Die dreizehnte Magie. Göttliche Erbin - Laura Nick - E-Book
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Die dreizehnte Magie. Göttliche Erbin E-Book

Laura Nick

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Beschreibung

**Zwei Hexen, zwei Zeitalter, zwei Liebesbegegnungen, die nicht sein dürfen – und eine mächtige Göttermagie, die alles zu zerstören droht …**  Durch Jahrtausende getrennt, teilen die jungen Hexen Helvia und Sophia dieselbe Sehnsucht: ein Leben unabhängig von den Entscheidungen der Gottheiten. Dies scheint für die beiden Erbinnen göttlicher Mächte jedoch unmöglich. Helvias verbotene Liebe zu Lucius, dem Ziehsohn der Princeps, stürzt ihre Gefühle ins Chaos – und damit auch ihre Kräfte. Einmal entfesselt, sind diese nicht nur für ihre Heimatstadt Pompeji gefährlich, sondern wecken auch die Gier des Gottes Vulcanus.   Fast zweitausend Jahre später lernt Sophia auf Sizilien, ihr magisches Vermächtnis zu akzeptieren. Doch auch sie muss sich dem rachsüchtigen Gott stellen. Als sie sich in den charismatischen Nevio verliebt, droht sich das Schicksal zu wiederholen und ihre gesamte Welt mit Feuer und Asche zu überziehen.  Eine unwiderstehliche Fantasy Liebesgeschichte vor atemberaubender Kulisse: Die Impress-Erfolgsautorinnen Laura Nick und Lilyan C. Wood entführen ihre Leser*innen ins sagenumwobene Pompeji. //»Die dreizehnte Magie. Göttliche Erbin« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// 

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Laura Nick, Lilyan C. Wood

Die dreizehnte Magie. Göttliche Erbin.

**Zwei Hexen, zwei Zeitalter, zwei Liebesbegegnungen, die nicht sein dürfen – und eine mächtige Göttermagie, die alles zu zerstören droht …**

Durch Jahrtausende getrennt, teilen die jungen Hexen Helvia und Sophia dieselbe Sehnsucht: ein Leben unabhängig von den Entscheidungen der Gottheiten. Dies scheint für die beiden Erbinnen göttlicher Mächte jedoch unmöglich. Helvias verbotene Liebe zu Lucius, dem Ziehsohn der Princeps, stürzt ihre Gefühle ins Chaos – und damit auch ihre Kräfte. Einmal entfesselt, sind diese nicht nur für ihre Heimatstadt Pompeji gefährlich, sondern wecken auch die Gier des Gottes Vulcanus.

Fast zweitausend Jahre später lernt Sophia auf Sizilien, ihr magisches Vermächtnis zu akzeptieren. Doch auch sie muss sich dem rachsüchtigen Gott stellen. Als sie sich in den charismatischen Nevio verliebt, droht sich das Schicksal zu wiederholen und ihre gesamte Welt mit Feuer und Asche zu überziehen.

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Vita

Danksagung

© privat

Laura Nick wurde März 1995 inmitten des Ruhrpotts geboren. Jedem, der sie hören wollte – oder auch nicht –, erzählte sie Geschichten über fantasievolle Abenteuer und Liebe. Unter dem Pseudonym Aurelia L. Night hat sie seit 2016 Fantasy- und Liebesromane veröffentlicht. Sie ist aktives Mitglied im PAN e.V. und setzt sich für die deutsche Phantasik in der Buchbranche ein. Mittlerweile lebt, liest und arbeitet Laura Nick mit ihrem Ehemann in Niedersachsen, nahe des Meeres und der niederländischen Grenze.

© Stefanie Blaumeiser

Lilyan C. Wood wurde 1985 in Saarbrücken geboren und lebt nach einem Zwischenstopp in Baden-Württemberg wieder im beschaulichen Saarland. Hauptberuflich bringt sie als Grundschullehrerin Kindern u. a. das Rechnen, Lesen und Schreiben bei. Seit ihrer Kindheit denkt sie sich fantastische Geschichten und Figuren aus und traute sich 2015 endlich, ihre Fantasie auch zu Papier zu bringen. Seitdem geht sie in jeder freien Minute ihrer größten Leidenschaft, dem Schreiben, nach.

Prolog

Pompeji im Jahre 79 n. Chr.

Ihre Pfoten donnern über den Boden. Kaum berühren die großen Tatzen die trockene Erde, da heben sie wieder ab, während die Wölfin über die Ebene prescht. Heißer Wind pfeift ihr um die Ohren und fegt durch das hellgraue Fell.

Die Panik treibt sie weiter an. Larentia kann es sich nicht gestatten, innezuhalten und zu verschnaufen. Je näher sie dem Vesuv kommt, von dessen Gipfel eine säulenartige Aschewolke aufsteigt, desto mehr schnürt ihr die Angst die Kehle zu. Blitze zucken in dem dunklen Grau und immerzu spuckt der Vulkan glühende Lava aus. Unheilvoller Dunst verfinstert den Himmel. Schon seit einer Weile ist die Sonne nicht mehr zu sehen.

Die Anzeichen verheißen Unheil für Pompeji und seine Bewohner. Der Gedanke lässt Larentia noch schneller laufen, bis sie fast über die Ebene fliegt.

Sie darf nicht zu spät kommen! Ihr Zirkel braucht sie – die Tredecim braucht sie! Nie hätte sie Pompeji verlassen dürfen. Aber die Wölfin hatte keine Wahl gehabt.

Der Geruch nach Asche, Schwefel und Verbranntem steigt Larentia in die Nase und dreht ihr den Magen um. Darunter mischt sich der Gestank nach Tod, den nur die feine Nase eines Wolfes wahrnehmen kann. Ihr Herz bricht bei der Erkenntnis, dass ihr Fortgang schon seine Opfer gefordert hat.

Ein Grollen hallt durch die Luft, ehe die Erde bebt. Die schwarze Wolke stürzt in sich zusammen und entlässt Gestein, Asche, Lava und glühend heißen Schlamm auf den Vesuv. Larentia reißt die Augen auf. Die Angst gräbt sich in ihre Eingeweide.

Wie eine tödliche Welle rast das Gemisch die Hänge hinab, direkt auf Pompeji zu. Ihre Heimat kann Larentia in dem dichten Rauch nur erahnen.

Nein. Nein! Ihre Brüder und Schwestern sind in der Stadt!

Es beginnt ein Wettrennen mit der Welle, die erbarmungslos alles niederwalzt, was ihren Weg kreuzt.

Innerlich betet Larentia zu Hecate. Die Göttin darf das nicht zulassen!

Die Wölfin stößt ein Heulen aus und sammelt ihre restlichen Kräfte, um die Wesen zu retten, die sich auf ihren Schutz verlassen haben.

»Lass mich nicht zu spät sein«, fleht Larentia stumm. »Lass mich sie nicht verlieren!«

Kapitel 1

2018 n. Chr. im Juni, Flugzeug

Nervös zwirble ich das Kopfhörerkabel zwischen den Fingern. Die Musik dröhnt in meinen Ohren und übertönt die Geräusche der Maschine, deren Brummen ich trotz der lauten Bässe fühle. Wie gebannt starre ich auf den Sitz vor mir. Viel zu schnell rast das Herz in meiner Brust – und das seit Stunden. Ich hasse diese Art zu reisen. In einer bescheuerten Metallbüchse über das Land zu fliegen ist für mich der schlimmste … Nein … Mit zusammengekniffenen Augen verscheuche ich die aufkommenden Erinnerungen. Es ist der zweitschlimmste Albtraum. Getrennt von all den Elementen fühle ich mich der Verbundenheit zur Welt beraubt. Mir fehlt der Wind im Gesicht, die Erde unter meinen Füßen, das Feuer, dessen Wärme uns umhüllt, und das Wasser, das träge in den Pflanzen und der Umgebung fließt.

Meine Sitznachbarin holt mich aus meinen Gedanken, als sie sich über mich beugt, um aus dem kleinen Guckloch zu schauen. Überrascht weiche ich vor der Frau zurück, deren dunkelbraune Haare mich im Gesicht kitzeln, weil sie auf einmal so nah ist, und nehme einen Kopfhörer aus dem Ohr.

»Entschuldigung?«, frage ich, in der Hoffnung, dass sie den Wink versteht und sich wieder auf ihren Platz begibt.

»Scusa?«, erwidert sie.

Mit den Händen deute ich zwischen uns, wo keinerlei Freiraum mehr ist, weil sie mir beinahe auf dem Schoß sitzt, und hoffe, sie begreift, dass sie mir zu nah ist.

