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»WENN DU ERST EINMAL JA GESAGT HAST, LASSE ICH DICH NICHT MEHR GEHEN«
Mit ihrem eigenen Blumenladen hat sich Magnolia ihren großen Traum erfüllt. Doch als das Geld knapp wird, wendet sie sich an ihre Familie. Diese hat für ihre Hilfe allerdings eine Bedingung: Sie soll ihren Ex-Freund heiraten! Für Nolia kommt das nicht infrage, aber das Ultimatum bringt sie auf eine Idee: eine Fake-Ehe - und der Partner ist schnell gefunden. Camille Levesque ist Gründer einer Escort-App und Milliardär, doch der attraktive Playboy sorgt regelmäßig für Skandale in der Presse und benötigt eine Frau an seiner Seite, um seinen Ruf zu bereinigen. Der Plan scheint perfekt, aber können sie ihr Versprechen halten, sich auf keinen Fall ineinander zu verlieben?
»Morgane Moncomble enttäuscht mich nie mit ihren Geschichten, und ich kann es kaum erwarten, die nächste in den Händen zu halten.« ZEILENSCHLOSS
Band 3 der SEASONS-Reihe
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Seitenzahl: 597
Titel
Zu diesem Buch
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Motto
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Bücher von Morgane Moncomble bei LYX
Impressum
MORGANE MONCOMBLE
A Spring to Hope
Roman
Ins Deutsche übertragen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz
Mit ihrem eigenen Blumenladen in Amsterdam hat sich Magnolia Kumar ihren großen Traum erfüllt. Doch die alleinerziehende Mutter hat es alles andere als leicht. Als das Geld knapp wird, wendet sie sich in ihrer Verzweiflung an ihre Eltern, die nach der Geburt ihrer Tochter den Kontakt abgebrochen hat. Sie haben für ihre Hilfe allerdings eine Bedingung: Nolia soll ihren Ex-Freund heiraten! Das kommt für sie auf keinen Fall infrage, nicht ohne Grund hat sie ihm nie von dem gemeinsamen Kind erzählt. Aber das Ultimatum bringt sie auf eine Idee: eine Fake-Ehe. Und sie hat auch schon den perfekten Partner im Sinn: Camille Levesque, der Milliardär, der ihr seit einer folgenschweren Verwechslung nicht mehr aus dem Kopf geht. Der attraktive Playboy und Gründer einer Escort-App sorgt regelmäßig für Skandale in der Presse und braucht eine Ehefrau an seiner Seite, um seinen Ruf zu bereinigen. Die einzige Regel: keine Gefühle. Der Deal klingt perfekt, bis Nolia merkt, wie liebevoll Camille mit ihr und ihrer kleinen Tochter umgeht, und es für sie immer schwieriger wird, ihr Versprechen zu halten, sich nicht in ihn zu verlieben …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle
das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
»Ach, sieh mal an, wer mir hier über den Weg läuft«, spottete der Zufall.
»Vorsicht«, erwiderte das Schicksal, »es war uns vorherbestimmt.«
Anonym
Je serai là – Teri Moïse
FamilyLine – Conan Gray
What Was I Made For? – Billie Eilish
Hard to Love – BLACKPINK
Angel Baby – Troye Sivan
Let Me – Jade LeMac
All Of The Girls You Loved Before – Taylor Swift
Sucker – Jonas Brothers
Dandelions – Ruth B.
Sick of You – Suriel Hess
Love Me Like That – SAM KIM
Girls Like Sex – L Devine
Pretty isn’t pretty – Olivia Rodrigo
What it means to be a girl – EMELINE
It’s You – Ali Gatie
Marry You – Bruno Mars
Thinking Out Loud – Ed Sheeran
A Thousand Years – Christina Perri
Over and Over Again – Nathan Sykes
Lover – Taylor Swift
Secret – Louane
Forever Only – JAEHYUN
HEAVEN – Isabel LaRosa
Off My Face – Justin Bieber
Killing boys – Halsey
Let Me Love You – Ariana Grande
Amsterdam, April 2024
Ich sehe aus wie eine Nutte. Na ja, vielleicht wie eine Edelnutte, aber trotzdem.
Das denken sich zumindest die Gäste des AndazAmsterdamPrinsengracht-Hotels, als ich die Lobby betrete, kein Zweifel. Ich entnehme es ihren pikierten Blicken.
Habe ich mich zu sehr aufgetakelt? Mir kommen Zweifel an der Angemessenheit meines Outfits, und ich versuche vergeblich, das Kleid etwas tiefer über meine üppigen Schenkel zu zerren. Schließlich habe ich hier weder ein Date noch bin ich mit Freundinnen verabredet. Es ist ein geschäftlicher Termin.
Aber gerade deshalb habe ich das einzige Kleid von Chanel angezogen, das ich nicht verkauft hatte, als mir das Geld ausgegangen war, und das aus nostalgischen Gründen – na ja, eine Ausrede finde ich immer. Das kurze rosa-silbrige Polyesterdress hat einen quadratischen Ausschnitt, ist leicht geschlitzt und wird von funkelnden Knöpfen zusammengehalten. Schon schick, sitzt aber ein wenig knapp. Aber Übergrößen wird es bei Chanel wohl erst geben, wenn das Matriarchat ausgebrochen ist. Also nie.
Die Fahrt im Aufzug zur Dachterrassedes Hotels nutze ich für einen prüfenden Blick in den Spiegel.
Mein gebräunter Teint ist perfekt, wie ich mit Zufriedenheit feststelle. Ich verdanke ihn hauptsächlich den Hautpflegetipps von Maitreyi Ramakrishnan. Mein halblanges dunkles Haar, gehalten von einem schwarzen Samt-Haarreif, fällt in sanften Wellen über meine Schultern. Meine Ohren zieren Perlen, und meine armen Füße ächzen in Stilettos, die ich letztes Jahr in einem Secondhandladen aufgetrieben habe. Die könnte ich übrigens mal wegwerfen.
»Du schaffst das«, murmle ich als Mantra vor mich hin, während ich an meinem wenig zurückhaltenden BH herumnestele. Zeig ihnen, was du draufhast, Nolia Kumar.
Die französischen Kunden, die ich heute Abend hier treffen soll, David und Elena Hofman, möchten mich als Floristin für ihre Hochzeit engagieren. Ich darf mir keine Patzer erlauben.
Auf dem Dach angekommen, lese ich noch einmal die letzte Textnachricht der Braut.
Elena Hofman: Könnte sein, dass ich mich leicht verspäte. David ist ganz in Schwarz gekleidet. Er ist blond und supersmart, nicht zu übersehen
Eigentlich treffe ich mich nicht gern mit dem Bräutigam allein, aber wenn Elena bald dazustößt, kann ich ja mal eine Ausnahme machen.
Es ist so atemberaubend schön hier oben, dass ich im ersten Moment ganz vergesse, nach David Ausschau zu halten. Die Dachterrasse bietet einen herrlichen Ausblick über die anthrazitfarbenen Häuser mit ihrer einzigartigen Architektur. Gerade geht die Sonne über Amsterdam unter und taucht die kleine Terrasse in ein romantisches goldenes Licht.
Viel los ist nicht zu dieser Stunde. An einem Tisch plaudern zwei Frauen, weiter hinten auf einem der Sofas sitzt ein elegant gekleideter Mann. Das muss er sein.Der Unbekannte trägt eine schwarze Hose und ein ebensolches Hemd. Der oberste Kragenknopf ist offen, die Ärmel sind leicht hochgekrempelt, was den Blick auf gebräunte, geäderte Unterarme freigibt. Sein kurzes Haar hat die Farbe von nassem Sand, seine Wangen bedeckt eine Andeutung von Bart.
Ich bleibe stehen und spähe einige Sekunden in seine Richtung, etwas eingeschüchtert von dieser unwiderstehlichen Aura. Er ist in sein Smartphone vertieft und scheint die Welt um sich herum vergessen zu haben. Plötzlich bildet sich eine Falte auf seiner Stirn, er gibt einen unwilligen Laut von sich und schlägt abrupt die Beine übereinander. Was ihn wohl so nervt?
Ich trete auf ihn zu und begrüße ihn in meiner Muttersprache.
»Bonsoir.«
Meine französische Herkunft hatte ich bislang in Amsterdam nicht als Vorteil betrachtet, aber jetzt kommt sie mir sehr zugute.
Langsam hebt er den Blick in meine Richtung und lässt ihn über meine Silhouette streichen – so wie ein Künstler seinen Pinsel über eine leere Leinwand.
Er stutzt eine Sekunde. Vielleicht sind es auch drei. Es ist, als wäre die Zeit zwischen uns stehen geblieben, ohne dass mir klar wird, warum. Ich kann die Augen nicht von ihm losreißen. Schließlich räuspere ich mich.
»Entschuldigung, ich wollte eigentlich vor Ihnen da sein«, sage ich.
Sein Gesichtsausdruck wird wieder so frostig wie zuvor, und er erhebt sich. Er ist groß, sehr groß. Mit seinen breiten Schultern und dem schlanken Oberkörper wirkt er geradezu majestätisch.
Vor ein paar Jahren wäre ich beim Anblick eines solchen Mannes gleich dahingeschmolzen. Er ist sehr attraktiv, keine Frage, aber inzwischen habe ich viele schöne Männer kennengelernt und werde weiß Gott nicht mehr so schnell schwach.
»Ach, dann sind Sie also Nora?«, fragt er mit skeptischem Unterton.
