, bemerkte Vince.

„Ich weiß, ich weiß.“

Wir überredeten ihn zu einem Meeting. Auch Mick war neugierig. Wir hatten mit unserem Manager, Partner und Label-Chef Allen Kovac gesprochen, der wiederum schon seinerseits ein paar Anrufe getätigt hatte. Allen Kovac ist ein Genie. Er half uns dabei, unsere Masterbänder von Elektra zurückzuerlangen, begleitet uns seit 27 Jahren und managt nicht nur die Band, sondern auch mich persönlich. Und während all der Jahre haben wir immer nur auf Handschlag zusammengearbeitet.

Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. Vielleicht sogar meine Frau.

„Falls ihr es ernst meint“, sagte Allen uns, „Live Nation haben reges Interesse gezeigt.“

Nun war es an der Zeit, wieder mit Dennis zu reden.

„Der Film ist spannend“, meinte ich zu ihm, „aber hätte er die gleiche Zugkraft, wenn wir wieder touren würden? Wir haben etliche Arenatourneen hinter uns. Falls wir das tun würden, was wäre anders?“

„Live Nation wollen keine Arenatournee, sondern dass ihr in Stadien auftretet.“

„Heißt das, im Dodger Stadium?“

Da lachte Dennis und bejahte. „Bist du nicht froh darüber, dass wir zu dem Baseballspiel gegangen sind?

* * *

2019 konnten nur wenige Gitarrenbands Stadien füllen, geschweige denn auf eine Stadiontournee gehen. U2. Radiohead. Springsteen und die E Street Band wären in ihrer Hochphase vermutlich imstande gewesen, den Staat New Jersey auszuverkaufen, doch hätten sie flächendeckend so viele Leute gezogen wie Taylor Swift oder Beyoncé? Ich bin mir nicht so sicher. Die Clubs, in denen wir angefangen hatten, waren für ein paar Hundert Nasen gedacht. Schauspielhäuser fassten mehrere Tausend, und Arenen weitere Tausend mehr (der Madison Square Garden ist ein klasse Veranstaltungsort und fasst ungefähr 20.000). Als nächstes kamen die Freilichtbühnen: Kapazitäten zwischen 15.000 und 30.000. Stadien, die dort anknüpfen und bis zu dreimal so groß sein können, sind allerdings immer der Heilige Gral gewesen.

Es war ambitioniert. Jedes Mal aber, wenn ich „Rock ist tot“ oder „Gitarrenbands sind tot“ höre, entzündet das lediglich ein Feuer. Technik hat ihren berechtigten Platz, aber ich mag keinen Rock’n’Roll, der am Laptop entsteht. Mir gefällt die Vorstellung nicht, Loops per Drag & Drop zu bewegen, dieses Hook zu verschieben oder jenen Part aufzutrennen und sie woanders zu platzieren. Je älter ich werde, desto mehr stehe ich auf in einem Rutsch aufgenommene Performances. Ich möchte die Fehler beibehalten, weitermachen und ungeschönt sein. Courtney hört ständig von mir: „Ich will ein Album machen wie die ersten von Led Zeppelin oder Aerosmith. Die Songs schreiben, in irgendeinen beschissenen Proberaum gehen, beschissene Pizza essen, alles aufnehmen, abmischen und veröffentlichen.“ Ich bin niemand, der es gern langsam angehen lässt – ich glaube nicht, dass etwas besser klingt als echte Gitarren, echte Drums und ein echter Bass in echten Songs mit einer Geschichte, die von Chuck Berry zu Little Richard und von Aerosmith zu AC/DC reicht. Da ich vor Millionen Menschen gespielt habe, weiß ich, dass Millionen genauso empfinden.

Im Großen und Ganzen bedurfte es mehrerer Bandmeetings – doch 100 Millionen US-Dollar können ein sehr überzeugendes Angebot sein.

