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Mutige Forscher, Entdeckerinnen und Weltenbummler haben mit ihren Expeditionen unsere Welt verändert. Dieser faszinierende Bildband erzählt von ihren unglaublichen Reisen und Abenteuern. Wir treffen berühmte Männer und Frauen wie Kolumbus, Tenzing und Hillary, Amelia Earhart oder Neil Armstrong, aber auch weniger bekannte, deren Leistungen mehr Beachtung verdient hätten. 50 große Expeditionen zeigen, wie Menschen dank ihrer Intelligenz, Kühnheit und Stärke große Hindernisse und schreckliche Gefahren überwanden, um zu Land, zu Wasser, in der Luft und im All unbekannte Welten zu entdecken. Autoren dieses Buches sind: Alan Greenwood, Mark Steward, Richard Happer und Christopher Riches
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Seitenzahl: 377
INHALT
VORWORT
DER GEWALTIGE SPRUNG
Apollo 11 und die Mondlandungen
DER WETTLAUF ZUM SÜDPOL
Die Expeditionen von Roald Amundsen und Robert Falcon Scott
DARWIN UND DIE BEAGLE
Charles Darwins Reise auf der HMS Beagle
STAR MAN
Juri Gagarin: der Mann, der auf die Erde fiel
AUF DER SUCHE NACH NEULAND
Leif Erikssons Reise nach Vinland
AUF DEM FLOSS ÜBER DEN PAZIFIK
Thor Heyerdahl: der Mann der Kon-Tiki
DOKTOR LIVINGSTONE, NEHME ICH AN?
David Livingstones letzte Reise
DAS LAND DOWN UNDER
Captain James Cook und die HMS Endeavour
AUF DEM DACH DER WELT
Hillary und Tenzing: Überleben in der Todeszone
EINE NEUE WELT
Christoph Kolumbus reist nach Amerika
ENTDECKER DER GALAXIS
Die interstellare Mission der Voyager
DIE AMERIKANISCHE FRONTIER
Lewis und Clarks Expedition mit dem »Corps of Discovery«
KEIN EINZIGER MENSCH GING VERLOREN
Ernest Shackletons Flucht aus der Antarktis
DER WAHRE INDIANA JONES
Percy Fawcett: auf der Suche nach der Verlorenen Stadt aus Gold
GOLDFIEBER IM YUKON
Der Klondike-Goldrausch
DIE SCHWEIGENDE WELT
Jacques Cousteau und die Calypso
DIE JAGD NACH DEM MENSCHENFRESSER
Jim Corbett auf der Spur des menschenfressenden Leoparden von Rudraprayag
ALLEIN IN DER LUFT
Amelia Earhart: die Heldin des Transatlantikflugs
IN DER TÖDLICHEN STADT
René-Auguste Caillié: ein Außenseiter in Timbuktu
RETTET DIE WALE
Greenpeace, der Kampf gegen den Walfang und die Rainbow Warrior
UNGLÜCK IM OUTBACK
Burke und Wills in Australien
REISE IN DEN ORIENT
Marco Polo und das sagenumwobene Xanadu
ALLEIN IN AFRIKA
Mary Kingsley: Reisen in das Herz eines unerforschten Kontinents
ABSTIEG INS INNERE DER ERDE
Norbert Casteret: dem Abgrund ganz nah am Pierre Saint-Martin
EINE EINSAME STIMME IN DER WILDNIS
John Muir: tausend Meilen für die Rettung der wilden Orte
FAIR TRADE IM FERNEN OSTEN
Zheng He auf Schatzsuche in Asien und Afrika
MIT KAMEL UND KOMPASS
Gertrude Bell und ihre Reise nach Ha’il
SCHAMLOSE BEREICHERUNG
Francisco Pizarro: der Plünderer, der eine ganze Zivilisation auslöschte
REISE NACH LHASA
Alexandra David-Néels Wanderung über den Himalaja
WAND DES TODES
Die erste erfolgreiche Besteigung der Eiger-Nordwand
SOLARFLUG
Vom Versuch, ohne Treibstoff um die Welt zu fliegen
REISE OHNE WIEDERKEHR
Ferdinand Magellans Weltumrundung
AUF FORSCHUNGSREISE IN AMERIKA
Alexander von Humboldt, der Vater der Geografie
IM SOG DER STROMSCHNELLEN
John Wesley Powells Erkundung des Colorado
IM HÖCHSTEN NORDEN
Fridtjof Nansens atemberaubende Expedition in die Arktis
DIE UNSICHTBARE
Jeanne Baret: die erste Frau, die die Welt umsegelte
1600 KILOMETER ENTLANG DES RABBIT-PROOF FENCE
Molly, Daisy und Gracie auf ihrem langen Weg zurück nach Hause
AUF DER SUCHE NACH PETRA
Johann Burckhardts Entdeckung der sagenumwobenen Stadt
PFAD DER TRÄNEN
Die Zwangsumsiedlung der nordamerikanischen Urbevölkerung
MIT DEM FAHRRAD UM DIE WELT
Annie Londonderrys Weltumrundung auf zwei Rädern
DIE ERSCHLIESSUNG DER ISLAMISCHEN WELT
Die Reisen des Ibn Battuta
ZU FUSS DURCH DEN AMAZONAS
Ed Staffords Odyssee im Regenwald
ZUM ENTDECKER GEBOREN
Naomi Uemura und seine winterliche Solobesteigung des Denali
MARATHONMANN
Terry Fox’ unglaublicher Lauf durch Kanada
20 000 MEILEN UNTER DEM MEER
Das Challengertief: Tauchgang zur tiefsten Stelle der Erde
DIE IRRFAHRT DER WAGER
George Anson: Stolz und Habgier auf dem Pazifik
IM AUFTRAG DER KOMPANIE
Abel Tasman: der erste Weiße auf australischem Boden
DIE NORDWESTPASSAGE
Sir John Franklins Suche nach einem Seeweg in den Orient
DURCHS LEERE VIERTEL
Wilfred Thesigers Reisen in Arabien
FLUCHT AUS SIBIRIEN
Cornelius Rosts Ausbruch aus einem sowjetischen Gulag
VORWORT
Durch den Fortschritt der modernen Technik scheint unsere Welt immer kleiner zu werden. Wir haben Apps, die auf Knopfdruck von einer Sprache in die andere übersetzen, das Reisen ist heute erschwinglicher denn je und neue Orte erkunden wir auf dem Display unseres Smartphones. Und trotzdem gibt es noch so viel zu entdecken. Wir mögen größeres Gepäck haben als die ersten Weltreisenden, die mit kaum mehr als einer Landkarte loszogen. Doch noch immer braucht es vor allem Abenteuergeist, Lust auf Herausforderungen und die nötige körperliche und geistige Belastbarkeit, falls einmal etwas nicht nach Plan verläuft. Beim Entdecken geht es um mehr, als ein kleines Fähnchen in eine Weltkarte zu stecken. Es geht um die Erfahrungen, die einen verändern, und die Menschen, denen man unterwegs begegnet.
Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass es sich zu Fuß am besten reisen und Entdeckungen machen lässt. Es gibt nichts Schöneres, als das Wesen eines Landes, seine Kultur und seine Natur auf seinen Pfaden und Wegen kennenzulernen. Die vielen Entdeckungsreisenden vor mir verfügten weder über Hubschrauber noch über elektronischen Geräte, die ihnen das Leben hätten erleichtern können. Ob sie am Ufer des Nils entlang wanderten oder die Gipfel des Himalaja erklommen, ob sie sich ihren Weg durch den asiatischen Dschungel bahnten oder unbekannte Wüsten durchquerten: Es waren diese frühen Pioniere, die mich inspirierten.
