Legend of the North 1: Der Wolf in deinem Herzen - Laura Nick - E-Book
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Legend of the North 1: Der Wolf in deinem Herzen E-Book

Laura Nick

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Beschreibung

**Entdecke das Elite-Internat nordischer Legenden** Dazu verdammt, die Gedanken ihrer Mitmenschen zu hören, ist es für Ivy unmöglich, ein normales Leben zu führen. Und dann wird sie auch noch auf das rätselhafte Swen-Internat geschickt. Ihre neuen Mitschüler stellen ein gewaltiges Mysterium für Ivy dar, da sie nicht nur gegen ihre Fähigkeiten immun sind, sondern scheinbar auch alle etwas zu verbergen haben – genauso wie das Internat selbst. Allen voran Henrik, der sie mit seinem eisigen, wilden Blick an einen gefährlichen Wolf erinnert und mit dem sie mehr verbindet, als ihr lieb ist … Bist du bereit, dich einer Welt zu stellen, in der Sagen und Legenden Wirklichkeit werden? Textauszug: »Unsere Blicke trafen sich und mein Herzschlag setzte eine einzelne Sekunde aus – genauso wie die restliche Welt für ein Blinzeln ausgeschaltet wurde. All meine feinen Körperhärchen stellten sich wie elektrisiert auf. Seine ganze Nähe wurde mir mit einem Schlag bewusst, wie ein Blitz, der durch mich hindurch raste. In diesem einzigen Austausch von Blicken schien er mein gesamtes Universum auszufüllen. In dem Moment schien sich alles nur um uns zu drehen.« //Dies ist der erste Band der romantisch-magischen Fantasy-Buchserie »Legend of the North«. Alle Romane der romantischen Wolfsfantasy: -- Legend of the North 1: Der Wolf in deinem Herzen -- Legend of the North 2: Das Blut deiner Bestimmung  Diese Reihe ist abgeschlossen.//

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Laura Nick

Legend of the North 1: Der Wolf in deinem Herzen

**Entdecke das Elite-Internat nordischer Legenden**

Dazu verdammt, die Gedanken ihrer Mitmenschen zu hören, ist es für Ivy unmöglich, ein normales Leben zu führen. Und dann wird sie auch noch auf das rätselhafte Swen-Internat geschickt. Ihre neuen Mitschüler stellen ein gewaltiges Mysterium für Ivy dar, da sie nicht nur gegen ihre Fähigkeiten immun sind, sondern scheinbar auch alle etwas zu verbergen haben – genauso wie das Internat selbst. Allen voran Henrik, der sie mit seinem eisigen, wilden Blick an einen gefährlichen Wolf erinnert und mit dem sie mehr verbindet, als ihr lieb ist …

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Vita

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© privat

Laura Nick wurde März 1995 inmitten des Ruhrpotts geboren. Jedem, der sie hören wollte – oder auch nicht –, erzählte sie Geschichten über fantasievolle Abenteuer und Liebe. Unter dem Pseudonym Aurelia L. Night hat sie seit 2016 Fantasy- und Liebesromane veröffentlicht. Sie ist aktives Mitglied im PAN e.V. und setzt sich für die deutsche Phantasik in der Buchbranche ein. Mittlerweile lebt, liest und arbeitet Laura Nick mit ihrem Ehemann in Niedersachsen, nahe des Meeres und der niederländischen Grenze.

Für Emilia, Valentin und Fynn.Die Geschichte,die ihr von Anfang an verdient hattet.

Ivys Playlist

MEDUZA – Paradise

Peyton Parrish – I’ll Make a Man Out of You

Bullet for My Valentine – Tears Don’t Fall

Bullet for My Valentine – Hearts Burst Into Fire

Bullet for My Valentine – Waking the Demon

Bullet for My Valentine – Take It Out On Me

Bullet for My Valentine – Deliver Us from Evil

Bullet for My Valentine – Forever and Always

Bullet for My Valentine – All the Things I Hate

Papa Roach – Last Resort

Papa Roach – Help

Rise Against – Wolves

Rise Against – The Strength To Go On

Rise Against – Bricks

Rise Against – Drones

Rise Against – Behind Closed Doors

Rise Against – Survive

Auszug aus den Büchern der Nornen:

Die Zeit wird kommen, in der einzig der Kampf um die Welt zählt, doch der Baum nur durch Opfer gerettet werden kann. Um zu verschonen, was ihnen lieb ist, werden sie schwinden; wie Sterne werden ihre Körper verglühen und den Platz an Lichter weitergeben, die würdig sind die Kraft zu tragen.

1

»Fuck«, stieß ich mit einem tiefen Atemzug hervor.

Sprachlos starrte ich das Schloss an, das mitten im Wald vor mir aufragte. Dabei presste ich mein Handy fester gegen die Wange, als könnte ich durch die Leitung direkt wieder zurückkriechen.

»Was ist los?«, hakte Susann, meine beste Freundin, am anderen Ende der Leitung nach.

Mein Blick war fest auf den Anblick gerichtet, der sich vor mir auftat und mich vollkommen überwältigte. Gefühlte Ewigkeiten war ich über den Kies gelaufen, in dem sich die Rollen meines Koffers ständig verhakt hatten. Nichts aus der Umgebung hatte den Anschein erweckt, dass zwischen den grün leuchtenden Bäumen ein Anwesen war, das mindestens so prachtvoll wie Versailles war. »Es ist ein verdammtes Schloss!« Meine Stimme wanderte panisch einige Oktaven höher. Unbewusst ließ ich meinen Trolley los und legte die Hand über meinen Mund.

»Wir haben doch schon auf der Internetseite gesehen, dass das Internat ein Schloss ist«, erinnerte Susann mich.

»Ich weiß … aber …« Ich wollte noch irgendwas sagen, doch mir fehlten die Worte; was eigentlich noch nie vorgekommen war. Ich hatte immer etwas zu sagen – ob das nun gut oder schlecht war, war Ansichtssache. Ich wiederholte mich, aber dieses verdammte Internat war ein Schloss. Ein waschechtes Schloss, das selbst dem Sonnenkönig gefallen hätte.

Die vanillegelbe Fassade strahlte im Schein der Mittagssonne. Die weißen Fenster- und Türrahmen wirkten, als leuchteten sie von sich aus. Selbst die weißen Wasserspeier auf dem Dach schienen zu glänzen, als hätte sie gerade eben noch jemand poliert.

Überwältigt drehte ich mich weg, zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war, und strich mir übers Gesicht.

»Es ist nur ein Jahr«, sagte Susann. Ihre Stimme klang, als wollte sie mich beruhigen. Doch das gelang ihr ganz und gar nicht.

»Das sind 365 Tage«, erwiderte ich matt.

»Die Zeit wird so schnell rumgehen, dass du nicht mitbekommst, wie schnell die vielen Tage vergehen. Und ehe du dich versiehst, wirst du gar nicht mehr wegwollen«, meinte Susann seltsam positiv gestimmt.

Ich stieß ein Schnauben aus, dabei warf ich einen Blick über die Schulter zurück zu dem Swen-Internat, das mein Zuhause auf Zeit sein würde. »In einer Milliarde Jahren werde ich dort nicht nicht wegwollen«, meinte ich mit fester Stimme.

»Hmm, wir werden sehen.«

Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder, ehe ich noch mal über die Schulter sah. Nichts hatte sich geändert. Vor mir stand noch immer ein Schloss, umarmt von einem dichten Wald. Vögel zwitscherten, in der Ferne hörte ich einen Specht gegen Rinde hämmern und ich wollte am liebsten wegrennen. Das war nicht ich. Hier gehörte ich nicht hin. Noch weniger, als ich jemals zu meinem Vater gehört hatte.

