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Ein Stück für die Bühne, ein Drama ohne Rednerwechsel, ein Lied ohne Kehrvers
Im Gehen trägt er zusammen, was ihm begegnet, Tag für Tag, Schritt für Schritt: zwei Raben zu seinen Füßen, ein angebissener Apfel am Wegrand, der Fliegenschwarm, »der auf der Stelle fliegt«. Dazwischen Gedanken an den durch Weltgeschehen und -geschichte irrenden Odysseus, Erinnerungen an die Schlange am Kindswaldrand, der Klang der Regentropfen im Laub, das Bild der Wolkenschatten. Dann das »Lachen von Kindern am Horizont«, ihr ausgelassenes Spiel, das den Krach am Straßenrand übertönt. Dort findet er den Frieden, den es nicht gibt, »im Mundschwung des Kindes, dort herrscht er«. Bis der eine, der da unentwegt spricht, aufbricht und ein anderer kommentiert: »Angeblich soll er vor einiger Zeit noch gesehen worden sein, als letzter Fahrgast hinten zusammengekauert im allerletzten Nachtbus.«
Schnee von gestern, Schnee von morgen ist ein Stück für die Bühne, ein Drama ohne Rednerwechsel, ein Lied ohne Kehrvers. Als ob Peter Handkes Figur sprechend und singend versucht, sich in die Stille einzuhören, also zugleich wegzuhören, Welt und Welterfahrung gerecht zu werden. Der Sprecher fällt sich selbst ins Wort, setzt neu an, und er sammelt nicht nur auf, was ihm im Gehen begegnet, sondern folgt auch den »Nachbildern bei geschlossenen Augen«.
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Seitenzahl: 40
Veröffentlichungsjahr: 2025
Peter Handke
Schnee von gestern, Schnee von morgen
Das Lautwerden des einen Kreuz-und-Quer-Gehenden zeit seines jeweiligen Innehaltens
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025
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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner, unter Verwendung einer Zeichnung des Autors
eISBN 978-3-518-78208-8
www.suhrkamp.de
Schnee von gestern, Schnee von morgen
für Peter Weiss und die anderen
»Die Silhouette eines Unbekannten näherte sich nachts quer über die Steppe …«
»Zurück bei den Seinen hatte Igor ein unvermeidliches Bedürfnis, sich zu beklagen …«
Anton Tschechow, Die Steppe
In vergangenen Jahrhunderten wurden Leute, denen man das Recht absprach, sich in den Wohnräumen zu beklagen, in die Küche geschickt: Erzählt dort eure Geschichte! Mein Tageshoroskop: »Sie haben sich heute verirrt auf dem Mond, aber bemühen Sie sich dabei, das, was wahrhaft zählt, im Gedächtnis zu behalten.« Wort des Dichters: »Die Große Kälte naht – oder auch nicht.« Elvis, Elvis, gib mir meine Legionen wieder … Ah, mein größter Fehler von Anfang an, oder was war der bloß? – jetzt habe ich ihn vergessen … Freund, du mußt das Übersehen lernen! – Zu spät. – Nein, dazu ist es nie zu spät. Schuhspanner, aus Zedernholz, rotem! Frische Locken ins Haar! In der Küche dein Sollen erzählen, dein Gesolltes. Es wird alles wieder gut. – Alles? Wieder? – Ja, alles, und ohne »wieder«: so gut, wie es nie war. Das einzig vernehmliche Grüßen an den öffentlichen Orten: das der Obrigkeitlichen, der Kontrolleure. Die Karawanen der Jungen am Feierabend: hin zur NO-SIDESTORY. Die Wette des Geglückten Lebens kannst du nur verlieren, Mensch. – Ja, fröhlich verlieren. Ante pante populore, Kozelna vrata cvilelore. Ich habe so viel Dinar-Geldscheine, wie Gott Brüder hat. Schöne fremde Frau, warst nicht gut zu mir … Und jetzt fällt mir mein gestriges Nachtgebet wieder ein: Nachtschwarz, umschwärze mich! Noch habe ich mich nicht ins Freie gekämpft, die Pforte knarrt, und niemand bringt mich hinaus. Bleib so, bleib doch! (Wen habe ich da nur gerufen?)
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Es wird schon. Oder auch nicht? Noch nicht! Nicht mehr? Nie mehr? Oder doch? Nur nichts wissen. Dann schon eher, dann und wann, Weisheiten, kleine, die können wenigstens nichts schaden. Den Frieden, den gibt es nicht, den hat es noch keinmal gegeben, den Ewigen Frieden aber, ja doch, o ja. Schwalben, schwalbt für mich. Es gibt keine andere Lösung als – ja, als was? – Weiß nicht, zum Glück. Gerade noch dachte ich mich in einem Hinterhalt, einem nicht zu entkommenden, und auf einmal, völlig lautlos, landeten zwei Raben zu meinen Füßen, die beiden Köpfe still aneinander, anstelle des Doppeladlers ein Doppelrabe, statt Hinterhalt ein Zuhause, oder doch weiterhin Hinterhalt, freilich im anderen Sinn, Halt hinter – Hinten-Halt, freundliches, äh wie, freundlicher! Hinterhalt und Spielfeld. Ich, Grenzlandbegeher, als Sportler: Eine schöne episodische kleine Rolle, eine idiotische, will sagen, allein für mich und meine Person, und in meiner Einbildung, aber immerhin dort, sogar eine gemeinnützige. Wir Barfüßer, wir barfüßigen Könige, ihr barfüßigen Komtessen. Und auf der fernen Überlandstraße ein Lieferwagen mit der Aufschrift ISAAC PEDROSO. Und jenseits davon jetzt die Hilferufe: Helfen? Ich? Nein. Aber einspringen, ja, im Fall des Falles. Und nur nichts dramatisieren hier und jetzt, das Drama, es ist da, es läuft längst ab, Schritt für Schritt, von vornherein.
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