Die Mitglieder von Def Leppard sind alle gute Freunde von uns. Sie kamen auf uns zu und meinten: „Keine Frage, wir wollen das mit euch machen.“ Danach überlegten wir nicht mehr, mit welchen Acts wir als Vorgruppen losziehen könnten. Eine Menge Leute hatten Dollarzeichen in den Augen. Wir waren vielmehr darauf aus, eine Party zu schmeißen. Eine weltweite Feier für uns und die Fans.

Zu Anfang fragten wir David Lee Roth.

„Ich spiele nicht vor Bands, die ich beeinflusst habe“, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Mann, du wirst vor 80.000 Zuschauern auftreten! Wann hat David Lee Roth zum letzten Mal vor einem so großen Publikum gesungen?“

Wir waren alle große Fans von ihm. Van Halen liebten wir seit je. Sie hatten uns offensichtlich beeinflusst – wen nicht? Dennoch passte David.

Joan Jett stand auf unserer Liste gleich darunter. Wir hielten große Stücke auf sie, weil wir ihre Lieder mochten, aber auch deshalb, weil die Zusammenarbeit und der Umgang mit ihr immer ein Vergnügen gewesen war. Dankenswerterweise zierte sie sich nicht. Nun belief sich das Programm auf uns, Joan Jett und Def Leppard. Die Jungs und Mädels aus der Marktforschung ließen uns wissen, wir bräuchten eine weitere Combo aus jener Ära.

Poison war diejenige, auf die wir uns einigten.

Wir machten keine Freudensprünge. Alle vier von uns sahen es so, dass Mötley von Beginn an dagewesen waren. Metallica, Mötley Crüe und U2 – das waren die Bands aus jener Ära, die uns in den Sinn kamen. Guns N’Roses folgten später und waren ebenfalls schwierige Verhandlungspartner. Dann gab es noch eine Fülle von Gruppen, die wir nicht als authentisch erachteten. Sie waren von der Musikbranche gemacht, die gesagt hatten. „Wir brauchen unsere eigenen Mötley Crüe. Wir brauchen einen blonden Sänger und drei solche Instrumentalisten.“ Das Gleiche geschah später mit dem Alternative Rock: Da waren Nirvana und Pearl Jam, dann folgten viele Kapellen, die ein bisschen so aussahen und klangen wie Nirvana und Pearl Jam, aber nur verwässerte, leichtgewichtige Versionen der Originale waren.

Tja, wie sich herausstellte, irrten wir uns. Die Fans wollten eben, was sie wollten, und das waren neben uns Def Leppard, Joan Jett sowie Poison – und vorausgesetzt, wir ließen uns ein letztes Mal auf eine Tournee ein, gaben wir den Fans genau das, was sie wollten: Stunden voller Hits, dargeboten mit Musikalität, Haltung und der aufwändigsten Show, die sie je erlebt hatten.

Als das Line-up stand, starteten wir den Vorverkauf für acht Konzerte. Die Tickets waren im Handumdrehen vergriffen, jene für acht weitere Auftritte genauso schnell. Noch acht zusätzlich – das gleiche Spiel.

Wir alle dachten: „Wow, was für eine tolle Art, den Film zu feiern. Geht’s noch besser für eine letzte Tour?“

Angesichts 24 gebuchter Shows und weiterer in Aussicht wusste ich, dass ich meine gesamte Zeit aufs Trainieren verlagern musste.

* * *

Alle Musikerinnen und Musiker haben ihre eigenen Herangehensweisen. Trainieren umfasst für mich viele verschiedene Aspekte. Es gibt eine körperliche Seite, eine geistige, eine emotionale und eine musikalische. Als nächstes kommt Bühnendesign, zusammen mit groben Konzepten und einem Überblick dessen, wie die ganze Show aussehen wird, wofür sie steht, was wir alle zu sagen haben und weshalb gerade jetzt der richtige Zeitpunkt ist, es zu sagen. Körperliches Konditionieren allerdings macht alles andere möglich, und für Mötley hängt das eng mit unserer Setlist zusammen.

