A Touch of Chaos - Scarlett St. Clair - E-Book

A Touch of Chaos E-Book

Scarlett St. Clair

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Beschreibung

SIE WAR DIE MORGENDÄMMERUNG SEINER WELT, DIE WÄRME, DIE ER IN SEINEM HERZEN TRUG, DAS LICHT, DAS IHN MIT FREUDE AUF DIE ZUKUNFT BLICKEN LIEß

Persephone, die Göttin des Frühlings, hätte nie gedacht, dass ihre kurze Begegnung mit Hades im Nevernight ihr Leben für immer verändern würde. Sie will ihren geliebten König der Unterwelt endlich heiraten, doch die Götterwelt befindet sich in einem erbitterten Krieg. Der Halbgott Theseus plant, die Olympier zu stürzen - und das Leben, das Persephone kannte, droht im tödlichen Chaos zu versinken. Ihr bleibt keine andere Wahl: Sie muss die Dunkelheit annehmen, die schon längst von ihrem Herzen Besitz ergriffen hat, oder sie riskiert, ihre gemeinsame Zukunft mit Hades für immer zu verlieren ...

»Scarlett St. Clairs einzigartiger Schreibstil hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Die Geschichte von Hades und Persephone ließ mich nicht mehr los, und die leidenschaftliche Beziehung sowie die tiefe Verbundenheit zwischen den beiden hat mein Herz mit jeder Seite schneller schlagen lassen!« BUECHERVOLLERTRAEUME

Band 4 der HADES&PERSEPHONE-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Scarlett St. Clair

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Seitenzahl: 737

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Motto

Teil I

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Teil II

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Teil III

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Kapitel Vierunddreißig

Kapitel Fünfunddreißig

Kapitel Sechsunddreißig

Kapitel Siebenunddreißig

Kapitel Achtunddreißig

Kapitel Neununddreißig

Kapitel Vierzig

Kapitel Einundvierzig

Kapitel Zweiundvierzig

Anmerkung der Autorin

Bonusinhalt

Bonusszene Persephone x Artemis

Bonusszene Minthe, die Minze: Teil II

Die Autorin

Die Romane von Scarlett St. Clair bei LYX

Impressum

Scarlett St. Clair

A Touch of Chaos

Roman

Ins Deutsche übertragen von Silvia Gleissner

ZU DIESEM BUCH

Die Welt der Götter befindet sich in einem erbitterten Krieg. Der Halbgott Theseus hat es geschafft, die Menschheit gegen die Olympier aufzubringen, und nichts ist, wie es einmal war. Niemals hätte Persephone, die Göttin des Frühlings, gedacht, dass einer flüchtigen Begegnung im Nevernight eine alles umstürzende Liebe zum König der Unterwelt entspringen würde, die sie nun zwingt, diese Schlacht anzuführen. Denn ihr Leben und das ihrer engsten Verbündeten droht in einem tödlichen Chaos zu versinken, und so bleibt Persephone keine andere Wahl: Anstatt ihren geliebten Hades endlich zu heiraten, muss sie die Dunkelheit in ihrem Herzen annehmen und ihre eigenen zerstörerischen Kräfte heraufbeschwören. Egal wie aussichtlos die Lage erscheint, sie muss den Plan ihrer Feinde um jeden Preis durchkreuzen – oder sie riskiert, ihre gemeinsame Zukunft mit Hades für immer zu verlieren …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Alles Gute geht einmal zu Ende.

TEIL I

»Es wird getötet werden, bis die Schuld beglichen ist.«

Homer – »Odyssee«

KAPITEL EINS

Persephone

Persephone klangen die Ohren, und die Unterwelt bebte heftig unter ihren Füßen.

Sie taumelte unter Hekates Worten.

Das ist Theseus, der gerade die Titanen befreit.

Theseus, ein Sohn Poseidons, ein Mann, dem sie nur einmal im Vorbeigehen begegnet war, hatte es geschafft, in nur wenigen Stunden ihr Leben zu zerschmettern. Es hatte mit der Entführung von Sybille und Harmonia begonnen und war von da an immer mehr aus dem Ruder gelaufen. Nun waren Zofie und Demeter tot, der Helm der Unsichtbarkeit war verschwunden, und Hades wurde vermisst.

Sie war sich nicht einmal sicher, ob dies das richtige Wort dafür war, doch Tatsache war, dass sie Hades nicht mehr gesehen hatte, seit sie ihn in ihrem Büro im Alexandria Tower zurückgelassen hatte, gefesselt von ihrer Magie. Sein Gesichtsausdruck verfolgte sie, doch ihr war keine andere Wahl geblieben. Er hätte sie nicht gehen lassen, und sie würde nicht zulassen, dass Hades sich einer Ewigkeit der Bestrafung gegenübersah, weil er eine Gunst nicht eingelöst hatte.

Doch etwas stimmte nicht, denn er war ihr nicht gefolgt, und auch jetzt, da sein und ihr Reich auseinandergerissen wurde, erschien er nicht.

Ein weiteres Beben erschütterte die Unterwelt, und Persephone sah Hekate an, die ihr gegenüberstand, mit finsteren Augen und angespannter Miene.

»Wir müssen gehen«, sagte Hekate.

»Gehen?«, wiederholte Persephone.

»Wir müssen die Titanen aufhalten«, antwortete Hekate. »Sofern wir dazu in der Lage sind.«

Persephone starrte sie nur an. Die Göttin der Zauberei war selbst eine Titanin. Sie mochte wohl fähig sein, gegen die älteren Gottheiten zu kämpfen, doch Persephone hatte es gerade so geschafft, sich gegen ihre Olympische Mutter zu behaupten.

»Hekate, ich kann nicht …«, begann sie kopfschüttelnd, doch Hekate nahm ihr Gesicht in beide Hände.

»Du kannst«, sagte sie, und ihre Augen blickten direkt in Persephones Seele. »Du musst.«

Du hast keine andere Wahl.

Persephone hörte, was Hekate nicht aussprach, und ihr war klar, dass die Göttin recht hatte. Dies ging über die Verteidigung ihres Reiches hinaus.

Es ging darum, die Welt zu verteidigen.

Sie schob ihre Zweifel beiseite, in zunehmend grimmiger Entschlossenheit, zu beweisen, dass sie der Krone und des Titels, die sie erhalten hatte, würdig war.

»Oh, meine Liebe«, sagte Hekate, ließ die Hände von Persephones Gesicht sinken und verschränkte sie mit ihren Fingern. »Ob du würdig bist, ist nicht die Frage.«

Das war alles, was sie sagte, bevor ihre Magie in einem machtvollen Ausbruch aufloderte und sie beide zu den Asphodelischen Feldern teleportierte. Trotz der Zerstörung, die Persephone mitangesehen hatte, als sie sich den Olympiern außerhalb von Theben gestellt hatte, hatte sie sich nicht vorstellen können, was die Titanen ihrem Reich antun könnten. Die Realität war niederschmetternd.

Die Berge des Tartaros waren einst steil aufgeragt und abgefallen wie die Wogen einer wütenden See. Trotz der Schrecken, die sie enthielten, waren sie wunderschön gewesen – ein dunkler, zackiger Schatten vor dem trüben Horizont.

Nun waren sie beinahe dem Erdboden gleichgemacht, als seien sie unter dem Fuß eines Riesen zerdrückt worden, und der Himmel war gespalten, eine entzündete Wunde, die sich der Welt offenbarte.

Etwas war bereits aus der Unterwelt entkommen.

Der Boden bebte, und eine gewaltige Hand schoss aus den Tiefen des Tartaros empor und schleuderte eine Explosion aus Felsen über das Land. Der Kopf eines Titanen erhob sich aus seinem Gefängnis, und er gab ein lautes Brüllen von sich. Es war ohrenbetäubend und ebenso zerstörerisch, es zerschmetterte nahe Gipfel, als seien sie aus Glas.

Persephone rief sich ins Gedächtnis, was Hades über die Titanen gesagt hatte. Da sie nicht tot sondern nur eingekerkert waren, besaßen sie noch all ihre Kräfte.

»Iapetos«, sagte Hekate. Ihre Stimme war beinahe ein Zischen. »Er ist Kronos’ Bruder und der Gott der Unsterblichkeit.« Hekate sah ihr in die Augen. »Ich übernehme ihn. Du musst den Himmel versiegeln.«

Persephone nickte, auch wenn ihr Verstand sich noch damit mühte, zu begreifen, was das überhaupt bedeuten sollte. Sie hatte die Magie, die ihr durch die Heirat mit Hades gewährt worden war, noch nie eingesetzt.

Hekate teleportierte sich und erschien in der Luft über Iapetos’ Kopf. Dann waren dort plötzlich drei Exemplare von ihr, die alle den Gott der Unsterblichkeit umringten, und aus ihren Händen entsprangen schwarze Flammen, die sie in einem brennenden Strahl auf den Titanen richteten. Iapetos’ Wutschrei erschütterte die Umgebung, als ihre Magie ihn traf.

Während er abgelenkt war, beschwor Persephone die Finsternis in sich und griff nach den Gefühlen, die ihre Zerstörung der Unterwelt befeuert hatten, als sie im Wald der Verzweiflung auf Hades und Leuke gestoßen war. Sich an diesen Moment zu erinnern, verletzte sie. Obwohl das, was sie dort gesehen hatte, nicht real gewesen war, doch die Emotionen hatten sie zutiefst erschüttert. Aus dieser Qual heraus erblühte nun ihre Macht, eine Kraft, die die Wurzeln der Oberwelt über ihr anrief. Diese brachen durch den dunklen Himmel hindurch wie Schlangen, die sich ineinander verhakten, und versiegelten den Riss im Himmel.

