A Heart of Fire and Ice - Laura Nick - E-Book
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A Heart of Fire and Ice E-Book

Laura Nick

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Beschreibung

Eine Insel voller Magie
Eine Kronprinzessin mit eisernem Willen
Ein Wettbewerb um ihr Herz


Kronprinzessin Ainslie soll nach dem Tod ihres Vaters den Thron des magischen Inselkönigreichs Dumoth besteigen - einem Ort voller Magie, der Ainslies Familie mit elementaren Kräften ausgestattet hat.
Ihr Leben lang wurde sie darauf vorbereitet, Königin zu werden - eine Aufgabe, der sie mehr als gewachsen ist.

Doch ein altes Gesetz besagt, dass sie verheiratet sein muss, um herrschen zu können. Und der Rat des Königshauses weigert sich, diese Regelung abzuschaffen.

Als gegen ihren Willen ein Wettbewerb um ihre Hand zwischen den magisch begabten Lords der Insel ausgerichtet wird, entschließt Ainslie kurzerhand, selbst am Turnier teilzunehmen. Sie will dem verstaubten Rat beweisen, dass sie sehr wohl fähig ist, ihr Königreich alleine zu regieren.

Denn Ainslie denkt gar nicht daran zu heiraten. Bis sie auf Lord Henry Thompson trifft, der ihre Entscheidung ins Wanken bringt - doch er hat ein Geheimnis, das alles zerstören könnte, wofür Ainslie gekämpft hat ...

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Titel

Playlist

Prolog

Kapitel 1

Ainslie

Kapitel 2

Ardan

Kapitel 3

Ainslie

Kapitel 4

Ardan

Ainslie

Kapitel 5

Ainslie

Kapitel 6

Ainslie

Kapitel 7

Ardan

Kapitel 8

Ainslie

Kapitel 9

Ardan

Ainslie

Ardan

Kapitel 10

Ainslie

Ardan

Kapitel 11

Ardan

Ainslie

Kapitel 12

Ardan

Ainslie

Kapitel 13

Ardan

Ainslie

Kapitel 14

Ardan

Ainslie

Kapitel 15

Ardan

Kapitel 16

Ainslie

Ardan

Kapitel 17

Ardan

Ainslie

Kapitel 18

Ardan

Ainslie

Kapitel 19

Ainslie

Ardan

Kapitel 20

Ainslie

Kapitel 21

Ardan

Kapitel 22

Ainslie

Kapitel 23

Ainslie

Ardan

Kapitel 24

Ardan

Ainslie

Epilog

Ainslie

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

Über dieses Buch

Kronprinzessin Ainslie soll nach dem Tod ihres Vaters den Thron des magischen Inselkönigreichs Dumoth besteigen – einem Ort voller Magie, der Ainslies Familie mit elementaren Kräften ausgestattet hat. Ihr Leben lang wurde sie darauf vorbereitet, Königin zu werden – eine Aufgabe, der sie mehr als gewachsen ist.

Doch ein altes Gesetz besagt, dass sie verheiratet sein muss, um herrschen zu können. Und der Rat des Königshauses weigert sich, diese Regelung abzuschaffen.

Als gegen ihren Willen ein Wettbewerb um ihre Hand zwischen den magisch begabten Lords der Insel ausgerichtet wird, entschließt Ainslie kurzerhand, selbst am Turnier teilzunehmen. Sie will dem verstaubten Rat beweisen, dass sie sehr wohl fähig ist, ihr Königreich alleine zu regieren.

Denn Ainslie denkt gar nicht daran zu heiraten. Bis sie auf Lord Henry Thompson trifft, der ihre Entscheidung ins Wanken bringt – doch er hat ein Geheimnis, das alles zerstören könnte, wofür Ainslie gekämpft hat ...

Laura Nick

Fesselnde Regency-Romantasy voller knisternder Gefühle und einer toughen Protagonistin

Playlist

America’s Sweetheart – Elle King

Rerun – Honey Revenge

Stay for Me – Oston

Louder (Hamilton Remix) – Neon Jungle

I Wanna Be Yours – Red Band

The Winner – Tape Machines

Bad Guy – Vitamin String Quartet

Just Pretend – Bad Omens

Prolog

Vor 14 Jahren

Hinter den schweren Brokatvorhängen verborgen beobachtete ich das Mädchen. Es war jünger als ich; vielleicht vier Jahre alt. Aber in dem gefüllten Raum war sie die Einzige, die nur ansatzweise in meinem Alter war. Der Saal war übervoll mit älteren Menschen, die sich aneinanderdrängten, leise miteinander tuschelten und dabei auf die Bühne schauten, um der begabten Solistin zu lauschen, die ihre Kunst zum Besten gab.

Das Mädchen hingegen zeigte in etwa so viel Interesse an dem Stück wie ich. Bei mir lag es daran, dass ich es schon oft gehört hatte. Allein in der letzten Woche hatte Mutter es immer und immer wieder gesungen, um jeden Ton in Besitz zu nehmen, wie sie es nannte, damit während der Premiere nichts mehr schiefging. Vor dieser Vorstellung war sie nervös gewesen. So sehr wie nie zuvor. Sie hatte betont, dass nichts schiefgehen durfte. Deswegen hatte sie mir auch gesagt, dass ich auf keinen Fall hinter den Vorhängen hervorkommen durfte. Ein Junge wie ich, mit groben Stoffhosen, die an den Knien zerschlissen, und einem Hemd, das ebenfalls viel zu dünn für die kommenden Temperaturen war, würde in diesem Saal voller Marmor, Gold auffallen wie ein bunter Hund.

Und das alles nur, weil das Königspaar von Dumoth Mutters Auftraggeber war. Deswegen war das alles so wichtig für Mama – ihrer Meinung nach für uns. Sie hatten Mutter sogar ein rotes Kleid aus feinster Seide geschickt. Wie eine Prinzessin sah sie darin aus, mit einem so weiten Rock, dass es mir möglich war, mich darunter zu verstecken.

Verborgen hinter den Vorhängen, glitt mein Blick zurück zu Mutter, die in diesem Moment ihre Arme ausstreckte und ihre Stimme zu einem lauten Crescendo erklingen ließ. Wieder sah ich zum Mädchen. Der Mann, neben dem es die ganze Zeit gestanden hatte, schickte es mit einer Hand fort. Die Geste hatte ich ebenfalls oft gesehen. Doch im Gegensatz zu den Männern, die mich loswerden wollten, um mit Mutter allein zu sein, sah dieser Mann keineswegs genervt vom Kind aus. Er lächelte ihm sogar hinterher, als das Mädchen sich beeilte, um aus dem Saal zu kommen. Mutter war vollkommen in ihrem Stück gefangen. Wenn ich dem Mädchen hinterherlief, würde Mama es sicherlich nicht einmal bemerken. Vorsichtig, um die Vorhänge nicht in Schwingungen zu bringen, folgte ich dem Mädchen.

Die Sonne warf bereits tiefe Schatten, in denen ich mich verborgen hielt. Die bunten, ausfallenden Kleider der Frauen trugen ihren Teil dazu bei, dass ich ungesehen von den Adeligen hinter dem Mädchen herlief. Geduckt schlich ich aus der Tür, sah nach links und rechts. Der blaue Rock des Mädchens verschwand an der nächsten Ecke. Sofort lief ich hinterher. Um sie einzuholen, beschleunigte ich meine Schritte, die laut zwischen den weiß glänzenden Wänden widerhallten. Da stoppte das Mädchen plötzlich und drehte sich zu mir, betrachtete mich, einen Moment lang, als sei ich ein Eindringling. Unter dem langärmeligen Oberteil, das sie vor der Kälte schützte, hob und senkte sich ihr Oberkörper. »Willst du auch raus?«, fragte sie angestrengt und strich sich dabei eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus dem Zopf gelöst hatte.

Überrascht vom Klang ihrer Stimme zuckte ich zusammen. Ebenso atemlos wie sie, konnte ich nur starren. Noch nie zuvor hatte ich ein so hübsches Mädchen gesehen. Ihre blauen Augen erinnerten mich an den Sommerhimmel von Dumoth. Strahlend hell, ohne die kleinste Trübung. Auf ihrer Stupsnase tummelten sich Sommersprossen.

»Also?«, bohrte sie nach, als ich ihr eine Antwort schuldig blieb.

Alle Wörter, die ich gelernt hatte, waren mit einem Mal verschwunden. Kein Ton kam aus mir heraus. Das war mir noch nie passiert. Was vielleicht daran lag, dass ich meistens nur Kontakt zu Mutter, den ein und aus gehenden Männern und der Gouvernante pflegte, die mir alles beibrachte, damit ich in der Welt bestehen konnte – zumindest laut Mutter. Schnell nickte ich, noch immer stumm wie ein Fisch.