»Du kannst das, Ivy.«

»Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte ich.

Fest umklammerte ich den Griff meines Koffers und spürte, wie die Übelkeit in mir rumorte. Das Internat bedeutete für mich, dass ich 365 Tage wildfremden Menschen ausgeliefert war. Keinerlei Möglichkeit, mich zu verstecken. Vor den Eindrücken zu flüchten, die mich jeden Tag überfallen würden. Bleierne Schwere überfiel mich bei den Gedanken.

»Ich weiß das aber.« Meine beste Freundin seufzte am anderen Ende der Leitung. »Du hast schon so viel geschafft, Ivy. Du bist ein unglaublich netter, freundlicher Mensch, fürsorglich, obwohl du so was niemals kennenlernen durftest. Aus diesen Gründen bin ich so gern deine Freundin. Jeder, der diesen tollen Menschen hinter deiner steinernen Fassade nicht erkennen will, ist selbst schuld.«

Ihre Worte waren Balsam für meine Seele, obwohl ich wusste, dass die anderen nicht das Problem waren, sondern ich. Ich war so wählerisch bei anderen Menschen, weil ich von meinem Gegenüber verlangte, dass seine Worte mit seinen Gedanken übereinstimmten. Weil ich wollte, dass die Menschen ehrlich waren. Mir und anderen gegenüber. Und das war der Grund, wieso ich nur eine einzige Freundin besaß, die gefühlt am anderen Ende Deutschlands saß, während mein Vater mich in dieses Internat verschifft hatte.

Ich holte tief Luft. »Steht das Angebot noch, dass ich in deinem Bettkasten wohnen darf?«, fragte ich.

Susann stieß ein Lachen aus. »Nein. Dafür ist es jetzt zu spät. Du hast dein Zeitfenster verpasst.«

Ihre Worte waren eine Ernüchterung, selbst wenn ich sie verstand. In Susanns Bettkasten zu wohnen, war keine Dauerlösung für mein Problem – das hatten wir bei unseren stundenlangen Gesprächen übers Internat bereits herausgefunden. Vor allem nicht in der viel zu kleinen Wohnung, die sie sich bereits zu viert teilten.

»Aber mein Telefon ist jederzeit für dich auf Laut. Ich bin für dich da, egal zu welcher Uhrzeit«, fügte Susann hinzu.

Ich schloss die Augen und ließ die wärmende Geborgenheit, die durch ihre Worte ausgelöst wurde, durch mich hindurchfließen. »Danke, Susann.«

»Dafür nicht, Ivy. Ich bin deine beste Freundin und daran wird auch die Entfernung nichts ändern.«

»Wird sie nicht. Ich bin immer für dich da«, wiederholte ich ihre Worte.

»Ich weiß.« Ihr Lächeln war zu hören. »Jetzt geh da rein und zeig ihnen, zu was Ivy Lehmann fähig ist!«

»Ich bemühe mich …«, murmelte ich wieder demotivierter, weil mein Blick erneut auf dem prächtigen Schloss gelandet war.

»Und fotografiere bloß alles und jeden!«, warf Susann noch ein. »Ich will dieses Schloss aus deiner Perspektive sehen.«

Ich schmunzelte. »Mach ich. Ich habe dich lieb, Susann.«

»Ich dich auch! Wir hören uns.«

»Bis dann.«

Ich steckte das Handy weg. Statt sofort auf das Schloss zuzugehen, blieb ich wie verwurzelt an Ort und Stelle stehen. Das Swen-Internat war prächtig. Sein schierer Anblick ließ eine Gänsehaut über meinen Körper wandern. Von Anfang an hatte ich mich dagegen gesträubt, ausgerechnet auf dieses Internat zu gehen. Ich biss mir auf die Lippe und drehte nachdenklich meinen Ring am Daumen.

»Das Internat ist perfekt für dich!«

»Nur weil meine Mutter darauf gegangen ist?«

Er verstummte für eine Sekunde. »Hör auf damit!«

»Womit?«

»Das weißt du ganz genau, Eivor!«

Ich kniff die Augen zusammen und verdrängte den Streit, den ich mit meinem Vater gehabt hatte. Meine Mutter hatte meinen Vater verlassen, ehe ich geboren worden war, bis sie ihn ein letztes Mal besuchte, um mich ihm in die Arme zu drücken. Danach hatte keiner von uns sie jemals wieder zu Gesicht bekommen. Mein Vater und ich hatten niemals über sie gesprochen, als hätte es sie niemals gegeben. Warum also war es ihm plötzlich so wichtig, dass ich ihr näher war? Dass ich auf dieses bescheuerte Eliteinternat ging, auf das sie ebenfalls gegangen war?

Unbewusst hatte ich meine Hände zu Fäusten geballt, die ich wieder lockerte. Über die Schulter sah ich zurück. Ich wünschte, ich könnte heimkehren. Zu Susann und ihrer Familie, die in den letzten Jahren mein heimlicher Ersatz für all das gewesen waren, was ich niemals erfahren hatte. Es hatte die letzten sechzehn Jahre funktioniert … Warum jetzt nicht mehr?

Ich presste die Lippen aufeinander und schnappte mir meinen Koffer, um mich meinem Zuhause auf Zeit zu nähern. Vor dem Internat war ein flacher Brunnen angelegt, in dem Seerosen schwammen und in dessen Mitte eine große Kriegerstatue stand. Sein Schild und die Axt in der Hand erinnerten mich an einen Wikinger. Genauso die geflochtenen Zöpfe, die das Haar aus seinem Gesicht hielten. Kurz blieb ich stehen und musterte die Züge aus Stein. Wer auch immer diese Statue gemacht hatte, besaß einzigartiges Talent. Es wirkte beinahe, als könnte dieser Steinkrieger jeden Moment zum Leben erwachen.

Ich ließ meinen Blick über das Grundstück wandern. Gepflegte Beete mit den verschiedensten leuchtenden Blumen schmückten den Weg. An der linken Seite war ein Selbstversorger-Garten angelegt, in dem ich Gurken und Paprika wachsen sah. Aus der Nähe erkannte ich, dass Fenster- und Türrahmen mit verschiedenen Reliefs verziert waren, die sich dunkel von dem strahlenden Weiß abhoben.

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Mir gefiel der ganze Prunk nicht, den das Schloss ausstrahlte. Es wirkte alles zu viel auf mich. Ich stieß die Luft aus und ging mit meinem Koffer im Schlepptau weiter auf die kleine Treppe zu, die zu hohen Eingangspforten hinaufführte.

Bevor ich in das Internat trat, drehte ich mich auf der letzten Stufe noch einmal um. Mein Blick fiel auf den dichten Wald. Beinahe schien es, als wäre das Schloss verzaubert. Als könnten nur diejenigen durch den schützenden Wald kommen, um hier zu lernen, die hierhergehörten. Was mein Gefühl, fehl am Platz zu sein, nur verdeutlichte und mir insgeheim eine Heidenangst einjagte.

Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich mich vor dem Kommenden zu wappnen – was nur bedingt half. Die dunklen, schwer anmutenden Holztüren standen offen. Erneut stieß ich ein Schnauben aus. Wenn dies ein verzaubertes Schloss wäre, wäre ich sicherlich nicht hier.

