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Anette Schäfer

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Beschreibung

„Wir LiEBEN Siegen“ Der neue Werbeslogan der Siegener Stadtbank klingt für Jochen wie Spott und Hohn. In seinen Augen war es die Bank, die vor fünfzehn Jahren sein Leben zerstörte. Zurück im Siegerland, schleicht er sich Stück für Stück in das glückliche Leben seiner ehemaligen Kundenberaterin, um ihr das zu nehmen, was ihm damals genommen wurde: ihre Familie, ihre Freunde, ihren Beruf und … ihr Leben. Ein Fall für Kriminaloberkommissarin Johanna Daub. Unterstützt wird sie von Stadtbank-Mitarbeiter Daniel Treude, der ihr Bild vom Siegerländer Bankangestellten gehörig auf den Kopf stellt.

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An­mer­kung:

 

Soll­ten Ähn­lich­kei­ten mit re­a­len Per­so­nen, Kre­dit­in­sti­tu­ten oder In­sti­tu­ti­o­nenauf­tre­ten, sind die­se rein zu­fäl­lig.

Alle Cha­rak­tere sind frei er­fun­denund ent­sprin­gen mei­ner Fan­ta­sie.

 

Anette Schä­fer

 

AB­GE­LEHNT

 

 

 

 

 

 

 

Sie­ger­land-Kri­mi 

 

Ja­nu­ar 2018

Co­py­right © by Anette Schä­fer

Um­schlag­ge­stal­tung: Co­py­right © by Anette Schä­fer

Um­schlag­fo­to: Li­ving-Mo­ment Fo­to­gra­fie

Kor­rek­to­rat: Vor­län­der GmbH & Co. KG, Sie­gen

Anette Schä­fer

Ro­bert-Schu­mann-Str. 14

57076 Sie­gen

www.kro­en­chen­ver­lag.de

ISBN 978-3-98-197953-5

 

 

 

 

Für mei­ne Fa­mi­lie

Prolog

Er sah es in ih­ren Au­gen. Sah es dar­an, wie sie aus der Bü­ro­tür ih­res Chefs kam und sie lang­sam hin­ter sich schloss, als müs­se sie et­was Zeit ge­win­nen. Zeit, um sich ge­nau zu über­le­gen, wie sie ihm die schlech­te Nach­richt über­brin­gen soll­te. Schweiß tropf­te ihm von der Stirn auf den Schreib­tisch und hin­ter­ließ häss­li­che Fle­cken auf den Kre­dit­an­trä­gen. Sie hat­te ihn noch nicht ein­mal ins Be­ra­ter­zim­mer ge­be­ten. Nein, er wur­de mit­ten in der Kas­sen­hal­le, an ei­nem Schreib­tisch, wo ihn je­der sah, ab­ge­fer­tigt.

Er hol­te ein Ta­schen­tuch aus sei­ner Bund­fal­ten­ho­se, die er sonst nur bei fei­er­li­chen An­läs­sen trug, und tupf­te sich die Stirn. Noch am Mor­gen hat­te er sich des­we­gen mit sei­ner Frau ge­strit­ten:

»Du gehst nicht mit dei­ner ab­ge­wetz­ten Jeans in die Bank. Un­se­re gan­ze Zu­kunft hängt von die­sem Ge­spräch ab, also zieh dir ge­fäl­ligst die Hose an, die ich dir hin­ge­legt habe!«, hat­te sie ihn an­ge­schri­en.

Ihr Ton­fall ihm ge­gen­über war in der letz­ten Zeit stän­dig lau­ter ge­wor­den und er hat­te ge­lernt, wann es bes­ser tat, auf sei­ne Frau zu hö­ren.

Jetzt saß er an die­sem gott­ver­damm­ten Schreib­tisch und sah, wie sei­ne hüb­sche und ei­gent­lich sehr net­te Sach­be­a­r­bei­te­rin die Schul­tern straff­te und sich um ein nicht all­zu auf­ge­setz­tes Lä­cheln be­müh­te:

»Mein lie­ber Herr Pe­try, es tut mir sehr leid, aber …«      

 

 

 

 

15 Jah­re spä­ter

1.

Früh­ling. Fast hät­te er ver­ges­sen, wie herr­lich der Früh­ling im Sie­ger­land sein konn­te. Alle Welt schimpf­te über den Re­gen, für den die­se Ge­gend be­kannt war, aber er lieb­te es, wenn die Erde feucht wur­de und ih­ren ganz be­son­de­ren Duft ent­fal­te­te. Auch heu­te lag wie­der Re­gen in der Luft und so schien der gan­ze Giers­berg noch schnell sei­ne Kin­der zum Spie­len raus­zu­schi­cken, be­vor der Him­mel end­gül­tig sei­ne Schleu­sen öff­ne­te.

Seit ei­ner Wo­che hat­te er nun Quar­tier be­zo­gen und konn­te sich glü­ck­lich schät­zen, dass sie mit ih­rer Fa­mi­lie in ei­nem klei­nen, äl­te­ren Ein­fa­mi­li­en­haus wohn­te, auf des­sen ge­gen­über­lie­gen­der Sei­te die­ser dicht be­wach­se­ne Wald be­gann, in dem er sich so herr­lich ver­ste­cken konn­te. Aus frü­he­ren Zei­ten wuss­te er, dass es für die Sie­ge­ner ein gro­ßer Un­ter­schied war, ob man am Wei­denau­er oder am Sie­ge­ner Giers­berg wohn­te. Er hat­te das schon im­mer al­bern ge­fun­den. Ein Bau­grund­s­tück in Sie­gen hat­te da­mals min­des­tens fünf­zig Euro pro Qua­drat­me­ter mehr ge­kos­tet als ein ähn­li­ches, das nur hun­dert Me­ter wei­ter, aber da­für schon in Wei­denau lag. Ihr Zu­hau­se lag in ei­ner klei­nen Sei­ten­stra­ße ge­nau in der Mit­te zwi­schen Sie­gen und Wei­denau.

Dass ihr Sohn Leon hieß, cir­ca zwölf Jah­re alt war und ziem­lich gut Fuß­ball spiel­te, hat­te er schon aus­ge­späht. Über ih­ren Mann wuss­te er bis­her nur, dass er mor­gens pünkt­lich um Vier­tel vor acht, im An­zug und mit Ak­ten­ta­sche un­ter dem Arm, das Haus ver­ließ. Wann er abends zu­rück­kam, war bis­her je­den Tag zu un­ter­schied­li­chen Zei­ten ge­we­sen. An zwei Aben­den in der Wo­che hat­te er sei­nen Sohn da­bei, und im­mer spiel­te sich das glei­che Pro­ze­de­re ab: Ihr Ehe­mann fuhr in sei­nem schwa­r­zen Sport­coupé knapp vor die Ga­ra­ge. Der Sohn stieg aus, hol­te sei­ne Sport­ta­sche aus dem Kof­fer­raum, der Va­ter fuhr hin­ein und drück­te den Schal­ter, der das Ga­r­agen­tor elek­trisch her­un­ter­fah­ren ließ. Dann hak­te er sich bei sei­nem Sohn un­ter, und die bei­den gin­gen gut ge­launt ins Haus.

Nur über sie hat­te er bis­her noch nicht viel in Er­fah­rung brin­gen kön­nen, und das muss­te er drin­gend än­dern. Es wur­de Zeit, sei­nen Plan end­lich in die Tat um­zu­set­zen! Und der sah für Sara Ja­kobs nicht wirk­lich gut aus.

2.

Oh nein. Sie wuss­te es schon, be­vor sie den Reiß­ver­schluss an ih­rem Rock zu­mach­te. Sie hat­te tat­säch­lich zu­ge­nom­men.

»Das gibt’s doch nicht«, schimpf­te sie über sich selbst. »Das blö­de Teil muss doch ir­gend­wie zu­ge­hen. So ein Mist! Also, Bauch ein­ge­zo­gen und hoch mit dem Ding!«

Nie­mals wür­de sie zu ih­rem Chef ge­hen und ihm ein­ge­ste­hen, dass sie ihre Ar­beits­klei­dung doch bes­ser in Grö­ße acht­und­drei­ßig und nicht in sechs­und­drei­ßig be­stellt hät­te. Schließ­lich war sie eh schon die Äl­tes­te und mit ih­rer Kon­fek­ti­ons­grö­ße die dicks­te Hos­tess von al­len. War­um ihr Chef im­mer nur Hun­ger­ha­ken in die ro­ten Ko­s­tü­me steck­te, wuss­te sie auch nicht. Wa­ren wir denn bei den Top­mo­dels oder bei der Stadt­bank?

Kri­tisch be­trach­te­te sie sich im Spie­gel, und wenn sie ehr­lich zu sich selbst war, ge­fiel ihr, was sie sah. Für ihre neun­und­drei­ßig Jah­re hat­te sie sich er­staun­lich gut ge­hal­ten. Ihr Teint war zwar noch et­was blass, aber das wür­de sich jetzt schnell än­dern. Vor acht Wo­chen hat­te sie die Jog­ging­sai­son er­öff­net und freu­te sich, dass sie end­lich wie­der ohne schlech­tes Ge­wis­sen ihre täg­li­che Ta­fel Scho­ko­la­de schna­bu­lie­ren konn­te.

Jetzt noch die Pumps und den Bla­zer an und ran an den Schmink­topf. Der feu­er­ro­te Lip­pen­stift pass­te ei­gent­lich gar nicht zu ihr. Er wirk­te an ihr im­mer et­was bil­lig, und sie hat­te stän­dig das Ge­fühl, als wür­de er der Män­ner­welt ver­kün­den: Küss mich, ich bin noch zu ha­ben.

»Es wird spät heu­te Abend, also war­te nicht auf mich! Und mach kei­nen Un­sinn! Und räum noch die Spül­ma­schi­ne aus! … ach so, um Mit­ter­nacht ist Schluss, ok?«

Sie war froh, dass mor­gen Sams­tag war und Leon schul­frei hat­te. So naiv zu glau­ben, dass ihr drei­zehn­jäh­ri­ger Sohn tat­säch­lich auf sie hör­te und pünkt­lich ins Bett ging, war sie nicht. Sara gab ihm zum Ab­schied noch einen fet­ten Kuss, ern­te­te da­für einen stra­fen­den Blick ih­res Soh­nes, zog die Haus­tür hin­ter sich zu und mach­te sich auf den Weg zur Ar­beit.

Sie war ge­spannt, was die­ser Abend wohl heu­te für sie brin­gen wür­de.

3.

Glü­ck­lich war sie. Weg von zu Hau­se und ein­tau­chen in die Welt der Schö­nen und Rei­chen. Wenn das im Sie­ger­land auch nicht un­be­dingt mit der New York Fa­shion Week zu ver­glei­chen war, so schiel­te sie den­noch mit neid­vol­lem Blick auf die traum­haf­te Abend­ro­be der Vor­stands­da­men und der an­de­ren zu die­sem Event ge­la­de­nen weib­li­chen Gäs­te.

Schon im­mer hat­ten ihr die Män­ner leid­ge­tan, wenn sie sich le­dig­lich zwi­schen ei­nem dun­kel­blau­en und ei­nem schwa­r­zen An­zug ent­schei­den durf­ten. Was hat­ten es die Frau­en doch gut. Und an die­sem Abend war wirk­lich al­les ver­tre­ten. An­ge­fan­gen von kur­z­en Cock­tail­klei­dern, über Ho­se­n­an­zü­ge bis hin zu glit­zern­den lan­gen Rö­cken. Rot war al­ler­dings ein Fa­rb­ton, der den Hos­tes­sen vor­be­hal­ten war. Schließ­lich war rot die Fa­r­be der Stadt­bank und die lud an die­sem Abend in ihr Kun­dencen­ter am Schei­ner­platz zur Gala ein.

Es war ein son­ni­ger Tag ge­we­sen, doch auch im Juni wur­de es abends lang­sam frisch. In der Eile hat­te sie ihre pas­sen­de rote Hos­tes­sen­ja­cke zu Hau­se ver­ges­sen und war dank­bar, dass sie heu­te Abend nicht für die Be­grü­ßung drau­ßen vor der Tür ein­ge­teilt war. So stan­den zwei an­de­re, bild­hüb­sche Hos­tes­sen in ih­ren ro­ten Ko­s­tü­men vor dem Ein­gang zum Kun­dencen­ter, um die Gäs­te in Emp­fang zu neh­men und sie die Trep­pe ins ers­te Ober­ge­schoss zu be­glei­ten. Auf der gro­ßen Frei­flä­che, von der aus man hin­un­ter in die Kun­den­hal­le se­hen konn­te, hat­te je­mand wah­re Wun­der voll­bracht.