Etwas verwirrt sieht sie auf den nicht vorhandenen Abstand. »Oh! Entschuldigung!« Ein hauchfeiner italienischer Akzent durchzieht ihre melodische Stimme. »Wenn mia patria in Sicht kommt, kann ich mich kaum zurückhalten.« Ein träumerischer Ausdruck schleicht sich in ihre braunen Augen, die von Lachfalten umrahmt sind. Sie ist vermutlich im selben Alter wie meine Mutter, dennoch wirkt sie reifer.

»Kein Problem«, meine ich mit einem Lächeln und warte, dass sie sich zurückzieht – vergeblich. Stattdessen rückt sie noch näher, um eine bessere Sicht aus dem Fenster zu haben. »Sie wohnen also auf Sizilien?«, frage ich unwohl und rutsche näher an die Flugzeugwand. Es ist nicht so, dass ich Körperkontakt verteufle, seit Neustem versuche ich diesen nur weitestgehend zu beschränken. Ich horche in mich. Die mit Magie verstärkte Rune, die Mama auf meinen Rücken gezeichnet hat, wirkt noch.

»Sì.«

»Das ist schön«, sage ich und richte den Blick wieder stoisch auf den Sitz vor mir, in der Annahme, dass das Gespräch damit beendet ist.

»Destra! Nirgends kann man schöner leben als auf Sizilien. Die Leute, die natura. Mia patria ist nicht schön. Es ist fantastico!«, schwärmt sie und hält unsere Unterhaltung zu meinem Leidwesen am Leben.

»Hm«, murmle ich und zwirble unaufhörlich das Kabel zwischen meinen Fingern.

»Möchtest du hier Urlaub machen?«, fragt sie.

Ich schaue zu ihr und werde von ihren Augen fast durchbohrt. »So … ungefähr«, weiche ich der Frage aus.

Am liebsten möchte ich ihrem Blick entkommen, aber dafür müsste ich aus dem Guckloch schauen und das will ich noch weniger. Nicht nur Flugzeuge sind der Horror, sondern auch Höhe. Dieser ganze Trip ist wie ein Marsch durch die Hölle und ich hasse meine Eltern dafür, dass sie mich in diese Maschine gesteckt haben. Obwohl ich verstehen kann, warum sie so gehandelt haben.

»So ungefähr?« Die Frau sieht auf den Monitor, der über den Sitzen hängt. »Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, die können wir doch besser vergeuden, als uns anzuschweigen.« Sie zwinkert mir zuversichtlich zu und stützt sich wissbegierig auf die Armlehnen, um mich geduldig zu mustern.

Ein Seufzen will sich über meine Lippen bahnen, aber dank der höflichen Erziehung, die ich erfahren habe, unterdrücke ich den Impuls. Die letzten Stunden hat die Frau mit Schlafen verbracht, wobei sie wesentlich umgänglicher war als jetzt.

»Ich heiße Acca. Es freut mich, dich kennenzulernen …?«, fährt sie fort und hält mir erwartungsvoll eine Hand hin.

Ich ergreife sie widerwillig und erwidere den sanften Druck. »Sophia.«

»Ah. Ein guter Name. Die Tugendhafte …« Acca grinst und legt den Kopf schief. »Und was treibt ein junges Mädchen wie dich nach fantastico Sicilia?«

»Meine Großmutter lebt dort«, weiche ich aus – obwohl das eine glatte Lüge ist. Meine Großeltern sind in Deutschland und ich würde darauf wetten, dass sie mit der restlichen Familie im Schrebergarten an Grill und Pool sitzen, um die Sommerferien gebührend zu starten.

Ein sehnsüchtiges Ziehen breitet sich in meiner Brust aus. Ich wäre so gern bei ihnen. Zumindest lieber als hier. Aber das ist keine große Kunst. Diese Metallbüchse ist eine Zumutung. Ich verstehe nicht, warum die Menschen so versessen aufs Fliegen sind.

»Hmhm. Sicherlich hattest du eher vor mit Freundinnen in den Urlaub zu reisen, oder nicht? Jedenfalls ging es mir in jungen Jahren so. Ich wollte Abenteuer erleben und …« Sie winkt ab. »Na ja, meine Großmutter war nicht dafür bekannt, eine … Wie sagt ihr jungen Leute heute das? Eine Partylöwin zu sein.«

An meinen Mundwinkeln zupft ein leichtes Schmunzeln. »Es gab leider einen kleinen Unfall. Deswegen muss ich zu ihr. Ansonsten wäre ich tatsächlich mit Freundinnen auf dem Weg nach Spanien.«

»Sicilia ist schöner als Spanien, vor allem wenn man sich in den richtigen Ecken auskennt«, behauptet Acca und grinst genüsslich.

»Ich denke nicht, dass viel Zeit bleibt, um mich umzusehen«, gebe ich kleinlaut zu.

»Scusa?«, fragt meine Nachbarin überrascht.

Weiterhin drehe ich nervös das Kopfhörerkabel in meinen Fingern hin und her. Diese Frau besitzt etwas, das überraschend vertrauenserweckend ist. Ein Gefühl der Verbundenheit, das ich mir nicht erklären kann. »Ich muss lernen.«

Acca lacht laut. »Du bist auf Sicilia!«, erinnert sie mich und umfasst meine nervös hantierenden Finger, sodass sie abrupt zum Stillstand kommen. »Auf der Insel lernt man eines: das Leben lieben!«

Mir liegt eine Antwort auf der Zunge, die ich hinter fest zusammengepressten Lippen einsperre. Bis vor wenigen Monaten habe ich das Leben geliebt. Ich war eins mit mir, meinen Fähigkeiten, doch dann … Wieder starre ich auf den Sitz vor mir und weiche damit dem Blick der Fremden aus.

»Was ist los?«, hakt Acca direkt nach. »Habe ich etwas gesagt, das dich verletzt hat? Mir passiert …«

»Nein. Ich … Ich verstehe, was Sie meinen. Aber es ist besser, wenn ich meine ganze Aufmerksamkeit auf das Lernen konzentriere.«

Accas Augen durchbohrt mich nahezu, obwohl ich nicht einmal hinsehe, spüre ich ihren Blick, als presse sie ihre Hände auf meinen Körper. »Wenn du das sagst. Aber behalte die Worte im Kopf, piccola strega, die wichtigsten Lektionen erteilt dir das Leben.«

Verwirrt sehe ich sie an. Ich weiß, dass ich piccola strega schon einmal gehört habe, aber ich bin mir der Bedeutung nicht mehr sicher. Auf Sizilien sollte ich dringend mein Italienisch auffrischen.

»Ah, die Blase!«, ruft die Fremde plötzlich aus und richtet sich auf, um auf die Flugzeugtoilette zu taumeln.

Erleichtert über die Ruhe, die mir ihr Fortgang beschafft, lasse ich mich in den Sitz zurücksinken und starre dabei an die kahle weiße Decke des Flugzeuges.

Wie von selbst wandert mein Blick nun doch zum Fenster. Der Magen sackt in die Kniekehlen, als ich die Höhe sehe, in der wir uns befinden, und sich die Angst vor einem Absturz in den Gedanken festbeißt. Gleichzeitig lässt der Anblick aus tausenden Metern Entfernung mein Herz freudig schlagen. Die Landschaft Italiens ist ein Augenschmaus. Ein raues Gebiet, durchzogen von grünen Hügeln, grauen Felsen und hellblauen Flüssen, raubt mir den verfügbaren Sauerstoff. Ich kann verstehen, wieso sich Acca an das winzige Fenster pressen wollte. Obwohl die Angst präsent in meinem Hinterkopf pocht, will ich keinen Augenblick dieser Schönheit verpassen.

***

Ich ziehe den Koffer hinter mir her, während mein Blick durch die Flughafenhalle schweift. Mama hatte nur ein unscharfes Porträt von Maria Grassi, der Anführerin des europäischen Zirkels, die definitiv nicht meine Großmutter ist. Kurzfristiger Verwandtenbesuch war bei Alex und Leonie bloß die beste Ausrede, um zu rechtfertigen, dass ich unseren lang geplanten Urlaubstrip nach Spanien nicht antrete. Ich hole mein Handy aus der Tasche und schalte den Flugmodus aus. Sofort sprudeln Nachrichten auf den Bildschirm, von denen ich die meisten ignoriere und direkt zum Chat mit meinen Freundinnen swipe.