Wir erstellen sie aus fünfminütigen Segmenten. Theoretisch sind einige unserer Songs kürzer oder etwas länger, sodass dazwischen Zeit bleibt, falls sich einer von uns ans Publikum wenden möchte. In Wirklichkeit sind einem zeitliche Grenzen gesetzt. Ehe du dich versiehst, überziehst du, der Promoter zahlt Strafe, und der Band droht ebenfalls eine: auf einmal drücken wir 50.000 Dollar dafür ab, dass wir die Spielzeit um einen Song überschritten haben. Mancherorts – in Europa oder Japan etwa – kommen die Leute nicht mehr mit der U-Bahn oder dem Zug nach Hause, wenn man sich verspätet, und die Veranstalter drehen dir sogar den Saft ab. Wer sich wirklich um die Fans sorgt, geht nicht einfach raus und jammt. Wir erarbeiten unser Programm also anhand von fünf Minuten pro Song unter Berücksichtigung der Art von Show, die wir spielen werden: eine zweistündige, falls wir die einzige Gruppe sind, 90 Minuten als Headliner. Diese Dauer bestimmt auch unsere Workouts.

Was ich schon zu Zeiten getan habe, als man noch Kassetten hörte: die Setlist ausdrucken und dort neben mich legen, wo ich gerade Kardiotraining mache. Eröffnen wir mit „Kickstart My Heart“, geh ich ab wie eine Rakete. Ist „Home Sweet Home“ das dritte Lied, weiß ich, dass ich auf dem Laufband Schritttempo anschlagen kann. Folgt danach „Wild Side“, drehe ich wieder auf – doch diese Nummer hat einen ruhigeren Mittelteil, wo ich verschnaufen darf. Bei vielen Bands schaut man nach der Hälfte ihres Programms auf den Gitarristen und sieht, dass er nach Luft ringt. Ich berücksichtige in meinen Workouts die Ausdauer, die man braucht, um das zu vermeiden, und time jedes Segment so, dass ich jedem Song gerecht werde.

Das ergibt anderthalb Stunden stur auf dem Laufband, gefolgt von zwei Stunden Gewichtheben. Danach beschäftige ich mich weitere 90 Minuten lang mit meinem Bass, indem ich mich hinsetze und die Songs straight in ihrer Reihenfolge durchspiele. Am Ende habe ich so viel Kondition entwickelt, dass ich die ganze Show körperlich und musikalisch bewältigen kann, ohne mich kaputt zu fühlen. Anschließend wickle ich den spielerischen Teil im Stehen ab. Auch dieser Punkt kann einer Band zum Verhängnis werden. Man zockt im Sitzen und denkt, man sei ziemlich gut in Form. Geh dann aber auf die Bühne, und dieselben Songs killen dich.

Ich trage die Setlist noch bei mir, wenn ich sie längst verinnerlicht habe. Ich klebe sie neben den Badezimmerspiegel und an die Kühlschrankseitenwand – so muss ich sie sehen, wenn ich Eiscreme essen will. Für die Stadiontour haben wir Fachleute für Sport und Ernährung angeheuert. Plötzlich achteten wir alle darauf, was wir an Protein, Kohlenhydraten und Gemüse aßen, und zählten die Kalorien, die wir verbrannten. Der Ernährungsexperte achtete darauf, dass wir genug zu uns nahmen, um unsere Workouts durchzustehen, aber ein tägliches Defizit von 500 Kalorien hatten.

Das klingt nicht sonderlich sexy, doch will man wettbewerbsfähig sein – mit den schweren Jungs im Ring bleiben –, stellt man fest, dass man alles tut, was dafür erforderlich ist.

Ich war binnen kurzem topfit. Mein Durchhaltevermögen hatte sich deutlich erhöht. Meine geistigen und emotionalen Batterien waren voll aufgeladen. Ich fühlte mich heiß und inspiriert, wenn ich einen Bass oder eine Gitarre in die Hand nahm. Und weil meine Gesundheit direkt mit meiner Kreativität zusammenhängt, konnte ich kaum zum Supermarkt fahren, um Milch zu kaufen, ohne neue Ideen zu bekommen und anhalten zu müssen, um sie aufzuschreiben.