»Dann wollen wir mal«, murmelte ich und schob die Tür weiter auf, damit ich mit meinem Koffer hindurchpasste. »Hallo?«, rief ich hinein, ehe ich das Foyer gänzlich betrat.

Mir stockte der Atem, als ich meinen Blick über die Innenausstattung des Schlosses wandern ließ. Weißer Marmorfußboden, hell verputzte Wände, an denen große Kunstwerke von Menschen hingen, die beinahe finster auf mich herabstarrten. In der Mitte der beiden Treppen, die hinaufführten, prangte das Wappen des Swen-Internats im Fußboden. Ein Wolfskopf, hinter dessen Schädel ein Schild war, auf dem zwei Raben abgebildet waren. »Scheiße …«, raunte ich. Das war definitiv zu viel. So viel Prunk und Klasse legte nicht einmal mein Vater an den Tag. Selbst in meinem eigenen Zuhause hatte ich mich wegen des abgehobenen Geschmacks nicht wohlgefühlt. Deswegen war ich so oft wie möglich bei Susann und ihrer Familie gewesen.

»Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?«

Überrascht zuckte ich zusammen. Eine Frau stand an der Tür, die links in einen neuen Raum führte. Sie hatte ihre braunen Haare streng nach hinten gekämmt und schaute mich an, als wäre ich eine Vagabundin, die sicherlich nicht in ihre elitäre Anstalt gehörte – da waren wir einer Meinung. Mit meinen zerrissenen Strumpfhosen, meinen Chucks, dem kurzen Rock und dem Shirt von Papa Roach war ich so fehl am Platz wie eine Ballerina auf dem Fußballfeld.

Einen Moment wartete ich, dass mich ihre Gedanken erreichten. Aber nichts. Aus ihrem Kopf erreichte mich nur Stille. Überrascht blinzelte ich. Wie konnte das sein?

»Verstehen Sie mich?«, hakte die Frau nach und legte ihren Kopf schief.

Innerlich schüttelte ich mich und starrte noch einmal auf die Stirn der Frau. Noch immer hörte ich nichts. »Ähm … Hallo, mein Name ist Ivy Lehmann. Ich …« Unsicher leckte ich mir über die Lippen. Wieso hörte ich ihre Gedanken nicht? »Mein Vater hat mich fürs nächste Schuljahr eingeschrieben.«

Schlagartig wurde der Blick der Frau weicher, was mich etwas beruhigte, wobei ich immer noch verwirrt war. »Eivor Lehmann war es, oder nicht?«

Ich verzog die Lippen zu einer Grimasse. »Ja, aber ich werde lieber Ivy gerufen.«

Die Frau musterte mich mit ihren harten, aber freundlichen Augen. »Ivy also. Ich erinnere mich. Ihrem Vater war es ein großes Anliegen, dass Sie dieses Internat besuchen, weil Ihre Mutter ebenfalls Teil der Schülerschaft war.« Ihr Blick glitt über meinen Körper, als suchte sie irgendwas Bestimmtes. Ähnlichkeiten zu meiner Mutter vielleicht.

Ich fühlte mich unter ihren Blicken unwohl und verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Ja. Ich weiß nicht, was ihn da geritten hat. Aber jetzt bin ich da«, sagte ich mit einem nervösen Lächeln, um meinen ersten Eindruck etwas zu meinen Gunsten zu drehen. Ich war überfordert. Von der Tatsache, dass ich die Gedanken der Frau nicht hörte, und von dem Prunk, der mich zu ersticken drohte. Diese Schule war definitiv nichts für mich.

»Genau, jetzt sind Sie hier. Ich bin Katharina Andersson. Lassen Sie mich nur eben den Schlüssel holen, damit ich Sie auf Ihr Zimmer bringen kann.«

Verwirrt blinzelte ich. »Wir bekommen Schlüssel zu unseren Zimmern?«

Frau Andersson drehte sich in der Tür um. »Natürlich. Als Schülerin haben Sie genauso ein Anrecht auf Ihre Privatsphäre wie jeder andere.«

»Okay«, sagte ich platt.

Sie nickte mir zu und verschwand in dem Zimmer, das direkt vom Foyer abging. Als sie nicht mehr zu sehen war, nutzte ich die Möglichkeit und trat tiefer ins Internat. Die Ausstrahlung des Raums besaß etwas Hoheitsvolles und wüsste ich es nicht besser, würde ich glauben, dass ich in einem verdammten Märchen gelandet war. Wobei ich in dieser Geschichte die Dienstmagd und nicht die verschollene Prinzessin mimte.

An der Decke hing ein versilberter Kronleuchter, der als Zierde bunte Kristalle hatte, was dem Eingangsbereich etwas überraschend Verspieltes gab. Es war effektvoll, das war nicht zu leugnen, und auf seine eigene Art und Weise wunderschön. Ich hatte keine Ahnung, ob ich mich hier wohlfühlen konnte. Für Susann wäre das hier ein Paradies gewesen. Ein schmerzhafter Stich fuhr durch meinen Körper. Ich wünschte, sie wäre hier. Mit ihr wäre dieses Jahr tausendfach einfacher. Ich holte mein Handy heraus und fotografierte das Foyer, um die Bilder direkt Susann zu schicken.

»Sind Sie fertig?«

Überrascht zuckte ich zusammen und drehte mich ruckartig zu Frau Andersson um, die wieder im Türrahmen erschienen war, ohne dass ich sie mitbekommen hatte. »Entschuldigen Sie, meine Freundin wäre absolut Feuer und Flamme für dieses Gebäude.«

Frau Andersson schenkte mir ein Lächeln. »Ja, es ist ein wahres Schmuckstück. Wir haben es erst vor einigen Jahren komplett restauriert und aufgehübscht. Der Gründer dieser Schule, Swen Skallison, hatte es zu Beginn der Barockzeit bauen lassen. Es war Zeit für eine Generalüberholung.«

»Swen Skallison?«

Sie deutete mir ihr zu folgen. »Skallison ist derjenige, der die Idee dieser Schule hatte, um verschiedene Religionen zu vereinen. Das werden Sie selbst aber noch sehen, wenn Sie ihren ersten Schultag haben. Wir haben Jugendliche aus den verschiedensten Ländern hier. Österreich, Schweiz, Dänemark und einige kommen sogar aus Norwegen oder Schweden.«

Ich konnte mich kaum auf unser Gespräch konzentrieren, weil ich so verwirrt war. Wieso hörte ich ihre Gedanken nicht? »Gibt es da keine Sprachbarriere?«

Frau Andersson schüttelte den Kopf. »Für potenzielle Internatsbewohnende gilt die Pflicht, Deutsch zu lernen.«

Ich nickte, nahm die Infos jedoch nur mit halbem Ohr auf. Jeden, wirklich jeden Menschen hatte ich bisher gehört. Noch nie war mir jemand untergekommen, bei dem das nicht der Fall gewesen war.

Frau Andersson führte mich unter die große Treppe zu einem Fahrstuhl, der genauso fehl am Platz wirkte, wie ich mich fühlte. Mit seinen schlichten silbernen Türen, die im Gegensatz zu dem Rest der Innenausstattung beinahe grob wirkten. »Das ist der Fahrstuhl. Es ist nur wenigen erlaubt, ihn zu nutzen. Wegen Ihres Gepäcks machen wir heute mal eine Ausnahme. Haben Sie noch mehr?« Sie öffnete die Türen mit einem der beiden Schlüssel, die sie in der Hand hielt, und wir betraten den eher engen Raum.