David Livingstones Suche nach der Quelle des Nils spornte mich zu meiner eigenen neunmonatigen Wanderung vom Ursprung bis zur Mündung des längsten Flusses der Welt an. Die Abenteuergeschichten, die ich als Jugendlicher verschlungen hatte, prägten meinen späteren Lebensweg, der in der Armee begann und mich zu eigenen Expeditionen führte, bei denen ich in unerforschte Gebiete der Welt vordrang. Genau wie Livingstone dokumentierte auch ich meine Reise am Nil und schrieb in ein Notizbuch, das seinem sogar sehr ähnlich sah. Allerdings durfte ich zusätzlich auf technische Geräte zurückgreifen – wie etwa eine Kamera –, von denen er nur träumen konnte. Wir beide hielten ähnliche Erinnerungen fest, jedoch mit einem Abstand von über 150 Jahren.
Ich habe lernen müssen, dass moderne Expeditionen nicht vor Gefahren gefeit sind. Auch wenn es sich wie ein Sicherheitsnetz anfühlen mag, im Notfall einen Hubschrauber rufen zu können, setzen sich viele, die heute in abgelegenen Gegenden wandern und klettern, hohen Risiken aus. Durch extreme Winde, Minusgrade oder starke Hitze kann die Natur heute noch genauso bedrohlich sein wie vor hundert Jahren – mit potenziell tragischen Folgen, wie alle wissen, die Mein Traum vom Nil gelesen oder gesehen haben. Für frühe Entdecker wie Amundsen, Shackleton und Nansen stellten die Pole die ultimative Herausforderung dar.
Dass einmal etwas schiefgeht, lässt sich bei einer Expedition nicht vermeiden, aber gerade in schwierigen Momenten kann ein Abenteurer zeigen, was wirklich in ihm steckt. Dieses Buch ist eine Hommage an die wenigen mutigen Menschen, die unglaublich widrige Umstände überwanden, um sich selbst und der Welt etwas Wesentliches zu beweisen – dass jedes Risiko ausgiebig belohnt wird.
Die Geschichten in diesem Buch legen ein umfassendes Zeugnis menschlicher Errungenschaften ab. Sie alle hatten einen bedeutenden Einfluss auf die moderne Welt. Keine Weltraummission zog die Menschheit so sehr in den Bann wie die Mondlandung der Apollo 11 und keine Expedition hatte einen nachhaltigeren Einfluss auf die Wissenschaften als Charles Darwins Forschungsreisen. Manche Geschichten sind so außergewöhnlich, dass sie wie Science Fiction klingen – wie etwa die Entdeckung der tiefsten Stelle der Erde durch die Challenger. Mich persönlich faszinieren Expeditionen, die über weite Strecken über Land zurückgelegt wurden. Ein gutes Beispiel dafür sind die Reisen der abenteuerlustigen Französin Alexandra David-Néel, die 1924 mitten im Winter den Himalaja überquerte und als Einheimische verkleidet das verbotene Land Tibet betrat. Davon mögen wenige bisher gehört haben, aber auch diese Leistung verdient Anerkennung.
Es gibt noch immer unendlich viel zu entdecken und Neues zu erfahren. Ich bin mir sicher, dass wir zu unseren Lebzeiten noch viele weitere spektakuläre Expeditionen miterleben werden, die uns sicher genauso fesseln wie jene in diesem Buch. Ich für meinen Teil möchte auch weiterhin den Fußstapfen der großen Entdecker folgen, die uns vorausgegangen sind.
Levison Wood
EXPEDITION 1
DER GEWALTIGE SPRUNG
Apollo 11 und die Mondlandungen
»Ich wollte ›einen‹ sagen. Ich dachte, ich hätte es gesagt. Ich kann es nicht hören, wenn ich mir die Funkübertragung hier auf der Erde anhöre, also freue ich mich, wenn Sie es einfach in Klammern hinzufügen.«*
Der erste Schritt eines Menschen auf dem Mond war gleichzeitig der letzte einer achtjährigen Odyssee des größten Expeditionsteam der Menschheitsgeschichte. Am 20. Juli 1969 hatte Neil Armstrong 384 000 Kilometer – etwa neun Erdumrundungen – im tödlichen luftleeren Raum des Weltalls in vier Tagen zurückgelegt. Doch das Apollo-Programm, das für Armstrongs Mondfahrt verantwortlich war, hatte über einen Zeitraum von fast zehn Jahren ganze 400 000 Menschen beschäftigt. Mehr als 20 000 Firmen und Universitäten hatten dem 24-Milliarden-Dollar-Projekt die nötige Ausrüstung und ihre klügsten Köpfe zur Verfügung gestellt. Es war nicht nur das bei Weitem größte und technisch anspruchsvollste Unternehmen in Friedenszeiten, sondern auch nicht weniger als die längste, gefährlichste und kühnste Expedition seit Menschengedenken. Auslöser des Ganzen war die außerordentliche Vision eines einzigen Mannes.
Der russische Kosmonaut Juri Gagarin flog am 12. April 1961 als erster Mensch ins Weltall. Nur acht Tage später schrieb US-Präsident John F. Kennedy (der sein Amt erst seit drei Monaten innehatte) folgendes Memorandum an seinen Weltraumrat:
»Haben wir die Möglichkeit, die Sowjets zu schlagen, indem wir ein Labor im Weltraum einrichten oder um den Mond fliegen, oder eine Rakete mit einem Mann an Bord starten, die auf dem Mond landet und wieder zurückkehrt? Gibt es irgendein Raumfahrtprogramm, das bahnbrechende Ergebnisse verspricht, mit denen wir gewinnen könnten? […] Arbeiten wir 24 Stunden am Tag an bestehenden Programmen? Und falls nicht, warum nicht?«
Seine Wortwahl – »schlagen« und »gewinnen« – ließ klar erkennen, dass Kennedy beabsichtigte, als Sieger aus dem »Space Race«, dem Wettlauf ins All, hervorzugehen.
Zu jenem Zeitpunkt hinkten die Vereinigten Staaten der Sowjetunion hinterher. Ein amerikanischer Astronaut, Alan Shepard, war zwar in den Weltraum geflogen, hatte es aber nicht bis in die Erdumlaufbahn geschafft. Der erste russische Sputnik hingegen umkreiste bereits 1957 die Erde.
Der NASA wurden nun alle nötigen Mittel für ein komplett neues Raumfahrtprogramm zur Verfügung gestellt. »Apollo« sollte es heißen und dafür sorgen, Kennedys Ziel, »noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts einen Mann auf den Mond und wieder sicher zur Erde zu bringen«, zu verwirklichen. In Houston, Texas, baute man ein brandneues Manned Spacecraft Center (genannt »Space City«) als Trainings-, Forschungs- und Steuerungszentrum der bemannten Raumfahrt. Auf Cape Canaveral in Florida wiederum entstand eine riesige Abschussbasis (heute bekannt als The Kennedy Space Center).
Hunderte der brillantesten Wissenschaftler der Welt arbeiteten in den folgenden Jahren in atemberaubendem Tempo an der Lösung scheinbar unmöglicher Probleme: der Konstruktion eines Raumfahrzeugs samt Rakete, die ihre Besatzung zuerst in den Erdorbit katapultieren, von dort aus zum Mond transportieren und anschließend auf dessen Oberfläche bringen sollten, um daraufhin all diese Schritte in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen.
Das Programm erlitt bereits zu Beginn einen herben Rückschlag, als das Kommandomodul der Apollo 1 am 27. Januar 1968 bei einem Test Feuer fing und die Astronauten Virgil Grissom, Edward White und Roger Chaffee ums Leben kamen. Aber die NASA lernte aus der Katastrophe und ging zurück ans Reißbrett, um die Sicherheit ihrer Raumfahrzeuge zu verbessern. Im Dezember 1968 wurde die zweite bemannte Apollo-Mission, Apollo 8, erfolgreich gestartet. Es war das erste bemannte Raumschiff, das die Erdumlaufbahn verließ, den Mond erreichte, ihn umkreiste und sicher auf die Erde zurückkehrte. Nach zwei weiteren geglückten Abschüssen wurde die Apollo 11 am 16. Juli 1969 zum Start freigegeben.