Oh. Sein tiefes, sonores Timbre, das an den TikTok-Star Corpse Husband erinnert, verschlägt mir für einen Augenblick die Sprache. »Nolia«, korrigiere ich leicht gereizt. »Na ja, genau genommen Magnolia, aber außer meinen Eltern nennt mich kein Mensch so.«
Ich strecke ihm die Hand entgegen. Er mustert sie und zieht dabei eine Augenbraue hoch, die, wie mir erst jetzt auffällt, von einer feinen Narbe geteilt wird.
Nach kurzem Zögern umschließen seine Finger die meinen mit einem überraschend sanften Griff. Die Berührung dauert länger als nötig, und er schaut mir dabei so tief in die Augen, dass es kaum als unschuldig durchgehen kann.
Mist. Warum habe ich mich darauf eingelassen, diesen David allein zu treffen.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Nolia.«
Seine Zunge scheint meinen Vornamen zu umschmeicheln. Rasch löse ich mich aus seinem Griff, der mich verlegen macht. Ich muss professionell bleiben.
Ich setze mich ihm gegenüber in einen Korbsessel.
»Danke, dass Sie Zeit für mich haben«, sage ich mit einem höflichen Lächeln. »Um ehrlich zu sein, ich hatte befürchtet, dass Sie sich gar nicht mit mir treffen wollen. Ich bin nicht die … Qualifizierteste.«
David schaut mich halb verwundert, halb neugierig an. Er lässt sich Zeit mit einer Antwort.
»Es war nicht meine Idee«, gesteht er schlicht. »Ehrlich gesagt, ich habe mir tatsächlich überlegt, gar nicht zu kommen.«
Sein Mangel an Enthusiasmus überrascht mich nicht besonders. Von meiner Freundin Jasmine, der Hochzeitsplanerin, weiß ich, dass dem Bräutigam in der Regel nicht so viel an dem großen Tag liegt wie der Braut.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragt er mich und winkt dem Kellner zu, der hinter mir auftaucht. »Bitte einen Sazerac für mich«, bestellt er.
So, wie er es ausspricht, klingt es geradezu wie etwas Obszönes. Ich kann es mir nicht erklären, aber alles an ihm wirkt verführerisch und erotisch: seine langsamen Bewegungen, sein lasziver Blick, seine schmeichelhafte Stimme, sein ganzes Auftreten … Als ob er wüsste, dass seine Umgebung stets an seinen Lippen hängt und jede seiner Gesten gespannt verfolgt. Oder bin ich nur zu sehr auf Entzug?
Seine Augen mustern mich stumm, als wollte er mich herausfordern mitzumachen. Ich spüre eine leichte Gänsehaut auf den Armen, als ich mich an den Kellner wende: »Für mich einen Corpse Reviver, bitte.«
Der Kellner verschwindet und lässt uns allein zurück. Ich suche nach Worten, die das Eis brechen könnten, obwohl er mich so schamlos anstarrt.
»Verraten Sie mir, wie Sie auf mich gekommen sind?«, frage ich ihn. »Persönliche Empfehlung, soziale Medien oder meine Website?«
Mein neu eröffneter Blumenladen ist bislang kein großer Erfolg, um ehrlich zu sein. Meine Freundin und Kollegin Evi, die mit allen Wassern der sozialen Medien gewaschen ist, gibt sich größte Mühe, seinen Bekanntheitsgrad zu steigern, bislang jedoch ohne durchschlagenden Erfolg.
»Durch Ruby, eine Bekannte von mir«, antwortet er und runzelt schon wieder die Stirn. »Haben Sie eine Website?«
Ich nicke. Warum schaut er mich so zweifelnd an? Ich bin nicht gerade ein Computerfreak, aber ich finde, ich kann stolz auf das Ergebnis sein. Nach stundenlanger Bastelei habe ich inzwischen sogar einen Newsletter. Was würde ich ohne YouTube-Tutorials nur machen?
»Selbstverständlich. Werfen Sie gern mal einen Blick drauf, dann können Sie sich ein Bild von meinen Leistungen machen.«
»Ihre … Leistungen. Und was stellen Sie so auf diese Website?«
»Hauptsächlich Fotos und Videos. Das kommt gut an, vor allem bei den Jüngeren.«
Schon wieder legt er die Stirn in Falten. Ich werde nicht schlau daraus, ob er genervt oder einfach nur schüchtern ist. Eines ist sicher: Irgendwie ist er unschlüssig.
Der Kellner kommt mit unseren Cocktails und schiebt ihm die Rechnung zu. Er denkt offenbar, dass es sich um ein Date handelt. Ich schaue verstohlen auf meine Uhr und bete, dass Elena endlich auftaucht.
»Lassen Sie uns zur Sache kommen, wenn es Ihnen recht ist«, schlage ich vor und überkreuze meine Beine, auf die er sofort seine Blicke heftet. »Falls Sie mich engagieren, wann soll denn die Hochzeit sein?«
David kippt seinen Cognac hinunter und stößt hervor: »So bald wie möglich.«
»Was ist los, ist Ihnen die Polizei auf den Fersen?«
»Nein, schlimmer«, antwortet er, »die gesamte niederländische Presse … In drei Monaten wäre perfekt. Ende Juni?«
Eine Hochzeit in so kurzer Zeit organisieren? Der reine Wahnsinn! Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt schaffen kann, aber bleibt mir eine Wahl?
»Eine Hochzeit zur schönsten Zeit des Jahres!«, rufe ich aus, doch auch dieser Versuch, die Stimmung zu heben, scheitert am kalten und gleichgültigen Gesichtsausdruck meines Gegenübers.
Schön wie Adonis, das muss ich zugeben, aber garantiert ein ziemliches Arschloch. Die eigene Hochzeit löst nicht gerade Begeisterung bei ihm aus. Mir gefällt auch nicht, wie er mich, eine fremde Frau, als Verlobter anstarrt …
»Jetzt habe ich aber auch ein paar Fragen«, sagt er mit Neugier in der Stimme und beugt sich vor. »Warum haben Sie so ein Angebot angenommen?«
Er und seine Zukünftige sind die zahlungskräftigsten potenziellen Kunden, die mir seit der Eröffnung meines Ladens über den Weg gelaufen sind. Ich müsste verrückt sein, um mir diese Chance entgehen zu lassen.
»Nun, es ist ein charmantes Ange…«
»Blödsinn«, unterbricht er mich kopfschüttelnd. »Ich will die Wahrheit wissen. Ich bin kein Sensibelchen, also seien Sie ganz direkt.«
Ich beiße mir unschlüssig auf die Lippe. Ach, zum Teufel!
»Wegen des Geldes.« Er wollte die Wahrheit, na schön, da ist sie.
Im ersten Moment denke ich, dass er mir nun die Meinung geigt und mich dann feuert, aber er wirkt eher … überrascht. David lässt sich in das Sofa zurückfallen, um mich aus einigem Abstand in Augenschein zu nehmen. Sein maskuliner Körper zeigt sich in dieser lasziven Pose in seiner ganzen Pracht.
Ich gebe mir größte Mühe, ihn mir nicht nackt und verschwitzt vorzustellen. Meine Wangen beginnen zu brennen, so sehr schäme ich mich. Kommt es daher, dass ich seit zwei Jahren mit keinem Kerl geschlafen habe? Jetzt reiß dich aber mal zusammen, schimpft mein Gewissen.
»Sie denken also an eine Bezahlung?«
Ich lache auf, verblüfft von so viel Dreistigkeit. Denkt er etwa, ich arbeite umsonst für ihn?Der Typ hat doch Geld wie Heu! Das weiß ich aus zuverlässiger Quelle. Außerdem sieht man es ihm einfach an.
Ich gebe mir größte Mühe, aber ich schaffe es nicht, die boshafte Zwillingsschwester, die in meinem Herzen schlummert, zu unterdrücken. Sie meldet sich nicht oft, einfach weil ich der Meinung bin, dass es kein Problem gibt, das man nicht mit einem Lächeln aus der Welt schaffen kann – außer Sexismus, dem weltweiten Hunger und der Klimakatastrophe natürlich. Aber dieser David Hofman geht mir wirklich auf die Nerven. Er hat einen Denkzettel verdient.
»Ach, nicht doch, ich tue das aus reiner Nächstenliebe«, sage ich lachend und verschränke die Hände über den Knien. »Die Honorierung liegt ganz im Ermessen des Kunden. Manche spendieren ein Abendessen, andere einen Obstkorb … Fühlen Sie sich nicht unter Druck gesetzt.«
Wir schauen uns eine Weile herausfordernd in die Augen. Ich grinse ihn ungerührt an, während er die Augen zusammenkneift und offenbar zu verstehen versucht, was ich wirklich meine.
»Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sarkasmus die niedrigste Form von Humor ist?«
… aber die höchste Form der Intelligenz, heißt es weiter. »Allerdings. Das stammt von meinem Freund Oscar Wilde, ich nehme an, Sie kennen ihn auch?« Zum ersten Mal zeigt David Hofmans eiskalte Maske einen Riss und lässt fast ein Grinsen erkennen. »Nach meiner Überzeugung verdient jede Arbeit einen Lohn, also ja, ich möchte bezahlt werden.«
»Arbeit«, wiederholt er nachdenklich. »Sie tun das also nicht zum ersten Mal?«
Dieses Gespräch ist völlig sonderbar. Was denkt er von mir? Ich bin zwar erst dreiundzwanzig und habe wenig Erfahrung … aber ich bin gut, und ich lasse mich nicht über den Tisch ziehen.