»Nein. Ich bin mit dem Zug gekommen und wollte nicht so viel mit mir herumtragen«, antwortete ich wahrheitsgemäß und umfasste den Träger meiner Umhängetasche.

Frau Anderssons braune Augen weiteten sich ein wenig. »In Ordnung. Falls Sie noch etwas benötigen, in den Ferien fährt stündlich ein Bus zwischen hier und der Stadt. Während der Schulzeit gibt es einzig die Busse, die die Tagesschüler*innen transportieren. Falls Sie also etwas brauchen, sollten Sie es rechtzeitig merken.«

»Danke, das ist gut zu wissen.« Kurz stockte ich. »Moment, der Bus fährt nur in den Ferien?«

»Im Internat wünschen wir, dass die Jugendlichen sich voll und ganz auf den Schulstoff konzentrieren, deswegen gibt es nur wenig Möglichkeiten, außerhalb der Unterrichtszeiten in die Stadt zu kommen.«

»Oh … okay. Ist es nicht extrem die Schüler hier festzuhalten?«, erkundigte ich mich, ehe ich meine Zunge daran hindern konnte.

Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich in der zweiten Etage und Frau Andersson deutete mir voranzugehen. »Das mag auf den ersten Blick so wirken, das gebe ich gern zu. Aber Sie werden mit Sicherheit keinerlei Bedarf haben, in die Stadt zu fahren. Vertrauen Sie mir.« Sie zwinkerte mir zuversichtlich zu, was tatsächlich eine beruhigende Wirkung bei mir erzielte. »Folgen Sie mir«, sagte sie und führte mich durch den langen Flur.

Die obere Etage war, genauso wie das Foyer unten, mit weißem Marmor ausgelegt. Statt weiß verputzten Wänden mit grimmigen Gemälden reihten sich hier weiße Türen aneinander, die sich vom pastellgrünen Hintergrund hervorhoben. »Ihre Mitbewohnerin wird Franziska Andersson sein.«

Ich runzelte die Stirn bei dem Namen. »Andersson?«

Die Frau lächelte mich über die Schulter an. »Sie ist meine Nichte.«

»Ah.«

»Sie werden sich sicherlich gut verstehen. Franziska ist eine sehr aufgeweckte Person, die Sie schnell mit anderen bekannt machen kann.«

Ich ließ das Lächeln auf meinen Lippen gefrieren, sodass meine Wangen anfingen zu schmerzen. »Wie schön.« Dabei wollte ich nur so weit weg wie möglich von Menschenansammlungen sein. »Mein Vater erwähnte, dass noch andere die Ferien im Internat verbringen?«

Frau Andersson nickte. »Da hat Ihr Vater recht. Die vier gehören zu einer Familiendynastie. Sie sollten sich gut mit ihnen stellen.«

Überrascht blinzelte ich. Gut mit ihnen stellen? Würden die Worte nicht von einem freundlichen Lächeln begleitet werden, könnte ich beinahe glauben, dass das eine Drohung gewesen war. Wobei ich nicht vorhatte, irgendjemandem auf die Füße zu treten, solange ich meine Ruhe haben konnte.

Endlich erreichten wir das Zimmer, vor dem Frau Andersson den Chip an die Klinke drückte, die mit einem mechanischen Klick signalisierte, dass sie ihn akzeptierte. Frau Andersson öffnete die Tür und gestattete mir den Vortritt.

Die erste Emotion, die mich überkam, als ich das Zimmer sah, war absolute Erleichterung. Schlichte Holzmöbel standen im Zimmer und strahlten eine gewisse Gemütlichkeit aus. Das Parkett des Zimmers war in einem ähnlich dunklen Holzfarbton gehalten wie die Möbel. Die Wände waren nicht in Weiß, sondern grün gestrichen und gaben dem Raum einen gewissen Charakter. Es war kein Vergleich zu dem Flur und der Eingangshalle, die mit ihrem Aussehen für Ehrfurcht gesorgt hatten. Vielleicht hatte ich doch zu schnell verurteilt, als ich dachte, dass dieses Internat nichts wäre, wo ich mich wohlfühlen könnte.

»Gefällt es Ihnen?«, fragte Frau Andersson. Auf ihren Lippen lag ein wissendes Lächeln, als könnte sie sich die Frage bereits selbst beantworten.

Ich nickte. »Ja, sogar sehr«, teilte ich ehrlich mit.

Ihr Lächeln grub sich tiefer und offenbarte dabei kleine Lachfältchen, die sich um Mund- und Augenpartie schmiegten, die sie sympathischer wirken ließen. »Gut, dann lasse ich Sie in Ruhe Ihren Koffer auspacken.« Ihr Blick wanderte zu der Uhr an ihrem Handgelenk. »Gerade ist es halb drei. Sie haben also noch etwas Zeit bis zum Abendessen. Scheuen Sie sich nicht, zu mir zu kommen, falls Sie ein Anliegen haben. Meistens können Sie mich im Büro finden.«

»Dankeschön.«

»Und Ivy?«

»Ja?«

»Herzlich Willkommen im Swen-Internat.« Sie verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Der Raum war in genau zwei Hälften eingeteilt. Zwei Schreibtische, die sich gegenüberstanden, waren die räumliche Trennung. Die Zimmerseite meiner Mitbewohnerin war eher spartanisch eingerichtet. Es standen keinerlei Bilder oder Ähnliches rum, die mir vielleicht schon einen ersten Eindruck hätten liefern können. Nur ein paar bunte Zierkissen lagen auf dem Bett.

Ich wandte mich zur zweiten Seite, die noch gänzlich nackt war, und warf meinen Koffer auf die unbezogene Bettwäsche, ehe ich mich selbst daneben sinken ließ.

Nicht ein Gedanke war von Frau Andersson auf mich eingestürmt. Kein einziger. Ich verstand es nicht. Überhaupt nicht. Bisher hatte ich jeden Menschen gehört, ob ich wollte oder nicht.

Ich holte die kleine Medikamentendose aus meiner Jackentasche und drehte sie nachdenklich in meiner Hand. Vielleicht war die letzte Dosis der Tabletten genau die richtige gewesen, sodass ich nie wieder die Gedanken von irgendwem hörte? Ein kleiner Funke Freude hüpfte durch meinen Bauch, den ich nicht zulassen wollte. Dieser Fluch begleitete mich, seit ich denken konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er von heute auf morgen einfach verschwand.

Ich ließ die Pillendose sinken und sah wieder ins Zimmer. Zwei Schränke standen jeweils an den Enden unserer Betten und auf der Seite von Franziska war neben dem Schrank eine Topfpflanze, die wahrscheinlich Gemütlichkeit ausdrücken sollte, während bei mir eine Tür war. Ich vermutete, dass sie in ein kleines Bad führte. Dass es hier keine Gemeinschaftsduschen und -bäder gab, wunderte mich nicht. Die Schule war genau das, was mein Vater immer für mich gewollt hatte: elitär und einflussreich. Dass die Familien hier Geld besaßen, sah selbst ein Blinder mit Gehstock. Ich fuhr mir durch die Haare. Aber Frau Andersson war freundlich gewesen – und vor allem hatte ich ihre Gedanken nicht gehört – vielleicht war es doch nicht so übel, wie ich es mir vorstellte. Ein einziges Jahr. 365 Tage. Die sollte ich hier überbrücken können. Susann war nur einen Anruf entfernt und ansonsten würde ich mit großer Wahrscheinlichkeit derselbe Freak mit Kopfhörern sein wie bei uns zu Hause. Ein schaler Geschmack breitete sich in meinem Mund aus.