Das Mädchen hob seine Mundwinkel und jetzt strahlten nicht nur seine Augen, sondern auch es. Ganz und gar. Wie eine auf die Erde gekommene Sonne, die nach meiner Hand griff. »Hast du auch den Schnee gesehen?«, fragte sie aufgeregt. »Wenn es weiter so schneit, dann können wir einen Schneemann bauen!«

Über die Schulter sah sie mich grinsend an. Ich umfasste ihre zierliche Hand fester, um sie nicht zu verlieren. Damit ich in ihrem Strahlen verweilen konnte. Noch nie zuvor war ich mir einer Sache so sicher wie der, dass dieses Mädchen etwas Besonderes war.

Kapitel 1

Ainslie

Der schneidende Küstenwind, der so typisch für Dumoth war, trug den Geruch des Meeres, vermischt mit dem Duft von Blumen und Kräutern, in sich. Ich atmete tief durch, versuchte, die brodelnde Wut einzudämmen, die seit Wochen innerlich in mir kochte; ihr zu entgehen, indem ich mich auf die Umgebung und nicht auf den Brief zwischen meinen Fingern konzentrierte.

Wie von selbst schlossen sie sich eisern um Mutters Zeilen. In die verschiedensten Ländereien der Insel waren sie verschickt worden – bis zur Mauer, die sich vom nördlichen bis zum südlichen Teil unserer Heimat grub, und diese in zwei Teile trennte. Das Papier knisterte protestierend in dem festen Griff. Zu meinen Füßen hörte ich das Knacken der Grashalme, als sich mit jedem Atemzug das Eis weiter ausbreitete. Unter mir hatte sich eine hauchdünne Eisscholle gebildet, die von der Bank, auf der ich saß, kreisförmig alles mit ihrem kühlen, weißen Kleid überzog. Normalerweise würde ich die Magie zwingen, in mir zu verharren; hinter der Mauer in meinem Inneren zu bleiben, damit niemand die Gefühle bemerkte, die mich heimsuchten. Doch hier war ich allein. Ausnahmsweise einmal. Hier war es mir möglich, den Emotionen freien Lauf zu lassen. Konnte zulassen, dass sie mich übermannten und ein Eigenleben entwickelten.

Erneut holte ich tief Luft. In der peinlichen Hoffnung, dass die Worte sich beim wiederholenden Lesen geändert hatten, faltete ich das lädierte Papier auseinander – wie schon seit Wochen, nachdem mir der Brief das erste Mal in die Finger gekommen war. Doch der handgeschriebene Inhalt blieb derselbe. Wie unfähig die älteste Tochter der Krone war, einen geeigneten Ehemann zu finden, den sie laut veraltetem Dekret benötigte, um den verwaisten Platz ihres Vaters auf dem Thron einzunehmen. Der Rat beharrte darauf, dass diese Regelung durchgesetzt wurde. Genauso wie Mutter. Ein bitterer Geschmack legte sich auf meine Zunge. Ich presste die Lippen aufeinander. Die Wut kochte hoch und höher.

Bisher hatte ich gedacht, dass sie den Wunsch hegte, dass jedes ihrer Kinder die wahre Liebe fand, damit wir glücklich waren, wie sie in ihrer Ehe mit Vater. Dass das zukünftige Königinnenpaar von Dumoth nicht nur ein Zwangsbündnis war. Doch dieser Brief ...

Ich zerknüllte das feine Papier zwischen den behandschuhten Fingern. Dieses Schriftstück lud all die namenhaften Lords der Insel in die Hauptstadt aufs Schloss ein. Und als Krönung wurde meine Hand demjenigen dargeboten, der es schaffte, den königlichen Rat sowie die Königin von sich und seinen Fähigkeiten zu überzeugen. In einem verdammten Wettbewerb. Als wäre ich Vieh, das es zu verschenken galt. Mein Kiefer knirschte unter dem Druck, als ich die Zähne aufeinanderpresste. Knackend machte sich das Eis bemerkbar, das sich an der Wut labte, und breitete sich weiter aus. Es überzog die vom Morgentau feuchten, grünen Grashalme und ließ sie erstarren.

Ein Räuspern riss mich aus dem Kokon von wirren Gefühlen. »Prinzessin Ainslie?«

Über die Schulter sah ich zu meiner Zofe, die hinter einer Hecke des Labyrinths stand, in das ich mich geflüchtet hatte. Verborgen von einem dichten Busch erkannte ich nur den Saum ihres Mantels, der an den Blättern vorbeilugte.

Die sonst grünen Sträucher waren mit einer dünnen Eisschicht überzogen, obwohl der Winter noch Wochen entfernt lag. Selbst einige der spät blühenden Blumen hatte meine Kraft sich einverleibt. Durch den wenigen Sonnenschein, der sich durch die dichte Wolkendecke drängte, funkelten die bunten Blüten. Es war wunderschön. Ich liebte meine Magie; die Macht, die mich mit dem Winter verband und durch meine Adern floss.

»Was ist?« Die Worte sollten nicht so harsch klingen, wie sie es taten. Aber Grace war lang genug bei mir, um zu wissen, dass ich hier niemanden sehen wollte – nicht einmal meine Familie. Diese kleine Sackgasse des Labyrinths war mein Platz. Mein Wohlfühlort, wenn alles auseinanderbrach. Mein Ort, an dem ich nicht die Zukunft eines Landes, der Fels eines Volkes war, sondern nur einzig und allein ich selbst sein durfte. Mit all den Gefühlen.

»Die Königin ... Sie erwartet Euch.«

Ich sah wieder nach vorn, schob die Gedanken fort, warum die Welt seit Monaten drohte auseinanderzubrechen. Das dunkle, wilde Meer lag zu meinen Füßen. Weiße Gischt tanzte auf den hohen Wellen, auf denen winzig erscheinende Fischerboote umhergeworfen wurden. Die Klippe war nur wenige Schritte von der Bank entfernt, auf der ich saß. Ein hüfthoher Zaun, der kaum ein Hindernis darstellte, diente als Schutz und Warnung, sich nicht weiter dem Abgrund zu nähern. Obwohl Dumoth ein Inselstaat war, trug die Fischerei nur einen kleinen Teil des Einkommens bei.

»Das ist schön, aber ich werde nicht zu ihr kommen«, erwiderte ich, wobei die Worte und die Stimmlage einem trotzigen Kleinkind entsprungen sein könnten.

So oft hatte ich das Thema ihr gegenüber angesprochen. Hatte Mutter angefleht, mit mir einen anderen Weg zu finden. Einen, bei dem meine Hand nicht verhökert wurde. Doch sie hatte mich ignoriert. Meine Wünsche mit Füßen getreten. Dabei wusste ich, dass sie uns Kinder liebte. Nichts würde sie davon abhalten, meine Schwestern und mich zu schützen – und wenn es ihr eigenes Leben kosten würde. Um uns in Sicherheit zu wissen, würde sie alles geben. Dieses Bewusstsein war so tief in mir verankert, dass niemand daran rütteln konnte. Doch das machte ihren Verrat umso schwerwiegender. Sie hielt diesen Wettbewerb für das Beste – für mich und Dumoth. Ich hingegen hasste diese Idee. Wie sollte ich in einem erzwungenen Wettbewerb einen Mann finden, der gewillt und fähig war, die Rolle als König anzutreten?

Mutters Fürsorge war wie ein Messer in meinem Rücken. Genauso wie sein Verrat. Heftig blinzelte ich, um die Tränen aus den Augen zu verbannen, die die Gedanken an ihn hervorriefen.

»Prinzessin ... Die ersten Kutschen haben sich angekündigt und werden in wenigen Minuten hier sein«, sagte Grace.

Ihre Worte waren meine Rettung. Sie gaben mir die Munition, die Trauer hinter der Mauer zu verbarrikadieren und mich stattdessen der Wut und dem Frust zu widmen. Ich ballte die Fäuste, während ich weiterhin aufs graue Meer starrte. Der Horizont lag unendlich weit entfernt. Mit bloßem Auge war das nächstgelegene Festland nicht einmal auszumachen.

»Und die Königin erwartet, dass ich gewillt bin, diese Kutschen zu begrüßen?«

»Ich weiß nicht, was die Königin sich wünscht.«

Manchmal wünschte ich mir, dass Grace ihre Attitüde ablegte. Dass sie mit mir redete wie mit jedem anderen Menschen. Dass ich in ihren Augen nur eine junge Frau war – genauso wie sie. Sie war schon so lange ein Teil von mir, dass es kaum ein vor ihr in meinen Gedanken gab. Alles war ein mit ihr. Doch jedes Mal, wenn ich annahm, dass wir die Brücke überquerten und die Beziehung zueinander vertiefen würden, wie Farina und ihre Zofe es pflegten, hatte ich das Gefühl, dass sie sich zurückzog.