Ein Gefühl von Erleichterung durchflutete sie, und sie wandte sich Hekate zu, die immer noch mit Iapetos beschäftigt war. Persephone wollte sich darauf konzentrieren, den Titanen innerhalb seines Bergkerkers festzusetzen, doch da traf etwas Hartes auf sie, und sie flog durch die Luft. Als sie am Boden aufkam, rollte sie weiter bis an den Rand des Asphodeliengrundes, wo das Feld in ein Tal abfiel.

Persephone holte tief und stockend Luft, obwohl ihre Lungen sich wie gefroren in ihrer Brust anfühlten. Sie erhob sich auf Hände und Knie und fand sich Auge in Auge mit einem Monster wieder – einer Kreatur mit drei Köpfen: dem eines Löwen, einer Ziege und einer Schlange.

Der Löwe brüllte ihr ins Gesicht, die scharfen Zähne gefletscht. Die Ziege öffnete das Maul und spie giftiges Feuer aus, das die Luft versengte. Die Schlange schoss blitzschnell vorwärts, doch sie war nicht nahe genug, um sie mit ihren giftigen Fangzähnen zu treffen.

Die Kreatur war eine Chimäre, eine willkürliche Mischung aus Tieren, alle auf ihre Art gefährlich, auch sie war aus dem Tartaros entkommen.

»Fuck.«

Das Monster machte einen Satz vorwärts, und Persephone wich hastig zurück, vergaß dabei, wie nahe sie dem Rand des Tals war. Sie kippte über den Rand, stürzte und landete auf der unnachgiebigen, grasbedeckten Erde.

Daraufhin teleportierte sie sich und schaffte es, am Grunde der Wiese auf ihrem Hintern zu landen. Sie blickte finster zu der Chimäre auf, die sie von oben herab anbrüllte, dann hörte sie zu ihrer Überraschung ein weiteres Brüllen hinter sich. Persephone drehte sich um und sah eine weitere Chimäre drohend näher kommen. Und noch zwei weitere flankierten sie.

Persephone stolperte rückwärts, als ein Schatten über ihren Kopf hinwegflog. Die erste Chimäre war von der Klippe gesprungen und stürzte sich ins Gefecht.

»Wieso gibt es so viele von euch?«, brummte Persephone frustriert, während ihr Blick abschätzend von einer Kreatur zur anderen glitt.

Plötzlich traf ein großer Granatapfel den Ziegenkopf einer der Chimären. Dieser drehte sich zur Seite, spuckte mit einem wütenden Brüllen Feuer und steckte die Kreatur neben sich in Brand. Aus deren Maul drang ein schreckliches Kreischen, und sie stürzte zu Boden und rollte sich im dichten Gras umher, aber die Flammen breiteten sich noch weiter aus.

Noch mehr Granatäpfel folgten auf den ersten und regneten auf die Monster herab. Als diese sich umdrehten, um sich ihren neuen Angreifern zu stellen, sah Persephone, dass die Seelen sich zu einer riesigen Menge versammelt hatten. In der ersten Reihe standen Frauen und Ältere mit Körben voll Obst. Unter ihnen Yuri, und Persephone ging das Herz auf beim Anblick ihres Volkes. Doch ihre Freude schlug rasch in Entsetzen um, als die Chimäre sich der Menge näherte.

Sie hatte keine Ahnung, was mit den Seelen passieren würde, wenn sie mit einer Bedrohung in ihrem eigenen Reich konfrontiert würden, und sie wollte es nicht herausfinden.

Doch noch während sie zusah, trat eine zweite Reihe von Seelen vor – bewaffnete Männer und Frauen. Ian führte sie an und rief Befehle, als die Chimäre sich näherte.

»Zielt auf die Hälse!«, rief er. »Ihre Rachen sind aus Feuer, eure Geschosse werden schmelzen und sie ersticken!«

Drei Chimären stürmten auf die Seelen zu, eine trat Persephone entgegen. Der Löwe fletschte die Zähne, während die Augen der Ziege vor Zorn rot glühten. Die Schlange richtete sich auf, bereit zuzuschlagen. Persephone wich zurück, als die Kreatur einen raubtierhaften Schritt nach dem anderen auf sie zukam, und gerade, als sie zuschlagen wollte und die Mäuler ihrer drei Köpfe weit aufriss, teleportierte Persephone. Sie wollte ihre Magie beschwören und die Kreatur in ein Gestrüpp aus Dornen sperren. Doch kaum war sie hinter der Chimäre erschienen, krachte ein gewaltiges Wesen in diese hinein. Es dauerte einen Augenblick, bis Persephone erkannte, was da angegriffen hatte – ein dreiköpfiger Hund.

Und zwar nicht irgendein dreiköpfiger Hund – Zerberus, Typhon und Orthrus.

Persephone hatte die drei noch nie in ihrer vereinten Gestalt gesehen, doch Hades hatte davon gesprochen. »Zerberus ist ein Monster«, hatte er gesagt. »Kein Tier.«

Manchmal existierte Zerberus als ein Wesen, manchmal als drei, doch nun schien er seine Größe verdreifacht zu haben und ragte über ihr auf, während er die Chimäre in die Luft schleuderte. Die Kreatur landete in einiger Entfernung und rührte sich nicht mehr. Dann wandte sich Zerberus zu Persephone um, sein großer Körper zuckte bei ihrem Anblick.

»Zerberus …«

Ihre Worte wurden abgeschnitten, da ein scharfes Knacken ihre Aufmerksamkeit auf den bergigen Horizont lenkte, wo Hekate noch immer gegen Iapetos kämpfte. Der Titan hatte es geschafft, seine gewaltigen Hände zwischen die mächtigen Wurzeln zu schieben, die Persephone beschworen hatte, um den Himmel zu versiegeln, und er zerriss sie mit einem raschen, kräftigen Ruck. Vereinzelt drangen verängstigte Schreie von den auf der Wiese versammelten Seelen zu ihr, als Holzsplitter auf die Unterwelt herabregneten.

Noch mehr Berge gaben unter dem Einschlag der fallenden Wurzeln nach. Ein begieriges und wütendes Heulen folgte, und sieben schlangenähnliche Köpfe erhoben sich aus den bröckelnden Tiefen des Tartaros. Persephone gefror das Blut in den Adern, als sie die bauchige Gestalt der Hydra erkannte.

»Fuck!«

Das Minimum an Kontrolle, das sie bislang über die Lage gehabt hatte, verließ sie in diesem Moment.

»Sieht aus, als stecktest du in der Klemme, Sephy.«

Persephone blickte nach links, wo Hermes sich in all seiner goldenen Pracht manifestiert hatte, noch immer in der Rüstung, die er bei ihrer Begegnung mit den Olympiern getragen hatte. Auf dem Schlachtfeld hatte sie ihn aus den Augen verloren, doch er war einer der Ersten gewesen, die sich auf ihre Seite und gegen Zeus gestellt hatten – er und Apollo.

Da weckte der vertraute Duft von erdigem Lorbeer ihre Aufmerksamkeit, und sie drehte sich um und sah den Gott der Musik zu ihrer Rechten. Er wirkte stoisch und ruhig und bot ihr ein kleines Lächeln.

»Hey, Seph«, grüßte er.

Sie lächelte zurück. »Hey, Apollo.«

»Wie unhöflich«, meinte Hermes. »Ich habe keine Begrüßung bekommen.«

»Hi, Hermes«, sagte sie und blickte ihn wieder an.

Er schnaubte. »Es bedeutet nichts, wenn ich erst darauf hinweisen muss.«

Daraufhin grinste Persephone und brach gleichzeitig in Tränen aus, überwältigt von Dankbarkeit über die Anwesenheit der beiden.

»Nicht weinen, Sephy«, sagte Hermes. »Das war nur ein Scherz.«

»Sie weint nicht wegen deines dummen Scherzes«, sagte Apollo unwirsch.

»Oh? Und du kennst sie so gut?«

»Er hat nicht unrecht, Hermes«, sagte Persephone und wischte sich rasch über die Augen. »Ich bin nur … wirklich froh, dass ihr beide hier seid.«

Hermes’ Miene wurde sanfter, doch schnell richteten sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Tartaros, als die Hydra brüllte und sich von dem Gipfel, auf dem sie stand, hinabstürzte und im Wald der Verzweiflung landete. Bäume knickten unter ihrem gewaltigen Körper um, als seien sie nur Zweige. Die schlangenhaften Köpfe des Monsters peitschten umher und verteilten dabei ihr Gift. Es landete wie ein tödlicher Regen überall in der Unterwelt, besudelte und entzündete alles, was es berührte, eingeschlossen eine Chimäre, deren grässliches Heulen die Luft erfüllte, als das Gift sie zu Tode verbrannte.

Gleichzeitig hatte Iapetos sich noch weiter befreien können, und nun war sein ganzer Kopf frei, bis hin zu den breiten Schultern. Sein Gesicht war hager, die Augen eingesunken und wütend, sie leuchteten, als seien sie erfüllt von Feuer. Er sah boshaft und grausam aus, und obwohl Persephone von dem Titanen, der jahrhundertelang eingesperrt gewesen war, nichts anderes erwartet hatte, war es doch etwas anderes, sich mit seiner gewaltigen Wut konfrontiert zu sehen.