2

Nervös wippte ich mit meinem Bein. Der Sekundenzeiger der Uhr tickte weiter und weiter. Auf dem Zettel stand, dass das Essen zwischen 17 und 19 Uhr stattfand. Bisher hatte ich meistens allein zu Hause gegessen – sicher vor den Stimmen meiner Mitmenschen. Der einzige Mensch, der mich dort hätte stören können, war unsere Haushälterin gewesen. Doch sie war ein genauso seltenes Exemplar der Gattung Mensch gewesen wie Susann. Trotzdem hatte ich Essen erst immer zu mir genommen, wenn sie weg war. Bei Susann hatte ich auch nur selten am Esstisch gesessen, meistens war ich vorher gegangen oder erst danach gekommen.

Eine Hand krampfte sich schmerzhaft um meinen Magen zusammen. Mir wurde speiübel bei dem Gedanken, mit anderen Menschen zu essen.

Ich fuhr mir übers Gesicht und starrte wieder zu der Uhr, die unaufhörlich tickte. Mittlerweile war es 18.30 Uhr. Wenn ich heute also noch etwas Essen wollte, musste ich los, selbst wenn mir der Gedanke nicht gefiel.

Vorsichtshalber griff ich nach meinen Kopfhörern und machte meine Lieblingsplaylist an. Die vertrauten Klänge von Bullet for My Valentine prasselten auf meine Ohren und beruhigten mich ein wenig. Zumindest so sehr, dass ich endlich Mut fasste, um mich auf den Weg in den Speisesaal zu machen. Ich warf noch einen Blick auf den Grundriss der Schule, der an unserer Zimmerwand hing, und machte mich dann auf den Weg.

Mein Herz polterte im Takt der Musik in meinen Ohren. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und steckte sie in die Tiefen meiner Jeansjacke. Dabei stieß ich mit der linken Hand gegen meine Pillendose, die ich so gut wie immer mit mir herumtrug. Ich umfasste die Dose, als wäre sie mein Rettungsanker, und ging den Flur entlang, den Frau Andersson und ich vor Stunden betreten hatten. Seitdem hatte ich bloß meinen Koffer ausgepackt und versucht, etwas über meine Mitbewohnerin herauszufinden. Aber ihre Zimmerseite verriet leider nicht viel über sie, außer dass sie ein Fan von kleinen Kissen mit Sprüchen war. Selbst auf Social Media hatte ich nichts Interessantes herausfinden können.

Ich erreichte eine Kreuzung, von der es links in einen weiteren Flur voller Zimmertüren ging genauso wie geradeaus. Einzig auf der rechten Seite war eine Feuerschutztür angebracht.

Ich trat hinaus und strauchelte für einen Moment. Die Galerie des Schlosses tat sich vor mir auf. Direkt auf meiner Augenhöhe hing der bunte Kristallleuchter, den ich vom Eingang aus schon hatte bewundern können. Ich blieb an der Tür stehen. Neben mir war eine Mauer, aber die andere Seite war komplett frei. Einzig ein schmiedeeisernes Geländer schirmte mich von der Höhe ab. Ich schluckte einen Kloß hinunter. Höhe und ich waren in diesem Leben definitiv keine Freunde. Selbst ein kleiner Tritt bereitete mir schon Übelkeit.

Langsam näherte ich mich der Treppe, die nach unten führte, während Tears Don’t Fall in meinen Ohren dröhnte. Nervös strich ich über die Pillendose. Ich hatte keine Ahnung, wie der Speisesaal aufgebaut war. Auf der Zeichnung in meinem Zimmer war bloß ein großer Raum abgebildet gewesen, mehr nicht. Nicht wie die Tische angeordnet waren oder ähnliches. Konnte ich genügend Abstand zu ihnen halten, dass ich in Ruhe essen konnte, ohne sie zu hören? Komplett in meine Gedanken versunken, bemerkte ich das Hindernis vor mir zu spät.

Aus Reflex holte ich meine Hände aus den Taschen, doch ich war zu langsam. Statt meiner eigenen Finger fingen mich fremde Arme auf, die sich um meinen Körper schlangen. Unter meinen Händen ertastete ich eine warme Brust und für einen Atemzug wurde ich von der Wolke eines himmlischen Dufts nach regenfeuchter Erde eingehüllt, den ich genießerisch einsog. Sofort spürte ich ein Gefühl von Geborgenheit, das ich so noch nie empfunden hatte. Es war wie nach Hause kommen. Mit aufgerissenen Augen sah ich zu dem Jungen, der mich festhielt. Seine Nasenflügel blähten sich, als zöge er die Luft hinein, genauso wie ich es gerade eben getan hatte.

Ich blinzelte. Keine Stimmen. Seine Gedanken waren absolut still. Einzig die Bässe von Take It Out On Me erklangen in meinem Kopf. Wie konnte das sein? Wieso hörte ich ihn nicht? Meine Finger krallten sich in das lockere T-Shirt, das seine Muskeln umspielte. Sein eisblauer Blick lag auf mir und ein belustigtes Schmunzeln umspielte seine vollen Lippen, die sich bewegten, als würde der Kerl mit mir sprechen. Doch ich hörte ihn nicht. Nichts von ihm. Wie konnte das sein?

Erst da besann ich mich. Ich hatte mich an einen Fremden geklammert, als wäre er mein Rettungsreifen in einer stürmischen See. Räuspernd befreite ich mich aus seinem Griff und fummelte meine Kopfhörer aus den Ohren, während ich gleichzeitig einen Schritt zurücktrat, um Abstand zu ihm zu bekommen.

»Ähm … was?«, stotterte ich und versuchte, mich seinem Blick zu entwinden, der auf mir lag. »Ich habe dich leider nicht gehört.«

Er schenkte mir ein bezauberndes Grinsen, das sicherlich selbst die Sonne vor Neid erblassen ließ. »Ich wollte wissen, ob alles okay bei dir ist, Träumerin?«

Kein Raunen. Kein Flüstern. Nur absolute Stille. Was war hier los? Mein Leben lang hörte ich jeden einzelnen Menschen und an meinem ersten Tag im Internat gleich zwei nicht? »Ähm, ja. Danke, dass du mich … na ja, danke, dass du mich daran gehindert hast hinzufallen.«

Sein Grinsen wurde, wenn möglich, sogar noch strahlender. »Kein Ding, ich bin gern ein Retter in Nöten.« Er zwinkerte mir zu. »Ich bin übrigens Jesper.« Er hielt mir seine überraschend große Hand hin, die ich entgegennahm.

»Ivy.«

Jesper zog seine Stirn kraus und trat etwas näher an mich heran, wobei er tief die Luft einatmete, als wollte er meinen Duft inhalieren. »Ivy? Ich habe überraschenderweise noch nie von dir gehört.«

Verwirrt wegen des Schnüffelns schenkte ich ihm ein kleines Lächeln. »Das ist nicht unbedingt ein Wunder.«

»Ach nein?« Er legte den Kopf schief und musterte mich für einen Moment. »Du musst wissen, ich kenne hier jeden. Bisher hat niemand dich erwähnt.«

»Ich bin erst vor ein paar Stunden angekommen«, erklärte ich.

Jesper musterte mich einen Herzschlag lang irritiert, ehe ihm ein Licht aufzugehen schien. »Warte, du bist die Neue, die angekündigt wurde?«

»Ich wurde angekündigt?«, fragte ich, wobei meine Stimmen ein paar Oktaven höher kroch, was ich mit einem Räuspern zu kaschieren versuchte.

