Legend of the North 2: Das Blut deiner Bestimmung - Laura Nick - E-Book
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Legend of the North 2: Das Blut deiner Bestimmung E-Book

Laura Nick

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Beschreibung

**Erfülle deine Bestimmung im göttlichen Asgard** In ihrer Zeit am Swen-Internat hat Ivy endlich Freunde gefunden, die wie sie übernatürliche Fähigkeiten besitzen. Insbesondere mit dem furchtlosen Henrik fühlt sie sich tief verbunden. Doch genau der junge Mann, für den Ivys Herz schlägt, schwebt in größter Gefahr. Nur ein Pakt mit dem Weltenverschlinger Fenrir könnte ihn noch retten. Trotz aller Warnung schlägt Ivy ein – noch nicht ahnend, dass sie sich damit in den Mittelpunkt eines göttlichen Krieges manövriert hat und sie nun für das Schicksal der neun Welten verantwortlich ist. Bist du bereit, dich einer Welt zu stellen, in der aus Sagen und Legenden Wirklichkeit werden? Textauszug: »Eher sterbe ich, als ihn hier zu lassen«, kam es über meine Zunge. Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, doch in dem Moment, als die Worte über meine Lippen kamen, wusste ich, dass es so war. Mich würde nichts und niemand von Henrik trennen können. Nicht ehe ich absolut sicher war, dass es ihm gut gehen würde. //Dies ist der zweite Band der romantisch-magischen Fantasy-Buchserie »Legend of the North«. Alle Romane der romantische Wolfsfantasy bei Impress: -- Legend of the North 1: Der Wolf in deinem Herzen -- Legend of the North 2: Das Blut deiner Bestimmung//

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Laura Nick

Legend of the North 2: Das Blut deiner Bestimmung

**Erfülle deine Bestimmung im göttlichen Asgard**

In ihrer Zeit am Swen-Internat hat Ivy endlich Freunde gefunden, die wie sie übernatürliche Fähigkeiten besitzen. Insbesondere mit dem furchtlosen Henrik fühlt sie sich tief verbunden. Doch genau der junge Mann, für den Ivys Herz schlägt, schwebt in größter Gefahr. Nur ein Pakt mit dem Weltenverschlinger Fenrir könnte ihn noch retten. Trotz aller Warnung schlägt Ivy ein – noch nicht ahnend, dass sie sich damit in den Mittelpunkt eines göttlichen Krieges manövriert hat und sie nun für das Schicksal der neun Welten verantwortlich ist.

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Vita

Danksagung

© privat

Laura Nick wurde März 1995 inmitten des Ruhrpotts geboren. Jedem, der sie hören wollte – oder auch nicht –, erzählte sie Geschichten über fantasievolle Abenteuer und Liebe. Unter dem Pseudonym Aurelia L. Night hat sie seit 2016 Fantasy- und Liebesromane veröffentlicht. Sie ist aktives Mitglied im PAN e.V. und setzt sich für die deutsche Phantasik in der Buchbranche ein. Mittlerweile lebt, liest und arbeitet Laura Nick mit ihrem Ehemann in Niedersachsen, nahe des Meeres und der niederländischen Grenze.

1

Angrboda hatte sich Henrik in seiner Wolfsgestalt über die Schulter geworfen, als wöge er lediglich so viel wie ein Sack Federn, und ging am Anfang unserer Kette. Danach folgten ich, Peter und Jesper. Hinter und neben uns hatten sich die Zwerge mit ihren Einhörnern positioniert. Sie ließen uns keine Millisekunde aus den Augen. Als könnten wir ihnen tatsächlich den Rücken kehren, wenn sie einen von uns in ihren Fängen besaßen.

Mein schlechtes Gewissen grub sich wie eine bohrende Faust in den Magen. Wenn ich nur ein wenig stärker gewesen wäre, wenn ich mehr Kampfgeist besitzen würde … Ich schluckte den schweren Kloß hinunter und sah zu Henrik, dessen Pfoten und Kopf kraftlos in der Luft baumelten.

Jesper stieß mich leicht mit seiner Schnauze an. »Du kannst nichts dafür«, flüsterte er.

Ich wusste nicht, ob die Zwerge oder Angrboda uns trotz der niedrigen Lautstärke hören konnten, deswegen antwortete ich ihm nicht. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich sehr wohl schuld war? Dass ich der Grund war, warum Angrboda überhaupt auf unsere Welt hatte kommen können? Wenn ich nicht gewesen wäre … Ich ertrank in dem Selbstmitleid, das ich mir selbst gegenüber anhäufte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Angrboda hatte noch immer nicht gesagt, was sie als Preis von uns für Henriks Rettung verlangte.

Die Sonne ging langsam unter, während wir der Höhle näher kamen. Der Geruch von Fäulnis wurde stärker, womit ich nicht gerechnet hatte, weil die Ursache uns in ihrer Mitte hatte. Doch mit jedem Schritt, den wir auf die Behausung der Zwerge zugingen, biss mir der Gestank in die Lunge.

Wir traten auf die kleine Lichtung, die sich vor der Höhle auftat. Ich hob meinen Blick, ließ ihn an dem Felsen nach oben streifen, bis ich meinen Kopf in den Nacken legte und endlich die schwindende Sonne sah, die langsam hinter dem Berg verschwand.

Angrboda sah ebenfalls zum Feuerball am Himmel, ehe sie ihren Kopf einzog und in die Höhle trat. Ich warf noch einen Blick zu Jesper und Peter; die beiden wirkten genauso geknickt, wie ich mich fühlte. Erst dann folgte ich Angrboda in die Dunkelheit der Höhle.

Die Höhle lag komplett in Finsternis. Nur mithilfe meiner Ohren konnte ich den Schritten der Jöttun folgen. Erst nach einigen Metern entdeckte ich ein sanftes Leuchten, das Angrbrodas Umrisse einhüllte. Mit vorsichtigen Schritten folgte ich ihr. Mir gefiel das nicht. Was brauchte sie nur von uns, dass sie so viele Menschen entführte?

Verwirrt blieb ich mitten im Weg stehen. Angrboda war durch den Durchgang gegangen und hatte dabei erneut ihren Kopf einziehen müssen.

»Hilfe!«

»Wo bin –?«

»Was bin ich?«

»Hey!«

Meine Rute klemmte sich zwischen die Hinterbeine. Mir gefiel das nicht. Das waren Gedanken. Gedanken von Menschen. Ich stülpte den Schleier über, wie es mir Herr Kweldulf beigebracht hatte, und betrat den Höhlenraum.

Bunte Kristalle funkelten an den Wänden, dem Boden und der Decke. Das sanft flackernde Licht kam aus den Edelsteinen, als ob etwas in ihnen geschäftig hin und her wuselte. »Was ist das?«, fragte ich, wobei ich eine Befürchtung hatte, der ich jedoch keinerlei Raum geben wollte. Sie wäre zu grausam. Das war unmöglich … oder?

Jesper und Peter drängten sich an mir vorbei, ehe sie wie ich stehen blieben und ihren Blick schweifen ließen.

»Das, meine Lieben«, begann Angrboda, »sind Seelen.« Sie drehte sich zu uns um, dabei zierte ein breites Grinsen ihre Lippen.

»Seelen?«, fragte Peter.

Hinter uns kamen die Zwerge durch den Gang gewatschelt, ihre Waffen hatten sie wieder auf den Rücken geschnallt.

»Bringt sie in den Käfig«, befahl Angrboda und ließ Henrik von ihrer Schulter plumpsen.

»Hey!«, rief ich und stürmte auf Henrik zu. Die Wunden hatten sich geschlossen, doch der Wolf war immer noch bewusstlos. Sorge schlug ihre Krallen in mich. Er hätte längst wieder aufwachen müssen.

Die Riesin beachtete mich nicht einmal. Sie breitete ihre Arme aus, als wollte sie irgendwas willkommen heißen.

»Fass mich nicht an!«, hörte ich Peter zischen.

Ich drehte mich in seine Richtung. Die Zwerge drängten Jesper und Peter durch einen anderen Durchgang, den ich noch nicht bemerkt hatte.

»Was willst du von uns?«, fragte ich und drückte mich dabei an Henrik. Ich wollte, dass er wusste, dass ich da war. Dass ich an seiner Seite war und ihn nicht alleinlassen würde.

Sie öffnete die Augen wieder, doch sah sie nicht mich, sondern die Decke der Höhle an, als wäre dort etwas von großer Bedeutung. »Ich werde eure Seelen nehmen, sie in die Steine des Berges bannen und dadurch den Fels sprengen, mit dem Odin meinen Geliebten gebannt hat.«

»Du willst Loki befreien?«

Angrboda drehte sich zu mir um. »Das will ich nicht, Fenrirsdottír. Ich werde es.«

Fieberhaft überlegte ich. »Die Ragnarök …«, wisperte ich.

