9,99 €
»DU BIST MEIN HERZENSMENSCH, JAZZ. FÜR IMMER.«
Als Hochzeitsplanerin glaubt Jasmine ganz fest an die große Liebe. Aber seit der schmerzhaften Trennung von ihrem ersten und einzigen Freund Andréa hat sie Schwierigkeiten, sich auf jemand Neuen einzulassen. Dennoch stimmt sie zu, als Freunde sie bitten, ihre Sommerhochzeit an der Amalfiküste zu organisieren, selbst wenn das heißt, dass sie dort ausgerechnet Andréa wiedertrifft. Als die beiden bei einer Reise durch Italien unweigerlich viel Zeit miteinander verbringen, merken sie, dass die Gefühle, die sie füreinander hatten, nie ganz verschwunden sind. Doch hat ihre Liebe eine zweite Chance trotz allem, was in der Vergangenheit zwischen ihnen passiert ist?
»Die SEASONS-Reihe hat einfach mein Herz! Vier tiefgründige und einzigartige Geschichten, die für Herzklopfen und viele emotionale Lesestunden sorgen.« MARYBOOKSWORLD
Abschlussband der SEASONS-Reihe
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 525
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
Playlist
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
Epilog
Bonuskapitel
Anmerkung der Autorin
Danksagung
Die Autorin
Die Bücher von Morgane Moncomble bei LYX
Impressum
MORGANE MONCOMBLE
A Summer to Remember
Roman
Ins Deutsche übertragen von Ulrike Werner-Richter
Als Hochzeitsplanerin glaubt Jasmine Pham ganz fest an die große Liebe, auch wenn ihr erster und einziger Freund Andréa Moretti ihr das Herz gebrochen hat. Seit der schmerzhaften Trennung hat Jasmine Schwierigkeiten, sich auf jemand Neuen einzulassen. Dennoch stimmt sie zu, als Freunde sie bitten, ihre Hochzeit an der Amalfiküste zu organisieren, obwohl das heißt, dass sie dort ausgerechnet Andréa wiedertreffen wird. Ein Blick reicht, und Jasmine weiß, dass die Gefühle, die sie für ihn hatte, nie ganz verschwunden sind. Umso schwieriger wird es, als das Brautpaar Andréa und sie bittet, mit ihnen in den Flitterwochen gemeinsam durch Italien zu reisen. Unausweichlich verbringen Jasmine und Andréa Zeit miteinander und kommen sich wieder näher, während die Freundesgruppe Venedig und die Toskana erkundet. Die alte Vertrautheit kehrt zurück, aber auch die Erinnerungen an die tragischen Ereignisse, die zu ihrer Trennung führten. Obwohl ihre Gefühle füreinander sich nicht verändert haben, haben die beiden selbst sich verändert. Und am Ende des Sommers müssen sich Jasmine und Andréa entscheiden, ob ihre Liebe eine zweite Chance verdient hat …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle
das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für alle meine Jasmines, Nolias, Camelias und Lilys. Für alle Frauen in meinem Leben, meine Herzensschwestern, die mich täglich inspirieren. Ich danke euch. Ich liebe euch.
Happier – Olivia RodrigoGone – ROSÉBigger Than The Whole Sky – Taylor Swift
Love Die Young – Eric NamWe Can’t Be Friends (Wait For Your Love) – Ariana GrandeMemories – Conan GrayI Miss You, I’m Sorry – Gracie AbramsStill Love You – Sofia CarsonSet Me Free – Joshua BassettLove Me Again – VLove Of My Life – Harry StylesIn My Head – Peter ManosEuphoria – BTSUntil I Found You – Stephen SanchezI Know It Won’t Work – Gracie AbramsBroken Strings – James Morrison (feat. Nelly Furtado)When I Was Your Man – Bruno MarsSo Good – HalseyNo Goodbyes – Dua LipaThings I Wish I Said – Sabrina CarpenterNever Forget You – Zara LarssonSame Place – Jade LeMacTurn Back Time – Daniel SchulzSomewhere Only We Know – Keaneemily – Jeremy Zuckeraugust – Taylor Swift
Gordes, Frankreich, damals
Meine Mutter glaubt, dass die erste Liebe ewig währt. Mein Vater ist der Meinung, dass sie nur existiert, um uns eine Lehre zu erteilen. Ich selbst bin fünfzehn Jahre alt und habe mich noch nie verliebt. Aber wenn ich Ed Sheeran glauben darf, den ich in Endlosschleife höre, ist Liebe schmerzhafter als alles andere. Mit anderen Worten: Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt Interesse daran habe.
Ohnehin bin ich zu beschäftigt für einen Freund. An den Abenden unter der Woche teile ich meine Zeit auf zwischen Lernen und Keramikmalerei. Am Wochenende spaziere ich durch die Felder, pflücke Blumen, die ich zwischen den Seiten meiner Bücher trockne, und häkle Wollmützen für meinen Hasen Marco. Seinen Namen habe ich aus dem Film Das wandelnde Schloss.
Wer hat da schon Zeit für die Liebe?
»Hier«, sagt meine Mutter und drückt mir einen Euro in die Hand. »Könntest du bitte ein nicht allzu durchgebackenes Baguette kaufen?«
Ich nicke und ziehe mir meine Strickjacke mit Pilzmuster an, was mir einen traurigen Blick von beiden Elternteilen einbringt.
»Eines Tages werde ich dieses Ding verbrennen«, raunt meine Mutter.
Ich weiche zurück und drücke meine Jacke beschützend an mich.
»Spinnst du? Die habe ich selbst gestrickt!«
»Ich weiß«, seufzt sie. »Das sieht jeder, Schatz. Schau, sie ist ganz fusselig.«
Verärgert senke ich den Blick. Mir bleibt keine Zeit, mich zu verteidigen, denn sie ist schon wieder im Wohnzimmer verschwunden. An die Bemerkungen meiner Eltern, wenn ich das Haus verlasse, bin ich gewöhnt. Inzwischen treffen sie mich viel weniger als früher.
In der Schule ist es genauso:
»Sie ist komisch.«
»Irgendwie neben der Spur.«
»Schau dir bloß ihre Klamotten an!«
»Kein Wunder, dass sich niemand für sie interessiert …«
Clémence versucht jedes Mal, mich zu verteidigen. Mir persönlich ist es egal. Warum sollte ich mich für meine Eigenart entschuldigen, wenn ich damit glücklich bin?
»Beeil dich, die machen gleich zu!«, ruft mich mein Vater in die Wirklichkeit zurück.
Ich lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen und schwinge mich auf mein Lieblingsfahrrad mit dem Weidenkorb und der abgeblätterten grünen Farbe. Die Klingel funktioniert nicht mehr richtig, aber ich kann mich nicht dazu durchringen, mein Fahrrad zu verschrotten. Ich habe noch nicht genug gespart, um mir ein neues zu kaufen.
Ich erledige alles mit dem Fahrrad. Ich mag den stechenden Schmerz in meinen Waden, die Brise in meinen Haaren und das Pfeifen des Windes, das die Musik aus meinen Kopfhörern überlagert.
Es ist fünf vor halb eins, und Le Fournil de Mamie Jeanne schließt gleich. Es ist die einzige Bäckerei, die mein Vater freiwillig aufsucht – er ist echt so eine Nervensäge.
Der Sommer in Gordes hat gerade erst begonnen, aber die Hitze hier in Südfrankreich ist bereits erdrückend. Im Slalom fahre ich zwischen den Passanten hindurch über das Kopfsteinpflaster, nehme die engen und weniger belebten Gassen und lasse mich vom Plätschern des Wassers aus den Brunnen einlullen. Der Duft nach Lavendel vermischt sich mit dem Geruch des nicht weit entfernten provenzalischen Marktes.
Sekundenlang verweilt mein Blick bei Käse, frischem Obst und verlockenden Oliven, ehe ich mich hastig wieder auf die Straße konzentriere, weil ich um Haaresbreite einen alten Mann überfahren hätte.
»Bitte, entschuldigen Sie!«, rufe ich, als er mich anschnauzt. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!«
Ich grüße einige Bekannte. Die Kirchenglocken läuten, und ich trete heftiger in die Pedale.
Es ist halb eins. Mist, ich komme zu spät.
In letzter Sekunde halte ich vor der Bäckerei an, die anscheinend doch noch geöffnet ist. Ich lasse mein Fahrrad einfach fallen und stürme atemlos hinein.
»Das war knapp«, tadelt mich die Bäckerin freundlich. »Was möchtest du, meine Schöne?«
Der andere Kunde geht an mir vorbei, ohne dass ich ihn beachte, und tritt auf den Bürgersteig hinaus.
»Ein nicht zu lange gebackenes Baguette, bitte.«
»Tut mir leid, das letzte habe ich gerade verkauft …«
Enttäuscht murre ich vor mich hin, bedanke mich aber bei der Ladenbesitzerin.
Auf dem Weg nach draußen bemerke ich, dass der Junge, der mir das letzte Baguette vor der Nase weggeschnappt hat, immer noch an der Tür steht. Er ist in sein Smartphone vertieft, aber ich erkenne ihn sofort.
Andréa Moretti.
Normalerweise interessiere ich mich nicht wirklich für meine Klassenkameraden, aber hier ist es unmöglich, seine Existenz zu ignorieren. Er wurde schon mit vielen, wenig schmeichelhaften Ausdrücken bedacht, vor allem von Mitschülern, aber manchmal auch von Lehrenden.
