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Adi Hessberger, Hauptkommissar im Polizeipräsidium Südosthessen und Chef der SOKO Bieberer Berg, ist bis über beide Ohren verliebt. Nicht nur in seinen OFC, nein, seine Kollegin Sina Fröhlich hat es ihm angetan. Sie führen seit geraumer Zeit eine Beziehung. Leider läuft es nicht rund. Sinas Vergangenheit holt sie immer wieder ein und macht dem Paar zu schaffen. Doch das sind bei Weitem nicht alle Probleme, die dem jungen Glück im Wege stehen. Denn innerhalb kurzer Zeit kommt es zu mehreren Todesopfern in der Stadt, in OFC-Foren sind Hasskommentare zu finden, ein Serientäter tritt auf den Plan und – last, but not least – die Welt scheint verrücktzuspielen, denn in Hanau wird ein rassistisch motivierter Anschlag verübt und ein neues Virus löst eine weltweite Pandemie aus. Zu viele Baustellen auf einmal für Hessberger? Wer das denkt, kennt Adi schlecht! Autor Thorsten Fiedler zieht die Leser auch in seinem dritten Krimi mit Hauptkommissar und OFC-Fan Adi Hessberger in einen spannenden Kriminal-Fall: abgründig und doch charmant, spitzzüngig und gewieft und stets mit einem leichten Augenzwinkern.
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Thorsten Fiedler
Offenbach-Krimi
eISBN 978-3-947612-97-0
Copyright © 2020 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Together Concept, Stephan Striewisch
Bildrechte: Thorsten Fiedler
Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de
Das Buch
Prolog
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
NEUNZEHN
ZWANZIG
EINUNDZWANZIG
ZWEIUNDZWANZIG
DREIUNDZWANZIG
VIERUNDZWANZIG
DANK
Der Autor
Adi Hessberger, Hauptkommissar im Polizeipräsidium Südosthessen und Chef der SOKO Bieberer Berg, ist bis über beide Ohren verliebt. Nicht nur in seinen OFC, nein, seine Kollegin Sina Fröhlich hat es ihm angetan. Sie führen seit geraumer Zeit eine Beziehung. Leider läuft es nicht rund. Sinas Vergangenheit holt sie immer wieder ein und macht dem Paar zu schaffen.
Doch das sind bei Weitem nicht alle Probleme, die dem jungen Glück im Wege stehen. Denn innerhalb kurzer Zeit kommt es zu mehreren Todesopfern in der Stadt, in OFC-Foren sind Hasskommentare zu finden, ein Serientäter tritt auf den Plan und – last, but not least – die Welt scheint verrücktzuspielen, denn in Hanau wird ein rassistisch motivierter Anschlag verübt und ein neues Virus löst eine weltweite Pandemie aus.
Zu viele Baustellen auf einmal für Hessberger? Wer das denkt, kennt Adi schlecht!
Albert liebte Kinder. Genau das war ihm zum Verhängnis geworden. Insgesamt hatte er sechseinhalb Jahre in einem Stuttgarter Gefängnis zugebracht. Damals hatte die Polizei Tausende expliziter Bilddateien auf seinem Computer gefunden. Eine Internetseite war durch einen Informanten aufgeflogen und dabei war auch sein Name aufgetaucht. Bei den Vernehmungen wurde zudem aufgedeckt, dass er nicht nur Bilder angesehen und getauscht hatte.
Bei seiner Haftentlassung hatte er sich entschlossen, umzuziehen. Eher zufällig war seine Wahl auf Offenbach gefallen. Dort hatte er eine Wohnung in einem größeren Mietshaus nahe der ehemaligen Bachschule gefunden und lebte nun von Hartz IV und Gelegenheitsarbeiten. Ab und zu schaute er sich Fußballspiele des OFC an, doch noch mehr liebte er es, sich in anonymen Communitys zu bewegen und dort ein wenig für Unruhe zu sorgen.