Persephone konnte fühlen, wie Hekates uralte Magie über sie hinwegrauschte, als würde sie Energie aus allem in der Unterwelt ziehen. Es stellte ihr die Haare im Nacken und an den Armen auf, und ihr Mund war staubtrocken. Dann ließ Hekate ihre Macht in einem gewaltigen Ausbruch frei. Iapetos knickte unter ihrer Last ein, und sein Kopf traf auf die Berge, doch Persephone wusste, dass das noch nicht reichte.

»Wir müssen sie wieder in den Tartaros sperren«, sagte sie.

»Das übernehmen wir«, meinte Hermes. »Kümmere du dich um dieses riesige Loch im Himmel.«

Sie mussten ihre Zweifel gespürt haben, denn Apollo sagte: »Du kannst das. Du bist die Königin der Unterwelt.«

»Die einzig wahre«, sagte Hermes. »Von der wir wissen.«

Persephone und Apollo sahen ihn finster an.

»Das war doch nur ein Scherz«, jammerte Hermes.

Apollo seufzte und trat einige Schritte vorwärts. Sein Bogen erschien in seiner Hand und sein Köcher auf seinem Rücken. »Na los, Hermes.«

Der Gott der Diebe trat einen Schritt vor und drehte sich dann zu Persephone um. »Falls es irgendwie hilft«, sagte er, »es gibt keine andere.«

Sie wusste, was er meinte. Niemand sonst konnte die Titanen einschließen oder die Monster in den Tartaros bannen. Niemand sonst konnte den zerrissenen Himmel schließen.

Das war die Macht, die dem König und der Königin der Unterwelt gewährt war.

Entweder Hades oder sie, und Hades war nicht hier.

Seine Abwesenheit tat ihr im Herzen weh, doch sie wusste, dass nun nicht der Augenblick war, sich damit zu quälen, was ihm wohl widerfahren war, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Zuerst musste sie mit dieser Situation umgehen, und je eher sie in der Lage war, die Gefahr einzudämmen, umso eher konnte sie ihren Ehemann suchen.

Hermes’ Flügel entfalteten sich, und er erhob sich in die Luft, um direkt Richtung Hydra zu fliegen, mit Apollo im Schlepptau.

Persephone teleportierte sich an den Rand der Asphodelischen Felder. Dort nahm sie sich einen Moment Zeit, das Chaos zu beobachten.

Schon oft war sie sich ihrer Mängel bewusst geworden, doch nie so sehr wie in ebendiesem Augenblick. Die Berge des Tartaros waren nur noch Trümmerhaufen, die Schönheit von Hades’ Magie war vernichtet durch Flecken verbrannter und qualmender Erde vom Gift der Hydra, in der Luft lag der Geruch von brennendem Fleisch, und inmitten des Ganzen kämpften die Seelen noch immer gegen die Chimären. Hermes schwang sein goldenes Schwert gegen die Hydra, während Apollo Strahlen blendenden Lichts aussandte, um die Wunden auszubrennen und zu verhindern, dass sich die Köpfe des Monstrums regenerieren konnten. Iapetos erschütterte weiterhin die Unterwelt und kämpfte gegen Hekates Magie an.

Persephone holte tief Luft und schloss die Augen. Und als sie das tat, fühlte sie, wie die Welt um sie herum verstummte. Nichts drang mehr in diesen Raum außer ihrem Zorn, ihrem Schmerz und ihrer Sorge. Ihr klangen die Ohren davon, ihr Herz pochte laut, und sie benutzte alle diese Gefühle, um den dunkleren Teil ihrer Magie heraufzubeschwören. Jener Teil von ihr, der schmerzte, der tobte und der nicht länger glaubte, dass die Welt ganz und gar gut sei.

»Du bist meine Ehefrau und meine Königin.«

Hades’ Stimme hallte in ihrem Kopf wider. Sie jagte ihr Schauer über den Rücken und umfing ihr Herz. Ihr Klang ließ ihr Tränen in die Augen steigen, und ihr wurde das Herz so schwer, dass es ihr den Atem raubte.

»Du bist alles, das mich gut macht«, sagte er. »Und ich bin alles, das dich schrecklich macht.«

Persephone schluckte den dicken Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte. Früher wäre sie vor diesen Worten zurückgeschreckt, doch nun verstand sie die Macht, die darin lag, gefürchtet zu werden.

Und sie wollte gefürchtet werden.

»Wo bist du?«, fragte sie, in verzweifeltem Sehnen danach, dass Hades sich an ihrer Seite manifestierte, dort, wo er hingehörte, doch je länger sie allein blieb, umso finsterer wurde ihre Energie.

»Ich warte darauf, dich durch die Dunkelheit zu tragen, wenn du mich ans Licht bringst.«

Ihr Herz fühlte sich schwer, wie eine Last in ihrer Brust.

»Ich brauche dich«, flüsterte sie.

»Du hast mich«, sagte er. »Es gibt keine Stelle, an der du endest oder ich beginne. Benutze mich, Liebling, so wie du es für dein Vergnügen getan hast. Es liegt Macht in diesem Schmerz.«

Und Schmerz gab es.

Er strahlte durch ihren Leib, ein Kummer, der bis tief in ihre Knochen reichte, der so sehr zu einem Teil von ihr geworden war, dass es ihr beinahe normal erschien. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wer sie war, bevor dieser hohle Schmerz des Kummers ein Loch in ihr Herz gerissen hatte.

»Nun da ich fort bin, bist du mehr«, hörte sie Lexa sagen.

Persephone kniff fest die Augen zusammen, um die grausamen Worte ihrer besten Freundin auszusperren, doch sie wusste, dass sie wahr waren. Seltsam, dass das Leben Macht im Angesicht von Verlust gewährte, und noch seltsamer, dass die Person, die am meisten stolz auf sie wäre, nicht hier war, um zuzusehen.

»Ich kenne deine Wahrheit«, sagte Lexa. »Ich muss sie nicht sehen.«

Daraufhin schnitt etwas durch Persephones Körper, ein Schmerz so tief, dass sie ihn nicht zügeln konnte, und als sie die Augen öffnete, war ihr Blick durch das Leuchten ihrer Augen geschärft. Ihre Macht wartete, wollte sich ihrem Willen beugen, eine Flamme, die ihren Leib umhüllte. Einen Moment lang erstarrte alles, und sie fühlte Hades’ Präsenz, als sei er hinter ihr erschienen und lege besitzergreifend den Arm um ihre Taille.

»Nähre sie«, befahl er, und mit seinem warmen Atem an ihrem Ohr schrie sie.

Ihr Kummer wurde zu einem realen lebenden Ding, als ihre Macht sich um sie sammelte. Sie überflutete die Unterwelt und verfinsterte den Himmel. Schatten flogen von ihren Handflächen und wurden zu harten Speeren, die die Chimären und die Hydra durchbohrten. Eine Kakophonie aus schrillen Schreien und schmerzerfülltem Gebrüll erfüllte die Luft, und das trieb sie an, ließ sie tiefer graben, bis die Erde zu beben begann und der Boden unter der Hydra und die Berge des Tartaros dunkel und flüssig wurden. Dicke Ranken schossen aus dieser Flüssigkeit empor, schlangen sich um die großen, klauenbewehrten Füße der Hydra und das, was von ihren Köpfen noch übrig war, und zogen das Monster hinab in ihre Tiefen, bis dessen Schreie plötzlich verstummten.

Auch über Iapetos erhob sich ihre Magie in finsteren Wogen, unterstützt von Hekate, deren Macht den Titanen tiefer in seine Zelle in den Bergen trieb, auch wenn er dagegen ankämpfte, die Arme ausstreckte und den noch immer offenen Himmel zu erreichen suchte. Immer höher stieg ihre Finsternis, bedeckte sein Haar, blendete seine Augen und drang in seinen offenen Mund. Er heulte vor Wut auf, bis seine Kehle voll war und er nicht mehr sprechen konnte, und als er ganz bedeckt war, verhärtete sich ihre Magie, und die Berge des Tartaros schimmerten wie funkelnder Obsidian vor dem dunklen Horizont.

Vom höchsten Gipfel aus, der die Spitze von Iapetos’ Hand war, nun in harten Stein gefroren, baute ihre Magie sich weiter auf, heilte den zerrissenen Himmel, und als das getan war, ließ Persephone die Hände sinken, und ihre Magie wogte zurück und jagte durch ihren Leib. Sie zitterte, blieb aber auf den Beinen. Sie fühlte etwas Nasses in ihrem Gesicht, und als sie die Hand an den Mund hob, fand sie Blut.

Sie runzelte die Stirn.

»Sephy, du warst toll!«, rief Hermes und erschien vor ihr. Er zog sie in eine feste Umarmung, und obwohl seine Rüstung sich dabei in ihren Körper bohrte, hieß sie seine Umarmung willkommen.

Als er sie wieder losließ, fand sie sich vor Apollo, Hekate und Zerberus wieder, der noch immer zu einem großen dreiköpfigen Monster vereint war. Er schlenderte vorwärts und schnüffelte sachte an ihrer Hand. Von allen drei Mäulern tropften Speichel und Blut.

Doch das kümmerte sie nicht, und sie streichelte alle drei Köpfe.

»Gut gemacht, Jungs«, lobte sie. »Sehr gut.«

Auf der Wiese weiter unten jubelten die Seelen. Deren Enthusiasmus hätte ihr normalerweise das Herz leicht gemacht, doch stattdessen empfand sie Kummer.