»Grace, du weißt, dass du offen zu mir sein darfst, oder?«

Ihre Schritte ließen das zarte Eis brechen, als sie sich mir näherte. »Ja, meine Prinzessin.«

Über die Schulter sah ich zu ihr. Der Küstenwind war schneidend kalt, Grace hatte den Kragen ihres Mantels zum Schutz hochgeklappt und den Kopf eingezogen. »Ich schätze deine Meinung. Also, was denkst du, erwartet meine Mutter?«

»Sie möchte, dass Ihr, gemeinsam mit Eurer Familie die Lords begrüßt.«

Bevor ich es zurückhalten konnte, kam ein Schnauben über meine Lippen. »Das werde ich nicht.« Ich würde mich nicht wie eine Zuchtstute präsentieren, damit gierige Lords einen Blick auf mich warfen.

»Soll ich der Königin Bescheid geben?«, fragte Grace.

Ich schüttelte den Kopf. »Sie wird es merken.«

Wieder richtete ich den Blick auf die endlose Weite des Ozeans. Ich liebte Dumoth. Trotz der lauernden Gefahren, die im Meer und hinter der langen Mauer verborgen lagen. Tagtäglich kämpften Wächter und Wächterinnen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Um zu verhindern, dass all die Mühen, all der Verlust von Amelia, umsonst gewesen sind. Die nach ihrem erfolgreichen Kampf gegen die Monster zur ersten Königin von Dumoth gekrönt wurde – und das ohne einen Mann an ihrer Seite.

Der Küstenwind fuhr erneut mit einer frostigen Note von der Klippe herauf und zerrte am Rocksaum und meinem Mantel. Ein Frösteln zog über meinen Körper und ich schlang den schützenden Stoff enger um die Schultern. Ich warf einen Seitenblick zu Grace, die ebenfalls ihren Mantel enger zog und sich tief darin einmummelte. Sie besaß keinerlei Magie und musste die Kälte noch mehr spüren als ich.

»Habe ich dich jemals gefragt, was du von dem Wettbewerb hältst, Grace?«

»Prinzessin?« In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Unsicherheit mit.

»Findest du, dass ich mit meiner Reaktion übertreibe?«

Sie überbrückte die letzte Distanz und ließ sich vorsichtig neben mir sinken, wobei sie ihren Ärmel nutzte, um die hauchdünne Eisschicht vom Stein der Bank zu lösen. »Mir steht dazu keinerlei Meinung zu, Prinzessin«, kam es kleinlaut von ihr, während sie sich neben mich setzte.

Ich betrachtete meine langjährige Zofe. Ihr blondes Haar hatte sie sich wie immer zu einem Kranz um ihren Kopf geflochten, sodass keine Strähne ihr die Sicht versperrte. Ihr Profil war feingeschnitten. Die Nase klein und die Lippen schmal. »Ich würde mir wünschen, dass du eine Meinung dazu hast.«

Auf ihre Lippen legte sich ein Lächeln, das so zerbrechlich wie die Porzellanvasen im Palast wirkte. »Ihr seid die zukünftige Königin von Dumoth«, erwiderte sie. »Ich sollte es mir mit Euch nicht verscherzen.«

»Als ob du das könntest«, murmelte ich und sah wieder nach vorn.

Eine heftige Böe hob meinen dicken Rock an. Die sinkenden Temperaturen kündigten jeden Tag den Winter an, den ich sehnlichst erwartete. Die meisten Ernten waren eingeholt und für die lange Kälte auf der Insel in Lager eingespeist worden. Ich liebte das schneidende Frostwetter und die knisternden Kaminfeuer, die jegliche Räume im Schloss erhellten und wärmten. Ich freute mich auf die Schneeballschlachten mit meinen Schwestern und den Schneemann, den wir gemeinsam bauen würden. Doch trotz all dieser Freude konnte ich nicht verdrängen, dass es der erste Winter war, der anders sein würde.

»Ich heiße nicht gut, dass die Königin gegen Euren Willen handelt«, sagte Grace schließlich.

Überrascht sah ich zu ihr, blieb aber still, um sie nicht zu unterbrechen.

»Meiner Meinung nach sollte es Eure Entscheidung sein, wem Ihr Euer Vertrauen und Eure Liebe schenkt«, fuhr sie fort. »Doch Dumoth braucht Euch.« In ihren grünen Augen keimte Mitleid.

Hastig schaute ich wieder zum Meer, um ihrem Blick nicht standzuhalten.

»Dumoth braucht seine Königin, die das Land regiert und beschützt – vor sich und Fremden. Ich kenne mich nicht gut mit Politik aus und sollte mir keinerlei Meinung darüber bilden, aber andere Länder könnten die momentane Situation als Schwäche interpretieren.«

Ich stieß die Luft durch die Nase hinaus. »Das ist mir bewusst.«

Als kleine Insel hatte Dumoth nicht unbedingt Feinde. Die meiste Zeit schenkten die umliegenden Länder uns keinerlei Beachtung. Wir waren nicht reich. Wertvolle Rohstoffe besaßen wir kaum und in der Regel fingen wir gerade genug Fisch und jagten Wild, um uns zu ernähren. Das einzig Wertvolle waren die Rohmaterialien, für die jeden Tag an der Mauer Leben gelassen wurden. Die einzigartigen Überreste von Monstern wurden teuer nach Übersee verkauft. Schon allein ihre Haut war für viele unbezahlbar, waren manche so fest, das nicht einmal eine Schwertklinge sie durchdringen konnte. Doch ansonsten interessierte die Länder nur das, was sie nicht haben konnten. Was uns auch nicht möglich war, mit ihnen zu teilen.

Die Magie von Dumoth war den furchtlosen Kämpfern und Kriegerinnen von den Elementen selbst überreicht worden, um ihre Liebsten vor den Monstern zu beschützen. Und so waren diese Kräfte einzig in den verbleibenden Blutlinien zu finden. In den Büchern stand geschrieben, dass ein Vorfahre versucht hatte, engere Verbindungen mit Ländern zu knüpfen, weshalb er eine seiner magiebegabten Töchter an einen Kaufmann verschenkt hatte. Als sie jedoch das Festland betrat, war ihre elementare Kraft fort. Sie konnte keinerlei Magie mehr wirken. Selbst dann nicht, als sie wieder zurückkehrte.

Doch wenn die Länder mitbekamen, dass wir den Thron nicht neu besetzt hatten, und der einzige Schutz eine geschwächte Königin war, die den Titel durch Heirat trug und die damit keinerlei Regierungsrecht besaß ... Ich schluckte schwer. Der Gedanke war mir schon gekommen und lag wie Blei in meinem Magen. Ich verstand, warum es so wichtig war, dass ich schnellstmöglich den Thron bestieg. Das wollte ich auch. Mit dieser Last war ich erzogen worden und ich war bereit, sie zu tragen. Aber die Mittel, wie ich auf den Thron kommen sollte, widerstrebten mir. Und das einzig nur wegen einer veralteten Regel, die nie jemand infrage gestellt hatte. Bis jetzt.

»Lass uns gehen«, murmelte ich und stand auf.

»Ihr wollt die Gäste begrüßen?«

Ich stieß ein trockenes Lachen hervor. »Nein. Aber zumindest will ich mir die Herren ansehen, die Mutters Ruf gefolgt sind.«

Grace nickte und eilte mir hinterher, als ich aus dem Labyrinth hinausging in Richtung des prächtigen Schlosses, das unsere Familie seit Jahrhunderten bewohnte. Die sandsteinfarbene Fassade war glatt geschliffen, sodass die Sonne mein Zuhause in ein Glitzern hüllte. In jede Himmelsrichtung erhob sich ein hoher Turm mit dunkler Zinne, die auf den ersten Blick wirkte, als wollte sie sich in den Himmel bohren. Auf den Steinen waren die Insignien der Elemente von herausragenden Steinmetzen verewigt worden.

Als mein Blick auf das Emblem des Wassers traf, beugte ich den Kopf und küsste den Anhänger, der mir bei der Erwählung überreicht worden war. Ein silbernes Amulett, auf dem eine Welle abgebildet war; das Zeichen des Wassers.

Ich betrat die Stufen, die zur Terrasse des Schlosses führten. Gemeinsam gingen Grace und ich durch den Kücheneingang ins Anwesen. Die hitzige Luft des Feuers schlug uns entgegen. Ich schenkte dem Koch ein Lächeln, auch wenn er uns kaum eines Blickes würdigte und sich weiter in die Vorbereitungen stürzte, die die Ankunft der Lords verlangte.

