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Um sie zu retten, würde er alles tun
Sängerin, Schauspielerin und Model - Daisy Coleman hat sich all ihre Träume erfüllt. Eigentlich hat der Weltstar alles, nur nicht das, was sie sich am sehnlichsten wünscht: Thomas Kalberg, den besten Freund ihres Bruders. Aber Thomas lässt keinerlei Gefühle zu und behandelte Daisy stets wie eine kleine Schwester. Doch plötzlich ändert sich alles zwischen ihnen, denn Thomas wird Daisys neuer Bodyguard. Obwohl die beiden sich so nah sind wie noch nie, erscheint Thomas unerreichbarer als jemals zuvor. Denn um Daisy zu beschützen, will er ihre Beziehung rein professionell halten. Daisy hingegen hat sich in den Kopf gesetzt, das eiskalte Herz ihres Bodyguards zu erobern.
"Eine spannende, mitreißende und umwerfende Geschichte, die mich absolut begeistern konnte. Ich habe bisher jedes Buch von Morgane Moncomble geliebt." BOOKISHMOONLIGHT über BET ON YOU
Die Fortsetzung zu BET ON YOU von Morgane Moncomble
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Seitenzahl: 509
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
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Epilog
Too Young To Be Sad
Not A Woman, But A God
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Morgane Moncomble bei LYX
Impressum
MORGANE MONCOMBLE
COUNT ON YOU
ROMAN
Ins Deutsche übertragen von Ulrike Werner-Richter
Mit der Fernsehserie Rock My Life gelang Daisy Coleman mit nur fünfzehn Jahren der große Durchbruch in Hollywood. Mittlerweile ist die Zweiundzwanzigjährige vom Kinder- zum Weltstar aufgestiegen und arbeitet erfolgreich als Sängerin, Schauspielerin und Model. Eigentlich hat sie alles, was sie sich je gewünscht hat, bis auf den Mann, den sie nie vergessen konnte: Thomas Kalberg, der beste Freund ihres Bruders. Seit ihrer Kindheit ist Daisy in Thomas verliebt, der sie aber stets wie eine kleine Schwester behandelte. Doch als er nach vier Jahren nach Los Angeles und in ihr Leben zurückkehrt, ändert sich alles: Thomas wird Daisys neuer Bodyguard. Obwohl Thomas sein Privatleben eigentlich strikt von seinem Beruf trennt, macht er eine Ausnahme, um auf die Schwester seines besten Freundes aufzupassen. Daisy wird von einem gefährlichen Stalker bedroht und um sie zu beschützen, würde Thomas alles tun – sogar, seine aufkeimenden Gefühle für die Sängerin verdrängen. Doch Daisy hat sich in den Kopf gesetzt, das eiskalte Herz ihres Bodyguards zu erobern …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Dieses Buch ist den Menschen gewidmet, die sich verändern wollten, um der breiten Öffentlichkeit zu gefallen, und die sich dabei verloren haben.
ROSÉ – On The Ground
Olivia Rodrigo – Jealousy, Jealousy
Shawn Mendes – In My Blood
BTS – Interlude: Shadow
Bea Miller – S. L. U. T.
Selena Gomez – The Heart Wants What It Wants
EMELINE – This Is How I Learned To Say No
Panic! at the Disco – Hey Look Ma, I Made It
Conan Gray – People Watching
Eric Nam – Any Other Way
Dua Lipa – Boys Will Be Boys
Ed Sheeran – The Joker And The Queen
Joshua Bassett – Crisis
The Neighbourhood – Sweater Weather
Halsey – I Am Not A Woman, I’m A God
Ariana Grande – Pov
Hwa Sa – I’m A B
Taylor Swift – The Man
Charlie Puth – The Way I Am
Taylor Swift – Wildest Dreams
Alec Benjamin – If We Have Each Other
LALISA – MONEY
Jeremy Zucker – This Is How You Fall In Love
Skylar Grey – I Know You
BTS – Born Singer
Als ich Daisy Coleman vorschlug, ihre Geschichte aufzuschreiben, rechnete ich mit einer Ablehnung. Wer hätte ihr das verübeln können, nachdem ihre Privatsphäre so oft verletzt worden war? Aber sie stimmte mit einem dankbaren Lächeln zu. »Um der Wahrheit willen«, sagte sie. »Es ist Zeit, dass die Öffentlichkeit mich wirklich kennenlernt.«
Das war vor zwei Jahren. Mit diesem Buch öffne ich heute eine verborgene Tür zum Leben dieser ikonischen und so beliebten Frau.
Nachdem sie ihr Privatleben zehn Jahre lang mit allen Mitteln geschützt hat, nach einem Jahrzehnt, in dem die ChannelD-Musikerin zu weltweitem Ruhm kam, blickt Daisy Coleman auf ihre Anfänge und ihre Liebesgeschichten zurück … und auf den Zwischenfall mit Frank, ein Ereignis, das durch alle Medien ging und sie fast das Leben gekostet hätte.
Dies ist die Abschrift eines privaten Interviews, das ich mit Daisy und ihrem älteren Bruder Hakeem Coleman geführt habe.
Kaylee Walters, Journalistin und Autorin: Du bist die Jüngste in deiner Familie. Wie nah stehst du deinen Geschwistern? Erzähl mir ein wenig über deine Kindheit.
Daisy Coleman, Sängerin, Schauspielerin und Model: Wir stehen uns alle sehr nahe, so wurden wir erzogen. Weißt du … Mir ist natürlich klar, dass man eigentlich keines seiner Geschwister bevorzugen sollte. Aber mein Lieblingsbruder ist Hakeem. Tut mir leid für Calvin und Brianna. (lacht) Nicht, dass ich sie weniger liebe, aber sie leben eben in ihrer eigenen Welt … Bei Zwillingen ist das ganz normal. Mich hat das allerdings traurig gemacht, und Hakeem hatte Verständnis dafür.
Hakeem Coleman, älterer Bruder von Daisy Coleman: Daisy folgte mir auf Schritt und Tritt, aber das störte mich nicht. Im Gegenteil, ich mochte es. Mir war klar, dass sie sich einsam fühlte.
Daisy: An meinem zwölften Geburtstag lernte ich Thomas kennen. Hakeem nahm mich mit zum Basketballplatz in der Nähe von Venice Beach. Wir wohnten in Culver City, nicht weit von Hotcakes Bakes entfernt, aber wir nahmen die U-Bahn.
Hakeem: Sie war ein sehr fröhliches Mädchen. Immer lächelte sie, und sie redete viel, manchmal zu viel. Wir fanden nie den Ausschalt-Knopf.
Daisy: Damals hatte ich meine »Altes-Ägypten«-Phase. Ich liebte das Fach Geschichte. Ehrlich gesagt war ich immer leicht zu begeistern. Schweigen mochte ich nicht. Wir gingen also zum Basketballplatz und redeten dabei über Mumien und Geister, das gefiel mir. Das Wetter war schön.
Hakeem: Wir haben ein bisschen gespielt, nur wir zwei. Das Wetter war toll. Und dann kam Austin.
Daisy: Er war ein ziemlicher Arsch. Ich glaube, er hat Hakeem in der Schule ziemlich fertiggemacht. Mein Bruder hat nie wirklich darüber gesprochen … Er hat es immer abgestritten, aber mich konnte er nicht täuschen. Er wollte nur niemanden beunruhigen.
Hakeem: Er kam mit seiner Gang. Austin trat nach dem Ball, den Daisy in der Hand hielt, und schnappte ihn sich. Sofort sorgte ich für Deckung für meine Schwester. Mir war klar, dass die Situation eskalieren würde.
Daisy: »Gib den Ball zurück«, forderte Hakeem mutig. Austin weigerte sich und wollte wissen, ob mein Bruder ein Problem damit hätte. Er war auf Streit aus, das war klar. Ich hatte Angst – vor allem um Hakeem. Weil ich dabei war. Wenn sie mir auch nur ein Haar krümmten, würde er sich prügeln.
Hakeem: Wir wissen alle, was passiert, wenn der verwöhnte Sohn reicher Eltern in seine Villa in Beverly Hills heimkehrt und sich darüber beschwert, dass ein schwarzer Junge ihm ins Gesicht geschlagen hat. Solchen Problemen wollte ich aus dem Weg gehen.
Ich erklärte Daisy, wir würden verschwinden, und nahm ihre Hand. Aber Austin warf mir den Ball so hart in den Rücken, dass ich stolperte. Ich habe … (seufzt) Ich habe mich vor meiner kleinen Schwester geschämt.
Daisy: Ich hätte den Kerl umbringen können. Austin wollte Hakeem ganz klar demütigen. Immer und immer wieder warf er ihm den Ball an die Stirn.
»Schau zu Boden«, befahl er arrogant. Seine Freunde hinter ihm lachten. Diese Ungerechtigkeit ließ mich explodieren. Ich schrie: »Lass ihn in Ruhe!«, und trat ihm mit aller Kraft zwischen die Beine.
Hakeem: (lacht) Ich war komplett überrascht. Sie hat echt gut gezielt.
Daisy: Das hatte er verdient. Dieses Schwein! Ups … Sorry. Durfte ich das sagen? Zu meiner Rechtfertigung: Er war wirklich eines. Danach ging alles sehr schnell. Austin wurde wütend, brüllte mich an und streckte die Hand aus, um nach meinen Haaren zu greifen.