An jenem Tag schnallten sich Neil Armstrong, Edwin »Buzz« Aldrin und Michael Collins in der Columbia, dem Kommandomodul der Apollo 11, an. Die winzige, kegelförmige Kabine sollte die drei Astronauten von der Abschussrampe in den Mondorbit und schließlich acht Tage später zurück auf die Erde bringen, wo eine Wasserlandung vorgesehen war. Unten am Kommandomodul befand sich das zylinderförmige Servicemodul, das während der Mission für Antrieb und Strom sorgte und als Stauraum diente. Darunter war wiederum die Eagle (zu Deutsch »Adler«) angebracht, die eigentliche Landefähre, die auf den Mond hinabsteigen würde.
Dieser winzige Lebensraum war auf eine kolossale Saturn-V-Rakete geschraubt, die mit 111 Metern die Freiheitsstatue um 18 Meter überragte. Sie ist nach wie vor die größte, schwerste und mächtigste Rakete, die je gebaut wurde.
»Einige sagen: Warum der Mond? Warum setzen wir uns ihn zum Ziel? Und sie könnten genauso gut fragen: Warum sollte man den höchsten Berg besteigen? Warum wurde vor 35 Jahren der Atlantik überflogen?
…
Wir werden zum Mond fliegen. Wir werden noch in diesem Jahrzehnt zum Mond fliegen und all die anderen Dinge tun – nicht, weil sie leicht sind, sondern weil sie schwer sind; weil dieses Ziel dazu dienen wird, das Beste aus unseren Energien und Fähigkeiten herauszuholen; weil wir uns dieser Herausforderung stellen wollen, sie nicht aufschieben werden und vorhaben, sie zu meistern [...].«
US-PRÄSIDENT JOHN F. KENNEDY
Elf Minuten lang donnerten die gewaltigen Triebwerke und verbrannten über 2000 Tonnen flüssigen Sauerstoff und Kerosin – ganze 13 Tonnen pro Sekunde –, um die drei Astronauten in den Himmel zu befördern.
Zweieinhalb Stunden, nachdem sie mit 40 000 Stundenkilometern die Erdumlaufbahn erreicht hatten, brachte sie eine weitere Zündung der Triebwerke auf Mondkurs. Die folgenden drei Tage reiste die Besatzung durch den Weltraum und verschwand schließlich am vierten Tag hinter dem Mond und aus der Sichtweite der Erde. Durch die Zündung mehrerer Raketen begannen die Astronauten ihren Sinkflug und gelangten hundert Kilometer über der staubigen Oberfläche des Mondes in seinen Orbit.
Armstrong und Aldrin kletterten in die Eagle und verabschiedeten sich von Collins. Er würde allein in der Columbia im Orbit zurückbleiben, während seine Kollegen den Mond betraten. Das Landefahrzeug wurde vom Raumschiff abgekoppelt und zwölf Minuten lang steuerte ein Computer Armstrong und Aldrin auf die Mondoberfläche zu. Fünf Minuten nach Beginn des Sinkflugs gab es einen kurzen Moment der Angst im Mission Control Center, als Aldrin den Computer zur Berechnung der Flughöhe anwies und zur Antwort eine Fehlermeldung bekam. Sollten sie ihr Vorhaben abbrechen? Die Ingenieure auf der Erde behielten einen kühlen Kopf und kamen zu dem Schluss, dass es sicher war, die Meldung zu ignorieren und fortzufahren.
Doch nur ein paar Minuten später gab es einen weiteren Grund zur Sorge. Armstrong sah, dass der Krater, auf den der Computer die Eagle zusteuerte, mit großen Felsen übersät war. Er übernahm selbst die Kontrolle und lenkte das Fahrzeug auf eine ebenere Stelle zu, wobei zusätzlicher Treibstoff verbrannt wurde. Als die Eagle schließlich im Mare Tranquillitatis aufsetzte, hatte sie lediglich Kraftstoff für 30 Sekunden übrig.
Die Landung war die sanfteste, die die Piloten je erlebt hatten. Die Schwerkraft auf dem Mond beträgt nur ein Sechstel der Erdanziehungskraft und die Astronauten spürten beim Aufsetzen keinen Stoß. Nur durch das Aufleuchten des Kontaktlichtes konnten sie sich sicher sein, dass sie gelandet waren.
»Houston, hier Tranquility Base. Der Adler ist gelandet!«, sagte Armstrong mit unbändiger Freude in seiner sonst eher beherrschten Stimme. Doch statt sofort einen Fuß auf den Mond zu setzen, blieben Armstrong und Aldrin noch weitere vier Stunden im Cockpit und ruhten sich aus. Sie brannten darauf, endlich auszusteigen, hatten aber auch Befürchtungen: Würden ihre Raumanzüge sie auch wirklich vor dem Vakuum auf dem Mond schützen und würde ihnen der Start für den Rückflug gelingen?
Doch dann war es so weit. Neil Armstrong verließ die Eagle, stieg die Treppe hinab und betrat – 109 Stunden und 42 Minuten, nachdem er die Erde verlassen hatte – den Mond. Rund 530 Millionen Menschen sahen ihm dabei auf ihren Fernsehbildschirmen zu und lauschten seiner Stimme, als er »[…] einen kleinen Schritt für den [beziehungsweise: einen] Menschen, aber einen riesigen Sprung für die Menschheit« tat. Nach zwanzig Minuten verließ auch Aldrin die Landefähre und wurde zum zweiten Menschen, der seine Fußabdrücke im Mondstaub hinterließ. Die Astronauten stellten die TV-Kamera in etwa neun Metern Entfernung zum Landefahrzeug auf einem Stativ auf, um ihre Tätgikeiten live zu übertragen. Eine halbe Stunde, nachdem sie ihren Mondspaziergang begonnen hatten, telefonierten sie mit Präsident Nixon. In den nächsten zweieinhalb Stunden sammelten die Raumfahrer Gesteinsproben, machten Fotos und bauten Experimente auf. Sie hissten nicht nur die US-amerikanische Flagge auf dem Mond, sondern hinterließen zudem eine sowjetische Medaille zu Ehren Juri Gagarins, der ein Jahr zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Armstrong und Aldrin verbrachten 21 Stunden und 36 Minuten auf der Mondoberfläche, von denen sie sieben Stunden schliefen. Das Triebwerk der Aufstiegsstufe zündete schließlich erfolgreich und die Fähre hob ab, wobei die Abstiegsstufe auf dem Mond zurückblieb. Knappe vier Stunden später dockte die Eagle im Mondorbit an die Columbia an und die drei Besatzungsmitglieder waren wieder vereint. Die Columbia machte sich auf den Heimweg. Drei Tage später fielen Armstrong, Aldrin und Collins als Helden zur Erde.
Diese erstaunliche Leistung begeisterte eine ganze Generation für die technischen und erfinderischen Möglichkeiten des Weltalls. Das Apollo-Programm brachte 382 Kilogramm Mondgestein mit auf die Erde und beeinflusste grundlegend unser Verständnis über die Geschichte und Geologie dieses Himmelskörpers. Das Projekt finanzierte zudem den Bau des Johnson Space Centers und des Kennedy Space Centers. Im Rahmen des gesamten Apollo-Programms kam es zu enormen Fortschritten in der Avionik, in der Telekommunikation und im Computerwesen.