Albert hatte nicht nur verfolgt, dass sich im Oktober, November und Dezember 2019 Berichte und Fanbeiträge zum OFC in den sozialen Medien überschlagen hatten. Sogenannte OFC-Fans hatten die Mannschaft, die Verantwortlichen und ehemalige Funktionäre beschimpft. Albert war mittendrin im Geschehen gewesen.
„Schickt diese Söldner alle in die Wüste.“ *Kult-Albert*
„Wir sind Kickers und ihr nicht.“ *Kickers-Klaus*
Da war sie wieder, die kritische Kickers-Zeit, in der es fast unmöglich war, es den Fans recht zu machen. Während die einen es unmöglich fanden, den Spieler Serkan Firat wieder zurückzuholen, hielten die anderen es für die einzig richtige Entscheidung. Viele hatten großes Mitleid mit dem neuen Präsidium, das wirklich alles tat, um endlich wieder erfolgreiche OFC-Zeiten einzuläuten. Es wurde viel Geld investiert, intensive Gespräche mit Sponsoren wurden geführt, ein neuer Trainer verpflichtet und das Gesicht der Mannschaft verändert. Doch die Geduld der Fans war in den letzten Jahren stark strapaziert worden und man brauchte dringend einen Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten. Für die Anhänger war es die beste Fanszene im ganzen deutschen Fußball, denn wirkliche Fans zeigen sich dann, wenn es regnet, stürmt oder schneit und dir der kalte Wind der Vierten Liga um die Ohren pfeift. Das konnten viele sogenannte Mode- und Sonnenscheinfans überhaupt nicht nachvollziehen. Und genau das wollte Albert gerne ändern.
Außerdem konnte er seine gefährlichen Neigungen immer schwerer unterdrücken. Natürlich musste er vorsichtig agieren, weil die Polizei angekündigt hatte, ihn weiter im Auge zu behalten. Dennoch hatte er sich ein paar seiner alten Schätzchen auf einem USB-Stick aufgehoben. Zum Glück ahnte niemand etwas von seiner dunklen Vergangenheit – oder sollte er besser sagen Gegenwart?
Als er die Treppen hinunterging, um ein paar Einkäufe zu erledigen, blieb sein Blick am Schwarzen Brett hängen. Dort hing ein Foto – sein Foto – und darauf stand groß mit rotem Filzstift geschrieben: KINDERSCHÄNDER.
„Wer zum Geier …?“, fing er an zu brüllen, senkte dann aber rasch die Stimme. Hastig riss er das Blatt ab, sah sich um und steckte es panisch in seinen Mantel. Er schnappte nach Luft, ihm wurde furchtbar schlecht.
Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, war er in der Lage, zum REWE-Markt neben dem alten Schlachthof zu gehen und sich dort, unter anderem, eine Flasche Asbach zu holen. Als er wieder zu Hause angekommen war, überlegte er fieberhaft, wie jemand es geschafft haben konnte, hinter sein Geheimnis zu kommen. Er setzte sich vor den Fernseher und begann, sich zu betrinken.
Kriminalhauptkommissar Adi Hessberger holte sich eine Flasche Offenbacher Bier aus dem Kühlschrank, prüfte die Temperatur und war mehr als zufrieden. Gut durchgekühlt. Während er einen Öffner aus der Schublade nahm, beobachtete er aus den Augenwinkeln Sina Fröhlich, die im Flur stand, ihre Handtasche durchsuchte und die Autoschlüssel herausnahm.
„Hast du heute Abend noch was vor, meine Schöne?“
„Nein, aber ich muss mir noch Klamotten fürs Wochenende holen.“ Sie betrat die Küche, strich ihm über die Wange und gab ihm einen Kuss.
„Ach blöd“, entwich es Adi. „Ich hatte mich so auf einen gemütlichen Fernsehabend mit dir auf der Couch gefreut.“
„Ich bin in spätestens ein, zwei Stunden wieder hier …“
„Warum ziehst du nicht hier ein? Das will mir einfach nicht in den Kopf.“ Er öffnete die Flasche und nahm einen großen Schluck seines Lieblingsgetränks.