Hakeem: Ich habe viel zu langsam reagiert.
Daisy: Aber plötzlich schloss sich eine starke Hand um Austins Handgelenk und hielt ihn fest. Ich drehte mich um … (lächelt). So lernte ich Thomas kennen.
Hakeem: Der Typ war ungefähr in meinem Alter. Er war sehr groß und breitschultrig. Ich erinnere mich vor allem an seine hellen, eisblauen Augen … Ich muss zugeben, dass er mich eingeschüchtert hat. Es war, als stünde man dem Tod höchstpersönlich gegenüber.
Daisy: Ich fand ihn schön. Von einer eher beängstigenden Schönheit.
Ohne ihn loszulassen, schaute er Austin direkt in die Augen und sagte: »Rühr sie nicht an.« Seine Stimme war tief und rau, als hätte er seit Wochen nicht gesprochen. Wenn ich so darüber nachdenke, halte ich das tatsächlich für möglich. Thomas ist nicht sehr gesprächig.
Hakeem: »Und wenn doch? Was machst du dann?«, gab Austin zurück. Dem Idioten blieb nicht einmal Zeit, seinen Satz zu beenden. Thomas brach ihm das Handgelenk. Als er meinen verblüfften Gesichtsausdruck sah, zuckte er mit den Schultern und meinte, er hasse es, sich zu wiederholen.
Daraufhin machten sie die Fliege. Austin heulte und jammerte, er müsse sofort ins Krankenhaus. Es war cool von ihm; von Thomas, meine ich. Trotzdem war ich der Meinung, dass er das nicht hätte tun sollen. Er zuckte nur gelangweilt mit den Schultern und sagte: »Ich hatte ihn gewarnt.« Komischer Kerl.
Daisy: Mich hat er dann gefragt, ob alles in Ordnung wäre. Es klingt vielleicht blöd, aber … Himmel, ich war wie hypnotisiert. Zum ersten Mal in meinem Leben fehlten mir die Worte.
Hakeem: Ich schlug ihm ein gemeinsames Match vor. Er zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht war immer ausdruckslos; es war schwer zu erkennen, was er dachte. Er war sehr sportlich, viel besser als ich. Das führte sehr schnell zu gegenseitiger Sympathie.
Daisy: Ich habe den Nachmittag damit verbracht, ihm einen Haufen Fragen zu stellen. Er hat jede einzelne beantwortet. Nicht immer ausführlich, aber immer geduldig. Er sagte nie, ich soll still sein oder ihn in Ruhe lassen, wie manche Erwachsene in der Schule.
Das war das Erste, was mir an ihm gefiel. Er hieß Thomas, aber sein Vater nannte ihn meist Tommy. Er war achtzehn und stammte aus Schweden, einem Land in Europa, wo man den Samstag als »Bonbon-Tag« feiert. Kurz und gut: Ich war sofort verliebt. Sogar sein harter Akzent brachte mich zum Lächeln. Manchmal fiel ihm nicht das richtige Wort ein. Das ärgerte ihn, und schließlich sagte er es auf Schwedisch. Ich verstand dann zwar nichts, aber es machte mir Spaß.
Hakeem: Daisy hat wirklich viel geredet. Eine richtige Quasselstrippe. Aber Thomas beschwerte sich nie, obwohl er nicht der Typ zu sein schien, der gerne plauderte. Daisy fragte ihn, ob er Gespenster mochte, und blickte ziemlich empört, als er antwortete: »Nicht wirklich.«
Daisy: Er mochte keine Gespenster, der Depp. Seine Begründung? »Ganz einfach: weil es keine gibt.« Natürlich fragte ich ihn nach Beweisen für ihre Nicht-Existenz. Ich glaube, er war ein bisschen genervt, denn er antwortete: »Man braucht Beweise, um die Existenz von etwas zu belegen, nicht umgekehrt. Ich glaube nur, was ich sehe.«
Ich hielt das für Schwachsinn. Wie sähe es denn dann mit dem Glauben aus? Meine Eltern hatten uns immer erklärt, dass man manchmal an das Unsichtbare glauben müsse. Dadurch wären Dinge nicht weniger real, denn sie existieren in unseren Herzen.
Hakeem: Ich musste über Thomas’ Antwort lachen: »Ich glaube nicht an Gott. Ich bemühe mich, an mich selbst zu glauben, und schon das ist nicht einfach.«
Daisy war schon immer sehr extrovertiert und findet überall sofort Freunde. Trotzdem war ich ziemlich überrascht, wie schnell sie sich an Thomas anschloss. Ich fand es süß. Thomas wirkte immer eher gleichgültig, aber bei Daisy … war er ganz anders. Er hatte sie gern, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte. Ich glaube, an jenem ersten Tag hatte er sich in den Kopf gesetzt, sie zu beschützen.
Wie eine kleine Schwester.
Daisy: Er hat mich oft geärgert. Er liebte es, wenn ich mich aufregte, und er wusste, wie er es anstellen musste. Es reichte schon, wenn er mich auf meine Größe ansprach.
Als ich das erste Mal wütend wurde, sagte er, ich solle nicht so ein Gesicht machen, weil ich sonst wie Gollum aussähe, und fragte mich, ob ich wüsste, wer das ist. Als er mir das Bild auf seinem Handy zeigte, schlug ich ihm auf die Schulter. Es war das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah.
Hakeem: In seinem Leben lief es nicht wirklich rund. Er hatte Schweden aus einer Laune heraus verlassen und suchte nicht nur verzweifelt nach Arbeit, sondern vor allem nach Antworten auf seine Fragen. Er brauchte Geld, keine neuen Freunde. Wir drängten uns ihm auf.
Daisy: In diesem Sommer wurde Thomas Kalberg zum festen Bestandteil meines Lebens. Er und Hakeem waren unzertrennlich. Sie machten nichts Besonderes. Sie hingen zusammen ab, spielten Basketball im Garten oder PlayStation im Wohnzimmer. Und ich wich ihnen nicht von der Seite.
Ich brachte Thomas eine seltsame Verehrung entgegen. Peinlich, oder? (Daisy verbirgt ihr Gesicht in den Händen.) Er war immer sehr nett zu mir. Er trug mich auf dem Rücken, wenn ich zu müde zum Laufen war, oder auf seinen Schultern, wenn meine Körpergröße nicht ausreichte, um etwas zu sehen. Ich redete auf ihn ein, und er hörte mir zu, ohne mich zu unterbrechen. Er war wie ein dritter großer Bruder – nur besser. Denn im Gegensatz zu Calvin und Hakeem hatte ich bei ihm immer Schmetterlinge im Bauch, wenn ich ihn sah.
Hakeem: Eine kindliche Verliebtheit, nichts weiter. Thomas achtete zum Glück nicht weiter darauf. Sie war noch ein Kind, das im Naruto-Pyjama schlief und davon träumte, berühmt zu werden. Den lieben langen Tag lag sie uns in den Ohren: »Ich will Sängerin werden! Ich werde die neue Beyoncé!«
Daisy: Hakeem wollte mich nicht immer dabeihaben. Bei der dritten Ablehnung rastete ich aus. Ich fragte, warum ich nicht mitdürfte, und mein Bruder antwortete mit strengem Blick: »Wir treffen uns mit Mädchen, kapiert?«
Ich verstand, oh ja … Ein bisschen zu viel sogar. Ich empfand es als Verrat. Ich war jung, schwer verknallt, und zum allerersten Mal tat es weh. Thomas hielt sich im Hintergrund, er mischte sich nie ein. Die Hemden der beiden rochen stark nach Parfum. In dieser Nacht kamen sie nicht nach Hause.
Hakeem: Daisy schmollte zwei Wochen lang. Thomas versuchte gar nicht erst, sie zu verstehen, und es war ihm ziemlich egal. Als Daisy sich wieder beruhigt hatte, behandelte er sie, als wäre nichts geschehen. Sie spielte ihm etwas auf der Gitarre vor. Zu dieser Zeit schrieb sie bereits eigene Lieder.
Daisy: Er kam, um sich meine Sommeraufführung anzusehen, ein Musical über den Zauberer von Oz. Zum Dank schenkte er mir ein Plektrum für meine Gitarre, in das mein Vorname eingraviert war.
Es war das schönste Geschenk, das ich je bekommen hatte. Ich glaube, ich habe es mindestens ein Jahr lang mit mir herumgetragen, ohne es auch nur ein einziges Mal zu benutzen (lacht). Es hatte mich ordentlich erwischt.
Hakeem: Am Ende des Sommers ging ich zur Uni, an die UCLA, und alle halfen mir beim Packen. Thomas hatte inzwischen einen Job in einem Sportzentrum in der Nähe von Beverly Hills gefunden, mit dem er seinen Lebensunterhalt verdienen konnte.
Daisy: Wir trafen uns weiterhin fast jedes Wochenende. Selbst als er eine Freundin hatte, dann eine zweite, später eine dritte … Es waren viele, aber für mich fand er immer Zeit.
»Thank you for everything, for every birthday I spent waiting for you«
Schon mit zehn Jahren verschließe ich mein Herz endgültig gegen die Außenwelt.