Würde ihre Magie halten? Konnte sie ihnen Sicherheit bieten?

Ihr Blick schweifte zum Horizont und zu dem seltsamen Turm, der nun die Berge des Tartaros mit dem Himmel verband. Persephone hatte keine Ahnung, wie sie ihn erschaffen hatte, doch sie wusste, was ihre Magie genährt hatte. Sie konnte die Emotionen noch immer in sich fühlen.

»Gefällt mir«, meinte Hermes. »Das ist Kunst. Wir nennen es … Iapetos’ Abrechnung.«

Persephone fand, dass es mehr wie eine Narbe aussah, ein Schandfleck auf Hades’ Königreich, doch vielleicht würde er das beheben können, wenn er nach Hause kam.

Ein dicker Kloß bildete sich in ihrer Kehle, den sie kaum hinunterschlucken konnte. Sie drehte sich um, sah forschend in jedes Gesicht, darauf hoffend, dass irgendjemand die Antwort auf ihre dringendste Frage hätte:

»Wo ist Hades?«

KAPITEL ZWEI

Hades

Das Brennen in seinen Handgelenken weckte ihn. Die Kopfschmerzen, die ihm den Schädel spalteten, machten es ihm beinahe unmöglich, die Augen zu öffnen, doch er versuchte es und stöhnte, als seine Gedanken zersplitterten wie Glas. Er war nicht fähig, die Splitter festzuhalten und sich zu erinnern, wie er hierhergekommen war, also konzentrierte er sich stattdessen auf den Schmerz in seinem Körper – auf das Metall, das sich in die wunde Haut seiner Handgelenke grub; auf seine Fingernägel, die sich in seine Handfläche bohrten; und auf das Pochen in seinen Fingern, fest zusammengekrümmt, wo sie doch Persephones Ring umschließen sollten.

Der Ring. Er war fort.

Panik stieg in ihm auf, ein Riss in seiner Beherrschung, der ihn an seinen Fesseln zerren ließ, und endlich riss er die Augen auf, um festzustellen, dass er gefesselt war, in einer kleinen dunklen Zelle. Er hing von der Decke herab, sein Körper gehüllt in dasselbe schwere Netz, das ihn im Gefängnis des Minotauren zu Boden gezwungen hatte, und er war nicht allein.

Er starrte in die Dunkelheit, unbehaglich, spürte, dass die Magie, die dort existierte, seine eigene war, und doch fühlte sie sich irgendwie fremd an. Wahrscheinlich deshalb, weil er zwar nach ihr rief, sie aber nicht beschwören konnte.

»Ich weiß, dass du da bist«, sagte Hades. Seine Zunge fühlte sich geschwollen an.

In der nächsten Sekunde erschien Theseus, nachdem er den Helm der Unsichtbarkeit abgenommen hatte. Er hielt die Waffe im Arm und grinste spöttisch.

»Theseus«, knurrte Hades, doch selbst für seine Ohren klang seine Stimme schwach. Er war so müde und so voller Schmerz, dass er die Stimme nicht so erheben konnte, wie er es wünschte. Eigentlich wollte er toben.

»Ich hatte auf einen dramatischeren Auftritt gehofft«, meinte der Halbgott, und seine wasserblauen Augen leuchteten. Hades hasste diese Augen, die denen Poseidons so ähnlich waren. »Aber du warst schon immer ein Spielverderber.«

Grauen machte Hades das Herz schwer, doch er gab sich Mühe, keine Angst zu zeigen. Er hasste es, dass er in Theseus’ Gegenwart überhaupt die Ahnung eines solchen Gefühls verspürte, doch er musste wissen, wie der Halbgott in den Besitz seines Helms gekommen war.

»Wie bist du an ihn gekommen?«

»Deine Frau hat mich direkt hingeführt«, sagte Theseus. »Ich sagte dir ja, dass ich sie mir nur ausborgen muss.«

Hades hatte viele Fragen, doch er stellte die drängendste.

»Wo ist sie?«, wollte er wissen.

»Ich muss gestehen, dass ich sie aus dem Auge verloren habe«, antwortete Theseus leichthin, als sei er nicht in Besitz dessen gewesen, was Hades am meisten auf dieser Welt liebte.

Er zuckte vorwärts. Er wollte die Hände um Theseus’ Hals legen und zudrücken, bis er dessen Knochen unter seinen Händen brechen fühlte – doch das Gewicht des Netzes machte jede Bewegung fast unmöglich. Stattdessen war es, als würde er ersticken. Sein Brustkorb hob und senkte sich schwer, als er mühsam nach Luft rang.

Theseus kicherte, und Hades sah ihn finster an. Die Anstrengung trieb ihm die Tränen in die Augen. Er hatte sich noch nie so schwach gefühlt. In Wahrheit war er noch nie so schwach gewesen.

»Als ich sie das letzte Mal sah, kämpfte sie in der Unterwelt gegen ihre Mutter. Ich frage mich, wer gesiegt hat.«

»Ich werde dich töten, Theseus«, sagte Hades. »Das ist ein Schwur.«

»Ich habe keinen Zweifel, dass du es versuchen wirst, obwohl ich ja glaube, dass dir das schwerfallen dürfte, angesichts deines gegenwärtigen Zustandes.«

Hades’ Zorn loderte auf und verbrannte ihn von innen heraus, doch er konnte nichts tun – weder sich rühren noch seine Macht rufen.

So, dachte er, muss es sein, wenn man sterblich ist. Es war furchtbar.

Theseus grinste, hielt dann den Helm hoch und musterte ihn.

»Eine faszinierende Waffe«, meinte er. »Er hat es viel zu einfach gemacht, den Tartaros zu betreten.«

»Klingt so, als würdest du jetzt gern prahlen«, entgegnete Hades mit finsterem Blick. »Also, wieso bringst du es nicht hinter dich?«

»Das ist ganz und gar kein Prahlen«, antwortete Theseus. »Ich erweise dir eine Höflichkeit.«

»Indem du in mein Reich einbrichst?«

»Indem ich dich wissen lasse, dass ich deinen Vater aus dem Tartaros befreit habe.«

»Meinen Vater?«, wiederholte Hades, unfähig, die Überraschung in seiner Stimme zu verbergen. Er konnte nicht genau beschreiben, was er empfand, nur dass diese Nachricht in ihm ein Gefühl der Taubheit hinterließ. Hätte er die Energie gehabt, sich zu bewegen, hätte diese Nachricht ihn auf der Stelle erstarren lassen.

Sein Vater, Kronos, Gott der Zeit, war frei und wandelte auf der Oberwelt, nachdem er beinahe fünf Jahrtausende eingesperrt gewesen war. Kronos, der Mann, der seinem eigenen Vater die Herrschaft geneidet und ihn mit einer Sichel niedergemacht hatte, die erst kürzlich wieder auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht war. Der Mann, der die vom Schicksal bestimmte Erhebung seiner Kinder so sehr gefürchtet hatte, dass er sie gleich nach ihrer Geburt im Ganzen verschlungen hatte.

Es war Zeus gewesen, der sie aus diesem schrecklichen und finsteren Gefängnis befreit hatte, und als sie dort herausgekommen waren, waren sie vollständig erwachsen und voller Wut gewesen. Selbst jetzt noch konnte Hades sich daran erinnern, wie er sich gefühlt hatte, wie Rache seinen Verstand beherrscht und jeden Gedanken genährt hatte. Nachdem es ihnen gelungen war, die Titanen zu stürzen, folgten ihm diese Gefühle und sickerten wie Blut in jeden Aspekt seiner Herrschaft.

Es schien noch gar nicht so lange her zu sein.

»Ich weiß nicht, wer sonst noch mit ihm entkommen konnte«, meinte Theseus. »Ich muss gestehen, dass ich gehen musste, aber in den kommenden Tagen werden wir das sicher herausfinden.«

»Du Schwachsinniger«, schäumte Hades, doch seine Stimme blieb leise. »Ist dir klar, was du da getan hast?«

Es war nicht so, als hätte Kronos die letzten fünftausend Jahre geschlafen. Er hatte seine gesamte Zeit im Tartaros bei Bewusstsein und mit der Planung seiner Rache verbracht, genau so wie Hades jetzt. Er sorgte sich darum, was sein Vater als Erstes mit seiner Freiheit anfangen würde. Seine Gedanken wanderten zu seiner Mutter, Rhea.

Rhea, die Kronos mit einer List dazu gebracht hatte, einen Stein zu verschlingen, sodass Zeus überleben konnte, um ihn zu stürzen.

Sie war diejenige, die Kronos’ Wut zuerst zu spüren bekommen würde. Dessen war Hades sich sicher.

»Komm schon, Hades«, meinte Theseus. »Wir wissen beide, dass ich keine vorschnellen Entscheidungen treffe. Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht.«

»Und was genau hast du dir gedacht? Dass du meinen Vater aus dem Tartaros befreist, und dann wäre er dir so sehr zu Dank verpflichtet, dass er sich deiner Sache anschließt?«

»Diesem Wahn bin ich nicht verfallen«, antwortete Theseus. »Aber ich werde ihn so benutzen, wie ich mir vorstelle, dass er mich benutzen wird.«

»Dich benutzen?«, fragte Hades. »Und was hast du ihm zu bieten?«

Theseus grinste. Es war ein beunruhigendes Grinsen, weil es so ehrlich war.

