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Laut Gesetz und wie alle anderen muss George an seinem 75. Geburtstag sterben. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr und um ihn herum passieren grausame Dinge. Seine geliebte Tochter enthüllt ihm ein Geheimnis, das zu gut ist, um wahr zu sein. In einem Klima der Angst und Verzweiflung gibt es George und der Menschheit eine Chance, wieder Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben zu schöpfen. George muss dafür jedoch ein großes Risiko eingehen.
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Seitenzahl: 94
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Copyright © 2017 Bea Eschen
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Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
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Es handelt sich hierbei um ein fiktives Werk. Namen, Charaktere, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie der Autorin oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebendig oder tot oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig.
Es ist ein schöner, warmer Frühlingstag. Während meines morgendlichen Spaziergangs genieße ich den Gesang der Vögel. Zu dieser Jahreszeit trinken Vögel aller Arten von dem Saft der Bäume und flattern aufgeregt umher. Wie jeden Morgen gehe ich an dem Springbrunnen im Park vorbei. Weiche, kühle Wassertropfen sprühen auf mein Gesicht. Ich war schon immer abergläubisch und akzeptiere diesen sonderbaren Moment als ein Zeichen für den Beginn meines Ablebens. Ich bin vierundsiebzig und mein kommender Geburtstag bedeutet meinen Tod. Mein Sohn Duke hat das Gift-Set schon bestellt, das jeder in meinem Alter fürchtet — Männer und Frauen gleichermaßen.
George und Magda führten ein harmonisches Leben. Magda war erst zweiundsiebzig und durfte noch drei Jahre leben. Der Gedanke, dass ihr Mann nach ihrem fünfzigjährigem Zusammensein bald sterben würde, erfüllte sie mit Angst, Verzweiflung und Traurigkeit.
„Ich will mit dir kommen“, sagte sie zu ihm am Morgen, als George sich hinunterbeugte, um seine Wanderschuhe anzuziehen. Von den vielen Jahren mühsamer Arbeit im Kohlebergwerk hatte er schreckliche Rückenschmerzen und als er sich aufrichtete, spiegelte sich der Schmerz in seinem Gesicht wider.
„Nein, ich gehe alleine.“
„Ich meinte, ich möchte dich auf deiner Reise des Sterbens begleiten.“
„Nein, ich ziehe es vor, alleine zu sterben.“ Er nahm den Wanderstock aus der Ecke. „Außerdem“, sagte er dann, als er den Türknopf drehte, „Ella braucht dich noch.“
Als sich die Tür zwischen ihnen schloss, fühlte Magda sich schrecklich. Es war, als ob ihm ihre Gefühle egal waren. Sie war doch seine Frau!
Wie wird Magda ohne mich fertig werden? Ich muss ihr dabei helfen, innere Kraft zu finden während ich noch da bin. Und Ella? Mit neunzehn ist Ella fast noch ein Kind. Ohne Magda würde sie von einem dieser satanischen Monster vergewaltigt und mit nichts als Leid zurückgelassen werden. Ich liebe sie sehr. Als Magda sie mit dreiundfünfzig Jahren bekam, wusste ich, dass Gott sie geschickt hatte. Ella ist ein Engel Gottes, den wir beschützen müssen, solange sie lebt. Aber wenn ich tot bin, wird sich die Situation für Magda und Ella ändern. Sie werden leicht verletzbar sein. Auf Duke kann ich mich nicht mehr verlassen. Er ist völlig hirngewaschen von der Politik der Regierung der Neuen Ordnung. Kein Wunder, dass er so geworden ist — er ist jetzt in einer der Top-Positionen und macht ständig neue Gesetze. Pah! Nutzlose neue Gesetze, die unsere Bevölkerung verjüngen und die Wirtschaft ankurbeln sollen. Pah! George lachte freudlos auf. Aber was ist mit unserem Wissen? Dem Wissen, das wir alte Menschen über Jahrzehnte unseres Lebens erworben haben? Unsere Erfahrungen und Weisheiten? Gott hat sich etwas dabei gedacht, Menschen alt werden zu lassen! Vielleicht hat Gott uns deswegen Ella geschickt? Einen Engel, um unsere Gesellschaft von der Hässlichkeit des Geldes und von der ständig wachsenden Unmoral zu heilen? Wie kann diese sogenannte neue Ordnung funktionieren, wenn sie versuchen, unsere Überzeugungen wegzunehmen? Ich war schon immer ein Christ und meine religiöse Einstellung ist Privatsache. Warum sollte ich mich zu dieser Unsinns-Religion bekennen, die sie die Allgegenwärtige Wahrheit nennen, bei der sie alle Religionen der Welt in einen Topf werfen?