Aus politischer Sicht hatten die USA den Wettlauf ins All haushoch für sich entschieden. John F. Kennedy wurde sechs Jahre, bevor sein Traum Wirklichkeit wurde, ermordet, aber die Sowjets hatte man – ganz nach seinen Wünschen – geschlagen.
Auf die Apollo 11 folgten viele weitere Raketenstarts zum Mond. Nur vier Monate später, im November 1969, absolvierte die Apollo 12 die zweite erfolgreiche Mondmission. Bei der Apollo 13 kam es unterwegs bekanntermaßen zu einer Störung und das Raumschiff musste noch vor der Mondlandung zur Erde zurückkehren. Apollo 14 und 16 setzten beide sicher auf der Mondoberfläche auf und die Apollo 17 war im Dezember 1972 die sechste – und letzte – bemannte Raumfähre, die eine Mondlandung unternahm. Insgesamt betraten zwölf Apollo-Astronauten den Himmelskörper. Seitdem ist kein Mensch mehr über die Erdumlaufbahn hinaus geflogen.
Einer der überraschendsten Höhepunkte der Apollo-11-Expedition war eigentlich ein Bild unseres blauen Heimatplaneten: die außergewöhnlich fragile Schönheit der Erde, von unserem natürlichen Satelliten aus gesehen. Es war ein Anblick, den sich zuvor kaum jemand hatte vorstellen können. Und er zog alle Astronauten, die ihn erhaschen konnten, in seinen Bann zog.
EXPEDITION 2
DER WETTLAUF ZUM SÜDPOL
Die Expeditionen von Roald Amundsen und Robert Falcon Scott
»Ich glaube, dass dies der entscheidende Faktor ist – nämlich die Art und Weise, wie eine Expedition ausgerüstet ist; wie Schwierigkeiten vorausgesehen und Vorkehrungen getroffen werden, um sie zu bewältigen oder zu vermeiden. Der Sieg winkt demjenigen, der alles im Griff hat – Glück nennen das die Leute. Die Niederlage ist dagegen dem gewiss, der es versäumt hat, rechtzeitig die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Das wird dann Unglück genannt.«
AUS THE SOUTH POLE VON ROALD AMUNDSEN
Der Suchtrupp hatte das Zelt gefunden. Die Männer nahmen all ihren Mut zusammen und warfen einen Blick hinein. Wie erwartet, lagen dort die leblosen, ausgezehrten Körper von Captain Robert Scott und zwei seiner Gefährten, steifgefroren im Schnee. Scotts Schlafsack war aufgeschlagen und sein Mantel stand offen. Er hatte das Ende beschleunigt. Irgendwo da draußen, für immer verloren in der erbarmungslosen Antarktis, waren noch zwei weitere Männer, die ebenfalls umgekommen waren. Sie alle hatten den zweiten Platz im Wettlauf zum Südpol mit ihrem Leben bezahlt.
Als Robert Falcon Scott in Großbritannien mit der Absicht aufbrach, 1911 als erster Mensch den Südpol zu betreten, war er bereits ein Nationalheld. Er hatte von 1901 bis 1904 die Discovery-Expedition geleitet, an der ein weiterer großer Entdecker beteiligt gewesen war: Ernest Shackleton. Scott und Shackleton waren so weit in den Süden vorgedrungen wie kein Mensch vor ihnen: Bis auf 850 Kilometer hatten sie sich dem Pol genähert.
Während Scott seinen Rekord am Südpol aufgestellt hatte, leitete Roald Amundsen am anderen Ende der Welt seine eigene bahnbrechende Polarexpedition. Er war 1872 in eine norwegische Familie von Schifffahrtskaufleuten geboren worden und hatte auf Drängen seiner Mutter Medizin studiert. Als sie starb, packte er mit 21 Jahren seine Bücher zusammen und kehrte der Universität den Rücken, um sich einem Leben voller Abenteuer zu widmen. Amundsen leitete von 1903 bis 1906 die erste Expedition, die die Nordwestpassage durchquerte. Auf dieser Reise schaute er sich bei den Inuit ein paar Fertigkeiten ab, die ihm später zugutekommen sollten: So erlernte er den Umgang mit Schlittenhunden und wie man mit ihrer Hilfe Vorräte transportierte. Und er erkannte, dass Tierhäute im nasskalten Polarklima den Körper besser schützten als die schweren Wollanoraks, die üblicherweise von europäischen Entdeckern getragen wurden.
Im Jahr 1909 erfuhr Scott, dass sich sein ehemaliger Kollege Shackleton auf seiner Nimrod-Expedition bis auf 180 Kilometer dem Südpol genähert hatte, dann aber zur Umkehr gezwungen war. Außerdem hatte er Kenntnis davon erhalten, dass andere Südpolexpeditionen in Planung waren, und kündigte – selbst vom »Polfieber« gepackt – die Leitung einer weiteren Antarktisreise an. Sofort wurde die Hoffnung laut, dass mit ihm nun doch noch ein Brite als Erster den untersten Zipfel der Welt betreten würde, und Scott wollte nicht enttäuschen. Seine Expedition brach schließlich im Juni 1910 auf dem ehemaligen Walfangschiff Terra Nova vom walisischen Cardiff zu einer siebenmonatigen Fahrt in die Antarktis auf.
Eine historische Karte von Amundsens Südpolexpedition aus der Vogelperspektive. Auch Scotts Route ist zu sehen (mit zusätzlichen Anmerkungen), denn sie folgte der von Shackletons Expedition (1907–1909).
Während Scotts Blick also gen Süden ging, hatte Amundsen ursprünglich den Nordpol anvisiert. Doch dann hörte er 1909, dass bereits zwei US-amerikanische Expeditionen unter Robert Peary und Frederick Cook unabhängig voneinander den nördlichsten Punkt der Erde erreicht hatten, und sodann entschied auch er sich für eine Reise in die Antarktis. (Mittlerweile ust davon auszugehen, dass weder Peary noch Cook je wirklich bis zum Nordpol vorgedrungen sind.) Amundsen und seine Crew verließen Oslo am 3. Juni 1910 auf der Fram (das Schiff, auf dem zuvor Fridtjof Nansen unterwegs gewesen war, siehe S. 235) und nahmen Kurs auf Süden.
Als Scott das australische Melbourne erreichte, teilte ihm Amundsen per Telegramm mit, dass auch er »in südlicher Richtung unterwegs« sei. Scotts Terra Nova machte einen Zwischenhalt in Neuseeland, um Vorräte an Bord zu holen, und schlug Ende November 1910 Kurs in südliche Richtung ein. Was nun folgte, waren eine Reihe unglücklicher Umstände – »reinstes Pech«, wie Scott es selbst nannte. Bei einem schweren Sturm kamen zwei Ponys und ein Hund ums Leben und über zehn Tonnen Kohle sowie 300 Liter Petroleum wurden über Bord katapultiert. Anschließend steckte die Terra Nova zwanzig Tage im Packeis fest.
Im Gegensatz dazu verlief die Fahrt der Fram gen Süden verhältnismäßig ruhig.
Jeder Versuch, den Pol zu erreichen, musste im antarktischen Sommer unternommen werden, denn das Klima während des restlichen Jahres war viel zu extrem. Allerdings hielt der Zeitraum mit relativ gutem Wetter und durchgehendem Sonnenlicht nur von November bis März an. Der Plan war deshalb, im Sommer anzureisen, ein Lager aufzuschlagen und dort zu überwintern, um dann im folgenden Sommer zum Südpol vorzudringen.
