Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die bekannte spirituelle Lehrerin Annette Kaiser beantwortet in diesem Buch in ihrer klaren und lichtvollen Sprache mit grosser Offenheit 99 Fragen aus den Bereichen der Spiritualität, dem Lehrer-Schüler-Verhältnis, der Meditation und dem Gebet. Dabei gibt sie auch tiefe Einblicke in ihre Einschätzung zu aktuell diskutierten Themen, unter anderem der Zusammenarbeit von Spiritualität und Wissenschaft, Visionen eines möglichen Zusammenlebens unserer Zivilisation sowie notwendigen Veränderungen des Miteinanders in menschlichen Beziehungen. Auch sehr persönliche Fragen zu ihren Aufgaben als spirituelle Lehrerin beantwortet sie hier mutig und offen. Ein wunderschönes Buch für Menschen, die sich mit dem Thema Spiritualität in all ihren Facetten umfassend und vertiefend auseinandersetzen möchten. Und sicherlich ein sehr persönliches Buch von Annette Kaiser.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 108
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Annette Kaiser
99 Fragen an eine
Annette Kaiser
99 Fragen an eine spirituelle Lehrerin
© Edition Menschenklang, Hindelbank, 2014
www.edition-menschenklang.ch
2. Auflage 2014
Herausgeberin: Anette Schirmer
Autorin: Annette Kaiser
Umschlaggestaltung: menschenklang.com
Lektorat: Ruth Spielmann, Jacqueline Forster-Zigerli
Titelfoto: Janne Peters
Verlag: Edition Menschenklang
ISBN 978-3-9524330-1-0
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Inhaltsverzeichnis
Zum Geleit
Fragen zur Spiritualität
Fragen zum Lehrer-Schüler-Verhältnis
Fragen zur Welt
Persönliche Fragen
Vision
Spiritualität und Forschung
Meditation und Gebet
Anhang
Dankeschön
Für Dich
Zum Geleit
Vorwort von Martin Frischknecht
Annette Kaiser wird von einer Sehnsucht bewegt. Seit ihrer Kindheit will sie eins werden mit dem Höchsten, verschmelzen mit Gott. So geh doch ins Kloster, möchte man sagen. Dort gibt es andere Menschen, die sich aus ähnlichem Antrieb zusammengeschlossen haben zu Gemeinschaften des gottgefälligen Lebens, Gruppen von Kontemplativen, die ihr Leben hinter Klostermauern verbringen und sich ganz ausrichten auf Vertiefung und Meditation. Als Gruppe geben sich diese Gottsucher gegenseitig Halt, sie sind Weggefährten und bringen sich gemeinsam weiter.
Klingt gut, passt aber nicht zu dieser Frau. So sehr sie die Sehnsucht drängt, so wenig mag sie sich abschliessen vom Leben, absondern aus der Gesellschaft. In den Jahren ihrer intensiven geistigen Schulung bei der Sufi-Mystikerin Irina Tweedie war sie zugleich Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern, besorgte einen Haushalt und arbeitete in der Entwicklungshilfe. Ganz nebenbei bildete sie sich zur Tai-Ji-Lehrerin aus und präsidierte die Transpersonal Association Switzerland. Eine Klostererfahrung hatte sie bereits in ihrer Jugend gemacht, als sie mit 14 Jahren ihrer älteren Schwester in ein Konvent nach Frankreich folgte. Damals war sie entschlossen, Nonne zu werden, doch die Verliebtheit in einen jungen Mann belehrte sie eines Besseren.
Mitten im Leben will sie eins sein mit dem Höchsten. Nicht irgendwann oder irgendwo, hier und jetzt. Auch in diesen Gesprächen. Die handeln von vermeintlich Heiligem wie vermeintlich Alltäglichem. Offensichtlich hat das eine mit dem anderen zu tun, die beiden Bereiche auseinander halten zu wollen scheint vergebliche Liebesmühe. Es geht ums grosse Ganze, um die Liebe zu allem. Die aber will erfahren und gelebt sein, vorzugsweise in jeder Beziehung, die sich gerade ergibt.
Da ist es nur konsequent, wenn Annette Kaiser auf eine entsprechende Frage zur Antwort gibt: «Es gibt niemanden, dem ich lieber nicht begegnet wäre. Denn von jeder Begegnung, sei sie so genannt positiv oder negativ, konnte ich viel lernen. Im Nachhinein kann ich nur Dankbarkeit spüren. Sie alle haben beigetragen zu dem, was ich heute bin.»