Nachdem George gegangen war, kam Ella aus ihrem Zimmer, um ihre Mutter zu trösten. Sie hatte das kurze Gespräch der Eltern gehört. Ella wusste, dass ihr Vater sich darauf vorbereitete, das Gift zu nehmen. Sie nahm ihre Mutter in ihre Arme und streichelte ihren Rücken. Bei der Berührung entspannte sich Magda sofort.
„Ich verstehe nicht, warum George sich Sorgen um dich macht, Ella. Du bist die Stärkere von uns, nicht ich.“
„Mami, solange ich da bin, wird dir nichts passieren.“
„Wie meinst du das, Ella?“
„Glaub mir, Papa und du werdet nicht mit fünfundsiebzig sterben.“
„Aber Ella, wie kannst du so etwas sagen?“
Sie hörten das zweimalige Drehen des Hausschlüssels im Schloss der Wohnungstür. Ella gab ihrer Mutter einen warnenden Blick.
„Schhh...“ Sie legte einen Finger an ihre Lippen.
Duke kam nach Hause und warf seine Schlüssel auf den Tisch.
„Hallo ihr zwei, ich komme zum Mittagessen. Mutter, hast du etwas für mich vorbereitet?“
„Ja, mein Sohn, heute gibt es dein Lieblingsessen.“
„Gebratenes Huhn mit gebackenen Kartoffeln und grünem Gemüse?“, fragte er und machte zwei Schritte, um in die Küche zu kommen. Er war ein großer Mann in den Dreißigern — mit einem unversöhnlichen Blick und kalter Ausstrahlung. Seine Halbglatze trug dazu bei, seine strengen Gesichtszüge besonders hervorzubringen. Eine gerade, lange und spitze Nase trennte seine Augen, deren einst verträumter Blick einem drohenden gewichen war. Von dem Moment, als er Regierungsbeamter geworden war, versuchte er, seine Gefühle zu verbergen und das Träumen wurde zur Vergangenheit.
Er setzte sich an den rechteckigen Tisch und legte die Füße auf den Stuhl gegenüber. Langsam lief der Dreck an der Sohle seiner Lederstiefel hinab und tropfte auf das alte Holz.
„Du kannst jetzt das Essen bringen!“, befahl er.
Seine Mutter eilte in die Küche, um ihm die köstlich riechende Mahlzeit zu servieren. Duke begann ohne weitere Worte zu essen. Im Regierungsbüro arbeitete er hart; dieses Jahr gab es einen Boom von Fünfundsiebzigjährigen und alle diese Senioren und Seniorinnen mussten verarbeitet werden. Ihren Familien musste das Gift-Set ausgehändigt und sie mussten über das gesetzliche Verfahren zur Beseitigung ihrer Eltern oder Großeltern informiert werden. Zumindest war die Wahl zwischen Körperbeerdigung und Einäscherung abgeschafft worden. In diesen Tagen wurden die Körper alle verbrannt und deren Asche als Dünger auf dem Ackerland verstreut. Duke lachte leise vor sich hin, während er sich einen Berg Gemüse in den Mund schaufelte. Die Vorteile dieser Beseitigungsmethode lagen auf der Hand: Die menschliche Asche musste zuerst behandelt werden, um das hohe Natrium zu verdünnen und den hohen pH-Wert zu senken – ein Prozess, der einen neuen Industriezweig erzeugt hatte. So waren neue Arbeitsplätze geschaffen worden und diejenigen, die stark in die neue Industrie investierten, teilten sich die Gewinne. Die Aktien für A.S.H.E.S. waren in die Höhe geschossen und handelten seit Jahren noch nie dagewesene Werte ein. Das multinationale Unternehmen A.S.H.E.S. unterhielt Niederlassungen auf der ganzen Welt. Es bestand aus Unternehmenszweigen, die sich mit allen Aspekten der Verarbeitung menschlicher Körper befassten. Experten hatten herausgefunden, dass die Asche verschiedener Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Qualität besaß. Insbesondere die Asche von Afrikanern war von höherer Qualität als die vom Rest der Weltbevölkerung. Sie hatte eine feinere Textur und enthielt weniger Salz. Die Wissenschaftler begründeten es damit, dass die Menschheit in Afrika, der Wiege des menschlichen Lebens auf der Erde, entstanden sei. Daher wäre sie frei von ungünstigen genetischen Einflüssen. Infolgedessen wuchs die Nachfrage nach Asche von Afrikanern stetig und somit stand A.S.H.E.S.-Afrika in der globalen Börse ganz oben. Ein neues Gesetz war in Diskussion, welches das obligatorische Todesalter von fünfundsiebzig auf siebzig für Afrikaner reduzieren sollte. Auf internationaler Ebene würden die Staaten damit mehrere Milliarden Dollar an Renten und an Gesundheitsversorgung für ältere Menschen sparen. Schon jetzt profitierten die Finanzinvestitionen weltweit von dem festgelegten Lebenszyklus, denn durch die Vorhersehbarkeit konnte der Markt ohne große Risiken und ohne Volatilität funktionieren. Die Profite von A.S.H.E.S. stiegen und mit dem Wirtschaftswachstum wuchsen die Familiengrößen. Schon jetzt, zehn Jahre nach der Einführung, wurden Babys in doppelter Menge geboren als zuvor.