Auf die­ser sonst so lee­ren Flä­che wa­ren gro­ße, run­de Ti­sche mit je­weils zehn Stüh­len auf­ge­stellt wor­den. Je­der Stuhl war mit ei­ner wei­ßen Hus­se über­zo­gen. Auf den Ti­schen stan­den Ker­zen­leuch­ter, so groß, dass sie bei ihr zu Hau­se auf dem Kü­chen­tisch kei­nen Platz mehr für die Tel­ler ge­las­sen hät­ten. Ein Meer an Ker­zen hat­te sie an­ge­zün­det und war froh ge­we­sen, noch pünkt­lich da­mit fer­tig ge­wor­den zu sein.

Zwei wei­te­re Kol­le­gin­nen hat­ten alle Hän­de voll zu tun, die wert­vol­len Män­tel an die Gar­de­ro­be zu hän­gen, die die Män­ner, ganz Gent­le­men like, ih­ren Da­men ab­ge­nom­men hat­ten.

 

Ihre Auf­ga­be be­stand heu­te dar­in, die Gäs­te an ihre Plät­ze zu füh­ren.

4.

Da ist sie ja, dach­te er bei sich. Sie hat­te sich kaum ver­än­dert. Rei­fer war sie ge­wor­den und das stand ihr aus­ge­spro­chen gut. Ihr Mund wirk­te noch im­mer sehr ver­lo­ckend und die High-Heels lie­ßen er­ah­nen, dass sich un­ter dem en­gen, feu­er­ro­ten Rock lan­ge schlan­ke Bei­ne ver­bar­gen. Er konn­te kaum ab­war­ten, das Spiel mit ihr zu be­gin­nen.

»Ent­schul­di­gen Sie bit­te?«, frag­te er. »Sie kön­nen mir si­cher wei­ter­hel­fen, Schmitz, Jo­chen Schmitz, ist mein Name.«

»Ah, der Herr Schmitz«, such­te Sara in ih­rer Lis­te.

»Hier ha­ben wir Sie ja«, sag­te sie und setz­te ge­konnt ein Häk­chen hin­ter sei­nen Na­men.

Mit be­wusst un­schul­di­gem und leicht trau­rig an­ge­hauch­tem Ton­fall er­klär­te er ihr, dass er es sehr scha­de fand, die­sen schö­nen Abend ohne Be­glei­tung ver­brin­gen zu müs­sen.

»Herr Schmitz, ver­trau­en Sie mir. Es wird ein wun­der­vol­ler Abend wer­den. Ich kann Ih­nen ver­spre­chen, dass das Es­sen mit den dazu kor­re­spon­die­ren­den Wei­nen aus der Gour­met­kü­che hier im Haus sehr dazu bei­tra­gen wird, dass Sie sich hier bei uns wohl­füh­len wer­den.«

Sie mach­te ihre Sa­che gut – freund­lich, sehr zu­vor­kom­mend und doch pro­fes­si­o­nell ge­nug, um leicht auf Di­stanz zum Kun­den zu ge­hen. Sie wür­de kei­ne leich­te Beu­te für ihn ab­ge­ben.

Aber ge­nau das, freu­te sich Jo­chen, wird dasSpiel erst rich­tig in­ter­es­sant ma­chen.

 

Von dem Re­stau­rant im Hau­se der Sie­ge­ner Stadt­bank hat­te er ge­hört. Es soll sich sehr ge­mau­sert ha­ben. Frü­her be­her­berg­te es eine gut­bür­ger­li­che Kü­che, dar­an konn­te er sich noch er­in­nern, doch der Koch blieb nicht lan­ge, über­nahm eine an­de­re Lo­ka­li­tät und ver­such­te dort neu Fuß zu fas­sen. Da aber das Re­stau­rant im Stadt­bank-ge­bäu­de gleich­zei­tig das Mit­tag­es­sen für die Mit­a­r­bei­ter der Bank an­bot, schal­te­te sich der Vor­stands­vor­sit­zen­de höchst­per­sön­lich ein und überg­ab die Fe­der­füh­rung des Re­stau­rants an einen, so hieß es, her­vor­ra­gen­den Koch aus Rhein­land-Pfa­lz. Er soll so­gar in der Na­ti­o­nal­mann­schaft der Kö­che ge­brut­zelt ha­ben.

 

Mal se­hen, ob mei­ne klei­ne hüb­sche Hos­tess nicht über­trie­ben hat.

5.

Sei­ne Rei­se war an­stren­gend ge­we­sen! Chi­na hat­te ihn mal wie­der fest im Griff ge­habt. Müde war er dort vor zwei Wo­chen aus dem Flie­ger ge­stie­gen. Der Mann, der das brau­ne Papp­schild mit sei­nem Na­men hoch­hielt, sah et­was ver­schla­gen aus, aber was blieb ihm an­de­res üb­rig. Er ließ sich von ihm ins Ho­tel fah­ren, check­te ein, zog sich um, spritz­te sich kräf­tig kal­tes Was­ser ins Ge­sicht und fuhr wie­der her­un­ter in die Lob­by, um sich vom Fah­rer di­rekt zu sei­nem Ge­schäfts­kun­den fah­ren zu las­sen.

Er war wirk­lich müde ge­we­sen, durf­te sich das in den an­ste­hen­den Ver­hand­lun­gen aber auf kei­nen Fall an­mer­ken las­sen. Acht chi­ne­si­sche Fach­leu­te sa­ßen ihm in dem eis­kal­ten Be­spre­chungs­raum ge­gen­über. Frisch und mun­ter wa­ren die Chi­ne­sen ge­we­sen. Für sie war es acht Uhr am Mor­gen, aber für ihn nach deut­scher Zeit erst zwei Uhr in der Früh. Nach vier Stun­den har­ter Ar­beit mit an­stren­gen­den Dis­kus­si­o­nen ging die Tür ih­res Be­spre­chungs­zim­mers auf und der Aus­tausch be­gann.

Er kann­te das Spiel­chen schon aus frü­he­ren Zei­ten. So­bald der Kun­de ers­te An­zei­chen von Er­schöp­fung bei ihm sah, bot er ihm eine klei­ne Pau­se an. Bei sei­ner ers­ten Rei­se hat­te er noch ge­dacht, es ste­cke pure Freund­lich­keit da­hin­ter. Nach der Pau­se al­ler­dings sa­ßen ihm dann plötz­lich vier neue und aus­ge­ruh­te chi­ne­si­sche Fach­kräf­te ge­gen­über, die ihm ge­nau die glei­chen Fra­gen stell­ten wie die ers­ten acht. Das war kei­ne Freund­lich­keit, nein – rei­ne Zer­mür­be­tak­tik. Die Zeit­um­stel­lung hat­te ihm auch nicht ge­ra­de in die Kar­ten ge­spielt, und wäre sei­ne Fir­ma nicht so auf Spar­kurs ge­trimmt, hät­te er dort nicht ein­sam, ver­las­sen und aus­ge­lie­fert ge­ses­sen. Er wäre min­des­tens mit drei Kol­le­gen dort ge­we­sen.

In den letz­ten zwei Jah­ren wa­ren ihm die vie­len Rei­sen im­mer schwe­rer ge­fal­len. Sein ge­müt­li­ches Zu­hau­se war ihm wert­vol­ler denn je und sei­ne ei­ge­ne klei­ne Fa­mi­lie gab ihm al­les, wo­nach er sich sehn­te. Seit ein paar Wo­chen al­ler­dings hat­te Sara den Spleen, sich selbst­ver­wirk­li­chen zu müs­sen und das pass­te ihm gar nicht. In die­sem Punkt be­stand ein­deu­tig Re­de­be­da­rf.

 

Nun wa­ren zwei Wo­chen ver­gan­gen. Har­te Wo­chen, nach de­nen er sich auf sein Zu­hau­se freu­te, auch wenn er ohne Auf­trag, da­für aber mit viel Ar­beit die Heim­rei­se an­ge­tre­ten hat­te.

Er hat­te ver­sucht, sei­ne Frau an­zu­ru­fen, um ihr zu sa­gen, dass er einen Tag frü­her als ge­plant nach Hau­se kom­men wür­de. Lei­der war sie nicht an ihr Han­dy ge­gan­gen. Auch Leon hat­te ihm kei­nen be­geis­ter­ten Emp­fang be­rei­tet. Er schien sich nicht wirk­lich ge­freut zu ha­ben, als er kurz vor Mit­ter­nacht die Haus­tür auf­schloss und sei­nen drei­zehn­jäh­ri­gen Sohn da­bei er­wi­sch­te, wie er sich einen Film rein­zog, der ein­deu­tig erst ab acht­zehn Jah­re frei­ge­ge­ben war. Sie hat­ten sich ge­strit­ten und er hat­te ihn zur Stra­fe so­fort ins Bett ge­schickt. Was für eine Heim­kehr ...

Jetzt lag er selbst im Bett und war­te­te um drei Uhr mor­gens noch im­mer dar­auf, dass sei­ne Frau nach Hau­se kam.

6.

Es war ein lan­ger Abend ge­wor­den, ihre Füße ta­ten weh und sie war dank­bar, dass sie sich um vier Uhr mor­gens end­lich zu Hau­se un­ter der Du­sche ab­küh­len konn­te. Un­fass­bar, wie schnell der Abend ver­gan­gen war. Es war viel ge­trun­ken wor­den und da Sara, nach­dem sie je­dem Gast sei­nen Platz zu­ge­wie­sen hat­te, ins Kell­ner-Team wech­seln soll­te, hat­te sie an die­sem Abend sehr gut zu tun ge­habt. Die Stim­mung war aus­ge­las­sen, die Band war der Ham­mer und hat­te einen Hit nach dem an­de­ren ge­spielt, so­dass kaum je­mand auf sei­nem Platz ge­blie­ben, son­dern auf die Tanz­flä­che ge­strömt war.

Bis auf Jo­chen Schmitz. Et­was ver­lo­ren wirk­te er auf sei­nem Platz, so ganz ohne Be­glei­tung. Und ir­gend­wie hat­te er ihr leid­ge­tan. Sie wuss­te, dass es ein un­ge­schrie­be­nes Ge­setz war, sich als Hos­tess nicht all­zu sehr um nur einen Kun­den zu küm­mern. Den­noch hat­te sie es sich nicht neh­men las­sen, öf­ter an sei­nem Tisch vor­bei-zu­se­hen, als es wirk­lich nö­tig ge­we­sen wäre. War­um, das konn­te sie sich selbst nicht er­klä­ren. Ir­gend­wie wirk­te Herr Schmitz so in­ter­es­sant und ge­heim­nis­voll …

Sara sah, dass Chris­ti­ans Zahn­bürs­te wie­der in sei­nem Zahn­putz­be­cher steck­te. Er muss­te also wie­der zu Hau­se sein. Wie schön! Lei­se schlich sie sich ins Schlaf­zim­mer und ku­schel­te sich an ih­ren Ehe­mann, doch der war tief und fest ein­ge­schla­fen.

7.

Per­fekt! Was für ein Abend, das Es­sen hat­te die Vor­schuss­lor­bee­ren wahr­lich ver­dient. Der Koch hat­te sich an die­sem Abend für eine klas­si­sche fran­zö­si­sche Kü­che ent­schie­den und es tat­säch­lich ge­schafft, für alle ein­hun­dert­fünf­zig Gäs­te fast gleich­zei­tig das Es­sen auf ei­nem ge­konnt an­ge­rich­te­ten Tel­ler in war­mem Zu­stand ser­vie­ren zu las­sen. Da­mit hat­te er sich Jo­chens Re­spekt ver­dient. Die Wei­ne, so hieß es, wa­ren mit viel Fein­ge­fühl von ei­nem der drei Vor­stands­mit­glie­der aus­ge­sucht wor­den. Die Krö­nung des Abends aber war Sara ge­we­sen. Er hat­te nicht er­war­tet, dass sie sich zu ei­ner solch at­trak­ti­ven, auf­merk­sa­men, rei­fen Frau ent­wi­ckelt hät­te.