Mutter hatte für den Abend ein pompöses Essen in Auftrag gegeben mit Tanz und Musik, vor dem ich mich weder drücken durfte noch wollte. Es war mir ein Anliegen, den Gästen zu meinen Bedingungen gegenüberzutreten. Und nicht in der Kälte stehend mit roten Wangen vom Wind, der an den Haaren zerrte.

Grace’ Schritte folgten mir, als ich von der Küche hinaus in den Flur trat. Die Wachposten, die auf ihren Positionen im unteren Bereich des Schlosses standen, trugen statt den üblichen dunkelblauen Uniformen tristes Schwarz. Unter dem feinen Stoff trugen sie Leder aus Haut der Büffelartigen, um sich vor Schnitten oder anderen Verletzungen zu schützen. Einzig eine blaue Schärpe, die sie quer über der Brust trugen, wies sie als Familienwachen aus. Vor sechs Monaten hatte ich den Wachleuten nicht einmal mehr einen Blick geschenkt. Sie gehörten zum Inventar des Hauses, wie die Hunderte von Gemälden, die an den Wänden hingen.

Doch seit das Anwesen in Trauer war, hatte sich mit einem Schlag alles verändert und plötzlich waren mir Sachen aufgefallen, die ich vorher nicht mehr bemerkt hatte, weil sie immer so gewesen waren. Die schleichenden Dienstboten, die noch bemühter darum waren, leise und diskret zu sein, als würde ihre schwarze Dienstkleidung sie zu Schatten verwandeln. Die patrouillierenden Wachposten, die schon so lange Zeit statt Blau Schwarz trugen.

Ich schob die Gedanken weit von mir, ehe die Eismauer, die ich seitdem aufgebaut hatte, Risse bekam. Bemüht unauffällig holte ich tief Luft. Mit Grace stieg ich die Treppe in den ersten Stock hinauf. Geradewegs steuerte ich das bodentiefe Fenster an, das einen Blick auf die Einfahrt gewährte, in der sich die ersten Kutschen tummelten.

»Du kannst mich allein lassen, Grace«, sagte ich, während ich aus dem Mantel schlüpfte und ihn ihr reichte.

»Aber, Prinzessin ...« Sichtlich nervös knüllte sie das Kleidungsstück in ihren Fingern.

Mit einem Lächeln näherte ich mich ihr und legte meine behandschuhten Hände beruhigend auf ihre. »Ich möchte mir nur einen ersten Blick verschaffen.«

»Und wenn ich wünsche, bei Euch zu bleiben?«, fragte sie.

»Das ist nicht nötig. Ich weiß, dass andere Aufgaben auf dich warten.«

»Ihr seid keine Last für mich, Prinzessin.«

»Ich weiß. Und ich bin dir dafür dankbar. Doch bitte geh.«

Sie schaute durch das Fenster. Selbst durch das bunte Glas hörte ich das Knirschen des Kieses, als die Kutschen sich wieder in Bewegung setzten. »Sicher?«

»Ja, wenn sich etwas ändert, lasse ich dich holen. Vielleicht könntest du meine Garderobe nach einem passenden Kleid für heute Abend durchstöbern?«, schlug ich vor. »Etwas, das mich unabhängig wirken lässt.«

Skeptisch hob sie ihre Augenbrauen in die Höhe. »Ich bemerke, was Ihr tut.«

»Du bist auch nicht dumm, Grace. Bitte.«

»In Ordnung«, gab sie sich geschlagen. »Aber ich werde kein Kleid heraussuchen können, das Euch so wirken lässt, Prinzessin. Ihr seid das bereits – und noch viel mehr. Ihr könntet im Kartoffelsack gekleidet auftauchen und trotzdem würde jeder dieser Leute in Ehrfurcht erstarren.«

Ein Lachen drang aus meiner Kehle. »Ich bin dir dankbar, Grace, du ahnst gar nicht wie sehr.«

In ihre grünen Augen stahl sich ein seltenes Strahlen, das ihre gesamte Mimik zu erhellen schien. Sie verbeugte sich und zog sich zurück. Ich folgte ihr mit meinem Blick, bis sie um die Ecke verschwunden war, ehe ich mich wieder dem Fenster zuwandte und hinaussah.

Gemeinsam mit meinen Schwestern stand Mutter an der Treppe, die hinein ins Schloss führte. Selbst meine jüngere Schwester Farina war an ihrer Seite und schenkte den Neuankömmlingen ein Lächeln, während diese sich verbeugten und ihre Hand küssten. Dabei konnte sonst nichts Farina vom Stall und ihren Pferden loseisen.

Camelia und Lilibeth, die beiden Jüngeren, kicherten hinter vorgehaltener Hand, als einer der Lords sich zu ihnen beugte und sie begrüßte. Die beiden waren schon die ganze Zeit absolute Verehrerinnen des Wettbewerbs. Dass sich zwanzig Lords im Schloss aufhalten würden, war für sie aufregend. Im Gegensatz zu mir mussten sie nicht mit der Gefahr leben, dass sie an einen von ihnen verheiratet wurden, nur damit sie ein veraltetes Dekret erfüllten, das ihr Vater eigentlich abgeschafft haben wollte.

Der Gedanke an ihn war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich holte tief Luft, um den stechenden Schmerz wegzuatmen. Doch mit dieser Trauer war es wie mit einer Verletzung. Umso länger ich es schaffte, nicht daran zu denken, desto schlimmer wurde das Gefühl des Zerreißens, sobald ich einmal aus Versehen an ihn dachte. Ich krallte meine Fingernägel in die Arme. Versuchte, die Sicherheit der eisigen Mauer in meinem Inneren nicht zu verlieren. Mich nicht an den Verlust zu erinnern, mit dem wir seit Monaten zu kämpfen hatten. Nicht an die Wut. Weil alles an ihn erinnerte. Jeder Flur. Jedes Bild. Jede Geste von uns war ein Teil von ihm.

Ich löste meine verkrampfte Hand vom Arm und schlug sie vor den Mund, um das Schluchzen zu ersticken, das sich einen Weg durch meine Kehle bahnte. Ich blinzelte heftig gegen die Tränen an, die heiß in den Augen brannten.

Die Buntglasfenster zauberten die schönsten Farben an die Wand, doch ich konnte den Anblick nicht genießen. Haltsuchend lehnte ich mich an den gusseisernen Rahmen. Fokussierte den Blick nach draußen, um den Schmerz zu verdrängen. Zu vergessen, dass er da war und die Kraft besaß, mich zu zerreißen. Doch es funktionierte nicht. Die Gefühle stülpten sich über mich. Rissen mich mit sich. Ohne Rücksicht. Ich hasste es. Hasste, dass sie mich zu einer trauernden Marionette machten.

Mit wehendem Kleid eilte ich die Treppe hinauf zum dritten Stock in den familiären Flügel. Auf meinem Weg ignorierte ich die irritierten Blicke der Wachen und Dienstboten. Ich bog um die Ecke und stand genau vor der Tür, vor der ich seit Wochen jeden Tag für einen Moment verharrte. Die Arme um mich geschlungen, in dem Wunsch, nicht zu zerbrechen.

Meine Brust hob und senkte sich mit jedem schnellen Atemzug und presste sich dabei gegen das enge Korsett. Doch anstatt das Zimmer, meine persönliche Hölle und zugleich den friedlichsten Ort des Schlosses, zu betreten, verharrte ich wie verwurzelt. Ich wusste nicht, was ich in den Sekunden erwartete, die ich wie eine Statue vor dem Zimmer stand. Vielleicht, dass die Tür aufging und er wie immer lächelte, mich in seine Arme zog und mir zuraunte, dass alles gut werden würde. Dass die letzten Monate bloß ein Albtraum waren, aus dem ich jeden Augenblick erwachte.

Doch die Tür öffnete sich nicht. Er kam mir nicht lächelnd entgegen. Zittrig hob ich die Hand, drückte die Klinke nach unten und betrat das Schreibzimmer meines Vaters.

Ich bildete mir ein, dass sein Geruch noch in der Luft schwebte, als wäre er eben erst hier gewesen. Hinter mir verschloss ich die Tür und sank für wenige Herzschläge gegen das warme Holz. Liebevoll betrachtete ich die für meinen Blick verschwommenen Regale, in denen sich in schwarzes und braunes Leder gebundene Bücher aneinanderreihten. Auf dem Schreibtisch lagen einzelne Papiere und seine Feder.

Alles in diesem Raum schien auf die Rückkehr des Königs zu warten. Ich presste die Lippen zusammen. Weitere Sprünge zogen sich durch die eisige Mauer. Der Gedanke an ihn war wie eine verdammte Lawine, die mich in tiefste Finsternis riss. Der einzige Hinweis, der darauf deutete, dass er nicht mehr wiederkommen würde, waren die zugezogenen Vorhänge. Früher waren sie offen gewesen. Zu den Tagesstunden meinte er, wäre es beruhigend zu hören, wie wir Kinder im Garten waren. Spielten, lachten. Und zur Nacht genoss er die Sterne, die am Himmelszelt leuchteten, weil sie ihn angeblich an Mutter erinnerten.