»Problemmagnet«, »Klassenletzter« – ich nehme an, dass Legasthenie auch nicht gerade von Vorteil ist –, »immer der Erste, der einen Streit vom Zaun bricht« …
Nur wenige mögen ihn, aber ich finde ihn interessant.
»Willst du das alles allein essen?«
Seine blauen Augen wandern überrascht an meiner Gestalt empor, als zweifelte er daran, dass ich wirklich ihn meine. Er ist keine Schönheit, hat aber diese leicht verruchte Ausstrahlung, die ihm gut steht.
»Arrietty?«, stammelt er, als hätte er mich erkannt.
»Ich heiße Jasmine. Jasmine Pham.«
Er schüttelt den Kopf, um sich zu fangen, dann räuspert er sich.
Sein Handy hat er inzwischen in seiner Jeans verstaut, aber meine Aufmerksamkeit konzentriert sich auf das noch warme Baguette unter seinem Arm.
Mein Schatz.
»Weiß ich doch, ich bin ja nicht blind. Wir haben ein ganzes Jahr in derselben Klasse gesessen.«
Er wirkt defensiv, was mich überrascht. Ich will wissen, warum er mich Arrietty nennt.
»Du erinnerst mich an sie«, erklärt er und zuckt mit den Schultern. »Du weißt schon, die Ghibli-Heldin. Sie ist auch vierzehn Jahre alt und lebt in einem Haus auf dem Land inmitten von Blumen und Pflanzen. So ähnlich stelle ich mir dich außerhalb der Schule vor …«
Es ist das erste Mal, dass ich ihn so viel reden höre.
Ich widerstehe dem Drang, ihm zu sagen, dass ich schon fünfzehn bin. Ich bin kein Kind mehr. Immerhin komme ich nächstes Schuljahr aufs Gymnasium.
»Meinst du, weil ich asiatisch aussehe? Aber ich bin Vietnamesin, keine Japanerin.«
Andréa öffnet den Mund, weiß aber offenbar nicht, was er antworten soll. Er scheint sich unbehaglich zu fühlen, was mich amüsiert. Er wirkt … ganz anders als das Bild, das die Leute von ihm zeichnen.
»Entspann dich, ich mach doch nur Spaß! Ich mag Arrietty, auch wenn mir Prinzessin Mononoke besser gefällt.«
»Natürlich«, murmelt er vor sich hin. Seine Mundwinkel heben sich leicht.
Ich gehe davon aus, dass mein Geschmack ihn nicht sehr überrascht, weil dieses Meisterwerk von Hayao Miyazaki Fragen über die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur aufwirft und die Folgen unseres Handelns für die Umwelt anprangert.
Plötzlich erinnere ich mich meines ursprünglichen Auftrags. Andréa weicht einen Schritt zurück, als ich plötzlich näher an ihn herantrete.
»Ich gebe dir einen Euro für das Baguette«, biete ich ihm an und halte ihm die Münze vor die Nase. »Mein Vater schimpft, wenn wir kein Brot zum Käse haben. Wenn er aber schlechte Laune hat, kann ich ihn nicht um einen Gefallen bitten.«
»Tut mir leid, aber so einen habe ich auch zu Hause.«
Na gut, wenigstens habe ich es versucht.
Er dreht sich um und will gehen. Ratlos hebe ich mein Fahrrad auf, hole ihn ein und strample neben ihm her.
Andréa lässt mich gewähren, blickt aber stur nach vorn.
»Weißt du, an welche Ghibli-Figur du mich erinnerst?«
»An Hauro?«, fragt er lächelnd und wirft sich in die Brust. »Alle Mädchen schwärmen für ihn. Er ist schön, nicht wahr?«
Belustigt lache ich auf.
Das gefällt ihm nicht. Er wirft mir einen bösen Blick zu, aber ich fühle mich absolut nicht in Gefahr. Er wirkt harmlos.
»Wenn du jetzt ›Porco Rosso‹ sagst«, droht er mir finster. »Zwar weiß ich, dass er auch Italiener ist, aber das ist noch lange kein Grund, mich zu beleidigen und mit einem Wasserflugzeugpiloten mit einem Schweinekopf zu vergleichen …«
Oh, ich sehe, wir haben hier einen echten Fan.
Andréa Moretti gefällt mir immer besser.
»Du erinnerst mich an Calcifer aus Das wandelnde Schloss«, sage ich schnell und setze zu einer Erklärungstirade an. »Erstens ist er der Geist des Feuers. Das habt ihr gemeinsam: Du gehst sofort in die Luft, bist heißblütig und entzündest dich beim ersten Funken. Zweitens: Er ist schelmisch und sarkastisch, ein bisschen so wie du im Unterricht. Und drittens erweist er sich im Laufe des Films als liebenswert.«
Verblüfft zieht Andréa eine Augenbraue hoch.
Es ist das erste Mal, dass wir ein richtiges Gespräch miteinander führen, und ich bin angenehm überrascht. Abgesehen von seinen Problemen mit Aggressionsbewältigung, die ich schon miterlebt habe, scheint er ganz cool zu sein.
»Das ist okay für mich«, murmelt er mit leicht rosigen Ohren. »Alle mögen Calcifer. Von ihm hat Hauro seine Kräfte.«
Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln. Schön, dass ich ihm eine Freude machen konnte.
»So, ich muss jetzt nach Hause. Bis bald mal!« Ich winke ihm zu. »Vielleicht kommen wir ja in der Oberstufe wieder in die gleiche Klasse.«
»Warte.«
Ich will gerade losradeln, als er mich an meiner Jacke festhält. Ich bremse und werfe ihm einen fragenden Blick zu, aber Andréa bricht einfach nur das Baguette in zwei Hälften.
Meine Mutter wäre entsetzt, jemanden mit bloßen Händen ein Brot zerteilen zu sehen, aber mich amüsiert es.
»Hier«, sagt er und hält mir eine Hälfte hin. »Das ist besser als gar nichts.«
Ich nehme das Brot und spüre, wie eine unbekannte Wärme meine Wangen flutet. Das ist wirklich nett von ihm. Ich will ihm meinen Euro dafür geben, aber den steckt er sofort wieder in die Tasche meines beigen Leinenkleides.
»Coole Jacke übrigens.«
Ich bin unfähig, etwas zu erwidern. Reglos wie eine griechische Statue bleibe ich stehen, während er mir zum Abschied noch einmal zuwinkt.
»Ciao, Arrietty. Genieß die Sommerferien!«
Ich sehe ihm wortlos nach, während das Baguette in meiner Hand abkühlt. Ein dämliches Grinsen hat sich auf meinem Gesicht ausgebreitet, und ich ertappe mich dabei, wie ich etwas Merkwürdiges denke. Noch bin ich mir nicht ganz sicher, was es zu bedeuten hat, aber …
Ich hoffe wirklich, dass wir Freunde werden.
Positano, Italien, Juli
»Ich muss in zehn Minuten bei einer Hochzeit sein und brauche einen Begleiter, um meinen Ex eifersüchtig zu machen – wie klingt das?«
Der Fremde, den ich gerade völlig spontan und unüberlegt angesprochen habe, dreht sich verblüfft zu mir um, und mir ist völlig klar, was er sieht: eine verzweifelte Frau in einem apfelgrünen Kleid, die Hände wie zu einem Gebet gefaltet.
Sagen Sie Ja, sagen Sie Ja, sagen Sie Ja.
Insgeheim verfluche ich den Typ, der mich eigentlich hätte begleiten sollen, mich aber im letzten Moment versetzt hat, und ich befürchte, mit dem auskommen zu müssen, was ich gerade zur Hand habe.
»Ich bin nicht verrückt, ehrlich nicht«, füge ich hastig hinzu. »Ich bin nur allein und leider zu feige, meinen Ex einen Krieg gewinnen zu lassen, in dem es darum geht, wer von uns beiden am besten mit der Vergangenheit abgeschlossen hat.«
Mein Ex darf auf keinen Fall erfahren, dass ich seit drei Jahren keinen Sex mehr hatte und bei jedem Tinder-Date rumheule.
Wahrscheinlich sollte ich lieber nichts mehr sagen, sonst denkt mein Gegenüber wirklich noch, dass ich spinne. Das Schlimmste ist: Ich habe tatsächlich mit der Vergangenheit abgeschlossen.
Ich liebe Andréa nicht mehr.
Am Anfang war es schwer, das muss ich zugeben. Er ist der einzige Mann, den ich je gekannt habe, also körperlich, und jetzt habe ich Angst davor, mit jemand anderem zu schlafen. Aber ich wäre endlich bereit dazu.
Als ich erfuhr, dass er zur Hochzeit von Clémence und Kai kommen würde – noch dazu in Begleitung –, habe ich die Sache selbst in die Hand genommen. Auf der Escort-App CharmMate, gegründet vom Ehemann einer meiner besten Freundinnen, fand ich den perfekten Begleiter für den Anlass. Bis der mich vor knapp einer Stunde anrief und mir mitteilte, dass er nun doch nicht kommen könne.
Camille Levesque, du wirst noch von mir hören!
»Wow!«, wundert sich der Unbekannte statt einer Antwort. »Welch verlockender Vorschlag. Darf ich zehn Sekunden darüber nachdenken?«
Ich nicke hektisch. Warum habe ich ausgerechnet ihn ausgesucht? Einen besonderen Grund dafür gibt es nicht. Sagen wir einfach, weil er sich seit einer halben Stunde auf dem Platz vor der Kirche aufhält und ziemlich elegant aussieht.