Meine Mutter telefoniert in der Küche. Die Tür ist zu. Sie denkt, dass ich zu weit weg bin, um sie zu hören. Ich liebe sie so sehr, meine Mutter. Sie ist schön, sie ist sanft, und jeden Sonntag backt sie Kanelbullar, weil sie weiß, wie gern ich sie esse. Aber alles hat sich verändert, seit wir nicht mehr allein sind.
»Er macht mir Angst, Elvira«, flüstert sie. »Ich wage es nicht einmal, ihn mit Agnes allein zu lassen … Was, wenn er meinem Baby etwas antut?«
»Meinem Baby.« Agnes, meine zwei Monate alte Schwester, schläft ruhig in ihrer Wiege. Ich kann sie nicht leiden. Sie ist ganz zerknittert, und sie hat mir meine Mutter weggenommen. Jetzt liebt sie Agnes mehr als mich. Ich wünschte, es gäbe das Baby nicht.
»Die Psychologin sagt, dass er …«
Pause. Ich rühre mich nicht und warte darauf, dass das Urteil fällt. Die Psychologin mag ich auch nicht. Und so, wie sie mich angestarrt hat, beruht das wohl auf Gegenseitigkeit.
»… ein Soziopath ist«, endet meine Mutter schluchzend.
Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber das Wort prägt sich mir wie ein Urteil ein. Lebenslänglich. Ich verstehe durchaus, dass ich als Persönlichkeit unbefriedigend bin. Nicht mehr lang, und sie wird mich ebenfalls entsorgen. Denn die Welt ist ein Ort voller Egoisten, die einen erst ausnutzen und dann im Stich lassen.
Sie behaupten, einen zu lieben, aber sie sind samt und sonders Lügner. Sie lassen einen kaltlächelnd im Stich, sobald sie keinen Sinn mehr darin sehen, einen zu behalten. Ich bin austauschbar. Nicht wert, geliebt zu werden. Ein Spielzeug, das von Hand zu Hand weitergegeben wird, bis es abgenutzt ist.
Niemand will ein kaputtes Spielzeug. Einmal defekt, taugt es nichts mehr. Aber ich will nicht wieder weggeworfen werden. Deshalb muss ich klüger sein als sie … Ohne Mama habe ich niemanden mehr.
Um zu überleben, muss ich zu einem Menschen werden, den meine Mutter lieben kann. Ich werde alles tun, damit die Leute mich mögen, auch wenn ich selbst keinen von ihnen leiden kann. Auch wenn ich mich dafür verstellen muss. Oder lügen.
Ich hasse sie alle, aber ich will trotzdem geliebt werden. Denn wen man liebt, den verlässt man nicht.
»Ist Papa weggegangen, weil er uns nicht genug geliebt hat?«, frage ich meine Mutter am selben Abend.
Nie werde ich vergessen, wie schnell sich ihr Gesicht verdüsterte.
»Nein, mein Schatz. Er ist gegangen, weil er ein Feigling ist. Du hast keinen Papa mehr, du hast nie einen gehabt. Vergiss ihn.«
Du hast keinen Papa mehr.
Du hast keinen Papa mehr.
Duhast keinen …
»Thomas!«
Erschrocken öffne ich die Augen, alle Sinne in Alarmbereitschaft. Meine Hand zuckt reflexartig zur Hüfte, um nach meiner Waffe zu tasten, ehe mir einfällt, dass ich nicht im Dienst bin.
Lucky und Li Mei schauen mich amüsiert an.
»Nicht gleich die Waffe ziehen, mein Schöner«, sagt Li Mei. »Wir haben die Adresse erreicht, die du uns genannt hast.«
Scheiße. Nachdem sie mich vom Flughafen abgeholt hatten, bin ich sofort im Auto eingenickt. Ich reibe mir die Augen und hoffe, damit auch die Spuren meines Albtraums zu beseitigen. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass mein Schlafdefizit kaum mehr aufzuholen ist.
Aber wer braucht schon Schlaf, nicht wahr?
»Du siehst ganz schön fertig aus«, stellt Lucky fest, während er mir hilft, meine Sachen aus dem Kofferraum auszuladen. »Weißt du, was du jetzt brauchst? Ein schönes, heißes Bad mit viel Schaum, Kerzen mit Zimtduft und eine Playlist mit Wellenrauschen.«
Ich starre ihn an. Manchmal frage ich mich, ob er mich wirklich kennt, dass er sich traut, solche Dinge zu äußern.
»Kannst du dir mich, Thomas Kalberg, auch nur eine Sekunde lang in deinem kleinen Szenario vorstellen?«
Er überlegt kurz und verzieht dann das Gesicht.
»Nein, du hast recht, es wäre zu abwegig. Es verursacht mir Gänsehaut.«
»Danke.«
Manchmal frage ich mich echt, wie Lucky und ich Freunde werden konnten. Ehrlich gesagt habe ich vor allem das Gefühl, dass er mit mir befreundet ist – nicht umgekehrt. Ganz einfach, weil wir totale Gegensätze sind. Lucky, Architekt und ehemaliger Escortboy, ist begeisterter Fan von romantischen Komödien, und ich vermute, dass er heimlich in Hugh Grant verliebt ist. Natürlich fällt es mir als sportsüchtigem Bodyguard mit emotionaler Beeinträchtigung schwer, seine Nähe zu ertragen.
Lucky lebt schon seit Ewigkeiten in Los Angeles und holt mich deswegen heute ab, geht aber demnächst mit seiner Freundin Li Mei auf Reisen.
»Ganz okay«, kommentiert Li Mei, als wir die Wohnung betreten, die ich in Santa Monica gemietet habe.
Ich schaue mich um. Die Wohnung ist klein, aber sie genügt mir vollkommen. Ich muss an die schäbige Absteige vor zehn Jahren denken, nachdem ich Stockholm fluchtartig verlassen hatte und nach L. A. gekommen war. In dem Jahr lernte ich meinen Freund Hakeem kennen. Er ist einer der wenigen Menschen, deren Gesellschaft mich nicht stört.
Schnell schreibe ich ihm, dass ich angekommen bin.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie du all dein Geld verschenken konntest«, murmelt Li Mei kopfschüttelnd. »Du warst Millionär, und jetzt lebst du … so.«
Stumm zucke ich mit den Schultern. Es ist bereits anderthalb Jahre her, dass wir unserem Freund (und damaligem Arbeitgeber) Levi geholfen haben, das World Poker Tournament in Las Vegas zu gewinnen. Heute ist er Millionär und lebt mit Rose, seiner inzwischen echten Scheinverlobten, in St. Petersburg … es ist kompliziert.
Levi legte großen Wert darauf, seinen Gewinn durch fünf zu teilen. Ich bekam einen ordentlichen Batzen Geld … Aber ich bin nicht an Reichtum interessiert, schon gar nicht an geschenktem. Ich hatte das Geld ohnehin nicht verdient. Also gab ich einen Teil davon meiner Mutter, der Rest ging an eine Hilfsorganisation für Teenagermütter, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
»Hast du deinen letzten Auftrag erledigt?«, fragt Lucky und setzt sich auf das meergrüne Stoffsofa.
Ich schenke mir ein Glas Wasser ein und lehne mich an den Tresen der offenen Küche.
»Ja. Der Typ war ein stinkreicher Vollidiot, aber ich habe ihm trotzdem ein paar Mal den Arsch gerettet.«
Li Mei lacht und bestätigt, dass es oft so ist. Da ich kein Millionär mehr war, musste ich schnell wieder einen Job annehmen und rief die Personenschutzfirma an, bei der ich angestellt bin. Sofort wurde ich zum Schutz eines arroganten Innenministers abgestellt, der seine Leibwächter wie Dreck behandelte. Ich habe gekündigt, sonst hätte ich ihm die Fresse poliert.
Schon seit einigen Jahren arbeite ich als Bodyguard, und eigentlich liebe ich meinen Job. Aber ich muss zugeben, dass die meisten meiner Kunden miese Typen sind. Nur Levi war wirklich toll.
»Dann machst du jetzt also ein bisschen Urlaub?«
Mein Handy vibriert in der Tasche meiner Jogginghose. Hakeem hat auf meine Nachricht geantwortet:
Treffen am üblichen Ort. 15 Minuten.
»Kann man so sagen, ja. Tut mir leid, aber ich bin echt fertig … Ich würde gern ein Nickerchen machen.«
»Sag ruhig, dass wir dich nerven.«
»Okay. Ihr nervt mich, und ich möchte allein sein. Geht jetzt.«
Trotz Luckys entrüsteter Miene werfe ich sie hinaus, dusche schnell und verlasse die Wohnung.
Los Angeles hat mir gefehlt. Mir ist, als wäre ich wieder zu Hause. Ich gehe die teilweise von Palmen beschattete Strandpromenade entlang. Skater flitzen dicht an mir vorbei. Erinnerungen werden wach. Von meinem achtzehnten Lebensjahr an verbrachte ich hier zwei lange Jahre, surfte, spielte Beachvolleyball und flirtete ältere Mädchen an, um mir zu beweisen, dass ich es konnte.
Hakeems Familie nahm mich mit offenen Armen auf, und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass ich irgendwo dazugehörte.
