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Ein Panorama, das weit über alle literarischen Genres hinausreicht und sie sich zugleich anverwandelt. Hier durchdringen sich Prosa und Drama, Theatralisches und Poetisches, Geschichtliches und Persönliches. Das Jaunfeld, im Süden Österreichs, in Kärnten: Dort versammeln sich um ein »Ich« dessen Vorfahren: die Großeltern und deren Kinder, unter ihnen die eigene Mutter. Gestaltet Peter Handke eine beispielhafte Familientragödie in Szenen? Erzählt er anhand einzelner Stationen das Epos eines Volkes, der Slowenen? Entwirft er das Geschichtsdrama der ewigen Verlierer? Oder wendet er sich, erzählend-dramatisch, zurück zur eigenen Biographie, deren Voraussetzungen und Folgen?
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Seitenzahl: 188
Das Jaunfeld, im Süden Österreichs, in Kärnten: Dort versammeln sich um ein »Ich« dessen Vorfahren: die Großeltern und deren Kinder, unter ihnen die eigene Mutter. Gestaltet Peter Handke eine beispielhafte Familientragödie in Szenen? Erzählt er anhand einzelner Stationen das Epos eines Volkes, der Slowenen? Entwirft er das Geschichtsdrama der ewigen Verlierer? Oder wendet er sich, erzählend-dramatisch, zurück zur eigenen Biographie, deren Voraussetzungen und Folgen?
Peter Handke, 1942 in Griffen (Kärnten) geboren, lebt heute in Paris. Zuletzt sind von ihm im Suhrkamp Verlag erschienen: Kali (2009), Die morawische Nacht (st 4108), Der Große Fall (2011).
Peter Handke
Immer noch Sturm
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015
Der vorliegende Text folgt der 2. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4323.
© Suhrkamp Verlag Berlin 2010
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Umschlag: Göllners, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-74367-6
www.suhrkamp.de
»Amère ironie de prétendre persuader et convaincre, alors que ma certitude profonde est que la part du monde encore susceptible de rachat n’appartient qu’aux enfants, aux héros et aux martyrs.«
Georges Bernanos, Les Grands Cimetières sous la lune
»Bittere Ironie: die Einbildung, zu überreden und zu überzeugen, während es meine tiefe Gewißheit ist, daß der für eine Errettung noch zugängliche Teil der Welt einzig den Kindern, den Helden und den Märtyrern gehört.«
Georges Bernanos, Die Großen Friedhöfe unter dem Mond
»Ich«
Meine Mutter
Meine Großeltern
Gregor, »Jonatan«, der älteste Bruder der Mutter
Valentin, der zweitälteste der Brüder
Ursula, »Snežena«, Schwester der Mutter
Benjamin, der jüngste Bruder
Eine Heide, eine Steppe, eine Heidesteppe, oder wo. Jetzt, im Mittelalter, oder wann. Was ist da zu sehen? Eine Sitzbank, eine eher zeitlose, im Mittelgrund, und daneben oder dahinter oder sonst wo ein Apfelbaum, behängt mit etwa 99 Äpfeln, Frühäpfeln, fast weißen, oder Spätäpfeln, dunkelroten. Sanft abschüssig erscheint diese Heide, heimelig. Wem zeigt sie sich? Wem erscheint sie so? Mir hier, im Augenblick. Ich habe sie vorzeiten, in einer anderen Zeit, gesehen, und sehe sie jetzt wieder, samt der Sitzbank, auf der ich einst mit meiner Mutter gesessen bin, an einem warmen stillen Sommer- oder Herbstnachmittag, glaube ich, fern vom Dorf, und zugleich in der Heimatgegend. Ungewohnt weit war und ist jener Heimathorizont. Ob das Gedächtnis täuscht oder nicht: aus der einen, dann der anderen Ferne ein Angelusläuten. Und auch wenn das wieder eine Täuschung ist: im nachhinein scheint es, daß die Mutter und ich uns an der Hand halten. Überhaupt geschieht in meinem Gedächtnis da alles paarweise; die Vögel fliegen zu Paaren im Himmel, die Schmetterlinge flattern paarweise durch die Lüfte, paarweise schwirren die Libellen, undsoweiter. Das Apfelbäumchen freilich ist mir, zusammen mit den nachleuchtenden Äpfeln, solcherart in wieder einer anderen Zeit begegnet, in einer Nachtsekunde, in einem Tagtraum, oder wann. Ich bin zunächst dagesessen mit geschlossenen Augen. Jetzt schlage ich sie auf. Und was sehe ich nun? Meine Vorfahren nähern sich von allen Seiten, mit dem typischen Jaunfeldschritt, deutlich von einem Fuß auf den andern tretend. Einzeln kommen sie daher, ausgenommen das Großelternpaar, einzeln die mehr oder weniger oder vielleicht gar nicht verwirrte Schwester meiner Mutter, und ebenso einzeln wandern mir deren drei Brüder daher, jeder auf einem eigenen Weg, oder Nichtweg. Der jüngste purzelt eher, läßt sich rollen, wie übermütig. Einzeln steuert ein jeder auf den ihm scheint’s vorgegebenen Ort oder Stehplatz zu, bis auf meine Großeltern wieder, welche sich auf die Bank setzen. Gar nicht alt ist dieses Paar, und ausnahmslos jung deren fünf Kinder, selbst der Erstgeborene, der Einäugige dort mit dem dichten Schnurrbart, geboren doch ziemlich lang vor den andern. Der jüngste der Söhne ist fast noch ein Kind, und meine Mutter erscheint mir buchstäblich blutjung, und beinah als heimliche Geliebte des mittleren Bruders, des schon früh weithin bekannten Frauenhelden. (»Blutjung« ist dagegen ihre kaum ältere Schwester angeblich nie gewesen.) Und daß ich’s nicht vergesse: Sie alle erscheinen mir in Schwarzweiß, nicht nur ihre Gewänder, und alle schön, wie eben nur welche in Schwarzweiß. Seltsam, daß diese Gestalten da ganz und gar nicht den Vorfahren ähneln, wie sie im Leben, oder auf Photographien, oder in den Erzählungen sich mir eingeprägt haben. Sie sind es nicht, weder in Aussehen noch Haltung noch Mienen. Und zugleich sind sie es. Sie sind es! Und dazu paßt es, daß sie mich jetzt auf meinem Platz ausfindig machen und mich erkennen, einer nach dem andern, erschrocken, erfreut, verdrießlich, gleichgültig, still, laut. Ein mehrstimmiges: »Hallo! Da schau her. Ach herrje. Der also. Du hier!« ergibt das, gefolgt von dem familien- und sippenüblichen einstimmigen Seufzerchor und dann einem ein- oder zehnstimmigen »Komm, Nachzügler. Aufgesprungen auf den Familienzug, Nachfahr. Der einzige, der uns noch träumt. Ach, daß uns doch einmal jemand anderer träume! Jemand Sachgerechter. Einer, der uns denkt, und bedenkt – und nicht dein ewiges Gedenken, dein immerwährendes Heraufbeschwören. Mit einem Wort: ein Dritter! Kannst du uns nicht endlich in Ruhe lassen? Aber da du schon einmal da bist: Her mit dir, Letzter, ins Bild mit uns.«
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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