Dielän­ge­ren, dun­kel­brau­nen Haa­re ste­hen ihr gut, dach­te Jo­chen, wäh­rend er sich nach dem lan­gen Ga­la­a­bend in sei­nem Haus am Wei­denau­er Giers­berg, nicht weit ent­fernt vom Ei­gen­heim der Fa­mi­lie Ja­kobs, sei­ne Py­ja­ma­ho­se an­zog und mit nack­tem Ober­kör­per in sein Bett stieg. Sei­ne Frau hat­te es im­mer ge­hasst, wenn er oben ohne schlief, aber das hat­te sich schließ­lich vor vie­len Jah­ren von selbst er­le­digt.

Wie er so da­lag, mal­te er sich aus, wie er Sara ei­nes Ta­ges fest in sei­nen Ar­men hielt: vor­sich­tig wür­de er ihr Haa­r­band lö­sen und sei­ne Nase in ihr of­fe­nes und kräf­ti­ges Haar ste­cken. Wel­chen Ge­ruch es wohl hat­te? Zi­tro­ne, Ko­kos oder Va­nil­le …? Oh ja, wenn er Glück hat­te, roch es nach frisch ge­rie­be­ner Va­nil­le.

Jo­chen ließ sei­ner Fan­ta­sie frei­en Lauf: Ob ich einen Strick be­nut­zen soll? Oder doch lie­ber ein Mes­ser…?

Auf je­den Fall wür­de er viel Spaß mit ihr ha­ben. Er brauch­te nur Ge­duld …

8.

Jo­chen hat­te schnell her­aus­ge­fun­den, in wel­chem Ver­ein Leon Fuß­ball spiel­te, was nicht wirk­lich schwer war, da es am Giers­berg nur zwei Ver­ei­ne gab. Die Dau­ten­ba­cher und die Giers­ber­ger wa­ren seit Jah­ren Ri­va­len und ge­zwun­gen, sich den­noch einen Fuß­ball­platz tei­len zu müs­sen. Sie hat­ten es da­mals nicht ge­schafft, sich ge­mein­sam auf ein Ver­eins­heim zu ei­ni­gen, so­dass bei­de Ver­ei­ne tief in die Ta­sche ge­grif­fen hat­ten und je­der für sich ein ei­ge­nes Heim bau­en ließ. Al­ler­dings hat­ten die Dau­ten­ba­cher, was das Ver­eins­heim an­ging, ein­deu­tig die Nase vorn!

Mitt­ler­wei­le aber ka­men, auf­grund der lan­gen Schul­zei­ten und an­geb­lich auch des de­mo­gra­fi­schen Wan­dels, im­mer we­ni­ger Teens und Ju­gend­li­che ins Trai­ning, so­dass bei­den Ver­ei­nen nichts an­de­res üb­rig blieb, als sich zu­sam­men­zu­rau­fen und eine Spiel­ge­mein­schaft zu grün­den. 

Ein paar Re­cher­chen im In­ter­net und Jo­chen hat­te aus­fin­dig ge­macht, dass drin­gend ein Co-Trai­ner für die ge­mein­sa­me D-Ju­gend ge­sucht wur­de. Er hat­te sei­ne Chan­ce ge­nutzt und war tat­säch­lich ein­ge­stellt wor­den. Sei­ne Trai­ner-Li­zenz war zwar schon lan­ge ab­ge­lau­fen, aber Tho­mas, dem Chef­coach, hat­te Jo­chens Zu­sa­ge aus­ge­reicht, dass er sich so schnell wie mög­lich zur Auf­frisch­schu­lung an­mel­den wür­de. 

 

Nun war er also Co-Trai­ner ei­ner D-Ju­gend-Mann­schaft, und was noch bes­ser war: Er war Leon Ja­kobs Trai­ner ge­wor­den. Leon war wirk­lich ta­len­tiert. Trotz sei­ner für sein Al­ter un­glaub­li­chen Grö­ße von 1,75 Me­ter und sei­ner Schlak­sig­keit be­herrsch­te er den Ball wie kein an­de­rer auf dem Feld. Kein Wun­der, dass er er­neut zum Ka­pi­tän der Mann­schaft ge­wählt wor­den war. Au­ßer­dem hat­te er eine gute Art mit sei­nen Kum­pels um­zu­ge­hen, war hilfs­be­reit, wenn es dar­um ging, am Trai­nings­en­de die Bäl­le ein­zu­sam­meln, und sah sei­ner Mut­ter mit sei­nen – für sei­nen Ge­schmack zu lan­gen – Haa­ren ver­teu­felt ähn­lich.

Jo­chen hat­te ge­hofft, dass Le­ons Va­ter öf­ter auf dem Platz auf­tau­chen wür­de, aber mitt­ler­wei­le wuss­te er, dass Chris­ti­an sel­ten vor 19 Uhr von der Ar­beit heim­kam. Er ga­bel­te sei­nen Sohn da­her nach dem Trai­ning oft nur schnell am Park­platz auf, um dann noch einen kur­z­en Stopp an der The­ke im Su­per­markt um die Ecke ein­zu­le­gen und dort eine Klei­nig­keit zu es­sen. Es schien für die bei­den an den Trai­nings­ta­gen ein fes­tes Ri­tu­al zu sein. Zum Glück für Jo­chen lag der Su­per­markt nicht weit von der Sport­hal­le ent­fernt, so­dass er den bei­den mit sei­nem Fahr­rad auf der kur­z­en Stre­cke sehr gut fol­gen konn­te. Der Su­per­markt hat­te eine gro­ße Glas­front, durch die er sie per­fekt vom Park­platz aus be­ob­ach­ten konn­te.

Va­ter und Sohn ver­stan­den sich gut, das konn­te für Jo­chen spä­ter nur von Vor­teil sein.

 

Hin­ter je­dem star­ken Mann steckt auch eine star­ke Frau. Wenn ich also an Sara ran will, muss ich nur ih­ren Göt­ter­gat­ten knacken, sin­nier­te Jo­chen, wäh­rend er in sei­nem Trai­nings­an­zug und mit der Sport­ta­sche über der Schul­ter durch die Schei­be sah. Es wird mir eine Freu­de sein …

9.

»Ich glau­be es ein­fach nicht! Wie­so willst du jetzt plötz­lich noch mehr ar­bei­ten ge­hen? Reicht dir dein Mi­ni­job als Hos­tess bei der Stadt­bank nicht mehr?«, schnaub­te Chris­ti­an.

»Ich ar­bei­te mir die Hän­de wund, ich ver­die­ne gu­tes Geld, Leon ist erst drei­zehn Jah­re alt, du kommst durch dei­nen tol­len Hos­tes­sen­job abends wer weiß wie spät nach Hau­se und …«, gif­te­te er, »… Lust auf einen schö­nen Abend mit mir hast du auch nicht mehr.«

Sara merk­te, wie lang­sam die Wut in ihr hoch­koch­te. Wie oft hat­ten sie die­se Dis­kus­si­on in den letz­ten zwei Mo­na­ten schon ge­führt.

»Chris­ti­an, du sagst es! Leon ist nicht erst, son­dern schon drei­zehn Jah­re alt! Und was die Lust auf einen schö­nen Abend mit dir an­geht ... na­tür­lich ver­brin­geich lie­bend ger­ne einen ru­hi­gen und ge­müt­li­chen Abend mit dir, aber für dich muss so ein Abend ja im­mer zwangs­läu­fig mit Sex en­den«, spru­del­te es aus ihr her­aus.

»Ja und? Ist das denn so schlimm?«, er­wi­der­te er ver­letzt und wü­tend. Dann nahm er sei­ne Ja­cke vom Ha­ken und ver­kün­de­te: »Weißt du was? Mir reicht’s! Das ist mir hier echt zu blöd!«, schrie er. Ging und knall­te die Haus­tür hin­ter sich zu. Das ist doch nicht zu fas­sen! Jetzt be­schwert sie sich schon, dass ich noch Bock auf sie habe, dach­te Chris­ti­an be­lei­digt, wäh­rend er mit sei­nem Wa­gen aus der Ga­ra­ge fuhr. Kurz muss­te er über­le­gen, wo er über­haupt hin woll­te.

Dank­bar war er, dass er sich seit ein paar Wo­chen so gut mit dem neu­en Trai­ner von Leon ver­stand. Des­sen Frau hat­te ihn vor vie­len Jah­ren ver­las­sen und so hat­te er im­mer eine of­fe­ne Tür, ein of­fe­nes Ohr und eine of­fe­ne Fla­sche gu­ten Sin­gle Malt Scotch Whis­ky für ihn. Ja, Jo­chen war ihm wirk­lich ein gu­ter Freund ge­wor­den.

10.

Jo­chen fand, dass es end­lich an der Zeit ge­we­sen war, sich an den Ehe­mann sei­ner frü­he­ren Kun­den­be­ra­te­rin her­an­zu­ma­chen. Das war vor vier Wo­chen ge­we­sen! Da hat­te es her­vor­ra­gend ge­passt, dass der Chef­coach die D-Ju­gend für den Oran­je-Cup in den Nie­der­lan­den an­ge­mel­det hat­te. Jo­chen wuss­te, dass Chris­ti­an al­les gab, um bei mög­lichst vie­len Heim- und Aus­wärts­s­pie­len sei­nes Soh­nes da­bei zu sein. Lei­der ge­lang ihm das aus be­ruf­li­chen Grün­den nicht im­mer, und Jo­chen war klar, dass er ge­nau an die­ser Stel­le – näm­lich an Chris­ti­ans Va­ter­eh­re – an­set­zen muss­te.

 

Die Ge­le­gen­heit bot sich, als ein Va­ter, der sich be­reit er­klärt hat­te als Be­treu­ungs­per­son mit­zu­fah­ren, kurz­fris­tig krank wur­de.

»Hast du nicht Bock mit­zu­kom­men? Wir ma­chen uns ein rich­tig klas­se Wo­chen­en­de. Los, das wird gut!«

»Ich weiß nicht, ich bin doch schon so oft un­ter­wegs. Da kann ich Sara nicht auch noch ein gan­zes Wo­chen­en­de al­lei­ne zu Hau­se las­sen«, hat­te Chris­ti­an sei­ne Zwei­fel ge­äu­ßert.

»Boah,«, hat­te er ge­sti­chelt, »die hat dich aber ganz schön im Griff. Ist das dein Ernst?«

Es hat­te nicht viel Über­zeu­gungs­kraft sei­ner­seits be­durft und Chris­ti­an hat­te zu­ge­sagt.

Sie hat­ten sich von der Jungschar des CVJM Wei­denau zwei gro­ße Zel­te aus­ge­lie­hen und sich mit ei­nem Rei­se­bus auf den Weg in den Nord­os­ten der Nie­der­lan­de zur Han­se­stadt Om­men ge­macht. Jo­chen war Fan von den fünf re­stau­rier­ten Wind­müh­len ge­we­sen. Ge­nau das sind die Nie­der­lan­de: Wind­müh­len, Käse und eine knacki­ge Frau Ant­je, hat­te er sich ge­freut und er­in­ner­te sich dar­an, wie er vor ewi­gen Zei­ten mit sei­nem Va­ter stän­dig in das glei­che Fe­ri­en­dorf in Hol­land ge­fah­ren war. Er war ge­nervt ge­we­sen. Sei­ne Freun­de wa­ren mit ih­ren Fa­mi­li­en oft in die Fe­ri­en ge­flo­gen, und er hat­te sich im­mer et­was ge­schämt ih­nen ein­zu­ge­ste­hen, dass es für ihn, den sech­zehn­jäh­ri­gen Jo­chen Schmitz, mal wie­der nur an die Nord­see ging. Doch dann kam der eine Som­mer, der alle sei­ne Freun­de nei­disch wer­den ließ.