Angrboda schnaubte. »Die Ragnarök ist ein Ammenmärchen. Erzählt von den Nornir, um den Gottheiten Angst zu machen.« Sie grinste mich nahezu an. »Ich sollte dir dankbar sein, kleine Fenrirsdottír. Immerhin konnte ich dank dir ein Portal nach Midgard sprengen.«

»Wozu brauchst du gerade uns?«

Sie gab ein freudloses Lachen von sich. »Midgard besitzt die schwächsten Bewohner der neun Welten. Aber selbst diese schwächlichen Wesen haben eine einzigartige Stärke: ihre Emotionen. Und genau diese brauche ich, denn nur mit ihnen kann ich den Stein sprengen, mit dem Odin meinen Geliebten gefangen hält.«

Umso weiter die Information in mein Bewusstsein sickerte, desto weicher wurden meine Knie, bis sie an aufgewärmte Butter erinnerten.

Ihr Blick glitt wieder an die Decke. Plötzlich erklang ein ohrenbetäubendes Schreien. Ich kniff die Augen zusammen, presste meine spitz zulaufenden Ohren hinunter, als könnte ich den Ton dadurch aussperren. Die Schreie waren so voller Qual, dass es mir durch Mark und Bein ging. Der Stein selbst erzitterte.

»Hörst du es?«, fragte mich Angrboda, als die Stille wieder einkehrte. »Das Leid, die Qual.«

Ich sah zu der Frau auf. Zum allerersten Mal glaubte ich, so was wie echte Gefühle auf ihrer Mimik zu sehen. Die Art Emotionen, die einen wahren Ursprung besaßen und nicht nur ein Mittel zum Zweck waren.

»Jeden Abend, wenn die Sonne untergeht, läuft Sigyns Schale voll und sie muss sie leeren.«

»Das war Loki?«

»Ja. Zum Dank würde ich dir gern mehr Milde beweisen. Doch in diesem Fall muss das gerettete Leben deines Freundes reichen. Betrachte es als Geschenk und genieß die Zeit, die ihr noch habt.« Sie drehte sich weg. »Nehmt sie mit!«

»Was?« Ich drehte mich herum, hinter uns standen vier Zwerge, drei davon nahmen Henrik und schleiften ihn über den Höhlenboden, während einer nach mir griff und an meinem Fell zog. Das Sekret der Zwerge brannte sich in mein Fell. Zischend trat Dampf aus meiner Haut, als das Gift auf sie traf. Verzweiflung biss sich in meine Innereien. Mein Puls schoss in die Höhe. Wir mussten einen Ausweg finden. Ich warf einen Blick auf die Edelsteine, die Seelen sein mussten. Wie viele hatte Angrboda bereits entführt?

Der Zwerg zog mich durch den Durchgang und für eine kurze Zeit wurde alles wieder in Finsternis getaucht, ehe ich ein Gitter hörte, das geöffnet wurde. Grob schubste mich der Zwerg in die Richtung. Beinahe wäre ich über meine Pfoten gestolpert. Das Gatter schloss sich wieder. Nur für kurze Zeit konnte ich die schlurfenden Schritte der Zwerge hören, ehe ich mich umsah. Lediglich das leichte Leuchten der Edelsteine aus dem Nebenraum umgab uns.

»Geht es euch gut?«, fragte ich Peter und Jesper, die im selben Käfig wie Henrik und ich waren.

»Was hat sie dir erzählt?«, verlangte Peter zu wissen.

Jesper hatte sich neben seinem Bruder ausgestreckt und die Nase in sein Fell vergraben. Mein Herz zog sich bei dem Anblick zusammen. Wieso wachte Henrik nicht auf?

»Sie wird unsere Seelen rauben, um Loki zu befreien.«

Im hinteren Bereich der Höhle hörte ich ein Rascheln. »Leute?« Lathas Stimme war nur ein heiseres Raunen.

Peter hüllte sich in sein Leuchten. »Latha!« Er ging in die Richtung, aus der ihre Stimme gekommen war, und verschwand gänzlich in der Dunkelheit.

»Bei den Göttern«, wimmerte Latha. »Wieso seid ihr hier? Wieso verdammt noch mal seid ihr nicht gegangen, nachdem sie mich bereits hatte? Wieso seid ihr wegen dieser räudigen …?!«

Peter gab ein Räuspern von sich. »Wir sind alle hergekommen, um euch zu retten.«

Ich wurde noch kleiner in meiner Ecke. Zögerlich flüchtete ich zu Henrik.

»Seid ihr wahnsinnig?«, zischte Latha. »Wie kommt ihr auf den Gedanken, dass ihr euch gegen eine Jöttun wehren könntet?«

»Wir wollten dich retten.«

Ich blendete das Gespräch der beiden aus. Es interessierte mich nicht, was Latha und Peter zu sagen hatten. »Ich wollte das nicht«, wisperte ich und kam einen Schritt näher, ehe ich wieder stehen blieb.

Jesper sah zu mir. »Dich trifft keine Schuld. Absolut nicht.« Er drückte Henriks Körper mit seinem Kinn an sich.

»Er wollte mich beschützen …«

»Natürlich wollte er das, du bist seine Gefährtin.«

Ich erinnerte mich, dass Henrik das schon gesagt hatte, um mich danach zu küssen. Mir wurde bei der Erinnerung ganz warm. Doch sie wurde mit einem bitteren Geschmack serviert. »Ich … ich weiß nicht, was das bedeutet«, gab ich zu. Selbst wenn ich durch die ganzen Fantasyserien, die ich gelesen hatte, eine Idee besaß. Wir waren nicht einmal ansatzweise so alt wie diejenigen in meinen Büchern. Bedeutete eine Gefährtin zu sein wirklich, dass ich bereits jetzt jemanden gefunden hatte, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen würde? Und wollte ich mein Leben mit ihm verbringen?

Jesper rutschte ein wenig zur Seite. »Komm her.«

Vorsichtig trat ich zu ihm und legte mich auf Henriks andere Seite, sodass meine Schnauze an seinem Kopf lag. Ich wollte, dass es ihm gut ging. Dass er die Augen wieder aufmachte. Doch das war normal, oder nicht?

»Eine Gefährtin, beziehungsweise ein Gefährte, ist das Gegenstück zu uns. Der Part, der es schafft, das Bestmögliche aus uns herauszuholen; der das Leben, trotz der Widrigkeiten, zu etwas Wundervollem macht. Derjenige, ohne den wir uns nicht vorstellen könnten, noch einen einzigen Atemzug zu machen. Der es uns ermöglicht, in allem Gutes zu sehen. Derjenige, der uns um den Verstand bringt und dennoch dafür sorgt, dass wir etwas Ganzes sind.«

Bei Jespers Worten sah ich die ganze Zeit nur Henrik an. Ich hatte mich nicht von ihm fernhalten können. In seiner Nähe zu sein, fühlte sich auf jeder Ebene richtig an, obwohl er mir das Leben zur Hölle gemacht hatte. »Aber …« Mir kam das Gespräch mit Henrik in den Sinn. Er hatte all das getan, ehe er mich vollkommen gekannt hatte. Ehe er auch nur einen einzigen Tag mit mir verbracht hatte. Meine Kehle schnürte sich zu. »Wie kann das sein?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht. Urd scheint es gut mit euch zu meinen.«

»Urd?«

»Urd gehört zu den Nornir. Die drei wichtigsten Schwestern der nordischen Mythologie. Urd ist das Schicksal, ihre Schwester Verdandi steht für die Zukunft, das Werdende, und Skuld für die Gegenwart, das, was sein soll.«

Jespers Worte legten sich schwer auf meinen Magen. Es bedeutete so viel Verantwortung und ich wusste nicht, ob ich dafür schon bereit war – ob ich dafür überhaupt bereit sein wollte.

Ich hob meinen Blick und sah zu Peter, der sich ans Gitter gelehnt hatte. Neben ihm hockte Latha in einer anderen Zelle. Hinter ihr saßen noch weitere Verborgene, die sich leise unterhielten, wobei alle eine eher gebeugte Haltung eingenommen hatten, als versuchten sie sich zu verstecken. Dabei gab es keinerlei Möglichkeit, sich zu verbergen. Wir waren Gefangene Angrbodas und der einzige Weg, wie wir hier rauskommen konnten, war zu kämpfen. Wir durften jetzt nicht still sein. Ich sah zu Henrik. »Bitte, wach auf«, flüsterte ich und leckte über seine Schnauze, als könnte ihn das wecken.