„Ach Adi …“. Sie seufzte. „Das haben wir doch schon dreimal besprochen. Ich brauch einfach noch etwas Zeit, nach allem, was passiert ist.“
Sie spielte auf die beiden vorangegangenen Fälle an, die die Kripo Bieberer Berg gelöst hatte. Wenn er ehrlich war, lagen sie auch Adi noch im Magen, und das würde wohl noch eine ganze Weile so bleiben.
„Ja, ja, ja, ist ja schon gut“, antwortete er. „Aber es wäre doch alles viel entspannter. Weißt du, wie ich das meine?“
„Manchmal kannst du ganz schön nerven. Ist heute kein Fußball im Fernsehen?“
„Nur Premier League, Chelsea gegen Arsenal, und darauf kann ich gern verzichten. Aber du lenkst ab, lass es uns doch einfach mal probieren. Was meinst du? Wenn es nach drei Wochen nicht klappt, sage ich nie mehr was, okay?“
Sina strich ihm wieder über die Wange und grinste. „Du kannst es wohl nie lassen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal auf einen so hartnäckigen Mann abfahren würde.“ Sie machte sich auf den Weg zur Tür.
„Tja, muss wohl mein besonderer Offenbacher Charme sein“, rief er ihr nach. „Also was ist jetzt?“
Aber da hörte er schon die Haustür zufallen.
Die Kamera erfasste das maskenhaft wirkende Gesicht. Leblose Augen starrten ins Objektiv, dann schwenkte das Bild um 180 Grad auf den Main und wandelte sich innerhalb weniger Sekunden zu einer Idylle, die trügerischer nicht sein konnte. Die Sonne spiegelte sich im dunklen Wasser und ein Schwan zog majestätisch seine Kreise.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und kam ins Grübeln. Sie waren selbst schuld. Warum hatten sie sich nicht an die einfachsten Regeln gehalten? Jetzt musste er diese Fehltritte reglementieren.
Ein leicht unangenehmer Geruch im Raum wurde überlagert von einem billig riechenden Parfum. Eine Fliege setzte sich mitten auf die Stirn des Mädchens, aber es reagierte nicht. Ihr Blick ging ins Leere.
Das Haus war umgeben von hohen Tannen, die das Mondlicht kaum durchdringen konnte. Ein leichter Wind sorgte dafür, dass sich die Äste auf und ab bewegten. Ihre Schatten verliehen dem Schauplatz etwas Gespenstisches. Hessberger und Fröhlich hofften darauf, dass ein Bewegungsmelder die Außenbeleuchtung anschalten würde, doch es blieb dunkel, als sie sich der Eingangstür näherten. Das Haus schien in tiefem Schlaf zu liegen. Die Stille war förmlich greifbar. Sie klingelten mehrmals, doch niemand öffnete.
Es war kein Problem gewesen, den Durchsuchungsbeschluss zu bekommen. Der Tatverdacht beruhte zwar auf anonymen Hinweisen, die vielen Details verrieten jedoch deutliche Insiderkenntnisse. Weitaus schwieriger wäre es, auf die Schnelle einen Schlüsseldienst organisieren zu müssen.
Einige Minuten später standen sie vor der offenen Tür. Sina schaute Adi bewundernd an. „Wie hast du das denn hinbekommen?“
„Einbruchsseminar online“, grinste Hessberger und ging hinein.