In al­len Ein­zel­hei­ten hat­te er ih­nen vom ers­ten Sex sei­nes Le­bens am Strand von Ju­li­a­na­dorp er­zählt. Na­tür­lich hat­te er ver­schwie­gen, dass die cir­ca drei­ßig­jäh­ri­ge Frau, die bei der Strand­par­ty so las­ziv an ih­rem Stroh­halm ge­saugt und ihm da­bei fest in die Au­gen ge­se­hen hat­te, ziem­lich blau ge­we­sen war. Ver­schämt und ir­ri­tiert hat­te er da­mals schnell weg­ge­se­hen. Er hat­te auch ver­schwie­gen, wie sehr der Sand ihn ge­stört hat­te, als er sei­nen jung­fräu­li­chen Pe­nis in ihre ganz si­cher nicht mehr jung­fräu­li­che Mu­schi ge­steckt hat­te. Noch drei Tage spä­ter hat­te er Schmer­zen beim Pin­keln, die er aber mit ei­nem Lä­cheln er­tra­gen hat­te. Er war stolz auf sich ge­we­sen. Nicht zu­letzt we­gen ih­res:

»Gut ge­macht, Klei­ner!«

 

Als Co-Trai­ner war er in die­sem Jahr für die Auf­tei­lung der Zel­te zu­stän­dig. Die Jungs hat­te er in zwei Grup­pen auf­ge­teilt und ih­nen er­klärt, wie man die bei­den aus­ge­lie­he­nen Zel­te auf­baut. Das war mit den lan­gen Stan­gen nicht leicht ge­we­sen und auch die He­rin­ge woll­ten in dem Bo­den ein­fach nicht hal­ten. Aber nach zwei Stun­den hat­ten sei­ne Spie­ler es tat­säch­lich ge­schafft. Für sich selbst hat­te er es so ar­ran­giert, dass er sich ein klei­nes Zwei-Mann-Zelt mit Chris­ti­an tei­len konn­te. Den zwei­ten Va­ter hat­te er zu Coach Tho­mas ge­steckt. Wäh­rend die Jungs spät abends in ih­ren Zel­ten la­gen und sich ge­gen­sei­tig Gru­sel­ge­schich­ten er­zähl­ten, hat­ten sie sich ein paar Bier­chen ge­zischt und Jo­chen sei­ne Chan­ce ge­nutzt, von sei­ner miss­glück­ten Ehe zu er­zäh­len. Ei­gent­lich war er kein Mann vie­ler Wor­te, aber wenn sein Plan funk­tio­nie­ren soll­te, muss­te er das Ver­trau­en von Chris­ti­an ge­win­nen. Und das ge­lingt am bes­ten, wenn man et­was von sichselbst preis­gibt, wuss­te Jo­chen.

 

»Weißt du, ich war acht Jah­re mit mei­ner Clau­dia ver­hei­ra­tet. Wir wa­ren echt glü­ck­lich, hat­ten Spaß, gu­ten Sex – al­les war su­per. Und dann kam der Tag, an dem sie auf die glor­rei­che Idee kam, un­be­dingt wie­der ar­bei­ten ge­hen zu wol­len. Und ich? Was hab ich Idi­ot ge­macht? Ich habe sie auch noch dar­in be­stärkt. Wie kann man nur so blöd sein?«, hat­te er ziem­lich laut durch sein klei­nes Zelt ge­schimpft.

Auf der einen Sei­te schien er Chris­ti­an tat­säch­lich leid zu tun, aber auf der an­de­ren Sei­te mach­te der sich wohl lang­sam Sor­gen, dass sein Kum­pel den gan­zen Zelt­platz mit sei­ner Ehe­ge­schich­te un­ter­hielt und mein­te:

»Pss­st, Jo­chen, nicht so laut! Komm, wir re­den mor­gen wei­ter … tut mir wirk­lich leid mit dei­ner Clau­dia.«

 

Nein, mein Lie­ber, hat­te er sich ge­dacht. So leicht kommstdumir nicht da­von … den Sta­chel muss ich noch plat­zie­ren: »Weißt du, dass sie dann plötz­lich kei­ne Zeit mehr für mich und un­se­re zwei Töch­ter hat­te und sich schon nach ein paar Wo­chen auf der Ar­beit in einen Kol­le­gen ver­knallt hat? Kannst du dir das vor­stel­len?«, hat­te er ge­pol­tert und Chris­ti­an da­von er­zählt, wie er ei­nes Abends von der Ar­beit nach Hau­se ge­kom­men war und einen rosa Brief­um­schlag auf dem Kü­chen­tisch vor­ge­fun­den hat­te. Auf ed­lem Büt­ten­pa­pier hat­te Clau­dia ihm ge­schrie­ben, dass sie ihn ver­las­sen und in den nächs­ten Ta­gen mit den Kin­dern zu ih­rem neu­en Freund zie­hen wür­de.

Be­frie­digt hat­te er in Chris­ti­ans mit­füh­len­des Ge­sicht ge­se­hen. Dass die Ge­schich­te et­was an­ders ab­ge­lau­fen war, muss­te er ja nicht wis­sen.

 

Als es jetzt an der Haus­tür klin­gel­te, konn­te sich Jo­chen ein Lä­cheln kaum ver­knei­fen. Er öff­ne­te die Tür. Chris­ti­an sah furcht­bar aus.

 

Kaum zu glau­ben, wie schnell mein per­fi­der Plan Stück für Stück auf­geht, freu­te sich Jo­chen.

11.

Seit zwei Wo­chen wa­ren die Som­mer­fe­ri­en vor­bei und Sara hat­te wirk­lich das Ge­fühl, Kräf­te ge­tankt zu ha­ben. Sie woll­te neue Wege ge­hen, sich aus­pro­bie­ren und ir­gend­wie auch wis­sen, ob sie es noch drauf hat­te. Sie ver­stand nicht, war­um Chris­ti­an sich schon wie­der so quer­stell­te.

Sara konn­te sich noch bes­tens an die Dis­kus­si­on er­in­nern, die sie vor ei­nem hal­b­en Jahr ge­führt hat­ten: Sie hat­te vor­ge­schla­gen, auf 450-Euro-Ba­sis für die Stadt­bank als Hos­tess ar­bei­ten zu ge­hen. Ihr Ehe­mann war da­von ganz und gar nicht be­geis­tert ge­we­sen.

»Stel­len die jetzt auch schon Nut­ten ein, oder was? Kommt gar nicht in­fra­ge«, hat­te er un­ge­hal­ten geant­wor­tet.

»Un­sinn! Eine Hos­tess ist doch kei­ne Nut­te.«

»Pah, da kannst du aber alle mei­ne Ar­beits­kol­le­gen fra­gen. Wenn ich de­nen sage, dass mei­ne Frau als Hos­tess ar­bei­tet, dann wür­den die alle dei­ne Te­le­fon­num­mer ha­ben wol­len!«

Da­mit war die Dis­kus­si­on für ihn be­en­det.

Zwei gan­ze Wo­chen hat­te sie ge­braucht, um ihm kla­rzu­ma­chen, dass eine Hos­tess, die für die Sie­ge­ner Stadt­bank ar­bei­te­te, in keins­ter Wei­se eine Pro­sti­tu­ier­te war. Eine Hos­tess war je­mand, der die Kun­den bei Ver­an­stal­tun­gen freund­lich be­grüß­te, ihre Ja­cken und Män­tel auf­häng­te, sie mit Ge­trän­ken ver­sorg­te, ih­nen den Weg zeig­te ... ein­fach je­mand, der al­les da­für tat, da­mit sich ein Kun­de bei der Stadt­bank wohl­fühlt. Nach lan­gem Hin und Her hat­te er dann end­lich zu­ge­stimmt.

 

Heu­te Mor­gen, als er um sechs Uhr früh end­lich nach Hau­se kam, hat­te sie ver­sucht, ihn zur Rede zu stel­len:

»Chris­ti­an, wo kommst du denn jetzt erst her? Du stinkst nach Whis­ky!«, hat­te sie ihn mit ei­nem Mix aus Är­ger und Er­leich­te­rung in der Stim­me ge­schimpft.

»Und be­eil dich, dass du un­ter die Du­sche kommst! Leon wird gleich wach. Er muss nun wirk­lich nicht mit­be­kom­men, dass du wo­an­ders über­nach­tet hast.«

»Aye, aye, Sir, Käpt’n Sir«, hat­te er in sei­nem völ­lig zer­knit­ter­ten T-Shirt ge­mur­melt und ver­sucht, die Ha­cken ge­gen­ein­an­der­zu­schla­gen und da­bei ir­gend­wie den Mi­li­tär-Gruß hin­zu­be­kom­men. Al­ler­dings war er schon bei dem Ver­such, sei­ne Bei­ne syn­chron zu be­we­gen, kläg­lich ge­schei­tert.

»Wir re­den spä­ter!«, hat­te sie ihn an­ge­blafft, ob­wohl sie sich fest vor­ge­nom­men hat­te, ru­hig zu blei­ben.

Sie lieb­te ih­ren Mann, auch wenn sie hin und wie­der un­ter­schied­li­cher Mei­nung wa­ren. Aber sie hat­ten das im­mer ge­mein­sam hin­be­kom­men. Bei die­sem The­maaber fühl­te sie sich völ­lig al­lein­ge­las­sen. Das war neu. Und da sie selbst un­si­cher war, ob es der rich­ti­ge Zeit­punkt war, wie­der ins Be­rufs­le­ben ein­zu­stei­gen, war es des­halb viel­leicht so be­son­ders schlimm für sie, ih­ren Mann in die­sem Punkt nicht an ih­rer Sei­te zu wis­sen. Der Job als Hos­tess mach­te ihr Spaß, aber eine ge­re­gel­te Ar­beits­stel­le, mit fes­ten Ar­beits­zei­ten und et­was mehr Ver­ant­wor­tung, war ein­fach et­was an­de­res.

Nach­dem sie al­lein mit Leon am Früh­stücks­tisch ge­ses­sen hat­te, weil Chris­ti­an noch im­mer im Ba­de­zim­mer ver­schwun­den war, hat­te ihr Sohn sie heu­te Mor­gen da­mit über­rascht, un­be­dingt zu Fuß in die Schu­le lau­fen zu wol­len, statt sich wie sonst von sei­nem Va­ter auf dem Weg zu des­sen Ar­beit mit­neh­men zu las­sen. Sara ver­mu­te­te, dass die hüb­sche Emma aus der 8b da­hin­ter­steck­te. Sie war leicht öko­mä­ßigan­ge­haucht und fand Jungs blöd, die sich von Mama und Papa zur Schu­le fah­ren lie­ßen. An die­sem Mor­gen kam das Sara al­ler­dings sehr ge­le­gen. Also drück­te sie Leon die Brot­do­se, eine Ba­na­ne und einen Ap­fel in die Hand, gab ihm einen fet­ten Schmat­zer auf die Stirn und freu­te sich dar­über, dass ihr drei­zehn­jäh­ri­ger Sohn das an die­sem Mor­gen aus­nahms­wei­se mal er­laub­te.

Un­glaub­lich, was er zur­zeit al­les ver­drückt, dach­te Sara lie­be­voll. Sie kam mit dem Ein­kau­fen kaum noch hin­ter­her. Jetzt stand sie am Fens­ter und sah zu, wie sich Leon auf den Weg zum Fürst-Jo­hann-Mo­ritz-Gym­na­si­um in Wei­denau mach­te. Chris­ti­an hat­te dort sein Ab­itur ge­macht und ihm war es wich­tig ge­we­sen, dass auch sein Sohn am FJM zur Schu­le ging, ob­wohl die Ge­samt­s­chu­le fast vor ih­rer Haus­tür lag und Leon kei­ne acht Mi­nu­ten zu Fuß bis in den Un­ter­richt be­nö­tigt hät­te.

 

Sara mach­te sich Sor­gen, dass das an­ste­hen­de Ge­spräch wie­der böse en­den könn­te, aber es half ja nichts. Da muss­te sie jetzt durch. Sie war ge­ra­de da­bei, das schmut­zi­ge Ge­schirr in die Spül­ma­schi­ne zu räu­men, als Chris­ti­an in die Kü­che kam. Sie woll­te es nicht, aber ir­gend­wie spru­del­ten die Wor­te ein­fach so aus ihr her­aus:       »Chris­ti­an, wo kommst du her? Wo zum Hen­ker bist du ge­we­sen? Ich habe mir Sor­gen um dich ge­macht. Wo also warst du?«, frag­te sie mit ei­ner et­was zu lau­ten Stim­me.