Tatsächlich kamen nur entweder er oder ein Sechzigjähriger infrage, der ein paar Schritte weiter Brotkrümel an Vögel verfüttert.
Jetzt, wo ich dem Jüngeren gegenüberstehe, beglückwünsche ich mich innerlich zu meiner Wahl. Er ist sicher der schönste Mann, dem ich je begegnet bin. Dunkle intensive Augen, ein voller Mund und schwarzes Haar, das so lang ist, dass ihm einzelne Strähnen in die Stirn fallen, aber nicht lang genug, um es zusammenzubinden. Sein Teint ist heller als meiner, was auf eine Herkunft aus Ostasien hindeutet.
»Okay, ich bin dabei.«
Blinzelnd kehre ich auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Unbekannte behält die Hände in den Hosentaschen, ist mit einem feinen weißen Hemd und einer hellbraunen Hose bekleidet und lächelt rätselhaft.
»Sie … machen mit? Echt jetzt?«
»Ich esse gern umsonst«, ist seine einzige Erklärung. »Außerdem haben Sie sich wirklich gut verkauft.«
Natürlich weiß ich, dass er sich über mich lustig macht, aber ich beiße nicht an. Ich habe keine andere Wahl, und auf gar keinen Fall kann ich Andréa allein gegenübertreten.
Unsere gemeinsamen Freunde nerven mich längst schon mit Fragen, ob ich mit der Situation klarkomme, und sind zutiefst überzeugt davon, dass ich bei der erstbesten Gelegenheit in einer Ecke zusammenbrechen werde.
Mir geht es gut! Ich wünschte nur, alle würden mir glauben, wenn ich das sage.
»Sie erinnern mich an …«
Zögernd breche ich ab. Seit ich Andréa kenne, vergleiche ich alle Menschen, denen ich begegne, mit Ghibli-Charakteren. Ein lustiges Spiel, das im Laufe der Jahre zur Gewohnheit geworden ist.
Manchmal vergesse ich, dass der Rest der Welt keinen Zugang zu dem hat, was sich in meinem Kopf abspielt – so wie jetzt.
»… Hauro Jenkins Pendragon«, beende ich meinen Satz, ohne nachzudenken.
Mit überraschtem Gesicht antwortet er: »Sagst du das, weil ich Japaner bin?«
Verblüfft öffne ich den Mund und will ihm gerade peinlich berührt erklären, dass es nicht so ist, als er mich amüsiert angrinst.
»Alles gut, das war nur ein Scherz. Ich bin ein Fan von Das wandelnde Schloss.«
Er erhebt sich von der Steinmauer, auf der er gesessen hat, und erweist sich als mindestens einen Kopf größer als ich.
»Wenn ich alles richtig verstanden habe, bleiben uns noch fünf Minuten«, sagt er und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Darf ich deinen Vornamen wissen, oder soll ich dich Sophie nennen – wie du weißt, die Heldin aus Das wandelnde Schloss?«
»Jasmine Pham«, stelle ich mich vor. »Meine Freunde nennen mich Jazz.«
Er reicht mir die Hand. Ich nehme sie. Wenig überraschend ist sie sehr warm. Schon lange habe ich keine solchen Temperaturen mehr erlebt, aber von der Amalfiküste hatte ich auch nichts anderes erwartet.
»Auf geht’s«, motiviere ich mich und ziehe ihn hinter mir her zur Kirche Santa Maria Assunta.
Noch immer kann ich nicht glauben, dass mein Plan funktioniert hat … Vor allem hoffe ich, dass der Typ kein Mörder auf der Flucht ist. Sollte er aber einer sein, dann bete ich, dass er zumindest bis morgen früh niemanden killt.
Schließlich ist heute der glücklichste Tag in Clémence’ Leben, und solange ich zuständig bin, wird ihn niemand verderben!
Ich liebe Hochzeiten. Schon mit neun Jahren prägte der Film 27 Dresses meine gesamte Persönlichkeit. Mit dreiundzwanzig machte ich meine Begeisterung zum Beruf und arbeite seither bei einem kleinen Heiratsplaner-Unternehmen.
Ich liebe die Liebe, bin idealistisch und versöhnlich. Aus diesem Grund gestalte ich Märchen … obwohl ich seit einiger Zeit das Gefühl habe, einen Traum zu verkaufen, an den ich selbst immer weniger glaube.
»Wo ist Clem?«, frage ich die Brautjungfern, die vor der Kirchentür stehen.
Kurz spähe ich ins Innere, um mich zu vergewissern, dass Kai, Clems Verlobter, vor dem Altar steht. Alle anderen Gäste haben Platz genommen; die kirchliche Trauung kann beginnen.
»Ihr Vater holt sie gerade«, beruhigt man mich. »Da kommen sie.«
Ich wende mich an meinen Partner und bitte ihn, sich zu setzen und auf mich zu warten. Er gehorcht mir, ohne zu zögern, als wäre die Situation kein bisschen seltsam.
»Und wenn das nun der größte Fehler meines Lebens ist?«, höre ich die Stimme der Braut.
Zwar ist es traurig, aber ich glaube, das ist der Satz, den ich am häufigsten gehört habe, seit ich diesen Job mache.
Ich drehe mich zu meiner Freundin um, deren schweißnassen Hände einen Strauß rosa Pfingstrosen zerdrücken. Ihr Kleid ist unglaublich schön, ein Prinzessinnenschnitt, in dem sie aussieht, als wäre sie einem Disney-Film entsprungen.
Grüne, von endlosen Wimpern gesäumte Augen, gebräunte Haut, die ihre spanische Herkunft verrät, und braunes Haar, das ein perfekt symmetrisches Gesicht umrahmt. Kurz gesagt, sie ist wundervoll.
Ihr Vater versucht, sie zu beruhigen, aber sein besorgter Blick richtet sich auf mich.
»Soll ich vielleicht doch lieber abhauen? Bitte sag mir, dass du auch für diesen Fall alles geplant und die Schlüssel des Just-Married-Mustangs stecken gelassen hast?«
Ich richte Clémence’ Schleppe, damit sie für ihren großen Auftritt perfekt aussieht.
»Zunächst einmal: Du hättest mir früher sagen müssen, dass du einen Just-Married-Mustang willst. Dazu ist es jetzt zu spät«, tadle ich sie sanft. »Und außerdem: Hätte ich den Schlüssel stecken lassen, würde er schon längst nicht mehr auf dem Gehweg stehen.«
Meine Freundin lächelt schwach und scheint sich etwas zu entspannen. Ich verspreche ihr, dass alles gut werden wird, und gebe ihr zwei Luftküsse, um ihr Make-up nicht zu ruinieren.
»Danke, Jazz. Ich liebe dich, weißt du.«
»Ich dich auch, Clem.«
Unglaublich … Wir kennen uns schon, seit wir zwölf Jahre alt waren. Clémence ist meine älteste Freundin. Es ist mir eine Ehre, ihre Hochzeit zu organisieren.
»Okay, alle sind da. Macht euch bereit, Mädels!«
Ich briefe die kleine Truppe um mich herum über den weiteren Ablauf. Bereit zum Start gebe ich dem in der Kirche wartenden Streichquartett ein Zeichen.
Showtime!
Die Geiger setzen ein, gefolgt vom Pianisten. Mit Blumen in der Hand und einem gerührten Lächeln auf den Lippen gehen Clémence’ Schwestern los.
Plötzlich überwältigt mich eine zuvor stumme Angst.
Er ist da. Er wird mich sehen. Es ist so weit. Nach drei Jahren.
Mein Herz schlägt wie wild. Nur noch ich bin vor Clémence an der Reihe. Sie bildet das Schlusslicht.
Mit einem aufgesetzten Lächeln bewege ich mich im Rhythmus der Musik. Ich bin mir der vielen Augen bewusst, die auf mich gerichtet sind, und ich weiß, dass eines der Augenpaare Andréa gehört, meiner ersten Liebe.
Dem einzigen Mann, den ich je geliebt habe.
Plötzlich flüchtet mein Geist an einen verschlossenen Ort, und eine vertraute Stimme hallt in meinen Gedanken wider: »Eines Tages werde ich dich heiraten, Jasmine Pham.«
Die Musik verstummt, die Gesichter verschwimmen vor meinen Augen, und ich kann ihn fast vor mir sehen, wie er mich gelassen anlächelt, als würde er mir ein Versprechen geben.
Dann weicht die Erinnerung einer vertrauten Schwärze, die am häufigsten bei Einbruch der Dunkelheit auftritt und mich am Schlafen hindert: »Es ist aus, Jazz … ich kann nicht mehr. Ich gebe auf.«
Meine Kehle wird eng, und ich muss meinen Atem kontrollieren, um mich wieder in die Gegenwart zu zwingen.
Konzentriere dich, Jasmine. Das ist Vergangenheit.
Ich schaffe es, Kai zur Unterstützung ein Daumen-hoch-Zeichen zu geben. Er wirft mir einen dankbaren Blick zu. Seine Eltern lächeln mich aus der ersten Reihe an. Beide tragen traditionelle japanische Kleidung, verziert mit Stickereien und bunten Mustern.
Ich stelle mich nach links zu den anderen Brautjungfern. Meine Hände zittern, aber ich verberge es, so gut es geht. Alle stehen auf.
Clémence’ Auftritt ist glänzend. Alle Anwesenden bewundern ihre Schönheit. Trotz aller Bemühungen, ihr Make-up zu schonen, vergießt sie ein paar Tränen, was alle zum Lachen bringt.