Sophia:Bin angekommen! Wie sieht’s bei euch aus?

Leonie:Wir sitzen im Stau. Wer hatte noch mal die beknackte Idee, mit dem Flixbus nach Spanien zu fahren?

Alex:Das warst du selbst. Danke dafür.

Sophia:Ich würde alles geben, um jetzt bei euch zu sein. Versucht nur bitte euch nicht zu zerfleischen, okay? Ich melde mich, sobald ich bei meiner Großmutter bin.

Alex:Viel Spaß bei deiner Mafia-Großmutter!

Ich verdrehe die Augen.

Sophia:Sie gehört nicht der Mafia an, @Alex!

Leonie:Als ob die Mafiosi zugeben, dass sie zur Mafia gehören …

Ein lautes Stöhnen schlüpft über meine Lippen. Seit ich von der angeblichen sizilianischen Großmutter erzählt habe, spinnen sie sich zusammen, dass wir einem altehrwürdigen Mafiaclan angehören und ich in die Ausbildung gehe, damit aus mir die kommende Mafiosi–Königin wird – wenn sie wüssten. Die Realität übertrifft ihre Fantasie bei Weitem.

Plötzlich rammt mich ein Gewicht und ich stolpere nach vorn. Mein Handy fällt mir aus der Hand. Im letzten Moment fange ich meinen Fall auf dem kühlen Fliesenboden ab, um nicht mit der Nase auf den Boden zu schlagen.

»Mi scusi! Sono di fretta!«, schreit ein dunkelbrauner Lockenschopf über die Schulter und rennt weiter.

»Du kleiner Mist…«

»Scusi? Posso aiutare?«

Überrascht sehe ich zu der Stimme auf, die meinen wütenden Monolog unterbrochen hat. Der junge Mann strahlt mich mit einem Tausend-Volt-Lächeln an und zeigt dabei seine weißen Zähne, die aus einer Zahnpastawerbung stammen könnten. Die roten Haare fallen ihm lässig in die Stirn und verbergen fast seine … Irritiert blinzle ich, aber noch immer schimmern seine braunen Augen in einem verwirrenden Rotton.

»Was?«, frage ich.

»Ah … Du stammst aus Germania?«

»Ähm, ja.«

Er reicht mir die Hand, die ich dankbar annehme. Als sich seine Finger um meine schließen, schießt Energie durch mich hindurch. Ein heftiger Schmerz rast über die Rune auf meinem Rücken. Sie wird mit einem Schlag geschwächt, als sich die wilde, ungestüme Macht im Inneren aufbaut und gegen den Käfig wirft, in den ich sie gesperrt habe. Ein kurzes Beben rollt durch den Flughafen. Die Leute sehen sich mit panischen Blicken um. Kinder fangen an zu weinen und ein paar der Erwachsenen schreien angsterfüllt auf, als sie sich Hilfe suchend an den nächsten Gegenstand klammern. Ich reiße diese Magie zurück, halte sie beisammen und zwinge sie weg von den Gitterstäben. Die restlichen Passagiere verharren in ihrer Position, als seien sie sich nicht sicher, was das eben war. Woher sollten sie das auch wissen?

Sobald ich wieder aufrecht stehe, nehme ich Abstand zu dem Mann und starre ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Vielen Dank für die Hilfe!«, bedanke ich mich, greife nach dem Koffer und will schon umkehren, als seine Finger mich aufhalten.

Er hält mir einen Gegenstand entgegen. »Dein telefono.«

Mit zittrigen Fingern nehme ich mein Handy und versuche dabei den Fremden nicht erneut zu berühren.

Mir bricht eiskalter Schweiß aus den Poren, während ich mich darum bemühe, dem Zerren und Wehren in meinem Inneren standzuhalten. »Danke«, wiederhole ich mit zittriger Stimme und gehe einen Schritt zurück, um so viel Abstand wie möglich zu dem Unbekannten zu bekommen

»Gern, mia bella. Arrivederci.«

Verzweifelt trete ich die Flucht an. Wobei ich einen Blick über die Schulter werfe, um den Mann noch einmal zu betrachten. Doch er ist verschwunden. Wer – nein – was war er?

Eilend durchquere ich die Flughafenhalle und suche die Menge nach Maria Grassi ab. Ich muss von hier verschwinden, ehe diese wilde, unkontrollierbare Magie den Rest der Rune vernichtet und sich alles einverleibt. Mein Blick gleitet über die wartenden Menschen und endlich entdecke ich sie. Mit einem Gehstock bewaffnet steht sie zwischen den anderen wartenden Menschen und mustert mich mit finsterem Blick. Meine Hände sind schweißnass und nur mit wackeligen Schritten schaffe ich es, die Entfernung zwischen uns zu überbrücken. Die Kraft hat sich mit jeder Sekunde, seit der Mann weg ist, beruhigt, dennoch spüre ich sie. Wie sie sich gegen die kümmerlichen Reste des Wehrs wirft und an ihrem Gefängnis rüttelt.

Die Frau sieht aus, als könnte sie mit Leichtigkeit als meine Großmutter durchgehen. Ihre Augen erinnern mich an einen Habicht, der seine Beute erspäht und sich bereit zum Angriff macht. Das volle weiße Haar hat sie zu einem strengen Dutt nach hinten gebunden.

»Maria Grassi«, sage ich und nicke zur Begrüßung.

Offenkundig wandert ihr akribischer Blick über mich. »Sophia Schwarz. Die Rune hat nachgelassen«, stellt sie fest. Die Stimme ist belegt von einem schweren italienischen Akzent.

»Ja, eben, nachdem ich …«

»Schwafle nicht, sondern folge mir. Oder willst du den gesamten Flughafen abreißen?«

Ich schlucke schwer und gehorche der alten Frau, die ein überraschend zügiges Tempo vorlegt, bei dem jeder ihrer Schritte von dem Klacken des Gehstocks begleitet wird.

Mein Handy vibriert und kündigt einen Anruf an, aber ich traue mich nicht, ihn anzunehmen. Meine Mutter meinte, dass Maria Grassi eine nette alte Frau sei, die für ihren Zirkel alles tue. Nett ist aber nicht unbedingt das erste Wort, was mir für Maria einfällt, die wie ein Marschall voranschreitet und mich zum Parkplatz des Flughafens bugsiert.

Kapitel 2

Pompeji im Jahre 79 n. Chr.

Magie rauscht durch meine Adern. So kraftvoll, dass sie mich erschüttert, bis unter meinen Fußsohlen der Boden bebt. Die Magie will ins Erdreich, sich ausbreiten und ihre Macht entfalten. Doch ich halte sie im Inneren, obwohl es mich fast zerreißt, die Gabe zu zügeln. Als zerre eine unsichtbare Kraft an jeder Faser meines Körpers. Schweißperlen stehen mir auf der Stirn.

Tief atme ich durch und versuche das wild pochende Herz zu beruhigen. Meine Muskeln spannen sich an, ich bemühe mich die ausgestreckten Arme ruhig zu halten. Ich starre auf die zur Decke gerichteten, zitternden Handflächen. Meine Brüder und Schwestern, in deren schützenden Kreis ich stehe, werden zu undeutlichen Schatten. Alles verschwimmt zu einem Meer aus Farben. Einzig die Magie existiert in diesem Augenblick für mich.

Hitze breitet sich in meiner Brust aus, strahlt auf die Arme aus und wandert bis in die Fingerspitzen. Die Lebenslinien auf meinen Handflächen leuchten rötlich golden auf. Ein brennendes Prickeln begleitet die Magie. Mit dem Willen forme ich diese Macht, bis Flammen von meinen Händen emporsteigen. Angenehm streicht die Wärme des in der Luft schwebenden Feuers über mein Gesicht.

Ich bewege die Finger, spiele mit den Flammen. Auf einen stummen Befehl hin schweben sie aufeinander zu und verschmelzen zu einer flackernden Kugel. Ihr Licht tanzt über den mit Mosaiken verzierten Boden der Tempelhalle. Die Wärme wird zu einer sengenden Hitze, die die Luft zum Knistern bringt, ohne mir zu schaden. Der Anblick der gestaltgewordenen Magie zieht mich in seinen Bann. Ich spüre die unbändige Kraft, die meinem stärksten Element innewohnt. Es ist gleichermaßen kraftvoll wie widerspenstig und schwer zu formen. Allmählich fällt die Anspannung von mir ab, seufzend atme ich aus, während ich stolz mein Werk betrachte. Das Flackern der ineinander verschlungenen Flammen betört mich und lässt jegliche Gedanken verstummen. Ich fühle mich frei von Sorgen und Selbstzweifeln und genieße das Gefühl von Stärke, das durch mich pulsiert. Und den Eindruck zu schweben. Wie schön wäre es, wirklich frei zu sein. Frei zu tun und zu lassen, wonach ich mich sehne.