Mit zwanzig ging ich zur schwedischen Armee, blieb aber immer mit meinen Freunden in Kontakt. Ich besuchte sie, sooft ich konnte … Trotzdem ist es inzwischen vier Jahre her, dass ich zum letzten Mal in L. A. war.
Als ich an dem Basketballplatz vorbeikomme, den ich als Jugendlicher sehr liebte, bleibe ich stehen und schaue einer Gruppe von Teenagern zu, die sich den Ball zuspielen.
»Tommy?«
Ich drehe mich um und sehe eine Reihe perfekter weißer Zähne.
Verdammt. Hakeem Coleman hat sich nicht verändert. Er ist immer noch derselbe: nicht besonders groß, dunkle, makellose Haut und natürlich dieses verfluchte ansteckende Coleman-Lächeln.
»Wahnsinn«, haucht er ungläubig. »Endlich bist du wieder da. Weißt du, wie lange ich auf dich gewartet habe, du Sack?«
Ich grinse, und er nimmt mich in die Arme. Ich erstarre, stoße ihn aber nicht weg und klopfe ihm mit einer männlichen Geste auf die Schulter. Hakeem und Levi sind die einzigen Typen, für die ich mich erschießen ließe – nicht etwa aus Liebe, denn dieses Gefühl ist mir weiß Gott fremd, sondern aus blinder, bedingungsloser Loyalität. Ich stehe tief in ihrer Schuld.
»Ich habe mir Zeit gelassen«, seufze ich und reibe mir den Nacken. »Die letzten Jahre waren turbulent.«
Plötzlich ist es, als wären wir wieder achtzehn. Diese Leichtigkeit der Unterhaltung, die ich von niemandem sonst kenne, und diese Vertrautheit, wie mit einem nicht existierenden, aber sehnlichst gewünschten Bruder.
»Du hast meine Verlobung verpasst«, beschwert er sich und droht mir mit dem Finger. »Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen.«
»Wow. Ernsthaft? Herzlichen Glückwunsch.«
Es gehört sich, zu gratulieren, auch wenn ich die Idee einer Hochzeit total bescheuert finde. Hakeem grinst breit, er nimmt es mir überhaupt nicht übel. Erst jetzt wird mir bewusst, dass er nicht allein ist.
Ich betrachte die Frau, die neben ihm steht und ihn unterhakt. Als Erstes fällt mir der Ring an ihrer linken Hand auf. Dann entdecke ich ihren leicht gewölbten Bauch. Verdammt, habe ich so viel verpasst?
»Darf ich dir meine Verlobte Emily vorstellen? Schatz, das ist Thomas«, sagt er, als hätte sie schon tausend Dinge über mich gehört.
»Endlich lernen wir uns kennen! Freut mich sehr, Thomas.«
Ich nicke höflich und weiß nicht, wie ich reagieren soll. Mit Unbekannten kann ich nicht gut umgehen. Ich mag keine Fremden.
»Du hast ja richtig Muskeln bekommen!«
Überrascht betastet Hakeem meine Arme.
»Ich mache ziemlich viel Sport.«
»Und du lässt dir einen Bart wachsen, was?«, scherzt er. »Ich beneide dich. Am liebsten würde ich nach Tunesien reisen und mir einen Bart transplantieren lassen.«
»Das stimmt«, bestätigt Emily lachend. »Dieses Gen werden wir wohl an unser Baby weitergeben …«
Abwesend streiche ich über meine blonde Gesichtsbehaarung. Ich verrate nicht, dass ich Bärte eigentlich hasse. Meinen trage ich nur, um die hässliche Narbe quer über meinem Mund zu verbergen.
Ein schwerer Motorradunfall bei einer Verfolgungsjagd.
Ich ziehe es vor, das Thema zu wechseln, und frage Hakeem nach seiner Familie. Vier Jahre sind eine lange Zeit. Ich habe nur noch Kontakt zu Daisy, die mir immer noch bis zu dreißigminütige Sprachnachrichten schickt, um mir von ihrem Tag zu berichten – ich gebe zu, dass ich nicht alles abhöre. Schließlich sind es Sprachnachrichten, keine Podcasts!
Aber ihren Geburtstag vergesse ich nie.
»Ach, weißt du … Allen geht es gut. Dad wurde vor drei Jahren gefeuert. Es war schwierig, aber inzwischen hat er wieder etwas gefunden. Die Zwillinge gehen ihren Weg.«
Ein Teil meines Herzens wird warm bei dem Gedanken, dass es ihnen allen seit unserem letzten Kontakt offenbar gut geht.
»Und Daisy? Sie scheint beschäftigt zu sein. Ich habe seit Wochen nichts mehr von ihr gehört, was ziemlich ungewöhnlich ist. Nicht, dass ich es vermisse.«
Daisy ist die Jüngste der Geschwister. Ich hatte sie sehr gern, und das wusste sie auch. Inzwischen ist sie eine berühmte Sängerin und Schauspielerin, wie sie es sich schon als Kind gewünscht hat. Ich verfolge ihre Entwicklung nur am Rande, aber ich bin stolz auf sie. Sie hat erreicht, was sie wollte.
»Es geht ihr gut«, beruhigt Hakeem mich. »Du solltest ihr schreiben, dass du wieder da bist. Das freut sie bestimmt.«
Ich verspreche es. Es kommt mir vor, als hätten Hakeem und ich uns nie getrennt. Am Abend lädt er mich auf ein Bier ein, nur unter Männern, und wir unterhalten uns über alles Mögliche. Ich erzähle ihm von Levi, dem Pokerturnier in Las Vegas und meinen zahlreichen Reisen …
»Deine neuen Freunde scheinen ziemlich cool zu sein«, meint er und stützt das Kinn in die Hand. »Und ganz schön verrückt.«
»Das sind sie wirklich. Verrückt, meine ich. Was den Rest angeht – kommt drauf an.«
Er lächelt nur, und ich weiß, dass er mir meine gleichgültige Miene keine Sekunde lang abnimmt. Der weitere Abend verläuft entspannt. Nach einigen Flaschen ist er betrunken genug, um mich zu bitten: »Tommy … du musst mir einen Gefallen tun.«
Er weiß, dass ich ihm ohnehin nichts abschlagen könnte. So bin ich nun mal. Ich mag ein Mistkerl sein und unfähig zu lieben, aber ich bin immer loyal. Ich helfe Menschen, die mir irgendwann einmal die Hand gereicht haben, grundsätzlich.
Es ist das erste Mal, dass Hakeem mich um einen Gefallen bittet. Also muss es etwas Ernstes sein.
Er unterdrückt einen Schluckauf und blickt mich unfokussiert an.
»Suchst du zufällig gerade Arbeit?«
»Gorgeous, gorgeous face. Too bad she talks too much.«
»Ich mache Schluss.«
Zach, mein Schauspieler-Kollege und heimlicher Freund, verkündet mir seine Entscheidung, während ich nur mit einem BH bekleidet auf seinem Viertausend-Dollar-Ledersofa auf ihm reite.
Bisher dachte ich, per Kurznachricht abserviert zu werden sei das Stilloseste überhaupt, aber offenbar lag ich falsch. Ich halte inne, weil ich nicht sicher bin, ob ich richtig gehört habe.
»Wie bitte?«
Das ist doch hoffentlich nur ein Witz? Ich schaue ihm direkt in die Augen und begreife, dass er es ernst meint. Ich weiß es sofort, denn Zach mag viele gute Eigenschaften haben, aber er ist leider ein miserabler Schauspieler – ziemlich blöd, wenn man bedenkt, dass das sein Job ist.
»Tut mir leid, Baby. Es liegt nicht an dir, es liegt an mir«, beruhigt er mich und greift fester nach meinen Hüften.
Oh, wow, das wird ja immer schlimmer. Erschrocken öffne ich den Mund. Ihn in mir zu spüren verursacht mir plötzlich Übelkeit; am liebsten würde ich ihn vollkotzen.
Zach runzelt die Stirn und fragt, warum ich aufgehört habe.
»Ich war so nah dran!«
Im buchstäblich letzten Moment halte ich mich davon ab, ihn zu ohrfeigen, und ziehe mich zurück. Habe ich das gerade geträumt, oder wirft er mir tatsächlich vor, ihm keinen Orgasmus zu gönnen, obwohl er mich soeben wie ein Stück Scheiße abserviert hat? Ich finde meinen Slip am Boden neben seinen Füßen und ziehe ihn wütend an.
Es gelingt mir sogar, den Reißverschluss meines Kleides alleine zu schließen, während Zach seufzend nach meinem Arm greift.
»Komm schon, sei nicht sauer … Ich meine es ernst, weißt du. Nicht du bist das Problem. Du musst dir wirklich keine Vorwürfe machen, du bist ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Nicht weinen, okay?«
Fassungslos bekomme ich einen Lachflash, was ihn anscheinend völlig überrumpelt. Wisst ihr, was ich am meisten hasse, abgesehen von Leuten, die Crocs mit Socken tragen? Typen, die sich so maßlos überschätzen, dass sie glauben, sie könnten mit einem einzigen Satz dein Selbstvertrauen brechen.
Zach sieht gut aus, aber er ist und bleibt ein Idiot!