Kai küsst sie auf die Stirn, als sie bei ihm ankommt. Mehr brauchte ich nicht, um mich davon zu überzeugen, dass ich recht hatte.
Sie sind wirklich füreinander geschaffen.
Ich hoffe nur, dass sie zusammenhalten und kämpfen, wenn es schwierig wird.
Ich knete meinen Blumenstrauß so fest zwischen meinen Fingern, dass der Saft aus den Stängeln unter meine Nägel kriecht, und ich kann es kaum erwarten, mich auf ein oder zwei Drinks – vielleicht auch drei – davonzuschleichen.
Die Zeremonie ist so bewegend, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ihre Gelübde treiben mir Tränen in die Augen. Sie versprechen sich gegenseitig Liebe, Treue und Unterstützung. Wir sehen zu, wie sie nach japanischer Tradition neun Geschenke erhalten, unter anderem Seetang, einen Fächer, eine Abalone-Muschel, Geld …
»Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau«, verkündet der Priester schließlich. »Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«
Kai lässt sich nicht lang bitten. Wahrscheinlich ist das der Moment, den er am sehnsüchtigsten erwartet hat. Er neigt sich zu seiner Frau und enthüllt den Mann, auf den er mir bisher die Sicht versperrt hat.
Über unsere Freunde hinweg begegnen sich unsere Blicke wie zwei Magnete. Mein ganzer Körper erstarrt, und es fällt mir schwer zu atmen.
Er ist da. Er sieht mich an.
Und ich kann mich nicht abwenden. Der Austausch dauert nur fünf Sekunden, aber das reicht. Ich erfasse ihn mit meinem Blick, von seinen hellbraunen Haaren bis zu seinen azurblauen Augen, in die ich schon immer verliebt war. Seine Haut ist von der Sonne gebräunt, und seine Schultern sind muskulöser geworden.
Er ist nicht mehr der schüchterne, aufbrausende Teenager, den ich vor einem knappen Jahrzehnt kennengelernt habe. Er ist ein Mann.
Und doch ist er derselbe Andréa, den ich gekannt habe. Drei Jahre sind vergangen, fast eine kleine Ewigkeit, aber es fühlt sich so an, als hätte ich ihn gestern das letzte Mal gesehen.
Der Moment endet, als die Menge zu applaudieren beginnt. Unsere Freunde richten sich auf, verbergen mich vor den Blicken meines Ex, und ich bekomme meine Gedanken wieder unter Kontrolle.
Ich muss hier weg.
Ich brauche ein Hintertürchen, einen Apfelwodka, eine Nische, in der ich mich verstecken kann.
»Da bist du ja, mein Herz«, flüstert mir eine neckende Stimme ins Ohr. »Ich habe überall nach dir gesucht.«
Beim Anblick meines falschen Freundes, der mir eine Hand auf die Schulter legt, zucke ich zusammen. Was er sagte, sind die ersten Worte, die Hauro in Das wandelnde Schloss mit Sophie wechselt.
Amüsiert verdrehe ich die Augen.
Er spielt das Spiel mit!
»Du bist ganz schön blass«, fügt er leise hinzu. »Es ist der da, nicht wahr?«
Ich folge seinem Blick zu einem fülligen Mann in der ersten Reihe. Empört verziehe ich das Gesicht.
»Ernsthaft? Glaubst du wirklich, dieser Mann wäre mein Ex?«
»Warum nicht? Er sieht doch nett aus. Ich mag diesen schicken Tweedanzug und seinen … Inhalator.«
Nach und nach verlassen alle Gäste die Kirche, um am Ausgang mit Blütenblättern auf das Brautpaar zu warten.
»Er ist mindestens hundert«, grummele ich und wende mich von ihm ab.
»Liebe kennt kein Alter.«
Sein spöttisches Grinsen zeigt mir, dass er mich verarscht. Also beschließe ich, nicht darauf zu reagieren, und akzeptiere seinen dargebotenen Arm.
»Lass uns gehen.«
Wir sind die Ersten, die in der Villa TreVille ankommen, wo heute Abend das Festmahl und die Party stattfinden.
Als Clémence und Kai mir erzählt haben, dass sie an der Amalfiküste heiraten wollten, fiel mir sofort dieses Hotel im Herzen von Positano ein. Es war einst die Heimat von Franco Zeffirelli, einem berühmten italienischen Regisseur.
Das auf einer Klippe erbaute Haus verfügt über elegante Terrassen und luxuriöse Gärten. Mir war klar, dass das Dinner auf der Rotunde direkt über dem Mittelmeer stattfinden musste.
Die Sonne beginnt unterzugehen. Ich überprüfe, ob alles perfekt ist, angefangen beim DJ über den Caterer bis hin zu einem Künstler, der ein Bild des glücklichen Paares malen soll.
»Du bist die Hochzeitsplanerin, nicht wahr?«, erkundigt sich Hauro und lässt sich auf einem x-beliebigen Stuhl nieder.
Mir wird klar, dass ich nicht einmal weiß, wie er heißt; ich habe ihn nie gefragt. Als ich es eben tun will, werde ich plötzlich panisch, denn ich lese den eingestickten Namen auf dem Stuhl mir gegenüber. Eine Welle der Angst überrollt mich.
Andréa.
Das muss ein Fehler sein. Andréa wurde ganz in meiner Nähe platziert, obwohl ich uns absichtlich nicht für denselben Tisch vorgesehen hatte?
Nein, nein, nein, nein! Welcher Trottel hat das veranlasst?
Die ersten Gäste treffen ein und staunen über die atemberaubende Szenerie.
Ich nutze die verbleibende Zeit, um zu Andréas Stuhl zu eilen und seinen Platz mit dem von jemand anderem – ganz gleich, wem – zu tauschen.
»Brauchst du vielleicht Hilfe?«, schlägt mein Partner vor. Er sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen da und macht keine Anstalten aufzustehen.
»Ich komme sehr gut allein zurecht.«
»Das sehe ich. Gut gemacht«, scherzt er.
Als ich den Stuhl anhebe, bemerke ich eine Gabel unter dem Tisch. Jemand vom Service muss sie fallen gelassen haben. Schwitzend bücke ich mich, um sie aufzuheben.
Verborgen unter dem Tischtuch krieche ich auf allen vieren herum. Meine Hände finden, wonach ich suche, aber als ich wieder auftauchen will, höre ich Andréas Stimme.
»Was macht Jasmine denn da unten?«
Ich erstarre. Mein Name auf seinen Lippen … Es ist lange her.
Für den Stuhltausch ist es jetzt zu spät. Wenn ich aber an meinen Platz zurückkehre, wird jeder sehen, wie ich unter dem Tisch hervorkrieche. Und je länger ich damit warte, desto unangenehmer wird die Situation.
»Sie sucht … ihren Hut«, improvisiert Hauro nonchalant.
Oder meine nicht auffindbare Würde.
Eine schreckliche Stille breitet sich aus, und ich frage mich, was über meinem Kopf vor sich geht.
»Verstehe«, antwortet Andréa mit ruhiger Stimme. »Ich dachte schon, sie wäre unter den Tisch gekrochen, um sich zu verstecken.«
Gedemütigt schließe ich für ein paar Sekunden die Augen. Niemand widerspricht ihm, und ich könnte wetten, dass mein falsches Date sein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken kann.
Plötzlich wird eine Ecke des Tischtuchs hochgehoben. Vertraute blaue Augen schauen mich an.
Mit der Gabel in der Hand verharre ich auf den Knien. Andréa bewundert mich wortlos und mit neutralem Gesicht. Und dann beschließt er, mich fertigzumachen.
»Grüß dich, Arrietty. Ganz schön lang her.«
Positano, Italien, Juli
Verdammt, wie schön sie ist.
Kaum ist mir dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, als ich mich auch schon dafür hasse, und doch: Dort unter dem Tisch kniet das einzige Mädchen, das ich jemals geliebt habe, in einer Lache aus apfelgrünem Stoff – wie eine einsame Seerose mitten in einem Teich. Ihr Rouge in einem hübschen Korallenton lässt ihre blasse Haut erstrahlen und macht sie noch feengleicher.
Ihr blondiertes Haar ist gewachsen, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Die Erinnerung an diesen Tag überwältigt mich geradezu, und es schnürt mir das Herz ab, wenn ich an ihre Tränen denke, als sie mir zusah, wie ich meine Kisten in den Kofferraum meines Autos stapelte.
»Pass auf dich auf, Jazz« – das waren meine letzten Worte. Ich erinnere mich noch an den Schmerz, der mir so zusetzte, dass ich kaum Luft bekam, und an die Tränen auf meinen Wangen, als ich wegfuhr und mich zwang, nicht in den Rückspiegel zu schauen.
Noch nie ist mir eine Straße so lang vorgekommen.
Ihre von ihrem vietnamesischen Vater geerbten Augen betrachten mich aufmerksam, während die Sekunden in der Luft zu hängen scheinen. Ich dachte, ich wäre bereit, sie wiederzusehen, aber ich habe mich geirrt.
Die Zeit bleibt stehen, und ich sage das Erstbeste, was mir in den Sinn kommt: »Grüß dich, Arrietty. Ganz schön lang her.«
»Ich habe mich nicht versteckt«, platzt sie heraus, als müsste sie sich rechtfertigen. »Ich habe gerade etwas aufgehoben.«
Ich schlucke, leicht verstört vom kristallklaren Klang ihrer Stimme, von dem ich dachte, ihn nie wieder zu hören. Ich widerstehe dem Drang, sie daran zu erinnern, dass sie gleich nach der Zeremonie davongelaufen ist, nachdem sich unsere Blicke getroffen hatten.