Zu spät bemerke ich den Fehler – ich habe mich in den Verlockungen der Magie und meinem Sehnen verloren.

Das Gefühl von Glückseligkeit endet so schnell, dass es mich wie ein Peitschenhieb trifft. Die Magie wallt auf, lässt die Flammen erzittern und drängt mit aller Macht gegen meine Führung. Mein Körper bebt und meine Kiefermuskeln verkrampfen, während ich mich gegen die Magie stemme. Ich starre auf die Feuerkugel, die im Takt meines Herzschlages pulsiert. Mit jedem Schlag wächst sie heran, bis sie so groß ist, dass sie mich verschlingt. Flammen tanzen um mich herum, streichen über meine Haut und locken mich, die Macht weiter zu entfesseln. Auf einmal spüre ich die Hitze, als müsste ich verglühen. Das Licht des Feuers wird so grell, dass ich die Augen zusammenpresse, aus Angst zu erblinden.

»Kontrolliere es, Helvia!«, ruft Larentia. Ihre Stimme klingt weit entfernt, als dränge sie aus einer anderen Welt zu mir vor.

Angestrengt beiße ich die Zähne zusammen und sammle meine Kraft, damit ich die Magie in die Tiefen meiner Seele zurückdrängen kann. Meine Beine zittern so sehr, dass ich kaum aufrecht stehen kann. Der Untergrund tanzt unter meinen Fußsohlen.

Wir sind uns ähnlich – meine Magie und ich. Keine von uns mag es, von anderen kontrolliert zu werden. Es ist ein Machtkampf und ich drohe ihn zu verlieren.

Entsetzt ringe ich nach Atem, als mir die Führung komplett entgleitet. Die Feuerkugel explodiert so schlagartig, dass mich die Wucht von den Füßen reißt. Schmerzhaft lande ich auf dem Hintern. Vor Schreck reiße ich die Augen auf und sehe dabei zu, wie die Flammen an die magische Barriere stoßen.

»Nein …«, hauche ich. Es vergeht nur ein Herzschlag, bis ich das Gefühlschaos in mir zurückdränge und mein Wille zu seiner gewohnten Stärke zurückfindet. Energisch strecke ich die Hand aus und rufe die Magie zurück. Ich beherrsche meine Gabe und nicht umgekehrt!

Die Flammen schrumpfen in sich zusammen und die gestaltgewordene Magie dringt in meinen Körper ein, zieht sich zurück. Schwer atmend presse ich eine Hand auf die Brust, mein Herz trommelt viel zu schnell dagegen.

Mehrmals blinzle ich, bis sich meine Augen wieder an das natürliche Licht in der Tempelhalle gewöhnt haben. Ich starre auf eines der farbenprächtigen Mosaike auf dem Boden, das unsere Göttin Hecate abbildet, als jemand in mein Blickfeld tritt. Langsam sehe ich von den ledernen Sandalen höher über die cremefarbene, knöchellange Stola mit dem purpurnen Saum bis hin zur Hand, die Larentia mir entgegenstreckt.

Kurz zögere ich, bis die oberste Gestaltwandlerin unseres Zirkels auffordernd die Brauen hochzieht. Ich ergreife die Hand und lasse mir aufhelfen. Noch sind meine Beine weich, es kostet mich Mühe, einen sicheren Stand zu finden.

»Du warst abgelenkt.« Vorwurfsvoll sieht mich Larentia aus ihren braunen Augen an. »Das kenne ich von dir nicht.«

»Verzeih, Princeps«, sage ich und senke den Blick. Heiß prickeln meine Wangen vor Scham. Seit ich denken kann, lehrt mich Larentia, mit der Magie der Dreizehnten umzugehen. Es ist das erste Mal seit den Lehrstunden in meiner Kindheit, dass ich derart kämpfen musste, um die Kontrolle über die Gabe der Tredecim zu behalten.

»Du weißt doch, dass inneres Gleichgewicht und Konzentration bei solch einer Magie wie deiner unerlässlich sind«, erinnert sie mich.

Mit entschuldigend verzogenem Mund sehe ich wieder zu ihr auf und nicke.

Aufmerksam mustert mich Larentia. »Wenn unser Schutzkreis nicht gewesen wäre …« Sie seufzt.

»Ich habe meine Magie zurückgerufen!« Fest sehe ich ihr in die Augen und straffe dabei die Schultern.

»Im letzten Augenblick!« Ihr harscher Ton lässt mich zusammenzucken. »Helvia, so etwas darf nicht wieder vorkommen. Deine Brüder und Schwestern vertrauen auf dich. Ich vertraue auf dich«, belehrt sie mich.

Flüchtig sehe ich mich um und begegne den Blicken der anderen von der Göttin Auserwählten, in deren Mitte Larentia und ich stehen. In den Mienen der Hexen, Zentauren, Faune und Gestaltwandler unseres Zirkels spiegeln sich Verwirrung und Sorge wider. Natürlich fragen sich die Baciato, warum ich meine Macht nicht mehr zuverlässig unter Kontrolle habe.

Geräuschvoll atme ich aus, bevor ich mich wieder Larentia zuwende. »Ich werde euer Vertrauen nicht enttäuschen.« In meinem Inneren rumort es. Larentia darf nie erfahren, dass ich an meinen eigenen Worten zweifle.

»Das will ich hoffen«, murmelt sie. Ihr Blick wandert über mich, bevor sich ihre Lippen zu einem nachgiebigen Lächeln verziehen und sie ihre angespannte Körperhaltung aufgibt. »Vertrauen ist etwas Wertvolles, meine kleine Tredecim. Verliere nicht, was du dir in den letzten Jahren erarbeitet hast.« Sie ergreift meine Hände und drückt sie sich an die Brust.

»Werde ich nicht«, wispere ich und erwidere ihr Lächeln, obwohl meine Mundwinkel zittern.

»Für heute war das genug Magielehre.« Larentia wendet sich von mir ab und den anderen Wesen zu. »Lasst uns die Festlichkeiten zu Ehren Vulcanus’ vorbereiten, meine Brüder und Schwestern. In drei Tagen werden wir die Glückliche erwählen, die dem Gott der Vulkane, des Feuers und der Schmiedekunst geopfert wird. Auf dass der Frieden für die nächsten einhundert Jahre gesichert ist.«

»Wenn nicht Rom unsere Pläne zunichtemacht«, murrt jemand.

Sofort schnellt Larentia zu Cornelius herum. Der Faun erbleicht, seine in die Höhe gebogenen hellen Hörner blitzen in der Sonne auf, als er vor Schreck zurückweicht. Nervös trippelt er auf dem Boden, wobei seine Hufe kleine Staubwolken aufwirbeln.

»Der Kaiser kann sich von mir aus auf den Kopf stellen, doch ich lasse nicht zu, dass er unsere Traditionen stört.« Kälte hat sich in ihre Stimme gemischt.

»Gewiss, Princeps«, murmelt der Faun kleinlaut.

»Mein Zorn gilt nicht dir, Cornelius. Diese Römer sind eine wahre Plage.« Abfällig schnaubt sie. »Im Besonderen ihr Kaiser.«

Augenblicklich verändert sich die Atmosphäre in der Tempelhalle. Sie ist bedrückend und flimmert nur so von unausgesprochenen Flüchen. Kein Wunder. Seit Generationen versuchen die römischen Herrscher die Macht über uns Wesen an sich zu reißen.

Geräuschvoll stößt Larentia den Atem aus und setzt ein bemühtes Lächeln auf. »Genug von den Römern. Die Lose für die Ziehung der Auserwählten wollen vorbereitet werden.«

Ehrfürchtig betrachte ich die Gestaltwandlerin mit dem hochgesteckten dunkelbraunen Haar, wie sie den Kreis mit scheuchenden Gesten auflöst und die Baciato anweist, ihr zu folgen.

Es muss Larentia schmerzen, dass das Reich, deren Grundstein einst ihre Ziehsöhne Romulus und Remus mit der Gründung Roms gelegt haben, sie dermaßen bedrängt. Ihr Zugeständnis, dass alle zwanzig Jahre ein Mitglied ihres Zirkels an einen hohen römischen Gesandten verheiratet wird, stellt den neuen Kaiser nur mäßig zufrieden. Er strebt ebenso wie seine Vorgänger nach mehr Macht. Doch wie die anderen zuvor hat er nicht mit Larentias ungebrochenem Willen gerechnet. So geht das bereits seit mehreren Jahrhunderten.