Zwischen den schweren Stoffen stahl sich ein einzelner Lichtstrahl der Mittagssonne hindurch, in dem Staubkörnchen tanzten, und schien geradewegs auf seinen Stuhl. Es fiel mir nicht schwer, ein Bild von ihm hervorzurufen, wie er über Notizen gebeugt dasaß, und mich damit in eine geisterhafte Umarmung voller Erinnerungen fallen zu lassen.

Seine Finger strotzen immer vor Tintenflecken, weil er ein Tollpatsch im Umgang mit der Feder war. Sein tiefes Lachen erklang in meinen Ohren, wenn er sie bemerkte. So hatte er die meiste Zeit meines Lebens verbracht – und ich mit ihm.

Ein Schluchzen brach sich aus meiner Kehle Bahn. Ich biss mir auf die Unterlippe, um jeglichen Ton herunterzuschlucken. Ich konnte nicht zusammenbrechen. Nicht jetzt.

Von klein auf war dieser Raum mein zweites Kinderzimmer. Ich erinnerte mich daran, wie ich auf seinem Schoß saß und er mir zeigte, was ich wissen musste, damit das Land unter meiner Führung weiterhin wuchs und gedieh. Er hatte alles zu einer Art Spiel gemacht, um mein Interesse für Politik und Steuern zu wecken. Hatte mir die unmöglichsten Aufgaben gestellt, um mich herauszufordern, und mit jedem Tag, den ich hier mit ihm verbrachte, lernte ich all dies zu lieben.

Schwankend stieß ich mich von der Tür ab und wanderte mit kleinen Schritten tiefer in den Raum. Ließ mich von seiner Atmosphäre einhüllen. Unter dem Fenster stand ein Beistelltisch, der mit Vaters Lieblingswhisky bestückt war. In der Nase kitzelte der erkaltete Rauch von Zigarren, die er heimlich brennen ließ, nur um den, seiner Meinung nach, wohligen Geruch zu riechen. Mit den Fingern strich ich über das dunkle Holz. In jedem Winkel dieses Zimmers steckte er. Dieser Raum hatte den Charakter meines Vaters in sich aufgenommen, sodass es schmerzhaft und beruhigend zugleich war, sich hier aufzuhalten.

Es erinnerte mich an sein Versprechen. Dass ich keinen Mann an der Seite benötigte, um eine gütige Königin zu sein; dafür brauchte ich keinen Partner, nur Herz. Und doch hatte er dieses Versprechen gebrochen. Das Dekret hatte weiterhin Bestand. Das Dekret, von dem wir beide der Meinung waren, dass es vor langer Zeit hätte abgeschafft werden müssen – was niemals in Kraft hätte treten dürfen. Er hatte nicht mit dem Rat gesprochen, damit ich als seine Erbin die Krone in Empfang nahm, ohne dass ein Ehegatte an der Seite stand. Mir wollte nicht klar werden, warum. Mein Leben lang hatte ich alles beobachtet, hatte gelernt, zugehört und war in die Rolle als zukünftige Königin gewachsen. Und doch war es mir nicht gestattet, die Bestimmung zu erfüllen. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Durch den feinen Stoff der Handschuhe bemerkte ich den Schmerz, als die Fingernägel sich in meine Haut bohrten. Eine Träne stahl sich aus den Augenwinkeln und hinterließ eine brennend heiße Spur auf meiner Wange. Ich hatte immer gedacht, dass er keinerlei Geheimnisse vor mir verbarg. Dass wir zueinander ehrlich waren, um für unser Volk das beste Leben zu ermöglichen. Und dennoch ...

»Warum?«, fragte ich mit fragiler Stimme in die Leere des Raumes, in der Hoffnung, von den Erinnerungen, die in jeder Ecke des Zimmers lauerten, eine Antwort zu erhalten. »Wieso hattest du kein Vertrauen in mich?«

Die erstickende Stille war die einzige Auskunft, die ich erhielt. Kraftlos sackte ich auf den Boden. Das eng geschnürte Korsett stach gegen meine Rippen. Der weite Rock des Kleides stülpte sich über mich und das Gefühl, in dem ausladenden Stoff unterzugehen, wurde übermächtig. Schluchzer ließen meine Schultern beben. Ich ertrank in dem Gefühl, nicht genug gewesen zu sein, um meinen König mit Stolz zu erfüllen.

Kapitel 2

Ardan

Das Schloss ragte hoch über uns auf. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um den höchsten Turm zu erfassen. An den Außenmauern waren die Insignien der Elemente eingeritzt. Das Feuer war am südlichsten Turm und obwohl diese Urkraft ein Teil von mir war, würdigte ich es kaum eines Blickes.

Neben mir stieß Theodor einen leisen Pfiff aus, was die Pferde, auf denen wir saßen, nervös mit den Ohren zucken ließen. »Wow. Das ist der Wahnsinn.«

»Reiß dich zusammen, Theo«, murrte ich und behielt den neutralen Gesichtsausdruck bei, wobei ich nicht verhindern konnte, dass sich mein Griff um die Zügel verstärkte. Ich war nervös.

»Aber sieh dir das an, Ardan! Darin könnte die gesamte Stadt Platz haben. Wozu braucht die Königsfamilie so viel?«, fragte mein Freund, der mich zu der wahnwitzigsten Idee überredet hatte.

Zischend wandte ich mich in seine Richtung. »Willst du, dass sie unseren Schwindel direkt aufdecken? Benimm dich, wenn du deinen Kopf behalten willst.«

Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. Was uns absolut nicht weiterhalf. Würde einer der Adligen bemerken, wie er – mein Dienstbote –mit mir redete, würden unsere Köpfe schneller am Tor hängen, als wir bis zehn zählen konnten. »Natürlich, Lord Thompson. Entschuldigt bitte. Der Luxus in Eurem bisherigen Zuhause reicht nur nicht einmal ansatzweise an diesen hier heran.«

Ich verkniff mir ein Augenrollen. Das würde unser Verderben werden. Die Idee war von vornherein ein Selbstmordkommando gewesen. Selbst ohne Theo als Dienstboten. Doch jetzt? Wir konnten von Glück reden, wenn wir überhaupt in die Nähe der Königsfamilie kamen. Und obwohl ich das alles wusste, war es mir unmöglich gewesen, Nein zu sagen, als meine Freunde mir die Einladung unter die Nase gehalten hatten. Diese Versuchung war zu betörend, um sie abzulehnen.

Nur noch wenige Meter trennten uns von den Schlosstreppen. Im gemächlichen Tempo ritten wir an den Kutschen vorbei, die auf dem mit Kies ausgelegten Weg standen und nur langsam vorankamen. Am Rand wuchsen hohe Bäume, deren Kronen in den buntesten Farben des Herbstes schillerten. Es sah eindrucksvoll aus. Doch bevor ich mich weiter umsehen konnte, räusperte sich jemand geräuschvoll und zog unsere Aufmerksamkeit auf sich.

»Entschuldigung?«, erkundigte sich der Herr. Seine Kleidung sah hochwertig aus. Die dunkelblaue Farbe seiner edlen Kleidung zeichneten ihn als Diener der Königsfamilie aus. Die grauen Haare waren in einer sanften Welle zur Seite gekämmt. Seine stechendblauen Augen musterten uns kritisch, als durchschaute er bereits jetzt unseren Schwindel.

Begleitet von einem Schweißausbruch zog ich die gestohlene Einladung der Königin aus der Innentasche meiner ebenso gestohlenen Jacke und reichte sie dem Herrn. »Lord Thompson. Ich bin auf Einladung der Königin gekommen.« Ich deutete auf Theo. »Das ist mein Dienstbote.«

Der Mann hob seine buschige Augenbraue, die dunkler war als sein Haupthaar, und musterte das Stück Pergament. »In Ordnung«, murmelte er langsam. »Dann werde ich Eurem Diener die Räumlichkeiten zeigen, damit er sie vorbereitet, während Ihr die königliche Familie begrüßt.« Er stieß einen schrillen Pfiff aus und hinter einer Baumreihe kam ein junges, schlaksiges Mädchen hervor. »Nimm die Pferde«, befahl der Mann und bedeutete uns, abzusteigen.

Ich tat wie geheißen und übergab dem Kind das Tier, das neben ihrer zierlichen Person riesig wirkte. Sie knickste und verzog sich dann mit den Pferden schnell zwischen die Bäume, hinter denen die Stallungen verborgen liegen mussten. Theodor hatte mir versichert, dass er sich darum kümmerte, dass die Pferde zu ihrem eigentlichen Eigentümer zurückkehrten. Keiner von uns besaß die Mittel, um sich zwei der Tiere für längere Zeit auszuborgen. Geschweige denn zu kaufen.