Und noch dazu an Ezras Arm. Ich wusste nicht einmal, dass die beiden sich kennen.
»Wenn du es sagst.«
Ich tue so, als wäre es mir egal, bitte sie aber, herauszukommen. Jasmine weicht meinem Blick aus und richtet sich mit zusammengepressten Lippen auf.
Ich lasse die Tischdecke los.
Schau sie nicht an, schau sie nicht an, tu es nicht…
Zu spät.
Ihr apfelgrünes Kleid ist ein wahres Wunderwerk – bodenlang – und verbirgt ihre High Heels. Der V-Ausschnitt endet knapp über ihrem Nabel und gibt den Blick auf die sanfte Wölbung ihrer Brüste frei, die transparenten Tüllärmel reichen bis zu ihren Ellbogen. Silberne Stickereien und grüne Blütenblätter zieren den Stoff und verleihen ihr das Aussehen einer Waldfee. Eine Welle der Wärme und eine seltsame Vertrautheit überschwemmen mich, doch ich verdränge sie sofort.
Reiß dich zusammen, verdammt!
»Du musst Jasmine sein«, greift meine Begleiterin ein. »Ich heiße Zélie. Schön, dich kennenzulernen.«
Meine Ex erstarrt, und alle Augen am Tisch richten sich auf sie. Ich weiß, was sie denken: dass Zélie meine neue Freundin ist. Das stimmt zwar nicht, aber ich habe nicht die Absicht, sie eines Besseren zu belehren. Nicht vor Jasmine.
Zélie und ich sind nur gute Freunde, abgesehen von einem Kuss an einem feuchtfröhlichen Abend – die Folge eines Spiels, das meine Kollegin zu ernst genommen hat.
Als ich sie bat, mich zur Hochzeit von Kai und Clémence zu begleiten, stimmte sie, ohne zu zögern, zu – unter der Bedingung, dass ich ihr zu diesem Anlass ein Kleid kaufe.
»Sehr erfreut«, antwortet Jasmine mit sanfter Stimme.
Mit einem etwas verkniffenen Lächeln schütteln sie sich die Hand, was meine Freundin und Kollegin zu amüsieren scheint. Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu, doch der bringt sie erst recht zum Grinsen.
Mit einem Mal rückt Ezra Jasmines Stuhl zurecht. »Willst du dich nicht setzen?«
Meine Ex lächelt ihn an, setzt sich neben ihn und legt in einer dankbaren Geste eine Hand auf seine Schulter.
Ich zucke zusammen.
»Ihr kennt euch?« Ich kann nicht anders, ich muss das fragen.
Ich bin absolut nicht eifersüchtig. Trotz unseres tragischen Endes wünsche ich Jasmine, dass sie glücklich ist. Und doch fühle ich mich gerade in meinem Stolz verletzt.
Vielleicht, weil es Ezra ist. Von allen Männern auf dieser Welt musste sie sich ausgerechnet für Kais Cousin und einen meiner Freunde entscheiden …
»Er ist mein Begleiter«, bestätigt Jasmine steif wie ein Brett.
Ezra sitzt neben ihr und lächelt mich spöttisch an. Er tut so, als würde er mich nicht kennen, und fordert mich mit einem auf die Lippen gelegten Finger auf, das Geheimnis zu wahren.
Welches Spiel genau spielt erhier?
»Die Zeremonie war einfach großartig«, sagt Zélie und gratuliert Jasmine zu ihrer Arbeit. »Und die Location ist … atemberaubend!«
Die anderen Gäste setzen sich nun ebenfalls. Allmählich wird es lauter. Aber die Kulisse ist in der Tat bezaubernd. Jasmine hat sich selbst übertroffen. Neben den romantisch von Efeu umrankten Säulen wurden runde Tische aufgestellt.
Von der mit leuchtenden Lampions geschmückten Balustrade hat man einen Blick auf das Meer und die Klippen. Die Sonne geht langsam unter und verleiht dem Wasser, das sich vor unseren Augen in die Unendlichkeit erstreckt, einen sanften Orangeton.
In der Mitte der Tische stehen weiße Rosen und hohe Kerzen, deren Flammen im leichten Wind tanzen. Von der Decke hängen Pflanzen und spiegeln sich im glänzenden Geschirr.
»Und wie lange seid ihr schon zusammen?«, erkundigt sich Zélie.
Ich bin wirklich froh, dass die Frage von ihr kommt und nicht von mir, und ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie es bewusst für mich getan hat.
Jasmine öffnet verlegen den Mund, ohne etwas zu erwidern. Sie ist eine miserable Lügnerin, das wissen wir beide.
»Zwei Jahre«, sagt Ezra und schenkt Champagner ein. »Und ihr?«
»Wir sind kein Paar.«
Scheiße. Ich glaube, ich habe etwas zu schnell geantwortet.
Jasmine schaut mich an, und ich vermute, dass sie meine Freude über unser Wiedersehen nicht teilt. Angesichts der Funken, die ihre Augen sprühen, würde sie vermutlich lieber auf dem Bürgersteig essen als gegenüber von mir.
Ich verstehe sie. Genau das habe ich erwartet.
Unser letztes Gespräch war … chaotisch.
»Wir arbeiten im selben Restaurant«, erklärt Zélie und flüstert mir mit zusammengebissenen Zähnen ins Ohr: »Du hättest dir wenigstens die Mühe machen können, langsamer zu antworten. Bin ich dir so zuwider?«
»Aber nein. Ich bin nur gegen Missverständnisse, das ist alles.«
Das Unbehagen wird durch die mit großem Getöse inszenierte Ankunft des Brautpaares unterbrochen. Musik erklingt, schnell gefolgt von den Rufen und dem Applaus der Gäste.
»Aber jetzt verstehe ich, warum du so am Boden zerstört warst, als wir uns kennenlernten«, flüstert mir Zélie ins Ohr. »Sie ist echt heiß.«
»Ja … und ich? Ich bin eine Neun von zehn, ganz einfach.«
»Mmh … ich denke, das ist eine Frage des Geschmacks«, sagt sie nickend und verzieht skeptisch das Gesicht. »Ich hätte gesagt, eine Sechs.«
Ich bin insgeheim verärgert und gehe nicht darauf ein. Sie hat recht, Jazz ist einfach toll. Das war sie schon immer. Ich weiß noch genau, wie sie mir das erste Mal aufgefallen ist – als wäre es gestern gewesen. Fünfzehn Jahre alt, tiefschwarze Haare und ein verträumter Blick, der mich neugierig machte. Im Unterricht schaute sie immer aus dem Fenster, summte eine Melodie und zeichnete ständig etwas in die Ecke ihres Heftes.
Manchmal traf ich sie in der Stadt auf dem Fahrrad oder beim Blumenpflücken. Dabei beschmutzte sie ihre Kleider mit Erde, ohne sich darum zu kümmern.
Ich erinnere mich an ihren exzentrischen Kleidungsstil, ihre langen Röcke und ihre verrückten Ohrringe. Sie war immer ein wenig zerstreut. Jasmine lebte in einer Art besonderer Blase, zu der nur wenige Menschen Zutritt hatten. Sie besaß ihr eigenes Universum, und ich träumte davon, es zu verstehen. Sie war …
Ein Puzzle. Ein Rätsel.
Und ich? Ich war ein sozial auffälliger Junge, der hauptsächlich durch Wutanfälle kommunizierte.
Und sie … rettete mich.
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«, frage ich, als man endlich wieder sein eigenes Wort verstehen kann.
Ich beobachte Jasmine, aber sie leert ihr Glas Champagner in einem Zug. Sie hat noch immer nichts gesagt. Das ärgert mich. Ist sie so sauer auf mich, dass sie sich weigert, mit mir zu sprechen? Aber vielleicht ist ihr auch klar, dass sie nicht lügen kann, und überlässt es deshalb Ezra.
Mein verständnisvoller Freund übernimmt.
»Jasmine hat mich auf der Straße angesprochen. Sie sagte, ich würde sie an Hauro aus Das wandelnde Schloss erinnern, und ich war sofort entzückt.«
Alle Luft entweicht aus meiner Lunge. Ich kann kaum den Schmerz unterdrücken, der meine Brust flutet. Es fühlt sich an wie ein Dolchstoß.
Ezra lügt nicht. Trotzdem ist es unmöglich, denn Ghibli-Charaktere waren unser Ding. Sie gehörten Jasmine und mir: »Weißt du, an welche Ghibli-Figur du mich erinnerst?« – »An Hauro? Alle Mädchen schwärmen für ihn.«
Damals, als es um mich ging, wagte sie zu lachen und dabei die Augen zu verdrehen.
Aber er … Erinnert er sie wirklich an Hauro?
Ich bin so verletzt, dass ich es nicht verbergen kann. Alle hören die Kälte in meiner Stimme, als ich antworte: »Wie romantisch.«
Jasmine hat den Anstand, verlegen zu wirken. Danach stelle ich keine Fragen mehr, und jede Gruppe führt private Gespräche. Zélie versucht, mich abzulenken, aber ich will einfach nur verschwinden.
Die Kellner servieren das Essen, während die Musik einige Paare verzaubert. Nach und nach umfängt uns die Nacht und enthüllt eine Mondsichel über unseren Köpfen.