Legenden besagen, sie sei einst die Gesandte von unserer Schutzpatronin Hecate, der Göttin der Magie, gewesen. Vom Götterhimmel ist Larentia auf die Erde hinabgestiegen, um zwischen Göttern und Wesen zu vermitteln und ihre schützende Hand über uns zu halten. Die Wölfin unternimmt nichts, um die Gerüchte, die sich um sie ranken, zu entkräften oder zu bestätigen. Stattdessen schmettert sie jegliche Fragen zu ihrer Abstammung ab – und das äußerst stur. Es scheint ihr Freude zu bereiten, uns im Unklaren zu lassen.

Mit dem Blick folge ich meinen Brüdern und Schwestern, die hinter Larentia aus der mit hohen Säulen gesäumten Halle gehen. Sie verschwinden in dem mit Wandmalereien der Götter verzierten Gang, der zum innenliegenden Atrium führt und alle Räume des Tempels miteinander verbindet. Hitze schießt durch mein Inneres, als ich den schwarzhaarigen Mann entdecke, der mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand neben dem rundbogenförmigen Durchgang lehnt. Die blaue Tunika reicht ihm bis zu den Knien und endet an den Armen am Ellbogen, sodass der Stoff seine muskulösen Arme hervorhebt. Für die vorbeigehenden Wesen erübrigt er bloß ein knappes Nicken, dafür huscht sein Blick immer wieder zu mir und beschleunigt meinen Herzschlag.

»Wie lange stehst du schon da?«, frage ich und gehe auf ihn zu.

Seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Lächeln. »Lange genug, um mitanzusehen, wie du auf deinen Hintern gefallen bist.«

Das Blut schießt mir in die Wangen und bringt sie zum Prickeln. Zornig funkle ich den Gestaltwandler an, als ich vor ihm stehen bleibe. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die bernsteinbraunen Augen zu blicken. »Du bist ein Esel, Lucius!«

Er lacht. »Ich bin kein Esel, sondern ein Wolf.« Das tiefe Raunen in seiner Stimme verschafft mir eine Gänsehaut.

Mein Herz macht einen Satz, als er auf mich zutritt und seine Finger durch das lange Haar, das mir in braunen Wellen über die Schultern fällt, gleiten lässt.

Betont langsam neigt er sich ein Stück zu mir, bis sein Atem auf meinem Gesicht kitzelt. »Niemand erwartet von dir, perfekt zu sein, Helvia. Jeder macht Fehler«, wispert er und schenkt mir ein Lächeln, aus dem jeglicher Spott verschwunden ist.

Ich lege die Hand auf seine Brust, unschlüssig, ob ich ihn wegdrücken oder näher zu mir heranziehen soll. »Der Tredecim dürfen aber keine Fehler unterlaufen.« Meine Stimme klingt nicht so fest, wie ich es mir wünsche. Ich weiß nicht, ob es der Frust ist, versagt zu haben, oder Lucius’ Nähe, die mich aus dem Gleichgewicht bringt. Vielleicht eine Mischung aus beidem.

»Du bist zu streng zu dir«, sagt er und neigt den Kopf weiter, bis es ihm ein Leichtes wäre, mich zu küssen.

Sein herber Duft weht mir entgegen und sorgt für ein sanftes Flattern in meinem Magen.

»Nicht«, wispere ich und übe sanften Druck auf seine Brust aus, bis er von mir zurückweicht. »Wenn deine Mutter uns erwischt …«

In seinem Blick erkenne ich dieselbe Sehnsucht, die in mir schwelt.

»Larentia lässt es sich nicht nehmen, haarklein zu erklären, wie die Lose geschrieben werden. So schnell kommt sie nicht zurück.« Er verzieht den Mund zu einem verführerischen Grinsen.

In meinem Inneren pulsiert es, meine Lippen prickeln, doch ich kann diesem Sehnen nicht nachgeben. Ich darf es nicht. Tief atme ich ein, um mich zu besinnen. »Aber sie wird sich fragen, wo ich bleibe.«

Er zuckt leichthin mit den Schultern. »Sie weiß, dass ich hier bin. Außerdem hast du dich nur mit einem Freund unterhalten.«

Seine Hartnäckigkeit bringt mich zum Schmunzeln. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und hauche ihm einen Kuss auf die Wange. »Es geht nicht, Lucius. Die Götter sehen alles«, flüstere ich.

Bevor ich reagieren kann, schlingt er die Arme um meine Taille und drückt mich an sich. Sein Atem kitzelt an meinem Ohr, als er die Wange an meine presst.

»Diese verdammten Götter.«

Seine leise gesprochenen Worte ziehen mir das Herz zusammen. Weil ich mich ebenso wie er zwischen der Verpflichtung den Göttern gegenüber und meinen eigenen Wünschen hin- und hergerissen fühle. Außerdem weiß ich, was es bedeutet, sich gegen die Fügung der Götter aufzulehnen. In Lucius’ Armen verkrampfe ich mich.

»Verzeih mir, Helvia.« Sanft streicht er mit den Händen meinen Körper hinab, bis er mich freigibt. Die Sehnsucht ist aus seinem Blick verschwunden, dafür herrscht dort jetzt eine Traurigkeit, die mich schmerzt.

Es ist nicht nur die verbotene Anziehung, die uns beide quält. Es ist so viel mehr … Und es bringt mich aus dem Gleichgewicht. Meine Gefühle für den Gestaltwandler lassen mich mit meinem Schicksal hadern. Nie zuvor habe ich mich mehr danach gesehnt, gegen die Bestimmung und die Rolle, in die ich gezwängt wurde, aufzubegehren.

»Helvia?«, ertönt Larentias Stimme aus dem Gang.

Augenblicklich weichen Lucius und ich mehrere Schritte auseinander.

»Ich muss gehen«, sage ich gehetzt, als hätte Larentia uns dabei erwischt, wie wir uns nahekommen. Zu nahe für zwei Wesen, die nicht füreinander bestimmt sind.

»Eine Princeps lässt man nicht warten, nicht wahr?« Er grinst, doch das Lächeln erreicht nicht seine Augen.

»Vor allem nicht, wenn das Opferfest kurz bevorsteht«, entgegne ich und versuche ebenfalls zu lächeln.

Unbeirrt liegt Lucius’ Blick auf mir und hält das verräterische Flattern in meinem Magen am Leben. Er streckt einen Arm nach mir aus, als wollte er mich nicht gehen lassen, doch er senkt ihn mit entschuldigender Miene wieder.

Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll, dass er mich nicht zurückhält. Bevor ich eine Dummheit begehe, wende ich mich von ihm ab und husche in den Gang hinaus, um zu Larentia und den anderen zu laufen. Mein Herz schlägt viel zu schnell und meine Wangen prickeln verdächtig. Niemand darf erfahren, welche verbotenen Gefühle ich für den Ziehsohn der Princeps hege. Selbst wenn den Göttern nichts verborgen bleibt, so mögen sie mir die Schwäche verzeihen und gnädiger mit meinem Schicksal sein als mit dem meiner Mutter vor so vielen Jahren.

Kapitel 3

2018 n. Chr., Aci Castello

Hauchfeine Staubpartikel tanzen in den wenigen Streifen Sonnenlicht, die durch die hölzernen Fensterläden hindurchscheinen. Begleitet von einem Seufzen streiche ich über mein Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben – mit nur geringem Erfolg.

»Sophia! In piedi!«

Ich richte mich auf und bleibe einen Moment auf der Bettkante sitzen. Die Sonne ist kaum aufgegangen und Maria treibt mich schon an wie ein Kommandant von der Armee. Unten höre ich verschiedene Töpfe gegeneinanderprallen. Es würde zu ihrer bisherigen Erscheinung passen, absichtlich Lärm zu veranstalten, damit ich nicht weiterschlafe.

Erneut reibe ich mir über die Augen. Als wir gestern Abend bei ihrer Hütte angekommen sind, hat sie direkt die Rune erneuert, damit die Bewohner des kleinen Stadtteils vor der willkürlichen Macht in mir sicher sind. Danach habe ich meine Mutter zurückgerufen, um ihr zu sagen, dass ich gut angekommen bin. Wobei ich weder ihr noch Maria von der Begegnung mit dem Mann am Flughafen erzählt habe. Obwohl er es mit einer einzigen Berührung geschafft hat, die Magie zu wecken, die alle möglichen Leute fest in mir verschlossen haben wollen – mich eingeschlossen.