Da keiner der Lichtschalter funktionierte, waren ihre Handys die einzigen Lichtquellen. Die beiden begutachteten Raum für Raum, auf der Suche nach Hinweisen und dem Sicherungskasten. Als Hessberger ihn endlich fand und die Sicherungen umlegte, verlor die Umgebung augenblicklich ihre Düsternis. Sie setzten ihre Erkundigungen im Erdgeschoss und der oberen Etage fort, zuletzt blieben nur noch die Kellerräume übrig. Das Treppenlicht spendete nur wenig Helligkeit und je tiefer sie hinabstiegen, desto dunkler wurde es. Sina hielt unwillkürlich den Atem an, als sie die knarrenden Stufen mit den Füßen berührte. Plötzlich standen sie vor einer schweren Metalltür. Adi drückte die Klinke langsam herunter und öffnete sie mit einem quietschenden Geräusch. Ihre Nerven waren aufs Äußerste gespannt. Mit entsicherten Waffen betraten sie vorsichtig den Raum. Sina lief der Schweiß den Rücken hinunter, sie umfasste den Griff ihrer Dienstwaffe fester. Unvermittelt wurden sie von einem Blitz geblendet …
Der Kellerraum war mit einer Alarmanlage gesichert. Das grelle Licht und der betäubende Lärm sorgten dafür, dass die Kommissare einige Minuten brauchten, bis sich ihre Atmung wieder normalisiert hatte.
In dem Raum gab es mehrere Bildschirme und Computer. Überall standen Ordner herum. Auf einem Monitor, der eingeschaltet war, sahen sie ein Mädchen mit langen, blonden Haaren, strahlend blauen Augen und einer sehr guten Figur. Sie war nackt.
Also hatte der Lehrer, dessen Haus sie gerade durchsuchten, gelogen, als er von Verleumdung sprach. Adi hatte dem Mann tatsächlich geglaubt. Er hatte einen ehrlichen Eindruck gemacht. Familienmensch, zwei Kinder, untadeliger sozialer Hintergrund. Was veranlasste einen Menschen nur, solche Dinge zu tun?
Und warum war das Haus leer und verlassen? Wo waren die Frau und die Kinder? Ihr Verdächtiger hatte sich nach seiner Vernehmung aus dem Staub gemacht. Die anonymen Hinweise hatten für eine Festnahme nicht ausgereicht. Jetzt aber hatten sie genug Material, um ihn in Untersuchungshaft zu stecken. Zuallererst mussten sie aber herausfinden, wer das Mädchen war …
Am nächsten Tag standen die Kommissare im Direktorat des Albert-Schweitzer-Gymnasiums. Der Schulleiter wirkte etwas missgelaunt angesichts des Erscheinens der Polizei. Zuerst fing er mit dem Thema Datenschutz an, aber Hessberger ließ ihn gar nicht erst ausreden und zeigte dem verdutzten Rektor kommentarlos die Bilder, die sie am Tag zuvor sichergestellt hatten.
„Wie kommen Sie an solche Bilder? Das ist Steffi Gerber aus der Dreizehn. Ich schau mal nach, in welchem Kurs sie im Augenblick ist. Ja, hier haben wir es schon, Chemie in Raum 202, im zweiten Stock. Könnten Sie vielleicht noch warten, bis der Unterricht zu Ende ist?“
„Nein, das können wir nicht!“, antwortete Hessberger kurz angebunden und schon machten sie sich auf den Weg. Zu Sina gewandt sagte er hinter vorgehaltener Hand: „Ich kann dieses überhebliche Pädagogengetue einfach nicht ab. Das macht mich sofort aggressiv.“
„Wenn du es nicht angesprochen hättest, wäre es mir überhaupt nicht aufgefallen“, entgegnete Sina mit einem frechen Grinsen. Sie kannte Adi einfach zu gut und konnte in ihm lesen wie in einem offenen Buch.
Der Chemielehrer war zum Glück deutlich aufgeschlossener als der Herr Rektor. „Steffi ist heute nicht zum Unterricht erschienen. Das kam allerdings schon häufiger vor. Die junge Dame hat zwar vielfältige Interessen, Chemie gehört jedoch sicher nicht dazu.“
Im Sekretariat erhielten sie ohne Umschweife die Adresse der Schülerin. Steffi Gerber wohnte nicht weit von der Schule auf dem Gelände des alten Schlachthofs, eines der schönsten Gebäude, die Offenbach zu bieten hatte. Schon von Weitem konnten sie das Wahrzeichen, den ehemaligen Uhr- und Wasserturm, erkennen. Hessberger war immer wieder begeistert, wenn er vor den imposanten Backsteinfassaden stand. Er hätte sich sehr gut vorstellen können, in diesem Areal zu wohnen, doch die Mietpreise waren ihm einfach zu hoch.