Theo folgte dem grimmigen Mann und ließ mich allein vor den Stufen zurück, auf denen der Reihe nach die königliche Familie stand und ihre eingeladenen Gäste begrüßte. Eiskalter Schweiß rann meinem Nacken hinunter in den gestärkten Kragen des Hemds, das ebenfalls nicht mir gehörte.

Ich straffte die Schultern und spazierte möglichst sorglos an den wartenden Kutschen vorbei. Einige der Adligen warteten bereits an den Stufen, bis sie an der Reihe waren. Sie alle waren in dicke Mäntel eingepackt, die Frauen trugen wilde Hüte, die mit bunten Vogelfedern und Blumen geschmückt waren. Mit einem Tippen gegen meine schlicht schwarze Hutkrempe begrüßte ich die, an denen ich vorbeiging.

Ihre Blicke brannten sich fast durch den Stoff, direkt auf meine Haut, als wüssten sie, dass ich nicht hierhergehörte. Dass ich eine Scharade zum Besten gab. Vicky, die wir in der Stadt zurückgelassen hatten, würde mir jetzt sagen, dass ich Gespenster sah. Die Leute interessierten sich bloß für mich, weil sie mich noch nie gesehen hatten – genauso wenig wie denjenigen, in dessen Rolle ich geschlüpft war.

Diese ganze Aktion war haarsträubend verrückt und nur auf Vermutungen aufgebaut. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass die Thompsons ein so zurückgezogenes Leben führten, dass niemand das Gesicht des jungen Lord Henry Thompson kannte. Doch ich wollte daran glauben. Unbedingt. So sehr, dass ich all den Wahnsinn einging. Ich hatte dieses Leben verdient. In meinem Blut floss das Geschenk der Elemente; das Erbe meines Vaters. Was mich ihnen gegenüber ebenbürtig machte. Ich bemühte mich darum, mir nichts von der Scharade anmerken zu lassen. Ab jetzt gehörte ich zu ihnen. Da war kein Platz für Nervosität, geschweige denn Unsicherheiten. Das musste ich mir nur immer wieder in Erinnerung rufen.

Ich holte tief Luft und schob die Ängste von mir. Ich konnte das. Dafür hatte meine Mutter mich ausbilden lassen. Damit es mir besser erging. Um dazuzugehören. Hier war mein vorherbestimmter Platz. Nicht auf dem Fischkutter, nicht im Ring, in dem ich in den letzten Monaten ums Überleben gekämpft hatte, um schlussendlich in zerschlissenen Sachen zu zittern, während der Winter von Dumoth erbarmungslos durch jede dünne Faser der Kleidung drang.

Theodor und Viktoria hatten perfekte Arbeit geleistet, was die Hintergrunddaten der Thompsons anging. Vickys Schwester arbeitete beim Lord und versorgte sie regelmäßig mit Neuigkeiten. Viktoria und sie hatten gemeinsam die aussortierte Kleidung des Lords zur Hauptstadt geschmuggelt, damit ich sie anziehen konnte, um meine Rolle zu unterstützen. Daher hatten wir auch gewusst, dass Lord Henry Thompson auf keinen Fall vorhatte, der Einladung der Königin nachzukommen – was meine Möglichkeit war, mich zu beweisen.

Anscheinend wollte mein Halbbruder sich keine Frau suchen, mit der er eine Familie gründen und somit das Erbe der Thompsons fortführen konnte. Er war auf dem Land groß geworden und verweilte dort oder auf Reisen, um seine Minen und Schiffe zu inspizieren. Da blieb keinerlei Zeit, um an den Empfängen teilzunehmen, vor allem da diese durch die vergangenen Spiel- und Trinkgelage und die dadurch entstandenen Schulden des verstorbenen Lords rar gesät waren.

Die hohen Türen waren einladend geöffnet und vor ihnen, auf den ersten Treppenstufen, stand in Reih und Glied, der Größe nach geordnet, die Königin mit ihren Töchtern.

Die schwarze Tracht der Königin stach hervor durch den hellen Hintergrund und stand im Kontrast zu den farbenfrohen Kleidern ihrer Töchter. Ihr praller Bauch, unter dessen Last sie unterzugehen schien, war nicht zu übersehen. Wenn die Informationen der Zeitungen stimmten, musste sie im siebten Monat schwanger sein.

Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie schwierig es war, in dem Alter und mit ihrer Trauer die Kraft aufzubringen, ein weiteres Kind auszutragen.

Die jüngste der Prinzessinnen, Darleen Victoria Darcy, trug ein himmelblaues Kleid, das den blassen Teint schmeichelnd betonte. Zwei andere beugten sich zueinander, als würden sie Geheimnisse teilen, wodurch das Grün und Gelb ihrer Röcke sich vermischte. Das mussten Lilibeth Jane und Camelia Vanessa sein. Die Zweitälteste, Farina Elisabeth Darcy, trug ein ansprechendes, rosafarbenes Kleid, das ihren von der Sonne gebräunten Hautton hervorhob. Doch die Älteste schien zu fehlen.

Vicky hatte mir alles, was sie in den letzten Jahren von der Königsfamilie aufgeschnappt hatte, erzählt, weil ich immer einen großen Bogen um den Klatsch und Tratsch machte. Und keine der auf der Treppe stehenden Frauen sah aus wie in Vickys Beschreibung der Kronprinzessin. Ich musste gestehen, dass ich voller Neugier auf die junge Frau war, die nach der kommenden Hochzeit Dumoth regieren sollte.

Wie war die Frau, die mit dem Gedanken erzogen wurde, dass all das Land ihr gehörte? Dass die Menschen in ihrer Umgebung auf ihren Befehl gehorchen mussten? Diejenige, deren Augen bei der Beerdigung ihres eigenen Vaters laut Zeitungsberichten trocken geblieben waren? Zwar hatte ich selbst die Parade nicht verfolgt, aber jeder hatte über die Eisprinzessin gesprochen, die ihrem Element alle Ehre machte. In meinen Vorstellungen war sie herrisch, eingebildet und anstrengend. Beinahe tat mir der Mann leid, den sie auswählen würde.

Es wurde Zeit. Der Ankömmling vor mir verbeugte sich vor der Familie und ging die Treppe hinauf zum Schloss. Ich setzte das freundlichste Lächeln auf meine Lippen und schlenderte auf die Königsfamilie zu. Sobald ich den Damen näher kam, nahm ich den Hut ab. Wobei ich versuchte, mir den Schrecken nicht anmerken zu lassen. Die Königin war atemberaubend. Sie besaß eine Ausstrahlung, die mir Ehrfurcht einbläute und dabei dennoch eine Leichtigkeit in sich hatte, als wäre sie einem eine gute Freundin. Doch die Trauer hatte sie gezeichnet. Ihre Wangen waren hohl. Das Schwarz betonte den blassen, kränklichen Ton ihrer Haut. Mir wurde schwer ums Herz, als ich sie betrachtete. Jeder, der sie sah, musste erkennen, wie gebeutelt sie war.

»Wenn Ihr erlaubt«, begrüßte ich die Damen und verbeugte mich tief vor ihnen. »Lord Thompson.« Es war überraschend, wie leicht mir die Lüge von den Lippen glitt. Ohne jegliches Stottern oder Scham nannte ich den gestohlenen Namen, als wäre es meiner.

»Lord Thompson, es ist schön, Euch bei diesem Spektakel an unserer Seite zu wissen. Wir hatten zuvor nie das Vergnügen, oder irre ich?«, erkundigte sich die Königin. Trotz ihres schwächlichen Aussehens war ihre Stimme kräftig und klar.

Kerzengerade richtete ich mich wieder auf. »Nein, leider hatten wir nicht das Vergnügen, das wäre mir im Gedächtnis geblieben.«

Eine zarte Röte breitete sich auf dem Hals der Frau aus, die sich an ihre Tochter wandte. »Darf ich vorstellen, meine Kinder.« Sie deutete auf die jungen Damen und jede Einzelne von ihnen schenkte mir ein Lächeln, das leicht fiel zu erwidern.

»Kronprinzessin Ainslie Amelia hat sich entschuldigt, aber Ihr werdet sie beim Abendessen kennenlernen.«

»Ich freue mich darauf.«

Sie nickte zum Abschied und ich ging die steinernen Stufen hinauf ins Schloss. Der Anblick der Eingangshalle ließ mich beinahe straucheln. Feinster, weißer Marmor, durch den sich rote, grüne, blaue und lilafarbene Fäden zogen, die die Elemente symbolisieren, breitete sich zu meinen Füßen aus. Durch die Buntglasfenster kamen Sonnenstrahlen und ließen Regenbögen entstehen, die sich auf Boden und Wand spiegelten. Einzelne Schatten von dem außen hängenden Efeu tanzten über den Marmor.