* * *

Für unsere Final Tour hatten wir 21 Lkws und Busse für uns und unser Equipment. Wir hatten eine Achterbahn für Tommy und sein rotierendes Schlagzeug bauen lassen und fuhren die fetteste Pyro-Show auf, die es je gab, egal wo. Der ganze hängende Teil unserer Lichtanlage wurde angezündet, und Flammen schossen auf uns nieder, während wir spielten. Die ganze Band war mit Brandschutzmittel eingesprüht – einer farblosen Flüssigkeit auf unseren Bühnenklamotten. Feuerlöscher waren im Abstand von ungefähr sieben Metern griffbereit, außerdem Eimer voller in Wasser getränkter Lappen für den Fall, dass sich einer von uns anzündete. Auf früheren Tourneen hatte sich Tommy verbrannt, und ich mich auch so häufig, dass ich vergessen habe, wie oft genau. Eure Mütter sagten euch das, und ich wiederhole es jetzt: Wer mit Feuer spielt, verbrennt sich unweigerlich. Wir haben aber schon immer gern mit Feuer gespielt. In Mötleys Anfangszeit war es simpel: Ich kippte Feuerzeugbenzin über mich, und Vince zündete mich an: keine Tricks, bedenkenlos. Etwas weiter fortgeschritten – lang ist’s her, 1981 – war es, kleine Käfige in den Absätzen meiner Stiefel mit einer 9V-Batterie zu verdrahten. So entzündete man Pyro-Flocken – meine Treter qualmten dann –, was in einem kleinen Club cool aussah: „Was zur Hölle? Die Stiefel von dem Typen brennen!“

Aber in einem viel größeren Saal hätte man das gar nicht bemerkt.

Für die Final Tour kombinierten wir meinen Bass mit einem Flammenwerfer. Der wog gut 50 Kilo und feuerte fast zehn Meter weit. Ich konnte zudem meinen Mikroständer in Brand setzen, den wir an Ketten festgemacht hatten, damit ich ihn packen und werfen konnte. Einen brennenden Mikroständer der durch die Luft fliegt sieht man selbst in den hinteren Reihen und findet’s beeindruckend.

Wir hatten auch Akrobatinnen. Wir hatten Feuerwerk und jeweils einen Kran für mich und Vince. Die Tour hätte besser unter dem Motto „Scheiße, das gibt’s doch nicht“ stattfinden sollen, und das Bühnendesign für die Stadiongigs musste das Ganze übertreffen. Da die Pyro-Masche weitestmöglich ausgereizt war, wollte ich herausfinden, ob wir uns selbst überbieten konnten, ohne nur ein Flämmchen anzufachen.

Produktionsleiter Robert Long arbeitet schon sehr lange mit uns, weil er das Unmögliche möglich macht. Ich will kein „nicht umsetzbar“ hören; „nicht umsetzbar“ ist für mich nur ein Anfangspunkt. „Das hat noch nie jemand gemacht“ – das stellt für uns eine Herausforderung dar, keine unveränderbare Tatsache, und hier kommt die Technik ins Spiel. Für diese Tour wollten wir große Leinwände. Eine äußerst kraftvolle Bildersprache.

„Wir zeigen uns in einer postapokalyptischen asiatisch anmutenden Umgebung mit Riesenrobotern“, sagte ich zu Robert.