***

Die Zeit verkroch quälend langsam in unserem Gefängnis. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir schon in der Dunkelheit hockten. Es war niemand zu uns gekommen, um uns etwas zu essen oder trinken zu geben. Wir waren auf uns allein gestellt.

Ich drückte mich fester an Henriks Körper. Er war warm, aber ich bildete mir ein, dass sein Herzschlag von Minute zu Minute leiser wurde, was ich jedoch meiner Sorge zuschrieb.

Jesper hatte sich irgendwann in einen Menschen zurückverwandelt und sich zu Peter, Latha und den anderen gesetzt. Viele von ihnen waren eingeschlafen, zumindest vermutete ich das aufgrund des leisen Schnarchens, das zu mir drang. Ich hatte keine Ahnung, wie Angrboda unsere Seelen in diese Kristalle verfrachten wollte. Was ich wusste, war, dass wir das nicht zulassen durften. Nur wie sollten wir sie daran hindern? Ich stieß ein schweres Seufzen aus.

Ich war ein verdammter Jon Snow, der von nichts eine Ahnung besaß, in einer Welt, in der jeder einen tot sehen wollte.

Der Gedanke bereitete mir Bauchschmerzen. In meinem gesamten Leben hatte ich noch niemals zuvor so eine düstere Sichtweise auf die Dinge gehabt. Es war gut, dass ich Susann die Nachricht geschrieben hatte, um sie von all dem fernzuhalten. In dieser Welt konnte ein Mensch nicht überleben. Selbst die Verborgenen schafften es kaum.

Bei meinen Überlegungen fiel mir auf, dass ich es trotz allem nicht bereute, hier zu sein. Ich bereute, dass ich niemanden hatte schützen können, wie ich es gewollt hatte. Ich bereute, dass ich nicht stark genug gewesen war, um Henriks Wunden zu verhindern. Aber ich bereute für keine einzige Sekunde, wer ich war. Was ich war. Trotz diesem ganzen Mist war ich froh, endlich herausgefunden zu haben, wer ich war. Wieso ich all die Jahre das Gefühl gehabt hatte, anders als die anderen zu sein.

Ich drückte meine Schnauze an Henriks Brust. »Danke«, murmelte ich in Gedanken und hoffte, dass er mich hörte. Ohne ihn wäre ich noch immer ein verunsichertes Mädchen, das sich hinter ihren Tabletten und Kopfhörern versteckte. Ich hatte mich verändert, auch zum Teil wegen ihm. Das unsichere Mädchen von vor wenigen Tagen war ich nicht mehr. Ich war eine Fenriswölfin. Langsam richtete ich mich auf und sah mich in unserem Gefängnis um. Es musste einen Ausweg geben. Irgendeinen.

In der Dunkelheit der Höhle konnte ich kaum etwas erkennen. Wir brauchten einen Plan, doch um diesen zu entwickeln, mussten wir reden. Ich holte tief Luft und rief meine menschliche Seite zurück. Licht hüllte mich ein. Mein Schwanz verschwand. Insgesamt schrumpften meine Knochen, wurden menschlicher. Die Schnauze zog sich zurück, bis sie wieder zu einem Mund wurde. Scham prickelte wie feine Nadelstiche über meine Haut, als ich nackt inmitten von fremden Wesen saß. »Wir brauchen eine Idee, wie wir von hier entkommen können«, sagte ich mit rauer Stimme. Mein menschlicher Körper fühlte sich nach der langen Zeit als Wölfin irgendwie falsch an. Als würde meine Haut nicht so recht zu meinem Körper passen.

»Meinst du nicht, dass wir in den letzten Tagen versucht haben, irgendwie zu entkommen?«, erkundigte sich ein Junge, den ich auf dem Internat noch nie gesehen hatte. »Doch statt zu fliehen, mussten wir zuschauen, wie unseren Freunden die Seele herausgerissen wurde.«

Ich warf einen unsicheren Blick zu Jesper, der jedoch auf seine Zehenspitzen sah. »Ich sage nicht, dass es einfach wird«, erwiderte ich. »Deswegen dürfen wir aber nicht aufgeben. Wir müssen nach einer Möglichkeit suchen.« Bei meinen Worten grub ich die Finger in Henriks Fell. Ich wünschte ihn an meine Seite. Er könnte die anderen wahrscheinlich sehr viel besser motivieren. Er kannte die einzelnen Wesen und mit großer Sicherheit kannte er euch einige derjenigen, die hier in den Zellen hockten. Für sie war ich eine Fremde und keine Anführerin – was ich auch gar nicht sein wollte – zuzusehen, wie Angrboda unsere Seelen herausriss, um Loki zu befreien und damit gegebenenfalls die Ragnarök heraufzubeschwören, kam für mich dennoch nicht infrage.

Der Junge schnaubte. Er stand auf und kam zu dem Gitter, was die beiden Zellen voneinander trennte. »Und was denkst du, wie wir aus dem Gefängnis einer Jöttun entkommen, das von ätzenden Zwergen bewacht wird, die Einhörner besitzen und uns durch den gesamten verfluchten Wald jagen werden?«

»Ich weiß es nicht«, gab ich zu. »Noch nicht. Ich sage doch nur, dass wir nicht aufgeben dürfen. Wir werden einen Weg finden. Wenn wir zusammenarbeiten.«

»Und was willst du mit Henrik machen?«, warf Latha ein. »Willst du ihn hierlassen? Weil, tut mir leid, dass ich es dir sage: In seinem Zustand ist er uns keine Hilfe.«

Ein eiskalter Schock durchfuhr mich bei ihrer Aussage. Ich biss mir auf die Zunge, um ihr nicht verbal an die Kehle zu gehen. Wie kam sie auf den Gedanken, dass ich Henrik hierlassen würde?

»Wir werden Henrik nicht zurücklassen«, mischte sich Jesper ein.

»Auf gar keinen Fall«, stimmte Peter ihm zu.

»Eher sterbe ich, als ihn zu verlassen«, kam es über meine Lippen. Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, doch in dem Moment, als die Worte meinen Mund verließen, wusste ich, dass es so war. Mich würde nichts und niemand von Henrik trennen können. Nicht, ehe ich absolut sicher war, dass es ihm gut gehen würde.

Latha schnaubte. »Wo war deine Märtyrer-Seite, als du uns verdammt hast, Geiseln der Jöttun zu werden?«

Ich kniff die Lippen zusammen. Zu einem gewissen Punkt verstand ich, dass Latha es auf mich abgesehen hatte. Ohne mich wäre das Rudel wieder bei seiner Alpha gewesen – geschützt vor Angrbodas Machenschaften.

»Es reicht, Latha«, knurrte Jesper.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es reicht noch lange nicht. Wäre sie nicht gewesen, wären wir in Sicherheit. Wir wären zu Hause bei unserer Familie.«

»Sie ist Henriks Gefährtin!«, grollte Jesper.

Latha riss die Augen auf. »Was?«

Überrascht sah ich zwischen Jesper und Latha hin und her. Sie hatte es nicht gewusst? Ich bemerkte, wie Peters Blick erschrocken auf mich gerichtet war.

»Das erklärt einiges«, gab Latha von sich, wobei sie immer noch nicht besänftigt wirkte.

»Es tut mir leid, dass ihr wegen mir nicht nach Hause konntet«, sagte ich langsam. »Bevor ich wusste, dass du entführt worden warst, hatte ich meine Meinung geändert – um euch zu schützen. Ich wollte mit euch zum Rudel kommen.«

Latha sah zu mir. Sie hatte ihre schmalen Augenbrauen dicht zusammengezogen, während ihr Blick mich nahezu durchbohrte.

»Können wir uns vielleicht wieder darauf konzentrieren, wie wir von hier verschwinden können?«, fragte ein Mädchen, das sich in der anderen Zelle befand.

»Ich glaube dir. Das bedeutet aber nicht, dass ich dir verzeihe«, kamen die Worte mit eiskalter Stimme von Latha.

»Schön, dass wir das klären konnten. Also, was glaubst du, wie wir von hier verschwinden können, wenn wir es zu Dutzend nicht geschafft haben, Frischling?«, fragte der Junge wieder.

Unbewusst hatte ich die gesamte Zeit Henriks Fell weitergestreichelt. Ich vergrub meine Finger in den dichten Haaren. Mir kam keinerlei Idee, wie wir von hier verschwinden sollten. »Wie werden wir für dieses Seelengedöns geholt?«, fragte ich.

Ein paar Herzschläge lang antwortete mir einzig die Stille.

»Du meinst den Herausriss unserer Seelen?«, fragte ein anderes Mädchen mit piepsiger Stimme.