»Keine Sorge, das weiß ich doch. Ich werde ganz bestimmt nicht weinen. Du allerdings bist ein Riesenarschloch.«
Was dachte ich mir eigentlich dabei, etwas mit ihm anzufangen? Meine Freunde hatten mich gewarnt. Nicht zu fassen, dass ich einem Typen wie ihm mein erstes Mal geopfert habe. Noch dazu für gerade mal fünf Minuten »Oh« und »Ah ja, gleich«.
Zach presst entrüstet die Lippen zusammen. Ich wünschte, er würde sich endlich anziehen. Der Anblick seines erigierten Penis widert mich plötzlich an. Was zum Teufel mache ich hier?
»Ich wollte doch nur nett zu dir sein, weißt du«, zischt er anklagend.
»Bitte erspar mir in Zukunft deine billige Freundlichkeit. Dachtest du, ich würde dir dankbar sein, dass ich noch ein letztes Mal auf deinem magischen Schwanz reiten durfte? Oder dass ich dich anflehe, mich nicht zu verlassen? Du hast eine viel zu hohe Meinung von dir selbst, Zach«, sage ich lachend und greife nach meiner Lederjacke.
»Was soll das heißen?«
Ich seufze. Es mag kleinlich sein, aber es muss raus.
»Hast du schon mal was von einer Klitoris gehört? Du beachtest sie nie, du gehst daran vorbei, ohne sie je zu bemerken!«
Mit roten Wangen springt er auf und zieht sich endlich an. Das männliche Ego ist riesig, aber seltsamerweise auch sehr zerbrechlich. Man muss ihnen nur sagen, dass sie schlecht im Bett sind, und schon sind sie weg!
»Siehst du, genau das meine ich! Du bist nicht das Mädchen, für das ich dich gehalten habe.«
Jetzt kapiere ich es. Mit den Schuhen in der Hand starre ich ihn wortlos an. Obwohl er selbst als Schauspieler arbeitet, ist Zach auf ein Fake hereingefallen. Er hat sich in Callie verliebt, meine Rolle in der ChannelD-Serie, die wir seit fast zwei Jahren drehen. Unsere Figuren haben sich auf dem Bildschirm ineinander verliebt, und ich fand es zwar klischeehaft, aber sehr süß, als er mich zum ersten Mal ohne die Kameras küsste.
Zwar war er nicht gerade überwältigend; trotzdem ließ ich mich darauf ein. Ich wollte das Gesicht von jemand anderem auslöschen und endlich wieder vorwärtskommen.
Nur dass Zach Callie wollte, nicht Daisy. Und jetzt, wo er mit der Zweiten statt der Ersten vorliebnehmen muss, ist der Herr enttäuscht. Typisch.
Ich zeige ihm den Mittelfinger, drehe mich um und rufe über meine Schulter:
»Tu mir einen Gefallen und lösch meine Nummer.«
»Hast du ihm wirklich gesagt, dass er mies im Bett ist?«, lacht Hayley zwei Stunden später, während sie eine Tüte Doritos auf ihren Knien balanciert. »Bitte, bitte, zeig mir das Gesicht, das er gemacht hat. Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen!«
Ich vergewissere mich zum dritten Mal, dass sie nicht live auf Twitch ist, und tue ihr den Gefallen. Sie krümmt sich vor Lachen. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Hayley ist eine berühmte Cat-Girl-Darstellerin, das heißt, sie sitzt den ganzen Tag in ihrem Gaming-Stuhl vor dem Computer und filmt sich als Katze verkleidet. Merkwürdig, aber cool!
»Genau aus diesem Grund bleibe ich Single«, seufzt sie und nimmt ihren Kopfhörer mit den Katzenohren ab. »Und, ja, ich habe mich dafür entschieden. Es ist komisch, aber … Männer reizen mich nicht. Dabei bin ich mir zu 99 % sicher, dass ich hetero bin, ich schwöre. Ansonsten hätte ich dich schon vor langer Zeit vernascht, und das weißt du auch, Baby.«
Ich lächle belustigt. Es stimmt, dass ich Hayley, seit ich sie kenne, noch nie mit einem Mann oder einer Frau erlebt habe. Dabei ist sie auf ihre Art wirklich toll. Sie ist lustig, einzigartig und loyal, außerdem sieht sie absolut umwerfend aus. Ihr langes, gewelltes Haar ist auf der einen Seite braun und auf der anderen Seite weiß, ihr Pony verdeckt fast ihre blaugrauen Augen.
Ich glaube, es ist vor allem ihr unkonventioneller Kleidungsstil, der die Leute dazu bringt, sich über sie lustig zu machen, sobald sie einen Fuß vor die Tür setzt. Zum Glück ist ihr das völlig egal, und sie malt sich weiterhin mit Eyeliner ein Herz als Schnäuzchen auf die Nase.
»Ich glaube«, fährt sie fort und blickt ins Leere, »ich mag die Vorstellung von Männlichkeit mehr als die Männer selbst. Ich schaue mir einen romantischen Film an und denke: ›Wow, ich will einen Mann‹, aber wenn ich dann rauskomme, ekeln sie mich alle an.«
Ich lache laut auf, denn das ist ziemlich nah an dem, was auch ich denke.
»Das ist ein bekanntes Syndrom. Du magst keine Männer, sondern du magst ›Männercharaktere, die von Frauen geschrieben wurden‹. Willkommen im Club.«
Hayley schaut mich mit offenem Mund an.
»Aha. So ergibt alles einen Sinn.«
Die Tür der WG geht auf, und Micah tritt ein. Er trägt bis zu den Knöcheln hochgekrempelte Jeans und einen bauchfreien gelben Pullover, der den Blick auf die wie gemeißelten Muskeln seiner schwarzen pailettenbedeckten Arme freigibt.
Er strahlt, als er mich auf der Couch sieht.
»Da bist du ja!«
Sein kurz geschorenes Haar ist weiß gefärbt, und mitten auf dem Kopf prangt ein Regenbogen, eine Verrücktheit, die er einem nächtlichen Besäufnis verdankt. Sein Freund Javier folgt ihm mit müden Schritten.
»Wieso überrascht dich das? Ich bin doch die ganze Zeit hier. Ich habe sogar eine Zahnbürste und einen eigenen Pyjama im Bad.«
Das stimmt. Zwar besitze ich ein riesiges Haus ganz für mich allein, aber ich kann keine Einsamkeit ertragen – ich arbeite daran, ehrlich.
»Schon, aber unten vor dem Haus steht kein Bodyguard. Machst du ihm wieder Schwierigkeiten?«
Ich verdrehe die Augen. Finn ist wirklich süß, und wir kennen uns jetzt schon einige Jahre. Aber Kate hat ihn beauftragt, mir auf Schritt und Tritt zu folgen – der Lebenssinn eines Leibwächters, werdet ihr sagen –, aber das hasse ich. Deshalb hänge ich ihn ab, wann immer es mir möglich ist, und der Ärmste verbringt seine Zeit damit, mich zu suchen.
»Irgendwann wird er gefeuert, und du bist schuld«, grummelt Micah und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.
Darauf weiß ich nichts zu erwidern, denn daran hatte ich tatsächlich nicht gedacht. Wow, ich benehme mich wie ein verwöhnter Star. Aber wie könnte ich sonst Geheimnisse haben?
»Heute hatte ich keine Wahl. Ich wollte eigentlich den Abend mit Zach verbringen …«
Schweigend begrüßt mich nun auch Javier, ehe er seine geliebten Pflanzen gießen geht. Seine Katze, Katy Purry (die Jungs fanden das damals lustig), schmiegt sich an meine Beine. Ich nehme sie hoch und streichele ihren Schwanz. Micah lässt sich neben mir auf die Couch fallen und legt seinen Kopf auf meinen Schoß.
»Warum bist du dann hier? Probleme im Paradies? Sag bloß nicht, dass er beim Orgasmus wieder ›Daddy‹ genannt werden wollte?«
Hayley verzieht das Gesicht und macht ihm ein Zeichen, dass er den Mund halten soll. Himmel, diese dämliche Anekdote hatte ich fast vergessen.
»Dazu müsste man erstmal einen Orgasmus haben«, spotte ich. Alle lachen.
Wenn ich so darüber nachdenke, hätte ich Zach schon an diesem Abend abservieren sollen, anstatt ihm freundlich zu erklären, dass mich so was absolut nicht erregt.
Noch tagelang danach hatte ich Albträume, in denen in den unpassendsten Momenten das Gesicht meines Vaters auftauchte. Bei der Erinnerung kann ich ein Frösteln kaum unterdrücken. Das müsste mal therapiert werden.
»Er hat Schluss gemacht«, erkläre ich schließlich seufzend.
»Oh nein, Liebes …«
»Während wir Sex hatten.«
»Er hat was?!«, ruft Micah und richtet sich entrüstet auf.
Javier runzelt die Stirn und hält eine Hand über seine Pflanzen, als könne er sie so vor der akustischen Aggression schützen.
»Bitte schrei nicht so, Baby. Wir sind direkt neben dir und hören dich sehr gut.«
Micah gehorcht, obwohl ich ihm ansehen kann, dass er am liebsten Zachs gesamten Stammbaum beleidigen würde. Micah ist exzentrisch, gesellig und laut, spricht alles aus, was er denkt, und sticht aus jeder Menschenmenge hervor. Javier hingegen gießt lieber seine Pflanzen und verschläft ganze Tage; Kontakte mit Menschen sind nicht sein Ding.