Clémence und Kai kommen fröhlich lächelnd an unseren Tisch. Kai hat seine Jacke abgelegt und trägt ein weißes Hemd, das einen Kontrast zu seinen nach hinten gekämmten dunklen Haaren bildet.
»Na? Läuft bei euch alles gut?«, will er wissen. Sein strahlendes Lächeln lässt seine Augen fast verschwinden.
Jasmine verzieht das Gesicht und entschuldigt sich bei der Braut.
»Darf ich euch meinen Begleiter vorstellen …«, beginnt sie, unterbricht sich aber, als hätte sie seinen Vornamen vergessen.
Schweigend und verwirrt schauen wir sie an. Jasmine errötet betreten und wendet sich an Ezra. Der lächelt amüsiert.
»Ezra«, souffliert er. »Ezra Tsuji.«
»Ezra«, wiederholt sie und weicht verlegen meinem Blick aus. »Entschuldigung, ich war einen Moment nicht ganz bei der Sache.«
Träume ich, oder kennt sie nicht einmal seinen Vornamen?
Der Betroffene unterdrückt zwar sein Lachen, aber trotz aller Beherrschung beben seine Wangen. Das glückliche, frisch vermählte Paar mustert Jasmine und runzelt verständnislos die Stirn.
»Danke, Jazz«, sagt Kai lachend, er hält fast alles für einen Witz. »Ohne dich hätte ich meinen eigenen Cousin bestimmt nicht erkannt.«
Jasmines Reaktion ist unbezahlbar. Sie erbleicht gedemütigt. Mich hingegen überkommt eine kindische Erleichterung, als mir klar wird, dass die beiden sich bis zum heutigen Tag wirklich nicht kannten.
»Ezra Tsuji …«, flüstert meine Ex, als hätte sie eine Offenbarung. »Du warst auf der Liste. Ich habe deine Einladungskarte verschickt.«
Ihr angeblicher Freund verzieht aufrichtig bedauernd das Gesicht.
»Wir haben sogar auf WhatsApp über das Gemeinschaftsgeschenk diskutiert. Vielleicht erinnerst du dich an mein Profilbild …«
»Das Meme von Michael Scott aus The Office, das sagt: ›I am Beyoncé always.‹«
»Ein Klassiker.« Ezra lächelt stolz.
Jasmine scheint zu beschämt für eine Antwort. Zwar verstehe ich nicht ganz, was da los ist, klar ist jedoch, dass sie und Ezra keine Freunde, geschweige denn ein Liebespaar sind.
»Er stellt uns sein Haus in der Toskana zur Verfügung«, fügt Kai hinzu und klopft seinem Cousin auf die Schulter, »und er wird unser Reiseführer durch Italien sein.«
»Na toll. Ich kann es kaum erwarten«, antwortet meine Ex schmallippig.
Der Sommer fängt ja gut an, höhnt eine kleine Stimme in meinem Kopf. Ein wenig bereue ich, dass ich zugestimmt habe, die nächsten zwei Monate mit ihnen zu verbringen.
Clémence und Kai wollten ihre Flitterwochen nicht so gestalten wie alle anderen. Nein, für sie musste es ein Buddymoon mit ihren alten Freunden sein. Ich könnte fast wetten, das war Absicht, um uns zu einer Versöhnung zu zwingen, nachdem wir die Gruppendynamik zerstört hatten.
»Bin gleich zurück«, verkündet Jasmine und steht auf. »Ich muss … mit dem Chefkoch sprechen.«
Ich sehe, wie sie geht, und halte sie nicht zurück. Kai fragt Ezra, was los ist, aber dieser bedeutet ihm, nicht weiter darauf einzugehen.
Jasmine ist auch nach dem Essen noch nicht wieder da. Ezra fordert eine Oma auf, zu Barry Whites You’re the First, the Last, My Everything zu tanzen und unterhält die Gruppe der umherspringenden Kinder.
Ich bleibe bei Zélie am Tisch sitzen. Weil ich ständig zum Ausgang spähe, seufzt sie schließlich und meint: »Du solltest vielleicht nachsehen, wo sie bleibt, oder? Man merkt doch, dass du es kaum aushältst.«
»Quatsch, ich muss nur dringend auf die Toilette.«
Unter ihrem desillusionierten Gesichtsausdruck stehe ich auf und entschuldige mich. Ganz ehrlich, wer verbringt schon die Hochzeit von Freunden damit, zu arbeiten? Es sei denn, sie will um jeden Preis vor mir davonlaufen …
Unmöglich kann ich diese Bestrafung zwei Monate lang ertragen.
Ich finde sie fast sofort. Sie steht mit dem Konditor hinter dem Herd und ist in ein ausführliches Gespräch vertieft. Ich trete näher. Hier bin ich ganz in meinem Element. Ich liebe Küchen, und das aus gutem Grund: Es ist mein Job. Ich war nie besonders gut in der Schule, aber wenn es einen Ort gibt, an dem ich mich wie ein Fisch im Wasser fühle, dann ist es die Küche.
»Was willst du hier?«, fragt Jasmine kühl. »Gäste sind hier nicht gestattet.«
Der Patissier begrüßt mich, ehe er sich wieder an die Arbeit macht. Auf der Theke steht die eindrucksvolle Hochzeitstorte, die gleich serviert werden soll: verschiedene Desserttabletts unter einem Wasserfall aus Zuckerguss.
»Ich könnte dir die gleiche Frage stellen. Ich weiß, dass du versuchst, mir aus dem Weg zu gehen, aber …«
Ihr spöttisches Lächeln lässt mich innehalten. Mir ist klar, dass ich sie verärgert habe, aber ich weiß nicht, womit. Seit meiner Ankunft war ich nichts als freundlich.
»Ich arbeite hier, Andréa. Nichts für ungut, aber du bist gerade meine geringste Sorge.«
Ich neige den Kopf und versuche verzweifelt, ihren Blick zu erhaschen.
»Und doch hast du einen Wildfremden gebeten, die Rolle deines Freundes zu spielen. Wozu überhaupt?«
Schließlich sieht sie mich an, aber ihr Gesicht zeigt Wut. Eine Wut, die mich erschaudern lässt. Jasmine ist nicht der Typ, der sich leicht aufregt. Ihr Wesen ist ruhig und sanft. Sie hasst Konflikte und liebt Menschen, und es braucht schon einiges, um sie aus der Ruhe zu bringen.
Zumindest war sie früher so.
Es ist eines der Dinge, um die ich sie immer beneidet habe, denn ich war das komplette Gegenteil: ein wütender Teenager, der unbedingt Aufmerksamkeit wollte, auch wenn er dafür ständig Zoff anfangen musste … Eifersucht führte zu unserem allerletzten Streit.
»Und was ist mit dir?«, kontert Jasmine. »Warum hast du Zélie mitgebracht, wenn sie nur eine Kollegin ist?«
Aus dem gleichen Grund wie du.
Sie gibt mir nicht die Möglichkeit zu antworten und stößt einen langen Seufzer aus, ehe sie sich wieder beruhigt.
»Pass auf. Wenn andere das können, schaffen wir es auch. Wir haben uns mal geliebt, aber das ist vorbei«, erklärt sie in einem trockenen Ton, der mein Herz erstarren lässt. »Geben wir uns Mühe und hören auf, einander zu bekämpfen, zumindest während dieses Buddymoon. Das sind wir Clem und Kai schuldig.«
Das ist vorbei – ich hätte nicht gedacht, dass es derart schmerzen würde, die Worte laut ausgesprochen zu hören.
Ist sie wirklich darüber hinweg?
Was mich betrifft, bin ich mir dessen gar nicht so sicher – nicht mehr, seit sie hier vor mir steht.
Tatsächlich gibt es ein Vor und ein NachJasmine.
Das Davor war schrecklich langweilig. Das Danach eine unerträgliche Qual.
Aber die Zeit zwischen diesen beiden … war schlicht und ergreifend perfekt.
»Die Gäste sind bereit für den Nachtisch«, unterbricht mich der Koch in meinem Gegenangriff. »Brauchen Sie Hilfe?«
Selbstbewusst greift Jasmine nach der Tortenplatte. Die Hochzeitstorte ist so schwer, dass sie leicht nach rechts kippt. Trotz des Schocks, den ihre Worte in mir ausgelöst haben, beeile ich mich, ihr zu helfen. Jeder von uns hält das Ungetüm auf einer Seite.
»Ich mach das schon«, versichere ich dem Küchenchef.
Gemeinsam bewegen wir uns vorwärts und passieren die Schwingtüren der Küche. Jasmine scheint entschlossen, sich nicht auf ein Gespräch mit mir einzulassen.
»Warum hast du mit ihm über Hauro gesprochen?«, platze ich heraus, ohne nachzudenken. »Das war unser Ding.«
Ich weiß, dass ich wie ein launisches Kind klinge, und ärgere mich, dass ich die Frage gestellt habe. Jasmines Reaktion bestätigt mir meinen Fehler sofort. Sie wirft mir einen empörten Blick zu und lacht bitter auf.
»Das ist doch wohl hoffentlich nur ein Witz? Du hast kein Recht, eifersüchtig zu sein, Andréa Moretti.«
»Ich …«
»Darf ich dich daran erinnern, dass du mich verlassen hast?«, antwortet sie mit erhobener Stimme. »Also tu mir bitte den Gefallen und lass mich auf meine Art leben.«
Das weiß ich doch alles. Sie hat recht.