»Ja«, brachte ich durch meine verengte Kehle hervor.

Es war in der Luft zu spüren, wie unangenehm den anderen das Thema war. Doch wenn wir eine Chance haben wollten, um hier zu entkommen, mussten wir jede Möglichkeit nutzen. Die einzig für mich sichtbare, um das Gitter zu öffnen, war bisher, die Zwerge zu überrumpeln. Wenn einer die Kraft besaß, um die Schlösser zu knacken, hätte es sicherlich schon jemand getan.

»Das kannst du vergessen«, preschte ein Junge hervor. »Gegen die Zwerge kommen wir nicht an.«

»Bist du zu feige, oder was?«, schallte es von Latha. »Eher sterbe ich im Kampf, um an Walhalls Tafeln zu sitzen, als mir meine verdammte Seele herausreißen zu lassen.«

»Du willst vielleicht lieber sterben, ich kann dankend darauf verzichten!«, erwiderte der Junge gereizt.

Ich wechselte einen Blick mit Jesper. Wir hatten gegen die Zwerge gekämpft und waren gescheitert. Wir waren auch nur zu viert gewesen.

»Wie viele sind bei euch in der Zelle?«, fragte Peter.

»Fünfzehn«, antwortete Latha.

Mir wurde übel bei der Vorstellung, dass bereits so viele Jugendliche in Angrbodas Fängen waren.

»Wir sind vie– drei«, berichtigte sich Peter. »Zu achtzehnt sollten wir es schaffen, den Zwergen zu entkommen.«

»Selbst mit der Last eines quasi Toten?«, fragte jemand aus der anderen Zelle.

»Er ist nicht tot«, widersprach ich.

»Aber lebendig ist er auch nicht«, erwiderte derselbe.

Ich krallte meine Finger in das dichte Fell. Mein Blick landete auf Henriks geschlossenen Augen.

»Er wird aufwachen«, beruhigte mich Jesper.

Ich wollte ihm glauben. Wollte, dass Jesper recht behielt. Doch hätte Henrik nicht längst aufwachen müssen? Ich schob den Gedanken beiseite. Daran durfte ich nicht denken. Ich durfte den Glauben nicht verlieren. Henrik würde aufwachen. »Ich weiß«, antwortete ich mit fester Stimme und sah wieder in die Dunkelheit der anderen Zelle. »Also, wie läuft es ab?«

Ich hörte rascheln aus der Finsternis, als würden sich einige der Verborgenen hinsetzen, oder es sich gar gemütlich machen.

»Die Zwerge kommen her, schließen die Zelle auf und zerren dann zwei mit sich. Sie ziehen sie in den Raum mit den Edelsteinen und dann hören wir nur noch das Schreien.«

Ich versuchte mir meine Enttäuschung nicht ansehen zu lassen. Blieb nur, die Zwerge zu überraschen, wenn sie uns holen wollten.

»Was hat euch bisher daran gehindert, die Zwerge anzugreifen?«, fragte Jesper.

»Dir ist aufgefallen, dass ihr Sekret ätzt, als wäre es Schwefel, oder?«, erkundigte sich eine mir fremde Stimme.

»Es geht um eure Freiheit!«, erwiderte Jesper. »Was machen da ein paar Wunden, die heilen werden?«

»Würdest du etwa gegen diese Dinger kämpfen wollen?«

»Das habe ich. Deswegen liegt mein Bruder dort und wacht nicht mehr auf. Weil er sich den Zwergen gestellt hat, obwohl ihr Körpersekret ätzt. Es geht um unser Leben, um das Leben unserer Liebsten. Wollt ihr das wirklich kampflos aufgeben? Zusammen können wir das schaffen!«

Stille hüllte uns auf seine Worte ein, als wäre jeder von ihnen in seinen Gedanken versunken. Als überlegte jeder, die Für und Wieder, die in diesem Kampf aufeinandertrafen.

»Ich sage nicht, dass das ohne Opfer funktionieren wird«, fing Jesper wieder an zu reden. »Ich rede auch nicht davon, dass niemand Wunden bekommen wird, die ihn sein gesamtes Leben begleiten werden. Aber wenn es sich nicht lohnt, für die Freiheit jedes Einzelnen zu kämpfen, wofür dann?«

»Er hat recht«, sagte Latha. »Wir können nicht aufgeben, bevor wir nicht einmal richtig gekämpft haben. Die Jöttun hat mich im falschen Moment getroffen. Ich war verletzt, sauer und traurig. Ich werde jedoch nicht zulassen, dass nur ein Einziger von uns seine Seele geben wird.«

»Ich werde kämpfen«, sagte der Junge, der sich vor der Rede noch vehement gegen den Gedanken gesträubt hatte.

»Ja, ich auch. Die Zwerge werden sich umschauen, wenn ich sie mit meiner Magie in die Finger bekomme.« Das Mädchen ließ Feuer auf ihren Händen tänzeln, das die gesamte Höhle erleuchtete. Ihre Augen glühten in einem sanften Rot, als sie ihren Blick schweifen ließ. »Uns wird zwar ein sanftmütiges Wesen zugeschrieben, doch manchmal ist es Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen.«

Mein Herz schlug lauter, als sich jeder Einzelne für einen Kampf äußerte. »Also wenn sie das nächste Mal kommen, werden wir kämpfen«, sagte Jesper.

»Wie wir es immer getan haben«, erwiderte Latha und stieß ein Heulen aus, das durch die gesamte Höhle hallte.

Jesper und Peter stiegen mit ein. Ich hörte, wie jedes andere Wesen in das Heulen mit einfiel, obwohl keines von ihnen ein Fenriswolf war. Ein sehnsuchtsvolles Ziehen breitete sich in meiner Mitte aus. Ohne es kontrollieren zu können, hallte meine Stimme mit in das Heulen.

Wir waren nicht vom selben Blut, aber wir würden nicht zulassen, dass noch ein Einziger seine Seele verlor, zumindest nicht ohne Gegenwehr.

2

Die nächsten Stunden verbrachten wir damit, einen Plan auszuarbeiten. Peter und Jesper würden sich um Henrik kümmern, und ihn gemeinsam tragen. In seiner menschlichen Form wäre er zwar einfacher, wir ließen ihn dennoch in seiner Wolfsform, weil er in dieser besser geschützt war.

Ich kraulte Henriks Bauch. Meine Nerven waren bis aufs Äußerste gespannt. Die Erwartung lag greifbar in der Luft. Kaum einer redete noch, als wir fertig debattiert hatten und alles geklärt war. Wir alle warteten auf die Zwerge, damit wir endlich von hier verschwinden konnten.

Mein Blick senkte sich auf Henrik. Ich verstand nicht, wieso er nicht aufwachte. Angrboda hatte ihn angeblich geheilt … Kurz stockte ich bei dem Gedanken. Machte es überhaupt Sinn, ihn gänzlich zu heilen, wenn sie uns ohnehin allen das Leben rauben wollte?

Die Überlegung ließ mir einen eiskalten Schauer über den Rücken rieseln. Ich schob den Gedanken beiseite und hoffte, dass Angrboda nicht so eine Schlange war, wie ich es befürchtete.

Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter und drückte sie. »Du solltest etwas schlafen, Ivy«, raunte Jesper.

Ich sah zu ihm hoch. Mittlerweile hatte ich mich ziemlich daran gewöhnt, dass hier beinahe jeder – inklusive mir – nackt war. Was wahrscheinlich daran lag, dass ich die Info ausblendete, gerade war es unwichtig, was der Einzelne trug, solange wir lebendig hier herauskamen.

»Ich kann nicht schlafen«, erwiderte ich ebenso leise. Die meisten um uns herum hatten sich hingelegt, um Kraft zu tanken.

»Es bringt nichts, wenn du nicht fit bist«, hielt Jesper dagegen und setzte sich neben mich.

Seine Wärme streichelte über meine erkaltete Haut und ohne lange darüber nachzudenken, lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter, während meine Finger in Henriks Fell blieben.

»Ich kann nicht«, murmelte ich leise.

Jesper legte seinen Arm um mich, und obwohl unsere Körper nackt waren, hatte die Berührung absolut nichts Anziehendes an sich. Es war, als wären wir Geschwister. »Habe ich mich nicht von euch fernhalten können, weil ich seine Gefährtin bin?«, fragte ich flüsternd.