Auf eine Art und Weise, die ich nicht erklären kann, ergänzen sie sich perfekt.
»Die ›Nenn mich Daddy‹-Sache hätte dich aufhorchen lassen müssen«, fügt Javier hinzu. »Das ist abartig.«
Meine beiden Freunde legen ihre Köpfe auf meinen Schoß, und ihre Nähe beruhigt mich. Gegenseitige Berührungen sind uns allen wichtig. Es ist unsere Art, einander zu zeigen, dass wir uns gern haben.
»Aber dich macht das doch an«, wirft Micah stirnrunzelnd ein.
»Richtig, aber ich bin nicht stolz darauf.«
Hayley und ich wechseln einen Blick. Sie lächelt.
»Dabei stellen die Medien Zach als geradezu perfekten Mann dar. Da sieht man mal wieder, wie der Schein trügen kann.«
Ich nicke stumm. Dasselbe könnte man vermutlich auch über mich sagen. Das schüchterne, nette, unauffällige Mädchen ist nur eine Rolle, die mir von Kate gegeben wurde, als ich fünfzehn war.
Ich habe damals nicht allein angefangen. Wir waren zu dritt, und jeder von uns war eine bestimmte Rolle zugedacht. Destiny war die Lolita, Dakota glänzte als die Lustige, und ich gab die Unschuldige und wurde so zum Liebling der Journalisten. Ein Mädchen, das nur redet, wenn es dazu aufgefordert wird, das nie Nein sagt und keinen Ärger macht.
Ich nehme an, dass genau dieser Umstand mich nach dem Skandal, der unsere Gruppe zerstörte, gerettet hat …
»War es nicht anstrengend, eure Beziehung geheim halten zu müssen? Sogar vor Kate?«
»Doch … und es hat sich nicht einmal gelohnt.«
Ich wünschte, ich könnte Zach blocken und ihn nie wieder sehen, aber die Dreharbeiten zu unserer Serie sind noch nicht abgeschlossen. Ich werde also in seiner Nähe sein müssen … ihn küssen … ihn anlächeln … immer und immer wieder.
Die traurigen und besorgten Gesichter meiner Freunde verursachen mir Unbehagen. Ich versuche, die Situation mit einem lockeren Spruch zu entspannen:
»Zumindest weiß ich, dass ein Mann mich ganz sicher nie verlassen wird …«
»Also bitte, ich hoffe, du redest nicht von …«
»Frank!«
Alle drei stöhnen angewidert auf, was mich zum Lachen bringt. Frank ist ein Hardcore-Fan, der mir schon lange folgt. Ich habe keine Ahnung, wie alt er ist oder wie er aussieht, aber jeder in meiner Fanbase kennt ihn, weil ich dazu neige, auf seine Tweets zu antworten. Ich folge ihm sogar.
Er ist sehr freundlich … nur ein bisschen zu leidenschaftlich.
»Dein Stalker Nummer eins. Muss ich dich daran erinnern, dass er jedem erzählt, dass du ihn datest?«
»Er macht nur Spaß! Es ist einfach Teil seines Charakters.«
Obwohl ich zugeben muss, dass die Grenze ziemlich dünn ist, was ihn angeht. Frank betreibt ein Fan-Konto auf Twitter, auf dem er alle meine öffentlichen Auftritte verlinkt, unveröffentlichte Fotos von mir postet und seine obsessive Bewunderung für mich verbreitet. Außerdem schickt er mir Briefe und Gedichte, und zum Geburtstag Geschenke, die ein Vermögen wert sind.
Auch wenn sich meine Eltern Sorgen machen, lache ich lieber darüber.
»Hier, Liebes«, sagt Javier und hält mir sein Kartenspiel vor die Nase. »Denk über deine Frage nach und zieh eine Karte, das wird dich aufmuntern.«
Javier legt gern Karten, und ich glaube, er ist sehr gut darin. Ich beobachte, wie er die Karten mischt, und wähle dann eine aus.
Er dreht sie um und zeigt … ein Pik-Ass. Die Karte ist wunderschön, mit Blumen und Dornen, die das herzförmige Symbol in der Mitte durchbohren. Neugierig betrachte ich Javier, der plötzlich blass geworden ist.
»Was ist?«, scherze ich und versetze ihm einen Stoß mit dem Ellbogen. »Verkündet sie meinen Tod?«
Sein Blick genügt, um mir einen Schauder über den Rücken zu jagen. Oh. Mein Lächeln erlischt, ebenso wie das von Hayley und Micah. Javier zögert verwirrt.
»Es ist … diese Karte ist ein ziemlich schlechtes Omen. Das Pik-Ass kündigt in der Regel eine Zeit großer Not oder sogar eine Phase tiefer Depression an. In der Liebe kann man von einer hässlichen Trennung ausgehen.«
»Dafür ist es jetzt ein bisschen spät«, murmelt Micah.
»In ganz extremen Fällen verkündet es große Gefahr – oder sogar den Tod.«
Die Stille ist bedrückend. Ich schlucke betroffen. Weil ich aber nicht wirklich an solche Dinge glaube, vertreibe ich das unangenehme Gefühl mit einem Lachen.
»Danke für die Warnung. Ich werde darauf achten, brav nach links und rechts zu schauen, ehe ich die Straße überquere.«
»Ich meine es ernst, Daisy … Sei bitte vorsichtig.«
»Versprochen. So, ich würde zwar gerne bleiben, aber ich muss morgen früh aufstehen. Radiointerview um sieben …«
»Du hast recht«, beruhigt mich Micah. »Und bitte ruf Finn an und sag ihm, dass du noch lebst, okay? Der Typ ist zu heiß, um deine Starallüren zu verdienen.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und werfe einen fragenden Blick zu Javier, der die Worte seines Liebsten bestätigt, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Was denn? Micah hat recht, Finn ist heiß und nett. Sein einziger Fehler besteht darin, hetero zu sein.«
»Sollte er jemals das Ufer wechseln«, fügt Micah mit einem charmanten Lächeln hinzu, »gib ihm unsere Nummern. Wir sind offen für alles.«
Nur widerwillig verlasse ich meine Freunde und fahre mit dem Auto nach Hause. Hinter mir liegt ein langer, anstrengender Tag, aber ich will mich auf keinen Fall entmutigen lassen. Ich brauche Zach nicht. Ich habe meine Familie und einen absolut einmaligen Freundeskreis.
Ich sage es nur ungern, aber dann und wann habe ich mich durchaus gefragt, ob die Leute in meiner Umgebung mich nicht ausnutzen … wegen Geld oder Ruhm, was auch immer. Einige ehemalige Mitschüler haben ihre – meist erfundene – Geschichte an Journalisten verkauft und behauptet, in der Schule mit mir befreundet gewesen zu sein. Andere versuchten Jahre später, wieder Kontakt aufzunehmen, als sie feststellten, wie bekannt ich war.
Es waren genau die Leute, die sich damals über mich lustig machten, als ich sagte, ich wolle Sängerin werden … und die mir heute vorwerfen, ich hätte meine Herkunft vergessen.
Aber die Auswahl ist mir gelungen. Inzwischen sind wir eine kleine Clique: Javier, trans und Schauspieler mit einer Leidenschaft für Tarotkarten, der immer, wenn er traurig ist, Ukulele spielt. Micah, professioneller Stylist und Make-up-Artist, der sein Geld in den Secondhand-Läden von Los Angeles ausgibt. Hayley, die grundsätzlich auf rosa Rollschuhen unterwegs ist und behauptet, in einem früheren Leben eine Katze gewesen zu sein.
Und schließlich ich … Daisy, Sängerin und Schauspielerin, die die ganze Welt darüber belügt, wer sie wirklich ist.
»Heart like ice, Yet I still tried, hoping for a miracle.«
Von den wenigen Leuten, die sich als meine Freunde bezeichnen, hätte ich nie gedacht, dass ausgerechnet Rose Alfieri mich über Videochat anrufen würde.
Es gab eine Zeit, in der ich sie aus tiefstem Herzen hasste. Heute gehört sie zu den Menschen, denen ich am meisten vertraue. Manchmal geht das Leben eben seltsame Wege.
Versteht mich nicht falsch: Ich finde sie immer noch so nervig, egoistisch und bestechlich wie früher. Aber ich habe nicht mehr das Bedürfnis, sie lebendig zu begraben, und das nenne ich durchaus einen Fortschritt.
»Was ist das für ein neuer Job?«
Ich erkenne die Wohnungseinrichtung hinter ihr sofort, und zwar aus gutem Grund: Ich bin schon oft dort gewesen. Sie sitzt in Russland auf Levis Ledersofa und knabbert Chips.
»Ich weiß es noch nicht. Die Frau ist ein Hollywoodstar.«
Hakeem wollte nicht mehr preisgeben, aber ich bin schließlich nicht dumm. Ich glaube zu wissen, um wen es sich handelt, und genau das macht mir Angst. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb ich Daisy noch nicht geschrieben habe, dass ich zurück in L. A. bin.
»Und du? Wie findest du St. Petersburg?«
»Kalt. Zum Glück habe ich etwas, das mich warm hält …«
Ich weiß nicht, ob sie über Levi oder ihre Liebe zum Wein spricht, und möchte es auch lieber nicht wissen.