»Natürlich nicht, ich bin Profi. Aber ich muss zugeben, dass es meine erste Hochzeit ist, also schon eine Herausforderung.«
»Verstehe. Also gut. Was wäre Ihr Preis?«
Lass es sein, ruft mir mein Stolz zu, aber dann nehme ich einen großen Schluck von meinem Cocktail, der mir fast die Kehle verbrennt und mich in Sekundenschnelle wieder in Kampfeslaune versetzt. Auf keinen Fall lasse ich einen so dicken Fisch von der Angel, und schon dreimal nicht, weil er sich so knausrig aufführt und sich noch dazu für unwiderstehlich hält!
Da sitzt der lebende Beweis vor mir, dass Männer verachtenswerte Wesen sind, so attraktiv sie auch sein mögen.
Ich gehe im Kopf Elenas E-Mail mit der Wunschliste durch, soweit ich sie mir merken konnte. Der Blumenbogen für das Standesamt, die Tischdekoration, Blumenschmuck für das Auto des Brautpaars, die Sträuße für Elena und die Brautjungfern, Kränze, Knopflochblumen, Blumenschmuck für die Kirchenbänke …
»Zwischen tausendfünfhundert und zweitausend Euro.«
David scheint nicht sonderlich beeindruckt, was mich ärgert.
»Mehr nicht? Für eine komplette Hochzeit mit allem Drum und Dran?«
Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt.
»Wenn ich mir einen Rat erlauben darf«, fügt er kühl hinzu und legt den Kopf zur Seite. »In Verhandlungen muss man immer mit einer unverschämten Forderung einsteigen, um das Gegenüber zu verunsichern.«
Ich dachte, zweitausend Euro wären ein guter Deal für mich … Macht er jetzt etwa einen Rückzieher, weil ich zu billig bin?
Mist. Ich brauche das Geld, unbedingt.
»Sie sind schön«, sagt er offen und dreht das Glas in seiner Hand. »Sehr schön sogar. Allein das ist mindestens zehntausend Euro wert. Für mehr bräuchte ich allerdings ein paar Referenzen darüber, was Sie so draufhaben.«
Ich blinzle verwirrt. Bilde ich mir das jetzt ein, oder ist das plumpe Anmache? Was hat mein Aussehen mit dem Job zu tun? Der Kerl heiratet demnächst!
Männer sind einfach Schweine.
»Na schön«, erkläre ich mit einem süffisanten Lächeln, mit dem ich ihn zu verunsichern hoffe. »Sagen wir siebzigtausend.«
Ich dachte schon, ich hätte ihn mit meiner Dreistigkeit verprellt, aber der Schnösel zuckt mit keiner Wimper. Wahrscheinlich Kleingeld für diesen …
»Vierzig.«
»Sechzig«, halte ich dagegen, beinahe zitternd vor Wut.
David scheint zu überlegen, dann sagt er: »Was genau bekomme ich dafür? Warum soll ich gerade Sie nehmen und keine andere?«
»Ich bin flexibel, perfektionistisch und kann gut zuhören. Ich werde mich Tag und Nacht bemühen, all Ihre Wünsche zu erfüllen, damit Sie Ihre Traumhochzeit bekommen.«
Er stutzt kurz, offenbar habe ich ihn nun doch ein wenig aus dem Konzept gebracht. Anscheinend wollte er etwas anderes hören, denn nun spitzt er die Lippen und flüstert: »So viel verlange ich gar nicht.«
Der Typ hat eine Macke, er weiß wirklich nicht, was er will. Ich male mir unwillkürlich aus, wie es wäre, ihm meinen Cocktailspieß ins Auge zu rammen. Das holt mich ein wenig runter.
»Fünfzig«, sagt er dann bestimmt. »Mein letztes Wort.«
Ich kneife misstrauisch die Augen zusammen. Bisher hielt ich die Sache für einen Scherz, aber er scheint es ernst zu meinen. Fünfzigtausend Euro für meine Dienste? Für mich, Magnolia Kumar, eine Floristin, über die er nichts weiß?
Der Typ hat nicht alle Tassen im Schrank.
»Fünfzig«, antworte ich und strecke ihm die Hand entgegen.
David stellt sein Glas ab, um sie zu ergreifen. Auch jetzt lächelt er nicht, aber in seinem Blick liegt eine Leidenschaft, die mir den Atem raubt. »Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?« Seine angenehm warme Hand hat meine immer noch nicht losgelassen. Bevor ich auch nur antworten kann, beugt er sich zu mir hinüber und flüstert mir ins Ohr: »Ich wäre bis hundert gegangen.«
Ich spüre seinen alkoholisierten Atem an meinem Hals und erstarre. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, und ich befreie mit Mühe meine Hand.
Ich denke an Evi, in deren Obhut ich meine anderthalbjährige Tochter gegeben habe, und überlege, was sie wohl zu meinem heutigen Erlebnis sagen wird. Wahrscheinlich wird sie mich fragen, warum ich diesem arroganten Kerl keine Ohrfeige verpasst habe, und sich dann darüber freuen, dass er so viel zahlen will.
Er macht ungerührt weiter, ohne zu ahnen, welche Verwünschungen ich ihm innerlich entgegenschleudere: »Erzählen Sie mir mehr von sich. Sie haben mir gesagt, was Sie für mich tun können, aber was kann ich für Sie tun? Es ist schließlich ein Geschäft auf Gegenseitigkeit.«
Langsam wird es mir zu viel.
»Soll das ein Witz sein? Sind wir hier bei Versteckte Kamera? Oder ist das ein YouTube-Prank?« Ich sage es in eiskaltem Tonfall, der unmöglich zu überhören ist.
David zieht die Augenbrauen hoch, und ich hasse es, wie verführerisch er ist. Auf den ersten Blick wirkt dieser Mann wie ein Disney-Prinz, aber die Flamme, die in seinen Augen tanzt, ist mehr als gefährlich. Wenn ich nicht aufpasse, fange ich noch Feuer.
Er ist nicht der Held, eher dessen Gegenspieler. Der Schurke, den alle nur deshalb so leidenschaftlich hassen, weil er sexy ist und eine verdammt schwere Kindheit hatte.
Seine Augen wandern zu meinem Mund, der vor lauter Schreck über die eigene Kühnheit ganz trocken geworden ist. Ich wünsche mir sehnlich, dass er den Blick abwendet, aber das passiert natürlich nicht. Meine krampfhaft zusammengepressten Hände zittern auf meinen nackten Schenkeln.
David beugt sich erneut vor, und ich wende mich ab.
»Ihr Mund, wenn ich mir das erlauben darf …«
Ich gebe ihm nicht die Zeit, den Satz zu beenden, und schütte ihm meinen Corpse ReviverinsGesicht. Er rührt sich nicht, hält die Augen geschlossen, während der Zitronensaft langsam aus seinem blonden Haar rinnt.
»Sie haben da etwas an den Zähnen«, spricht er den Satz leise zu Ende.
Wie bitte? Die gesamte Wut, die sich in mir aufgestaut hat, ist verflogen. Ich reiße verlegen die Augen auf und fahre mit der Zunge über meine Schneidezähne. Tatsächlich, ich schmecke Lippenstift.
Oh.
Scheiße.
Hat er deshalb so auf meinen Mund gestarrt? Und ich dachte, er will mich schon wieder anmachen … Ich blöde Kuh!
Ich möchte im Erdboden versinken vor Scham. Da höre ich eine weibliche Stimme auf Englisch sagen: »Was ist denn hier los?«
Ich wende mich in dem Glauben um, dass Elena endlich gekommen ist, aber vor mir steht eine große Blondine mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Äh … Wer ist das denn?«, fragt sie.
»Anscheinend liegt hier ein Missverständnis vor«, sagt der Mann, dem ich gerade den Inhalt meines Glases ins Gesicht geschüttet habe, in der Sprache Shakespeares.
Er tupft sich mit einer Serviette die Lider ab und fragt in Richtung Blondine, ohne sie eines Blickes zu würdigen: »Dann sind Sie Nora, nicht wahr? Die Frau, mit der ich eigentlich hier verabredet bin?«
Das kann doch nicht wahr sein. Heißt das etwa, dass …?
»Ja, sorry, ich bin ein wenig zu spät.«
Scheiße. Ich habe mich geirrt. Dieser Mann ist gar nicht David, sondern irgendein Fremder. Und er hat auf eine ganz andere Frau gewartet.
Die Puzzleteile fügen sich rasch zusammen, und ich spüre, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht. Ich schaue entsetzt an meinem Outfit hinab, aus dem meine großen Brüste herauszufallen scheinen, und würde am liebsten auf der Stelle sterben.
Oh, mein Gott. Er hat mich für eine Nutte gehalten.
»Ich … Es tut mir leid, ich dachte, dass … Verzeihung!«
Ich greife nach meiner Handtasche und stehe so hastig auf, dass ich beinahe den Sessel umwerfe. Ohne eine Antwort abzuwarten, stürme ich mit weichen Knien zum Aufzug.
»Nolia, warten Sie!«
Auf keinen Fall! Hektisch drücke ich auf den Knöpfen herum und halte krampfhaft den Kopf gesenkt, um dem Fremden, der mir gefolgt ist, nicht in die Augen blicken zu müssen. Ich habe Angst, dass er mich doch noch erwischt, aber das Glück ist auf meiner Seite.