»Für den Anfang«, sagte er, »habe ich dich.«

Hades starrte ihn einen Moment lang an. »Also tust du was? Mich ihm als Opfer übergeben?«

»Tja, genau das«, sagte Theseus. »Kronos wird Opfergaben brauchen, um seine Macht und Stärke zu nähren. Wer ist da besser als sein Sohn und dazu ein Thronräuber?«

»Dein Vater war ein Thronräuber. Wirst du ihn opfern?«

»Falls die Situation es erfordert«, meinte Theseus.

Die Antwort des Halbgottes überraschte Hades nicht. Seine Offenheit war ein Anzeichen dafür, dass er glaubte, dass Hades dieses Gefängnis nie mehr verlassen würde.

»Was passiert, wenn ihr beide beschließt, dass der andere sterben muss?«, fragte er.

»Ich vermute, dann ist es gut, dass es mir bestimmt ist, die Götter zu stürzen«, antwortete Theseus.

Hades wusste, dass der Halbgott damit auf die Prophezeiung des Ophiotauros anspielte, ein Geschöpf halb Stier, halb Schlange, dessen Tod den Sieg über die Götter mit sich bringen sollte.

Theseus war es gewesen, der das Monster erschlagen hatte, und er ging davon aus, dass das nun bedeutete, dass er die Olympier stürzen würde. Doch die Prophezeiung präzisierte nicht, wie oder wessen Sieg geschehen würde.

Seine Überheblichkeit würde sein Untergang sein, doch Hades hatte nicht vor, darüber zu debattieren. Theseus würde sich den Konsequenzen seines Hochmuts stellen, so wie alle es zwangsläufig tun mussten.

»Du bist nicht einmal unverwundbar. Denkst du wirklich, du kannst gegen die Götter gewinnen?«

Vielleicht hätte er das nicht sagen sollen, aber er wollte Theseus wissen lassen, dass er dessen größte Schwäche kannte – dass er sich nicht heilen konnte wie andere Gottheiten. Dionysos hatte dies entdeckt, als er auf der Insel Thrinakia gestrandet gewesen war. Hades wünschte sich mehr als alles andere, dass er dies selbst testen könne, und eines baldigen Tages würde er das auch tun.

Schatten verfinsterten Theseus’ Züge, und etwas Böses, das Hades noch nie gesehen hatte, lauerte hinter diesen Augen. Der Halbgott ließ den Helm fallen und zog ein Messer. Hades sah die schimmernde Klinge kaum, bevor Theseus sie ihm in die Seite stieß. Einen Augenblick lang fühlten seine Lungen sich an wie blockiert, und er konnte nicht atmen.

Theseus hob den Kopf, um Hades’ Blick zu begegnen, als er zwischen zusammengebissenen Zähnen antwortete.

»Vielleicht kannst du mir sagen, wie das ist«, sagte er und drehte die Klinge, bevor er sie wieder aus Hades’ Leib zog.

Hades knirschte mit den Zähnen gegen den Schmerz, der scharf, beinahe elektrisch war und durch seine Seite strahlte. Er weigerte sich, einen Laut von sich zu geben und den Halbgott wissen zu lassen, welche Schmerzen er hatte.

Theseus hob die Klinge zwischen ihnen in die Höhe, befleckt mit Hades’ Blut. Hades erkannte sie als die Sichel seines Vaters. Auf jeden Fall als einen Teil davon. Die Spitze fehlte, denn die war in Adonis’ Leiche gefunden worden, nachdem dieser vor dem La Rose angegriffen worden war. Er war das erste Opfer in Theseus’ Feldzug gegen die Olympier gewesen, ein Opfer, um Aphrodite zu verletzen. Später hatte Hades entdeckt, dass die Göttin der Liebe von Demeter deshalb als Ziel erwählt worden war, wegen ihres Einflusses auf seine Beziehung zu Persephone. Es war der Preis, den sie für sich eingefordert hatte im Austausch für den Einsatz ihrer Magie und der Relikte.

»Tja, sieh einer an«, sagte Theseus. »Du blutest genau so, wie ich blute.« Er trat einen Schritt zurück, als wolle er seine Arbeit bewundern. »Du würdest gut daran tun, dich daran zu erinnern, dass du unter diesem Netz sterblich bist.«

Dessen war sich Hades nie bewusster gewesen, als er um Atem rang, sein Brustkorb sich schwer hob und senkte. Ihm war kalt, und seine Haut war klamm.

»Du denkst, du kannst uns alle sterblich machen?«

»Ja«, antwortete Theseus. »Ebenso einfach, wie ich unverwundbar werden kann.«

Der Halbgott erklärte nicht, was er damit meinte, aber Hades konnte es sich denken. Es gab nur wenige Möglichkeiten, um in dieser Welt unverwundbar zu werden. Eine war durch Zeus, der als König der Götter Unverwundbarkeit gewähren konnte. Eine andere bestand darin, einen goldenen Apfel aus dem Garten der Hesperiden zu essen, Heras Obstgarten, und da die beiden eine Art Allianz gebildet hatten, nahm Hades an, dass dies der Weg war, den der Halbgott nehmen würde.

Theseus steckte das blutige Messer weg und hob dann den Helm der Unsichtbarkeit wieder auf, bevor er in seine Tasche griff, um etwas Kleines, Silbernes herauszuholen. Hades wurde das Herz schwer, als er es sah.

»Das ist ein schöner Ring«, sagte Theseus. Er hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte ihn so, dass die Steine sogar in dem trüben Licht glitzerten. Hades sah zu, und mit jeder Bewegung des Rings drehte sich ihm der Magen um. »Wer hätte gedacht, dass er dein Untergang sein würde?«

Da irrte Theseus sich.

Dieser Ring war Hades’ Hoffnung, selbst wenn er ihn nicht in Händen halten konnte. Selbst wenn er in der Hand seines Feindes lag.

»Persephone wird kommen«, sagte er mit Überzeugung. Seine Stimme war leise, seine Augenlider schwer.

»Ich weiß«, sagte Theseus und schloss die Finger um den Ring. Er sagte es mit einer schrecklichen Freude, die Hades Übelkeit bereitete, auch wenn das vielleicht der Last des Netzes und seiner Wunde geschuldet war.

»Sie wird dein Verderben sein«, sagte Hades dem Halbgott, und die Wahrheit dieser Worte machte ihm das Herz schwer.

»Du würdest diese Welt für mich niederbrennen? Ich werde sie für dich vernichten«, hatte sie gesagt, direkt bevor sie sein Reich auseinandergerissen hatte, im Namen einer Liebe, die sie verloren geglaubt hatte.

Theseus betrachtete ihrer beider Liebe als Schwäche, doch schon bald würde er herausfinden, wie sehr er sich damit irrte.

KAPITEL DREI

Persephone

»Wo ist mein Ehemann?«, fragte Persephone.

Hermes und Apollo wechselten einen besorgten Blick, aber niemand sagte etwas.

Je länger das Schweigen andauerte, umso verzweifelter wurde sie.

»Hekate?« Persephone sah die dreifache Göttin an, deren besorgte Miene nichts tat, um ihre Sorge zu lindern. Sie trat einen Schritt auf Hekate zu. »Du kannst ihn doch aufspüren«, sagte sie, und Hoffnung stieg in ihr auf. Doch in Hekates Gesicht stand ein seltsamer Ausdruck, seltsam und erschreckend, der auf der Stelle ein heftiges Gefühl von Panik in ihr auslöste.

Hekate schüttelte den Kopf. »Ich habe es versucht, Persephone.«

»Hast du nicht«, widersprach sie. »Wann?«

Sie weigerte sich, das zu glauben, doch sie wusste, dass etwas nicht stimmte. Sie war selbst immer in der Lage gewesen, Hades’ Magie wahrzunehmen, doch dieses Gefühl war verschwunden, und diese Leere ließ sie zittern.

»Persephone«, begann Hermes und trat auf sie zu.

»Fass mich nicht an«, fauchte sie und sah erst ihn und dann die anderen finster an.

Sie wollte ihren Trost nicht. Sie wollte ihr Mitleid nicht.

Denn beides ließ es real werden.

Ihre Augen schwammen vor Tränen.

Sie war so weit gekommen, gewisse Wahrheiten zu erlangen – dass die Dämmerung heraufziehen und die Nacht hereinbrechen würde, dass auf das Leben der Tod folgte und Hoffnung auf Verzweiflung. Sie hatte gelernt zu wissen, dass Hades immer an ihrer Seite sein würde, und seine Abwesenheit jetzt bewirkte, dass die Welt sich falsch anfühlte.

»Ich will meinen Ehemann«, sagte sie, und ein brutaler Aufschrei drang aus ihrer Kehle. Sie drückte sich die Hand auf den Mund, als wolle sie ihn unterdrücken, und dann verschwand sie und teleportierte in ihr Büro im Alexandria Tower, wo sie Hades zurückgelassen hatte, gefesselt in einem Netz ihrer Magie. Der Beweis ihrer Tat war noch dort – der eingedellte Fußboden, die zerbrochenen Weinranken. Sie hatte gewusst, dass er nicht hier sein würde. Sie hatte gewusst, dass ihre Magie nur stark genug war, um ihn für kurze Zeit festzuhalten. Trotzdem hatte sie sich an einen kleinen Funken fehlgeleiteter Hoffnung geklammert.

Sie kniete auf dem zerbrochenen Boden nieder und berührte die dunklen, abgetrennten Ranken. Als sie die Hand ausstreckte, wurde sie an das Gewicht dessen erinnert, das dort fehlte.