Er zuckte mit den Schultern, doch der fragende Blick war nicht gänzlich verschwunden. »Wir reden untereinander. Irgendjemand hat mal aufgeschnappt, dass jemand Neues kommt, und danach hat der Buschfunk den Rest gemacht. Du musst wissen, auf solch einem Internat funktioniert dieser besser als das Internet.«

Seine Art brachte ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Die Nervosität bezüglich seiner Anmerkung blieb jedoch. Die Unterhaltung mit ihm war leicht, als wären wir alte Bekannte und nicht gänzlich Fremde. Trotzdem wurde der große Kloß in meinem Hals noch sperriger. Es klang, als wüsste die gesamte Schule von meiner Ankunft. Mir wurde bei dem Gedanken speiübel. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, und eine neue Internatsschülerin würde mit Sicherheit von jedem beäugt werden. »Wie wundervoll«, quetschte ich durch meine verengte Kehle hervor.

»Ach, das wird schon«, munterte mich Jesper auf und klopfte mir auf die Schulter. Seine Berührung war irritierend angenehm, obwohl er ein Fremder war.

Ich sah mit gerunzelter Stirn zu ihm auf. Doch meine Aufmerksamkeit wurde von meinem Retter abgelenkt, als die Feuersicherheitstür vom ersten Stock aufging und ein anderer Junge aus dem Zimmerflur trat.

Unsere Blicke trafen sich und mein Herzschlag setzte eine einzelne Sekunde aus – genauso wie die restliche Welt für ein Blinzeln ausgeschaltet wurde. All meine feinen Körperhärchen stellten sich wie elektrisiert auf. Seine ganze Nähe wurde mir mit einem Schlag bewusst, wie ein Blitz, der durch mich hindurch raste. Mein ganzes Sein wurde von ihm eingenommen, obwohl ich ihn nicht kannte, noch nie gesehen und kein Wort mit ihm gewechselt hatte. In diesem einzigen Austausch von Blicken schien er mein gesamtes Universum auszufüllen. In dem Moment schien sich alles nur um uns zu drehen.

In jedem Buch hatte ich solch eine Begegnung für Hirngespinste von Schreibenden gehalten. Aber verdammt … Meine Reaktion war echt und ich verstand keine einzelne Millisekunde davon. Seine Augen weiteten sich, als überraschte es ihn, mich hier zu sehen. Als hätten ihn dieselben Gefühle übermannt, die mich zu ihrer Sklavin gemacht hatten.

Was zum Teufel war hier los? Was geschah mit mir? Zuerst hörte ich keine Gedanken mehr und jetzt … So hatte ich mich gegenüber anderen Menschen noch nie gefühlt.

Der Junge schüttelte sich, ehe er seinen Blick wieder auf mich richtete, wobei dieses Mal keinerlei Verwunderung zu sehen war, sondern eisige Kälte, die mich schaudern ließ. Ich trat einen Schritt zurück. Zu spät bemerkte ich die Stufe hinter mir und wäre wieder beinahe gefallen, hätte Jesper mich nicht aufgefangen.

»Vorsicht! Wirklich alles okay?«

Ich riss mich von dem Anblick des zweiten Jungen los. Jespers Augen, die genauso aussahen wie die des anderen, lagen besorgt auf mir, die nicht einmal ansatzweise denselben Sog auf mich ausübten. Er zog mich von der Treppe fort und ließ mich los. Ich brachte ein kurzes Nicken zustande, wobei mein Blick wieder zu dem fremden Jungen wanderte, der offensichtlich Jespers Zwilling war. Mein Körper prickelte und ich hatte das Gefühl, dass ich innerlich zitterte. Obwohl der Fremde wie Jesper aussah, wirkte er unnahbarer und kälter. Und gleichzeitig war er so viel mehr.

»Wer ist das denn?«

Ich zuckte unter seinen Worten zusammen, die nach einem Peitschenhieb klangen. Unbemerkt versuchte ich, den nötigen Sauerstoff in meine Lunge zu saugen, den ich beim Auftauchen des Jungen vergessen hatte.

»Beruhige dich, Henrik. Das ist Ivy. Die Neue, die angekündigt wurde. Erinnerst du dich? Die Schülerin, die ein Jahr mit uns die Klasse besucht«, antwortete Jesper für mich.

Er legte seinen schweren Arm um meine Schultern, den ich nur verwirrt ansah. Seine Nähe war angenehm. Was ich absolut nicht verstand. Er war ein Fremder und dennoch fühlte er sich wie zu Hause an. Was zum Kuckuck stimmte hier nur nicht? Lag ich irgendwo im Wald, weil ich mir den Kopf angestoßen hatte? Hatte mich der Taxifahrer unter Drogen gesetzt, die erst jetzt wirkten?

»Die Neue?«, erkundigte sich Henrik. Er musterte mich und ich hatte dabei das Gefühl, dass er zu meinem innersten Kern vordrang. Seine Nasenflügel blähten sich auf wie bei seinem Bruder vorhin auch schon. Er runzelte die Stirn.

»Ja.« Mit einem Räuspern wand ich mich unter Jespers Arm hervor und brachte erneut etwas Abstand zwischen ihn und mich, wobei ich dieses Mal auf Hindernisse auf dem Boden achtete. Innerlich versuchte ich verzweifelt, zu meiner Selbstsicherheit zurückzufinden, die ich mir in den letzten Jahren zum Schutzpanzer ausgebildet hatte, doch vergeblich. Ich spürte einen Druck in meinem Magen, der sich bei der Anspannung, die sich über uns legte, noch verstärkte.

Ich war verwirrt. Auf positive und schlechte Weise zugleich. Warum hörte ich plötzlich niemanden mehr? Und warum fühlte ich mich trotz allem so wohl wie nie zuvor?

»Also, du bleibst für ein Jahr?« Henriks schneidender Ton jagte mir einen Schauer über den Rücken.

»Ja. Mein Vater hat geschäftlich im Ausland zu tun und …« Ich zuckte mit den Schultern. Warum erzählte ich ihnen das? »Er sah keine andere Möglichkeit.«

Jespers Duft schwebte um meine Nase und schenkte mir eine gewisse Ruhe, die ich so noch niemals in meinem Leben gefühlt hatte, obwohl mich keiner von den beiden aus den Augen ließ, weswegen ich mich wie eine Laborratte fühlte. Unwohl wand ich mich unter ihren Blicken. Meine Gefühle waren komplett durcheinander. Alles in mir schrie nach Flucht. Gleichzeitig wollte ich mich keinen Schritt von den Zwillingen trennen. Was stimmte nur nicht mit mir? Oder mit denen? »Ich … ich sollte jetzt echt was essen«, meinte ich ausweichend und wandte mich der Treppe zu.

»Warte! Wir begleiten dich«, rief Jesper.

Überrascht sah ich über die Schulter zu den Brüdern. »Danke, aber das ist nicht nötig«, versicherte ich und hob innerlich die Faust, weil meine Stimme endlich wieder nach mir selbst und keiner unsicheren Version von mir klang.

»Natürlich kommst du allein …«

»Mein Bruder wollte sagen, dass wir eh zum Essen müssen. Da können wir uns gleich besser kennenlernen«, unterbrach Jesper Henrik und warf ihm einen wütenden Blick zu.

»Ihr müsst wirklich nicht …«, wollte ich die beiden abwimmeln, doch Jesper hatte schon zu mir aufgeschlossen und schlang seinen Arm erneut um meine Schultern. Normalerweise stand ich nicht auf Berührungen, vor allem nicht von Fremden, aber ich genoss, wie Jespers Arm um mich lag. Genoss die Wärme, die seine Haut abstrahlte, und konnte mir gerade so ein wohlwollendes Seufzen verkneifen.