Ich hebe den Kopf erst wieder, als ich im Fahrstuhl stehe. Unsere Blicke begegnen sich für einen Augenblick durch den Spalt der sich schließenden Tür.
Amsterdam, April 2024
Sie hat mich im Visier. Ich sehe es in den azurblauen Augen der Journalistin, die mir gegenübersitzt, die Finger über ihrer Computertastatur schwebend, bereit, sich auf mich zu stürzen. Sie will mich am Boden sehen.
»Du musst Werbung für diese App machen, komme, was da wolle«, hämmert mir Ruby, meine Pressesprecherin, ständig ein. Und dazu: »Nun lächle mal ein bisschen, verflixt noch mal!« – »Nein, nicht so …« – »Spiel doch mal den netten Kerl, okay?« – »Wenn ich noch einmal ein Schwanzfoto von dir aus dem Internet löschen muss, kündige ich!«
Bla, bla, bla.
Ich muss mich unbedingt ins Zeug legen.
»Camille Levesque, neunundzwanzig Jahre alt, geboren in Frankreich, derzeit wohnhaft in Amsterdam«, fasst Julia Evans zusammen, ohne einen Blick auf ihre Notizen zu werfen. »Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen. Wunderkind, Studienabschluss als Jahrgangsbester, Blitzkarriere als Leiter der Google-Technologieabteilung. Korrekt?«
»So weit ja«, bestätige ich mit gelangweiltem Blick. »Gut gemacht, Wikipedia.«
Wäre Ruby hier, müsste ich mir jetzt anhören: »Genau wegen so was mag dich niemand. Versuch doch einfach mal, dich nicht wie ein Arschloch zu benehmen.«
»Aber das macht am meisten Spaß«, antworte ich darauf für gewöhnlich.
Ich bin mir bewusst, dass mich niemand ausstehen kann, aber was sollte mir das ausmachen? Ich bin nicht auf der Welt, um neue Freunde zu finden. Ich habe bereits zwei, das erscheint mir völlig ausreichend.
»Anschließend haben Sie Projekte geleitet, die das Potenzial hatten, den ganzen Markt umzukrempeln«, fährt die Journalistin fort, ohne auf meinen Kommentar zu reagieren. »Aber Sie haben gekündigt, bevor diese realisiert wurden, und eine eigene Liefer-App für Lebensmittel entwickelt, SpeedFood. Ein Riesenerfolg, der Sie in kürzester Zeit zu einem der jüngsten Milliardäre der Welt gemacht hat. Die Marktkapitalisierung des Unternehmens betrug zum Zeitpunkt des Börsengangs mehr als zwei Milliarden Euro, das war im Jahr …«
»Entschuldigung«, unterbreche ich sie höflich, die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet. »Wird die nächste Stunde mit dem Abspulen meiner Berufslaufbahn vergehen, oder kommen irgendwann auch noch Fragen?«
Julia kneift verärgert die Lippen zusammen. Ich weiß jetzt schon, dass ihr Artikel nicht schmeichelhaft ausfallen wird, ich habe mich über sie informiert. Sie ist eine feministische Journalistin, hat in Utrecht studiert und engagiert sich in verschiedenen Organisationen gegen Prostitution. So einer wie ich ist ihr natürliches Feindbild.
»Sie haben recht, kommen wir zum eigentlichen Thema, vor Kurzem haben Sie CharmMate herausgebracht, eine Escort-App. Auf dieser Plattform können Nutzer und Nutzerinnen Profile erstellen, Fotos posten, ihre Dienstleistungen vorstellen und ihre Preise angeben. Sie werden sogar in Kategorien eingeteilt, um es den Kunden und Kundinnen leichter zu machen, das Gewünschte zu finden: Date unter Kumpels,Fake Date, One-Night-Stand und so weiter und so fort.«
Ich nicke, ohne ihren Redeschwall zu unterbrechen. Ich bin nicht der Erste, der so etwas versucht, trotzdem hat sich ein ziemlicher Medienrummel entwickelt. Die Meinungen sind gespalten. Während einige die Idee begrüßen, die Verteufelung von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen zu beenden, werfen mir andere vor, diese Art Tätigkeit zu bagatellisieren und für junge Menschen unter dem falschen Versprechen schnellen Geldes attraktiv zu machen.
Beide Seiten haben gute Argumente. Das vereinfacht nicht gerade die Debatte.
»Mein Artikel konzentriert sich auf Folgendes: Ist die Dienstleistung, die Sie anbieten, Teil einer positiven Entwicklung von Sexarbeit oder fördert sie bezahlte Vergewaltigung?«, fragt Julia todernst. »Über achtzig Prozent der Prostituierten sind weiblich, Frauen sind also besonders von der Einführung von CharmMate betroffen. Daher meine erste Frage, Herr Levesque: Sind Sie Feminist?«
Wenigstens verschwendet sie keine Zeit und setzt mir gleich das Messer an die Kehle. Ich wusste, was ich mit dieser App riskiere, alle haben mir geraten, die Finger davon zu lassen, aber ich wollte es durchziehen. So bin ich eben.
»In der Tat halte ich mich trotz meines privilegierten Status als Mann für einen Feministen. Wie steht’s da mit Ihnen, Frau Evans?«
»Ich dachte, ich führe hier das Interview, nicht Sie.«
»Und ich dachte, wir wollten uns in einer ernsthaften Diskussion über ein komplexes Thema versuchen. Bisher habe ich eher das Gefühl, ich soll auf die Anklagebank gesetzt werden.«
Julia lässt sich einige Sekunden Zeit mit der Antwort, beantwortet die Frage dann aber mit Ja. Ich erkundige mich, was das für sie heißt, denn schließlich gibt es sehr verschiedene Formen von Feminismus, manche sind ruhig und diskret, andere laut und extrem. Einige betrachten es als Rückschritt, wenn Frauen ihren Körper für die Befriedigung männlicher Lust verkaufen, für andere ist es eine Art Rache oder ein Zeichen der Kontrolle über die eigene Sexualität.
»Gleichberechtigung der Geschlechter«, antwortet sie, ohne meinem Blick auszuweichen. »In allen Bereichen.«
»In diesem Punkt sind wir uns also einig. Aber was bedeutet das dann für den Grundsatz Mein Körper gehört mir?«
Sie lacht verdutzt auf. »Sie wollen sich wirklich einen Slogan zu eigen machen, der für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch steht?«
»Warum nicht? Es ist dasselbe Prinzip: Niemand sollte darüber urteilen, was jemand mit seinem eigenen Körper tut. Er gehört jedem persönlich, soviel ich weiß.«
»Genau hier liegt das Problem: Können wir davon ausgehen, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter wirklich eine Wahl haben? Wir wissen, dass für viele der Einstieg in diese Branche die letzte Möglichkeit darstellt, ihr Überleben zu sichern.«
Ich verkneife mir den Hinweis, dass achtzig Prozent der CharmMate-Nutzer aus der Mittelschicht und gut situierten Kreisen stammen. Sie benötigen diese App eindeutig nicht für ihr Überleben, und selbst wenn: Wer könnte es sich anmaßen, sie deswegen zu verurteilen? Warum sollte man sie daran hindern, etwas zu tun, um ihren Kühlschrank zu füllen?
Zorn steigt in mir auf, doch ich beherrsche mich. Ich muss professionell bleiben und darf mich nicht von meinen Emotionen hinreißen lassen.
Auch wenn ich es ihr nicht erklären werde, ich weiß, warum ich das mache.
»Ich habe mir Ihre App angeschaut. Sie behaupten, sie sorge für mehr Sicherheit«, sagt Evans. »Worauf beruht dieses Versprechen eigentlich?«
»Das ist richtig, mein Ziel ist es, Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern einen sicheren Ort zubieten. Zu diesem Zweck werden sämtliche CharmMate-Profile – der Anbietenden wie der Suchenden gleichermaßen – sorgfältig geprüft. Sie sind nicht nur alle volljährig und in der Lage, aus freien Stücken Entscheidungen zu treffen, sondern auch mental stabil, wie ein psychologischer Vorabtest belegt.«
»Sie verlagern also die Prostitution vom Straßenstrich in die sozialen Netzwerke. Glauben Sie nicht, dass Sie damit den Zugang zu Praktiken erleichtern, die – selbst in den Niederlanden, einem der wenigen europäischen Länder, die sich für eine Legalisierung entschieden haben – noch marginal vorhanden sind? Sie verleihen ihnen sogar eine glamouröse Aura, indem einige auf TikTok für diesen Beruf werben und mit sagenhaften Geldversprechungen Träume verkaufen, ohne jemals über die Risiken und Folgen zu sprechen …«
Ich runzle verwirrt die Stirn. Die ist wohl gerade aus ihrem hundertjährigen Dornröschenschlaf erwacht?
Mir wird auf einen Schlag klar, dass ich hier auf verlorenem Posten kämpfe. Julia Evans wird nicht von ihrer Position abweichen. Sie hat sich längst ein unverrückbares Bild von mir und meiner Arbeit gemacht. Ich bin für sie der Bösewicht, so wie für die gesamte Weltpresse. Sie denkt vielleicht, das würde mir etwas ausmachen … Sie weiß eben nicht, dass meine Kindheit von Figuren wie Loki und Cruella De Vil geprägt wurde – all den unverstandenen Schurkinnen und Bösewichtern, die mich schon immer angezogen haben.