»Inwiefern?«

»Als ich in dich hereingerannt bin, konnte ich mich nur schwer von dir lösen … Es fühlte sich an, als hätte ich etwas gefunden, was ich lang gesucht hatte, ohne es zu wissen. Und irgendwie hatte ich es nicht mehr verlieren wollen.«

Jesper gab ein kleines, belustigtes Schnauben von sich. »Es kann an vielen Faktoren gelegen haben. Du gehörst zu meiner Familie, weil du die Gefährtin meines Bruders bist. Du gehörst aber ebenso zu meiner Familie, weil du aus unserem Rudel stammst. Dein Wolf scheint von Anfang an gewusst zu haben, dass wir dir nichts Böses tun würden – na ja, in normalen Fällen.«

»Ja, ich weiß, was du meinst«, stimmte ich mit einem Lächeln zu, das von Trauer begleitet wurde.

»Also ja, ich denke, es liegt auch daran, dass du dich nicht von uns fernhalten konntest, weil du seine Gefährtin bist.«

Ich sah zu Jesper hoch, der mich milde anlächelte und danach enger an seinen Körper zog. »Er wird aufwachen, Ivy«, beschwor er. »Wir werden gemeinsam hier herauskommen.«

An seiner Schulter nickte ich. Es gab keine andere Möglichkeit. »Gemeinsam.« Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich ausgerechnet in diesem Internat die Familie finden würde, die ich immer gebraucht hatte. Ich schloss die Augen an Jespers Schulter und genoss die Wärme und seine Nähe, die mich einhüllten, wobei meine Hand die ganze Zeit auf Henriks Körper lag.

***

Ein Zischen riss mich von Jespers Schulter hoch. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich eingenickt war.

»Sie kommen«, flüsterte eine Stimme.

Da hörte ich sie. Ich sah über die Schulter nach hinten, zu den Gittern, die die Sicht in Richtung des Raumes mit den Seelen frei ließen. Die Zwerge gaben irgendwelche gurgelnden und zwitschernden Geräusche von sich, als würden sie in ihrer eigenen Sprache miteinander kommunizieren.

Jesper und Peter richteten sich auf, genauso wie ich, wobei ich in der Hocke neben Henriks Körper blieb.

Schlurfenden Schrittes kamen die Zwerge näher. Einer von ihnen hielt eine Fackel in der Hand und durchleuchtete die Höhle. Die zwei großen Zellen, in denen wir saßen, waren nicht die einzigen, wie ich im Augenwinkel bemerkte. Überall im Stein waren Gitter angebracht, die zu anderen Zellen führten. Wobei ich in dem düsteren Licht keine anderen Verborgenen ausmachen konnte.

Ein grauenvolles Kichern ertönte von einem von ihnen, das mich an die Bösewichte aus Wrong Turn erinnerte. Ich gab mir Mühe, meine Angst hinunterzuschlucken. Diese Viecher hatten absolut nichts mit den Zwergen aus Schneewittchen gemein.

»Seid ihr wirklich so bescheuert, dass ihr für diese Riesin die Drecksarbeit macht?«, startete das Mädchen, das mit dem Feuer gespielt hatte, unseren Plan, die Zwerge aufzustacheln.

Wütend machte jeder die meisten Fehler – gerade, wenn man seinen Gegner unterschätzte.

Die Zwerge richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Zelle mit der Überzahl an Wesen. Sie gaben ein protestierendes Gackern von sich. Der eine warf seine Fackel zur Seite und schlurfte exzentrisch auf die Zelle zu.

»Offensichtlich seid ihr nicht Manns genug, um Angrboda Widerworte zu geben. Sonst würdet ihr vor ihr nicht buckeln, als besäßet ihr keinen Funken Intelligenz«, fuhr das Mädchen weiter fort.

Um sie herum bildete sich ein schwaches rötliches Leuchten. Sie rief das Feuer in ihrem Inneren. Der Plan war, die Zwerge zu nötigen, das Gatter mit den mehreren Verborgenen zuerst zu öffnen, um sie dann mit einer Salve Feuer zu treffen, damit sie eine nette Ablenkung hatten, wenn die anderen flohen, und einer unser Gatter aufmachte und wir alle gemeinsam dieser Höhle den Rücken kehrten.

Ich blieb in der Hocke und beobachtete, wie der eine Zwerg vor der Zelle stehen blieb. Dieses ätzende Sekret lief über sein Gesicht und brannte tiefe Furchen in die ledrig wirkende Haut. Es war das erste Mal, dass ich mir die Zwerge wirklich ansah. Es schien, als hätte jemand die liebenswürdigen Sachen der Märchen ins andere Extrem gewechselt, um das genaue Gegenteil zu erreichen. Sie wirkten deformiert, als hätte sie ein kleines Kind aus Schlamm zusammengeschustert und dann in der Sonne stehen lassen, damit sie trockneten. Ihre Haut war grünlich und von ihrer Statur erinnerten sie mich an die Orks aus Der Herr der Ringe.

Der Zwerg gab wild zwitschernde Geräusche von sich und gestikulierte in die Richtung des Mädchens. Offensichtlich konnten sie uns verstehen, selbst wenn wir sie nicht verstanden.

»Was willst du von mir?«, fuhr sie mit unserem Plan fort. Sie reckte ihre Schultern und schob ihr Kinn ein Stück höher. »Glaubst du wirklich, dass ich mich mit so einem mickrigen Wesen abgebe, dessen Ursprung in einem lächerlichen Märchen liegt?«

Ich hatte keine Ahnung, was das Mädchen war, doch sie machte ihren Job verdammt gut. Ein gurgelndes Knurren kam von einem der anderen Zwerge, der sich im Hintergrund gehalten hatte.

»Ach, ihr seid wohl nicht so gut auf die Grimms zu sprechen?«, erkundigte sie sich in einem trällernden Singsang.

Erneut antwortete ihr ein Knurren, das von einem Gewittergrollen stammen könnte. Ihre wunderschönen Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. »Verständlich. Ich hätte auch etwas gegen die Hexer, wenn sie mich so hässlich und dumm gemacht hätten wie euch.«

Ein Schrei ging von dem Zwerg aus, der am Gitter stand, und er zog seine Axt hervor, mit der er auf die Tür einschlug. Der Zwerg, der am nächsten zu ihm stand, hielt ihn zurück und zwitscherte wild gestikulierend auf ihn ein.

Das Mädchen drängte sich durch die Menge an Wesen, die sich zwischen ihnen positioniert hatten. »Was? Traust du dich nicht, dich gegen Angrbodas Willen zu stellen? Glaubst du wirklich, dass ihr auch nur annähernd so wichtig seid, wie sie euch sagt? Wir sind alle auf ihre liebreizenden Worte hineingefallen. Am Ende, wenn sie euch nicht mehr braucht, wird sie euch wegwerfen. Ihr seid dann nichts weiter als schwächliche kleine Maden. Opfer eines fehlgeleiteten Zaubers der Grimms.«

Aus dem hintersten Zwerg brach ein Gebrüll heraus, das die Höhle erzittern ließ. Er zog sein Schwert so schnell, dass ich der Bewegung kaum folgen konnte, und warf es zielgenau durch die Gitter auf das Mädchen. Ich riss die Augen auf, als ich zusah, wie sich die Klinge durch ihren Rumpf bohrte und mit dem Heft zwischen ihren Brüsten stecken blieb.

Sie ließ ihren Blick nach unten sinken, verzog die Lippen zu einer Grimasse. »Das tut weh«, merkte sie an. Um das Schwert fing der Körper des Mädchens an zu glühen. Zuerst war es ein Glimmen, das sich mit jeder Sekunde weiter ausbreitete, über ihre Arme, ihren Hals und ihren Unterkörper, bis es immer heller wurde und sie auf einmal zu Asche zerfiel.

»Was …?«, wimmerte ich. So was hatte ich noch nie gesehen.

Mir fehlten die Worte. Mein Blick schnellte zu den Zwergen. Der letzte von ihnen, der das Schwert geworfen hatte, begann zu kichern, als hätte er einen Streich gespielt und nicht ein Leben beendet. Mir wurde schlagartig schlecht. Ich bohrte meine Finger in Henriks Fell.

Die Hexe in unserer Nachbarzelle murmelte vor sich hin und ein lauer Wind erhob sich, der die Asche des Mädchens aus der Zelle hinauswehte. So war das nicht geplant gewesen. Die Zwerge hätten das Gitter aufreißen sollen, um dann von einer Horde Verborgener überrannt zu werden!

Mein Blick fuhr zu Jesper, der neben mir hockte, bereit, Henrik auf seine Schultern zu nehmen. Seine dichten Augenbrauen hatten sich zusammengezogen. Er wirkte genauso entschlossen wie zuvor. Dabei war unser Plan schiefgelaufen!