„Okay“, antwortete er und wurde aufgeregt. „Wir haben jetzt Projektoren, die man einfach auffahren und verschwinden lassen kann. Wir werden Meetings mit den Laserfirmen anberaumen – ich weiß, ihr Jungs habt zu uns gemeint, ihr wollt Laser statt Feuer, aber ich sehe eine Möglichkeit, beides zu nutzen. Falls ihr euch noch einmal überlegt, ob ihr wirklich keine Pyros möchtet: Es gibt mittlerweile welche, deren Flammensäulen zu Feuerbällen werden. Ihr glaubt nicht, was wir an Effekten erzeugen können.“

Ich bin gegenüber neuen Ideen offen, solange sie unsere alten toppen. Ich versuche ja selbst ständig, mich zu toppen – und Tommy, was bei uns beiden auf Gegenseitigkeit beruht: „Ich will kopfüber trommeln, ich will über der Menge schweben. Ich will etwas tun, woran noch niemand überhaupt gedacht hat!“ Tommy kann kopfüber genauso hart zuhauen, und während wir einander anstacheln, arbeitet Mick daran, dass seine Gitarre satter und lauter tönt als alles je zuvor Gehörte. Auf der technischen Ebene muss ich nicht mit Mick Schritt halten. Ich spiele schlichter – etwas punkiger und direkter auf den Punkt wie Cliff Williams von AC/DC. Obwohl ich ein paar fette Riffs habe, fühle ich mich meistens dort wohl, wo ich mich sexy und schmutzig fühle. Das ist es: vier Männer, die einen Sound erzeugen, der jedes Hindernis übertönt hat, das uns jemand in den Weg stellte. Wenn die Fans sehen, wie wir das allabendlich auf der Bühne abziehen, wird ihnen klar, dass sie das auch können, egal welche Hürden sie nehmen müssen. Ich weiß es, denn wenn nach der Show das Hallenlicht angeht, sehe ich die Veränderung in ihren Gesichtern. Wir alle bemerken das und nehmen es mit in die nächste Stadt. Ebendies ist Rock’n’Roll auf der grundlegendsten Ebene. Es ist das, woraus Mötley Crüe schöpfen – und wir versuchen, es nicht als selbstverständlich zu nehmen, obwohl es einem auch selbst viel abverlangt.

Wir erkannten, dass uns hinsichtlich unserer Familien und unseres Alters – wegen der Jahre, die wir damit verbrachten, unser Karma, unsere Körper und deren Chemie aufs Spiel zu setzen – nicht mehr viele Jahre als Band blieben. Was wir hatten, war ein stattlicher Trostpreis: 29 Stadionshows binnen dreier Monate, die vorbeirasen würden. Und dabei handelte es sich nur um den Anfang der Tour. Hinter den Kulissen ließ man uns glauben, hundert weitere Termine stünden in Aussicht.

Dass wir uns fit gemacht hatten, war gut.

Wir beschlossen, die Chose „Stadium Tour“ zu nennen. Sie fing im Alamodome in Texas an und verlief durchs ganze Land, ehe sie in Los Angeles ausklang, wo wir am Labor Day im SoFi Stadium auftreten sollten. Nicht im Rund der Dodgers, wie Dennis versprochen hatte. Dafür gab es aber ebenfalls einen Trostpreis: Das SoFi war viel größer.

Live Nation kündigten die Termine im Dezember an, also konnte ich noch sieben Monate zu Hause bleiben. Ich plante voraus, indem ich Pausen zwischen den Shows ansetzte, um möglichst viel Zeit mit Courtney und den Kids zu verbringen. Die Bedürfnisse von Familie und Band miteinander zu vereinbaren ist nicht immer leicht gewesen. Diesmal hatte ich das Gefühl, das richtige Gleichgewicht gefunden zu haben. Ich behielt meine Workouts bei und arbeitete an den Feinheiten, damit wir uns unterwegs darauf konzentrieren konnten, was wir auf der Bühne tun würden. Ich ging penibel bis ins kleinste Detail vor. Die Wochen flogen dahin, weshalb ich erst im Februar wieder rauskam. Im Autoradio hörte ich in den Nachrichten, dass sich ein Virus ausbreitete. Der Beginn einer Pandemie, meinte der Sprecher.

Ende des Monats war ein Football-Stadion mit 80.000 kreischenden Fans der letzte Ort, an dem irgendjemand auf der Welt sein wollte.