Die Terra Nova legte am 4. Januar 1911 auf der Ross-Insel an. Scotts Team errichtete sein Basislager an einem Kap, in dessen Nähe der Entdecker schon während seiner Discovery-Expedition neun Jahre zuvor gecampt hatte. Ihnen blieben noch mindestens neun Monate bis, bis sie zum Südpol aufbrechen würden. Scott wollte die Wartezeit nicht ungenutzt zu lassen, und stattdessen die Forschungsaktivitäten vorantreiben. Er schickte einen Trupp nach Osten, um die Edward-VII.-Halbinsel sowie Viktorialand erkunden zu lassen. Die Gruppe staunte nicht schlecht, als sie auf ihrem Rückweg in der Bucht der Wale, einem Meeresarm an der Ostseite des Ross-Schelfeises, Amundsens Lager entdeckte. Die Norweger waren am 14. Januar angekommen. Amundsen verhielt sich den Engländern gegenüber sehr freundlich. Er lud sie in sein Camp ein und bot ihnen an, sich um ihre Hunde zu kümmern. Scotts Männer lehnten jedoch ab und kehrten zu ihrem Basislager zurück. Scott schrieb über diese Begegnung in seinem Tagebuch: »Nur eines hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Der richtige und auch klügere Weg ist es, genauso weiterzumachen, als wäre das nicht passiert. Wir werden unsere Mission fortsetzen und unser Bestes für die Ehre unseres Landes tun, ohne in Angst oder Panik zu verfallen.«
Der Weg zum Südpol in 1450 Kilometern Entfernung bestand aus drei großen Etappen: der Überquerung des Ross-Schelfeises (ein Gebiet von der Größe Frankreichs), der Besteigung eines Gletschers hinauf zum Polarplateau sowie der Überquerung dieses Plateaus bis zum eigentlichen Südpol. Einmal am Pol angekommen, musste die ganze Strecke erneut in umgekehrter Reihenfolge zurückgelegt werden.
Für die Bewältigung dieser Etappen hatten sich die beiden Expeditionen verschiedene Strategien einfallen lassen. Amundsen wollte sich und sein Team mitsamt der Vorräte von seinen geliebten Hunden ziehen lassen. Scott wiederum plante, das schwerste und sperrigste Gepäck mithilfe einer Kombination aus Ponys (die auch Shackleton für seinen Südrekord benutzt hatte), Hunden und Motorschlitten über das Schelfeis zu befördern. Das sollte die Kräfte der Männer schonen, die bei der Erklimmung des Plateaus und auf dem weiteren Weg bis zum Pol ihre eigenen Schlitten ziehen würden.
Keine der beiden Parteien würde jedoch imstande sein, über die gesamte Exkursion hinweg ausreichend Vorräte mit sich zu führen, weshalb sie an ihren jeweiligen Wegstrecken Vorratslager platzierten. Das musste noch vor Wintereinbruch geschehen, damit sich die Expeditionen gleich zu Beginn des Frühlings auf den Weg machen konnten.
Am 27. Januar begann Scott in aller Eile mit der Errichtung der Depots, aber die Ponys hielten den Strapazen nicht stand und mehrere von ihnen starben. Zudem behinderte ein heftiger Schneesturm die Arbeit der Männer. Aufgrund dieser Verzögerungen beschloss Scott, das größte Vorratslager – das One Ton Depot – 56 Kilometer nördlich der ursprünglich dafür bestimmten Stelle zu platzieren. Diese Entscheidung sollte seine Truppe auf dem Rückweg teuer zu stehen kommen.
Die Norweger verteilten ihre Vorräte ohne große Probleme mithilfe von Skiern und Hundeschlitten jeweils am 80., 81. und 82. südlichen Breitengrad entlang einer Route, die direkt zum Pol führte.
Dann begann der Winter. Die Expeditionen ließen sich in ihren jeweiligen Basislagern nieder und warteten auf das Frühjahr.
Am 8. September 1911 brach Amundsens Gruppe zum Pol auf, aber schon nach wenigen Tagen vereitelte extremes Wetter ihr Vorhaben. Sie begannen sofort mit den Vorbereitungen für einen zweiten Anlauf und am 19. Oktober startete ein Trupp mit vier Schlitten und 52 Hunden auf direktem Weg in Richtung Südpol. Fast vier Wochen dauerte die Überquerung des Schelfeises, bis sie schließlich den Fuß des Polarplateaus erreichten. Dort entdeckten Amundsens Leute einen Gletscher, der kürzer und steiler war als der kolossale Beardmore-Gletscher, den Scott besteigen würde. Sie erschossen einige ihrer Hunde, um deren Fleisch zu essen, und nach einer viertägigen Kletterpartie über die eisige Treppe erreichten sie am 21. November das Plateau.
Scotts mit Vorräten und Ausrüstung beladene Motorschlitten starteten am 24. Oktober, gingen aber bereits nach 80 Kilometern kaputt. Die Fahrer mussten daraufhin die restlichen 240 Kilometer bis zum ausgemachten Treffpunkt zu Fuß zurücklegen und das gesamte Gepäck selbst schleppen, ein mehr als anstrengendes Unterfangen. Als der Haupttrupp das Basislager am 1. November 1911 verließ, war Amundsen schon zwölf Tage unterwegs. Am 4. Dezember kam Scotts Team schließlich am Beardmore-Gletscher an und lag inzwischen über zwei Wochen hinter Amundsen zurück.
Wegen eines Schneesturm mussten sie vier Tage in ihren Zelten ausharren. Für die darauffolgende Bezwingung des gigantischen, 200 Kilometer langen Beardmore-Gletschers benötigten sie neun Tage. Am 20. Dezember betraten sie das unbelebte Polarplateau. Hier holten sie etwas verlorene Zeit auf und das Kernteam aus fünf Männern – Scott, Wilson, Oates, Bowers und Evans – lief zu Fuß in Richtung Südpol.
Scotts Gruppe stapfte durch die weite weiße Leere und verbrachte auch Weihnachten auf dem Eis. Am 30. Dezember wurde den Männern etwas leichter ums Herz, denn sie hatten Shackletons Fahrplan von 1908/1909 eingeholt. Gleichwohl litten sie alle an Erschöpfung, Erfrierungen und Hunger. Shackletons Rekordmarke (88°23’S) überschritten sie am 9. Januar. Sie spürten, dass ihr Ziel in greifbare Nähe gerückt war und marschierten trotz aller Schmerzen weiter.
Am 17. Januar 1912 schaute Scott vom nicht enden wollenden Schnee unter seinen Füßen auf und sah eine schwarze Flagge, die über einem kleinen Zelt flatterte. Amundsen hatte sein Team aus fünf Männern und 16 Hunden auf gerader Strecke zum Südpol geführt. Die Überquerung des Plateaus war ihnen ohne große Schwierigkeiten gelungen und am 14. Dezember 1911 hinterließen sie als erste Menschen ihre Fußabdrücke am untersten Ende der Welt. Sie hatten ein Zelt errichtet und einen Brief hinterlegt, in dem sie die Einzelheiten ihrer triumphalen Exkursion schilderten.
Scott hatte sein langersehntes Ziel 34 Tage zu spät erreicht. »Alle Tagträume sind dahin«, schrieb der tief enttäuschte Entdecker in sein Tagebuch und weiter: »Großer Gott, dies ist ein schrecklicher Ort!« Den unglücklichen Männern blieb nichts anderes übrig, als den 1300 Kilometer langen Rückweg anzutreten. Es war ein grausames Unterfangen und die Gruppe wurde von Erfrierungen und Schneeblindheit heimgesucht. Edgar Evans verlor als Erster sein Leben. Er starb, nachdem er einen Gletscher hinabgestürzt war.
Die übrigen vier Männer wanderten weiter, doch Lawrence Oates litt unter schweren Erfrierungen an den Zehen und er wusste, dass er seine Kollegen bremste. Am 16. März schrieb Scott in sein Tagebuch, dass Oates aufgestanden war, das Zelt verlassen hatte und nie wieder gesehen wurde. »Ich gehe nur mal raus und könnte etwas länger brauchen«, waren seine letzten Worte an die Kameraden.