»Und deine Schwiegermutter? Liebt sie dich endlich oder macht sie es wie ich und erträgt dich, weil sie keine andere Wahl hat?«
Sie schaut mich erst an, dann senkt sie den Blick. Ich weiß nicht, was sie zu ihren Füßen entdeckt hat, aber ihre Lippen verziehen sich zu einem Grinsen.
»Ich arbeite daran. Du weißt ja, jemanden wie mich lernt man erst nach und nach zu schätzen.«
Schon klar. Levi jedoch schien dieses Problem nicht zu haben. Ich frage Rose nach ihrem Liebsten; kaum eine Sekunde später erscheint Levis Kopf am unteren Bildschirmrand. Er wischt sich mit dem Daumen über den Mund und grinst frech.
»Hi. Wie geht’s?«
Sofort wird mir klar, dass er die ganze Zeit da war, aber dass sein Mund sich mit etwas ganz anderem beschäftigte. Rose knabbert unbeeindruckt weiter ihre Chips. Das hat sie also gemeint mit: »Ich habe etwas, das mich warm hält.« Die beiden kennen echt kein Schamgefühl.
»Bitte sag mir jetzt nicht, dass du die ganze Zeit das getan hast, was ich vermute.«
»Kommt drauf an. Was vermutest du denn, was ich gemacht habe?«
»Ekelhaft. Ich lege jetzt auf.«
Das Letzte, was ich höre, ist das helle Lachen von Rose, während Levi sich auf sie stürzt. Mir wird fast übel, aber ich muss zugeben, dass die beiden sich gut ergänzen.
Für das erste Treffen mit meiner Klientin habe ich mich für Anzug und Krawatte entschieden. Manche Kunden ziehen es vor, mich gut gekleidet zu sehen, anderen ist es lieber, wenn ich in der Masse untergehe. Beim ersten Treffen jedoch gebe ich mir immer Mühe. Der erste Eindruck ist der wichtigste.
Ich schwinge mich auf mein Motorrad, das Hakeem all die Jahre hindurch für mich untergestellt hat. Ich will gerade meinen Helm aufsetzen, als meine Hosentasche vibriert.
Mama: Wann kommst du heim?
Ein verschüttetes Gefühl zerrt an dem Faden, der sie mit meinem Herzen verbindet. Ohne Skrupel begrabe ich es noch tiefer.
Ich: Keine Ahnung.
Mama: Wir vermissen dich.
Solche Sätze lassen mich kalt, was sie mittlerweile wissen sollte. Ich mache mir nicht einmal die Mühe zu antworten, aber sie hakt nach:
Mama: Willst du mit deiner Schwester sprechen?
Ich: Nein.
Sonst noch was?
Mama: Warum gibst du dir keine Mühe, Thomas?
Ich: Und warum gibst du vor, mich zu lieben, obwohl wir beide wissen, dass du es nicht tust?
Danach kommt keine Antwort mehr, genau wie ich erwartet habe. Ich kenne meine Mutter in- und auswendig: Ihr ist es egal, ob ich weit weg bin; sie spielt etwas vor, um gut dazustehen. Sie ist die manipulativste Person, die mir je begegnet ist, und das sagt ein echter Soziopath. Ich, der geliebte, vermisste und schließlich verhasste Sohn.
»Kalt«, »herzlos«, »grausam«, »unberechenbar«, »unmenschlich«.
Das waren die Worte, die sie benutzt hat, als sie dachte, ich könne sie nicht hören. Ich bin ihr nicht böse, dass sie so denkt, sie hat ja recht. Und nach so vielen Jahren trifft es mich auch nicht mehr.
Meine Mutter kann meinetwegen weiterhin denken, dass ich kein Herz habe.
Schließlich war sie die Erste, die es gebrochen hat.
Nachdem ich in Downtown Los Angeles zwischen den Wolkenkratzern geparkt habe, merke ich, dass ich zu früh dran bin. Zu Fuß schlendere ich zum Treffpunkt und lande vor einem riesigen Gebäude. Vor dem Schild ChannelD Media & Partner bleibe ich stehen.
Genau das habe ich erwartet! Hakeem kennt außer seiner geliebten Schwester sicher nicht viele ChannelD-Stars, es sei denn, er hat in der Zwischenzeit in Zac Efron einen Freund fürs Leben gefunden – dank Li Mei und ihren Zeitschriften kenne ich mich ein bisschen aus.
Gerade habe ich vor, Hakeem anzurufen, als mein Handy in der Hand vibriert. Ich erkenne die Nummer von Kate, meiner Kontaktperson, die mir mein bester Freund weitergegeben hat:
Hallo Mr Kalberg, es tut mir sehr leid, aber ich bin verhindert und muss unsere Verabredung um einige Stunden verschieben. Bitte kommen Sie um achtzehn Uhr zur angegebenen Adresse. Vielen Dank.
Genervt beiße ich die Zähne zusammen. Das wird ja immer besser. Wenn es so ist, wie ich vermute, kann ich da auf keinen Fall hingehen. Nur ist Hakeem leider nicht erreichbar … Ich bin mir ziemlich sicher, dass er meine Anrufe absichtlich unterdrückt, der Mistkerl. Er muss doch wissen, wie sehr ich es hasse, wenn man mich ignoriert.
Plötzlich stolpere ich in meinen Kontakten über Gollums Namen und rufe sie beinahe an, ehe ich doch kneife. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein. Hakeem hätte mich sicher vorgewarnt, wenn die Person, die ich schützen sollte, Daisy wäre. Oder etwa nicht?
Jetzt muss ich also noch ein paar Stunden totschlagen. Ich beschließe, in einem Café zu Mittag zu essen und mich um meine ungelesenen E-Mails zu kümmern. Nach einer gefühlten Ewigkeit muss ich so dringend pinkeln, dass ich es nicht mehr aushalte.
Ich gehe in den hinteren Teil des Ladens und treffe auf drei Fotografen, die vor dem Damenklo warten.
»Sie hat sich bestimmt noch nicht verdrückt, ihre Instagram-Story wurde erst vor drei Minuten gepostet«, meint einer von ihnen frustriert.
Paparazzi erkenne ich überall. Widerliche Typen, die ich noch mehr hasse als die Prominenten selbst. Ich nehme an, die Gegend hier ist ein echtes Promi-Nest, daher überrascht mich die Szene nicht im Geringsten.
Ich beachte die Reporter nicht weiter und stoße die Tür zur Herrentoilette auf, bleibe aber abrupt stehen. Der Raum ist leer … bis auf ein Paar Beine, die in dem kleinen Lüftungsfenster strampeln.
Alles, was ich sehen kann, ist ein Hinterteil in einem Paar schwarzer Jeans. Der Oberkörper befindet sich außerhalb des Gebäudes und genießt die frische Luft.
Ich gebe mich unbeeindruckt – ich habe schon Seltsameres gesehen – und trete ans Pissoir. Beim Geräusch meiner Schritte und des Reißverschlusses hören die Beine plötzlich auf zu zappeln.
»Psst.«
Ich höre nicht hin und starre die Wand an. Für so etwas habe ich keine Zeit. Aber das »Psst« wiederholt sich. Schließlich seufze ich.
»Ist da jemand?«
»Nein.«
»Oh, Gott sei Dank! Kannst du mir bitte helfen?«
»Immer noch nein.«
»Bitte. Ich hänge fest.«
Ich schüttele den Kopf und schließe den Reißverschluss meiner Hose.
»Das ist nicht mein Problem.«
»Ich spüre meine Beine nicht mehr, und das Blut steigt mir in den Kopf. Das ist kein gutes Zeichen, nicht wahr? Was, wenn ich ein Hirnödem bekomme? Ich fange schon an zu zittern … Ach nein, das ist mein Handy in der Tasche. Kannst du mir wenigstens helfen, dranzugehen? Es ist wahrscheinlich dringend.«
Gleichgültig runzle ich die Stirn. Warum passieren solche Dinge immer mir?
»Ernsthaft, mir ist schwindelig!«, meldet sich der gesichtslose Körper wieder. »Kannst du etwa mit der Schuld an meinem Tod leben?«
»Ich denke schon.«
»Oh … Okay. Wenn das so ist, würdest du dann wenigstens jemanden benachrichtigen? Jeden, außer diesen Geiern vor der Tür. Vielen Dank! Ach ja, ich empfehle dir die Karamell-Cruffins, die sind göttlich.«
Ich wasche mir wortlos die Hände und wende mich ab. Nichts als Verrückte auf dieser Welt. Als ich die Tür öffne, stehe ich wieder vor den drei Paparazzi. Sie warten immer noch mit frustrierten Gesichtern vor der Damentoilette.
Jetzt begreife ich und kehre seufzend um.
Ich gehe zum Fenster und ziehe mit einem Ruck an den Beinen. Mit einem überraschten Schrei fällt ein winziger, aber kompletter Körper auf den Boden. Ich sehe mich einer zierlichen Gestalt gegenüber, die ein viel zu großes Sweatshirt mit der Aufschrift »Fuck off« trägt, sich eine Kappe tief in die Stirn gedrückt und sich mit einem Schnurrbart und einer runden Brille unkenntlich gemacht hat.