»Wow«, hauchte ich und konnte mich an der Pracht nicht sattsehen. Es war atemberaubend. Und jeder, der diesem Anblick gleichgültig gegenüberstand, besaß keinerlei Geschmack.

Eine Frau, deren schwarze Haare von grauen Strähnen durchzogen waren, näherte sich mir mit Liste und Feder in den Händen. Sie trug ein dunkles, schlichtes Kleid mit weißem Kragen. »Herzlich willkommen. Darf ich Ihren Namen erfahren?«

»Lord Thompson«, sagte ich und ließ weiterhin den Blick schweifen. In der Halle waren einige innen liegende Erker gefertigt worden, in deren Mündung marmorne Statuen standen, die mit ihrem steinernen Blick das Foyer beobachteten.

»Ah, hier. Das Zimmer befindet sich im ersten Stock. Treppe hoch und nach rechts. Euer Dienstbote sollte dort bereits auf Euch warten.« Sie knickste und wandte sich dem folgenden Neuankömmling zu.

Ich folgte ihrer Beschreibung und betrat die rundverlaufende Treppe nach oben. In einiger Entfernung entdeckte ich Theodor, der in gerader Haltung an einer Wand lehnte.

»Theo?«, fragte ich und hob die Brauen.

Er sah zu mir, seine braunen Augen glitzernd vor Freude. »Ich habe das Zimmer für Euch vorbereitet, mein Lord.« Er verbeugte sich in einer etwas linkischen Bewegung und stieß dabei die Tür auf, die in den Raum führte. Dabei spürte ich seinen abwartenden Blick auf mir, als wollte er keine Regung meinerseits verpassen. Und als ich in den Raum hineinsah, wusste ich warum.

Alles darin war riesig. Das Zimmer, das ich bei Vicky bewohnte, hätte drei Mal hereingepasst. Allein das Bett würde mein Zuhause gänzlich ausfüllen. Hinter mir hörte ich, wie Theodor die Tür verschloss.

»Das ist der pure Wahnsinn, Ardan! Findest du nicht auch?«

»Bei den Elementen ...«, stimmte ich ihm zu und sah mich mit aufgerissen Augen um.

Zwei mannshohe Fenster flankierten den Raum und ließen einen Blick in den Garten zu, in dessen Ferne die Klippen und das Meer zu erahnen waren. Der Boden war aus warmem, dunklem Kirschholz, auf dem ein dicker Teppich lag. An der Stirnseite des Zimmers, direkt gegenüber dem Bett befand sich ein Kamin, in dem ein Feuer knisterte. Daneben befand sich ein marmorierter Raum, der vermutlich das Badezimmer war.

»Allein dieses Zimmer zu betreten und in ihm zu schlafen, hat jede Mühe wettgemacht«, wisperte Theo und ich musste ihm zustimmen. Das hier war purer Luxus.

»Hast du Lust auf ein Bad, bevor ich mich fürs Abendessen fertig machen muss, mein Freund?«

Er grinste breit. »Das fragst du? Der einzige Grund, weswegen ich noch nicht in dieser Wanne tauche – und ich meine das ernst, Ardan, es ist möglich, darin zu schwimmen –, ist, weil ich den Anschein wahren musste.«

Die meisten Adligen hatten sich in kleinen Gruppen versammelt. Als ich vorhin an ein paar von ihnen vorbeigeschlendert war, hatte ich sie vom »verschollenen Lord« raunen gehört. Sie waren bloß ein Wispern, doch verliehen sie mir Macht. Nur wusste es keiner von ihnen. Bisher lief unser Plan, wie wir gehofft hatten. Niemand schien auch nur im Ansatz zu vermuten, dass ich nicht der sein könnte, den ich vorspielte. Dass ich ganz eigene Ziele verfolgte, die teilweise von ihnen abhingen. Weswegen ich mich unbedingt unter sie mischen sollte.

Dennoch konnte ich mich nicht von meinem Platz lösen. Ich genoss die Anonymität, die der Schatten zwischen den feinen Vorhängen mir verlieh. Obwohl mir die Blicke der Lords bewusst waren, die mich neugierig musterten.

Ich schwenkte das Weinglas, setzte es an und beobachtete durch das Glas hindurch den Festsaal.

Der kleine Strom an Neuankömmlingen war seit geraumer Zeit verebbt. Stattdessen hatte sich über den Saal eine Spannung gelegt, die wie dichter Nebel um uns waberte. Alle warteten auf die Ankunft der Königsfamilie. Darauf, dass sie das Essen verschlingen konnten, das das gesamte Hafenviertel für ein Jahr hätte ernähren können, wenn die Adligen nur einmal über die hohe Mauer schauen würden.

Eine Kugel schlechter Laune regte sich in meinem Magen und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack auf der Zunge. Ich verstand nicht, wie gebildete Menschen – denn das waren die Adligen, immerhin hatten sie ungehinderten Zugang zu Schulen – nicht weitsichtiger waren. Wie sie sich blind stellen konnten, während vor ihren eigenen Haustüren Menschen erfroren und verhungerten. Ich umfasste den zierlichen Griff des Glases fester.

Doch das war weder der richtige Zeitpunkt noch der passende Ort für solche Überlegungen. Mein Ziel war etwas anderes. Und wenn ich das erreicht hatte, würde ich zumindest meinen Freunden ein besseres Leben verschaffen – danach würde ich weitersehen. Denn jeder, der über die Schlossmauer hinausblickte, würde erkennen, dass sich etwas ändern musste.

Ich ließ die Schultern kreisen, schüttelte die negative Energie von mir und stolzierte in Richtung einer Gruppe. Mir waren die meisten Namen der Adligen bekannt. Gemeinsam mit Vicky hatte ich mich die letzten Wochen hingesetzt und das alte Wissen mit ihrer Hilfe aufgefrischt. Es hatte sich nicht viel in den gehobenen Kreisen verändert – zu meinem Glück. Vickys Geduld war geringer als die eines Maulesels. Trotzdem war ich froh, dass ich sie zu meinen Freunden zählen durfte. Sie war unerschütterlich, in ihrem Optimismus und ihrer Freude. Ihr Lächeln versiegte nie. Nicht einmal dann, wenn einer ihrer Gäste wieder ein Ekelpaket war. Oder wenn ihr Mieter mal wieder nicht den genauen Betrag zusammentragen konnte.

»Lord Thompson!«, rief eine Stimme.

Ich sah in die Richtung, aus der sie gekommen war, und entdeckte einen Mann, der in einem kleinen Kreis stand und eine Lücke bereitete, damit ich mich zu ihnen gesellte. »Lord Trimple. Welche Freude, Euch endlich kennenzulernen«, bemerkte ich, prostete ihm mit dem halb vollen Weinglas zu und stellte mich zu der kleinen Gruppe, in die ich eingeladen wurde.

Soweit ich wusste, waren Lord Trimples Mutter und die Königin miteinander befreundet. Einige vermuteten, dass er dadurch bessere Chancen bei der Prinzessin hatte.

»Das kann ich nur erwidern. Manche glaubten, Ihr wärt nur ein Hirngespinst der alten Lady Thompson gewesen, um die Aufmerksamkeit ihres Mannes zu ergattern.«

Ein trockenes Lachen drang über meine Lippen. »Nun ja, hier stehe ich. Also scheint die Lady nicht allzu falsch gelegen zu haben.« Das Wort »Mutter« in Bezug auf die griesgrämige Frau in den Mund zu nehmen, fiel mir nicht im Traum ein. Im Gegensatz zu ihr war meine echte Mutter eine liebende Frau gewesen, die alles aufgegeben hatte, um mir etwas Besseres zu ermöglichen.

»Wir waren alle überrascht, als wir hörten, dass Ihr hier sein würdet, Lord Thompson«, sagte eine zierliche Frau, und verbarg dabei ihre untere Gesichtshälfte hinter ihrem kristallenen Glas. Sie blinzelte mit ihren halb geschlossenen Augen zu mir hoch.

»Lord Thompson, das ist meine Schwester, Jane Trimple«, stellte Trimple sie vor.

Ich nickte in ihre Richtung. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Es wäre wohl ziemlich kurzsichtig, mir diesen Wettbewerb entgehen zu lassen. Der nicht nur einer Bitte der Königin entspricht, sondern die Möglichkeit offenlegt, Kontakte zu knüpfen, die so versammelt wohl nicht einmal bei der bestbesuchtesten Saison der Fall wäre?«, fragte ich und schenkte den Menschen mein strahlendes Lächeln.