Ein Ausbruch von Hermes’ warmer Magie warnte sie davor, dass sie nicht mehr allein war.

»Theseus hat meinen Ring genommen«, sagte Persephone.

»Dann können wir uns denken, was passiert ist«, antwortete Hermes.

Hades konnte den Ring verfolgen, und er hätte ihn genutzt, um sie zu finden. Doch wo war er nun, und konnten sie ihn aufspüren?

»Ich hätte ihn nicht verlassen sollen«, sagte sie.

Sie hätte nach ihm rufen sollen, während sie mit der leidenden Sybille und Harmonia im Hotel gewartet hatte, doch sie hatte zu viel Angst vor den Konsequenzen gehabt. Aber selbst wenn, hätte es eine Rolle gespielt? Sie hatte keine Ahnung, an welchem Punkt Hades in die Irre geführt worden war.

»Du hast getan, was notwendig war«, sagte Hermes.

»Was, wenn es nicht notwendig war?«, entgegnete sie. Doch egal, wie sehr sie darüber nachdachte, sie hatte immer noch das Gefühl, dass sie wirklich keine andere Wahl gehabt hatte. Es waren zu viele Gefahren im Spiel gewesen – göttliche Gerechtigkeit, Sybilles Wohlergehen. Dennoch quälte Persephone die Frage, ob sie Hades einem schrecklichen Schicksal überlassen hatte.

»Es spielt keine Rolle«, sagte Hermes. »Was getan ist, ist getan.«

Sie wusste, dass er recht hatte. Weitermachen war ihre einzige Option.

Sie stand auf und drehte sich dann zu dem Gott um, der zu einem ihrer engsten Freunde geworden war.

»Finde meinen Mann, Hermes. Tu, was immer du tun musst.«

Er musterte sie einen Moment lang, und sein schönes Gesicht war irgendwie sanft und streng zugleich. »Ist dir klar, worum du da bittest, Sephy?«

Sie trat einen Schritt auf ihn zu und hielt seinem goldenen Blick stand.

»Ich will Blut, Hermes. Ich werde ganze Flüsse damit füllen, bis er gefunden ist.«

Theseus würde schon bald erfahren, dass er zu nahe an die Sonne geflogen war.

Hermes grinste. »Ich mag die rachedurstige Sephy«, meinte er. »Sie ist beängstigend.«

Ihr Blick glitt zu dem rötlichen Schimmer gleich jenseits ihrer Tür. Sie verließ ihr Büro und trat in den Wartebereich mit Blick auf New Athens.

Sie sah Licht am Horizont, und Persephone fand, dass es wie ein Feuer aussah. Sie hätte nie gedacht, dass sie die Sonne einmal als Bedrohung wahrnehmen würde, doch heute fühlte sie sich wie das Heraufdämmern einer neuen und schrecklichen Welt an.

Die Ironie dabei war, dass niemand sonst vom Schrecken ihrer Nacht wusste.

Heute würden die Sterblichen erwachen und sehen, dass kein Schnee mehr fiel, dass die Wolken, die den Himmel wochenlang bedeckt hatten, sich geteilt hatten. Die Medien würden sich überbieten mit Artikeln darüber, wie der Zorn der Olympier nun vorbei sei, davon ausgehend, dass der Kampf außerhalb von Theben Demeters Sturm beendet habe.

»Ist es falsch, wütend zu sein, weil sie nicht wissen, welche Schrecken wir letzte Nacht durchgemacht haben?«

»Nein«, antwortete Hermes. »Aber ich denke, das ist es nicht wirklich, was dich im Augenblick wütend macht.«

Sie drehte den Kopf zur Seite, er stand immer noch einen oder zwei Schritte hinter ihr.

»Was weißt du über meinen Zorn?«

»Du magst es nicht, wenn Überzeugungen auf Unwahrheiten beruhen. Du betrachtest das als Ungerechtigkeit«, sagte er.

Da hatte er nicht unrecht.

Das war ein Grund, warum Theseus und seine Organisation Gottloser Halbgötter und Sterblicher sie so wütend machte, und Helena, ihre einst loyale Assistentin, hatte mit ihren Nachrichtenartikeln dabei geholfen, ihr Lügenkonstrukt zu stützen. Was ihre Artikel so glaubwürdig machte, war dabei, dass sie gerade genug Körnchen von Wahrheit enthielten.

»Theseus würde sagen, dass das Macht ist«, meinte sie.

»Es ist Macht«, stimmte Hermes zu. »Aber Macht kann in vielen Dingen liegen.«

Sie schwieg, drückte die Finger an das kühle Fensterglas und fuhr die Umrisse der Skyline von New Athens nach.

»Sie denken, ich hätte gelogen«, sagte sie.

Kurz bevor alles sich zum Schlechteren gewendet hatte – bevor Sybille verschwunden war, vor der Lawine und der darauf folgenden Schlacht, bevor Theseus seine Gunst für ihre Kooperation eingelöst hatte –, hatte Helena beschlossen, das Geheimnis von Persephones Göttlichkeit zu enthüllen, und ihr vorgeworfen, dass sie New Greece getäuscht habe.

Ihr Timing war in vielerlei Hinsicht tadellos gewesen. Sie hatte gewusst, dass die Welt Persephone inzwischen bewunderte und zugleich kritisierte, sowohl dafür, dass sie kontroverse Artikel über die Götter schrieb, als auch dafür, dass sie die Aufmerksamkeit des berüchtigten, zurückgezogenen Gottes der Toten gewonnen hatte.

In mancherlei Hinsicht hatte sie die Zuneigung einer sterblichen Öffentlichkeit gewonnen, die sich selbst in ihr sehen konnte.

Und diese Menschen fühlten sich nun wahrscheinlich betrogen.

»Dann erzähle die Wahrheit«, sagte Hermes.

Sie hob den Blick und musterte den Gott der Diebe im Spiegelbild des Fensters.

»Wird das reichen?«

»Es wird reichen müssen«, meinte er. »Es ist alles, was du geben kannst.«

Es fühlte sich so dumm an, sich darum zu sorgen, was die Menschen dachten, nach allem, was in den letzten vierundzwanzig Stunden geschehen war, doch für die Sterblichen war die Welt noch so, wie sie sie kannten. Sie würden Antworten auf die Anschuldigungen verlangen, die Helena erhoben hatte, ohne von Persephones Qual zu wissen, von Hades’ Abwesenheit, von Theseus’ Terrorismus.

Sie schwieg einen Moment lang und drehte sich dann zu Hermes um.

»Rufe Ilias«, bat sie. »Wir haben Arbeit vor uns.«

Doch bevor sie begannen, musste sie Sybille und Harmonia sehen.

Persephone kehrte in die Unterwelt zurück und fand ihre Freundinnen in der Königinnensuite vor. Harmonia schlief in ihrem Bett, während Sybille neben ihr lag, hellwach, und sie betrachtete, als fürchte sie, ihre Liebste würde vielleicht zu atmen aufhören, wenn sie nicht wachsam blieb.

Persephone kannte diesen Schrecken.

Als sie eintrat, blickte Sybille auf und flüsterte ihren Namen, bevor sie aufstand und zu ihr eilte. Das Orakel brach in Tränen aus und schlang die Arme um Persephones Hals.

»Es tut mir so leid, Sybille«, sagte Persephone leise, denn sie wollte Harmonia nicht wecken, die sich nicht rührte.

Sybille löste sich ein klein wenig von ihr und begegnete ihrem Blick. Ihre Augen waren gerötet, und Tränen liefen ihr übers Gesicht.

»Es war nicht deine Schuld«, brachte sie mit einem bebenden Atemzug heraus.

Doch Persephone fühlte sich verantwortlich. Es war schwer, anders zu empfinden angesichts der Tatsache, dass Theseus Sybille wegen ihrer Freundschaft zu Persephone ins Visier genommen hatte.

Persephone holte tief Luft. »Was ist passiert?«

Sybille schluckte, und ihr Blick fiel wieder auf Harmonia. Nach außen hin wirkte sie größtenteils geheilt. Es war deutlich, dass entweder Sybille oder Hekate ihr Bestes getan hatten, um ihr Gesicht von Schmutz und getrocknetem Blut zu säubern, auch wenn ihr helles Haar noch immer damit verschmutzt war.

»Sie kamen lautlos in der Nacht. Ich denke, sie rechneten nicht damit, dass eine von uns aufwacht, sobald sie erscheinen, doch wir sind aufgewacht. Ich hatte von Tod geträumt, und Harmonia fühlte ihre Magie.«

»Also waren es Halbgötter?«

»Nur zwei«, sagte Sybille. »Sie müssen den Rest ihrer Männer in die Wohnung gelassen haben, nachdem sie sich hineinteleportiert hatten.«

»Wie viele insgesamt?«, fragte Persephone.

Sybille schüttelte den Kopf, zuckte mit einer Schulter. »Ich bin nicht sicher. Fünf oder sechs.«

Fünf oder sechs Männer, nur um Sybille zu ergreifen. Persephone hatte von Theseus erfahren, dass sie Harmonias Anwesenheit in der Wohnung nicht vorausgeahnt hatten, und der Widerstand der Göttin war der Grund dafür, dass sie so schwer verletzt worden war.

»Sie kamen, um zu verletzen, Persephone«, sagte Sybille. »Nicht nur mich, sondern auch dich.«

Das war Persephone klar, und es bereitete ihr Übelkeit. Es war schwer, sich vorzustellen, wie ihre Freundinnen in den Händen eines gestörten Halbgottes gelitten hatten, während sie zum Altar, zur Liebe ihres Lebens, gegangen war.