Ihre Sehnsucht, die sie einst dazu brachte, auf vielen verschiedenen Gebieten und in allen Ecken der Welt nach Verwirklichung zu suchen, sie hat sich erfüllt. Was sie nicht daran hindert, weiterhin viel zu reisen und mit offenem Herzen anderen Menschen zu begegnen. Diese Bewegung erfolgt aus einem anderen Moment heraus, sie kreist um die Mitte.
Auch Anette Schirmer wird von einer Sehnsucht bewegt. Mir scheint, sie sei auf der Suche nach einem Menschen, der auf sämtliche ihrer Fragen die richtige Antwort weiss. 99 Fragen stellt sie Annette Kaiser – zwischen den Zeilen sind es noch etliche mehr – und auf jede Frage bekommt sie eine Antwort nach bestem Wissen und Gewissen. Selbstverständlich hat sich das Frage-Antwort-Spiel damit noch nicht erschöpft. Beim Lesen bilden sich neue Fragen, aber auch mögliche Antworten stellen sich ein.
Hier kommt ein Geständnis: Ich bilde mir ein, im Leben meines Sohnes eine Weile die Rolle des allwissenden Meisters gespielt zu haben. Das ist schon lange her, doch die Zeit ist mir in kostbarer Erinnerung. Er kannte sich bereits prächtig aus mit dem Sprachspiel und bewegte sich allmählich in Richtung Lesen und Schreiben. Manchmal nervte mich seine Fragerei, denn es waren bestimmt mehr als 99 Fragen, die er mir stellte. Pro Tag. Hauptsächlich aber gefiel es mir und am liebsten hörte ich mir selber zu, wenn ich über Dinge improvisierte, von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass sie in mir steckten.
Am schönsten ist das Frage-Antwort-Spiel, wenn es in Bereiche führt, die beiden Beteiligten zuvor nicht bekannt gewesen sind. Und so ist es doch auch mit der Sehnsucht. Wenn wir sie in einem Bild darstellen wollen drängen sich Sonnenuntergänge, Bergpanoramen oder geliebte Menschen auf. Die Gedanken schweifen in die Weite und in die Ferne. Was wir damit aber eigentlich meinen liegt anderswo, und es lässt sich nicht als Fototapete an die Wand kleben. Wir mögen die Erfüllung unserer Sehnsucht draussen suchen, in besonderen Begegnungen, in erhabenen Erlebnissen, in aussergewöhnlichen Stimmungen. Doch das alles erreicht uns nur, wenn es in uns auf Resonanz stösst, wenn es in uns anklingt. Diese Saiten der Seele nachhaltig in Schwingung zu versetzen, scheint mir die Erfüllung jedweder Sehnsucht zu sein.
Das ist die Wahrheit dieses Dialogs, dem ich viele Leser wünsche.
Martin Frischknecht
(Herausgeber Spuren Magazin)
Fragen zur Spiritualität
1. Was ist Spiritualität für Dich?
In Quintessenz ist Spiritualität für mich waches und freudiges Dasein von Moment zu Moment. Und darin schwingend das unbegrenzte Fühlen tiefer und bedingungsloser Liebe für alle und alles zugleich – diamantklar.
Diese Spiritualität vereint Sein und Werden und drückt sich in einer Lebensweise als Weltbürger/in lokal und global aus, im Hier und Jetzt.
Wann in Deinem Leben bist Du mit Spiritualität zum ersten Mal bewusst in Berührung gekommen? Kannst Du von diesem Erlebnis erzählen?
In Essenz ist es ein Resultat einer langen, inneren Reise.
Mit 14 Jahren fand ich mich in einem Kloster in Paris wieder, wo ich Französisch lernte und zugleich arbeitete. Dort fand eine erste spirituelle Berührung statt. Ich ging zur Kirche – vielleicht war es Vesperzeit – und da war dieser Gesang der Novizinnen, sternenklar, hell-leuchtend, jungfräulich. Es erschütterte mich in Mark und Bein. Es war, als hätte ich die Seele des Göttlichen gekostet, eine irreversible Berührung. Hier begann der weglose Weg ins Nichts-Alles. Es ist das grösste Abenteuer überhaupt.