Ein amüsierter Laut klang aus Jane Trimples Kehle.

»Wie wahr. Wobei die Verlockung auf den Thron sicherlich auch mit reinspielt, nicht wahr?«, bemerkte Lord Trimple.

Überrascht sah ich zu ihm. Er schien in meinem Alter zu sein. Ein dunkler Bartschatten lag über den harten Kanten seines Kiefers. Auf den ersten Blick war er attraktiv – das konnte ich selbst als Mann zugeben. »Da muss ich leider passen, Lord Trimple. Der Thron hat keinerlei Reiz. All die Pflichten und die Aufmerksamkeit ...« Ich schüttelte den Kopf. »Das wäre nichts für mich. Da bleibe ich lieber auf dem Landsitz meiner Familie und genieße die Ruhe.«

Lord Trimple stieß ein lautes Lachen aus und schlug mit seiner Hand auf meinen Rücken. »Dann habe ich einen Konkurrenten um Kronprinzessin Ainslie weniger. Gut für mich.«

Ich nickte und hob das Glas. »Fürwahr!«

Ehe noch jemand etwas sagen konnte, klopfte ein Diener, der an dem obersten Treppenabsatz stand, auf den Boden, sodass der Klang durch den gesamten Saal hallte.

»Die Herrschaften Königin Leandra Sophia Darcy von Dumoth und Prinzessin Farina Elisabeth Darcy.«

Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Sollte Prinzessin Ainslie nicht kommen?«

Trimple beugte sich vor. »Vielleicht will sie einen eigenen Auftritt.«

Ich zuckte mit den Schultern und sah nach vorn, wo die amtierende Königin am Arm ihrer Tochter den Saal betrat. Prinzessin Farina hatte das Aussehen ihrer Mutter geerbt. Beide besaßen dunkles Haar, das in komplizierten Frisuren nach oben gesteckt war. Bei Prinzessin Farina hatte sich jedoch ein roter Stich in die dicken Strähnen geschlichen. Die Frisur betonte die spitzen Wangenknochen der Königin, die durch die straffe, blasse Haut deutlicher hervorblitzten. Im Gegensatz zur Prinzessin, an der auf den ersten Blick alles weich erschien.

Die beiden glitten die Treppe hinunter, als würden sie schweben. Jeder Blick im Saal war auf sie gerichtet und sie schienen sich nicht unwohl im Zentrum der Aufmerksamkeit zu fühlen. Eher im Gegenteil. Die Königin schenkte jedem Bewunderer ein strahlendes Lächeln.

Die beiden erreichten das Ende der Treppe, wo zwei Begleiter sie erwarteten und in den Saal führten.

Ein paar der Anwesenden begannen leise zu raunen, wahrscheinlich mit derselben Frage, die ich vorhin gestellt hatte, als ein Räuspern sie unterbrach.

»Kronprinzessin Ainslie Amelia Darcy«, hallte die tiefe Stimme des Dieners durch den Saal.

Sofort erstarben die gewisperten Worte. Die Luft selbst schien den Atem anzuhalten, so still wurde es, als sich jedes Augenpaar in Richtung Treppe wandte, an der Prinzessin Ainslie erschien. Die zukünftige Königin, sobald sie einen Ehemann gefunden hatte.

Sie blieb in der Mitte des Treppenabsatzes stehen, reckte ihren grazilen, langen Hals und überblickte die Menge, die zu ihren Füßen stand und staunend zu ihr hochsah. Das Licht des Sonnenuntergangs und der flammenden Kerzen zauberten die unterschiedlichsten Rottöne in ihr volles Haar, das in sanften Wellen über ihre Schulter floss. Ihre gesamte Haltung erinnerte an einen Schwan. Majestätisch und jederzeit bereit, die Flügel auszustrecken, um zu fliegen.

Ich konnte nicht atmen. Bei ihrem Anblick versteifte sich mein gesamter Körper. Sie zog mich in ihren Bann. Würde ich ihr gegenüberstehen, wären diese blauen Augen mein Untergang. Genauso wie die Sommersprossen, die sicherlich noch auf ihrer Nase und den Wangen getupft waren. Ich versuchte zu schlucken. Meinen Mund zu befeuchten, doch es schien, als sei jegliche Körperfunktion eingestellt worden. Einschließlich meines Überlebensinstinkts. Einzig mein Herz raste in der Brust. Es klopfte so laut und hektisch gegen den Brustkorb, dass ich befürchtete, dass es unweigerlich hervorspringen würde.

In meinem Unterbewusstsein blitzte das veraltete Bild eines jungen Mädchens auf, das mit Sommersprossen auf der Nase und himmelblauen Augen im Schneefall tanzte und dabei die Arme ausstreckte, als wäre sie ein Teil des Winters. Ich hatte es nicht gewusst. Hatte nicht einmal geahnt, dass dieses Mädchen, dass mir seit Ewigkeiten im Kopf herumspukte, die Prinzessin war. Und nach all den Jahren faszinierte sie mich wie in dem Moment, als ich sie das erste Mal gesehen hatte.

So oft hatte ich mir ein Wiedersehen vorgestellt. Aber keins davon war mit der ureigenen Angst verbunden, die ich in diesem Moment fühlte. Sie würde mein Untergang sein. Sobald sie mich erkannte, würde sie all die Arbeit zunichtemachen, die Vicky, Theo und ich die letzten Monate erübrigt hatten.

»Und plötzlich ist der Thron nicht mehr so abschreckend, nicht wahr, Lord Thompson?«, raunte eine belustigte, weibliche Stimme neben mir.

Mit aufgerissenen Augen konnte ich Jane Trimple nur anstarren, die meine Reaktion auf die Kronprinzessin offensichtlich genauestens beobachtet hatte. »Entschuldigt mich bitte«, haspelte ich und startete den Rückzug, ehe die verfluchte Kronprinzessin mich nur eines Blickes würdigen konnte.

Wie ein Feigling floh ich vor der jungen Frau. Hastig drängte ich durch die Masse. Als ich die Tür aufstieß, sah ich über die Schulter zurück und begegnete dabei dem Blick der Kronprinzessin. Ihr Blick aus den blauen Augen, die ich selbst aus dieser Entfernung erkannte, schien mich festzunageln. Ich schluckte schwer und riss mich los. Dieser Wettbewerb war ein fataler Fehler und wenn Theo und ich nicht für unseren Verrat sterben wollten, mussten wir von hier verschwinden – schnellstmöglich.

Ohne noch mal zurückzuschauen, rannte ich den Flur entlang, um zu meinem Zimmer zu gelangen. Ich bemerkte die Blicke der Wachen, die im unteren Geschoss auf ihren Positionen standen. Doch es war mir egal. In der Eile nahm ich zwei Stufen auf einmal nach oben. Panisch riss ich die edle Holztür auf und begegnete meinem Freund, der vom Sessel hochsprang, als ich durch die Tür polterte.

»Wir müssen weg!«, stieß ich atemlos hervor. »Sofort.«

»Beruhige dich«, sagte Theo und stellte das Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit auf den kleinen Beistelltisch ab. »Was ist passiert? Solltest du nicht auf der Tanzfläche sein?«

Ich schlug die Tür hinter mir zu. Lehnte mich gegen das Holz, das mir trügerische Sicherheit versprach. Mein Brustkorb hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. Mir schwindelte. Wobei ich nicht wusste, ob vor Sauerstoffmangel oder der Angst, die ihre Krallen in mich schlug. »Erinnerst du dich an das kleine Mädchen, von dem ich dir erzählt habe?«

Verwirrt zog Theo seine Augenbrauen zusammen. »Du meinst das Mädchen, das du gesehen hast, als du ein Kind warst?«

»Es ist Prinzessin Ainslie«, offenbarte ich.

Die braunen Augen meines besten Freundes wurden riesengroß. »Was?«

Ich fuhr mir durch die blonden Haare. Der Zopf, den Theo vor wenigen Stunden sorgfältig gemacht hatte, war gelöst und sicherlich standen einige Strähnen zu Berge. »Das Mädchen, an das ich all die Jahre denken musste ... Das ich nach alldem irgendwann wiederfinden wollte ... Es ist die Kronprinzessin.«

Theo stieß ein Lachen hervor. »Bei den Elementen, mein Freund, du bist erledigt.«

Kapitel 3

Ainslie

Laut würde ich es niemals zugeben, aber es besaß etwas Amüsantes, die Lords zu beobachten, wie sie sich im taufeuchten Gras aneinanderreihten, und dabei an Hühner auf der Stange erinnerten. Wie die letzte Woche hatte Grace mich geweckt, sobald Kasimir die Dienstboten der Lordschaften ausgeschickt hatte, damit sie sich für den Tag bereit machten.