Das Auftragen der Rune ist ein Kraftakt, nicht nur für die Person, die sie aufbringt, sondern auch für mich. Ein Teil meiner Seele wird dabei vom Rest des Körpers getrennt. Was genauso schmerzhaft ist, wie es sich anhört. Diese neue Magie in mir macht das Verfahren keinen Deut leichter. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wirft sie sich gegen den Käfig, nutzt alle unaufmerksamen Momente, um ihre Krallen auszufahren. Als würde sie mir immer wieder in Erinnerung rufen wollen, dass sie sich nicht von mir kontrollieren lässt – niemals.

Ich horche in mein Innerstes. Ausnahmsweise regt sich nichts. Die Rune ist intakt und ich bilde mir ein, dass Maria Grassis Zauber mehr Einfluss hat als der meiner Mutter. Wenn ich mich konzentriere, kann ich sogar das Kribbeln der magischen Tinte auf der Haut fühlen.

Automatisch greife ich nach meinem Handy, wie jeden Morgen nach dem Aufstehen, und wische über das Display, auf dem mir bereits die Nachrichten aus unserem Gruppenchat angezeigt werden.

Alex:Sophia, du glaubst es nicht! Aber wir sind ebenfalls endlich angekommen.

Leonie:Sei froh, dass du nicht hier bist. *Würg-Smiley* Diese Unterkunft ist der Horror!

Alex:Ich glaube, ich habe eine Kakerlake im Bad entdeckt …

Leonie:ALEX! Darüber scherzt man nicht!

Unwillkürlich muss ich grinsen. Meine Freundinnen fehlen mir schon jetzt. Über das niedliche Dachzimmer, das Maria mir zur Verfügung gestellt hat, kann ich mich nicht beklagen. Trotzdem würde ich es sofort gegen eine kakerlakenverseuchte Unterkunft tauschen, um bei ihnen zu sein. Zugegeben, nach dem ersten Eindruck von Maria hatte ich Angst, dass mich die Anführerin des Zirkels in irgendeine Kaschemme schleppt. Zum Glück hat sich diese Befürchtung schnell wieder relativiert, als ich die bezaubernde, kleine Hütte sah, die etwas abseits von den anderen Häusern steht. Es ist urig. Vielleicht kann es sogar gemütlich werden.

Sophia:Oje! So war das vom Reisezentrum nicht versprochen. Konntet ihr noch etwas machen? Ich habe mit der Unterkunft Glück gehabt. Aber meine Großmutter ist gruselig!

»Sophia!«, schallt es auf einmal durchs komplette Haus, sodass ich erschrocken zusammenzucke.

»Komme«, rufe ich runter und beeile mich, mir hastig etwas im Gehen überzuziehen.

Außer Atem erreiche ich die Küche, in der Maria am Hantieren ist. Der Raum scheint auf den ersten Blick der größte in der Hütte zu sein – wobei ich den Eindruck nicht loswerde, dass sie die Zimmer mithilfe von Magie verzogen hat. Von außen wirkt das Gebäude längst nicht so groß wie im Inneren. In der Küche steht ein riesengroßer, runder Esstisch aus dunklem Holz, an dem locker acht Personen Platz hätten, wenn nicht überall Bücher, Tiegel und Mörser stehen würden. An der ebenfalls mit dunklem Holz vertäfelten Wand zwischen der Tür und Küchenzeile hängen Wildblumen und Kräuter zum Trocken, die ihren herben Duft im Raum verteilen. Über der Küchentheke folgen dann Töpfe und Pfannen.

»Ab morgen möchte ich, dass du vor alba aufstehst«, murmelt sie geistesabwesend, während sie mir mit dem Rücken zugewandt an der Küchenzeile beschäftigt ist.

»Alba?«, frage ich vorsichtig, wobei ich eine leise Vermutung habe, was die Zirkelanführerin von mir möchte.

Sie sieht über ihre Schulter zu mir. »Ach, naturalmente … Die Rune verhindert deine Sprachbegabung. Vor Sonnenaufgang. Wir haben eine Menge Arbeit und nur wenig Zeit.«

Unwohl beiße ich mir auf die Lippe. Das Thema reißt eine Wunde auf, die ich während des Fluges sorgsam verschlossen habe. »Meine Eltern haben kein Rückflugticket gekauft.«

Die Tatsache fühlt sich immer noch wie ein Schlag ins Gesicht an. Es war nur die Rede davon gewesen, dass ich die ersten Wochen der Sommerferien hier verbringe, bis ich am Flughafen bemerkt habe, dass meine Eltern kein zweites Ticket besorgt haben …

Endlich dreht sich die Anführerin des europäischen Zirkels zu mir. Ich bilde mir ein, dass ihre dunklen Augen etwas größer als sonst sind. »Sophia, deine Eltern wollen dich wieder bei sich wissen«, versichert sie mir und kommt auf mich zu. Dabei benutzt sie ihren Gehstock nicht – und humpelt kein bisschen. Offensichtlich benötigt sie den Stab nicht. »Aber wir brauchen nicht noch mehr Druck durch ein Datum, wenn wir schon einen straffen Zeitplan haben.«

Ein Kloß setzt sich in meinem Hals fest. Ich bezweifle, dass ich innerhalb der sechswöchigen Sommerferien die Kontrolle über diese Macht erlerne. Nicht bei den Kräften, die sie mir bisher demonstriert hat. Dagegen bin ich eine Ameise und sie ein Elefant. Wie soll ich sie da kontrollieren lernen? Widerstrebend nicke ich. »Natürlich, Frau Grassi.«

Sie runzelt die Stirn und betrachtet mich dabei wie ein Habicht. Ich habe mir das kurze Aufflackern von Mitleid gerade wohl nur eingebildet.

»Nenn mich Maria.«

Überrascht mustere ich sie. »Oh, in Ordnung.«

Sie nickt und dreht sich wieder zur Küchentheke. »Ich habe dir Frühstück gemacht, damit wir loskönnen, sobald du aufgegessen hast«, sagt sie auf einmal in einwandfreiem Deutsch. Neben ihrem Kopf schwebt ein Brettchen, das direkt auf die minimal freie Stelle des Tisches zufliegt, um sich dort niederzulassen.

Ich runzle die Stirn. »Wo ist Ihr Akzent?«

»Das meine ich mit der Sprachbegabung. Umso mehr Zeit wir in der Nähe von jemandem verbringen, dessen Sprache nicht die unsere ist, passen wir uns ihm an. Das ist ein Vorteil vom Kuss der Göttin – nur einer von vielen«, erklärt sie, ohne mir nur einen Blick zu widmen. »Die Rune auf deinem Körper verhindert die Fähigkeit der Sprachen zurzeit.«

»Auf den Vorteil könnte ich verzichten«, grummle ich und fühle mich dabei wie ein trotziges Kleinkind.

»Du weißt deine Gabe nicht einzusetzen. Viele andere Menschen und Wesen würden töten, um die Macht der Tredecim in die Finger zu bekommen.«

»Meinetwegen können sie die gern haben«, murmle ich und setze mich widerwillig in Bewegung, um mich dem Frühstück am Tisch zu widmen.

Seit sich die Magie der Dreizehnten in mir niedergelassen hat, ist mein Leben eine Katastrophe. Ich hätte das davor nur zu gern zurück.

Plötzlich befreit sich ein Topf aus der Verankerung und fliegt in einem rasenden Tempo auf mich zu. In allerletzter Sekunde kann ich mich ducken. Der Windzug streift meine blonden Haare nach hinten, als das Ding an mir vorbeizischt. Mit aufgerissenen Augen sehe ich auf die Stelle, an die der Topf mit einem lauten Scheppern geknallt ist. »Was zum …?«

»Die Göttin wählte dich für diese Kraft aus! Sei dankbar für die Möglichkeit, ihr in diesem Maß dienen zu dürfen.«

Sprachlos schaue ich wieder zur Leiterin des Zirkels, die sich mit einem Gemüsemesser in der Hand vor mir aufbaut. Hat sie wirklich einen Topf nach mir geworfen?