Chris­ti­an sah Sara lan­ge an und ant­wor­te­te dann mit ei­ner Ge­gen­fra­ge: »In­ter­es­siert dich das wirk­lich? In­ter­es­sierst du dich über­haupt noch für mein Le­ben? Bin ich dir noch gut ge­nug?«

Sara war völ­lig per­plex, aber Chris­ti­an setz­te noch einen oben drauf: »Was willst du ei­gent­lich? Ich ver­die­ne doch gu­tes Geld, wir kön­nen uns ei­ni­ges leis­ten. Wenn ich nicht auf Rei­se bin, ver­su­che ich al­les, um ein gu­ter Va­ter und auch dir ein gu­ter Ehe­mann zu sein, aber ir­gend­wie reicht dir das ja nicht!«

Sara muss­te sich erst ein­mal sam­meln.»Chris­ti­an, ich lie­be dich von gan­zem Her­zen und du bist ein gu­ter Va­ter und Ehe­mann. Leon ver­göt­tert dich und mich machst du auch glü­ck­lich, wirk­lich!« sag­te Sara und kam sich vor, als wür­de sie ge­ra­de den Di­a­log nach­spre­chen, der ges­tern bei ih­rer Lieb­lings­se­rie ‚Rote Ro­sen‘ im Fern­se­hen lief. Aber sie mein­te es zu­tiefst ernst.

Chris­ti­an leg­te ein Kaf­fee­pad in die Ma­schi­ne und drück­te auf den Start­knopf. Wäh­rend er zu­sah, wie der Kaf­feelang­sam in sei­ne Tas­se tropf­te, hat­te er Zeit, das Ge­hör­te sa­cken zu las­sen. Er hat­te nicht da­mit ge­rech­net, dass ihm ihre Wor­te so viel be­deu­ten wür­den und hät­te sich nicht so von Jo­chen be­ein­flus­sen las­sen sol­len.

Sei­ne Sara war an­ders als die­se Clau­dia, die sei­nen neu­en Freund ver­las­sen hat­te. Sara such­te eine neue Her­aus­for­de­rung, war­um nicht? Wenn er ehr­lich zu sich selbst war, konn­te er das so­gar ver­ste­hen.

»Hey!«, sag­te Chris­ti­an ver­söhn­lich, stell­te die Kaf­fee­tas­se ab und nahm sei­ne Frau lie­be­voll in den Arm. »Es tut mir leid!« Dann straff­te er sei­ne Schul­tern und flüs­ter­te sei­ner Frau ins Ohr: »Weißt du was? Ver­such es! Du bist eine klas­se Frau! Die wä­ren ganz schön blöd, wenn sie dich bei der Stadt­bank nicht mit ei­ner hal­b­en Stel­le ein­stel­len wür­den«.

Die­sen Mei­nungs­um­schwung hat­te Sara nicht er­war­tet.

»Dan­ke!«, sag­te sie ge­rührt. Doch dann wur­de sie stut­zig, lös­te sich aus der Um­ar­mung und schau­te Chris­ti­an prü­fend in die Au­gen. »Wo­her weißt du über­haupt von der Halb­tags­stel­le und dem Ge­spräch mit mei­nem Chef?«

Chris­ti­an lä­chel­te sie an und sag­te: »Du musst et­was lei­ser spre­chen, wenn dei­ne Te­le­fona­te mit Loui­sa nicht für die gan­ze Nach­bar­schaft be­stimmt sind.«

12.

Loui­sa hat­te sich ge­freut, als Sara sie an­rief. Sie hat­ten ge­mein­sam die zwei­ein­halb­jäh­ri­ge Aus­bil­dung bei der Sie­ge­ner Stadt­bank ab­sol­viert und wa­ren gute Freun­din­nen ge­wor­den. Sara hat­te es nach der Aus­bil­dung in die Fi­li­a­le nach Dreis-Tie­fen­bach ver­schla­gen. Ihr dor­ti­ger Chef war be­geis­tert von ihr ge­we­sen und hat­te dem Per­so­nal­lei­ter vor­ge­schla­gen, sei­nen Schütz­ling früh­zei­tig zum Kun­den­be­ra­ter­lehr­gang nach Müns­ter zu schi­cken. Nach­dem sie ein paar Mo­na­te als Kun­den­be­ra­te­rin tä­tig war, hat­te sie nach ei­nem un­g­lü­ck­li­chen Vor­fall in Dreis-Tie­fen­bach Reiß­aus ge­nom­men und war in die Ge­schäfts­kun­den­be­ra­tung der Nie­der­las­sung in Wei­denau ge­wech­selt. Ein Jahr spä­ter hat­te Loui­sa die Hoch­zeits­an­zei­ge in ih­rem Brief­kas­ten ent­deckt und sich ge­freut, dass ihre bes­te Freun­din sie an ih­rem schöns­ten Tag im Le­ben als Trau­zeu­gin an ih­rer Sei­te ha­ben woll­te.

 

Sara war im­mer einen Tick bes­ser ge­we­sen als sie selbst. Sei es in der Be­rufs­schu­le, im In­ter­nen Un­ter­richt, bei der schrift­li­chen Ab­schluss­prü­fung, und selbst bei der münd­li­chen Prü­fung konn­te sie die Prü­fer mit ih­rer leicht schüch­ter­nen, aber ge­win­nen­den Art eher über­zeu­gen, als sie selbst es konn­te. Da­bei war es nicht Sara ge­we­sen, die da­mals mehr Zeit mit dem BWL-Klas­si­ker ‚Grill-Per­c­zyn­ski‘ver­bracht hat­te als mit ih­rem Freund.

Sara war schon in ih­rer Ju­gend wun­der­schön ge­we­sen. Groß, schlank, mit – laut den Jungs aus ih­rem Aus­bil­dungs­jahr – mega Tit­ten. Sie selbst konn­te bei Körb­chen­grö­ße C nicht mit­hal­ten, aber wie hieß es so schön: »mehr als eine Hand­voll ist Ver­schwen­dung«.

Mit ih­rer Kör­per­grö­ße von 1,72 Me­ter konn­te auch sie sich se­hen las­sen. Ihr hell­blon­des, schul­ter­lan­ges Haar ge­fiel ihr gut und mit acht­und­fünf­zig Kilo Kör­per­ge­wicht pass­te sie her­vor­ra­gend in Kon­fek­ti­ons­grö­ße sechs­und­drei­ßig. Ein­zig ihre hel­le Haut mach­te ihr öf­ter zu schaf­fen. Sie be­kam schnell einen Son­nen­brand, und wenn sie auf­ge­regt war, brei­te­ten sich un­an­ge­neh­me rote Fle­cken an ih­rem Hals aus. Den­noch war sie nie ei­fer­süch­tig auf Sara ge­we­sen.

Sara war der selbst­lo­ses­te Mensch, den sie kann­te, und sich ih­rer Wir­kung auf Män­ner kein Stück be­wusst. Sie war für je­den da, der Hil­fe brauch­te! Sie nahm sich die Zeit, um ihre Freund­schaf­ten zu pfle­gen, und die­se Zeit hat­te sie da­mals mit ih­rer bes­ten Freun­din ge­nos­sen. Aber dann kam Chris­ti­an ins Spiel.

Sara war ver­liebt, rich­tig blind vor Lie­be, und als Chris­ti­an sie mit ge­ra­de mal zwei­und­zwan­zig Jah­ren frag­te, ob sie ihn nächs­ten Som­mer hei­ra­ten wol­le, hat­te Sara him­mel­hoch­jauch­zend ‚Ja‘ ge­sagt. Chris­ti­an war ein klas­se Kerl, pass­te mit sei­nen 192 Zen­ti­me­tern und sei­nen schnit­ti­gen blon­den Haa­ren per­fekt zu Sara, spiel­te Fuß­ball, hat­te vie­le Freun­de, stu­dier­te Elek­tro­tech­nik am Haard­ter Berg in Wei­denau und schien Sara sehr glü­ck­lich zu ma­chen.

Eine Ma­cke al­ler­dings hat­te der Typ – er war tie­risch ei­fer­süch­tig. Loui­sa er­in­ner­te sich ge­nau, wie Chris­ti­an stän­dig bei ihr an­rief:

»Ist Sara bei dir?«

»Klar!«, hat­te sie geant­wor­tet. »Das hat sie dir doch be­stimmt auch ge­sagt, oder? Also, was willst du?«

»Ich habe Es­sen vom Ita­lie­ner ge­holt. Das wird kalt, wenn sie jetzt nicht so­fort nach Hau­se kommt.«

Also hat­te Sara den Abend be­en­det und war mit ih­rem Rol­ler nach Hau­se ge­fah­ren, wo Chris­ti­an auf sie war­te­te.

Sol­che Sze­nen mit vor­ge­scho­be­nen Aus­re­den hat­te es nach Loui­sas Ge­schmack zu oft ge­ge­ben, so­dass ei­nes Ta­ges ihre Freund­schaft dar­un­ter litt. Und als Sara dann mit sechs­und­zwan­zig Jah­ren schwan­ger wur­de, ge­ra­de als Chris­ti­an sei­ne ers­te Ar­beits­stel­le bei ei­ner Wa­l­zen­gie­ße­rei in Wei­denau an­trat, war de­ren Glück per­fekt und sie selbst saß im­mer öf­ter abends al­lei­ne zu Hau­se.

Bis Loui­sa sich ent­schloss, Kar­rie­re bei der Stadt­bank zu ma­chen und sich für die Wei­ter­bil­dung zum Bank­be­triebs­wirt be­wa­rb. Sie hat­te beim As­sess­ment­cen­ter sehr gut ab­ge­schnit­ten, war für das Stu­di­um nach Müns­ter ge­gan­gen, hat­te viel ge­lernt und einen klas­se Ab­schluss hin­ge­legt. Al­ler­dings hat­te sie da­für auch fast all ihre Frei­zeit ge­op­fert. Mit dem Er­geb­nis, dass ihre Aben­de heu­te mit Kun­den­ge­sprä­chen ge­füllt wa­ren und sie ge­gen 23 Uhr re­gel­mä­ßig völ­lig er­schöpft ins Bett fiel.

 

Dann, vor ei­nem hal­b­en Jahr, sa­hen sie sich wie­der. Sara sah klas­se aus, wie im­mer. Sie war fast noch hüb­scher als da­mals und die Schwan­ger­schaft hat­te ih­rer Fi­gur nichts an­ge­tan.

Loui­sa war mitt­ler­wei­le Pri­vat­kun­den­be­treu­e­rin für ver­mö­gen­de Kun­den ge­wor­den und an je­nem Abend mit ei­ni­gen ih­rer Kun­din­nen zum Obe­ren Schloss ge­fah­ren, um dort eine wun­der­schö­ne und gut or­ga­ni­sier­te Frau­en­ver­an­stal­tung ih­res Ar­beit­ge­bers zu be­su­chen. Die aus­ge­stell­ten Ge­mäl­de hat­ten sie nicht son­der­lich in­ter­es­siert, aber der an­schlie­ßen­de Emp­fang im schön be­leuch­te­ten Schloss­hof mit den le­cke­ren klei­nen Häpp­chen hat­te sie ein­deu­tig da­für ent­schä­digt. Sie fand es nett, wenn die sonst rein be­ruf­li­che Be­zie­hung zu ih­ren Kun­din­nen – oft wa­ren es die Ehe­frau­en ih­rer männ­li­chen Kund­schaft – an sol­chen Aben­den et­was pri­va­ter wur­de.

Sekt und Wein flos­sen an die­sem Abend reich­lich, und plötz­lich hat­te ihre frü­he­re Freun­din Sara in ei­nem per­fekt sit­zen­den ro­ten Ko­s­tüm vor ihr ge­stan­den, sie an­ge­lä­chelt und ihr das lee­re Sekt­glas aus der Hand ge­nom­men.

Seit je­nem Abend tra­fen sie sich wie­der re­gel­mä­ßig. Chris­ti­an hat­te laut Sara sei­ne ers­te Ar­beits­stel­le schon nach drei Mo­na­ten in Wei­denau wie­der ge­kün­digt und war zu ei­nem Un­ter­neh­men hin­ter Freu­den­berg ge­wech­selt, das Schaum­stoff­schnei­de­ma­schi­nen her­stell­te und lei­der zu zwei­und­neun­zig Pro­zent Ex­port­ge­schäf­te tä­tig­te. Was sei­ne Ei­fer­sucht an­ging, war er an­geb­lich viel ru­hi­ger ge­wor­den und Sara schien auf­rich­tig glü­ck­lich zu sein. Das mach­te Chris­ti­an in Loui­sas Au­gen wie­der et­was sym­pa­thi­scher.