»Glaubt ihr wirklich, dass diese Aktion eure Macht demonstriert hat?«, fragte ein Junge. »Ein hilfloses Mädchen zu erstechen, das euch die Wahrheit auf die Nase gebunden hat? Das zeigt nur deutlicher, wie schwach ihr seid.«

Das Kichern der Zwerge verstummte. Sie drehten sich ruckartig zu dem Jungen um, der sich nun ebenfalls durch die Menge bahnte. »Ihr seid zu feige, um euch einem fairen Kampf zu stellen, nicht wahr? Weil ihr genau wisst, dass ein Kampf Mann gegen Mann euer Verderben wäre.«

Das Grollen der Zwerge schien den Berg beben zu lassen. Meine Finger krallten sich in Henriks Fell. Wir konnten nur hoffen, dass unser Plan dennoch aufging. Selbst wenn wir kein Feuer mehr hatten, das auf unserer Seite war, würden wir die Flucht schaffen. Daran mussten wir einfach glauben. Ich presste die Kiefer aufeinander und spannte die Muskeln an.

Aufgeregt zwitscherten die Zwerge, als führten sie eine Diskussion.

Der Junge schnaubte. »Seht ihr? Ihr könnt euch nicht aufraffen, dem Befehl einer Jöttun zu widersprechen, weil ihr nicht den Mumm dazu habt. Oder irre ich mich?« Er lehnte sich an das Gatter und starrte die Zwerge mit seinen beinahe glühenden grünen Augen nieder.

Die Märchengestalten steckten die Köpfe zusammen. Ich hörte ihr wildes Diskutieren, obwohl es in einer vollkommen fremden Sprache für mich war.

Einer der Zwerge stieß erneut ein Grollen aus, ehe er sich aus dem Pulk der sieben löste und einen Schlüssel aus seiner Tasche holte. Knurrend murrte er etwas.

Der Junge am Gatter grinste. »Also doch ein Kampf Mann gegen Mann?«, erkundigte er sich mit einem herablassenden Lächeln. »Meinst du wirklich, dass du mich schlagen kannst?«

Der Zwerg richtete seine Augen auf den Jungen, während er den Schlüssel ins Loch steckte und ihn herumdrehte.

Hinter den Zwergen stieg auf einmal eine Stichflamme in die Höhe, als das Mädchen sich aus der Asche erhob.

Überrumpelt fiel ich aus der Hocke nach hinten und landete auf meinem Hintern, Während ich auf die junge Frau starrte. Ihr gesamter Körper war in Feuer getaucht. An ihrem Armen leckten orangene Flammen, die aussahen wie Federn. Über ihren Kopf hinaus wand sich der lange Hals eines Phönix und sie stieß einen raubvogelartigen Schrei aus. Sie streckte die Arme nach vorn und plötzlich brach eine Flammenbrunst aus ihr heraus. Ich kniff die Augen zusammen, in der Angst, dass das Feuer an mir leckte, doch überraschenderweise tat es das nicht.

Vorsichtig hob ich die Lider, sah zu der Flammenwand, die sich vor uns erhob, aber an einem Schild abprallte. Ich ließ meinen Blick zu der anderen Zelle schwenken, in der wohl eine Hexe stand, die ihre Arme ausgestreckt hielt, und den Schild aufrechterhielt, der uns schützte.

Auf einmal gab es eine Explosion, deren Druckwelle mich gegen die Höhlenwand katapultierte. Sterne tanzten vor meinen geschlossenen Lidern. Schmerz schoss über meine gesamte Wirbelsäule. Keuchend kam ich auf dem Boden auf. Hastig rappelte ich mich auf, obwohl sich meine ganze Welt noch drehte. In meinen Ohren hallte ein drängendes Piepen. Stolpernd ging ich einen Schritt nach vorn, um zwei Schritte zurückzutaumeln. Mein Gleichgewicht war hinüber. Halt suchend stützte ich mich an der Wand ab. Ich konnte die Zwerge nicht ausmachen. Genauso wenig wie die Phönix. Die schützende leuchtende Wand war verschwunden. Mein Blick richtete sich auf die Nachbarzelle. Die anderen wirkten genauso desorientiert wie ich. Ein Griff an der Schulter ließ mich erschrocken zusammenzucken.

»Alles okay?«, fragte Jesper. Wobei ich seine Worte eher vermutete. Seine Stimme drang nur extrem dumpf zu mir, als hätte er mit mir unter Wasser gesprochen.

Ich nickte.

Die Phönix richtete sich vor unseren Zellen auf, schüttelte sich, ehe sie auf die Verliestür zustolperte und sie ganz aufstieß. Erst jetzt sah ich die Zwerge, die bewusstlos zu ihren Füßen lagen. »Kommt!«, rief sie und hielt die Tür auf.

Die anderen in der Nachbarzelle richteten sich auf und wankten nach vorn.

Der Junge, der die Zwerge in Schach gehalten hatte, bückte sich und nahm dem einen etwas aus der Hand, ehe er sich unserer Zelle zuwandte. Endlich kam wieder Leben in meine Glieder. Mit etwas sichereren Schritten ging ich zu ihm.

»Fuck«, murmelte er. Er hob seinen Blick und sah mich mit hilflosem Ausdruck an.

»Was ist los?«, fragte ich. Meine Stimme klang rau. Auf meiner Zunge bildete sich ein pappiger Belag, als hätte ich Staub geschluckt.

Er deutete auf das Türschloss. Ich folgte seiner Geste und erstarrte mitten in der Bewegung. Die Explosion und das Feuer hatten das Metall geschmolzen. Es gab keinerlei Schlüsselloch mehr, in dass sie den Schlüssel hätten stecken können. Mir wich sämtliche Kraft aus dem Körper, die Knie drohten mir wegzusacken.

»Das kriegen wir hin«, sagte die Phönix und legte ihre Finger um die Gitter.

»Nein«, fuhr Jesper dazwischen.

Überrascht richtete ich meine Aufmerksamkeit auf ihn. Er strich sich durchs zerwühlte Haar. Peter stand an seiner Seite. Die Schultern kraftlos nach unten gesackt. Ohne genau zu wissen, was sie sagen wollten, wusste ich, dass wir verloren waren.

»Die Explosion wird im Wald nicht unbemerkt geblieben sein. Bringt die anderen sicher nach Hause.«

»Wir können euch doch nicht hierlassen!«, weigerte sich die Phönix und hüllte ihre Hand in ein rotes Glühen, sodass die Gitter mit Hitze bestrahlt wurden.

»Ihr müsst!«, erwiderte Jesper.

Er ließ seinen Blick zwischen mir und Peter wechseln. Peter nickte ihm zu, als wäre er einverstanden mit Jespers Einwand. Mir wurde schlagartig schlecht. »Er hat recht«, sagte ich langsam, weil mir die Worte nur schwer über die Zunge kommen wollten. »Wenn die Zwerge jemanden holen wollten, um unsere Seelen herauszureißen, wird Angrboda nicht weit sein. Bringt euch in Sicherheit und warnt das Internat.«

Die Phönix sah hektisch zwischen uns und dem Jungen an ihrer Seite hin und her.

»Sie haben recht«, sagte der Junge schließ und wandte den Blick von uns ab. »Lass uns gehen.«

»Nein!«, rief die Phönix. »Wenn sie nicht gekommen wären, hätten wir gar nicht erst gekämpft! Ich lass euch nicht hier zurück.«

Ich wollte, dass sie weitermachte. Wollte, dass unser Plan aufging und sie das Gitter so heiß machen konnte, damit wir einen Ausweg hatten. Das würde jedoch Zeit kosten und für ihre Flucht brauchten sie jede einzelne Sekunde. Mein gesamter Körper zitterte bei der Erkenntnis. »Geht«, sagte ich noch mal mit rauer Stimme und griff nach Jespers Hand. »Warnt die anderen und lasst dieses Miststück nicht gewinnen.«

Die Phönix sah zu uns auf. In ihren Augen schimmerten Tränen. Statt über ihre Wangen zu laufen, stieg Dampf aus ihren Augenwinkeln. Kraftlos ließ sie die Hände sinken und wandte dann ebenfalls den Blick ab. »Danke«, wisperte sie, ehe sie sich gemeinsam mit dem Jungen wegdrehte und aus der Höhle rannte.

Sobald sie uns den Rücken gekehrt hatten, wich mir sämtliche Kraft aus den Knien. Hart landete ich auf dem rauen Boden unserer Zelle. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Tränen der Verzweiflung liefen über meine Wangen. Meine Schultern wurden von Schluchzern geschüttelt. Verdammt! Mein gesamtes Leben war ich nur ein Abklatsch meines Selbst gewesen. Jetzt, wo ich endlich erkannt hatte, wer ich war, zu was ich bestimmt war, rann mir die Zeit zwischen den Fingern durch und es gab keinerlei Möglichkeit, sie aufzuhalten. Dabei gab es noch so viel, was ich tun wollte. Was ich nun endlich tun konnte, weil ich nun wusste, was mit mir nicht stimmte …

Jespers Geruch hüllte mich ein, als er mich in seine Arme zog. »Es tut mir leid«, murmelte er. Er legte sein Kinn auf meinem Scheitel ab.