»Habt ihr Helena gesehen?«, fragte sie.

Sie fragte, weil sie wissen wollte, wie sehr ihre frühere Freundin inzwischen in Theseus’ Pläne verwickelt war. Welche Pläne half sie ihm auszuführen, und empfand sie irgendetwas dabei, wenn sie sie leiden sah?

In mancher Hinsicht gab Persephone sich selbst die Schuld. Sie war diejenige gewesen, die Helena ermutigt hatte, der Triade näher zu kommen, nachdem Helena Interesse daran gezeigt hatte, über die Organisation zu schreiben. Doch nun war offensichtlich, was für ein Mensch sie war. Sie empfand keinerlei Loyalität für irgendetwas außer sich selbst.

»Nein«, flüsterte Sybille.

Persephone biss die Zähne zusammen. Sie hatte bisher nur wenige Male in ihrem Leben das Bedürfnis nach Rache verspürt, und dieser Moment war einer davon. So wie sie genau jetzt empfand – mit der Wut, die in ihr schwelte –, konnte sie nicht sagen, was sie tun würde, wenn sie Helena wiedersah. Persephone hatte bereits eine Grenze überschritten. Sie hatte ihre Mutter getötet, auch wenn es nicht beabsichtigt geschah.

Wenn sie die Chance bekäme – würde sie auch Helena töten?

»Sie heilt nicht«, sagte Sybille nach einem Herzschlag der Stille.

Persephone drehte ruckartig den Kopf zu ihr. »Wie meinst du das?«

»Hekate sagte, dass das, womit Harmonia niedergestochen wurde, verhindert, dass sie heilt. Als ich sie fragte, warum, sagte sie, sie wisse es nicht.«

Persephone drehte sich der Magen um.

Hekate wusste sonst immer Bescheid.

»Was ist mit dir?«, fragte Persephone, und ihr Blick fiel auf Sybilles Hand, die noch fest bandagiert war, da Theseus ihr zwei Finger abgeschnitten hatte. Der Halbgott hatte sie ohne Zögern verstümmelt, was verdeutlichte, wie gefährlich er war.

»Ich werde heilen«, sagte Sybille und zögerte kurz. »Hekate meinte, sie könne meine Finger erneuern, aber ich habe Nein gesagt.«

Persephones Augen wurden feucht, und sie schluckte in dem Versuch, den dicken Kloß in ihrer Kehle loszuwerden.

»Es tut mir so leid, Sybille.«

»Du musst dich für nichts entschuldigen, Persephone«, sagte Sybille. »Man kann nicht wissen, welches Böse auf der Welt existiert, bis es einen findet.«

Persephone erinnerte sich an eine Zeit, als sie dachte, sie kenne das Böse; als ihre Mutter sie davon überzeugt hatte, dass Hades’ Finsternis von unten in die Welt einsickerte, Einfluss nehmend auf jeden Schrecken, jede Seuche, jede Sünde.

Doch das Böse hatte keine Wirkung ohne einen Meister, und in den letzten Stunden hatte sie das wahre Böse kennengelernt. Es sah nicht aus wie ihr Ehemann oder gar wie ihre Mutter. Es war nicht die Finsternis, und es war nicht der Tod.

Es war das Vergnügen, das Theseus aus seiner Grausamkeit zog, und sie hasste es, wie weit diese Grausamkeit in ihr Leben gedrungen war und schon bald in die Welt dringen würde.

»Wir finden einen Weg, um Harmonia zu heilen, Sybille. Das verspreche ich«, sagte sie.

Sybille lächelte. »Ich weiß.«

Und obwohl sie es gesagt und versprochen hatte, wünschte Persephone, sie würde dieselbe Gewissheit empfinden.

Sie ließ die beiden allein, damit sie ausruhen konnten, doch sie war immer noch besorgt. Es war wahrscheinlich, dass Harmonia mit einer Klinge niedergestochen worden war, die mit dem Gift der Hydra benetzt war. Hades hatte erklärt, dass dies die Heilung verlangsame und zu viele Wunden solcher Art eine Gottheit töten konnten – so wie es mit Tyche geschehen war.

Vielleicht brauchte Harmonia nur mehr Zeit, um sich zu erholen, bevor sie sich heilte.

Oder vielleicht war das Wunschdenken.

Grauen machte sich in Persephones Brust breit, als sie zu Hades’ Büro ging. Ein Teil von ihr hoffte, sie würde ihn dort wartend vorfinden, an seinem Schreibtisch sitzend oder am Feuer stehend, doch als sie die Tür öffnete, sah sie dort ihre Freunde: Hermes und Ilias, Charon und Thanatos und dazu Apollo und Hekate.

Sosehr sie sie alle liebte, sie waren nicht Hades.

»Erzählt mir von denen, die entkommen sind«, bat sie, und das Grauen in ihrem Herzen wurde noch dichter.

Darauf folgte ein Moment schwerer Stille.

»Es waren nur wenige, meine Lady«, antwortete Thanatos. »Doch unter ihnen ist Kronos.«

Kronos war der Gott der Zeit, und er hatte konkret Einfluss auf deren zerstörerische Natur. Persephone wusste nicht, was das für die Welt oben bedeuten konnte, doch darum würde sie sich später sorgen. Im Augenblick mussten sie Pläne in Bezug auf gegenwärtigere Bedrohungen machen.

»Und die anderen?«, fragte sie.

Sie registrierte, dass Thanatos zögerte, bevor er antwortete. »Die anderen sind mein Bruder und Prometheus.«

Persephone runzelte die Stirn, als sie das hörte, doch sie konnte nicht sagen, dass es sie überraschte, dass Hypnos die Gelegenheit genutzt hatte, um der Unterwelt zu entfliehen. Sie war dem Gott des Schlafes erst kürzlich begegnet, und er hatte deutlich gemacht, dass er nicht aus freien Stücken in der Unterwelt lebte. Hera hatte ihn in deren Dunkelheit verbannt, denn sie gab ihm die Schuld an ihren gescheiterten Versuchen, Zeus zu stürzen.

»Alle anderen, die aus dem Tartaros entflohen waren, wurden gefasst«, fuhr Charon fort. »Viele von ihnen sind nicht weiter als bis zum Styx gekommen.«

Auch das überraschte Persephone nicht. Der Fluss konnte nicht überquert werden, es sei denn mit einem Boot. Das hatte sie selbst auf die harte Tour herausgefunden, als sie bei ihrem ersten Ausflug in die Unterwelt versucht hatte, ihn zu durchschwimmen. Die Toten, die im Styx lebten, hatten sie in seine finsteren Tiefen hinabgezogen. Wäre Hermes nicht gewesen, wäre sie ertrunken.

Persephone sah Hekate an, die die Titanen am besten kannte.

»Was müssen wir über Kronos und Prometheus wissen?«

»Kronos ist ein rachsüchtiger Gott, aber er wird nicht schnell agieren«, erklärte Hekate. »Er braucht Anhänger, um erfolgreich zu sein, und das weiß er. Prometheus ist größtenteils harmlos. Unsere wahre Sorge sollte sein, wie die Olympier reagieren, wenn sie von ihrer Flucht erfahren.«

Persephone ahnte, dass die Reaktion nicht gut sein würde. Während einige an ihrer und Hades’ Seite gekämpft hatten, hatte die Hälfte der Olympier sich gegen sie gestellt, auch wenn Persephone nicht glaubte, dass sie alle dieselben Gründe hatten. Manche, wie Ares, suchten lediglich den Kampf, um ihren Blutdurst zu stillen.

Zeus andererseits hatte die Prophezeiung seines Orakels aufhalten wollen. Denn Pyrrha hatte vorhergesagt, dass Persephones Vereinigung mit Hades einen Gott hervorbringen würde, mächtiger als Zeus selbst. Obwohl der Gott des Himmels ähnliche Prophezeiungen vereitelt hatte, fragte sie sich, ob er dieses Mal falschlag. Vielleicht war es Kronos, dessen Zorn ein Produkt seiner Einkerkerung im Tartaros war, dem es nun bestimmt war, bei seiner Rückkehr in die Welt mächtiger als Zeus zu werden.

»Wie viel Zeit haben wir?«, fragte sie.

»Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass Theseus versuchen wird, Hades zu benutzen, um Kronos aus seinem Versteck zu locken«, sagte Hekate. »Je eher wir ihn finden, umso besser.«

Kummer erfüllte Persephones Herz. Sie wollte sich nicht vorstellen, was das für Hades bedeutete.

»Theseus hat meinen Ring«, sagte sie. »Kannst du ihn aufspüren?«

»Ich werde es versuchen«, antwortete Hekate.

Tu mehr, als es nur zu versuchen, wollte Persephone sagen, doch ihr war klar, dass Hekate nur vorsichtig war. Die Göttin wollte nicht zu viel versprechen angesichts der Tatsache, dass sie Hades’ Magie nicht mehr wahrnehmen konnte.

Persephone sah die anderen an.

»In der Zwischenzeit will ich Theseus’ Männer«, erklärte sie. »Ich werde mich so lange durch sie hindurchfoltern, bis einer von ihnen uns sagt, wo Hades ist.«

»Wir sind dran, Seph«, sagte Apollo.

»Wir bringen ihn nach Hause, meine Lady«, beteuerte Ilias.

Sie schluckte schwer, und ihre Augen wurden feucht.