 

Als Sara sie nun ges­tern an­rief, um ihr zu er­zäh­len, dass sie dem­nächst ein Vor­stel­lungs­ge­spräch mit dem Per­so­nal­lei­ter und dem Di­rek­tor der Mar­ke­tin­g­ab­tei­lung we­gen ei­ner zu­sätz­li­chen Halb­tags­stel­le hät­te, hat­te Loui­sa sich von Her­zen für ihre Freun­din ge­freut.

13.

Er moch­te Sara – schon im­mer! Hin und weg war er ge­we­sen, als sie neu­lich nach Dienst­schluss in ih­rem stadt­bank­ro­ten Hos­tes­sen­ko­s­tüm vor dem Aus­gang des Ver­wal­tungs­hoch­hau­ses stand.

Et­was ver­le­gen und völ­lig über­rum­pelt hat­te er Sara an­ge­lä­chelt, ohne zu wis­sen, was er sa­gen soll­te. Ihr schien es da nicht an­ders zu ge­hen.

»Hal­lo Da­ni­el … ich … was machst du hier? Wie geht’s dir?«, hat­te sie ihn ge­fragt.

»Naja, ich ar­bei­te hier«, war sei­ne wirk­lich dum­me Ant­wort ge­we­sen.

Dann war plötz­lich ein Schwung su­chen­der Leh­rer aus dem Nichts auf­ge­taucht und hat­te ihr zag­haf­tes Ge­spräch – wenn man es denn so nen­nen möch­te – ab­rupt be­en­det. Sara war ih­rer Pflicht nach­ge­kom­men und hat­te sie mit ih­rer zu­vor­kom­men­den Art rü­ber zu ih­rer Ver­an­stal­tung im Ne­ben­ge­bäu­de ge­führt.

 

Da geht sie hin, die Hos­tess in Rot!

14.

Zwei Wo­chen spä­ter stand Sara oben im Schlaf­zim­mer vor ih­rem Klei­der­schrank und war sehr dank­bar, dass sie sich nicht ent­schei­den muss­te, was sie heu­te Abend an­zie­hen wür­de. Sie moch­te die ro­ten Hos­tes­sen­ko­s­tü­me und freu­te sich dar­auf, heu­te Abend bei ei­nem klas­si­schen Kon­zert im Apol­lo-The­a­ter für ih­ren Ar­beit­ge­ber die Platz­an­wei­se­rin zu spie­len. Sara ent­schied sich für die Hose und zog ihre Bal­le­ri­nas dazu an.

Die an­de­ren Hos­tes­sen lieb­ten es, zu ih­rer Dienst­klei­dung Pumps an­zu­zie­hen, aber mit ih­rer Grö­ße von 178 Zen­ti­me­tern fühl­te sie sich eh schon et­was zu groß, und der Schmerz, als sie nach der letz­ten Gala ihre High-Heels aus­ge­zo­gen hat­te, war ihr noch sehr prä­sent.

Wäh­rend sie ihr Spie­gel­bild kri­tisch be­trach­te­te, sah sie aus dem Au­gen­win­kel et­was im Wäld­chen hin­ter ih­rem Haus blin­ken. Ir­ri­tiert ging sie zum Schlaf­zim­mer­fens­ter. Doch als sie ge­nau­er hin­schau­te, konn­te sie nichts Be­son­de­res ent­de­cken.

 

Als Sara im Ba­de­zim­mer die Mas­ca­ra auf­trug, dach­te sie an das Ge­spräch mit Chris­ti­an zu­rück. Er hat­te sie wirk­lich über­rascht. Sie hät­ten schon viel frü­her re­den sol­len. Das, so nahm sie sich vor, woll­te sie un­be­dingt än­dern!

15.

Ei­gent­lich war Da­ni­el kein Fan von Klas­sik, aber die Chan­ce, Sara heu­te Abend viel­leicht beim Kon­zertwie­der­zu­se­hen, hat­te ihn in ei­ner sei­ner letz­ten Mit­tags­pau­sen rü­ber an die The­a­ter­kas­se des Apol­lo-The­a­ters ge­führt und ihn dort tat­säch­lich fra­gen las­sen, ob es noch eine Kar­te für das Klas­sik-Kon­zert der Stadt­bank ge­ben wür­de.

Da­ni­el kann­te das The­a­ter noch aus der Zeit, als es ein Kino war und er es mit sei­nen ge­ra­de mal sechs Jah­ren ge­mein­sam mit sei­nen El­tern zum ers­ten Mal be­tre­ten hat­te, um ‚Ron­ja Räu­ber­toch­ter‘ zu se­hen.

Im Ver­gleich zu 1984 hat­te sich das Film­the­a­ter zu ei­nem rich­ti­gen The­a­ter ge­mau­sert, das weit über das Sie­ger­land hin­aus be­kannt war. Der In­ten­dant hat­te ein gu­tes Händ­chen be­wie­sen, eben­so wie der Ar­chi­tekt.

 

Sein Ar­beit­ge­ber hat­te das Apol­lo-The­a­ter groß­zü­gig ge­spon­sert und tat es, so wuss­te Da­ni­el, heu­te noch im­mer. Auch da­durch war es mög­lich ge­we­sen, den In­nen­raum so zu ge­stal­ten, dass man sich als Zu­schau­er, durch die woh­li­ge At­mo­sphä­re be­stärkt, genüss­lich in den ro­ten Ses­seln zu­rück­sin­ken las­sen konn­te, um den Abend zu ge­ni­e­ßen. In der Pau­se, das hat­te er öf­ter schon er­lebt, wenn er sich die her­vor­ra­gen­den A-cap­pel­la-Kon­zer­te an­ge­hört hat­te, bot das groß­zü­gi­ge und hel­le Foy­er ge­nug Platz, um sich dort bei ei­nem Glas Pro­sec­co oder Wein die Bei­ne zu ver­tre­ten. Er zog es al­ler­dings vor, oben auf der Em­po­re zu ste­hen und die Men­schen zu be­ob­ach­ten, wie sie eine Eta­ge tie­fer im Foy­er stan­den und sich an­ge­regt un­ter­hiel­ten.

 

Jetzt aber war er auf­rich­tig ver­dutzt, als ihm die net­te Dame mit flot­tem Kurz­haar­schnitt an der Kas­se er­klär­te, dass er Glück hät­te und noch ein Platz in Rei­he 14 für ihn frei sei.

»Wis­sen Sie«, hat­te sie ihn auf­ge­klärt, »ei­gent­lich ist das eine ge­schlos­se­ne Ver­an­stal­tung der Sie­ge­ner Stadt­bank, aber eben war die Aus­zu­bil­den­de der Mar­ke­tin­g­ab­tei­lung hier und hat die Rest­kar­ten der Kun­den zu­rück­ge­ge­ben, die sich kurz­fris­tig ab­ge­mel­det ha­ben. Freu­en Sie sich! Das soll­te wohl ge­ra­de so sein.«

Ob das wirk­lich so sein soll­te, des­sen war sich Da­ni­el al­ler­dings ganz und gar nicht si­cher.

 

So war er eben nach der Ar­beit schnell nach Hau­se ge­fah­ren, hat­te sich zü­gig um­ge­zo­gen und sich auf den Weg zu­rück nach Sie­gen ge­macht. Er war froh, dass ihm auf­grund sei­ner Po­si­ti­on als Lei­ter der Kre­di­t­ab­tei­lung ein Park­platz in der Tief­ga­ra­ge un­ter dem Stadt­bank­ge­bäu­de zu­stand. So muss­te er sich nicht in die lan­ge Schlan­ge von Au­tos ein­rei­hen, de­ren Fah­rer alle ihre Wa­gen im Park­haus Mor­ley­stra­ße ab­stel­len woll­ten. Da­ni­el konn­te an ih­nen vor­bei bis zur Ein­fahrt in die Tief­ga­ra­ge vor­fah­ren, wo er nur auf den Funksen­der drü­cken muss­te und ... ‚Se­sam öff­ne dich‘, das Roll­tor lang­sam nach oben fuhr. Er wuss­te, dass er von ei­ni­gen Kol­le­gen dar­um be­nei­det wur­de, aber das war nicht sein Pro­blem.

 

Er freu­te sich auf Sara, woll­te sie wie­der­se­hen. Und als ihm klar ge­wor­den war, dass sie einen Job als Hos­tess an­ge­nom­men hat­te, hat­te er ver­mu­tet, dass sie an die­sem Abend im Ein­satz sein wür­de. Si­cher konn­te er sich da aber nicht sein. Ge­spannt stieg er aus sei­nem Ge­län­de-wa­gen, der für ihn al­lein ei­gent­lich viel zu groß war, ließ sei­ne Ja­cke im Wa­gen und ging die paar Me­ter zu Fuß rü­ber zum Ein­gang des The­a­ters.

Er fühl­te sich ein biss­chen wie da­mals im zehn­ten Schul­jahr am FJM-Gym­na­si­um, als er mit der Fuß­ball-Schul­mann­schaft ge­gen den Erz­ri­va­len, das Evan­ge­li­sche Gym­na­si­um, ge­spielt und so sehr ge­hofft hat­te, die­ses wun­der­hüb­sche Mäd­chen, das er letz­te Wo­che im Frei­bad in Geis­weid ken­nen­ge­lernt hat­te und das in die neun­te Klas­se am EVAU ging, wie­der­zu­se­hen.

16.

Da­ni­el Treu­de … sie war völ­lig über­rum­pelt ge­we­sen, als sie ihn letz­te Wo­che, nach so vie­len Jah­ren, wie­der­ge­se­hen hat­te. Sie hat­te kaum einen Ton her­aus­be­kom­men. Er sah so gut aus! Sei­ne dunk­len Haa­re hat­ten an den Schlä­fen einen Grau­schim­mer be­kom­men, was ihn in ih­ren Au­gen noch in­ter­es­san­ter mach­te. Die schlan­ke Nase stach noch im­mer ein we­nig aus sei­nem mar­kan­ten Ge­sicht her­vor, und der leicht ita­lie­ni­sche Ein­schlag mach­te ihn nach wie vor zu ei­nem sehr at­trak­ti­ven Mann. Er schien noch im­mer viel Sport zu trei­ben, denn sei­ne Fi­gur war un­glaub­lich. Er war einen Tick klei­ner als Chris­ti­an, aber we­sent­lich durch­trai­nier­ter und mus­ku­lö­ser. Sei­ne tief­brau­nen Au­gen hat­ten sie an­ge­strahlt – wie da­mals.

Sara fand es lus­tig, dass ihm noch im­mer ita­lie­ni­sche Wur­zeln an­ge­dich­tet wur­den, ob­wohl er ein wasch­ech­ter Se­jer­län­ner Jong war, wie er von sich selbst be­haup­te­te.

»Da­ni­el, seit wann magst du denn klas­si­sche Kon­zer­te?«, hat­te sie ihn ver­blüfft ge­fragt, als er ihr an die­sem Abend plötz­lich vor dem The­a­ter ge­gen­über­stand.

»Och, bei den Kon­zer­ten soll sich un­se­re Stadt­bank ja an­geb­lich nicht lum­pen las­sen und lädt wohl im­mer sehr gute So­lis­ten dazu ein. Das konn­te ich mir heu­te Abend na­tür­lich nicht ent­ge­hen las­sen.«

Ver­schmitzt hat­te sie sich zu ihm her­über­ge­lehnt und ihm zu­ge­flüs­tert: »Wie in­ter­es­sant … und? Wie heißt denn die So­lis­tin heu­te Abend?«

Da­ni­el war dank­bar ge­we­sen, dass er letz­te Wo­che in der War­te­schlan­ge an der Vor­ver­kaufs­kas­se einen Blick in das Pro­gramm­heft ge­wor­fen hat­te: »Sara, du hast dich kein Stück ver­än­dert. Der So­list heu­te Abend ist ein Mann und spielt her­vor­ra­gend Ha­r­fe«, hat­te Da­ni­el amü­siert ge­kon­tert.

Sara war ent­täuscht. Ir­gend­wie schien sie wohl ge­hofft zu ha­ben, dass er we­gen ihr ge­kom­men war.

17.

Ent­we­der war sie pa­ra­no­id oder sie wur­de wirk­lich ver­folgt. Sie wuss­te, dass sie manch­mal et­was über­re­a­gier­te, wenn Chris­ti­an auf Dien­st­rei­se war und sie Leon zur Über­nach­tung zu ih­rer Mut­ter ge­bracht hat­te, weil sie abends lang ar­bei­ten muss­te. So ganz al­lein zu Hau­se … das war nichts für sie.

 

Sie war nach Be­ginn des Kon­zer­tes rü­ber ins Kun­dencen­ter ge­gan­gen, um dort auf der gro­ßen Frei­flä­che im ers­ten Ober­ge­schoss al­les für den Emp­fang vor­zu­be­rei­ten. Um kurz nach 22 Uhr wa­ren auch die Kun­den nach dem Kon­zert aus dem Apol­lo-The­a­ter zu ih­nen rü­ber­ge­strömt und hat­ten sich an dem köst­li­chen Fin­ger­food-Buf­fet be­dient. Es muss­te ein klas­se Kon­zert ge­we­sen sein.

»Maistre ist wirk­lich ein Welt­star an der Ha­r­fe«, hat­te sie je­man­den sa­gen hö­ren und in­ner­lich lä­cheln müs­sen.

Da­ni­el war lei­der nicht ge­la­den und durf­te da­her auch nicht am Buf­fet teil­neh­men. Und das ist si­cher auch bes­ser so, re­de­te sie sich ein. Schließ­lich hat­te sie sich da­mals für Chris­ti­an ent­schie­den!

Als sie ge­gen ein Uhr mor­gens aus dem Park­haus fuhr, be­merk­te sie einen dunk­len Ge­län­de­wa­gen, in dem ein Mann mit schwa­r­zer Woll­müt­ze in der Ein­fahrt zwi­schen den bei­den Ver­wal­tungs­ge­bäu­den der Stadt­bank auf je­man­den zu war­ten schien.

Aus dem Park­haus raus, bog sie an der Kreu­zung nach links Rich­tung Kochs Ecke ab. Un­fass­bar, dass nachts die Am­peln hier ge­schal­tet sind – was das kos­tet, hat­te sie ge­dacht und brav dar­auf ge­war­tet, dass die Am­pel auf Grün schal­te­te. Sie fuhr ge­ra­deaus über die Kreu­zung und bog nach dem Löhr­tor-Gym­na­si­um links ab, um dann die stei­le Löhr­stra­ße hoch­zu­fah­ren.

Was hat­te ihr die­se Stra­ße da­mals in der Fahr­schu­le Angst ge­macht. Sara er­in­ner­te sich ge­nau dar­an, wie der Fahr­leh­rer zu ihr ge­sagt hat­te: »Schätz­chen, wenn du mit je­dem Knüp­pel, den du mal in die Hand neh­men wirst, so um­gehst, dann aber hal­lo. Da kann sich die Män­ner­welt ja auf was ge­fasst ma­chen!«

Prompt hat­te sie zu we­nig Gas ge­ge­ben, dazu die Kupp­lung zu we­nig kom­men las­sen und den Mo­tor an der steils­ten Stel­le am Berg ab­ge­würgt. Der Kom­men­tar des Fahr­leh­rers war nur ge­we­sen: »… und das mit dem ‚lang­sam kom­men las­sen‘ üben wir auch noch­mal!«

Der Typ war rich­tig schmie­rig ge­we­sen, soll spä­ter eine Fahr­schü­le­rin ge­schwän­gert ha­ben, die an­geb­lich erst sieb­zehn Jah­re alt ge­we­sen war und hat­te dar­auf­hin sei­ne Li­zenz ab­ge­ben müs­sen. Rich­tig so!

 

Selt­sam, dach­te Sara, war­um muss ich ge­ra­de jetzt dar­anden­ken?Ich bin nun wirk­lich schon oft ge­nug dieLöhr­stra­ße hoch­ge­fah­ren. Aber ir­gen­d­et­was mach­te ihr an die­sem Abend Angst.

Im Rück­spie­gel konn­te Sara se­hen, dass sich ih­rem Wa­gen ein gro­ßes Auto nä­her­te. Die Am­pel sprang auf Grün und so fuhr sie die Ma­r­bur­ger Stra­ße ent­lang, um dann spä­ter halb rechts auf die Giers­berg­stra­ße zu ge­lan­gen – der frem­de Wa­gen di­rekt hin­ter ihr.

Was soll das denn? Wie­so fährt der Typ denn so dicht auf? Oder bil­de ich mir das nur ein? Nein, auf kei­nen Fall fuhr sie jetzt zu sich nach Hau­se. Sie war si­cher, sie wur­de ver­folgt. Heu­te Nacht war sie al­lein zu Hau­se und des­halb wür­de sie die­sen Mann ganz be­stimmt nicht zu ih­rem Haus füh­ren.

Also bog sie an der Ein­mün­dung zur Giers­berg­schu­le links ab, ge­spannt, ob ihr das frem­de Auto fol­gen wür­de. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Lan­ge hat­te sie nicht mehr sol­che Angst ge­habt. Puh, Glück ge­habt! Sara, du Angst­ha­se … reg dich wie­der ab!, be­ru­hig­te sie sichselbst.

Doch ge­ra­de als sie nach fünf­zig Me­tern an der Ver­kehrs­in­sel wen­den woll­te, um den di­rek­ten Weg nach Hau­se zu neh­men, er­schien der SUV hin­ter ihr. Das konn­te kein Zu­fall sein. Sara gab Gas, bog mit quiet­schen­den Rei­fen rechts in die So­din­gen­stra­ße ab, ohne da­bei den Fuß vom Gas­pe­dal zu neh­men. Der Ge­län­de­wa­gen war di­rekt hin­ter ihr. Ir­gend­wann ging die So­din­gen­stra­ße in die Schul­te­s­tra­ße über. Schweiß­ge­ba­det heiz­te sie wei­ter durch die­se end­los lan­ge Stra­ße mit den vie­len par­ken­den Au­tos am Stra­ßen­rand. Oh nein, was ma­che ich bloß?, schrie sie ver­zwei­felt, riss plötz­lich blitz­ar­tig das Lenk­rad links rum und rutsch­te in die Kur­ve, um an­schlie­ßend die Tal­stra­ße wei­ter hin­ab­zu­bret­tern. Der Fah­rer des Ge­län­de­wa­gens war wohl von ih­rem Ma­nö­ver der­ma­ßen über­rascht wor­den, dass er sich ent­schied, wei­ter auf der Schul­te­s­tra­ße zu blei­ben und das Ri­si­ko ei­ner Kol­li­si­on mit ei­nem par­ken­den PKW zu ver­mei­den.

Auf Um­we­gen und mit stän­di­gen Bli­cken nach links, rechts und in den Rück­spie­gel, fuhr Sara völ­lig auf­ge­löst nach Hau­se. Schon als sie mit ih­rem feu­er­ro­ten Klein­wa­gen in den Sil­ber­wald ein­bog, drück­te sie stän­dig auf ih­ren Ga­ra­gen­öff­ner, aber sie war noch zu weit weg. Pa­nisch fuhr sie wei­ter und sah er­leich­tert, wie sich das Tor lang­sam öff­ne­te. Fast hät­te sie es beim Rein­fah­ren noch er­wi­scht, weil sie nicht ab­war­ten woll­te, bis es ganz hoch­ge­fah­ren war.

 

Hät­te sie sich da­mals doch nur durch­ge­setzt, als sie ver­sucht hat­te, Chris­ti­an da­von zu über­zeu­gen, die Ga­ra­ge nicht freiste­hend, son­dern di­rekt ans Haus mit ei­ner Ver­bin­dungs­tür zu bau­en. So sprang sie aus dem Auto, rann­te durch den Vor­gar­ten zur Haus­tür, schloss mit zit­tern­den Hän­den die Tür auf, schlug sie hin­ter sich zu, steck­te den Schlüs­sel ins Schloss und dreh­te ihn so oft um, bis es nicht mehr ging.

 

Sara blick­te auf ihre Uhr. Es war mitt­ler­wei­le fast zwei Uhr ge­wor­den. Chris­ti­an! Bei ihm war es jetzt fast acht. Wenn sie Glück hat­te, saß er noch beim Früh­stück im Ho­tel, be­vor er den gan­zen Tag in Be­spre­chun­gen ver­schwun­den war.

 

Nach ei­ner vier­tel Stun­de und fünf ver­geb­li­chen Ver­su­chen wähl­te sie die Num­mer, von der sie ge­hofft hat­te, sie nie wie­der in ih­rem Le­ben wäh­len zu müs­sen. Sara wähl­te die 110!

18.

»Jo­han­na, nun komm end­lich!«, rief Hol­ger ihr zu. »Die Leit­stel­le hat ge­funkt.«

»Was ist mit dem Strei­fen­wa­gen?«, frag­te Jo­han­na ver­schla­fen zu­rück.

»Die sind alle mit ei­ner Schlä­ge­rei vor dem Haupt­bahn­hof be­schäf­tigt. Also los, wach wer­den und uffta­ta!«

Jo­han­na hass­te die­ses ‚uffta­ta‘, aber Hol­ger war ein wah­rer Gold­schatz und da konn­te sie ihm nicht böse sein, wenn er sie mit­ten in der Nacht so scheuch­te. Über­haupt fühl­te sie sich auf der Wa­che in Wei­denau pu­del­wohl.

Von ih­ren Kol­le­gin­nen aus der Zeit ih­rer Aus­bil­dung in Düs­sel­dorf hat­te sie ge­hört, dass sie ech­te Pro­ble­me mit ih­ren männ­li­chen Kol­le­gen hat­ten, aber ihr war das zum Glück er­spart ge­blie­ben. Zwar hat­te sie ge­hofft, nach ih­rer Aus­bil­dung zur Po­li­zei­kom­mis­sa­rin in der Lan­des­haupt­stadt auch dort ein­ge­setzt zu wer­den, aber in Sie­gen herrsch­te wohl noch grö­ße­re Not.

Ihr da­ma­li­ger Per­so­nal­lei­ter hat­te zu ihr ge­sagt:

»Frau Daub, Sie sind ge­nau die Rich­ti­ge für Sie­gen. Mit Ih­rem Nach­na­men pas­sen Sie per­fekt dort­hin und au­ßer­dem sind die dort ge­nau­so stur und dick­köp­fig wie Sie.« Idi­ot, hat­te sie sich ge­dacht. Jo­han­na kann­te die An­zei­gen in der Mit­a­r­bei­ter­zeit­schrift für Po­li­zei­be­am­te un­ter der Ru­brik Tausch­bör­se: ‚Tau­sche Sie­gen ge­gen al­les!‘, hat­te sie des Öf­te­ren schmun­zelnd ge­le­sen, nicht wis­send, dass sie selbst ei­nes Ta­ges ein­mal da­von be­trof­fen sein könn­te. Als Rhein­län­de­rin ins ver­reg­ne­te, from­me Sie­ger­land zu zie­hen … War­um aus­ge­rech­net ich?

      »Ich habe mit dem dor­ti­gen Lei­ter ge­spro­chen und für Sie aus­ge­han­delt, dass Sie im ers­ten Jahr in ver­schie­de­ne Ab­tei­lun­gen schnup­pern dür­fen. Da­nach ent­schei­den Sie bei­de ge­mein­sam, wie und wo es im Sie­ger­land für Sie wei­ter­geht«, fuhr er da­mals fort.

Mitt­ler­wei­le ar­bei­te­te sie nun schon seit elf Jah­ren im KK3, war zur Kri­mi­nal­o­ber­kom­mis­sa­rin be­för­dert wor­den und das Sie­ger­land war ihr zu ei­ner neu­en Hei­mat ge­wor­den. Der Sie­ger­län­der war gar nicht so ein Stur­kopf, wie alle be­haup­te­ten, und das so be­son­ders ge­roll­te ‚R‘ fand sie mitt­ler­wei­le ganz char­mant. Auch äu­ße­r­lich hat­te sie sich ver­än­dert. Ihr Kör­per war gut durch­trai­niert und ihr flot­ter Kurz­haar­schnitt war zu ei­ner lan­gen lo­cki­gen Mäh­ne ge­wach­sen, die sie meis­tens zu ei­nem Pfer­de­schwanz zu­sam­men­band.