Ich will mich gerade entschuldigen, als wir das Partygetümmel erreichen. Die Musik ist so laut, dass man sein eigenes Wort nicht versteht.
Die Menge teilt sich, um uns passieren zu lassen. Das frisch gebackene Paar wartet bereits. Jasmine macht mir mit dem Kinn ein Zeichen, ein wenig näher zu kommen, aber plötzlich rutsche ich auf etwas aus: Es ist ihr Kleid, das bei jedem Schritt über den Boden schleift.
Der Sturz dauert nur eine Sekunde – die längste Sekunde meines Lebens – und bringt das Kunstwerk aus dem Gleichgewicht. Ich spüre, wie es sich neigt und nach links rutscht.
Jasmine will es noch auffangen, stolpert über mich … und stürzt ebenfalls. Die Hochzeitstorte wird auf unseren Köpfen zu Brei. Der Jubel versiegt. Nur die Musik läuft weiter, während alles ringsum wie eingefroren erscheint.
So eine Scheiße.
Clémence bringt uns um, so viel ist sicher. Sie wirkt vielleicht nicht so, aber sie ist knallhart.
Mit dem Gesicht voller Kuchen und Sahne steht Jasmine auf. Ihr Dekolleté ist ein Stück aufgegangen und ich strecke unwillkürlich die Hand aus, um ihre Brüste vor neugierigen Blicken zu verbergen.
»Was gebrochen?«
Ezra reicht Jasmine die Hand. Sie nimmt sie und murmelt etwas, das ich nicht verstehen kann. Ich stehe ebenfalls auf und mache beruhigende Gesten.
»Litschi, Himbeere und … Rose?«, vermutet Ezra, der sich die Finger leckt. »Hmm. Geradezu göttlich.«
Ich stelle fest, dass er mit einem Löffel ein Stück des zertrümmerten Kuchens aufgenommen hat. Clémence ist kreidebleich, aber Kais Cousin fordert alle auf, sich »ohne große Umstände« zu bedienen.
Die Gäste lachen, und sehr schnell ist die Krise abgewendet. Ezra schlägt Jasmine vor, sich auf der Toilette zu reinigen, und reicht ihr ihren Seidenbeutel.
Als meine Ex verschwunden ist, kommt Clémence auf mich zu und faucht mit zusammengebissenen Zähnen: »Diese Torte hat mich tausendfünfhundert Euro gekostet, Vollidiot.«
Ich schlucke und fange Kais verängstigten Blick auf.
»Ich weiß. Es tut mir leid, Clémence.«
»Ach ja, es tut dir leid?«, wiederholt sie mit einem Joker-würdigen Lächeln. Ihre Hand drückt meine Schulter mit eisernem Griff. »Du wirst schon sehen, wie leid es dir noch tun wird, wenn ihr beide nicht vor morgen eine Möglichkeit findet, euch irgendwie zu einigen.«
Positano, Italien, Juli
Ich wollte mich nicht aufregen. Ehrlich nicht.
Das ist nicht meine Art. Ich erhebe meine Stimme eigentlich nie und würde lieber die Klappe halten und weglaufen, als einen Streit anzuzetteln.
Aber in letzter Zeit war das Leben in vielerlei Hinsicht anstrengend. Ich fühlte mich ängstlich, gedemütigt und schlecht behandelt. Die letzten Monate habe ich damit verbracht, eine Hochzeit zu planen, von der ich wusste, dass er mit einer anderen Frau dort sein würde.
Als Clémence mir von ihrer Buddymoon-Idee erzählte, habe ich zugegebenermaßen alles versucht, mich da rauszuwinden. Aber ich weiß auch, wie wichtig es unseren Freunden ist, Andréa und mich an ihrer Seite zu wissen, um ihre Liebe zu feiern. Schließlich verdanken sie es uns, dass sie sich kennengelernt haben.
Also habe ich mich so gut wie möglich vorbereitet und schaffte es tatsächlich, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich in der Lage wäre, zwei Monate mit Andréa in einer kleinen Gruppe zu verbringen.
Dabei erkannte ich, wie stinksauer ich auf ihn bin, und das, obwohl ich eigentlich vom Gegenteil überzeugt war. Nachdem Andréa mich verlassen hatte, weinte ich wochenlang ununterbrochen. Meine Freundinnen befürchteten bereits, ich könnte an Dehydration sterben. Aber dann war es von einem auf den anderen Tag einfach vorbei. Mithilfe einer Therapie konnte ich mich überzeugen, dass alles in Ordnung kommen würde. Ich wollte mich nicht mehr gehen lassen, und ich wollte mit niemandem mehr darüber reden.
Meine Psychologin behauptet, dass ich die Kunst des Leugnens ganz ausgezeichnet beherrschte.
»Habt ihr euch wieder vertragen?«, erkundigt sich meine Freundin, als wir die Airbnb-Unterkunft verlassen.
Nach zwei Tagen purem Feiern fand die Hochzeit schließlich ein Ende. Die Gäste kehrten nach Hause zurück. Auch Zélie, Andréas Kollegin.
Aber das Schwierigste kommt erst noch.
Andréa und ich verbrachten die Zeit damit, einander in gegenseitigem Einvernehmen zu ignorieren, vor allem damit man uns verzieh, dass wir unseren Freunden den Abend verdorben hatten. Clémence verpasste uns eine Gardinenpredigt, die sich gewaschen hatte. Sie war wütend, dass wir die teure Hochzeitstorte zerstört hatten.
Seit zwei Tagen krieche ich daher zu Kreuze und hoffe, dass sie mich bald wieder lieb hat. Ich schäme mich, sowohl als ihre Freundin als auch als ihre Hochzeitsplanerin. Ich habe ihr übrigens auch angeboten, für den Schaden aufzukommen, was sie jedoch ablehnte.
»Nicht wirklich.« Ich verziehe das Gesicht und setze meinen Strohhut auf. »Aber es gibt keinen Skandal mehr, versprochen! Du und Kai sollt die bestmöglichen Flitterwochen verbringen … Wir werden uns wie Erwachsene verhalten.«
In unserer Gruppe bezeichnen wir Clémence insgeheim als »Tyrorganisatorin«, eine Mischung aus »Tyrannin« und »Organisatorin«. Sagen wir einfach, sie mag es, wenn alles … eindeutig ist. Wenn etwas nicht nach ihren Plänen läuft, macht sie ziemlichen Stress.
»Kais Neffe hat das Video schon auf TikTok gestellt«, berichtet sie. »Schau dir mal den Hashtag #weddingcakegirl an. Du bist jetzt berühmt.«
Mein gedemütigtes Grunzen bringt sie zum Lächeln. Ich glaube, sie fängt langsam an, mir zu verzeihen, und das ist eine gute Nachricht.
In den folgenden Tagen bleiben wir in Positano, wo sich pastellfarbene Häuser wie kostbare Juwelen an die Hänge klammern. Auf dem Programm stehen Spaziergänge durch die Stadt und Entspannung am Strand. Die Männer schlafen heute in ihren Zimmern aus, aber Clémence und ich haben beschlossen, einen Spaziergang zum Wochenmarkt zu machen.
Positano ist wunderschön. Wir schlendern durch die verwinkelten Gässchen der Stadt, und unsere Schritte hallen auf dem uralten Kopfsteinpflaster wider. Die Morgensonne streichelt meine Haut. Goldene Strahlen dringen durch die hölzernen Fensterläden der Geschäfte und erzeugen tanzende Muster auf den Fußböden.
Aber es ist der Geruch, der mich an mein Leben in Gordes denken lässt, der verführerische Duft nach Früchten, Blumen und Gebäck. Zusammen mit der salzigen Luft erinnert es mich daran, dass wir uns tatsächlich am Meer befinden.
»Jazz … darf ich dir eine Frage stellen?«
Ich schaue Clémence an. Wir spazieren am Strand mit seinen bunten Sonnenschirmen entlang. Sie und ich sind seit unserem zwölften Lebensjahr befreundet. Ich habe seltener Kontakt mit ihr als mit Lily, Nolia und Camelia, aber zwischen uns herrscht ein Vertrauen, das nur eine lang währende Freundschaft verleiht.
Ich weiß, dass ich ihr alles sagen kann.
»Du hast mir nie verraten, warum Andréa dich verlassen hat.«
»Du brauchst ihn nur zu fragen. Schließlich ist er der beste Freund deines Mannes, oder?«
Ich habe immer geglaubt, dass Andréa mit Kai über alles gesprochen hat, doch die Reaktion meiner Freundin beweist, dass es nicht so ist. Wenn Kai etwas weiß, erfährt Clémence es letztendlich auch.
Sie bleibt vor einem Restaurant stehen, in dem, wenn man den eindeutigen Düften Glauben schenken darf, Fisch als Tagesgericht serviert wird. Sofort schlägt sie sich die Hand vor den Mund und setzt sich wieder in Bewegung. Ihr Blick wirkt finster, vielleicht sogar etwas verärgert.
»Ich frage Andréa nicht. Falls du es nicht bemerkt haben solltest: Ich bin sauer auf ihn.«
Wie bitte? Seit wann das denn?