Gott, was für Drogen waren das bitte schön gewesen?

»Du bist ein Frischling, damit besitzt du Welpenschutz. Und damit dir keiner krumm kommt, bleiben wir bei dir.«

Ich runzelte die Stirn. »Ähm … und wenn ich das nicht möchte?«

Jesper sah mich mit einem gewinnenden Lächeln an. »Du wirst Freunde brauchen und wir sind die besten Freunde, die sich eine einsame Jungfrau in Nöten vorstellen kann.«

Beinahe wäre ich über meine Füße gestolpert, hätte ich mich nicht rechtzeitig am Geländer festgehalten. »Ich bin keine einsame Jungfrau in Nöten.«

»Na gut, trotzdem brauchst du Freunde.«

Jesper hatte mit einer ungeheuren Zielsicherheit direkt meinen wunden Punkt getroffen und dass ich weder seine noch Henriks Gedanken hörte, war ein Geschenk, das mir sehr wohl bewusst war. Mit ihnen könnte ich vielleicht so etwas wie eine Freundschaft aufbauen. So eine, wie sie jeder in meinem Alter hatte. Mit Geheimnissen. Mit Entdeckungen, mit denen ich niemals gerechnet hätte … Es klang verführerischer, als ich mir eingestehen wollte.

»Sicherlich bist du lieber allein unterwegs …«, merkte Henrik vielsagend an, der von einem wütenden Blick seines Bruders unterbrochen wurde. Er seufzte und hob abwehrend die Hände. »Schon gut, ich hab nichts gesagt.«

Ich verstand absolut gar nichts mehr. Weder mein noch ihr Verhalten wirkte in irgendeiner Weise schlüssig auf mich.

»Das will ich dir auch geraten haben«, meinte Jesper über die Schulter.

Henrik stieß hinter uns ein Schnauben aus. »Die Einzige, die mit deinem Dickkopf mithalten kann, ist Latha.«

»Latha?«, warf ich fragend ein.

»Eine Freundin von uns, sie ist mit Peter schon im Speisesaal.«

»Ah, okay.«

»Du wirst sie sicherlich mögen«, redete Jesper mir gut zu.

Ich runzelte die Stirn. Mir war gar nicht wohl bei dem Gedanken, mich zu fremden Menschen zu setzen. Nur weil ich Jesper, Henrik und Frau Andersson nicht hörte, hieß das nicht, dass ich die anderen beiden ebenfalls nicht hörte. »Ich denke, ich sollte lieber allein essen«, versuchte ich mich rauszureden.

»Wieso denn?«, fragte Jesper. »Spielst du gern das unnahbare Mädchen?« Er hob anzüglich seine Augenbrauen, wobei der Glanz in seinen Augen verriet, dass er mich hochnahm.

Das Grinsen auf meinen Lippen konnte ich nicht verbergen. »Nein, absolut nicht. Ich … ähm.«

»Lass sie doch allein essen, wenn sie das will«, mischte sich Henrik wieder ein.

Jesper zog eine Schnute. »Aber … aber das würde unsere Verbindung doch intensivieren. Wir könnten unsere dunkelsten Geheimnisse austauschen!«

»Und was ist dein dunkelstes Geheimnis?«, fragte ich mit erhobenen Augenbrauen.

Er beugte sich näher zu mir herunter, sodass sein Atem mein Ohr traf. Eine Gänsehaut prickelte über meinen Körper und am liebsten hätte ich mich näher an ihn geschmiegt, um seine Wärme besser spüren zu können. Nur mühsam hielt ich mich zurück.

Was war denn mit mir los? Ich war wie eine Verhungernde und Jesper mimte dabei den saftigen Burger mit Pommes, der meine Rettung war.

»Mein Bruder ist ein griesgrämiger Spinner.«

Ich sah nach hinten zu dem Erwähnten, der tatsächlich grimmig hinter uns die Treppe runterging. Mein Herz schlug ein bisschen schneller, sodass ich hastig wieder den Blick abwandte »Das ist nicht wirklich ein Geheimnis«, raunte ich zurück. »Das ist sogar ziemlich offensichtlich.«

Er brach in schallendes Gelächter aus. »Na gut, du hast mich durchschaut. Aber du solltest mit uns essen, wirklich. Um dich im Internat einzuleben, sind wir die beste Anlaufstelle, die du bekommen kannst.« Er beendete seinen Satz mit einem Zwinkern.

Jesper schien ein Talent dafür zu besitzen, Menschen um den kleinen Finger zu wickeln – zumindest gelang es ihm mit mir viel zu einfach. Ich mochte ihn und seine Art schlagartig. Er war erfrischend wie ein Eis im Sommer. Das Lächeln auf meinen Lippen verselbstständigte sich in seiner Gegenwart und es war so überraschend leicht, mit ihm zu reden, obwohl ich seine Gedanken nicht hörte – oder gerade deswegen?

Über die Schulter schielte ich zu Henrik. Er war anders als sein Zwilling. Unsere Blicke trafen sich. Ich erkannte etwas in seinen Augen, das ich jedoch nicht greifen konnte. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend wandte ich mich wieder ab.

Jespers Arm lag noch auf meinen Schultern, als wir das Foyer betraten. Er führte mich durch einen langen Flur, der geradewegs vom Eingang wegführte und in einem riesenhaften Saal endete. Die Deckenhöhe vereinnahmte mit Sicherheit zwei Stockwerke und an der Außenwand waren bodentiefe Fenster, die einen Blick auf den Wald erlaubten.

»Wow«, stieß ich hervor. Irgendwie hatte ich erwartet, dass in dem Raum viele verschiedene Tische verteilt standen, an denen sich dann die einzelnen Cliquen versammeln konnten. Doch dem war nicht so. Acht lange Holztische zogen sich durch den Raum, füllten ihn komplett aus und jeweils zwei Bänke umarmten einen Tisch. An der Längsseite, durch die wir hineingekommen waren, befand sich das Buffet, das bereits gefüllt war. Obst und Brot lag bereit, direkt neben Gemüse und Wurst. Es wirkte, als sei für jeden Geschmack etwas dabei. In meinem Mundraum sammelte sich bei dem köstlichen Anblick Speichel. Ich hatte seit heute Morgen nichts mehr zu mir genommen, sodass sich vor mir gerade das Paradies selbst offenbarte. »Gott … ist das viel!« Wie ferngesteuert lief ich darauf zu.

»Mit Essen begeistert man eben immer«, tönte Jesper.

Seine Stimme erklang direkt hinter mir, doch ich drehte mich nicht um, sondern starrte mit riesengroßen Augen auf die Vielfalt an Essen. Wer sollte das alles hinunterschlingen? Ich rieb mir die Hände und sog genüsslich den intensiven Geruch von Paprika und Käse in die Nase. Mein Hunger wurde nur angeheizt von den ganzen Aromen, die sich ausbreiteten. Ich schnappte mir einen Teller und ein Tablett, das ich mir vollhäufte.

»Man kann’s auch übertreiben«, meinte Henrik hinter mir.

Erst jetzt sah ich zu den beiden Brüdern. Der eine sah mich mit belustigten Augen an, während der andere seine dichten Brauen zusammengezogen hatte und mich musterte, als wäre ich ein Primitivling, der zum ersten Mal den Luxus von gekochtem Essen bekam.