Jo­han­na schau­te aus dem Fens­ter und sah ih­ren Part­ner, Kri­mi­nal­haupt­kom­mis­sar Hol­ger Stein, am Park­platz mit zwei Be­chern Kaf­fee in der Hand wild nach ihr ges­ti­ku­lie­ren.

Wie hat­te er das denn schon wie­der ge­schafft?, frag­te sie sich. Er war wirk­lich ein Gold­schatz.

19.

Jo­han­na schau­te sich im Wohn­zim­mer um und blick­te da­bei di­rekt in Sa­ras ver­wein­te Au­gen. Die Frau tat ihr leid!

»Frau Ja­kobs, jetzt noch­mal zu­sam­men­ge­fasst: Sie sind nach der Abend­ver­an­stal­tung im Apol­lo-The­a­ter von ei­nem dunk­len Ge­län­de­wa­gen ver­folgt wor­den? Ist das rich­tig?«, frag­te Jo­han­na.

Hol­ger misch­te sich un­ge­dul­dig ein: »Wur­den Sie von dem Wa­gen be­drängt? Hat Sie der Fah­rer ge­nö­tigt an die Sei­te zu fah­ren? Hat er Licht­hu­pe ge­macht? Ist er zu dicht auf­ge­fah­ren?«

»Äh, nein, ei­gent­lich nicht«, muss­te Sara zu­ge­ben und kam sich ir­gend­wie dumm vor.

Jo­han­na warf ih­rem Part­ner aus ih­ren grün fun­keln­den Au­gen einen bö­sen Blick zu, den die­ser al­ler­dings völ­lig igno­rier­te.

»Frau Ja­kobs, war­um ha­ben Sie sich dann be­droht ge­fühlt?«, frag­te Hol­ger. »Wenn ich das rich­tig sehe, hat­te der Fah­rer oder die Fah­re­rin, …

»Es war ein Mann!« fiel Sara ihm ins Wort. »Das habe ich Ih­nen doch eben schon ge­sagt. Ein Mann hat schon vor dem Apol­lo-Park­haus auf mich ge­war­tet«, wie­der­hol­te Sara ihre Aus­sa­ge.

»Ok, dann hat­te halt der Mann vor­hin viel­leicht den glei­chen Heim­weg wie Sie!« Hol­ger dreh­te sich zu Jo­han­na um und roll­te mit den Au­gen. Wenn er auch sonst ein echt net­ter Kerl war, aber Ein­füh­lungs­ver­mö­gen hat­te er ganz si­cher nicht mit der Mut­ter­milch auf­ge­so­gen.

»Sara«, frag­te Jo­han­na »Sie sind al­lein im Haus? Ha­ben Sie je­man­den, bei dem Sie die­se Nacht blei­ben kön­nen? Ich den­ke, es wäre bes­ser für Sie, jetzt nicht al­lein zu sein.«

 

In der Po­li­zei­schu­le hat­te sie ge­lernt, dass es wich­tig war, den Be­trof­fe­nen das Ge­fühl zu ge­ben, ernst ge­nom­men zu wer­den. Und wenn sie ehr­lich war, konn­te sie Frau Ja­kobs gut ver­ste­hen. Spät abends im Dun­keln in ein Park­haus ge­hen zu müs­sen, das Ge­fühl, ver­folgt zu wer­den und dann in ein dunk­les und ein­sa­mes Haus zu kom­men – das war si­cher kein Spaß. Den­noch wa­ren ih­nen die Hän­de ge­bun­den.

Bis­her hat­ten sie nun mal kei­nen Be­weis, son­dern ein­fach nur ein Ge­fühl. Und das, so wuss­te Jo­han­na zur Ge­nü­ge, reich­te nicht, um of­fi­zi­ell tä­tig zu wer­den.

 

»Ich könn­te zu mei­ner Mut­ter nach Wil­den fah­ren, aber dann wür­de sich mein Sohn nur wun­dern, wenn ich mit­ten in der Nacht dort auf­tau­che«, über­leg­te Sara.

Jo­han­na sah zu, wie Frau Ja­kobs fie­ber­haft nach ei­ner Lö­sung such­te und kei­ne fand.

Dann at­me­te Sara tief ein und ver­such­te mehr schlecht als recht zu schau­spie­lern: »Wis­sen Sie was? Mir geht es schon viel bes­ser. Dan­ke, dass Sie ex­tra mit­ten in der Nacht vor­bei­ge­kom­men sind. Ich bin Ih­nen wirk­lich zu Dank ver­pflich­tet. Ich wer­de ein­fach eine Schlaf­ta­blet­te neh­men und mor­gen in Ruhe aus­schla­fen. Ich glau­be, das wird mir gut­tun und Leon wird eh mor­gen früh von mei­ner Mut­ter in die Schu­le ge­bracht.«

Sie wa­ren schon zur Haus­tür raus und stan­den im Vor­gar­ten, als Jo­han­na doch noch ein­mal zu­rück zu Frau Ja­kobs ging und sag­te: »Sie sind eine tap­fe­re Frau! Und wenn ir­gen­d­et­was ist, scheu­en Sie sich nicht uns an­zu­ru­fen ... das ist schließ­lich un­ser Job!«

 

 

 

20.

Jo­chen ver­fluch­te den Herbst. Er mach­te es für ihn im­mer schwie­ri­ger, das Haus zu be­ob­ach­ten. Den Som­mer über hat­te er viel über die Fa­mi­lie er­fah­ren kön­nen, doch mitt­ler­wei­le hat­ten sich im­mer mehr Blät­ter von den Bäu­men ver­ab­schie­det und es für ihn fast un­mög­lich ge­macht, sich tags­über un­ent­deckt im Wäld­chen ge­gen­über des Ein­fa­mi­li­en­hau­ses der Fa­mi­lie Ja­kobs auf­zu­hal­ten. Jetzt blieb ihm nur noch die Dun­kel­heit, und all­mäh­lich wur­de es abends ganz schön frisch. Es war so prak­tisch für ihn ge­we­sen, dass es di­rekt hin­ter Sa­ras Haus berg­auf ging, so­dass er von sei­nem Be­ob­ach­tungs­pos­ten ge­nau auf Au­gen­hö­he mit dem El­tern­schlaf­zim­mer der Ja­kobs ge­we­sen war. Sein al­ter Feld­ste­cher aus sei­ner Zeit bei den Pfad­fin­dern hat­te ihm noch im­mer gute Diens­te er­wie­sen.

Wie hat­te er es ge­nos­sen zu­zu­se­hen, wie sie mor­gens, wenn ihre Fa­mi­lie das Haus ver­las­sen hat­te, aus der Du­sche kam und sich vor ih­rem Klei­der­schrank Zeit ließ, um zu ent­schei­den, wel­ches Out­fit für die­sen Tag wohl das Rich­ti­ge war. Durch sei­ne Be­ob­ach­tun­gen wuss­te Jo­chen, dass sie ihre BHs nicht im Klei­der­schrank, son­dern in ei­ner ex­tra Kom­mo­de auf­be­wahr­te, und schon oft ge­nug hat­te er ihre pral­len Brüs­te aus der Fer­ne be­wun­dern dür­fen.

Zu­tiefst er­regt hat­te er sich aus­ge­malt, wie sie in ih­rer Spit­zen­un­ter­wä­sche hilf­los vor ihm lie­gen und was er al­les mit ihr an­stel­len wür­de. Aber das wür­de er sich für spä­ter auf­he­ben müs­sen. Dann hat­te er sei­ne Hose ge­öff­net und im Wäld­chen hin­ter ih­rem Haus das ge­tan, von dem sein Va­ter da­mals zu ihm ge­sagt hat­te, als er ihn mit vier­zehn Jah­ren da­bei er­wi­scht hat­te:

 

»Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss!«

21.

Chris­ti­an saß, ein paar Hun­dert Me­ter von sei­nem Zu­hau­se ent­fernt, bei Jo­chen auf dem Sofa. Das Wohn­zim­mer war zwar ge­müt­lich, aber ur­alt. Selbst Sa­ras Mut­ter war mo­der­ner ein­ge­rich­tet. Die Mö­bel schie­nen aus ei­ner an­de­ren Zeit zu stam­men, aber Jo­chen stör­te das an­schei­nend nicht. Er hat­te das Haus von sei­nem Va­ter ge­erbt und bis­her nichts an der Ein­rich­tung ge­än­dert.

»Be­schei­den­heit ist eine Zier«, hat­te er ihn auf­ge­klärt.

Jo­chen reich­te ihm ge­ra­de sein fünf­tes Kel­ler­bier für die­sen Abend und er nahm es dan­kend an.

»Wenn ich abends von der Ar­beit kom­me, Sara den gan­zen Tag zu Hau­se war, ich ge­duscht im Bett auf mei­ne Frau war­te«, hat­te er sich bei Jo­chen aus­ge­kotzt, »... und sie dann in ih­rem häss­li­chen Fla­nell­nacht­hemd vor mir steht … oh Mann, dann muss sie sich nicht wun­dern, wenn ich mich mal nach an­de­ren Wei­bern um­gu­cke.«

Er merk­te selbst, dass er zu viel ge­trun­ken hat­te.

»Weißt du, wie oft ich ihr schon rich­tig hei­ße Strap­se und an­de­re gei­le Wä­sche mit­ge­bracht habe? Sie hat eine gan­ze Schub­la­de voll da­von … aber nein … Ma­dame zieht so­was ja nur zu be­son­de­ren An­läs­sen an!«, schimpf­te er. »Ich lie­be mei­ne Frau, ehr­lich! Aber ir­gend­wie ist im Mo­ment die Luft raus. Was habe ich ihr nicht al­les zu Fü­ßen ge­legt! Ein Haus, Leon, ein ge­re­gel­tes Le­ben … und was ist der Dank? Ein ge­deck­ter Früh­stücks­tisch und hin und wie­der mal ein biss­chen Sex«, hat­te er gel­allt.

 

Jo­chen war ihm wirk­lich ein gu­ter Zu­hö­rer und Rat­ge­ber ge­wor­den. Er war froh, einen Freund zu ha­ben, der zu je­der Ta­ges- und Nacht­zeit für ihn da war.

In nüch­ter­nem Zu­stand hat­te er sich schon oft ge­fragt, wo­mit Jo­chen ei­gent­lich sein Geld ver­dient und in wel­chem Job man so viel Frei­zeit hat­te, dass man stän­dig auf Ab­ruf zur Stel­le sein konn­te. Je­des Mal hat­te er eine aus­wei­chen­de Ant­wort be­kom­men. Schließ­lich hat­te er ge­nug An­stand be­ses­sen, sei­nen neu­en Freund nicht zu sehr zu be­drän­gen und nicht wei­ter nach­ge­hakt.

Ein­mal hat­te er Jo­chen so­gar ge­fragt, ob er Leon nach dem Trai­ning mit zu ihm nach Hau­se neh­men könn­te. Er hat­te Sara ver­spro­chen, ih­ren Sohn pünkt­lich vom Fuß­ball­platz ab­zu­ho­len, dann aber kurz­fris­tig einen Ge­schäfts­ter­min rein­be­kom­men.

Sara war zu ei­ner Sit­zung zur Jah­res­pla­nung der Hos­tes­sen im Schu­lungs­zen­trum der Stadt­bank ge­fah­ren und so schien das eine gute Lö­sung zu sein. Leon war Fan von der Idee und hat­te ihm spä­ter vor­ge­schwärmt, wie cool der Abend mit Jo­chen ge­we­sen sei.

 

Ja, Jo­chen war wirk­lich ein gu­ter Freund und es wur­de wohl all­mäh­lich Zeit, dass Sara ihn ken­nen­lern­te. Aber erst woll­te er die­sen Abend in Ruhe ge­ni­e­ßen und Jo­chen von sei­ner neu­en Kol­le­gin Alex er­zäh­len, de­ren Sohn frisch in die D-Ju­gend am Giers­berg ge­wech­selt hat­te …

22.

»Das wird schon, reg dich nicht auf! Die ken­nen dich doch! Der Schlei­fen­baum steht eh auf dich.

---ENDE DER LESEPROBE---