Sie klingelten mehrfach, doch niemand schien zu Hause zu sein. So machten sie sich unverrichteter Dinge wieder auf den Weg ins Polizeipräsidium Südosthessen.
Rüdiger Salzmann erwartete sie sehnsüchtig, denn im Präsidium ging es drunter und drüber. Die Telefone klingelten in einem fort, und das bei einer äußerst dünnen Personaldecke. Durch einen Serienkiller waren die Mitarbeiter von Hessbergers Abteilung deutlich dezimiert worden, das machte sich jetzt bemerkbar. Zum Glück hatte ihnen die obere Etage für den nächsten Tag einen neuen Kollegen zugesagt. Auch ein neuer Gerichtsmediziner sollte im Laufe der kommenden Wochen seinen Dienst antreten.
Im Besprechungsraum fasste Rüdiger den Status quo des vorliegenden Falls zusammen.
„Klaus Zenker, Lehrer an der Albert-Schweitzer-Schule, wurde anonym beschuldigt, seine Schülerinnen sexuell zu belästigen und zu stalken. Bei der Vernehmung hat er uns glaubhaft versichert, diese Aussage entbehre jeglicher Grundlage. Und ganz ehrlich, ich hab’s ihm abgekauft. Nachdem er seine Aussage gemacht hatte, ließen wir ihn laufen, es gab keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Ein paar Stunden später gab es einen weiteren anonymen Hinweis, im Haus des Lehrers befände sich umfangreiches Beweismaterial. Das Haus habt ihr dann leer vorgefunden. Bis auf den Keller, der mit einer Alarmanlage gesichert war. Dort fand sich ein Laptop mit Bildern der verschwundenen Schülerin. Es handelte sich dabei um professionell aufgenommene Erotik- beziehungsweise Nacktaufnahmen. Damit ist schon mal klar, dass der anonyme Hinweisgeber recht hatte und Klaus Zenker uns angelogen hat. Jetzt sind beide verschwunden, Schülerin und Lehrer.“
„Danke für die treffende Zusammenfassung, Rüdiger“, sagte Hessberger. „Sobald der neue Kollege eintrifft, werden wir uns aufteilen. Zuerst befragen wir die Nachbarn von Steffi Gerber und Klaus Zenker. Sollten wir ihn in den nächsten zwei Tagen nicht finden, schreiben wir ihn zur Fahndung aus. Obwohl ich das nur ungern tue, denn wenn wir offiziell gegen ihn vorgehen und am Ende ist er vielleicht doch nicht schuldig, wird er den Makel nie wieder los.“
Die Luft im Raum war stickig und abgestanden. An der gegenüberliegenden Wand zeichnete sich sein Schatten ab, der sich unruhig hin- und herbewegte. Immer wieder murmelte er vor sich hin: „Selbst schuld, warum konnten sie auch nicht aufhören?“ Sie würden schon sehen, was sie davon hatten …
Als Adi den Telefonhörer auflegte, schaute er Sina mit betrübten Augen an. „Es gibt Arbeit. Wir müssen zu einem neuen Tatort.“
Eine Viertelstunde später kamen sie im Leonhard-Eißnert-Park an. Adi verschaffte sich erst einmal einen groben Überblick. Die Wege des beliebten Kletter- und Freizeitparks waren vorschriftsmäßig mit rot-weißen Plastikbändern abgesperrt. Alles wirkte ein wenig trist, die Bäume waren kahl, das welke Gras grau, die Luft dunstig. Die großen Wasserfontänen, im Sommer eine Attraktion des Geländes, waren abgestellt. Der Park und das Verkehrserziehungsgelände, auf dem Hessberger vor vielen Jahren seinen Fahrrad-Führerschein gemacht hatte, waren menschenleer, nur die Kollegen der Spurensicherung zeigten Fleiß bei der Arbeit.