Es ist die schauderhafteste Verkleidung, die ich je gesehen habe. Jeder kann sofort erkennen, dass es sich um ein Mädchen handelt, trotz aller Bemühungen, ihre lange Mähne unter der Mütze zu verstecken.
»Danke, Mann«, sagt sie mit tief verstellter Stimme.
Endlich schaut sie mich an. Ihre Augen weiten sich leicht, und sie schwankt. Im letzten Moment halte ich sie mit der Hand unter ihrem Ellbogen fest. Sie erbebt unter meinen Fingern. Sofort lasse ich sie los und sage: »Nur zur Info: Das hier ist das Herrenklo.«
Daisy Amahle Coleman, geboren am 26. Juni 2000 in Los Angeles, ist eine US-amerikanische Schauspielerin, Model und Singer-Songwriterin.
Schon im Alter von zehn Jahren beginnt die Tochter des Tischlers Isaiah Coleman und der Lehrerin Sharon Stenberg mit Castings. Nachdem sie in mehreren Werbespots mitgespielt hat, wird Daisy mit fünfzehn als Darstellerin für die ChannelD-Serie Rock My Life entdeckt, in der sie eine der Hauptrollen spielt.
Daisy Amahle, deren zweiter Vorname auf Zulu »die Schöne« bedeutet, ist berühmt für ihre außergewöhnliche Schönheit. Ihre Eltern erklären, dass sie bereits als Kind auffiel. Tatsächlich waren es ihre großen, goldbraunen Augen mit den endlos langen Wimpern, ihre makellose, schwarze Haut und ihre vollen Lippen mit dem vollendeten Amorbogen, die die besten Agenten der Stadt auf den Plan riefen.
Dass sie heute ein Teenager-Idol, das Gesicht von Weltmarken und ein It-Girl ist, um das sich jeder reißt, hat sie einer Castingshow zu verdanken, die ihr Leben veränderte.
Hier ist die Abschrift eines Interviews, das ich mit Daisy in ihrer Anfangszeit geführt habe.
Kaylee Walters: Warst du zuversichtlich?
Daisy Coleman: Ganz und gar nicht! Ich war erst vierzehn und hatte entsetzliche Angst. Als ich auf dem Flur warten musste, umgeben von wunderschönen Mädchen, die wahrscheinlich alle besser waren als ich, bin ich total ausgeflippt. Ich habe mich auf der Toilette eingeschlossen und mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Fünf Minuten, bevor ich an die Reihe kam, war ich unauffindbar. Am liebsten hätte ich die ganze Sache abgeblasen und wäre abgehauen, aber ich schämte mich zu sehr, meinem Vater und meinem Bruder – sie begleiteten mich – mein Versagen zu gestehen. Habe ich erwähnt, dass es mein Geburtstag war?
K. W.: Netter Zufall! Was hat dich dann doch dazu bewogen, dich dem Casting zu stellen?
D. C.: Ich heulte gerade Rotz und Wasser, als ich hörte, wie jemand die Tür zur Toilette öffnete. Ich verhielt mich ganz still in meiner Kabine, aber die Schritte näherten sich. Und plötzlich hörte ich: »Daisy?« Es war die Stimme von Thomas, dem besten Freund meines Bruders, der sich vergewissern wollte, ob alles in Ordnung war. Ich versuchte, ihn zu beschwichtigen, aber er ging einfach nicht weg. Also … (Lachen) sagte ich das Erste, was mir einfiel: »Ich habe meine Tage.«
K. W.: Hat er dir geglaubt?
D. C.: Keinen Augenblick. Thomas lässt sich nicht täuschen. Er sagte: »Daisy, hier ist das Herrenklo«, und bat mich dann freundlich, die Tür zu öffnen. Er wollte den Schaden begutachten. Der arme Kerl … Er war eigentlich mit seiner damaligen Freundin verabredet gewesen, hatte ihr aber abgesagt, weil ich darauf bestanden hatte, dass er mich begleitet. Ich fühlte mich schuldig, also trocknete ich meine Tränen und ging hinaus. Ich weiß noch, dass er mich lange schweigend betrachtete und mich dann fragte, was los wäre. Schließlich meinte er, dass man an seinem Geburtstag nicht weinen sollte. Ich gestand ihm die Wahrheit, nämlich dass ich Angst hatte.
K. W.: Das Casting zu verpassen?
D. C.: Nein … es zu bestehen. Ich weiß, was du denkst (Lächeln). Thomas sagte genau das zu mir. »Das ist bescheuert.« Das war es auch. Aber ich hatte Angst davor, angenommen zu werden. Davor, dass die ganze Welt über mich lachen könnte, weil ich nicht schön genug war, oder nicht weiß genug, nicht lustig genug, nicht talentiert genug … oder weil ich ein bisschen seltsam bin. Weißt du, was er mir geantwortet hat?
»Das kann alles sein, ja. Es wird immer Menschen geben, die solche Dinge denken, auch wenn sie nicht stimmen.« Ich erinnere mich, dass ich daraufhin erst recht weinte. Er hockte sich vor mich und wischte mit seinem Daumen meine Tränen fort. Thomas zeigt niemals Gefühle, aber seine Gesten waren so sanft, dass sie mich sofort beruhigten.
Er sagte: »Daisy, hör mir gut zu. Menschen sind gemein, egoistisch und eifersüchtig. Die Leute werden dich auslachen, ganz gleich, was du tust … Also kannst du auch gleich das tun, was dir Spaß macht, oder?« Bei diesem Satz machte es klick.
K. W.: Ein wirklich weiser Satz. Wie ging es dann weiter?
D. C.: Ich habe es immerhin versucht. Ihm mag es einfach erschienen sein, weil ihm nichts etwas anhaben konnte. Für mich war es komplizierter. Trotzdem hatte ich begriffen, dass ich, wenn ich Erfolg hätte, nie würde verhindern können, dass die Leute über mich reden. Ich würde mich distanzieren müssen und dafür sorgen, dass mich nichts treffen konnte. Solange mir klar wäre, was ich wert war, würden Anfeindungen keine Rolle spielen.
Schließlich lächelte ich. Ich hatte mich wieder unter Kontrolle. Ich glaube, das hat ihn gefreut, denn er fing wieder an, mich zu necken – das war seine Lieblingsbeschäftigung.
K. W.: Standet ihr euch nah?
D. C.: Sehr. Zumindest … rede ich mir das gern ein. Es war vor allem ein einseitiges Gefühl. Ich klebte an ihm. Meine Augen folgten jeder seiner Bewegungen. Sein Name war ständig auf meinen Lippen. Er war der Held aller Träume, die ich mir abends vor dem Schlafengehen ausdachte. Ich vergötterte ihn, aber er würdigte mich keines Blickes. Nicht wirklich … jedenfalls nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte.
Aber meinen Geburtstag vergaß er nie und versuchte, mich um jeden Preis zu beschützen. Ich erinnere mich noch gut an das Gespräch an jenem Tag, als wir die Toilette verließen. Er nannte mich »Kleine«, was ich hasste. Zugegeben, angesichts seiner Größe von 1,88 m wirkte ich winzig. Aber ich schrie ihn trotzdem an: »Ich bin nicht klein! Ich werde heute vierzehn! Ich habe schon einen Jungen mit Zunge geküsst, und ich rasiere mir die Beine.« (Lachen)
Ihm konnte ich solche Dinge sagen, meinen Bruder hätte der Schlag getroffen. Vor allem aber wollte ich ihn auf kindliche Weise eifersüchtig machen … Natürlich war ihm das völlig egal. Trotzdem verzog er angewidert das Gesicht, was ich sofort als Sieg wertete.
»So genau wollte ich es gar nicht wissen, Gollum!«
K. W.: Gollum? Wie in Der Herr der Ringe?
D. C.: Ja, so hat er mich immer genannt, weil er wusste, dass mich das ärgerte. Wenn ich ihn aufforderte, damit aufzuhören, tätschelte er mir nur den Kopf und meinte: »Verleugne deine Wurzeln nicht, Daisy. Denk daran, wo du herkommst.«
An diesem Tag erfand ich aus Rache einen eigenen Spitznamen für ihn: Ich nannte ihn Thor. (Lachen) Mit seinem neuen Bart und seinen blonden, halblangen Haaren sah er ein bisschen aus wie Chris Hemsworth.
Daraufhin drohte er mir, dass er Hakeem alles erzählen würde. »Wer ist dieser Junge? Sag ihm, dass ich einen Baseballschläger habe. Wenn ihm seine Beine wichtig sind, sollte er seine Hose lieber zulassen.« Ich schämte mich zu Tode.
K. W.: Und weiter?
D. C.: Wir kehrten in den Flur zurück, wo ich von einer Frau mit Brille aufgerufen wurde. Ich war an der Reihe. Aus dem Augenwinkel nahm ich gerade noch wahr, wie mein Bruder ermutigend den Daumen hob, dann betrat ich den Raum, wo das Vorsprechen stattfinden sollte. Ich hatte keine Angst mehr. Ich gab alles und wusste sofort, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte. Es war noch ein anderes Mädchen da, das mir die Stichworte gab. Damals wusste ich es noch nicht, aber es handelte sich um Destiny … meine zukünftige Kollegin in der Serie.
K. W.: