Abgabenordnung - Karsten Webel - E-Book

Abgabenordnung E-Book

Karsten Webel

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Beschreibung

Das Einsteigerbuch rund um die Abgabenordnung. Ohne Kenntnisse der Abgabenordnung können in der Praxis Einzelsteuergesetze nicht erfolgreich angewendet werden. Als „Grundgesetz des Steuerrechts“ ist die Abgabenordnung unverzichtbares Rüstzeug für alle, die sich mit Steuern beschäftigen. Leicht verständlich und mit zahlreichen Beispielen und Schaubildern bietet dieses Lehrbuch einen schnellen und fundierten Einstieg in die Grundlagen der Abgabenordnung. Ob Steuerrechtsverhältnisse, Steuerfristen oder Steuerfestsetzungen – selbst Einsteiger ohne Vorkenntnisse schaffen sich mit diesem Buch ein solides Fundament für ihre weitere Ausbildung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Aus dem Inhalt: Systematische, leicht verständliche Darstellung der Grundlagen zum KSt-Recht zu: Grundlagen. Steuerrechtsverhältnis. Fristen, Termine, Wiedereinsetzung. Verwaltungsakt. Steuerliches Ermittlungsverfahren und Steuerfestsetzung. Steuergeheimnis.

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NWB Verlag GmbH & Co. KG, Herne

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Buch und alle in ihm enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahmen der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages unzulässig.

ISBN: 978-3-482-75871-3

Vorwort

Das Abgabenrecht ist ein grundlegendes und umfassendes Gebiet ohne dessen Kenntnis in der Praxis auch die Einzelsteuergesetze nicht erfolgreich anzuwenden sind. Folglich handelt es sich bei der als „Grundgesetz des Steuerrechts“ bezeichneten AO um das unverzichtbare Rüstzeug all derer, die mit Steuern zu tun haben.

Der vorliegende Band verfolgt das Ziel, die Grundzüge der Abgabenordnung kurz, aber trotzdem nachvollziehbar darzustellen. Diesem Ansatz folgend war eine Konzentration erforderlich, der verschiedene Themen (z. B. die Außenprüfung) geopfert wurden.

Auch auf filigrane Streitstände wurde zugunsten der Darstellung der allgemeinen Grundlagen und Zusammenhänge verzichtet. Da die behandelten Themen leicht verständlich dargestellt werden sollten, spiegelt der Umfang der einzelnen Themen nicht immer ihre tatsächliche Bedeutung wider. So sind der große Umfang der Erläuterungen zu § 174 AO und zum Steuerstrafrecht lediglich einer nachvollziehbaren und schlüssigen Darstellung geschuldet.

Rechtsstand ist der 1. 1. 2014

Kuddewörde, im August 2014Dr. Karsten Webel

Kapitel 1: Grundlagen

1.1 Sinn und Zweck der AO

Die AO regelt unter anderem, wie das steuerliche Ermittlungsverfahren durchzuführen ist, wie die Steuerfestsetzung zu erfolgen hat, wie die Steuer dann zu erheben ist und welche Rechtsbehelfe der Steuerpflichtige gegen Maßnahmen der Finanzbehörde hat. Diese Regelungen gelten unter anderem für die ESt, die USt und die KSt, so dass es unsinnig wäre, in jedes Steuergesetz diese Regeln erneut aufzunehmen oder kompliziert von einem Gesetz auf das andere zu verweisen. Vielmehr hat der Gesetzgeber diese allgemeinen Bestimmungen, die für alle oder mehrere Einzelsteuergesetze gelten, in einem besonderen Gesetz geregelt und dadurch die Einzelsteuergesetze entlastet. Ferner wird durch die AO eine einheitliche Behandlung auch bei verschiedenen Steuerarten sichergestellt, da die verschiedenen Steuergesetze nur in Einzelfällen abweichende oder ergänzende Regelungen enthalten, die dann allerdings rechtlichen Vorrang haben.

Daraus folgt, dass die Einzelsteuergesetze (EStG, UStG usw.) nicht alleine anwendbar sind, sondern zu ihrer Umsetzung immer der AO bedürfen, die sich wie ein Mantel um alle Einzelsteuergesetze legt bzw. den Boden bildet, auf dem die Einzelsteuern dann wachsen können. Infolge dieser grundlegenden Bedeutung für die gesamte Besteuerung wird die AO auch als „allgemeines Steuergesetz“ oder „Steuergrundgesetz“ bezeichnet.

Beispiel Will man wissen, wie die Einkommensteuer in einem bestimmten Fall festgesetzt wird, so gibt zwar das EStG Auskunft über die Höhe der Steuer, aber viele anderen Gesichtspunkte – z. B.: Welches Finanzamt ist zuständig? Welche Fristen sind zu berücksichtigen? Unter welchen Voraussetzungen kann man den ESt-Bescheid ändern? – ergeben sich aus der AO.

Damit eine Steuer gerecht ist, ist es nicht allein ausreichend, dass die Steuerhöhe korrekt ist, sondern auch das Verfahren, in dem die Festsetzung erfolgt, muss fair, transparent und gerecht sein. Die Finanzverwaltung darf somit nicht willkürlich entscheiden, ob, wann und wie sie vom Bürger Steuern erhebt, sondern unterliegt insoweit den Regeln der AO.

Weitere Gesetze, die für mehrere Steuerarten gelten (sog. Rahmengesetze), sind u. a. das Bewertungsgesetz, das Steuerberatungsgesetz, das Finanzverwaltungsgesetz, die Finanzgerichtsordnung und das Verwaltungszustellungsgesetz.

1.2 Eine kurze Geschichte der AO

Die Vorgängerin der Abgabenordnung war die im Dezember 1919 in Kraft getretene Reichsabgabenordnung (RAO). Sie ging auf einen Entwurf zurück, den der Jurist Enno Becker innerhalb von nur 9 Monaten erarbeitete.

Mit der Reform der in den Folgejahren durch Umgestaltungen und Nebengesetze unübersichtlich gewordenen RAO wurde 1963 begonnen. Sie führte nach 12 Jahren im November 1975 zum Beschluss der AO, die zum 1. 1. 1977 in Kraft trat. Das im Hinblick auf dieses Datum als AO 1977 bezeichnete Gesetz stellt eine Mischung aus den fortentwickelten Vorschriften der RAO und des für das allgemeine Verwaltungsverfahren geltenden Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) dar.

In den neuen Bundesländern galt die RAO in einer abgewandelten Form noch bis zum Beitritt im Jahre 1990 fort.

Seit dem Jahre 1987 gibt es auch einen vom Bundesminister der Finanzen erlassenen Anwendungserlass zur AO (AEAO), der in ständig aktualisierter Fassung zahlreiche Auslegungs- und Anwendungsregeln für die AO enthält und eine für die Finanzämter bindende Verwaltungsrichtlinie darstellt. Für einige Bereiche der AO gelten besondere Anwendungserlasse, so für das Vollstreckungs- und das Strafverfahren.

1.3 Aufbau der AO

Die AO ist gegliedert in neun Teile.

Die Teile eins bis drei (§§ 1-133 AO) enthalten einleitende Vorschriften, Begriffsbestimmungen, Definitionen und allgemeine Regelungen. Es handelt sich somit um grundlegende Bestimmungen, die für alle folgenden Teile (und die Einzelsteuergesetze) gelten, und die damit den gleichen Zweck erfüllen wie z. B. der Allgemeine Teil im BGB oder im StGB.
Besondere Bedeutung kommt den §§ 78-133 AO zu, die die steuerlichen Verfahrensgrundsätze und die allgemeinen Regelungen über Verwaltungsakte enthalten. Letztere sind zwar dem VwVfG nachgebildet, enthalten aber bedeutsame Besonderheiten.
Die Teile vier bis sechs bilden den üblichen Gang eines Besteuerungsverfahrens ab: Ermittlungsverfahren – Festsetzungsverfahren – Erhebungsverfahren – Vollstreckungsverfahren.
Nach der Ermittlung eines steuerlich relevanten Sachverhalts (§§ 134-154 AO) wird die Steuer festgesetzt (§§ 155-192 AO). Diese festgesetzte Steuer wird in der Folge erhoben (§§ 218-248 AO) und ggf. im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben (§§ 249-327 AO).
Teil sieben regelt in den §§ 347-367 AO das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren. Es eröffnet im Wege des Einspruchs die Möglichkeit, die im Rahmen des in den vorhergehenden Teilen der AO geregelten Besteuerungsverfahrens erlassenen Verwaltungsakte außergerichtlich anzugreifen und überprüfen zu lassen.
Das gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ist nicht in der AO, sondern in der FGO geregelt.
Teil acht enthält Regelungen, die diejenigen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten erfassen, die im Zusammenhang mit Steuern im Besteuerungs- oder im Rechtsbehelfsverfahren auftreten können (§§ 369-412 AO).
Teil neun enthält lediglich Schlussvorschriften bzgl. der Einschränkung von Grundrechten und des Inkrafttretens.

1.4 Systematische Stellung der AO

Es wird unterschieden zwischen öffentlichem und Zivilrecht. Das öffentliche Recht regelt die Beziehungen zwischen dem Bürger und einer hoheitlich handelnden Behörde. Es ist geprägt vom Prinzip der Über- und Unterordnung – der Staat kann dem Bürger seinen Willen aufzwingen. Im Gegensatz dazu steht das Zivilrecht, in dem sich die Parteien gleichberechtigt gegenüber stehen.

Beispiel Der Autohändler A erhält einen Steuerbescheid. Dabei handelt es sich um eine einseitige Festsetzung, bei der der Bürger nicht mitreden kann und die ggf. auch mit Zwang durchgesetzt werden kann. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen gehören somit zum öffentlichen Recht.
Kauft die Finanzbehörde hingegen bei A einen Dienstwagen für die Steuerfahndung, so tritt sie dem A wie eine Privatperson gegenüber. Sie kann dem A nichts befehlen und sich den Wa­gen nicht einfach nehmen. Sie muss vielmehr mit A auf der Ebene der Gleichordnung bzgl. des Inhaltes des Kaufvertrages und dessen Abschluss verhandeln, so dass es sich insoweit um zivilrechtliche Beziehungen handelt.

Die Abgabenordnung gehört zum Steuerrecht, das seinerseits ein spezieller Teil des Verwaltungsrechts ist. Das Verwaltungsrecht wiederum ist ein Teil des öffentlichen Rechts, da es jeweils um ein Handeln des Staates im Verhältnis von Über- und Unterordnung geht.

1.5 Anwendungsbereich der AO und der Begriff der Steuer

Die AO ist gem. § 1 AO immer anwendbar, wenn Steuern bundesrechtlich geregelt sind und sie von einem Finanzamt verwaltet werden, da es sich beim Finanzamt um eine Landesfinanzbehörde handelt, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 FVG.

Soweit es sich um Realsteuern (= GewSt und GrdESt; vgl. § 3 Abs. 2 AO) handelt, teilen sich in den Flächenstaaten Finanzamt und Gemeinde die Verwaltung. Gem. § 1 Abs. 2 AO haben auch die Gemeindebehörden die wesentlichen Bestimmungen der AO anzuwenden (Ausnahme z. B.: Rechtsbehelfsverfahren).

In § 3 AO ist der Begriff der Steuer definiert. Danach handelt es sich bei einer Forderung um eine Steuer i. S. des § 3 Abs. 1 AO, auf die die AO direkt anwendbar ist, wenn fünf Tatbestandsmerkmale erfüllt sind:

Es muss sich um eine Geldleistung handeln, so dass Natural- und Dienstleistungen (z. B. Wehrdienst) davon nicht erfasst werden. Diese Geldleistung kann einmalig (Bsp.: ErbSt, GrdESt) oder fortlaufend (Bsp.: ESt, USt) anfallen.
Sie muss von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen auferlegt werden, d. h. von den Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) und bestimmten Religionsgemeinschaften, die vom Staat als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannt sind.
Die Auferlegung muss durch einseitigen hoheitlichen Akt erfolgen, also im Verhältnis der Über- und Unterordnung und ohne den Willen des Betroffenen. Freiwillige Leistungen wie Spenden fallen nicht darunter.
Es darf sich nicht um eine Gegenleistung für eine besondere Leistung handeln. Der Betroffene erhält nur die „allgemeinen“ staatlichen Leistungen (Straßenbau, Schulen, Sozialleistungen usw.), die von der konkreten Steuerzahlung unabhängig sind.Keine Steuern sind folglich Gebühren und Beiträge. Gebühren werden für die tatsächliche Inanspruchnahme von öffentlichen Leistungen oder Einrichtungen der öffentlichen Hand erhoben (Gerichtsgebühr, Gebühren für einen neuen Ausweis, Vollstreckungsgebühren). Der Unterschied zu Beiträgen liegt darin, dass diese unabhängig von der tatsächlichen Nutzung für die Bereitstellung besonderer Einrichtungen gefordert werden können (z. B. Kurtaxe, Beiträge an die Sozialversicherung). Beiträge werden von den Finanzämtern nicht erhoben.
Die Erhebung der Geldleistungen muss zumindest als Nebenzweck der Erzielung von Einnahmen dienen, so dass Bußgelder und Geldstrafen davon nicht erfasst werden.

Eine Steuer ist somit eine Geldleistung, die von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen hoheitlich auferlegt wird, keine Gegenleistung für eine besondere Leistung dar­stellt und dem Zweck der Einnahmeerzielung dient. Zölle sind gem. § 3 Abs. 3 AO per Definition Steuern.

Steuerliche Nebenleistungen sind im Gegensatz dazu in § 3 Abs. 4 AO abschließend aufgezählt. Es handelt sich insbesondere um Verzögerungsgelder (§ 146 Abs. 2b AO), Verspätungszuschläge (§ 152 AO), Zinsen (§§ 233 ff. AO), Säumniszuschläge (§ 240 AO), Zwangsgelder (§ 329 AO) und Kosten (§§ 178, 337-345 AO). Sie werden im Zusammenhang mit dem Besteuerungsverfahren erhoben, stellen keine Steuern dar, aber gem. § 1 Abs. 3 AO ist auf sie weitgehend die AO anwendbar.

Die verschiedenen Steuerarten können nach zahlreichen Gesichtspunkten eingeteilt werden. So orientiert sich die Unterscheidung nach der Ertragshoheit daran, wem gem. Art. 106, 140 GG die jeweilige Steuer zusteht (Bund, Land, beiden gemeinsam, Gemeinde oder Kirche).

Häufig wird auch eine Einteilung nach der Verwaltungshoheit (Art. 108 GG) vorgenommen, die beim Bund oder bei den Ländern liegen kann. Aus der Sicht des Steuerpflichtigen ist zu unterscheiden zwischen direkten und indirekten Steuern. Bei direkten Steuern ist derjenige, der die Steuer wirtschaftlich trägt, auch derjenige, der die Steuer schuldet. Im Gegensatz dazu sind bei indirekten Steuern Steuerschuldner und Steuerträger verschiedene Personen.

Beispiel Die USt schuldet der Unternehmer, wirtschaftlich wird sie jedoch vom Endverbraucher getragen, der sie beim Kauf mitbezahlt. Im Gegensatz dazu muss der Adressat eines ESt-Bescheides die dort festgesetzte Steuer selbst und aus eigenen Mitteln bezahlen.

Die folgenden Begriffe sollten bekannt sein:

Personensteuern: Sie knüpfen an die Leistungsfähigkeit einer Person an, z. B. ESt, KSt, ErbSt. Insoweit besteht weitgehende Identität mit dem Begriff der Besitzsteuern, der an den Besitz (Vermögen) oder den Erwerb (Einkommen) anknüpft.
Verbrauchssteuern knüpfen an die verbrauchsabhänige Nutzung eines Gutes an (Tabak-, Mineralöl- oder Stromsteuer). Sie fallen nicht erst bei tatsächlichem Verbrauch, sondern bereits beim Erwerb der verbrauchsteuerlichen Güter an. Wirtschaftlich werden Verbrauchsteuern vom Verbraucher getragen, technisch werden sie jedoch beim Unternehmer erhoben, der sie auf den Verbraucher umwälzt. Verkehrssteuern knüpfen hingegen an Rechtsgeschäfte an und besteuern ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit den durch bestimmte Rechtsgeschäfte ausgetauschten Wert (Grunderwerbs- oder Versicherungssteuer).Die Zuordnung der USt zu einer dieser beiden Gruppen ist problematisch. Es dürfte sich um eine Verkehrssteuer handeln, die Verbrauchssteuerelemente enthält.
Daneben gibt es noch örtliche Steuern, wie z. B. die Hunde- oder die Zweitwohnungssteuer.

Kapitel 2: Das Steuerrechtsverhältnis

Als Steuerrechtsverhältnis bezeichnet man die Gesamtheit aller steuerlichen Rechte und Pflichten, die zwischen dem Steuerberechtigten (Bund, Länder, Gemeinden, steuerberechtigte Kirchen) und dem Stpfl. (vgl. § 33 AO) bestehen. So treffen den Stpfl. z. B. Erklärungs-, Mitwirkungs- und Steuereinbehaltungspflichten. Für den Staat bestehen demgegenüber z. B. Auskunfts- und Beratungspflichten sowie die Pflicht zur fehlerfreien Ermessensausübung bei Anträgen auf Akteneinsicht oder Änderung.

Sofern sich das Steuerrechtsverhältnis auf Leistungspflichten vermögensrechtlicher Art bezieht, wird es auch als Steuerschuldverhältnis bezeichnet, vgl. § 37 AO.

2.1 Das Steuerschuldverhältnis

§ 37 AO beschreibt das Steuerschuldverhältnis, das von gegenseitigen Ansprüchen geprägt ist. Ein Anspruch ist das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu fordern. Im Rahmen des § 37 AO handelt es sich um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis des Staates gegen den Bürger beim Steueranspruch, Haftungsanspruch, Anspruch auf steuerliche Nebenleistungen (alle § 37 Abs. 1 AO) und beim Rückforderungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO).

Ansprüche des Bürgers gegen den Staat sind der Steuervergütungsanspruch (§ 37 Abs. 1 AO), der Steuererstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) und die Zinsansprüche (§§ 233a, 236 AO).

Diese Ansprüche entstehen gem. § 38 AO sobald der Tatbestand erfüllt ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Diese Tatbestände ergeben sich teilweise aus der AO (z. B. Haftungsnormen der §§ 69-76 AO), größtenteils jedoch aus den Einzelsteuergesetzen. Bevor ein solcher gem. § 38 AO entstandener Anspruch aber durchgesetzt werden kann, muss er erst durch einen Steuerverwaltungsakt (z. B. Steuerbescheid oder Haftungsbescheid) festgesetzt werden, vgl. § 218 Abs. 1 AO.

2.2 Die beteiligten Personen

Bei den am Steuerrechtsverhältnis beteiligten Personen handelt es sich um den Steuerberechtigten und den Steuerpflichtigen.

Bei dem Steuerberechtigten handelt es sich um die Körperschaft, der die Steuer zufließt. Folglich ist die Finanzbehörde nicht Steuerberechtigter, denn sie vertritt nur die Steuerberechtigten Staat, Land, Kirchen und in den Stadtstaaten auch die Gemeinden.

Der Begriff des Steuerpflichtigen ist in § 33 AO definiert und recht weit gefasst, da er neben dem Steuerschuldner z. B. auch Haftende, Abführungspflichtige, Erklärungspflichtige und Aufzeichnungspflichtige umfasst.

Die größte Bedeutung kommt allerdings dem Steuerschuldner zu, d. h. demjenigen, der eine Steuer für eigene Rechnung selbst zu entrichten hat oder für dessen Rechnung ein anderer die Steuer entrichten muss. Wer dies ist, bestimmen die Steuergesetze (§ 43 Satz 1 AO), wobei es sich meist um denjenigen handelt, der den Tatbestand eines Steuergesetzes verwirklicht (§ 38 AO). Es sind allerdings drei Besonderheiten zu beachten:

Entsprechend der zivilrechtlichen Eigentumszuordnung werden Wirtschaftsgüter gem. § 39 Abs. 1 AO auch steuerlich dem rechtlichen Eigentümer zugeordnet. Eine Ausnahme hiervon gilt allerdings gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, sofern ein anderer der wirtschaftliche Eigentümer ist. In diesem Fall wird das Wirtschaftsgut nicht dem zivilrechtlichen, sondern dem wirtschaftlichen Eigentümer (z. B. Pächter, Leasingnehmer) zugerechnet.
Eine weitere Besonderheit besteht bei Gesamtschuldnern i. S. des § 44 AO. Es handelt sich dabei um ein aus dem bürgerlichen Recht stammendes Rechtsinstitut (vgl. § 421 BGB), aufgrund dessen jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung schuldet (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Finanzbehörde als Gläubiger kann von jedem einzelnen Gesamtschuldner oder von mehreren die Begleichung der gesamten Steuerschuld fordern, die Steuerpflichtigen schulden die Leistung jedoch insgesamt nur einmal. Bis zur vollständigen Tilgung bleiben alle Gesamtschuldner zur Erfüllung des gesamten Restbetrages verpflichtet. Es handelt sich somit um eine für den Gläubiger sehr vorteilhafte Sicherung, da mehrere Schuldner für den ganzen Betrag einstehen.
Leistet ein Gesamtschuldner, befreit er damit die anderen von der Leistungspflicht und erwirbt seinerseits einen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch gegen die anderen Gesamtschuldner (§ 426 Abs. 2 BGB).Typische Beispiele für die Gesamtschuldnerschaft im steuerlichen Bereich sind

-

die Zusammenveranlagung (z. B. § 26b EStG bzgl. Ehegatten),

-

die gesetzliche Mehrheit von Schuldnern, wenn das Gesetz bestimmt, dass mehrere Personen eine Steuer schulden (z. B. Schenker und Beschenkter bzgl. der Schenkungssteuer, § 20 Abs. 1 ErbStG; Verkäufer und Erwerber bzgl. der Grunderwerbsteuer, § 13 GrEStG),

-

Haupt- und Haftungsschuldner (z. B. §§ 69 und 71 AO bzgl. Steuerschuldner und Geschäftsführer als Haftungsschuldner).
Auch der Begriff der Gesamtrechtsnachfolge stammt aus dem Zivilrecht. Gem. § 45 Abs. 1 AO handelt es sich dabei abgabenrechtlich um den Übergang des Vermögens als Ganzes durch Rechtsakt auf einen Rechtsnachfolger. Beispielhaft sind zu nennen Erbfälle (§§ 1922 ff. BGB), die Begründung einer Gütergemeinschaft (§ 1416 Abs. 2 BGB) oder die Verschmelzung von Gesellschaften.
Der Gesamtrechtsnachfolger tritt in vollem Umfang in die Rechtsstellung des Vorgängers ein, so dass auch alle Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Gesamtrechtsnachfolger übergehen. Dadurch besteht die Möglichkeit, die Ansprüche gegen eine natürliche oder juristische Person noch fest- und durchzusetzen, selbst wenn der ursprüngliche Steuerschuldner nicht mehr existent ist.
Die jeweilige Schuld geht auch in der Form über, in der sie gegen den Rechtsvorgänger bestand. Folglich kann z. B. ein unanfechtbarer Bescheid auch nicht mehr vom Erben angefochten werden, vgl. auch § 166 AO. Eine Ausnahme besteht nach § 45 Abs. 1 Satz 2 AO lediglich für Zwangsgelder im Erbfall.

Von der Frage, wer Steuerpflichtiger ist, ist zu unterscheiden, wer die Steuerpflicht gegenüber der Finanzbehörde letztendlich zu erfüllen hat. Maßgeblich ist insoweit § 79 AO, denn nur wer nach dieser Vorschrift handlungsfähig ist, darf selbst Verfahrenshandlungen vornehmen und auch nur gegenüber dieser Person können Verfahrenshandlungen vorgenommen werden. Im Bereich der steuerrechtsfähigen, aber nicht handlungsfähigen Personen ergibt sich die jeweilige Vertretung i. d. R. aus § 34 AO.

Nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO handlungsfähig sind somit voll geschäftsfähige Personen (vgl. §§ 104, 106 BGB) und partiell geschäftsfähige in dem Bereich, für den sie ermächtigt sind (vgl. §§ 112, 113 BGB).

Beispiel Der 17-jährige C betreibt mit Genehmigung seiner Eltern und des Vormundschaftsgerichts einen Laden für Computerspiele. Inwieweit ist er steuerlich handlungsfähig?
Lösung: C ist berechtigt und verpflichtet, alle mit diesem Geschäft zusammenhängenden Steuererklärungen abzugeben. Folglich kann er die USt- und die GewSt-Erklärung selbst unterschreiben und einreichen.
Im Gegensatz dazu umfasst die ESt-Erklärung auch Aussagen zu Einkünfte, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen, die mit dem Computerladen nichts zu tun haben und auf die sich die partielle Geschäfts- und Handlungsfähigkeit des C somit nicht bezieht. Folglich muss die ESt-Erklärung von den gesetzlichen Vertretern des C, d. h. seinen Eltern (§ 1629 BGB) unterzeichnet werden. Unterschreibt C sie dennoch selbst und weist das FA sie nicht wegen der mangelnden Handlungsfähigkeit des C zurück, so können die Eltern die Abgabe der Erklärung noch nachträglich genehmigen und wirksam machen.

Für diejenigen, die nicht handlungsfähig sind, müssen die steuerlichen Pflichten durch den jeweiligen gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden. Nicht handlungsfähig sind z. B.

Minderjährige (Vertreter gem. § 34 Abs. 1 Alt. 1 AO: Eltern gem. § 1629 BGB),
Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen können (Vertreter gem. § 34 Abs. 1 Alt. 1 AO: Vormund oder Betreuer, §§ 1773, 1909 BGB),
juristische Personen / Personengesellschaften (Vertreter gem. § 34 Abs. 1 Alt. 2 und 3 AO: Geschäftsführer gem. § 125 HGB, Vorstand gem. § 78 AktG),
insolvente Betriebe (Vertreter gem. § 34 Abs. 3 AO: Insolvenzverwalter gem. § 56 InsO),
Erbengemeinschaften (Vertreter gem. § 34 Abs. 3 AO: Nachlassverwalter, § 1985 BGB),
Behörden wie z. B. Finanzämter (Vertreter gem. FVG der Behördenleiter oder ein Beauftragter).

2.3 Die Übertragung der Handlungspflicht

Für den Stpfl. besteht die Möglichkeit, einen Dritten gem. § 80 AO zu bevollmächtigen und damit die Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten auf eine andere Person zu übertragen. Der Stpfl. bleibt in diesem Fall aber weiterhin verpflichtet. Trotzdem ergibt sich daraus für den Stpfl. eine erhebliche Arbeitsersparnis, da der Bevollmächtigte für ihn alle Verfahrenshandlungen vornehmen kann; Ausnahme: Entgegennahme von Steuererstattungen und Steuervergütungen, § 80 Abs. 1 Satz. 2 Hs. 2 AO (vgl. auch AEAO zu § 80 Nr. 2).

Das Verhältnis der beteiligten Personen lässt sich wie folgt darstellen:

Der Bevollmächtigte muss grundsätzlich die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen haben (§ 2 StBerG; Bsp.: Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuerberater- oder Wirtschaftsprüfergesellschaften; nur eingeschränkt: LSt-Hilfevereine). Ist dies nicht der Fall, so ist der Bevollmächtigte nach § 80 Abs. 5 AO von der Finanzbehörde zurückzuweisen und es kann ein Bußgeldverfahren nach §§ 5 Abs. 2, 160 StBerG eingeleitet werden.

Das Außenverhältnis besteht in der Erteilung der Vollmacht gem. § 80 AO. Dafür müssen beide Parteien handlungsfähig i.  S. des § 79 AO sein. Ist der Stpfl. nicht handlungsfähig, so kann die Vollmacht sein gesetzlicher Vertreter (§ 34 AO; vgl. AEAO zu § 34) erteilen.

Die Vollmacht ist formfrei, so dass sie schriftlich, mündlich oder durch konkludentes Handeln erteilt werden kann, als Innen-, Außen-, Duldungs- oder Anscheinsvollmacht. Gem. § 80 Abs. 1 Satz 3 AO muss der Bevollmächtigte seine Vollmacht schriftlich nachweisen, wovon die Finanzbehörde jedoch nur nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch machen darf. Folglich ist der schriftliche Nachweis der Vollmacht nur zu verlangen, wenn begründete Zweifel daran bestehen (vgl. AEAO zu § 80 Nr. 1). Wurde die Vollmacht trotz korrekter Anforderung nicht vorgelegt, so wird der Bevollmächtigte zurückgewiesen, § 80 Abs. 5 AO analog.

Da der Bevollmächtigte ggü. Der Finanzbehörde im Namen des Stpfl. und mit Wirkung für und gegen ihn handelt, wird auch das Verschulden des Bevollmächtigten dem Stpfl. zugerechnet, vgl. §§ 110 Abs. 1 S. 2 (vgl. S. 23 ff.), 152 Abs. 1 Satz 3, 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die Behörde soll sich gem. § 80 Abs. 3 AO auch vorrangig an den Bevollmächtigten wenden, so dass eine Abweichung davon nur in atypischen Ausnahmefällen angezeigt ist (AEAO zu § 80 Nr. 4). Darüber hinaus können bei Vorliegen einer Empfangs- und Zustellungsvollmacht dem Bevollmächtigten auch die für den Stpfl. bestimmten VA bekannt gegeben werden, § 122 Abs. 1 Satz 3 AO und AEAO zu § 122 Nr. 1.7.

Die Vollmacht endet

durch Widerruf in dem Zeitpunkt, in dem der Widerruf der Finanzbehörde zugeht (§ 80 Abs. 1 Satz 4 AO),
durch Niederlegung des Mandates durch den Steuerberater,
durch Zweckerledigung (Bsp.: Vollmacht nur für ESt 2005) oder
durch Handlungsunfähigkeit oder Tod des Bevollmächtigten.

Sie endet hingegen nicht durch den Tod oder anderweitige Änderungen in der Person des Vollmachtgebers, vgl. § 80 Abs. 2 AO.

2.4 Der Beistand

Im Gegensatz zum Bevollmächtigten nimmt der Beistand keine Handlungen im Namen des Vertretenen vor, sondern unterstützt den Beteiligten, § 80 Abs. 4 AO. Dies ist z. B. gegeben, wenn der Beteiligte mit einem Familienangehörigen bei der Finanzbehörde erscheint, der ihn unterstützen soll.

2.5 Gesetzliche Vertreter und Vermögensverwalter

Von der Frage, wer Beteiligter ist, ist zu unterscheiden, wer überhaupt in der Lage ist, im Rahmen eines steuerlichen Verwaltungsverfahrens zu handeln. Maßgeblich ist insoweit § 79 AO, denn nur wer nach dieser Vorschrift handlungsfähig ist, darf selbst Verfahrenshandlungen vornehmen und auch nur gegenüber diesen Personen können Verfahrenshandlungen vorgenommen werden. Im Bereich der steuerrechtsfähigen, aber nicht handlungsfähigen Personen ergibt sich die jeweilige Vertretung i. d. R. aus § 34 AO, wonach die dort genannten Personen die steuerlichen Pflichten der verhinderten Person als eigene zu erfüllen haben.

Verletzt ein gesetzlicher Vertreter seine Pflichten schuldhaft, so kann gegen ihn ggf. ein Zwangsgeld (vgl. S. 73 f.) und/oder ein Verspätungszuschlag (vgl. S. 70 ff.) festgesetzt werden. Darüber hinaus kann er auch gem. § 69 AO in Haftung genommen werden (vgl. S. 167 ff.).

2.6 Vertreter von Amts wegen

Unter den in § 81 AO genannten Bedingungen kann die Finanzbehörde zur Verfahrensbeschleunigung einen Vertreter von Amts wegen bestellen.

2.7 Die Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerrechtsverhältnis

Gem. § 38 AO entstehen Ansprüche aus dem Steuerrechtsverhältnis in dem Zeitpunkt, in dem der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht anknüpft. Folglich entstehen die Ansprüche kraft Gesetzes, ohne die Festsetzung durch die FinBeh und auch ohne, dass der Steuerschuldner etwas davon wissen muss.

Mit der Entstehung steht die Höhe des Anspruchs materiellrechtlich fest, so dass die Festsetzung durch VA möglich ist. Von der Entstehung des Anspruchs sind somit aber zu unterscheiden die Festsetzung durch Steuerbescheid (§§ 155 ff. AO), die Fälligkeit (§ 220 AO) sowie die Verwirklichung des Anspruchs im Erhebungsverfahren (§§ 218 ff. AO). Der Entstehung des Anspruchs kommt im Hinblick auf die folgenden Punkte Bedeutung zu:

Die Festsetzungsverjährung beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist (vgl. S. 162 ff.);
Voraussetzung für die Aufrechnung ist, dass der Anspruch entstanden ist (vgl. S. 157 ff.);
die Haftung des Betriebsübernehmers erstreckt sich gem. § 75 AO lediglich auf die Steuern, die seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind (vgl. S. 173 ff.);
es ist auch eine Abtretung von Erstattungs- und Vergütungsansprüchen möglich (§ 46 Abs. 2 AO), die ebenso wie die Pfändung dieser Ansprüche (§ 46 Abs. 6 AO) erst nach deren Entstehung zulässig ist.

Ferner ist der Entstehungszeitpunkt z. B. im Insolvenzverfahren und im Hinblick auf die Gewinnermittlung von Bedeutung.

Der genaue Zeitpunkt der Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerrechtsverhältnis ergibt sich allerdings häufig nicht aus § 38 AO, sondern aus den Einzelsteuergesetzen. So entsteht die ESt gem. § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Kalenderjahres, die LSt mit Zufluss des Arbeitslohnes an den Arbeitnehmer (= Auszahlung oder Gutschrift), § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG, und die USt für Lieferung oder sonstige Leistung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG mit dem Ablauf des Voranmeldezeitraumes, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung ausgeführt wurde.

Der Entstehungszeitpunkt für steuerliche Nebenleistungen bestimmt sich nach § 38 AO, so dass die Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandes maßgeblich ist.

Beispiele Verspätungszuschläge und Zwangsgelder entstehen mit Bekanntgabe der Festsetzung, da es sich um Ermessensentscheidungen handelt; Säumniszuschläge entstehen gem. § 240 AO hingegen, wenn die Steuer nicht zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wurde.

Auch Haftungsansprüche entstehen mit der Verwirklichung des Haftungstatbestandes (vgl. § 191 Abs. 3 Satz 3 AO), ohne dass es auf die Inanspruchnahme des Haftenden durch einen Haftungsbescheid ankommt. Ferner entstehen Erstattungsansprüche zu dem Zeitpunkt, in dem alle tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Erstattung vorliegen. Prämien und Zulagen entstehen hingegen i. d. R., wenn während eines bestimmten Zeitraumes (z. B. Kalenderjahr) ein gesetzlicher Tatbestand erfüllt wurde, zum Ablauf dieses Zeitraumes, vgl. z. B. § 4 Abs. 1 Satz 1 WoPG.

Kapitel 3: Fristen, Termine und Wiedereinsetzung

3.1 Termine

Ein Termin ist ein Zeitpunkt, an dem eine Handlung vorzunehmen ist oder eine Rechtsfolge eintreten soll.

Beispiele a) Der Stpfl. wird vom FA gem. § 93 Abs. 5 Satz 1 AO zu einer mündlichen Auskunft an Amtsstelle für den 20. 11. um 9.00 Uhr geladen.
b) Das FA fordert den Stpfl. auf, rückständige Beträge bis spätestens zum 1. 12. zu zahlen.
c) Gem. § 37 Abs. 1 EStG hat der Stpfl. am 10. 3., 10. 6., 10. 9. und 10. 12. Vorauszahlungen auf die ESt zu leisten.
Handelt es sich bei a), b) und c) um Termine?
Lösungen a) Es handelt sich um einen Termin, da die geforderte Auskunftsleistung nur zum angegebenen Datum geleistet werden kann, weder davor, noch danach.
b) Es ist nicht zwingend erforderlich, dass der Stpfl. exakt am 1. 12. zahlt („…bis zum…“). Es wurde lediglich ein Tag zur Abgrenzung eines Zeitraumes benannt, so dass es sich nicht um einen Termin handelt.
c) Auch wenn die gesetzliche Formulierung den Eindruck erweckt, so handelt es sich doch nicht um Termine, da der Stpfl. eben nicht z. B. am 10. 3. leisten muss, sondern auch z. B. am 2., 4. oder 7. 3. leisten kann. Auch hier geht es nicht um einen Zeitpunkt, sondern um einen Zeitraum, so dass nicht § 108 Abs. 5 AO, sondern § 108 Abs. 3 AO anwendbar ist.

Termine sind – unabhängig davon, ob sie auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fallen – einzuhalten, § 108 Abs. 5 AO. Allerdings kommt Terminen im Steuerrecht keine große Bedeutung zu.

3.2 Fristen

Eine Frist ist ein Zeitraum, in dem Rechte ausgeübt oder nicht ausgeübt werden können oder Pflichten zu erfüllen sind und nach deren Ablauf rechtliche Folgen eintreten.

3.2.1 Fristarten

Es ist zu unterscheiden zwischen behördlichen und gesetzlichen Fristen.

Behördliche Fristen werden im Einzelfall von einer FinBeh nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) gesetzt.

Beispiele Stundungsfrist (§ 222 AO), Fristen bzgl. der AdV (§ 361 Abs. 2 AO) und Fristen zur Erteilung von Auskünften (§ 93 AO).

Aus der Nichtbeachtung dieser behördlichen Fristen können sich unterschiedliche Folgen ergeben, z. B. der Beginn der Zwangsvollstreckung, die Durchführung weiterer Ermittlungsmaßnahmen oder die Schätzungsbefugnis.

Behördliche Fristen können stets verlängert werden, selbst wenn sie schon abgelaufen sind, § 109 Abs. 1 AO. Deshalb gibt es bei behördlichen Fristen keine Wiedereinsetzung gem. § 110 AO (vgl. dazu S. 23 ff.).

Gesetzliche Fristen sind solche, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben

Beispiel Einkommensteuer-Vorauszahlungen nach § 37 Abs. 1 EStG.

oder deren Dauer gesetzlich festgelegt ist.

Beispiel Einspruchsfrist (§ 355 AO); Verjährungsfristen (§§ 169, 228 AO).

Aus dem Ablauf von gesetzlichen Fristen ergeben sich für den Stpfl. und die Finanzverwaltung unterschiedliche Rechtsfolgen, z. B. das Entstehen von Säumniszuschlägen, der Verlust des Rechts auf Einspruchseinlegung oder auf Durchführung der Veranlagung.

Gesetzliche können im Gegensatz zu behördlichen Fristen grundsätzlich weder von der FinBeh noch von einem Gericht verlängert werden. Ausnahmen ergeben sich allenfalls aus dem Gesetz, so z. B. in § 109 Abs. 1 Satz 1 AO bzgl. der Abgabefristen für Steuererklärungen. Wird eine gesetzliche Frist versäumt, so besteht jedoch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung gem. § 110 AO (vgl. S. 23 ff.).

Gesetzliche Fristen, die von den Finanzbehörden zu beachten sind, sind nicht wiedereinsetzungsfähig (BFH v. 19. 8. 1999 III R 57/98, BStBl 2000 II 330; FG München v. 13. 11. 2007 6 K 543/07).

Beispiel Verjährungsfristen (§§ 169, 228 AO).

3.2.2 Fristberechnung

Für die Fristberechnung gelten gem. § 108 Abs. 1 AO grundsätzlich die §§ 187-193 BGB. Allerdings enthalten § 108 Abs. 2-6 Sonderregelungen, die den zivilrechtlichen Regelungen vorgehen und der Vereinfachung dienen. Gerechnet wird jeweils in vollen Tagen.

Die Berechnung erfolgt immer in drei Schritten: Beginn der Frist, Dauer der Frist, Ende der Frist.

3.2.2.1 Beginn der Frist

Beginnt die Frist mit einem bestimmten Tag (sog. Tagesbeginnfrist), so ist der Tag des Fristbeginns gem. § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB mitzuzählen. Die Frist beginnt somit an dem bestimmten Tag um 0 Uhr.

Beispiel Beginn eines Mietverhältnisses.

Tagesbeginnfristen spielen im Steuerrecht nur eine untergeordnete Rolle.

Ist der Fristbeginn hingegen von einem bestimmten Ereignis abhängig (z. B. Bekanntgabe eines Steuerbescheides, Ablauf eines Kalenderjahres), so handelt es sich um eine sog. Ereignisfrist. In diesem Fall wird der Tag, an dem das Ereignis stattfindet, nicht mitgezählt. Die Frist beginnt somit erst am nächsten Tag um 0 Uhr.

Beispiel Dem S wird der Steuerbescheid am 15. 6. um 10 Uhr bekannt gegeben. Die Einspruchsfrist (§ 355 AO) beginnt am 16. 6. um 0 Uhr zu laufen.

Es sind insoweit allerdings einige Besonderheiten zu beachten:

Ist das maßgebliche Ereignis die Bekanntgabe eines schriftlichen VA, so ist bei der Berechnung des Zugangstages § 122 AO maßgeblich.
Erfolgt eine förmliche Zustellung i. S. d. § 122 Abs. 5 AO nach den Vorschriften des VwZG (z. B. Postzustellungsurkunde, Empfangsbekenntnis), so gilt der entsprechend festgehaltene Zustellungstag.
I. d. R. werden Steuer-VA jedoch per Post durch einfachen Brief übermittelt (sog. einfache Bekanntgabe), so dass der Tag des Zugangs durch eine Fiktion gem. § 122 Abs. 2 AO festgelegt wird. Bei Übermittlungen im Inland gilt der VA danach am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ausnahmen gelten insoweit lediglich, wenn der Stpfl. geltend macht, dass der VA ihm nicht oder erst später als innerhalb von drei Tagen zugegangen sei. In diesem Fall muss die FinBeh die Behauptung des Stpfl. widerlegen, wozu sie aufgrund der Zustellung durch einfachen Brief i. d. R. nicht in der Lage ist.
Greift die Drei-Tages-Fiktion ein, so ist ein tatsächlich früherer Zugang unbeachtlich.
Beispiel Der ESt-Bescheid wird am 24.  2. (Dienstag) zur Post gegeben. Der Stpfl. teilt mit, dass ihm der Bescheid bereits am 25.  2. zugegangen sei. Welches Datum ist maßgeblich für den Fristbeginn?
Lösung Der Bescheid gilt am 27.  2. als bekannt gegeben. Bzgl. der Fristberechnung bleibt es bei der gesetzlichen Bekanntgabevermutung, da diese im Falle von Bekanntgaben vor dem dritten Tag nicht widerlegbar ist. Dies folgt daraus, dass § 122 Abs. 2 AO nach seinem ausdrücklichen Wortlaut eine Widerlegung nur für den Fall eines unterbliebenen oder späteren, nicht jedoch eines früheren Zugangs vorsieht.
Fällt der Zugang gem. § 122 Abs. 2 AO auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag so verschiebt sich der Bekanntgabetag gem. § 108 Abs. 3 AO in analoger Anwendung auf den nächstfolgenden Werktag (BFH v. 14. 10. 2003 IX R 68/98, BStBl 2003 II 898; AEAO zu § 108 Nr. 2).
Beispiel Ein Steuerbescheid wird am Dienstag vor Ostern zur Post gegeben und beim Stpfl. am Gründonnerstag in den Briefkasten eingeworfen. Welcher Tag ist maßgeblich für den Fristbeginn?
Lösung Nach § 122 Abs. 2 AO ist der Brief am (Kar-)Freitag zugegangen. Da es sich um einen Feiertag handelt, ist gem. § 108 Abs. 3 AO analog der nächstfolgende Werktag maßgeblich. Dabei handelt es sich um den folgenden Dienstag, da Samstag, Sonntag und Ostermontag (= Feiertag) nicht zu berücksichtigen sind.
Verjährungsfristen beginnen stets mit Ablauf eines Kalenderjahres, vgl. §§ 170 Abs. 1, 229 Abs. 1 Satz 1 AO.
Auch das Lebensalter ist eine Ereignisfrist, da der Beginn von einem Ereignis (= Geburt) abhängig ist. Trotzdem ergibt sich aus § 187 Abs. 2 Satz 2 BGB, dass der Tag der Geburt mitgezählt wird.
Beispiel K wurde am 20. 11. 2000 um 19 Uhr geboren. Folglich wird er mit Ablauf des 19. 11. 2018 volljährig. Die Berechnung entspricht somit der bei einer Tagesbeginnfrist.

3.2.2.2 Dauer der Frist

Die Fristdauer ist gesetzlich geregelt und kann sich bemessen nach Jahren (z. B. §§ 110 Abs. 3 AO, 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG), Monaten (z. B. §§ 110 Abs. 2, 355 Abs. 1 AO) oder Tagen (z. B. § 240 Abs. 3 AO).

3.2.2.3 Ende der Frist

Im Hinblick auf das Fristende ist zu unterscheiden zwischen Tagesfristen einerseits und Wochen-, Monats- oder Jahresfristen andererseits.

Eine nach Tagen bemessene Frist endet gem. § 108 Abs. 1 AO i. V. m. § 188 Abs. 1 BGB mit Ablauf des letzten Tages der Frist. Es ist somit die Anzahl der Tage abzuzählen.

Insoweit sind §§ 198 Abs. 3 AO und 193 BGB zu beachten.

Bei einer nach Wochen, Monaten oder Jahren bemessenen Frist wird das Fristende nach § 108 Abs. 1 AO i. V. m. § 188 Abs. 2 BGB bestimmt. Danach endet eine Ereignisfrist mit Ablauf des Tages, der die gleiche Zahl trägt wie der Tag des Ereignisses.

Allerdings ist § 108 Abs. 3 AO für Samstage, Sonn- und Feiertage ebenso zu beachten wie § 188 Abs. 3 BGB. Aus der letztgenannten Vorschrift ergibt sich, dass für den Fall, dass in dem Monat, in dem die Frist endet, der Tag fehlt, der die gleiche Zahl wie der Tag des Ereignisses trägt, an seine Stelle der letzte Tag des Monats tritt.

Beispiel Der Steuerbescheid ist gem. § 122 Abs. 2 AO am 31. 1. zugegangen. Wann endet die einmonatige Einspruchsfrist?
Lösung Die Frist würde mit Ablauf des 31. des Folgemonats enden, den es allerdings im Februar nicht gibt. Die Frist endet daher mit Ablauf des letzten Tages des Februars.

Im Hinblick auf die Fristwahrung ist ein praktischer Gesichtspunkt zu berücksichtigen. In den FÄern, die einen „normalen“ Hausbriefkasten und keinen Nachtbriefkasten haben, durch den sich feststellen lässt, ob ein Brief vor oder nach Mitternacht eingeworfen wurde, gilt die sog. Frühleerungs-Regel. Danach gilt, dass alle Briefe, die am Morgen bei der ersten Leerung vorgefunden werden, den Eingangsstempel vom Vortag erhalten.

Beispiel Die Einspruchsfrist läuft am 12. 7. um 24 Uhr ab. Da der P den Brief aber erst auf dem Rückweg von einer Feier einwirft, gelangt er am 13. 7. um 2.30 Uhr morgens in den Hausbriefkasten des FAes. Wird der Einspruch wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen?
Lösung Da der Brief am 13. 7. bei der ersten Leerung des Hausbriefkastens vorgefunden wird und nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob er nach der letzten Leerung am 12. oder am 13. eingeworfen wurde, erhält er den Eingangsstempel vom 12.07. Folglich wird der Einspruch nicht wegen der Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen.

Ein Stpfl. kann sich allerdings nicht mit Erfolg auf diese Verfahrensweise der Finanzbehörde berufen.

3.2.2.4 Prüfungsschema

Daraus ergibt sich für den Normalfall eines schriftlichen VA, der gem. § 122 Abs. 2 AO bekannt gegeben wird, das folgende Prüfungsschema, das anhand eines VA verdeut­licht werden soll, der am Mittwoch, dem 29. 8. zur Post geht. Fraglich ist, wann die einmonatige Rechtsbehelfsfrist des § 355 AO endet.

3.3 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Für behördliche Fristen und die Fristen zur Einreichung von Steuererklärungen ist gem. § 109 AO die Verlängerung zugelassen. Soweit es sich hingegen um eine gesetzliche, nicht verlängerbare Frist handelt, zieht ihre Versäumnis grundsätzlich den Verlust des mit ihr verbundenen Rechts oder den Eintritt anderweitiger negativer Folgen nach sich.

Beispiel Ein verspäteter Einspruch ist gem. § 358 Satz 2 AO als unzulässig zu verwerfen; ist die Verjährung eingetreten, so kann sie nicht nachträglich wieder aufgehoben werden.

Aus Gründen der Gerechtigkeit ist der Betroffene allerdings unter bestimmten Voraussetzungen durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand so zu stellen, als habe er die versäumte Handlung rechtzeitig vorgenommen.

Auch im finanzgerichtlichen Verfahren ist nach § 56 FGO eine Wiedereinsetzung möglich, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Wiedereinsetzungsfrist nicht einen Monat wie bei § 110 AO beträgt, sondern grundsätzlich nur 2 Wochen.

Folgende Voraussetzungen sind für eine Wiedereinsetzung nach § 110 AO erforderlich:

3.3.1 Tatsächliche Verhinderung an der Fristeinhaltung

Verhindert i. S. des § 110 Abs. 1 AO ist, wer wegen äußerer Umständen oder aus persönlichen Gründen objektiv nicht in der Lage ist, die Frist zu wahren. Eine bloße Erschwernis reicht insoweit allerdings nicht aus.

Beispiel Der Stpfl. bricht sich zwei Wochen vor Ende der Einspruchsfrist den rechten Arm, so dass er aufgrund des Gipsverbandes den Einspruch nicht schreiben kann. Ist er i. S. des § 110 AO verhindert?
Lösung Der Stpfl. kann zwar den Einspruch nicht selbst schreiben, aber er könnte fremde Hilfe in Anspruch nehmen oder den Einspruch zur Niederschrift erklären. Folglich handelt es sich hier nur um eine Erschwernis, aber nicht um eine Verhinderung i. S. des § 110 AO.
Etwas anderes würde jedoch gelten, wenn der Stpfl. den Einspruch am letzten Abend der Frist schreiben und dann zum Amt bringen wollte, sich beim Verlassen seiner Wohnung um 22 Uhr aber ein Bein bricht, ins Krankenhaus muss und an diesem Abend das FA nicht mehr erreichen kann.

3.3.2 Kein Verschulden der Fristversäumung

Eine Widereinsetzung kommt nicht in Frage, wenn der Stpfl. die Frist schuldhaft (= vorsätzlich oder fahrlässig) versäumt hat, so dass auch schon leichtes Verschulden schädlich ist. Die Fristversäumnis ist jedoch schuldlos, wenn der Stpfl. alles getan hat, was ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbar war, um die Frist einzuhalten. Maßstab dafür ist, was einem gewissenhaften Beteiligten nach den Umständen objektiv zumutbar ist.

Es liegt z. B. kein Verschulden bzgl. der Versäumung einer Frist vor, wenn die folgenden Dinge ursächlich waren: Schwere, unvermutete und plötzliche Krankheit; Poststreik; bei Privatleuten ein Urlaub bis 6 Wochen Dauer; falsche Auskunft des zuständigen Finanzbeamten bzgl. des Fristablaufes ggü. dem Stpfl.; Fälle des § 126 Abs. 3 AO. Es kann dem Stpfl. auch nicht vorgeworfen werden, wenn er eine Frist bis zum letzten Augenblick ausnutzt, da er das Recht hat, z. B. den Einspruch am letzten Tag um 24 Uhr einzuwerfen. Allerdings geht das sich daraus ergebende Risiko zu Lasten des Stpfl.

Beispiel