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4 Seasons – vier Romane – ein lustvoller Reigen
Giselle Denoux, Anfang der sechziger Jahre in eine wohlhabende bürgerliche Familie geboren, verbringt eine behütete Kindheit zwischen Paris und einem Anwesen auf dem Land. Ballett ist ihr großer Traum und führt sie, fast erwachsen, nach London. Dort widmet sie sich nicht nur dem Tanz, sondern auch der Liebe und entdeckt ihre heimlichen, nicht immer konventionellen Vorlieben. Tragischerweise ist ihre Karriere als Tänzerin schnell beendet, und Giselle kehrt nach Paris zurück.
Ein älterer Mann nimmt sie schließlich nach Amerika mit, wo sie einige Zeit als Model für Künstler arbeitet. Unter anderem auch für William, einen mysteriösen Bildhauer, für den sie bald Muse und Geliebte wird. Sie verfällt Williams sexuellen Neigungen und kämpft aber mit ihrer Eifersucht. Nach einem tragischen Unfall trennen sie sich. Giselle baut sich ein neues Leben auf, doch kann sie William auch nach vielen Jahren nicht vergessen. Wird sie ihre große Liebe wiederfinden?
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Seitenzahl: 417
Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »The Pleasure Quartet – Winter« im Verlag Simon & Schuster, London.
1. Auflage
Copyright © 2014 by Vina Jackson
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014
bei carl’s books, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-14970-3www.carlsbooks.de
1VERZAGT UND NACKT IN LONDON
Die Musik war laut. Der Club lag fast völlig im Dunkeln. Sie hatte einen trockenen Hals und brauchte noch einen Drink.
Auf dem Weg zum Tresen wurde sie von den kreuz und quer über den Boden zuckenden Lichteffekten abgelenkt.
Ein vertrautes Gesicht. Eine Hand auf der Taille einer Frau. Ein sich küssendes Paar.
Das Licht reichte aus, um die beiden zu erkennen.
Olen. Und Simone.
Giselle war den Tränen nahe. Sie rannte über die rutschigen Steinplatten auf den Kanal zu und überquerte vorsichtig die schmale Holzbrücke der Schleuse. Es war stockdunkel, in der Ferne grollte rasch näher kommender Donner.
Der Regen setzte ein, als sie das Kopfsteinpflaster auf dem linken Kai erreichte. Sie war schon öfter in Camden Market gewesen, aber nur tagsüber, wenn es hier laut und geschäftig zuging. Nachts wirkte alles trostlos und unheimlich, wie die Filmkulisse einer Geisterstadt.
Das Herz war ihr schwer, sie hatte einen Knoten im Magen. Der ganze Körper tat ihr weh, als laste ein schreckliches Gewicht auf ihr. Ein Schmerz, so tief, als würde ihre Seele in Stücke gerissen.
Der Boden war glitschig, und sie ging langsamer.
Am liebsten wäre sie jetzt irgendwo anders gewesen, nur nicht in London. Wieder zu Hause in Paris oder– ein flüchtiger Gedanke huschte ihr durch den Kopf– in Orléans, wobei sie ihre Geburtsstadt kaum kannte und sich nur auf fragwürdige Kindheitserinnerungen an idyllischere Zeiten verließ. Oder vielleicht konnte sie– noch ein bisschen abwegiger– nach Amerika in das New Orleans ihrer Fantasie entfliehen? Einen Ort, an dem sie nie gewesen war, der aber in ihrer weltfremden Vorstellung vor Leben und Voodoo-Zauber nur so sprudelte. Wie in den Vampir-Romanen von Anne Rice, die sie so gern las. Während sich dieser unlogische Gedanke Bahn brach, wurde ihr auch bewusst, dass ihr die Stadt am Mississippi schon lange nicht mehr in den Sinn gekommen war. Wieso ausgerechnet jetzt?
»Giselle!«
Sie drehte sich um.
»Bitte, können wir reden?«
Olen.
Ihr erster Impuls war, einfach wegzulaufen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Sie wartete, bis er sie eingeholt hatte, blieb am Kanalufer stehen, wo der flache Anstieg zur Camden High Street begann, auf der sie einen Bus erwischen wollte, um dem Gewitter zu entfliehen. Das nasse Haar klebte ihr bereits an Gesicht und Kragen.
Olen wirkte zerzauster denn je in dem nassen weißen T-Shirt und der engen Jeans und mit den schwarzen Locken, die platt gedrückt waren vom nun strömenden Regen. Seine ganze Selbstsicherheit schien fortgespült, und er machte eine wirklich traurige Figur.
Er erreichte sie.
»Danke, dass du gewartet hast.«
Plötzlich wurde Giselle wütend und wollte ihn dafür bestrafen, sie so öffentlich gedemütigt zu haben. Doch sie schwieg, wischte sich die verräterischen Tränen und die Regentropfen von den Wangen.
Er sah sie mit flehendem Blick an, wollte sie wohl schweigend um Verzeihung bitten. Er wirkte wie ein geprügelter Hund.
In dem Moment, als sie gesehen hatte, wie ihr Freund ihre Freundin küsste, hatte Giselle etwas für sich erkannt.
Sie war nicht in Olen verliebt.
Diese Erkenntnis schmerzte wie ein Messerstich.
Olen war ihr vollkommen egal. Sie hatte sich die ganze Zeit belogen, war lediglich in die Vorstellung verliebt gewesen, tatsächlich einen Freund zu haben. Verliebt in die Vorstellung, dass jemand wie er– gut aussehend, leicht exotisch– sich in sie verguckt hatte. Und wie dumm stand sie jetzt da?
»Was soll ich sagen?«, fragte Olen.
»Nichts.«
Ihre Wut verflüchtigte sich, wurde durch Mitleid ersetzt. Nicht mit sich, sondern mit ihm. Sie mochte Olen immer noch, nahm sie an, auch wenn sie ihn nicht liebte.
Und nun musste sie irgendwie erklären, warum es ihr egal war, dass er mit einem anderen Mädchen geknutscht hatte.
Trotzdem nagte die ganze Sache an ihr. Sie kam sich verloren vor. War verwirrt. Die Erkenntnis, dass sie eine Beziehung mit einem Jungen hatte, den sie nicht liebte, traf sie zutiefst. Als wäre ihr ein Teil ihrer Identität genommen worden, und sie müsste nun mit der Vorstellung klarkommen, nicht die zu sein, für die sie sich gehalten hatte, sondern eine völlig andere Person.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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