„Na Jungs, was haben wir hier?“
„Ein Spaziergänger hat die Polizei benachrichtigt, weil eine Joggerin bewusstlos im Wald lag. Leider konnten wir sie nicht vernehmen, denn der herbeigerufene Rettungswagen hat sie sofort mit ins Krankenhaus genommen. Aber deswegen haben wir euch nicht gerufen. Zuerst dachten wir tatsächlich, es handelt sich nur um eine verunglückte Person, aber dann haben wir das hier gesehen.“ Er zeigte auf eine riesige Eiche. Einen halben Meter über dem Boden baumelte ein männlicher Körper.
Die Kommissare fuhren ins Ketteler-Krankenhaus, um die Aussage der Joggerin aufzunehmen. Adi wusste aus langjähriger Erfahrung, dass es wichtig war, die Zeugen so schnell wie möglich zu vernehmen.
„Ich fühle mich total unwohl in Krankenhäusern. In der Luft liegt immer ein Hauch von Desinfektionsmitteln, diesen Geruch hasse ich wie die Pest. Findest du nicht auch, dass Krankenhäuser das Gefühl von Siechtum und Tod verströmen?“ Ohne eine Antwort von Sina abzuwarten, ging Adi weiter. Sie fuhren mit dem Aufzug in den dritten Stock und ließen sich dort von einer Schwester das richtige Zimmer zeigen. Der Raum, den sie betraten, erwies sich als großzügiges, lichterfülltes Zimmer.
Die Frau lag direkt am Fenster. In ihrem Gesicht spiegelte sich Angst, ja Panik wider, zumindest war das Adis Eindruck. Die verlaufene Schminke verlieh ihr einen maskenhaften Ausdruck und unter der großen Bettdecke wirkte sie seltsam verloren.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte er ohne Umschweife. „Sind Sie in der Lage, uns zu erzählen, was genau passiert ist?“
Wie geistesabwesend begann sie zu erzählen. Es schien, als spiele sie die Szene nach, denn sie redete, als würde sich das Ganze gerade ereignen.
„Ich jogge durch den Park, wie jeden Morgen. Ich laufe am Verkehrserziehungsgelände vorbei. Es ist ganz friedlich und still, weil es noch so früh ist. Der Mond leuchtet nur schwach durch die großen Laubbäume. Der Park liegt in einem tiefen Schlaf. Es ist neblig und kein Geräusch ist zu hören. Doch da ist plötzlich was. Ein leises Knarren, kaum hörbar, das mich stört und nicht in diesen Morgen passt. Aber ich bin in meine Gedanken vertieft. Mein Freund und ich wollen bald heiraten. Was da alles zu erledigen ist, das geht mir nicht aus dem Kopf. Auch beim Joggen. Ganz plötzlich merke ich, dass was nicht stimmt, aber da ist es schon zu spät. Da hängt jemand und ich renne voll in ihn hinein. Gegen eine Leiche! So ein grauenvoller Anblick! Ich fange an zu zittern. Am ganzen Körper. Will schreien. Aber … aber es kommt kein Ton über meine Lippen.“
Kaum hatte sie ihre Erzählung beendet, brach sie in Tränen aus. Der herbeigeeilte Arzt versuchte, sie zu beruhigen, und bat die Beamten zu gehen. Sie verabschiedeten sich, denn mehr würden sie im Augenblick wahrscheinlich sowieso nicht erfahren. Warum sollten sie die Frau weiter quälen?