Ich schenkte Henrik ein zuckersüßes Lächeln. »Weißt du, was das Allerbeste ist? Dass mich deine Meinung kein Stück interessiert.« Ohne ihn weiter zu beachten, wandte ich mich wieder dem köstlichen Buffet zu, das meine volle Aufmerksamkeit verdiente.

Er schnaubte. »Natürlich interessiert dich meine Meinung nicht. Interessiert dich überhaupt irgendeine Meinung?«

Stockend verharrte ich in meiner Bewegung. Langsam drehte ich mich wieder zu ihm. »Wie kommst du denn bitte auf das schmale Brett? Es gibt sehr wohl Meinungen, die mich interessieren. Nur deine eben nicht, weil ich dich gerade mal dreißig Sekunden kenne!« Um genau zu sein, gab es eine einzige Meinung, die mich interessierte. Das musste Henrik aber nicht wissen. Dieser erste Moment zwischen uns war wie weggeblasen, sodass ich beinahe glaubte, er hätte nur in meiner Einbildung stattgefunden. Er benahm sich, als wäre ich irgendein widerliches Insekt, das seiner Anwesenheit nicht wert war, und das ging mir absolut gegen den Strich.

Jesper stieß seinen Bruder mahnend an. »Lass es«, mahnte er ihn und reichte ihm einen Teller.

»Sie kann nicht zu uns kommen«, meinte Henrik.

Wäre es möglich, dass Blicke umbringen können, wäre ich tot umgefallen. Ich klammerte die Finger fest um mein Tablett. Seine Ablehnung tat unerwartet weh, selbst wenn ich ihn für einen Kotzbrocken hielt.

»Und wieso nicht? Sie besucht dieses Internat genauso wie du und ich. Du kennst sie nicht.«

»Leute, ihr müsst mich nicht …«

»Ivy, mein Bruder ist ein Arsch«, fuhr mir Jesper über den Mund. »Er hat keine Ahnung, wovon er spricht.«

Henrik stieß ein Knurren aus.

Eine Gänsehaut prickelte in meinem Nacken. Meine Armhärchen stellten sich bei dem animalischen Laut auf. Verwundert richtete ich meinen Blick wieder auf ihn.

Jesper musterte seinen Bruder, als sei dieser Ton ganz natürlich für einen Menschen.

»Erinnere dich, wo dein Platz ist, Bruder. Ich lasse dir viel durchgehen, aber das geht zu weit«, stieß Henrik hervor und ging an mir vorbei, wobei er Jesper an der Schulter anstieß, sodass dieser einen Schritt nach hinten strauchelte.

Ich sah ihm kurz hinterher, ehe ich mich wieder Jesper zuwandte. »Was zum Henker war das?«, fragte ich.

»Das war ein testosterongesteuerter Teenager, dem zu viel Macht aufgeschwatzt wurde.«

Verwirrt sah ich ihn an. »Was?«

Jesper winkte ab. »Vergiss ihn einfach.«

»Dir ist aufgefallen, dass Henrik geknurrt hat, oder?«

Mein Gegenüber blinzelte, als hätte er die Reaktion komplett verdrängt. »Ach das … Ja. Henrik hat ein … ähm … ein Aggressionsproblem.«

Ich hob meine Augenbrauen. »Was?«

»Mach dir keine Gedanken darüber. Er kriegt sich wieder ein und bis dahin machen wir uns eine schöne Zeit.«

Betreten betrachtete ich Jesper, ehe ich über die Schulter nach hinten sah, wo sich Henrik zwischen den anderen beiden niedergelassen hatte. Jeder von ihnen starrte mich an, als hätte ich irgendeine Seuche. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte ich.

Jesper machte eine wegwerfende Handbewegung. »Denk dir einfach nichts dabei.«

Ich schüttelte den Kopf. »Sorry, aber …« Ich suchte nach den richtigen Worten. Zwar fühlte ich mich bei Jesper überraschend wohl, aber meine Gefühle spielten in seiner und Henriks Gegenwart verrückt. Um ehrlich zu sein, machte mich mein Verhalten in der Nähe der beiden unsagbar nervös. Eigentlich sollte ich Henriks Aggressionsproblem dankbar sein. »Ich will für mich sein«, sagte ich schlussendlich.

»Ivy …«

»Nein, sorry. Du bist echt nett, aber … Ich bin nicht hier, um Freundschaften zu schließen, sondern nur weil meine Mutter hier zur Schule gegangen ist. Ich werde dieses eine Jahr hier absitzen und danach werde ich niemanden mehr von hier wiedersehen. Also, mach’s gut.«

»Warte mal!« Jesper hielt mich am Arm fest, was ein warmes Prickeln über meine Haut tanzen ließ. »Deine Mutter ist hier zur Schule gegangen? Wie hieß sie?«

»Ich kenne sie nicht«, meinte ich verschlossen.

Jesper nickte und wirkte irgendwie geknickt. Als täte ihm weh, dass ich ihn ablehnte. Was totaler Unsinn war, immerhin kannten wir uns gerade mal wenige Minuten.

»Nur ein kleiner Hinweis: Nimm dir Henrik nicht so zu Herzen«, riet er mir leise. Die kindliche Freude war aus seinem Gesicht verschwunden, stattdessen befand sich eine Ernsthaftigkeit auf seinen Zügen, die das totale Gegenteil zu seiner bisherigen Leichtigkeit war. »Wir haben noch eine kleine Schwester, in ihrer Nähe wird er immer zum wahren Softie.« Er deutete hinter sich zu dem Tisch. »Hier will er nicht zeigen, wie er wirklich ist, wegen der Verantwortung, die ihm aufgebürdet wurde.«

Überrascht blinzelte ich Jesper an. »Wieso erzählst du mir das?« Ich sah über seine Schulter zu dem Platz und entdeckte, dass Henrik sich mit den anderen unterhielt, wobei sein Blick mich jedoch nicht außer Acht ließ.

Jesper zuckte mit den Schultern. »Weil ich denke, dass, selbst wenn du nur für dieses eine Jahr bleibst, Freunde alles etwas einfacher machen.«

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter. »Wir werden sehen«, sagte ich und wandte mich von Jesper ab, um mich ans andere Tischende zu setzen.

Jespers Blick spürte ich in meinem Rücken, bei jedem einzelnen Schritt, den ich tat. Es fiel mir überraschend schwer, mich weiter von ihm und der Möglichkeit auf eine Freundschaft zu entfernen. Doch selbst wenn Jesper noch so nett war, Henrik war ein ganz anderes Kaliber, das ich nicht in meinem Leben haben wollte.

3

Im Rhythmus des Liedes wippte ich mit meinem Kopf und blendete dabei alles andere aus. Vor allem die Tatsache, dass es nicht mehr lange dauerte, bis meine Mitbewohnerin Franziska das Zimmer bezog.

Den gestrigen Tag war ich Jesper und den anderen aus dem Weg gegangen. Zwar hatte er versucht, sich beim Essen zu mir zu setzen, aber ich war vor ihm geflohen – wie ein verdammter Feigling.

So kannte ich mich nicht. Laut würde ich es niemals zugeben, doch es bereitete mir Sorgen, dass ich sie nicht hörte – und vielleicht auch ein bisschen Angst. Bisher hatte ich niemanden von hier gehört. Nur wieso nicht?

Ich rieb mir übers Gesicht, um die Sorgen zu vertreiben – was sie jedoch nicht zuließen. Sie hämmerten penetrant gegen meine Schläfen und blieben hartnäckig an mir kleben.