Sollen sie mich doch hassen, wenn es ihr Gewissen beruhigt.
»Es mag Sie vielleicht überraschen: Ich bin nicht derjenige, der die Prostitution in die sozialen Netzwerke bringt«, argumentiere ich ganz ruhig. »Die war im Internet schon immer zu finden. Sie müssen nur mal fünf Minuten auf Twitter verbringen, um das zu merken.«
Julia wirft mir einen vernichtenden Blick zu, aber ich lasse mich nicht aus der Reserve locken. Warumkannsienichtbegreifen,dassichebendiesesÜbelanprangere?Illegale Prostitution über Apps wie Twitter und Instagram, zugänglich für jedermann.
»Meine App bietet Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern Sicherheit, eine Sicherheit, die sie sonst in den sozialen Netzwerken und anderswo nicht finden. Hier sind sie vor Missbrauch und gefährlichen Personen viel besser geschützt. Kurz gesagt, CharmMate lässt keine Klientel mit zweifelhaftem Verhalten zu – und natürlich auch keine Minderjährigen. Bei Ihren Recherchen sollten Sie auch darauf gestoßen sein, dass jede fünfte Person, die sich prostituiert, damit schon vor ihrer Volljährigkeit begonnen hat …«
»Verstehe. Und wie sieht es mit der Datensicherheit aus?«
»Ganz einfach: Die Namen, Mailadressen und Telefonnummern der Nutzerinnen und Nutzer werden niemals weitergegeben. Sämtlicher Datenverkehr ist verschlüsselt. Alle müssen natürlich eine Vertraulichkeitserklärung unterschreiben.«
Julia blinzelt zweifelnd. Aber ich habe die App selbst getestet, und einige Nutzer gehören zu meinem engsten Freundeskreis … Über die Sicherheit der Daten muss ich mir keine Vorhaltungen machen lassen.
»Na schön«, sagt Julia und wirft einen Blick auf ihre Fragenliste. »Kommen wir zum eigentlichen Thema zurück, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Viele werfen Ihrer Plattform vor, dass sie massive Werbung für Prostitution betreibt. Wir haben das Thema schon angesprochen, vielleicht können Sie Ihre Haltung dazu noch einmal ausführlicher erläutern?«
»Es gibt immer noch viele Vorurteile gegenüber Sexarbeit. Viele denken dabei an eine schmutzige und zwielichtige Welt, aber die Zeiten haben sich geändert. Praktisch alle Escorts, die auf unserer Plattform registriert sind, erwähnen in ihrem Porträt, dass sie selbstbestimmt ihre Sexualität ausleben wollen. Ich sehe nicht, warum man das kritisieren sollte, ganz im Gegenteil …« Stirnrunzelnd tippt Julia meine Antwort in ihren Computer. Um ihr keine Gelegenheit zu geben, mich zu unterbrechen, fahre ich rasch fort: »Wie Sie wissen, gehört es zu den elementaren Freiheiten, nach Belieben über seinen eigenen Körper verfügen zu können. Mein Körper gehört mir, und ich kann mit ihm machen, was ich will. Er ist nicht Eigentum der Gesellschaft. Wenn ich ihn gegen Bezahlung für sexuelle Dienstleistungen nutzen möchte, ist das mein Recht. Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Kein Geringerer als John Locke hat schließlich gesagt, dass jeder Mensch Herr und Eigentümer seiner Person ist, und dazu gehört auch seine Arbeit. Ich bin kein Körper. Ich habe einen Körper.Niemand hat das Recht, mir zu sagen, was ich damit tun soll.«
»Interessant. Sie betrachten Ihre App also quasi als Symbol einer feministischen Strömung?«
Eine schwierige Frage. Ich bin ein heterosexueller weißer Mann und möchte mich nicht als Retter eines gesellschaftlichen Anliegens aufspielen, das mich gar nicht betrifft. Andererseits möchte ich aber auch keinem Kampf ausweichen, den ich dank der Privilegien, die mein Status mit sich bringt, vorantreiben kann.
»Ich bin für ein positives Verhältnis zur Sexualität«, antworte ich schließlich und lehne mich im Ledersessel zurück. »Ich weiß, was für ein Ruf mir anhaftet, Frau Evans. Ich erspare es mir, dagegen zu argumentieren, das hat keinen Sinn. Ob ich Sex mag? Ja. Ob ich mich dafür schäme? Nein.«
Das hat mittlerweile jeder verstanden. Ich bin für meine Rolle in der Sexindustrie bekannt, vor allem durch meine Stripclubs und Luxushotels, und jetzt kommt noch die Escort-App dazu … Mein ausschweifendes Privatleben ist daneben noch mal eine ganz andere Geschichte.
Julia räuspert sich und wirft ein: »Da Sie gerade von Ihrem Ruf sprechen – vor Kurzem gab es viel Aufregung um ein heimlich aufgenommenes Sexvideo von Ihnen. War das vielleicht nur ein Publicity Stunt?«
Ich zucke unwillkürlich zusammen, was ihr auch nicht entgeht, denn sie weicht meinem Blick verlegen aus. Dabei habe ich doch Ruby gesagt, sie solle ihr einschärfen: keine indiskreten Fragen.
»Was haben Sie dazu zu sagen?«, drängt sie.
Ich zucke mit den Schultern und gebe mich gleichgültig. Es ist nicht das erste Mal, dass so ein Video von mir kursiert, nur dass diesmal das Timing besonders ungünstig ist.
Mein Image war noch nie so schlecht wie heute: Ich gelte als neureicher, total arroganter Playboy, der sich an Callgirls und Callboys bereichert.
Ich habe viel Geld in dieses Unternehmen investiert, weil es mir sehr am Herzen liegt, aber ich muss zugeben, das Ergebnis bleibt bislang hinter meinen Erwartungen zurück. Und zwar aus einem einfachen Grund: Ich werde von allen Seiten boykottiert. Es sind sogar Sponsoren abgesprungen, deren Unterstützung ich für absolut sicher hielt. Kurz gesagt, ich muss den Kurs korrigieren.
»Absolut nichts«, erwidere ich scharf und zeige mein Raubtierlächeln. »Gut, vielleicht können wir zum Ende kommen …«
Sie sackt leicht in sich zusammen und packt ihren Laptop weg.
Das wäre erledigt.
Ich stehe auf, um sie aus meinem Büro zu geleiten, nicht ohne eine gewisse Distanz zwischen uns zu wahren. Ich weiß schon jetzt, dass ich ihren Artikel nicht lesen werde.
»Danke für Ihre Zeit«, sagt sie zum Abschied.
Ich blicke ihr nach, bis sie um eine Ecke verschwindet, froh, es hinter mir zu haben. Jetzt habe ich nur noch einen Wunsch: nach Hause zu gehen, meine Katze zu füttern und früh im Bett zu liegen. Andererseits missfällt mir die Vorstellung, den Abend allein zu verbringen.
»Und?«, will Ruby wissen, als sie eine Stunde später in mein Büro kommt. »Wie ist es gelaufen?«
Ihre blonden Locken lässt sie heute offen über ihre Schultern fallen. Ich mache ihr ein Kompliment, für das ich einen Mittelfinger bekomme. Das ist eben ihr wahres Gesicht.
Ich weiß ja, dass Ruby mich im Grunde ihres Herzens sehr mag. Vor ein paar Jahren, als ich meine erste App startete, hatten wir eine flüchtige Affäre. Sie beruhte rein auf sexueller Anziehung, zumindest am Anfang. Schließlich entwickelte sich doch eine Freundschaft zwischen uns, und als ich ihr einen Job anbot, der dreimal besser bezahlt war als ihrer, nahm sie unter der Bedingung an, unser heißes Techtelmechtel einzustellen.
Ich willigte natürlich ein.
Heute ist Ruby meine treueste Verbündete, auch wenn ich ihr das Leben schwer mache.
»Bitte sag mir nicht, dass du mit ihr geschlafen hast«, fleht sie mich an, die Hände wie zum Gebet vor der Brust gefaltet.
»Was, hast du denn nichts gehört? Wir haben’s genau dort getrieben, wo du jetzt sitzt, in diesem Sessel.«
Meine sarkastische Antwort entlockt ihr nur ein Seufzen. Offenbar hält sie mich wirklich für ein Tier, das sich nicht beherrschen kann.
»Es ist also nicht gut gelaufen, oder? Wir sind schon das Gespött der ganzen Welt, Cam. Ich meine, vor allem du.«
»Was soll ich denn tun?«
»Zum Beispiel nicht sämtliche Blind Dates,die ich für dich arrangiere, vergraulen … Das wäre schon mal ein Anfang.«
Ich verdrehe die Augen. Schon seit Monaten, gefühlt Jahren, nervt sie mich mit ihren Medienstrategien. Ich soll heiraten, um die Presse zu besänftigen, das Bild des liebevollen, besonnenen und treuen Ehemanns vermitteln.
Als ob ich so was könnte.
Wochenlang hat sie mir an jedem Montagmorgen in der Kaffeepause gnadenlos eine arrangierte Ehe schmackhaft zu machen versucht. Ergebnis: Ich trinke keinen Kaffee mehr.
»Guck dir doch mal die Mädchen an, mit denen du diese Dates für mich organisierst … Dir geht’s offenbar hauptsächlich darum, mich zu bestrafen.«
Ruby hasst mich jeden Tag ein bisschen mehr, aber das macht nichts. Ich verspüre nicht die geringste Lust, jemanden in mein Leben zu lassen, schon gar nicht, wenn mich diese Person maßlos nervt. Leider tun das die meisten Menschen.