»Wir wussten, dass Oates seinem Tod entgegenging […] es war die Tat eines mutigen Mannes und eines englischen Gentlemans.«
Die drei überlebenden Männer schlugen am 19. März ihr letztes Camp auf. Ein unerbittlicher Schneesturm mit Temperaturen von –44 °C hielt sie in ihrem Zelt gefangen und besiegelte ihr Schicksal. Zehn Tage später starben sie an ihren Erfrierungen und an Unterernährung. Sie waren nur 18 Kilometer vom One Ton Depot entfernt. Hätte sich das Vorratslager an der ursprünglich dafür vorgesehenen Stelle befunden, hätten es die Männer geschafft. Scott starb als Letzter.
»Jeden Tag sind wir bereit, uns auf den Weg zu unserem elf Meilen entfernten Depot zu machen, doch vor dem Zelt herrscht weiter dichtes Gestöber. Ich glaube nicht, dass wir noch auf Besserung hoffen können. Wir werden bis zum Ende ausharren, doch wir werden natürlich schwächer, und das Ende kann nicht mehr weit sein. Es ist schade, aber ich fürchte, ich kann nicht mehr schreiben. R. Scott. Letzter Eintrag. Kümmert euch um Gottes willen um unsere Leute.«
BEIDE ZITATE AUS CAPTAIN SCOTTS TAGEBUCH
Amundsen und sein Team trafen am 25. Januar 1912 – sechs Wochen, nachdem sie den Pol verlassen hatten – wieder im Basislager ein. Anfang März erreichten sie Australien. Die Nachricht vom Erfolg ihrer Expedition ging um die ganze Welt.
Scott wurde als tragischer Held gefeiert, der mutig dem sicheren Tod ins Auge geblickt hatte. Seine Legende inspirierte ganze Generationen von Briten. Als Amundsen von Scotts Tod erfuhr, sagte er: »Gern würde ich auf jede Ehre oder jedes Geld verzichten, wenn ich Scott dadurch seinen schrecklichen Tod hätte ersparen können.«
Der Suchtrupp, der Scott und seine Kameraden schließlich fand, faltete das Zelt über ihren leblosen Körpern zusammen, schüttete einen Schneehügel auf ihrem Grab auf und versah diesen mit einem Kreuz aus Skiern. Heute – nach einem Jahrhundert voller Schneestürme – liegen der Hügel, das Zelt und das Kreuz unter einer 23 Meter dicken Eisdecke verborgen. Sie sind zu einem Teil des Schelfeises geworden und haben sich bereits 48 Kilometer von ihrem ursprünglichen Fundort entfernt. In etwa 300 Jahren werden die Entdecker wieder am Ozean landen, ins Meer gleiten und in einem Eisberg davontreiben.
EXPEDITION 3
DARWIN UND DIE BEAGLE
Charles Darwins Reise auf der HMS Beagle
»Als Naturforscher an Bord der HMS Beagle war ich in höchstem Maße beeindruckt von bestimmten Tatsachen, die sich mir über die Verteilung der Bewohner Südamerikas und die geologischen Beziehungen zwischen der jetzigen und der früheren Bevölkerung dieses Kontinents eröffneten. Diese Tatsachen schienen mir einiges Licht auf den Ursprung der Arten zu werfen […].«
Aus dem Vorwort zu Darwins On the Origin of Species by Means of Natural Selection
Charles Darwin war auf der fünfjährigen Weltreise des Vermessungsschiffes HMS Beagle als Naturforscher beschäftigt. Seine Naturbeobachtungen – vor allem die, die er auf der Südhalbkugel machte – dienten ihm als Grundlage für die Entwicklung seiner Evolutionstheorie.
Darwin wurde 1809 im englischen Shrewsbury geboren. Sein Vater war ein bekannter Landarzt und seine Großväter Josiah Wedgwood und Erasmus Darwin zählten zu den führenden Köpfen der Industriellen Revolution. Charles Darwin besuchte die Shrewsbury School und ging 1825 zusammen mit seinem Bruder an die Universität von Edinburgh, um Medizin zu studieren. Seine Abneigung gegen Anatomie und Chirurgie brachte ihn schnell von einer medizinischen Laufbahn ab und er verließ Edinburgh 1827 ohne Abschluss. Im folgenden Jahr begann Darwin ein Studium am Christ’s College in Cambridge mit dem Ziel, anglikanischer Pfarrer zu werden. Dort freundete er sich mit dem Professor für Botanik John Henslow an und wurde von dessen Liebe und Faszination für die Natur angesteckt.
Darwin schloss 1831 sein Studium ab und Henslow empfahl ihn anschließend für eine auf zwei Jahre angelegte Reise nach Südamerika, auf der er als »Gentleman-Sammler« naturwissenschaftliche Proben zusammentragen sollte. Henslow bemerkte darüber, dass sich seine Empfehlung »nicht auf die Annahme stützt, dass Sie ein ausgebildeter Naturforscher sind, wohl aber reichlich qualifiziert für das Sammeln, Beobachten und Notieren aller Dinge, die in der Naturgeschichte des Notierens wert sind«. Nach einiger Überzeugungsarbeit willigte auch Darwins Vater in das Vorhaben ein (was wichtig war, denn Darwin Senior musste für alle Ausgaben seines Sohnes aufkommen – mit Ausnahme der Verpflegung, die von der Admiralität gestellt wurde).
Die Reise würde auf der HMS Beagle stattfinden, einem kleinen, 27 Meter langen und rund 245 Tonnen schweren Vermessungsschiff. Deren Kapitän war Robert Fitzroy, ein begeisterter Amateurnaturkundler und Hobbywissenschaftler. Neben der Vermessung der Küste Südamerikas sollte er auf dieser Expedition auch die neue Beaufort-Windskala ausprobieren. Darwin teilte sich eine Kabine – die er auch als Arbeitszimmer benutzte – mit einem Marineoffizier und einem Seekadetten. Am 27. Dezember 1831 legte die HMS Beagle schließlich in Plymouth ab – einen Tag später als geplant, denn die Besatzung hatte es bei den Weihnachtsfeierlichkeiten etwas übertrieben und war erst nach zwei Tagen wieder reisefähig. Für Darwin begann die lange Fahrt denkbar ungünstig, denn er wurde schon bald schwer seekrank.
Die See vor Madeira war zu stürmisch, um die Insel anzulaufen, und da in England die Cholera ausgebrochen war, wurde das Schiff auch auf den Azoren abgewiesen. Am 16. Januar erreichte es schließlich die Kapverdischen Inseln, wo Darwin sogleich seine Arbeit des Sammelns, Beobachtens und Notierens aufnahm. Man konnte seinem wissbegierigen Geist förmlich beim Nachdenken zusehen: Warum etwa gab es in einer Klippe 14 Meter über dem Meeresspiegel eine Muschelschicht, wenn diese doch unter Wasser entstanden sein musste?
Die Beagle erreichte Ende Februar 1832 die Küste Brasiliens und während die restliche Besatzung ihrer Vermessungsarbeit nachging, verbrachte Darwin den Großteil der folgenden sechs Monate an Land. Er ging auf Entdeckungstouren und legte große Sammlungen von Objekten und Lebewesen an, die er unter anderem aus dem Umland von Rio de Janeiro sowie Buenos Aires und Bahía Blanca in Argentinien zusammentrug. Bis Ende November hatte Darwin bereits zwei Chargen diverser Proben zurück nach England geschickt, darunter präparierte Käfer und Fossilien von bis dato unbekannten Tieren.