»Versprecht es mir«, bat sie mit zitternder Stimme.

»Hades ist mein König, und Ihr seid meine Königin«, sagte Ilias. »Ich werde bis ans Ende der Welt gehen, um ihn zu Euch nach Hause zu bringen … zu uns allen.«

»Nur eine Frage«, meinte Hermes und zog mit finsterer Miene sein Schwert. »Willst du sie tot oder lebendig?«

»Lass sie ihr Schicksal wählen«, antwortete sie. »So oder so kommen sie zu mir.«

Die Worte liefen ihr kalt über den Rücken. Sie waren denen ähnlich, die Hades zu ihr gesagt hatte an dem Abend, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren.

Liebling, ich gewinne so oder so.

Sie erschauderte.

Hermes grinste. »Du hast es erfasst, meine Königin.«

Dann gingen alle, bis auf Hekate, die zu ihr kam und ihre Hände ergriff. »Willst du dich ausruhen, meine Liebe?«

Persephone war sich nicht sicher, ob sie das konnte. Sie wollte nicht einmal das gemeinsame Gemach sehen und sich einer Nacht ohne Hades stellen.

»Ich denke … ich sollte meine Mutter besuchen«, sagte sie.

»Bist du dir sicher?«

Es schien die bessere Alternative zu sein. Wenn sie allein war, würden ihre Gedanken sich endlos im Kreis drehen und sie an alles erinnern, worin sie gescheitert war und was sie hätte anders machen sollen – nicht nur um Hades zu retten, sondern auch ihre Mutter.

Sie hatte Demeter getötet.

Sie konnte sich nicht einmal erinnern, wie genau es geschehen war. Sie erinnerte sich nur daran, was sie gefühlt hatte – Wut und Verzweiflung, weil sie den Angriff ihrer Mutter auf die Welt beenden wollte.

Aber keins dieser Gefühle war eine Entschuldigung für Mord.

Es wirkte nicht einmal real, und sie wusste nicht, wie sie mit einer solchen Bürde leben sollte. Vielleicht würde es helfen, ihre Mutter in der Unterwelt zu sehen.

»Ich werde sie besuchen.«

Hekate nickte ernst, und Persephone hatte das Gefühl, sie widersprach nicht, weil sie Persephones Gedanken kannte.

Sie ließ sich von Hekate teleportieren.

Persephone hatte nicht darüber nachgedacht, wo genau ihre Mutter in der Unterwelt sein würde. Als Tyche gestorben war, hatte Hades ihr erklärt, dass Gottheiten ohne Macht zu ihm kamen und dass er ihnen häufig eine Rolle in seinem Reich gab, die auf dem basierte, was sie im Leben beschäftigt hatte.

Tyche zum Beispiel hatte immer Mutter sein wollen, also war sie zu einer Betreuerin im Garten der Kinder geworden. Demeter hatte ebenfalls Mutter sein wollen, doch ihr eine Rolle neben Tyche zu gewähren schien zu sehr eine Belohnung für alles zu sein, was sie getan hatte. Dennoch war Persephone sich nicht sicher, ob sie wollte, dass Demeter sich einer Strafe im Tartaros gegenübersah, doch das hatte vielleicht mehr mit ihren Schuldgefühlen zu tun, weil sie für Demeters Tod verantwortlich war.

Sie entschied, dass sie sich darauf vorbereiten würde, doch als sie erschienen, standen sie im goldenen Gras der elysischen Felder. Persephone sah Hekate an und blickte dann über das riesige, offene Land mit üppigen vereinzelten Bäumen. Der Himmel hier war leuchtend blau. Die Seelen, die auf dem Flachland verteilt waren, trugen weiße Gewänder und wandelten nahezu ziellos umher, ohne Erinnerungen an das Leben, das sie in der Oberwelt geführt hatten.

»Das ist notwendig«, hatte Thanatos erklärt, »um die Seele zu heilen.«

Persephone hatte erfahren, was das bedeutete, als Lexa in die Unterwelt gekommen war. Sie hatte noch das Glück gehabt, sie zu sehen, als sie gerade den Styx überquert hatte, und sie hielt die wenigen Minuten in Ehren, die sie mit ihrer besten Freundin noch teilen konnte, bevor diese aus dem Lethe trank und jemand anders wurde.

»Hekate«, flüsterte sie, ihre Kehle zugeschnürt mit einem Gefühl, das sie nicht vorausgeahnt hatte. »Warum sind wir in Elysium?«

Sie fragte, und doch wusste sie es.

»Es gibt Traumata, mit denen eine Seele nicht leben kann«, sagte Hekate. »Selbst im Tod, selbst als Gottheit.«

Tränen liefen Persephone übers Gesicht. Sie konnte sie nicht aufhalten, und sie konnte nicht einmal bestimmen, was sie bedeuteten.

»Womit konnte sie nicht leben?«, fragte Persephone, den Geschmack von Salz auf ihren Lippen.

Die Version ihrer Mutter, die sie im Museum des antiken Griechenland konfrontiert hatte, hatte keine Reue gefühlt für den Schmerz, den sie verursacht hatte. Ihr war gleich gewesen, dass ihr Sturm hunderte getötet hatte, dass ihre Magie verantwortlich für Tyches Tod gewesen war.

»IchwerdedieseWeltumdichherumzerreißen«, hatte sie gesagt.

Hekate antwortete nicht, doch das war auch nicht nötig. Was immer eine von ihnen über das Leben, das Demeter geführt hatte, zu sagen hätte, war irrelevant. Tatsache war, dass die Richter erkannt hatten, dass ihre Seele unter der Schuld ihrer Entscheidungen verwelkt war.

Persephone wusste nicht recht, warum, doch das zu wissen, tat ihr noch mehr weh. Es zeigte, wie sehr Demeter sich verirrt hatte.

War ihre Vergewaltigung durch Poseidon der Beginn dieser unheilvollen Spirale gewesen? Ein Teil von Persephone wollte es wissen, wollte Rache für die Mutter, die sie verloren hatte und zu der Demeter geworden war.

»Es wird dir nicht guttun, Antworten darauf zu suchen, was deine Mutter erlebt hat«, meinte Hekate.

»Woher willst du das wissen?«, fragte Persephone. Sie hinterfragte die Göttin der Magie nur selten, doch in diesem Moment tat sie es.

»Weil du bereits alles weißt, was du zu wissen brauchst«, antwortete Hekate. »So wie ihre Seele mit der Zeit heilt, wird auch die deine heilen. Vielleicht wirst du es dann verstehen oder zumindest akzeptieren können.«

»Wo ist sie?«, fragte Persephone und blickte über die goldene Ebene.

Erneut sagte Hekate nichts, und wieder war es nicht nötig, denn Persephone hatte ihre Mutter gefunden. Sie erkannte ihr langes, glattes Haar inmitten der Farbe des goldenen Grases. Sie sah so zart und klein aus, nachdem sie die Herrschaft über ihre Präsenz verloren hatte.

Persephone verließ Hekate und ging zu ihr. Sie blieb auf Abstand und machte einen weiten Bogen um sie, bis sie ihr Gesicht sehen konnte. Es war das erste Mal, dass sie Demeter ohne dieses kritische Funkeln in den Augen sah, ohne die Schroffheit, die ihre Züge zu einer strengen Maske der Geringschätzung geformt hatte.

Demeters Blick glitt zu Persephone, und ihre weichen Lippen formten sich zu einem sanften Lächeln. Doch trotz des Anzeichens von Wärme erreichte nichts davon ihre Augen – Augen, die sich einst von Braun zu Grün zu Golden gewandelt hatten, wenn sie verschiedene Stufen von Zorn durchlebte. Nun waren sie von einem schlichten hellen Gelb, der Farbe von Weizen, und in ihnen sah Persephone kein Wiedererkennen.

»Hallo«, sagte Demeter leise.

Persephone versuchte, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken, bevor sie antwortete, doch ihre Stimme klang trotzdem heiser.

»Hi«, sagte sie.

»Bist du die Herrin dieses Reichs?«, fragte Demeter.

»Die bin ich«, antwortete Persephone. »Woher wusstest du das?«

Eine Stirnfalte erschien zwischen Demeters Augenbrauen. »Ich weiß nicht«, sagte sie, bevor ihr Blick abschweifte – über die Felder hinweg. Als sie wieder sprach, lag ein Unterton von Staunen in ihrer Stimme. »Es ist friedvoll hier.«

Vielleicht war es egoistisch, doch Persephone wünschte, sie würde dasselbe empfinden.

Abrupt verließ sie Elysium und fand sich im trüben Licht ihres und Hades’ Schlafzimmers wieder. Im Kamin loderte kein Feuer, um die Luft zu wärmen oder die Dunkelheit zu vertreiben, und in diesem kalten Raum, in dem es kein nennenswertes Leben gab, sank sie zu Boden und weinte.

KAPITEL VIER

Hades

Hades erwachte von einem scharfen Brennen in seiner Seite. Er brüllte auf vor Schmerz und riss die Augen auf. Theseus stand bei ihm und zog gerade zwei Finger aus der Wunde, die er ihm mit Kronos’ Sichel zugefügt hatte.

»Gut«, meinte Theseus. »Du bist wach.«

Hades knirschte mit den Zähnen und sah den Halbgott finster an, während ihm Tränen in die Augen traten. Er wollte etwas sagen, Theseus verfluchen, doch ihm blieben die Worte im Hals stecken, der zugeschnürt war vor Schmerz.