»Hast du eine Ahnung, was ich alles unternehme, um eine brauchbare Ehefrau für dich aufzutreiben? Und du gibst dir kein bisschen Mühe!«
»Niemand hat dich darum gebeten. Ich habe nicht die geringste Absicht zu heiraten, das weißt du genau.«
Als Nolia in ihrem eng anliegenden rosafarbenen Kleid vor mir stand, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen. Seidige Haut und funkelnde Augen. Hüften, für die man seine Seele verkaufen würde, samtene Schenkel, enthüllt durch einen Schlitz, und dazu noch ein Wahnsinnsbusen …
Nur leider war das Ganze ein Missverständnis. Sie entschwand wie Aschenputtel und hinterließ nichts als Blumenduft und eine Spur von Lippenstift an ihrem Glas.
»Niemals?«, beharrt Ruby.
»Ich glaube nicht an die Ehe. Schon meine Mutter hat mich immer vor den Gefahren der Liebe und der ›Lasterhaftigkeit der weiblichen Natur‹ gewarnt.«
Tatsächlich waren das die Worte meiner Mutter.
»Dabei sollten sich doch wohl eher die Frauen vor dir in Acht nehmen, wenn man bedenkt, was dir so alles anhängt: Bastard, Playboy, Zuhälter …«
Das stimmt. Wahrscheinlich hat es mich deshalb auch nicht besonders schockiert, als ich Nolia von Bezahlung sprechen hörte.
Welche Frau würde sich für alle Ewigkeit an mich binden, wenn ich sie für diese Farce nicht bezahlte?
»Ich mache Feierabend«, sage ich zu Ruby und packe meine Sachen zusammen. »Mein Flieger geht morgen sehr früh.«
»Wohin geht’s denn?«
»Nach ›Geht dich nichts an‹ in Nimmerland. Peter Pan und Wendy begleiten mich.«
»Ja, ja, Rohan und Tyrell, die einzigen beiden Menschen außer mir, die dich länger als fünf Minuten ertragen können.«
»Du bist doch nur neidisch, weil ich nicht dich gefragt habe, ob du mich begleitest«, sage ich mit einem amüsierten Lächeln, bevor ich aus dem Zeichentrickfilm Peter Pan zitiere: »Oooh, arme Nana …«
Ruby wischt sich nicht vorhandene Tränen mithilfe ihres Mittelfingers weg.
»Ich warne dich, lass die Finger vom Feenstaub! Den prügle ich dir wieder raus.«
Überflüssig, ihr zu versichern, dass ich noch nie in meinem Leben Drogen genommen habe, denn das weiß sie schon. Ich verspreche es trotzdem.
Sie richtet drohend den Zeigefinger auf meine Brust. »Übrigens: Vielleicht kannst du deinen Hintern mal eine Weile aus der Öffentlichkeit raushalten, ja? Jeder weiß jetzt, wie er aussieht. Noch so ein Skandal, und ich kriege ein Magengeschwür.«
Es ist immer die gleiche Predigt von Ruby: »Lass ihn einfach mal in der Hose« – »Sauf nicht so viel!«
»Hör schon auf. Alle wissen, dass ich kein Heiliger bin«, bemerke ich gleichgültig im Weggehen. »Enttäuschen kann ich eh niemanden mehr und überraschen auch nicht.«
Paris, April 2024
»Das Schicksal ereilt uns oft auf den Wegen, die wir eingeschlagen haben, um ihm zu entgehen«, so Jean de La Fontaine. Mich hat dieser Gedanke immer schon frustriert. Wenn das so ist, geht es uns wie den griechischen Helden, die sich vergeblich dem zu entziehen versuchten, was die Götter für sie bestimmt hatten. Was auch immer sie taten, der Ausgang der Geschichte stand schon fest. Weder sie noch sonst jemand konnte etwas daran ändern. Aber alles in mir sträubt sich dagegen, so etwas zu glauben.
Und nun das: Nachdem ich mich so sehr bemüht habe, mich den unrealistischen Erwartungen zu entziehen, die meine Eltern an mich stellten, muss ich vor ihnen zu Kreuze kriechen.
Bevor ich sie nach langer Zeit wieder treffe, greife ich zum Telefon und tausche mich mit meiner Freundin Evi aus, die mir des Öfteren auch als Babysitterin aushilft.
Nolia: Alles in Ordnung? Macht Nazeena ihr Mittagsschläfchen?
Evi: Alles okay. Deine Tochter ist brav wie ein Lämmchen. Da bekomme ich fast selbst Lust auf ein Kind.
Nolia: Wow! Wirklich?
Evi: Das Schlüsselwort hier ist »fast«, Nolia. Fang nicht an zu spinnen!
Nolia: Es ist das schönste Geschenk des Lebens, sage ich dir …
Evi: Klar doch … Wer widersteht einem Wesen, das einen ankotzt, anrülpst und anpinkelt? Du versuchst halt, dir das selbst einzureden, gib es zu.
Ich lächle gequält. Sicherlich ist mein Töchterchen während meines kurzen Heimatbesuchs bei Evi in besten Händen, aber die Trennung schmerzt mich doch. Was, wenn ihr etwas zustößt, während ich unterwegs bin? Der Zug braucht ganz schön lange für die Strecke von Paris nach Amsterdam …
Besser gar nicht an so was denken.
Doch da bin ich schon an der Metrostation Hôtel de Ville im Marais angekommen und verstaue mein Smartphone in der Handtasche. Ich bin wie üblich zu spät. Meine Mutter hasst das. Unpünktlichkeit rangiert ganz oben in der Liste von Fehlern, die sie mir gern vorhält.
Der April ist dieses Jahr ungewöhnlich warm. Zum Glück habe ich heute Morgen ein lilafarbenes Kleid mit Spaghettiträgern angezogen. Das von Chanel habe ich nach der Geschichte von neulich erst mal auf unbestimmte Zeit weggepackt.
Es ist anderthalb Jahre her, dass ich meine Eltern zuletzt gesehen habe. Das war zwei Tage nach der Geburt von Nazeena, als ich ihnen mitteilte, ich würde meine Tochter behalten und allein großziehen, auch mit nur zweiundzwanzig Jahren.
Ich werde nie den traurigen Blick meines Vaters vergessen, als er meiner Mutter aus dem Zimmer folgte … Sie haben mich seitdem kein einziges Mal angerufen. Ich war ihnen zu peinlich, da haben sie einfach den Kontakt abgebrochen, weil ich ihnen in ihren Augen Schande bereitet hatte. »So haben wir dich nicht erzogen«, war ihr Fazit.
Ich, Magnolia Laïli Kumar, bis dahin die brave Tochter schlechthin, habe das makellose Image meiner Familie befleckt. Aber ich habe meine Entscheidung keinen Augenblick bereut.
Mit der Zeit fand ich mich damit ab, dass von ihnen keine Unterstützung zu erwarten ist. Irgendwie schlug ich mich durch, auch wenn ständig Ebbe in der Kasse war. Schließlich zog ich nach Amsterdam, wo ich zusammen mit Evi den Blumenladen Chez Nazolia eröffnet habe.
Ich war entschlossen, es allen zu zeigen, unabhängig zu sein, meiner Tochter ein anständiges Leben zu bieten …
Doch heute muss ich den Tatsachen ins Auge sehen: Ich bin kläglich gescheitert.
Ich bin bis über beide Ohren verschuldet. Im Moment weiß ich nicht einmal, woher ich das Geld für die nächste Miete nehmen soll. Das ist der Grund, warum ich nun mit schweißnasser Stirn dieses Restaurant betrete, eine Filiale von Eataly.
»Ich habe eine Reservierung auf den Namen Kumar«, erkläre ich einem der Kellner.
»Wenn Sie mir bitte folgen möchten.«
Ich hole tief Luft, um mein Herzklopfen in den Griff zu bekommen, aber ohne Erfolg, und vergewissere mich, dass mein braunes Haar ordentlich gekämmt ist. Meine Mutter hasst es, wenn sich mein Haar kräuselt, was bei hoher Luftfeuchtigkeit schnell passiert.
Schon erblicke ich sie in der Tiefe des Restaurants neben meinem Vater, und ich fühle einen Kloß im Hals. Sie haben sich kein bisschen verändert. Ich hingegen …
»Hallo!«
Der Kellner verschwindet, und die beiden heben überrascht ihre Köpfe in meine Richtung. Unwillkürlich muss ich lächeln, obwohl ich doch eigentlich allen Grund habe, sauer auf sie zu sein, schließlich haben sie mich im schwersten Moment meines Lebens im Stich gelassen. Ich war allein, verloren, verletzt … und sie überließen mich meinem Schicksal, um mich zu bestrafen. Trotzdem freue ich mich nun, sie wiederzusehen.
»Entschuldigt die Verspätung, es gab Probleme auf der Linie 1 … Paris hat mir wirklich nicht gefehlt!«
Ich erspare es ihnen, von dem verschwitzten Typen zu erzählen, der wie in Folie gewickelte Hähnchenschnitzel aus einer kaputten Kühltheke roch und mir während der ganzen Fahrt auf die Pelle rückte.
Ich nehme ihnen gegenüber Platz.
Betretenes Schweigen.