»Über zwei Jahrtausende blieb die Kraft verschollen. Wir alle glaubten, dass sie nach diesem …« Ihre Stimme verebbt. »Wir alle haben geglaubt, die Magie sei gestorben und damit so viel unserer Kultur und Kraft. Doch das ist sie nicht. Ich weiß nicht, warum sie ausgerechnet jetzt und in dir zurückgekehrt ist. Wenn die Magie nicht von den Baciato weitergegeben wird, erwacht sie am Tag der Geburt in einem Geküssten.« Sie reibt sich über die Stirn. »Aber die Macht der Tredecim ist anders. Nach allem, was ich gehört habe, erwählte die Göttin immer Neugeborene. Keiner weiß, wieso sie erst jetzt entschieden hat. Fazit ist, dass du die mächtigste Quelle ihrer Macht bist, und jetzt musst du lernen damit umzugehen. Sei dankbar! Und verhalte dich dementsprechend.«

Ihre Worte sind wie ein Schlag in die Magengrube. Ich habe mein vorheriges, normales Leben geliebt. Diese neue Kraft hat die Beziehung zu meinen Eltern verändert und sogar das Verhältnis zwischen mir und meinen Freundinnen. Zwar besaß ich vorher schon Geheimnisse vor ihnen, aber nicht in diesem Ausmaß – und vor allem habe ich nicht die Macht besessen, mit einem einzigen Wimpernschlag zu töten. Trotzdem würde sich jedes Zirkelmitglied die Finger nach der Magie lecken, was es mir kein bisschen leichter macht.

Ich schaue auf meine zu Fäusten geballten Hände. Zwanghaft löse ich sie, betrachte aber weiter die Handflächen. Die Erinnerung an das Gefühl … an diesen Rausch schwappt über mich hinweg und für einen Moment fühle ich mich leicht, als ich an die flüsternden Verlockungen denke, ehe die Schwere zurückkehrt und mich zurück auf den Boden der Tatsachen holt. »Sie ist unkontrollierbar«, bringe ich erstickt hervor. »Ich weiß nicht, was die Göttin sich dabei gedacht hat. Aber ich bin mit Sicherheit kein geeignetes Gefäß für diese Macht und nicht bereit für die Verantwortung, die damit einhergeht.«

Die Anführerin seufzt und geht zurück zur Küchenzeile. »Du musst lernen, wie du sie handhabst. Es ist etwas anderes, den Kuss der Göttin zu besitzen, als die Gaben von Mutter Natur zu nutzen.«

»Es ist etwas gänzlich anderes und wenn ich nicht gerade diese verdammte Rune auf dem Rücken habe, die bei jedem Auftragen mehr schmerzt, ist diese Macht unkontrollierbar«, verharre ich stur auf meinem Standpunkt.

Ich habe zugestimmt, diese Reise zu unternehmen, in der Hoffnung, dass Maria Grassi mir hilft diese Magie zu unterdrücken. Dass sie mir mein normales Leben zurückgibt – soweit es als Hexe nun mal funktioniert. Niemals habe ich damit gerechnet, dass die Zirkelanführerin die Idee hat, dass ich diese Kraft nutze! Es soll wieder so sein wie davor. Und nichts anderes möchte ich erreichen.

Wind lässt die zusammengebundenen Kräuter und Blumen an den Wänden rascheln und fährt durch meine Haare. Der Boden unter den Füßen regt sich, als befände sich ein Riese tief im Erdreich, der sich nach einem langen Schlummer aufrichtet.

»Du hast Angst«, belehrt Maria mich. »Das ist normal. Du bist mit dem Wissen aufgewachsen, dass alles, was du tust, im Einklang mit der Natur geschehen muss. Wir Hexen sind Geschöpfe der Erde, des Wassers, des Feuers und der Luft und als diese sind wir an die Gesetze der Welt gebunden. Aber du bist nicht mehr nur eine Hexe. Du bist die Tredecim und besitzt die Magie der Dreizehnten – eine göttliche Macht und diese will genutzt werden. Deswegen werde ich dir helfen, die Magie zu kontrollieren. Ich kenne das Locken der Kräfte. Wir, die mit den Gaben der Baciato geboren wurden, haben gelernt den Verführungen zu trotzen. Wenn wir restlichen zwölf das schaffen, dann du auch. Also lerne.«

Ihre Stimme hallt wie ein Echo von den Wänden wider. Marias pure Magie in diesem Raum lässt die Luft knistern wie bei einem drohenden Gewitter. Meine feinen Härchen stellen sich auf. Überfordert weiche ich einen Schritt von ihr zurück. Mir ist bewusst, dass Maria eine Machtdemonstration vollführt – und verdammt! Sie ist eindrucksvoll.

»Es tut mir leid«, sage ich kleinlaut und senke den Blick.

Genauso schnell, wie der Wind und das Beben aufgetaucht sind, verschwinden sie wieder.

»Iss. Danach brechen wir auf«, sagt sie und lässt mich in der Küche zurück.

Kaum ist sie aus der Tür, sacke ich in mich zusammen. Ich presse meine Handballen auf die Augen und versuche die wirbelnden Gefühle zu verdrängen. Maria Grassi hat recht. Dass ich Angst habe, ist kein Geheimnis. Diese Kräfte widersprechen allem, was ich jemals gelernt habe. Sie verlangen nichts im Gegenzug. Da ist schier unendlich viel Magie und alles, was sie will, ist, dass ich sie nutze. Dadurch wirkt alles so … leicht und verführerisch. Solche Macht sollte ihren Preis haben – immer – und niemand sollte davon ausgenommen sein. Vor allem dann nicht, wenn sie göttlichen Ursprungs ist. Ich weiß, dass ich lernen muss, doch dieser eine Augenblick … Ein Zittern durchläuft meinen gesamten Körper, als die Erinnerungen an den Abend auf mich einprasseln.

»Verdammt!«, fluche ich und haue mit der flachen Hand auf den massiven Holztisch. Doch die Gedanken bleiben. Sie haften an meinem Geist wie Teer und beschweren mich. Ich kneife die Augen zusammen und hole bewusst Luft.

Ein- und wieder ausatmen …

Bei jedem Atemzug versuche ich den Duft der Kräuter, die um meine Nase tanzen, einzuziehen. Beim zehnten öffne ich die Augen und setze mich an den Tisch, um zu frühstücken. Bevor Maria mich in der Magie unterweist, die mich nicht nur zu einer machtvollen Hexe, sondern auch zu einer Auserwählten der Göttin Hecate macht.

***

Für ihr Alter legt Maria ein zügiges Tempo an den Tag, als sie, wieder mit ihrem Gehstock bewaffnet, durch die raue, aber grüne Landschaft zieht, die an ihr Häuschen anschließt.

»Setz dich.«

Überrascht sehe ich über die Schulter. Die bunten Häuser der Siedlung sind noch in Sichtweite. Obwohl es noch früh am Morgen ist, scheint die Sonne bereits so stark auf die roten Dächer, dass die Luft um die verschiedenen Gebäude flirrt. Die Kleinstadt Aci Castello sieht wie ein durcheinandergewürfelter Haufen aus. Kein Haus passt zu dem anderen. Jedes davon ist einzigartig. Dicht an dicht drängen sie sich aneinander, sodass sich eine hügelige Landschaft aus roten Ziegeln unter der bereits hell leuchtenden Sonne erstreckt.

»Hier?«, frage ich skeptisch.

Maria Grassi hebt ihre Augenbrauen. »Hier.« Sie nutzt ihren Gehstock und zieht einen Kreis um uns, der durch das hohe Gras beinahe sofort wieder verschwindet. »Ich werde einen Wall um uns ziehen, damit kein Ton, keine Magie an Außenstehende dringt. Setz dich und meditiere.«

»Okay.« Ich lasse mich auf den Boden sinken und kreuze die Beine untereinander. Vereinzelte Halme kitzeln auf meiner nackten Haut.

»Zieh die Schuhe aus.«

Ich folge ihrem Befehl. Sofort spüre ich die warme Erde an den Zehen. Ein kühler Windzug streift über die weitläufige, mit dürftigem Gras bewachsene Fläche, weht Staub um meine Nase und bringt die verschiedensten Düfte wilder Blumen.

»Schließe die Augen, werde dir deiner selbst bewusst.«

Kontrolliert stoße ich die angehaltene Luft aus, die ich wenige Herzschläge im Inneren gehalten habe, und versuche mit ihr all die Gedanken loszuwerden. Ich strecke den Rücken, wende das Gesicht der Sonne zu, um ihre Wärme, ihr Feuer zu spüren. Der sanfte Wind kühlt angenehm meine erhitzten Wangen und trägt dabei das Geräusch der tanzenden Zweige mit sich, während meine Zehen sich in die Erde graben. Ich konzentriere mich auf die Atmung, nehme jeden Zug bewusst war, schmecke das Salz, das durchs Meer in die Luft gebracht wird

Mich hier mit den Elementen zu verbinden, ist anders als zu Hause. In unserem Garten war es bei Weitem nicht so vielfältig. Alles hier ist intensiver; die Gerüche, die Wärme. Jedes Element erscheint mir kraftvoller, präsenter.