Als die beiden das Präsidium betraten, kam gerade Rüdiger Salzmann um die Ecke. „Und? Habt ihr schon eine Vermutung, was passiert sein könnte?“
„Das nicht, aber ich habe eine Überraschung für dich: Bei dem Toten im Park handelt es sich um den verschwundenen Klaus Zenker, unseren verdächtigen Lehrer“, unterrichtete Adi den Kollegen. „Die Spusi hat bei dem Toten seine Brieftasche mit seinem Pass gefunden. Deshalb haben wir ihn auch nicht zu Hause angetroffen. Die arme Joggerin ist direkt in ihn reingerannt und hat dabei den Schock ihres Lebens bekommen. Jetzt warten wir auf die Ergebnisse der Gerichtsmedizin, ob es ein Suizid war oder ob eventuell Fremdverschulden vorliegt.“
Rüdiger nickte beifällig. „Der Lehrer ist schuldig und jetzt hat er aus Angst vor der Strafe die Konsequenzen gezogen und sich aufgehängt. Somit müssen wir nur noch das Mädchen finden und der Fall ist gelöst. Das nenne ich mal schnelle und effektive Polizeiarbeit.“
Inzwischen hatten Adi und Sina die Joggerin ein weiteres Mal vernommen. Durch ihre Aussage konnten sie den möglichen Todeszeitpunkt genauer eingrenzen und sie konnten ausschließen, dass die Joggerin mit dem Tod des Lehrers in irgendeiner Verbindung stand.
Eine junge Beamtin informierte Hessberger, dass sich eine Frau Zenker am Empfang gemeldet hätte. „Ich habe sie in den Vernehmungsraum gesetzt. Und eine Kanne Kaffee steht auch schon bereit.“
Als Hessberger den Raum betrat, blickte ihn ein Augenpaar angstvoll an. „Was ist mit meinem Mann los?“, brach es ohne weitere Einleitung aus ihr heraus. „Er hat garantiert nichts mit der Sache zu tun, wegen der Sie ihn beschuldigen. Gestern Nachmittag bat er mich, mit den Kindern zu meinen Eltern zu fahren, aber ich konnte nicht dort bleiben. Als ich heute Morgen zurückkam, sagte mir eine Nachbarin, dass sie gestern die Polizei bei uns gesehen hätte. Und mein Mann ist spurlos verschwunden. An sein Handy geht er auch nicht.“
Hessberger schluckte. Das waren genau die Momente, die er überhaupt nicht mochte.
„Leider muss ich Ihnen mitteilen“, setzte er sachte und mit warmer Stimme an, „dass Ihr Mann tot ist. Wahrscheinlich hat er sich in der Nacht das Leben genommen. Es tut mir wirklich sehr leid, Frau Zenker.“
„Was?“ Die Frau starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
„Wo? Wo ist er gefunden worden?“
„Im Leonhard-Eißnert-Park. Eine Joggerin hat ihn heute Morgen gefunden.“
Frau Zenker schlug die Hände vor ihr Gesicht. Schluchzen schüttelte ihren Körper. Plötzlich sprang sie auf.
„Das ist alles Ihre Schuld!“, schrie sie Adi ins Gesicht. „Wenn Sie ihn nicht beschuldigt hätten, wäre es niemals dazu gekommen!“ Tränen liefen ihre Wangen herunter. Grußlos verließ sie den Raum und schlug die Tür mit großer Wucht hinter sich zu.
„Was war denn das für ein Auftritt?“, fragte Salzmann, der sie gerade noch um die Ecke laufen sah. „Die hat man ja durch das ganze Revier schreien hören. Wahrscheinlich war es der Schmerz über den Tod ihres Mannes. Aber vielleicht auch die Erkenntnis, dass er ein ganz anderer Mensch war als der, für den er sich ausgegeben hat.“
Adi schüttelte den Kopf. „Nein, Rüdiger, ich glaube immer noch, dass du falsch liegst. Unsere Ermittlungen sollten jetzt nicht einseitig laufen, nur weil du glaubst, der Fall sei schon gelöst.“
Salzmann sah ihn fassungslos an. „Dir ist einfach nicht zu helfen. Kannst du dich nicht mal freuen, dass es auch unkomplizierte Fälle gibt?“ Er machte eine wegwerfende Geste und ließ Hessberger stehen.
Zu gerne hätte Adi ihm zugestimmt, aber irgendwie konnte er nicht an die Schuld des Lehrers glauben. Kopfschüttelnd ging er zurück an seinen Arbeitsplatz.