Meine Augen suchen automatisch die meines Vaters. Wir hatten immer eine ganz besondere Beziehung. Unmöglich zu sagen, wie oft ich ihm bei der Gartenarbeit zugesehen habe, wenn er mit bloßen Händen tief in der Erde grub. Er hat in mir die Liebe zu den Blumen erweckt, die mich zu meinem Beruf geführt hat.
Doch heute weicht der Held meiner Kindheit mit nervösem Räuspern meinem Blick aus.
»Du hast dir ja die Haare abgeschnitten«, kommentiert meine Mutter.
Kein »Hallo«, »Wie geht es dir?« oder »Wir haben dich vermisst«.
Ich streiche mit der Hand durch mein Haar, das mir nur noch bis zur Schulter reicht. Es zu kürzen war ein Akt der Rebellion, ausgeführt um drei Uhr in der Früh nach einem Saufgelage mit Evi. Am nächsten Tag heulte ich wie ein Schlosshund deswegen, und da Evi ein mitleidiges Wesen ist, hat sie natürlich mitgeflennt. Nazeena hingegen hat kreischend gelacht, sie hielt es für ein Spiel. Nach ein paar Wochen begann ich mich an die neue Frisur zu gewöhnen, und schließlich gefiel sie mir sogar. Sie gibt mir ein ganz neues Lebensgefühl, ich komme mir damit erwachsener vor.
»Ja, ich wollte mal was Neues ausprobieren. Gefällt es dir?«
»Es betont deine Pausbacken«, brummelt meine Mutter mit verkniffenem Mund.
Wozu frage ich auch? Am Morgen hatte ich mir beim Blick in den Spiegel noch gefallen, auch wenn ich in den letzten beiden Jahren etwas zugelegt habe – danke, Töchterchen! Doch bei diesem Kommentar sinke ich frustriert auf meinem Stuhl zusammen.
Gertenschlank war ich nie, was meine Mutter immer schon störte, keine Ahnung, wieso eigentlich.
»Mist, ich hatte eigentlich gehofft, es bringt meine Arschbacken zur Geltung«, erwidere ich mit herausforderndem Lächeln.
Meine Eltern murmeln etwas Missbilligendes auf Hindi und werfen verlegene Blicke in die Runde. Wenn sie mich vor zwei Tagen in meinem sexy Aufzug gesehen hätten … Puh, jetzt nicht! Bloß nicht an diesen Kerl denken.
Der Kellner kommt zurück, um unsere Bestellung aufzunehmen. Als er wieder verschwunden ist, nehme ich nervös einen großen Schluck Wasser. Die ganze letzte Nacht bin ich im Kopf immer wieder durchgegangen, was ich ihnen sagen will, aber nun, da ich ihnen gegenübersitze, weiß ich nicht mehr, wo ich anfangen soll. Wie es aussieht, kann ich froh sein, dass sie überhaupt bereit sind, sich mit mir zu treffen. Ich hatte sogar damit gerechnet, dass sie nicht einmal den Hörer abnehmen.
»Lange ist’s her. Wie geht es euch?«
»Komm zur Sache. Du hast uns hierher bestellt«, unterbricht mich meine Mutter. »In dieses schreckliche Viertel. Mit Absicht, nehme ich an …«
Ich gebe zu, das habe ich tatsächlich mitAbsicht getan. Ich beiße mir auf die Zunge und lächle gequält.
Okay, Augen zu und durch.
»Eins vorab: Es ist nicht einfach für mich, euch heute hier zu treffen und um etwas zu bitten. Aber mir bleibt keine Wahl.«
Mein Vater runzelt die Stirn. Erst jetzt sieht er mir einmal direkt in die Augen. Mir wird warm ums Herz, so viel Sorge und Güte strahlt er aus.
Er liebt mich immer noch.
Ich kämpfe meine Tränen hinunter und fahre fort: »Ich will nicht lange drum herumreden: Ich habe Schulden«, sage ich und senke beschämt den Kopf. »Mein Laden läuft nicht so gut, wie ich es mir erhofft habe, und das Leben in Amsterdam ist genauso teuer wie in Paris. Bislang konnte ich mich irgendwie über Wasser halten, aber … ich schaffe es nicht mehr.«
Im Grunde werfe ich meinen ganzen Stolz über Bord und flehe sie auf Knien an.
Nicht für mich, aber für meine Tochter.
Ich hatte gehofft, der Job bei Elena und David würde uns aus der Patsche helfen. Sie haben viele reiche Freunde, es hätte ein Sprungbrett für uns sein können. Aber nachdem ich an jenem Abend Hals über Kopf von der Dachterrasse des Hotels geflohen war, bekam ich einen Anruf von einer in Tränen aufgelösten Elena. Die Hochzeit sei geplatzt, erklärte sie mir. Das Übliche: Ihr Typ habe sich als untreuer Drecksack entpuppt.
Ich kannte ihn nicht, aber es überraschte mich nicht sonderlich. Sie sind eben alle gleich.
»Ich brauche Geld. Ich würde euch nie darum bitten, wenn ich nicht Angst haben müsste, mit dem Baby auf der Straße zu landen«, bringe ich schließlich heraus und verschränke krampfhaft die Hände. »Ich meine es ernst, ich bin wirklich in Not. Selbstverständlich werde ich euch jeden Euro zurückzahlen, auch wenn das eine Weile dauern kann.«
In der darauffolgenden Stille höre ich meinen Puls in den Ohren pochen. Ich habe Angst vor ihrer Reaktion, vor ihrem Urteil, vor ihrem »Wir haben es dir ja gesagt!«. Aber noch mehr Angst habe ich davor, dass sie mir ihre Hilfe verweigern.
Wenn ich den Laden schließen muss, weiß ich nicht mehr, wovon ich Nazeena ernähren soll. Ohne Geld kann ich mir keine Kinderbetreuung leisten und nicht arbeiten. Es ist ein Teufelskreis …
»Wie viel?«
Mein Vater stellt diese Frage. Ich nenne ihm den Betrag meiner Schulden und sehe das Mitleid in seinem Blick, das er nicht verbergen kann. Ich weiß, was er denkt: Für ihn ist das eine lächerliche Summe. So wie für mich früher auch.
Ich kann mir vorstellen, wie sehr es ihn quält, eine seiner geliebten Töchter in Not zu wissen. Mich quält es auch. Doch ich muss an Evi denken, die mir noch am Morgen genervt einschärfte: »Du brauchst dich für gar nichts zu schämen! Du ziehst deine Tochter ganz allein groß, ohne jede Unterstützung! Und du machst das ganz wunderbar.«
»Nun, ich denke … wir könnten dir da entgegenkommen«, murmelt meine Mutter, nachdem sie ihren Mann forschend angeschaut hat. »Du musst es uns natürlich zurückzahlen.«
Eine Welle der Erleichterung durchflutet mich. Sie tun es. Sie helfen mir!
»Danke! Wirklich, ich bin euch so dankbar …«
»Unter einer Bedingung«, unterbricht mich mein Vater.
Da haben wir es … Es wäre zu einfach gewesen.
Ohne mich aus der Ruhe bringen zu lassen, frage ich ihn, was ich für ihn tun könnte. Ehrlich gesagt bin ich zu allem bereit.
»Ich möchte Nazeena kennenlernen.«
Ich bin fassungslos. Also das … das ist eine Überraschung. Und zwar eine, die mir die Sprache verschlägt. Er hat mein Töchterchen am Tag seiner Geburt kaum eines Blickes gewürdigt und offenbar keinen Gedanken an sie verschwendet, als er den Kontakt zu mir abbrach.
»Ach, und weshalb?« Ich kann meinen aufsteigenden Groll nicht ganz verbergen, so sehr ich mich auch bemühe. Er hatte schon vorher tausend Gelegenheiten, mich zu kontaktieren, aber ich habe nie eine einzige Nachricht von ihm erhalten. Ich hätte unter einer Brücke krepieren können, er hätte nichts davon erfahren.
»Sie ist meine Enkelin«, antwortet er unwirsch.
»Tatsächlich? Seit wann denn das?«
Meine Eltern, völlig verblüfft über meinen eisigen Ton, starren mich an. Ich brauche sie, gewiss, aber ich kann nicht anders, es muss raus.
»War es deine Enkelin, als ich die Nächte im Krankenhaus verbrachte, weil sie unter Verstopfung litt? War es deine Enkelin, als sie ihr erstes Wort gesprochen hat? Als sie ihren ersten Geburtstag mit mir allein gefeiert hat?«
Mein Vater setzt wenigstens eine reuevolle Miene auf, aber meine Mutter geht zum Gegenangriff über: »Das hast du dir selbst ausgesucht, Magnolia. Hast du geglaubt, Mutter zu sein, sei einfach? Wir haben auch bei null angefangen. Ich hatte keine Eltern hinter mir, die meine Miete bezahlt haben …«
»Ich spreche hier von emotionaler Unterstützung! Ich hätte die Hilfe meiner Mutter, die beruhigenden Worte meines Vaters und den Rat meiner Schwestern gebraucht. Ich war allein, verängstigt und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte …«
Dazu fällt ihr nichts ein, und das ist auch besser so.
Zum Glück werden uns die bestellten Pizzen serviert, das nimmt ein wenig die Spannung aus der Situation. Ich hatte nicht die Absicht gehabt, sie mit Vorwürfen zu konfrontieren. Ich bin von Natur aus ruhig, höflich und diskret. Eher der Typ People Pleaser. Jemand, der niemanden stören, aber von allen geliebt werden möchte.
Zumindest war ich früher so.