»Aber du hast ihn zu deiner Hochzeit eingeladen … und zu deinen Flitterwochen«, erinnere ich sie verwirrt. »Übrigens sollten wir mal über dieses Buddymoon-Konzept reden, denn es ist wirklich sehr skurril. Wollt ihr in unserer Anwesenheit miteinander schlafen? Muss ich Ohrstöpsel kaufen?«
»Kai hat ihn eingeladen«, korrigiert sie seufzend. »Nicht ich.«
Verblüfft über ihr Geständnis frage ich sie nach dem Grund. Clémence scheint sich über meine Frage zu wundern, denn sie wirft die Arme in die Luft und schreit fast: »Weil er dir das Herz gebrochen hat!«
Oh. Verstehe. Als langjährige Freundin hat sie sich für mich eingesetzt, ohne dass ich darum gebeten hätte. Ich weiß, dass es nicht angebracht ist … und doch verspüre ich plötzlich eine tiefe Dankbarkeit ihr gegenüber.
Nach der Trennung fühlte ich mich unendlich allein. Meine besten Freundinnen haben mich nach Kräften unterstützt, aber auch ihnen konnte ich nicht alles erzählen. Mein Schmerz und meine Geheimnisse führten zur Isolation.
Die Wahrheit ist, dass Andréa das Recht hatte, mich zu verlassen. Niemand sollte gezwungen werden, bei jemandem zu bleiben, den er nicht mehr liebt. Ich habe ihm das Leben auch nicht gerade leicht gemacht, jeder hat eben seine Fehler.
Andréa ist nicht der Bösewicht in dieser Geschichte. Es mag unfair sein, ihm die Schuld zu geben, und doch …
Ich bin auch nur ein Mensch.
»Hör auf, ihn zu quälen«, gebe ich statt einer Antwort zurück. »Ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die unter dieser Trennung gelitten hat. Er wurde schon genug bestraft.«
Ich höre sie etwas grummeln, das sich anhört wie: »Und warum hat er dich dann fallen lassen?«, aber ich erwidere nichts. Ich bin noch nicht bereit, darüber zu sprechen. Keine Ahnung, ob ich es jemals sein werde.
Das Leugnen. Immer noch und immer weiter.
Meine Eltern haben mir beigebracht, auf diese Weise mit meinen Problemen umzugehen. Inzwischen weiß ich, dass eine solche Haltung eigentlich eine tickende Zeitbombe ist. Das Ticken pocht ständig hinter meinen Schläfen, und die Bombe droht jeden Moment zu explodieren. Aber ich halte durch. Noch habe ich die Kontrolle.
»Ich hätte dich nicht zwingen dürfen, uns zu begleiten, da ich doch wusste, wie quälend das sein würde. Entschuldige. Das war wirklich egoistisch.«
Ich lache leise und hake mich bei ihr ein.
»Quatsch keinen Blödsinn. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Mir geht es gut.«
Sie schürzt skeptisch die Lippen.
»Sicher? Versprochen? Wenn nicht, verdrücken wir uns, und Kai und ich machen diesen Roadtrip nur zu zweit … als Liebespaar.«
»Kommt nicht infrage«, antworte ich entschlossen. »Das ist euer erster Urlaub als Ehepaar. Mach dir keine Sorgen um mich, ich werde Andréa schon zeigen, was ihm entgeht.«
Ich habe es nur so dahingesagt, aber plötzlich gleitet ein hinterlistiges Lächeln über Clémence’ Gesicht, und ich weiß, dass ich mir gerade mein eigenes Grab geschaufelt habe.
»Aber ja! Lassen wir ihn seine dämliche Entscheidung bereuen. Was wäre dafür besser geeignet als Italien?«, grinst sie und breitet die Arme weit aus. »Schau nur hin. An jeder Straßenecke gibt es sexy Männer, ein wahres Paradies.«
Ich sollte keinesfalls ein so gefährliches Spiel spielen, aber Andréa hat es als Erster gespielt, als er Zélie einlud. Und außerdem: Warum sollte ich diesen Urlaub nicht nutzen, um endlich loszulassen und neue Leute kennenzulernen?
Ich bin Single, jung und sexy. Ich habe eine neue Seite aufgeschlagen.
Es ist an der Zeit, es der Welt zu beweisen.
»Willst du dich etwa oben ohne bräunen?«
Clémence liegt im Liegestuhl und wirft ihrem Mann einen herausfordernden Blick zu. Die Sonne scheint uns ins Gesicht, aber sie blinzelt kein einziges Mal. »Ja. Warum?«
Kai ist ein intelligenter Mann. Er antwortet »Nur so« und breitet sein Handtuch im heißen Sand aus. Er weiß, dass Clémence ohnehin tut, was sie will, ganz gleich, ob es ihm gefällt oder nicht.
Trotzdem sehe ich, wie er Andréa und Ezra mit drohendem Blick befiehlt, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten. Ich stehe vor unserem orange-grün gestreiften Sonnenschirm und muss grinsen.
Am Spiaggia Grande sind die Männer zu uns gestoßen. Die Aussicht ist atemberaubend, mal abgesehen von den vielen schreienden Kindern, die überall herumrennen und für Sand auf unseren Handtüchern sorgen.
Irgendwann vergrabe ich eins von ihnen bis zum Hals.
»Jazz«, ruft Clémence und wedelt mit einer Tube Sonnencreme. »Zieh dich aus, ich creme dich ein.«
Ich weiß sehr gut, was sie vorhat: Sie möchte, dass ich halb nackt vor Andréa stehe, ganz im Sinn unseres machiavellistischen Racheplans.
Bei der Vorstellung, mich auszuziehen, werde ich ziemlich nervös, aber es ist zu spät für einen Rückzieher. Ich liebe meinen Körper. Meine Dehnungsstreifen allerdings kann ich nicht leiden und versuche immer, sie so gut es geht zu verbergen.
Ich ziehe mir mein Kleid über den Kopf und enthülle meinen neuen Badeanzug. Ich spüre die Last seines Blicks auf mir, auch wenn ich vorgebe, nicht darauf achten. Andréas Augen streichen über meine nackten Schultern und gleiten dann über meine teilweise von meinem gelben Einteiler verdeckte Brust. Der Badeanzug ist sehr tief ausgeschnitten und betont meine Oberschenkel und meinen runden Po.
Ich drehe mich um und setze mich neben Clémence, zufrieden, dass es mir gelungen ist, die Aufmerksamkeit meines Ex auf mich zu ziehen.
»Ich glaube, er bekommt gleich einen Schlaganfall«, flüstert meine Freundin und verteilt kalte Creme auf meinem Rücken.
Ich lächele stolz, traue mich aber nicht, in Andréas Richtung zu blicken. Allerdings bezweifle ich sehr, dass er durch den Anblick meines Körpers, den er längst in- und auswendig kennt, so aus dem Gleichgewicht geraten würde.
»Männer mögen nur Neues«, sagt meine Tante immer. »Deshalb sind sie unfähig zur Monogamie.«
»Da gibt es aber nichts Neues zu entdecken«, antworte ich leise.
»Genau. Er kennt es. Ich wette, es bringt ihn um, dir so nah zu sein und dich nicht berühren zu können.«
In diesem Moment hebe ich den Kopf. Andréa starrt mich von seinem Liegestuhl aus an, und das reicht schon, um mich zum Erschauern zu bringen.
Natürlich ist es nur eine Art Reflex. Ich fühle mich nicht mehr zu ihm hingezogen …
»Ich hoffe, er bereut es zutiefst«, flüstere ich mit zusammengepressten Zähnen.
Eine kleine Stimme in meinem Inneren fleht mich an, nicht so schäbig zu sein, aber das ist das Einzige, was mich im Moment über Wasser hält.
Als Clémence fertig ist, legen wir uns beide schweigend zum Sonnenbaden hin. Andréa und Kai gehen schwimmen und lassen Ezra zurück. Der hockt sich lächelnd vor mich. Erst jetzt fallen mir die Tattoos an seinen Armen, der Brust und seinen Oberschenkeln auf. Bestimmt sind es fast zwanzig.
»Du versuchst, ihn langsam weichzukochen, oder?«, spottet er. Seine Augen sind hinter einer Sonnenbrille verborgen.
»Hau ab, feiger Verräter!«, murmle ich und halte gegen die Sonne die Hand über die Augen.
Er lacht leise, kein bisschen beleidigt. Noch immer schäme ich mich für den Moment, als mir klar wurde, dass Ezra Kais Cousin ist.
War ich blöd!
»Weißt du, was das Lustige daran ist, dass du ausgerechnet mich ausgesucht hast?«, fährt er fort. »Abgesehen davon, dass wir zur gleichen Hochzeit eingeladen waren, meine ich.«
»Ist mir egal. Hau ab.«
»Mein Vorname bedeutet wörtlich der Helfer«, fährt er fort, ohne die Fassung zu verlieren. »Offenbar ist es meine Bestimmung, Menschen in Not zur Seite zu stehen.«
Genervt lege ich meine Hand auf sein Gesicht, um ihn wegzustoßen. Ich habe ihm verziehen, dass er mir keinen reinen Wein eingeschenkt hatte, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich mit ihm befreundet sein möchte.
»Du willst ihn also zurückerobern?«, fragt er durch meine gespreizten Finger, die wie ein Seestern über seiner Nase liegen.
Gibt er nie auf, oder was?
»Quatsch!«
»Hm! Denn wenn das der Fall ist, machst du es völlig falsch.«
Ich habe keine Zeit mehr, ihn abzuwimmeln. Kai und Andréa kehren in diesem Moment zu uns zurück, und Ezra schlägt vor:
»Jemand Lust auf Jetski?«
Misstrauisch schaue ich auf das Meer hinaus und schüttle den Kopf.
»Nein danke. Vielleicht später …«