Anschließend segelte die Beagle weiter südlich bis nach Feuerland, wo sie am 17. Dezember anlegte: »Wir wurden ganz nach der Art der Bewohner dieses wilden Landes begrüßt. Eine Gruppe von Feuerländern, die zum Teil von wucherndem Dickicht verdeckt war, hockte auf einem wilden Hang über dem Wasser, und als wir vorbeifuhren, sprangen sie auf, schwangen ihre zerfetzten Kleider und gaben ein lautes, sonores Geschrei von sich.«
Darwin war von der Schlichtheit der Feuerländer schockiert (nach einer Begegnung mit einer Gruppe von ihnen beschrieb er sie als »die jämmerlichsten und elendsten Geschöpfe, die ich je gesehen habe«). Verwundert darüber, wie jemand so ein hartes Leben in einer derart unversöhnlichen Umgebung führen konnte, kam er zu folgendem Schluss: »Die Natur, welche die Gewohnheit zu einer unwiderstehlichen Macht und ihre Wirkungen erblich gemacht hat, hat den Feuerländer dem Klima und den Erzeugnissen seines elenden Vaterlandes angepasst.«
Die Beagle fuhr weiter nach Kap Hoorn: »Auf der Windseite des Schiffes erblickten wir dieses berüchtigte Vorgebirge in seiner eigenwilligen Form. Der Nebel hatte es umhüllt und seine schemenhaften Umrisse waren von einem Sturm aus Wind und Wasser umgeben.«
Rings um Kap Hoorn tobte ein schweres Unwetter, in dem das Schiff beinah kenterte:
»Gegen Mittag brach eine hohe Flutwelle über uns herein […]. Die arme Beagle erbebte unter der plötzlichen Erschütterung und wollte für einige Minuten dem Steuer nicht mehr gehorchen. Weil es aber ein gutes Schiff war, richtete sie sich schon bald wieder auf und kam erneut vor den Wind. Wäre auf die erste Welle eine zweite gefolgt, so wäre unser Schicksal schnell und endgültig besiegelt gewesen.«
Im April 1833 verließ die Beagle Feuerland in Richtung der Falklandinseln, über die Großbritannien kurz zuvor die Souveränität wiedererlangt und damit die argentinische Herrschaft über die Inseln beendet hatte. Im Anschluss kehrte das Schiff nach Montevideo zurück. Während sich die übrige Besatzung der Beagle Vermessungsarbeiten widmete, erkundete Darwin das Landesinnere rund um Buenos Aires und Montevideo, bevor er am 28. November wieder an Bord ging. Die Beagle nahm erneut Kurs auf Feuerland und passierte die Magellanstraße: »Die unbelebten Werke der Natur – Felsen, Eis, Schnee, Wind und Wasser, alle im Kampf miteinander und doch vereint gegen den Menschen – herrschten hier in absoluter Souveränität.« Am 10. Juni 1834 erreichte die Beagle schließlich den Pazifik und am 23. Juli lief sie in das angenehm warme Valparaíso ein. Von dort aus brach Darwin zu einer sechswöchigen Expedition in die Anden auf.
Die Vermessung des südlichen Chile dauerte noch bis ins Jahr 1835. In der Stadt Concepción erlebte Darwin die verheerenden Auswirkungen eines Erdbebens und stellte fest, dass Gesteinsbrocken durch das Beben nach oben gedrückt worden war – ein Beweis für die Kraft der Erdbewegungen, die die Anden immer weiter auftürmten. In den folgenden Monaten unternahm er verschiedene Expeditionen ins Landesinnere, bis die Beagle schließlich am 7. September von Peru aus in Richtung der Galápagosinseln aufbrach.
Die Beagle blieb fünf Wochen auf den Inseln und Darwin legte umfassende Sammlungen an: »Die Naturgeschichte dieses Archipels ist sehr bemerkenswert. Es scheint eine kleine Welt für sich zu sein. Die überwiegende Zahl seiner Bewohner, sowohl aus dem Pflanzen- als auch dem Tierreich, sind nirgendwo sonst zu finden.« Die von Darwin zusammengetragenen Beweise für diese Hypothese gaben ihm den Anstoß für die Ausarbeitung seiner Evolutionstheorie.
Von den Galápagosinseln aus segelte die Beagle weiter über den Pazifik. Sie erreichte Tahiti im November, das nördliche Neuseeland im Dezember und Sydney am 12. Januar 1836. Weiter ging es nach Tasmanien und von dort aus zu den Keelinginseln (heute Kokosinseln) im Indischen Ozean. Im Juni traf das Schiff im südafrikanischen Kapstadt ein, wo es einen Monat vor Anker lag. Darauf folgten St. Helena und Ascension.
Die Beagle kehrte kurz nach Brasilien zurück, bevor sie schließlich am 2. Oktober 1836 im englischen Falmouth einlief. Kapitän Fitzroy hatte bedeutende Vermessungsarbeit geleistet und Darwin genügend Wissen erworben und Eifer entwickelt, um sein Leben der Naturgeschichte zu widmen. Darwins größte Leistung – das 1859 erschienene Werk Die Entstehung der Arten mit seiner bahnbrechenden Evolutionstheorie – war ein direktes Ergebnis seiner Reise auf der Beagle.
EXPEDITION 4
STAR MAN
Juri Gagarin: der Mann, der auf die Erde fiel
»Blitze zuckten durch die Erdatmosphäre, der Horizont leuchtete orange und nahm allmählich alle Farben des Regenbogens an: von Hell- über Dunkelblau zu Violett und schließlich zu Schwarz. Was für eine unglaubliche Farbpalette!«
JURI GAGARIN
12. April 1961. In der unendlichen Weite der russischen Steppe versorgen eine Bäuerin und ihre Tochter gerade ein Kalb, als eine eigenwillig aussehende Gestalt auf sie zukommt. Der Fremde trägt einen orangefarbenen Overall, sein Gesicht unter dem weißen Helm ist nicht zu erkennen und hinter sich zieht er meterweise Seile und Stoff her.
Die Gestalt spricht: »Haben Sie keine Angst. Ich bin Sowjetbürger genau wie Sie und komme gerade aus dem Weltraum. Ich brauche ein Telefon, damit ich Moskau anrufen kann!«
Der Fremde ist der erste Mensch, der je unseren Planeten verlassen hat. Juri Gagarin, der 27 Jahre alte Sohn eines Zimmermanns und einer Melkerin, war kurz zuvor 89 Minuten in der Wostok 1 um die Erde geflogen. Dabei hatte er Geschwindigkeiten von über 27 400 Stundenkilometern und eine Orbithöhe von 328 Kilometern erreicht. Kein Mensch hatte sich je so weit und in solch einem Tempo von der Erde wegbewegt.
Nur ein paar Minuten vor seiner Begegnung mit der Bauernfamilie hatte Gagarin extreme Hitze und unglaublich hohe Gravitationskräfte aushalten müssen, als die Kapsel der Wostok 1 – kaum größer als der Innenraum eines Kleinwagens – durch die Erdatmosphäre raste. Jetzt wartete der Kosmonaut seelenruhig in einer aufgeregten Menge erstaunter Landarbeiter auf den Hubschrauber, der ihn zurück zum Kontrollteam bringen sollte. In Kürze würde die Nachricht über seine Mission im sowjetischen Staatsrundfunk bekanntgegeben und Gagarin zum berühmtesten Mann der Welt werden.
Juri Gagarins weltverändernde Mission war der erste Preis in einem Rennen zweier globaler Supermächte, die sich zu jener Zeit im Kalten Krieg gegenüberstanden: der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Vereinigten Staaten von Amerika. Das »Space Race« – der Wettlauf ins All – zwischen Amerikas Project Mercury und Russlands Wostok-Programm zielte auf die Eroberung des Weltraums. Beiden Großmöchten war der Ruf, als erste Nation einen Menschen ins Weltall zu schicken, Ansporn genug, riesige Geldmengen in ihre jeweiligen Raumfahrtprogramme zu investieren. Im Frühjahr 1961 standen beide Seiten kurz davor, ihren ersten bemannten Raumflug durchzuführen.