2. Ist ein Mensch, der einen spirituellen Weg geht, ein besserer Mensch?
Ob ein Mensch besser ist als ein anderer, erkennt man an den Spuren, die er hinterlässt. Menschen, die einen Weg gehen, werden bewusster, feinfühliger, nehmen eher wahr, wenn sie andere Menschen oder Wesen verletzen.
Sie sind eher bereit zu vergeben, sich selbst und anderen. Somit hinterlassen sie weniger Spuren – unter den Menschen und auf dieser Erde.
Sie verhalten sich zum Wohle des Ganzen – von allen und allem – was ist. Und das ist spürbar. Ob sich nun ein Mensch als spirituell bezeichnet oder nicht, ist nicht der eigentliche Punkt. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie wir Menschen zu lieben vermögen, grenzenlos, als das Eine Herz.
3. In welchem Verhältnis stehen für Dich auf dem spirituellen Weg des Schülers Mühe und Gnade?
Mühe und Gnade sind nicht wirklich vergleichbar. Es sind Worte, die etwas aus zwei unterschiedlichen Ebenen aufgreifen: Mühe entsteht dort, wo Widerstand ist. Dieser kann sowohl grobstofflich wie energetisch bedingt sein. Gnade ist nicht kausal bedingt. Sie ist etwas, das nicht wirklich beschreibbar ist, obwohl sie in allem ist, was ist.
Dazu ein Beispiel: Wir beschliessen eines Tages, von jetzt an jeden Morgen Yoga zu üben oder zu meditieren. Damit setzen wir etwas Neues in Bewegung. Es bedeutet, zum Beispiel, ganz praktisch, jeden Morgen eine halbe Stunde früher aufzustehen. Das kann in uns einen Widerstand erzeugen, der Körper möchte nicht 30 Minuten früher aus dem Bett heraus. Das heisst, es braucht zunächst einen speziellen Effort, eine gewisse Anstrengung und Disziplin.
Aber schon nach wenigen Wochen werden wir vermutlich erstaunt feststellen, dass es uns ein Bedürfnis geworden ist, am Morgen zu meditieren.
Durch Selbstbeobachtung haben wir erfahren, dass uns das morgendliche Üben eine stille Kraft während des ganzen Tages schenkt. Das frühe Aufstehen stecken wir nun mit links weg, die Trägheit ist überwunden.
Vielleicht kann man das Erfahren dieser stillen Kraft als Gnade bezeichnen. Gnade ist immer da. Vielleicht haben wir sie bis dahin einfach nicht bemerkt. Jede Gestalt und Form ist voller Gnade.
Glaubst Du, dass es ein Akt besonderer Gnade ist, ein spiritueller Lehrer sein zu dürfen?
Wie soll ich diese Frage nur beantworten!
Ein spiritueller Lehrer hat kein Gesicht und keinen Namen. Im puren Sein ist alles pure Gnade. Es ist vollkommen unpersönlich. Zugleich ist hier ein Mensch mit Talenten, Stärken und Schwächen, ein ständig neues Werden.
Aus dieser Perspektive fühle ich mich als spirituelle Lehrerin wie ein Fisch im Wasser, in vollkommener Harmonie mit Körper, Mind und Organismus.
Wir würden es vermutlich als Berufung bezeichnen. In jedem und jeglichen «berufen sein» haben die seelischen Kräfte die Führung in einem Menschenleben übernommen.
4. Kann man sich Erleuchtung erarbeiten?
Zunächst einmal: Was ist Erleuchtung? Es hat mit Licht zu tun, mit Bewusstseinslicht. Dieses Licht, das inhärent in allem ist und alles zugleich transzendiert, ist uns Menschen meist noch ganz verborgen. Wir können dieses Licht nicht mit den Augen sehen, noch mit dem Verstand begreifen. Aber ES IST. Stärker als tausend Sonnen leuchtet es im Herz der Herzen.
Die Frage, ob man sich Erleuchtung erarbeiten kann, ist so nicht zu beantworten.
Wir können alle selbst um uns herum beobachten, dass Menschen mit dem Älterwerden nicht automatisch weise, voller Mitgefühl für alles, was ist, werden.