Die neue Nolia schert sich nicht mehr darum.
»Es war ein Fehler«, seufzt schließlich mein Vater. »Tut mir leid, Golu.«
Süße Kleine … Ich zucke zusammen bei diesem Hindi-Kosenamen, den ich nie gemocht habe, der aber dennoch mein kindliches Herz berührt.
»Gesteh uns einen Tag pro Woche mit Nazeena zu. Wir können mit dem Schnellzug nach Amsterdam und zurückfahren.«
»Auf keinen Fall«, entgegne ich wie aus der Pistole geschossen. »Das kommt mir zu plötzlich. Ich möchte sie nicht verunsichern.«
Ausgeschlossen, dass ich meiner Tochter fremde Menschen zumute, von denen ich nicht weiß, ob sie über Nacht wieder aus ihrem Leben verschwinden. Trotzdem erleichtert es mich, dass sie überhaupt Interesse an ihr zeigen. Sie soll nicht einsam aufwachsen und denken, alle würden sie ablehnen.
»Aber … ich bin durchaus bereit, euch nach und nach an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Allerdings in meinem Tempo.«
»Okay«, antwortet mein Vater erleichtert.
Ich will mich schon meiner Pizza zuwenden, da verkündet meine Mutter: »Ich habe auch eine Bedingung.«
Seufzend lasse ich mein Besteck sinken und bitte sie um eine Erklärung. Mein Vater, der offenbar auch neuen Ärger befürchtet, wirft ihr einen missbilligenden Blick zu.
»Die Kleine braucht auch einen Vater. Spring über deinen Schatten und gib Enzo eine Chance.«
Ich erstarre. Diesen Namen habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, ihn, so gut es ging, aus meinem Gedächtnis gelöscht. Zum Glück weiß mein Ex-Freund nichts von Nazeenas Existenz. Ich habe alle schwören lassen, ihm nichts von ihr zu erzählen.
Ich weiß, das ist problematisch, und meine Tochter wird es mir wahrscheinlich eines Tages vorhalten, aber ich habe es getan, um sie zu schützen.
»Nein. Überleg dir was anderes.«
Vielleicht sollte ich doch lieber Kontakt zu dem falschen David aufnehmen und die hunderttausend Euro annehmen, die er mir angeboten hat.
»Die Kleine wird ohne stabiles Zuhause nicht glücklich werden. Sie braucht beide Eltern, und Enzo ist ein absolut respektabler Mann. Jedes Paar hat seine Schwierigkeiten, du kannst nicht beim ersten Problem aufgeben. Verzeih ihm und mach einen Neuanfang, ganz gleich, was er getan hat.«
Ich muss beinahe schallend lachen.
Enzo, »ein absolut respektabler Mann«? Ja, das habe ich auch mal gedacht.
Ich habe ihn gleich zu Beginn meines Studiums kennengelernt. Er war zehn Jahre älter als ich und wirkte entsprechend reif, außerdem war er attraktiv, charismatisch und ein Gentleman. Perfekt.
Doch man sollte immer misstrauisch sein, wenn ein Mann perfekt wirkt.
Als ich meinen Irrtum bemerkte, war es bereits zu spät. Er hatte mich schon zu fest am Haken, um ihm zu entkommen. Zwar habe ich ihn am Ende doch abgeschüttelt und ihm den Laufpass gegeben, aber es hat Narben hinterlassen. Sie brechen immer noch auf und bescheren mir schlaflose Nächte, in denen ich meine Naivität verfluche.
»Enzo taugt nichts«, sage ich, ohne ins Detail gehen zu wollen. »Ich weiß am besten, was für meine Tochter gut ist.«
»Na schön. Ich wollte dir die Wahl geben, zu jemandem zurückzukehren, den du einmal geliebt hast, aber wenn du dich stur stellst, machen wir es eben auf die bewährte Art, mit einer arrangierten Ehe und …«
»Wie bitte?«
Das haben sie schon mal versucht, nicht schon wieder!
»Du musst heiraten, Magnolia Kumar, das weißt du selbst. Du kannst nicht ewig in deiner Pubertätskrise stecken bleiben, du siehst ja, wohin das führt …«
»Lass sie, Kareena.«
Mein Vater versucht, meine Mutter zu beruhigen, doch sie setzt mir ungerührt die Pistole auf die Brust: »Keine Heirat, kein Geld!«
Ich blicke meine Mutter entsetzt an. Unter dem Tisch beginnen meine Hände zu zittern.
Eine Ungeheuerlichkeit!
Ich weiß, woher das kommt. Ich stamme aus einer sehr traditionellen, von konservativen Werten bestimmten Familie. Meine Mutter hat stets versucht, mich nach ihren eigenen Vorstellungen von Perfektion zu formen, was ihr natürlich nicht gelungen ist. Ich komme mehr nach meinem Vater, das war ihr schon immer ein Dorn im Auge.
Da ich grundsätzlich nie das tat, was sie wollte, hat sie mich schließlich verleugnet, um zu verhindern, dass die missratene Tochter auf den Rest der Familie abfärbt und ihren Ruf beschädigt.
Ob alles anders gekommen wäre, wäre mein Vater nicht ein derart wohlhabender und einflussreicher Mann?
»Das ist nicht drin«, erkläre ich kategorisch. »Tut mir leid.«
Noch habe ich die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass sie doch noch auf mich eingehen wird, aber ihr unerbittlicher Gesichtsausdruck belehrt mich eines Besseren.
»Nimm endlich Vernunft an. Für deinen Vater und mich haben unsere Eltern alles arrangiert, und schau, wir sind der lebende Beweis, dass Liebe wachsen kann. Liebe auf den ersten Blick, das gibt es nicht. Liebe verlangt Mühe, Ausdauer und Kompromisse. Hör endlich auf, vom Unmöglichen zu träumen!«
Beim bloßen Gedanken an eine Verlobung mit einem Fremden bekomme ich Herzrasen. Und bei der Vorstellung, zwangsweise mit Enzo zusammengebracht zu werden, muss ich mich fast übergeben.
»Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ich werde weder Enzo noch sonst jemanden heiraten, den ihr für mich aussucht.«
Aber du kannst nicht einfach auf das Geld verzichten,mahnt mich eine innere Stimme.
»Stell dich nicht so an! Gibt es einen vernünftigen Grund, dich nicht wenigstens einmal mit ihm zu treffen?«, zischt meine Mutter erbost.
Ich bin nicht käuflich, möchte ich sie anschreien. Ich bin kein Gegenstand. Du kannst nicht über mich verfügen.
Ich ringe nach Luft. Ich habe ebenso viel Angst, diese Chance auf Rettung zu verpassen, aber auch davor, zu etwas gezwungen zu werden, das ich absolut nicht will. Plötzlich überkommt mich Panik.
Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, aber ich schleudere ihnen die schamloseste Lüge meines Lebens entgegen: »Es geht einfach nicht, weil ich schon verlobt bin.«
Amsterdam, April 2024
»Wer, bitte schön, ist das?«
Ich schenke Ruby, die in mein Büro stürmt, keine Beachtung. Ich kenne diese Masche. Meine Pressesprecherin hat eine dramatische Ader und liebt den großen Auftritt. Wo immer sie auftaucht, sollen sich sofort alle Köpfe nach ihr umdrehen.
»Ich habe zu tun«, antworte ich, ohne den Blick vom Bildschirm zu heben. »Komm später wieder, am besten nach 20 Uhr.«
»Dann bist ja du nicht mehr hier.«
»Genau.« Ich habe heute besonders schlechte Laune.
»Ich meine es ernst, Don Juan. Wer ist sie?«
Ich blinzle zu ihr hinüber. Ich höre diese Frage nicht zum ersten und sicherlich auch nicht zum letzten Mal. Dauernd werde ich vor irgendeinem Hotel mit irgendeiner Frau am Arm fotografiert …
Ruby schaut mich wütend und neugierig zugleich an. Sie legt mir ihr iPad vor die Nase und verschränkt die Arme.
»Ich rede von deinem neuen Mystery Girl, um die Schlagzeilen zu zitieren. Seit heute früh steht das Telefon nicht mehr still, alle Welt verlangt eine Bestätigung oder ein Dementi.«
Ich runzle überrascht die Stirn. Mein Mystery Girl?
»Und weißt du, was ich ihnen antworten muss?«, fährt Ruby in eisigem Ton fort. »Dass ich nichts weiß!«
Ich höre gar nicht mehr hin, sondern konzentriere mich auf die Paparazzo-Fotos, die gerade im Internet kursieren. Sie zeigen mich mit Nolia auf der Dachterrasse des Hotels Andaz Amsterdam Prinsengracht.
Mist. Ihr Gesicht ist verschwommen, aber es sieht eindeutig so aus, als würden wir uns nahestehen: mein charmantes Grinsen, meine Lippen, die ihr etwas ins Ohr zu flüstern scheinen, mein Blick auf ihre Schenkel, den ich für diskret hielt …
Als sie mir ihr Glas ins Gesicht schüttete, waren die Paparazzi offenbar schon verschwunden. Zum Glück.
Andererseits, das wäre lustig gewesen.
»Du kennst mich, Cam«, bedrängt mich Ruby. »Ich hasse es, wie eine Idiotin dazustehen. Schließlich gilt: Ruby Monrose weiß alles. Capische? Und Italienisch sprechen kann sie auch.«
»Es gibt da aber nichts zu wissen. Ignoriere die Anrufe einfach! Punkt.«