Duke schob seinen leeren Teller mit einer schroffen Handbewegung von sich. Genervt schüttelte er mit dem Kopf. Das einzige Dilemma war die Trauer der übrig gebliebenen Ehegatten und Familien. Die Gesetzgeber der Regierung der Neuen Ordnung hatten ein großzügiges Schmerzensgeld vereinbart, das den Schmerz der traurigen Verwandten erleichtern sollte.
Ich habe Angst, nach Hause zu gehen. Duke wird dort sein, um zu Mittag zu essen. Ich kann seine Kälte nicht mehr ertragen. Er hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Liebt er mich überhaupt noch? Als er aufwuchs, benahm er sich wie ein Sohn. Er respektierte mich und hörte meinen Ratschlägen zu. Zusammen beobachteten wir beim Fischen die tief fliegenden Schwalben, die den Regen ankündigten. Wir lachten, wenn wir die großen Forellen aus dem Teich zogen. Danach stürzten wir uns ausgehungert auf den von Mutter frisch zubereiteten Fisch. Seitdem ich siebzig bin, behandelt er mich wie Dreck. Als ob ich nichts wert wäre, oder noch schlimmer, ein Klotz an seinem Bein. Neulich stöhnte er über die Müllentsorgungsgebühr, die er für unseren Haushalt im Voraus zahlen musste, und musterte mich dabei mit einem vernichtenden Blick. Was ging ihm nur durch den Kopf? Jetzt, da es nur noch einundzwanzig Tage zu meinem fünfundsiebzigsten Geburtstag sind, bemerkt er mich kaum noch.
Bald wird er Magda und Ella anweisen, mir das Gift zu geben, um meinen Tod rechtzeitig zu garantieren. Vielleicht plant er es selbst zu tun. In einem Moment, wo ich nicht aufpasse, unerwartet und ohne großes Getue. Das ist seine Art, Dinge zu erledigen. Ohne Aufwand. Ich selbst lehrte es ihn, jedoch in anderen Zusammenhängen. Ich hätte nie erwartet, dass er das Prinzip auf meine eigene Ermordung anwenden würde. Ohne großen Aufwand.
„Ella, du siehst wunderschön aus“, sagte Duke, während er sein Huhn und seine Kartoffeln kaute. Er sah seine viel jüngere Schwester mit Bewunderung und kaltem Stolz an. So, als ob er sie besäße.
„Das Kleid steht dir gut!“
„Danke Bruder, ich habe es selbst gemacht.“ Sie senkte den Blick und zupfte an dem Saum des weißen Kleides.
„Ich wusste nicht, dass du dich in eine Expertin für Schneiderei entwickelt hast!“
„Du weißt viele Dinge nicht über mich“, sagte sie.
Seit Jahren gab Ella vor, nichts über seine Arbeit zu wissen. Somit hielt sie ihre geschwisterliche Beziehung aufrecht, denn Dukes Glauben an ihre Unschuld half ihr bei ihrer geheimen Mission, die sie sich fest vorgenommen hatte, in die Tat umzusetzen.
Als George seine Haustür erreichte, kam Duke heraus. George war sich nicht sicher, ob Duke sein Nicken erwidert hatte. Um etwas zu sagen fragte George, ob Ella zu Hause sei.
„Ja. Übrigens sieht sie schön aus in ihrem neuen, selbst gemachten Kleid.“
Es ist schön zu wissen, dass Duke Ella liebt. Ich bin überzeugt davon, dass er sie in mehr als einer brüderlichen Weise liebt. Er brachte nie eine Freundin mit nach Hause, noch sprach er von einer anderen Frau. Außer von Ella.
„Gut. Bis später, Sohn.“