Gleichzeitig vermag keine Anstrengung Erleuchtung hervorzubringen. Wie könnte dies sein! Erleuchtung, das heisst, Licht, war und wird immer sein, sobald niemand da ist. Sobald der Mensch nicht mehr identifiziert ist mit «Ich» und «Mein» im Sinne eines getrennten Wesens, offenbart sich das Licht als bewusstes Sein und Werden.
5. Wie denkst Du, werden sich spirituelle Wege in Zukunft verändern?
In naher Zukunft werden sich die spirituellen Wege auf die Essenz aller Wege verdichten. In ferner Zukunft werden vermeintlich spirituelle Wege sogar überflüssig.
Bewusstsein ist bewusst.
Dies zu erkennen ist der nächste evolutive Schritt in der menschlichen Entwicklung.
Es ist eine stille (R)Evolution – selbstleuchtende Wirklichkeit IST Bewusstsein – selbst-offenbarend, selbst-organisierend, ego-transzendierend, untrennbar eins im Sein und Werden.
Für die Menschheit wird es eines Tages ganz natürlich sein, die Kraft der Gegenwart in der untrennbaren Einheit allen Seins und Werdens in ihrer ganzen Vielfalt als Lebensgrundlage zu betrachten.
Was genau macht Dich da so sicher?
Die evolutive Perspektive vermittelt mir einen Geschmack davon. Zunächst ist die Spezie Mensch noch sehr jung auf dieser Erde. Sie kann sich noch weiterentwickeln. Wir wissen heute, dass Evolution eine Richtung hat: Sie evoluiert in Richtung komplexerer Formen und nimmt an Bewusstseinstiefe zu. Zur heutigen Zeit hat die Menschheit ihre Gabe, bewusst zu sein, noch nicht ganzheitlich entfaltet. Daher braucht es vollkommene Präsenz von Augenblick zu Augenblick, von Denken, Fühlen, Handeln … bewusstes Sein. Erst dann können wir von wirklichem Mensch-Sein sprechen.
Das ist das Potenzial, das in der Spezie Mensch vorhanden ist. Ob sie dies nutzen wird, ist eine andere Sache.
6. Welche Botschaft im spirituellen Bereich ist Dir heute die Wichtigste?
Ich verstehe heute, dass jeder Augenblick eine Einladung in die Wirklichkeit selbst ist. Sie transzendiert Körper, Gefühle, Mind, die Welt an sich, alle Formen, die kommen und gehen – und enthält doch alles zugleich.
Das ist eine unglaubliche Chance für die Menschheit, diesen Zugang zur Verfügung zu haben. Er ist in sich eine stille (R)Evolution, die eine getrennte Weltsicht hinter sich zu lassen vermag. Damit ist er die Grundlage für eine neue Zivilisation.
Das ist mir die wichtigste Botschaft.
7. Kann das Spirituelle jemals ein Ersatz für das Weltliche sein?
Spirituelles und Weltliches sind untrennbar eins. In meinem Verständnis gibt es nur die eine Wirklichkeit – jenseits des Nennbaren. Darin enthalten, als deren Modifikation, erscheint die Welt oder alle Formen, die kommen und gehen. Beides ist untrennbar die eine Wirklichkeit.
Die Wirklichkeit selbst ist akausal, während ihre Modifikationen kausal bedingt sind. Die Spiritualität kann uns der einen Wirklichkeit näher bringen, womit sich die Perspektive und das Selbst- und Weltverständnis grundlegend ändern.
Dies wird als die grosse Befreiung bezeichnet: Endlich normal!
Was war das für ein Moment oder Prozess, in dem Du das für Dich verstanden oder erlebt hast?
Ein tiefer Einblick wurde mir in Indien gewährt. Ich meditierte und plötzlich war kein Körper mehr da, nur die unendliche Weite des Himmels und jenseits davon einfach Leere … nichts als das Nichts, keine Erfahrung.
Irgendwann stand ich auf und ging entlang dem Meer und fand mich wieder in allem was ist: Ich war die Flöhe im Fell des herumstreunenden Hundes, das Meer, der Himmel, der Sand und jedes Sandkorn, der Zug der Wolken, jeder Atemzug von allem was ist und nicht ist … alles und alle zugleich. Es war der Anfang des Verstehens dessen, was Wirklichkeit ist.
8. Spiritualität kommt thematisch ja sehr tief und ernsthaft daher – wie wichtig ist Dir Humor in der spirituellen Arbeit?