Peter kam ebenfalls zu uns und legte die Arme um uns. »Wir werden es ihr nicht leicht machen, verstanden? Es sieht hoffnungslos aus, aber es wird eine Möglichkeit geben, ihr es so schwer wie möglich zu machen.«

Ich sollte mich eingeengt fühlen. Sollte sie von mir stoßen, doch ich merkte, wie ihre Berührung beinahe eine heilende Wirkung auf mich hatte. Ich brauchte sie um mich. Brauchte ihre Nähe, wie ich die Luft zum Atmen benötigte. Ich nahm die Hände vom Gesicht und sah zu den beiden Jungen auf, die mit mir in dieser Zelle gefangen waren, ehe ich auf Henrik schaute, der noch immer bewusstlos an der Wand lag. »Wir werden nicht aufgeben«, wiederholte ich Peters Worte. Wobei meine Stimme zitterte, als stünde ich seit Stunden in eisiger Kälte.

In diesem Moment rührten sich die Zwerge. Grollen stieg aus ihren Kehlen hervor, als sich einer von ihnen aufrappelte. Sein Blick fiel sofort auf die leere Zelle und ein ohrenbetäubendes Kreischen ließ den Berg drohend erzittern.

Wie viel würden die Höhlen noch aushalten, bis der Stein uns begrub? Die anderen Zwerge wurden schlagartig wach und gemeinsam rannten sie aus der Höhle, wahrscheinlich, um ihre geflohenen Gefangenen aufzuspüren. Ich schickte ein Stoßgebet in den Himmel, in der Hoffnung, dass es irgendjemanden gab, der mich erhörte, und sie das Portal gefunden hatten; dass sie bereits in Sicherheit des Internats waren.

Zaghaft löste ich mich aus der Umarmung und robbte zu Henrik. Ich bettete seinen tierischen Kopf auf meinem Schoß und vergrub meine Hände in sein Fell. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe Angrboda hier auftauchte und unsere Seelen in Steine sperren würde.

3

Diese hoffnungslose Leere fraß sich kontinuierlich durch mein gesamtes Inneres. Lokis Schrei war der einzige Anhaltspunkt für die Zeit gewesen, die wir bereits in dieser Zelle hockten. Zu viert, oder besser gesagt zu dritt, würden wir keine Chance haben, die Zwerge, geschweige denn Angrboda zu besiegen, um zu fliehen.

Jesper und Peter hatten sich neben Henrik und mich gesetzt und gemeinsam schienen wir auf unser Ende zu warten. Dabei teilten wir unsere Wärme, kuschelten uns aneinander. So schlimm die Situation auch war, ich hatte keine einzige Sekunde das Gefühl, dass ich allein war. Peter und Jesper waren bei mir und es war trotz allem das schönste Gefühl, das ich jemals gespürt hatte.

Wir konnten zwar noch kämpfen, doch die Aussicht auf einen Sieg war so unglaublich gering, geradezu nicht vorhanden. Selbst wenn wir zu viert wären, sollte Angrboda zusammen mit den Zwergen zurückkommen, hätten wir keinerlei Möglichkeit zur Flucht.

Mechanisch strich ich über das samtweiche Fell von Henrik.

Mehr Zeit war alles, was ich wollte. Mehr Zeit, um ihn kennenzulernen. Um die anderen kennenzulernen und vielleicht sogar im Rudel nach meiner Mutter Juna Ausschau zu halten, um sie nur einmal zu sehen. Ich würde nicht mal unbedingt mit ihr reden wollen; nicht nachdem ich von meinem Vater gehört hatte, dass sie uns nicht hatte haben wollen.

Zittrig zog ich die Luft zwischen meine Lippen. Ich wollte nicht denken. Nicht fühlen. Ich wüsste, würde ich das tun, würde ich wie ein Häufchen Elend zusammensacken. In diesem Moment besaß ich eine abgeklärte Sicht auf die Dinge, für die ich dankbar war. Vielleicht hatte ich meine tobenden Gefühle aber auch nur in die hinterste Ecke meines Verstandes geschoben, um nicht durchzudrehen. Um mich nicht damit abfinden zu müssen, dass mein – unser – Ende unaufhaltsam auf uns zuraste.

Meine Finger ballten sich zwischen Henriks Fell zu einer Faust. »Es tut mir leid«, wisperte ich. Selbst aus meiner Stimme war jegliche Kraft gewichen.

»Dir braucht absolut gar nichts leidzutun«, erwiderte Jesper und schmiegte seinen Kopf gegen meinen Hals.

Ich badete in seiner Berührung und erwiderte den Druck mit meinem Kopf, nahm den Trost, den er mir anbot, dankend an. »Doch«, widersprach ich leise. »Wegen mir konnte Angrboda das Portal an unserem Internat öffnen. Wegen mir seid ihr nicht eher aus dem Internat geflohen, weil ihr euch mir gegenüber verpflichtet gefühlt habt, obwohl ich nicht einmal ein Teil von eurem Rudel bin. Wegen mir … wegen mir …« Mir brach die Stimme weg. Ich streichelte über Henriks weiche Lefzen. »Wegen mir ist Henrik jetzt nicht bei uns. Wenn ich nur ein bisschen …«

»Kannst du bitte den Mund halten?«, fuhr Peter mich an.

Überrascht sah ich zu ihm, beobachtete, wie er ruckartig in die Höhe sprang. »Angrboda ist eine Jöttun, eine Göttin, die so alt ist, dass selbst die Asen nicht wissen, wie viele Jahre sie genau zählt. Sie ist so mächtig, dass keiner von uns sie hätte aufhalten können, wenn sie den Plan gefasst hätte, uns zu benutzen. Wir sind nicht geblieben, weil wir uns dir verpflichtet fühlten, sondern weil wir bleiben wollten. Bekomm das in deinen Schädel, Ivy. Wir hängen da alle drin. Henrik würde sich für dich schämen, könnte er hören, was du da sagst.«

Ich hatte keine Ahnung, ob Peter recht hatte mit der Annahme, dass Henrik sich für mich schämen würde, weil ich meinen Gefährten dafür nicht gut genug kannte. Ertappt presste ich die Lippen aufeinander und starrte auf meine Finger, die auf Henriks Körper lagen und zwischen den dichten Haaren beinahe verschwanden.

»Wir sind gemeinsam hierhergereist, obwohl wir die Konsequenzen kannten«, fuhr Peter fort. »Also hör auf, im Selbstmitleid zu versinken. Das hilft uns nicht weiter.« Er stieß ein Schnauben aus.

Im Augenwinkel beobachtete ich, wie er sich seine braunen Haare aus dem Gesicht strich, obwohl keine der kurzen Strähnen ihren Platz verlassen hatte.

»Es tut mir leid«, sagte er nach einer kurzen Stille, die sich wie ein Amboss über uns gelegt hatte.

Hastig schüttelte ich den Kopf. »Dir braucht nichts leidzutun«, erwiderte ich. »Du hast recht, denke ich. Mein Selbstmitleid wird uns nicht helfen – und nicht aus dieser Situation herausbringen.« Erneut holte ich tief Luft. »Hast du einen Plan?«

Peter sackte bei meiner Frage in sich zusammen. Vor mir ließ er sich in die Hocke sinken und starrte geradewegs auf verschmolzene Gittertür. »Nein. Absolut gar keinen.«

Ein Kloß von der Größe einer Wassermelone ließ sich in meinem Rachen nieder. »Jesper?«

»Ich muss passen. Wir sitzen ziemlich in der Scheiße.«

Ich gab mir Mühe, die Verzweiflung hinunterzuschlucken. Der Aussichtslosigkeit aus dem Weg zu gehen, obwohl sie mit blinkenden Warnschildern auf sich aufmerksam machte. »Gut«, murmelte ich. »Was sollen wir tun?«

»Wir werden definitiv nicht auf unser Ende warten«, sagte Peter. Er ballte seine Hände zu Fäusten und schlug damit auf den erkalteten Steinboden unter uns, sodass Staub aufgewirbelt wurde.

»Nein, aber was sollen wir tun? Gerade mit Henrik … Mit ihm zu fliehen …« Jesper sprach nicht weiter.