2. Snake River

Die kontinentale Wasserscheide verläuft durch den Nordwesten Wyomings, und südlich des Yellowstone-Nationalparks verläuft der Fluss Two Ocean Creek. An seiner Gabelung fließen seine Arme in entgegengesetzte Richtungen hin zu den beiden Ozeanen, von denen sein Name herrührt.

Der Atlantic Creek mündet in den Yellowstone, den Missouri und dann den Mississipi, der fast 5.000 Kilometer von seiner Quelle entfernt in den Golf von Mexiko fließt. Der Pacific Creek mündet in den Snake River, der durch Idaho Richtung Oregon verläuft, dann an der Staatsgrenze entlang und zurück nach Westen, Washington und den Pazifik.

Man gelangt auf einem Wanderweg zur Gabelung. Dort braucht man sich bloß zu bücken, um die Hände ins kalte, strömende Wasser zu tauchen. Je nachdem, wie man sie ausrichtet, fließt das Wasser daran vorbei in eine der beiden Richtungen. Neigt man sie nur ein bisschen nach hier oder dort, findet sich das Wasser schließlich drei Zeitzonen weiter westlich oder östlich.

In diese Gegend sind wir umgezogen, als Covid-19 die Welt aus den Angeln hob. Courtney und ich hatten jahrelang darüber gesprochen, ein neues Zuhause für uns zu suchen. Wir dachten an Nashville, doch das war zu weit entfernt. Wir schauten in Vegas, wussten zu dem Zeitpunkt aber noch nichts von ihrer Schwangerschaft – und Vegas war keine Stadt, in der wir unser Mädchen großgezogen hätten. Nach der Stadium Tour wollten wir noch einmal suchen. Dann wurden die Konzerte verschoben. Los Angeles ging in den Lockdown, und das Virus ließ es uns mehr oder weniger wie den Ort vorkommen, an dem wir sein wollten.

Eines Morgens flüsterte mir Courtney zu: „Ich möchte, dass du unvoreingenommen bist.“

Normalerweise schalte ich auf stur, noch bevor ich weiß, was als nächstes kommt. Nun brauchte Courtney nichts weiter zu sagen als: „Wyoming“.

Ich wusste sofort, dass sie Recht hatte.

In Wyoming leben mehr Kühe als Menschen. Das ist kein lokaler Scherz, sondern schlichtweg Fakt. Nach Alaska hat es die niedrigste Bevölkerungsdichte aller amerikanischen Bundesstaaten. Allein dies machte es während einer Pandemie zu einem perfekten Ort. Wyoming stellte sich für uns grundsätzlich als perfekt heraus. Das Land zwischen der Teton und der Gros Ventre Range ist zerklüftet, unberührt und unvorstellbar prachtvoll. Sobald wir dort waren, kaufte ich einen großen Truck – mit Dieselmotor. Nach meiner Anmeldung auf dem Standesamt im Teton County erhielt ich zwei Nummernschilder, die mir wie ein örtlicher Ausdruck von „Willkommen“ vorkamen.

„Die gefallen Ihnen bestimmt“, meinte der Beamte.

In der Tat, denn darauf standen die Ziffern „666“.

An manchen Tagen fuhr ich zu Ace Hardware oder zum Anglerbedarfsladen in der Stadt. Obwohl ich fremd war, machte niemand Aufhebens wegen meiner pechschwarzen Haare und Tätowierungen. Ich vergaß mich selbst, während ich nach wochenlanger Eingeschlossenheit in L.A. mit echten Menschen plauderte. Courtney schickte mir nach ein paar Stunden eine SMS: „Wo steckst du?“

„Ich bin beim Nachtangeln.“

Als ich nach Hause kam, fragte sie. „Mit wem warst du angeln? Wir wohnen noch keinen vollen Monat hier?“

Also, ich war mit den Kerlen angeln gewesen, die ich im Fliegenfischereigeschäft kennengelernt hatte – Angelführern, die sich nicht darum scherten, wer ich bin. Ihnen ging es nur darum, was wir fingen und dabei bequatschten.