Die Geschichte hätte einen ganz anderen Lauf nehmen können. Die Amerikaner wollten am 24. März die Freedom 7 starten, einen suborbitalen Flug unter der Leitung von Alan Shepard, entschieden sich aber stattdessen für einen weiteren unbemannten Testflug. Als Shepard schließlich am 5. Mai 1961 ins All flog, war sein Platz in der Geschichte bereits vergeben.
Indes war Gagarins Erdumrundung dem ersten menschlichen Vorstoß ins All wahrhaft würdig. Während Shepard lediglich für ein paar Minuten einen suborbitalen Flug absolvierte und nicht in die Umlaufbahn gelangte, kreiste Gagarin 89 Minuten lang im Orbit um die Erde. Dabei erlebte er sowohl den Auf- als auch den Untergang der Sonne.
Die Wostok 1 war der Inbegriff technischer Leistungsfähigkeit. Ihre Triebwerke sorgten für eine Schubkraft von 4800 Kilonewton und Gagarin war an den Schlüsselstellen seiner Mission einer Gravitationskraft ausgesetzt, die dem Sechsfachen der Schwerkraft auf der Erde entsprach. Dieser gigantische Energieschub war nötig, um die Wostok 1 erst durch die Erdatmosphäre und schließlich darüber hinaus in die Leere des Weltalls zu katapultieren. Einmal im Erdorbit angekommen, flog das Raumfahrzeug weiter nach Osten. Erst überquerte es die russische Steppe und die Wildnis Sibiriens und anschließend den Pazifik, wobei es die südlichste Spitze Südamerikas anvisierte. Von dort aus nahm die Wostok Kurs auf Norden, überquerte den Atlantik und überflog die Regenwälder und Wüsten Afrikas, bevor sie schließlich im russischen Vaterland auf die Erde niederging.
Am Morgen der Mission der Wostok 1 wartete Gagarin unaufgeregt im Kosmodrom Baikonur in der Region Samara darauf, in sein Raumschiff zu steigen. Bei ihm war German Titow, sein Ersatzmann. Die zwei zukünftigen Kosmonauten hatten bereits über ein Jahr lang zusammengearbeitet und um den Pilotensitz in der Wostok 1 konkurriert. Bei einer Besprechung am 8. April – nur vier Tage vor der Mission – hatte man ihnen mitgeteilt, dass die Wahl auf Gagarin gefallen war. Die beiden Männer nahmen anschließend an einer inszenierten Nachstellung jenes Treffens für ein Filmteam teil, bei der Gagarin eine etwas gestelzte Dankesrede hielt, während ihm Titow dabei zusah.
Gagarins kleine Statur hatte bei seiner Auswahl eine wichtige Rolle gespielt. Mit einer Körpergröße von 1,57 Metern brauchte er weniger Platz und war zudem etwas leichter als Titow – ein wichtiger Faktor für eine Mission, bei der es auf jeden Zentimeter und jedes Gramm ankam.
Die Fernsehkameras, die die Entscheidung zugunsten Gagarins dokumentiert hatten, begleiteten ihn nun im engen Innenraum der Wostok 1. Sie filmten den Piloten dabei, wie er ruhig darauf wartete, dass das Bodenpersonal die Startprotokolle abarbeitete.
Um 9.07 Uhr Ortszeit war es so weit. In einem Tohuwabohu aus Flammen und Rauch und angefeuert von Gagarins Ruf »Pojechali!« (»Los geht’s!«) schoss das Raumfahrzeug gen Himmel. Nach nur zehn Minuten war die gesamte Energie der Raketen verbraucht, die daraufhin abgestoßen wurden. Die winzige Weltraumkapsel stieg ins All und begann ihre Erdumrundung.
Gagarin berichtete in regelmäßigen Abständen über den Verlauf seines Flugs, wobei vor allem die Nüchternheit seiner Worte auffiel. Nach 89 Minuten – weniger als die Dauer eines Fußballspiels – hatte er seine Umrundung beendet. Jetzt begann die potenziell gefährlichste Phase seiner Mission. Als die Kapsel der Wostok wieder in die Erdatmosphäre eintrat, wurde der erste Raumfahrer der Welt ordentlich durchgerüttelt und beinah gekocht. Der Luftwiderstand, der in den äußersten Schichten der Erdatmosphäre auf das in rapidem Tempo herabfallende Raumfahrzeug einwirkte, sorgte für heftige Erschütterungen. Die hohen Temperaturen, die den Innenraum der Kapsel beträchtlich erwärmten, waren wiederum das Ergebnis aerodynamischer Hitze, verursacht durch die beim Wiedereintritt entstandene Reibung. Bei seinem Fall in Richtung Boden war Gagarins Körper bei Temperaturen von über 38 °C einer g-Kraft von 8 g ausgesetzt.
Rund sieben Kilometer über dem Boden öffnete sich die Luke der Wostok. Zwei Sekunden später wurde Gagarin aus der Kapsel geschleudert und fiel zur Erde, wo er auf jene ahnungslosen Landarbeiter traf.
Er war nicht nur der erste Mensch, der den Planeten verlassen hatte, sondern auch der erste – und das ist genauso wichtig –, der wieder auf die Erde zurückgekehrt war. Sein Name würde bald weltweit in aller Munde sein. Staatsoberhaupt Nikita Chruschtschow erklärte Gagarin in einer anschließenden Zeremonie zum Helden der Sowjetunion.
Seine Fahrt ins Weltall war nur der Anfang von Juri Gagarins Reisen. Mit der Absicht, aus dem Erfolg ihres Weltraumprogramms Kapital zu schlagen, schickte die sowjetische Regierung ihren ersten Kosmonauten auf Welttournee. In Großbritannien aß Gagarin mit Königin Elisabeth II. zu Mittag, in Kuba sprach er gemeinsam mit Fidel Castro auf einer Kundgebung und in Finnland, Island, Ungarn und Brasilien nahm er an Empfängen teil. Bei einem Zwischenstopp in Kanada verbrachte er eine Nacht auf einem Bauernhof in Pugwash, Nova Scotia.
Bevor Gagarin zu seinem Beruf als Pilot zurückkehrte, besuchte er außerdem Frankreich, Afghanistan, Griechenland, Ägypten und Sri Lanka. Er arbeitete im Sternenstädtchen – dem Ausbildungszentrum der Kosmonauten – und schloss sein Studium als Kosmonaut-Ingenieur mit Auszeichnung ab. Am 27. März 1968 führte er einen Routine-Übungsflug in einem Jet durch, als dieser nahe Moskau verunglückte. Juri Gagarin und sein Flugausbilder kamen bei dem Unfall ums Leben.
Gagarin, der verheiratet war und zwei Töchter hatte, bekam ein Staatsbegräbnis und seine Urne wurde in der Kremlmauer beigesetzt. Seine große Expedition in die Welt außerhalb der unseren dauerte zwar nur 89 Minuten, aber das Vermächtnis seiner Mission wird in alle Ewigkeit fortbestehen.
»Ich sah zum ersten Mal die Form der Erde. Ich konnte die Küsten der Kontinente, die Inseln, die großen Flüsse, die Falten im Gelände und die großen Gewässer gut erkennen. Der Horizont ist dunkelblau und geht allmählich in Schwarz über […]. Die Gefühle, die mich erfüllten, kann ich mit nur einem Wort beschreiben: Freude.«
Juri Gagarin
EXPEDITION 5
AUF DER SUCHE NACH NEULAND
Leif Erikssons Reise nach Vinland