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Das sagenhafte Land, das Ziel der gemeinsamen Sehnsüchte aller, heißt in der slowenischen Sprache das »Neunte Land«. Peter Handke hat in dem 1986 erschienenen Buch Die Wiederholung von Slowenien, besonders dem slowenischen Karst, als der Landschaft der Freiheit erzählt. Die Gründung eines unabhängigen Staates Slowenien im Juni 1991 ist Anlaß für ihn, auf seine Erfahrungen in diesem Land in Trauer und Zorn zurückzublicken.
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Seitenzahl: 22
Peter Handke
Abschied des Träumers vom Neunten Land. Eine Wirklichkeit, die vergangen ist: Erinnerungen an Slowenien
Suhrkamp Verlag
Es sind vielerlei Gründe genannt worden für einen eigenen, regelrechten Staat mit Namen »Republik Slowenien«. Damit diese Gründe mir aber im einzelnen denkbar, oder faßbar, oder eingängig würden, müßte ich sie erst einmal sehen; das Hauptwort »Grund« kann, für mich jedenfalls, nur bestehen zusammen mit dem Zeitwort »sehen«. Und ich sehe keinen Grund, keinen einzigen — nicht einmal den sogenannten »großserbischen Panzerkommunismus« — für den Staat Slowenien; nichts als eine vollendete Tatsache. Und ebenso sehe ich nicht die Gründe für einen »Staat Kroatien«. Diese andere Tatsache freilich geht mich weniger an (doch nicht einmal dessen bin ich mir sicher). Das Land Slowenien und die zwei Millionen Köpfe des slowenischen Volks hingegen betrachte ich als eine der wenigen Sachen, welche bei mir zusammengehören mit dem Beiwort »mein«; Sache nicht meines Besitzes, sondern meines Lebens.
Damit spiele ich mich keineswegs als »Slowene« auf. Zwar bin ich in einem Kärntner Dorf geboren, wo seinerzeit, im Zweiten Weltkrieg, noch die Mehrheit, nein, die Gesamtheit österreichisch-slowenisch war und auch in der entsprechenden Mundart miteinander verkehrte, und meine Mutter sah sich, beeinflußt vor allem durch den ältesten Bruder, der, jenseits der Grenze, im jugoslawisch-slowenischen Maribor den Obstbau studierte, in ihrer Mädchenzeit als eine aus jenem Volk (später, nach dem Krieg, nur noch unter anderm); aber mein Vater war ein deutscher Soldat, und Deutsch ist meine Sprache geworden, durch die erste Kindheit in Ost-Berlin und, auf andre Weise, durch die anschließende, in dem »mit der Zeit« mehr und mehr verschwindenden und verklingenden alten Slowenendorf, das selbst die Bewohner endlich nur noch zum Spaß »Stara Vas« hießen; dem Kind aus der deutschen Großstadt waren die slawischen Urlaute ein Greuel in den Ohren, es fuhr bei Gelegenheit sogar der eigenen Mutter deswegen über den Mund, gerade ihr.
Im Lauf der Jahre, vor allem wohl, indem ich Bilder bekam, erzählt bekam von den slowenischen Vorfahren, wurde das anders, wie es natürlich ist (oder natürlich sein sollte). Ein »Slowene« jedoch wurde ich nie, nicht einmal, obwohl ich die Sprache inzwischen halbwegs lesen kann, ein »halber«; wenn ich mich heutzutage in so etwas wie einem Volk sehe, dann in jenem der Niemande — was zeitweilig heilsam sein kann, zeitweise heillos ist (in den Momenten, da ich mir selbst die Zusammengehörigkeit der über den Erdball streunenden Niemande nicht mehr einbilden kann).