Peter und ich wussten auch so, was er meinte. Wenn Henrik nicht aufwachte, war er eine Belastung für uns. »Ich kann ihn nicht hierlassen«, wisperte ich. »Als ich sagte, dass ich eher sterben würde, meinte ich das ernst.« Und das gab ich zu, obwohl mich das selbst überraschte. Niemals hätte ich mich für den Typ Frau gehalten, die ihr Leben von einem Mann abhängig machte … Die so verzweifelt an einem Menschen hing, dass sie alles stehen und liegen lassen würde, damit es ihm wieder gut ging. Mein Blick legte sich auf Henrik. In Gedanken bat ich ihn, endlich seine Augen zu öffnen, auch wenn ich wusste, dass es vergebene Liebesmüh war.

Jesper nickte. »Das kommt absolut nicht infrage, Ivy.«

Ein Prickeln krabbelte über meine Arme hinunter bis zu meinem Bauch. Verwirrt richtete ich mich bei dem Gefühl auf.

»Es wird schwierig, einen fast Toten mitzunehmen, nicht wahr?«, säuselte eine Stimme, in der ein natürliches Grollen mitklang.

Ein Schatten schob sich vor den Durchgang, der zu dem Raum mit den Seelen führte.

»Wer bist du?«, fragte Peter und richtete sich auf, um sich schützend vor uns zu stellen.

Ich runzelte die Stirn. Mein Körper reagierte auf den Mann. Ehrfurcht kroch durch meine Innereien. Ein Bedürfnis, mich ihm zu untergeben, suchte mich heim. Verwirrt klammerte ich mich an Henrik. So was hatte ich noch nie gespürt.

Ein schnaubendes Lachen kam von der Person. »Ihr wisst nicht, wer ich bin?«, fragte die Gestalt mit der grollenden Stimme. »Sagt euer Instinkt euch nicht, wer vor euch steht? Ist mein Blut in euren Adern bereits so verwässert?«

Neben mir zog Jesper die Luft scharf ein. »Fenrir?«

Die riesenhafte Gestalt trat in den Zellenraum. Ich erkannte durch den Schein einen riesengroßen Menschen. Seine nackten Füße gaben nicht den leisesten Laut von sich, während er sich uns näherte. Es war fast, als wichen jegliche Steinchen und jedes Staubkörnchen aus seinem Weg.

»Offensichtlich nicht ganz so dumm wie befürchtet«, schlussfolgerte einer der Katastrophen Asgards.

Vor den Gittern blieb er stehen. Ein interessierter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht, als er die verschmolzenen Gitter bemerkte. »Was ist hier passiert?«

»Solltet Ihr nicht an einem Felsen schmoren, dafür, dass Ihr Euch gegen Odin gestellt habt?«, wagte Jesper zu fragen.

Der Ase brach in ein bellendes Lachen aus. »Sollte man so mit jemanden reden, der einem die Freiheit versprechen kann?«

»Warum solltest du das tun?«, erkundigte ich mich. »Wenn ich mich recht erinnere, bist du Angrbodas Sohn.«

Im Dunkeln blitzten Fenrirs Augen golden auf. »Du erinnerst dich richtig, min datter. Angrboda ist meine Mutter. Doch sie hat mir etwas gestohlen; etwas, das ich sehr gern wieder in meinem Besitz wüsste, weswegen ich ihr momentan nicht ganz so treu ergeben bin, wie ich ihrer Meinung nach sein sollte.« Er legte seinen Kopf schief und musterte uns. »Was ist hier geschehen?«

»Das geht Euch nichts an«, zischte Peter.

»Mitt barn, du bist dümmer, als du sein solltest«, knurrte Fenrir zurück. »Also erzählt ihr mir, was hier geschehen ist, oder muss ich raten?« Er hob die Nase nach oben und ein schnüffelndes Geräusch kam von ihm. »Einer von euch hatte Kontakt zu Hel.«

Ich presste die Lippen aufeinander. Jesper und Peter schoben sich schützend vor mich.

»Aha …«, murmelte Fenrir. Lautlosen Schrittes ging er in die andere Zelle, um mich zu betrachten. »Was haben sie dir geboten, damit du einwilligst?«

»Worin einwillige?«, fragte ich langsam.

Im Dunkeln erkannte ich, wie der Mann seine Lippen hob, um mich anzugrinsen. »Trägerin des göttlichen Samens zu werden.«

»Nichts«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Sie haben mich ohne mein Wissen benutzt.«

Fenrir stieß ein leises Knurren aus. »Das wird Hel bereuen, sollten die Tore irgendwann wieder in ihr Heim führen.«

»Wieso interessiert dich das?«, bohrte ich nach, weil ich seine Reaktion merkwürdig fand.

»Scht!«, zischte mich Jesper an und schob sich wieder zwischen Fenrir und mich.

»Ich habe nicht das Bedürfnis, euch Leid zuzufügen. Tatsächlich … Tatsächlich könntet ihr mir sogar behilflich sein.« Sein Blick richtete sich geradewegs auf mich. »Vor allem du, min datter.«

Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Inwiefern?«

»Ivy!«, fuhr mich Peter an.

»Was denn?«, fragte ich.

»Genau, was denn?«, wiederholte Fenrir meine Frage. Er stützte sich mit seinen nackten Unterarmen an das Gitter.

»Wir vertrauen keinem der Asen«, rechtfertigte Peter sich.

»Das solltet ihr auch nicht tun. Gut, dass ich keiner von denen bin. Aber solltet ihr nicht eurem Urvater vertrauen? Eurem Schöpfer?«

»Gerade dem nicht«, mischte sich Jesper ein. »Dafür gibt es zu viele Geschichten, wie du die Gottheiten betrügst.«

Erneut stieß Fenrir ein bellendes Lachen hervor. »Du erinnerst dich hoffentlich daran, dass Gewinner die Geschichten schreiben. Also glaube nicht alles, was du hörst, wenn du es nicht mit eigenen Augen gesehen hast.«

Vorsichtig bettete ich Henriks Kopf auf den Boden und richtete mich auf. Meine Beine waren wackelig, weil sie eingeschlafen waren, und fanden nun prickelnd ins Leben zurück. »Inwiefern kann ich dir eine Hilfe sein?«, fand ich zum Thema zurück.

Wenn wir aus diesem Gefängnis herauskamen, konnten wir die nächstbeste Möglichkeit finden, um zu fliehen. Hier eingesperrt bot sich uns keinerlei Chance, vor dem Raub unserer Seele zu entkommen.

»Ivy!«, herrschte mich Jesper an.

Ich ignorierte ihn und ging näher an Fenrir heran.

Der Gott beobachtete jeden meiner Schritte, als ich mich auf ihn zubewegte, bis ich schlussendlich kurz vor dem Gitter stehen blieb. Die Arme verschränkte ich vor meinem nackten Körper. »Also?«

Innerlich zitterte ich wie Espenlaub, als ich dem Gott schutzlos gegenüberstand, was ich hoffte, durch meine Haltung zu kaschieren.

Fenrirs Mundwinkel hoben sich zu einem Grinsen. »Du könntest interessant genug sein, dass die Königin des Waldes dir Aufmerksamkeit schenkt. Immerhin hast du einen Samen der Göttlichkeit in dir getragen.«

»Interessant genug?«, hakte ich nach. Noch einmal würde ich mich nicht von einem Gott übers Ohr hauen lassen – mittlerweile war ich mir sicher, dass Angrboda nicht gänzlich zu ihrem Wort gestanden hatte, als sie anbot, Henrik zu heilen.

»Ivy, lass es!« Jesper griff nach meiner Hand und zog an mir, um mich von Fenrir zu entfernen. Ich machte mich schwer, um an Ort und Stelle stehen zu bleiben.

»Wofür sollte ich interessant genug sein?«, definierte ich meine Frage.

»Der Königin des Waldes etwas zu stehlen, was mir gestohlen wurde.«

»Es scheint dir sehr wichtig zu sein«, vermutete ich waghalsig. Hätte mir irgendjemand vor einer Woche mitgeteilt, dass ich an zwei Tagen mit zwei Göttern einen Handel ausdiskutierte, hätte ich mich lachend auf dem Boden gerollt. Doch hier stand ich. Auge in Auge mit einer göttlichen Kreatur, um einen Handel auszutragen, der uns hoffentlich das Leben rettete und so schnell wie möglich zurück nach Hause eskortierte.

»Wichtig genug, um es wiederhaben zu wollen«, stimmte Fenrir zu und neigte den Kopf.

»Was ist es?«

Er grinste mich an. »Das würdest du erfahren, wenn du einschlägst.«

Ich warf einen Blick über die Schulter zu meinen Freunden. »Unter drei Bedingungen.«