»So machst du das gut. Werde dich dir in diesem Universum bewusst. Verankere dich mit der Erde, fliege mit dem Wind, brenne mit dem Feuer, schmecke das Wasser.«

Ich tue, was Maria Grassi sagt. Diese Gefühle kenne ich. Sie machen mir keine Angst, sie geben mir Sicherheit. Mit ihnen bin ich aufgewachsen. Zu ihnen gehöre ich. Im Angesicht der Elemente fühle ich mich klein, aber nicht unbedeutend.

Hexen sind dafür bekannt, dass sie eine tiefe Verbindung mit Mutter Natur hegen. Unsere Magie kommt von den Elementen und an unserem Lebensende kehren unsere Magie und wir wieder zu ihnen zurück. Wir nutzen die Macht, die die Elemente uns schenken, und geben im Gegenzug etwas zurück. Ein Stück der Seele, des Lebens, das in uns schlummert. Es ist ein ewiger Kreislauf, auf den ich stolz bin, von dem ich gern ein Teil bin.

Die eiskalte Hand der Zirkelanführerin legt sich auf meinen nackten Rücken. Ihre Magie greift nach der Rune. Abrupt spanne ich mich an, um die Sicherheit nicht zu verlieren, die die magische Tinte mir gibt. Doch sofort spüre ich den Widerstand und lasse los, versuche der Anführerin des Zirkels zu vertrauen. Maria will mir helfen, damit ich mein altes Leben wiederbekomme, auch wenn es nie mehr so sein wird wie noch vor wenigen Monaten.

Ich atme bewusst. Ein und aus. Versuche die Panik zu verdrängen, die penetrant gegen meinen Hinterkopf klopft und scheinbar nur darauf wartet, mich gänzlich einzunehmen.

»Du darfst keine Angst haben. Dir kann nichts passieren. Die Magie will dir nichts Böses. Sie ist dein Werkzeug. Deine Gabe der Göttin, um ihr zu dienen.«

Ich schlucke schwer und nicke. »Das weiß ich«, murmle ich, obwohl sich dieser Gedanke nicht vollständig in mir gefestigt hat. »Ich bin sicher. Doch was ist mit denen, die um uns herum sind? Was passiert mit ihnen, wenn ich es nicht beherrsche?«

»Du wirst es kontrollieren. Du wirst dich nicht übermannen lassen. Verstanden?«

Nur widerwillig bringe ich ein Nicken zustande. Dann ballt sie ihre auf meinem Rücken liegende Hand zur Faust und zieht die Rune von der Haut. Ich spüre, wie die Tinte aus den Poren gerissen wird. Der Schmerz drückt mir die Luft aus der Lunge. Es fühlt sich an, als würden sich kleine Widerhaken an mich klammern. Aber Marias Griff ist unausweichlich. Die Tinte löst sich und die zuvor schlummernde Magie regt sich.

»Spürst du sie?«

»Ja«, bringe ich zwischen trockenen Lippen hervor.

Ich will das nicht. Angst streckt ihre Krallen nach mir aus. Kratzt über mein Bewusstsein und versucht mich in die Dunkelheit zu locken.

»Beschreibe sie mir.«

Marias Befehl lenkt mich ab. Die quälende Furcht zieht sich zurück; immer noch bereit jederzeit zuzuschlagen. »Die Magie fühlt sich geschmeidig und gefährlich zugleich an. Ein Tiger mit seidigem Fell, der durch mein Innerstes streift wie durch einen Dschungel«, festige ich das Bild.

»Weiter.«

Verwirrt runzle ich die Stirn.

»Was fühlst du noch?«, bohrt sie nach.

Ein bitterer Geschmack legt sich auf meine Zunge, der mit jeder Sekunde, die die Magie nicht in ihrem Käfig schlummert, deutlicher wird.

»Angst«, bringe ich zittrig hervor. Ich habe unglaubliche Panik davor, dass es erneut passiert. Dass ich wieder die Kontrolle verliere und dabei nicht mein eigenes, aber das Leben meiner Liebsten bedrohe.

»Wovor?«

»Dass ich die Kontrolle verliere und meine Mitmenschen gefährde, ohne dieser Macht etwas entgegensetzen zu können«, spreche ich die Gedanken aus, wodurch sie noch realer werden. Mit jedem Wort, das mir über die Lippen kommt, wächst die Furcht. Mein Herzschlag beschleunigt sich, genauso wie meine Atmung.

»Beruhige dich, Sophia.« Marias Stimme ist sanft.

Ich wünsche mir, dass ich ihre Worte verinnerliche, doch die Furcht übernimmt das Ruder. Sie vereinnahmt mich. Hektisch klopft mein Puls gegen die Venen. »Ich kann es nicht«, stoße ich zittrig hervor und kneife die Augen zusammen. Meine Muskulatur verspannt sich.

Der Tiger scheint die Angst zu spüren. Die Magie streckt ihre Krallen aus und Kraft durchtränkt meine Knochen, fährt durch jeden Muskel. Diese Macht … Ich gebe ein Stöhnen von mir, als mich diese reine, pulsierende Magie erfüllt. Sie lockt mit dem, was ich tun könnte, wenn ich sie zulasse. Ich krümme mich, will diese berauschenden Gefühle nicht spüren. Vor Anstrengung, ihren Lockungen nicht nachzugeben, grabe ich die Hände in die weiche, warme Erde unter mir. Suche die Verbindung zu Mutter Natur, damit ich mich selbst wiederfinde und halte.

Plötzlich fühle ich Finger, die sich um meine Handgelenke schließen und sanft zudrücken. »Du musst sie führen. Du bist diejenige, die die Kontrolle besitzt.«

Ich öffne die Augen und sehe geradewegs ins faltige Gesicht der Anführerin. Zum allerersten Mal liegen in ihrer Mimik sanfte Züge. Sie atmet vor mir ein und aus. Signalisiert mir Ruhe. Ich klammere mich an sie; klammere mich an den Frieden, den sie ausstrahlt. Mit jedem Atemzug beruhigt sich mein wild schlagendes Herz.

»Du musst lernen die Magie in dir als Teil deines Selbst zu akzeptieren. Sie ist kein Fremdkörper. Kein Objekt. Sie ist du und du bist sie. Ihr seid eins und funktioniert als ein Wesen.«

In ihrem Blick liegt Gewissheit, so viel Glauben an mich, dass es mir den Atem verschlägt. Mein Puls beruhigt sich.

»Okay.« Ich schließe die Augen, um mich auf das Chaos in mir zu konzentrieren.

Die Magie heißt mich willkommen, kratzt über mein Innerstes. Sie testet. Fordert heraus. Dieses Mal will ich mich nicht davon vertreiben lassen. Das ist mein Körper und ich bin gewillt, ihn zu teilen – aber zu meinen Bedingungen. Die Kraft bekommt keinerlei Kontrolle über mich. Erneut versucht sie mich zu betören. Lockt mit der Macht, singt ein verführerisches Lied wie eine Sirene und will mich in den Abgrund ziehen. Aber ich sträube mich dagegen. Mit den Händen versuche ich nach der Magie zu greifen, streife über ihr samtenes Fell und plötzlich gerate ich in einen Strudel. Sie verschlingt mich. Ich spüre, wie die Macht durch jede Faser dringt. Ein Kribbeln durchfährt meinen ganzen Körper wie eine Armee aus Ameisen, die über meine Haut tanzen.

»Kämpfe dagegen an!«, befiehlt mir Maria.

Die Erde unter mir fängt an zu brodeln. Um uns bildet sich ein hauchfeines Leuchten an der Grenze des Kreises, den Maria gezogen hat, um die Magie auf diesen kleinen Bereich zu beschränken. Ich spanne meine Hände an, die Halt suchend um ihre Gelenke geschlungen sind. Die Kraft streichelt sanft über meine Haut, liebkost und verführt mich. Ich will den Verlockungen widerstehen. Will stärker sein als dieser Tiger, der nur auf einen Moment wartet, um mich zu verschlingen. Meine Nägel bohren sich in Marias Haut.