Mittags saßen Sina Fröhlich und Adi Hessberger am einzigen Tisch im kahlen, grauen Vernehmungsraum. Ihnen gegenüber hatte Rainer Schumann Platz genommen. Dem Abteilungsleiter einer Bank wurde vorgeworfen, mehrere Millionen Euro veruntreut zu haben, indem er das Geld von verschiedenen Konten auf sein privates Konto umgeleitet hatte.
Normalerweise waren sie nicht für diese Art von Verbrechen zuständig, doch Hessberger hatte sich mit einem Kollegen aus einem anderen Kommissariat über aktuelle Fälle ausgetauscht. Dabei hatte der Kollege ihn um Hilfe gebeten. Sie kamen mit dem Verdächtigen keinen Schritt weiter, obwohl die Beweise gegen ihn erdrückend waren. Deshalb sollte Adis Abteilung dem Beschuldigten noch mal auf den Zahn fühlen. Schumann hatte immer wieder beteuert, unschuldig zu sein und nichts mit der Veruntreuung zu tun zu haben.
Adi übernahm sofort die Gesprächsführung. „Herr Schumann, erzählen Sie bitte die Geschichte aus Ihrer Sicht noch einmal von Anfang an. Wenn Sie wollen, dass wir Ihnen helfen, brauchen wir jede noch so kleine Information.“
Zunächst stotterte Schumann ein wenig, aber dann fing er sich. „Ich saß an meinem Schreibtisch und prüfte die Abrechnungen des Tages. Als Abteilungsleiter einer mittelständischen Bank gehört das Controlling zu meinen Hauptaufgaben. Dann kam dieser Anruf. Sie glauben nicht, wie oft ich meiner Assistentin schon gesagt habe, dass ich bei so komplexen Sachen nicht gestört werden will. Zwecklos! Ich schaute aufs Display. Oberster Stock! Vorstand! Wenn die sich mal dazu herablassen, unten bei uns anzurufen, dann muss es wirklich wichtig sein. Ich ging ran und wurde hinaufzitiert. Unverzüglich! Ei, ei, ei, das musste ja ganz dringend sein. Ich fuhr also mit einem flauen Gefühl im Magen mit dem Fahrstuhl bis in den 13. Stock, und als ich nach einem kurzen Klopfen den Raum betrat, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Dr. Schröder begrüßte mich mit eisiger Miene. ‚Sie wissen, warum Sie hier sind, Schumann?‘, raunzte er mich an. Ich war nur in der Lage, den Kopf zu schütteln. ,Haben Sie geerbt, oder wie sind Sie sonst zu so viel Geld gekommen?‘, fragte er mich. Ich sagte: ‚Ich weiß nicht, was Sie meinen. Auf meinem Konto geht doch nur das monatliche Gehalt ein, und das war‘s.‘ Wortlos reichte mir Schröder einen Auszug. Das war zweifelsohne mein Konto. Der Name und die Kontonummer stimmten überein, auch die letzten Abbuchungen. Aber als ich den Habensaldo sah, verschwammen mir auf einmal die Zahlen vor den Augen. Ich spürte, wie mir fürchterlich schlecht wurde, meine Beine knickten weg und dann verlor ich komplett die Fassung.“
„Und Sie können sich wirklich nicht erklären, wie das Geld auf Ihr Konto gekommen ist?“ Adi Hessberger schüttelte ungläubig den Kopf.
„Herr Schumann“, schaltete sich Sina Fröhlich ein. „Es ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass der Bank ein paar Millionen Euro fehlen und der Gesamtbetrag des verschwundenen Geldes sich auf Ihrem privaten Konto wiederfindet. Als Vertrauensperson des Bankvorstands haben Sie die Vollmachten und vor allem die Möglichkeiten, solche Transaktionen durchzuführen. Damit handelt es sich um Untreue nach § 266 StGB: Wer die ihm eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Dazu müssen Sie sich noch nicht einmal bereichert haben. Die Strafandrohung gilt übrigens für jede einzelne Ihrer Transaktionen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir auf Ihrem privaten Laufwerk Abrechnungen von Pferdewetten, Online-Poker und weiteren Glücksspielen gefunden haben. Das deutet unserer Meinung nach darauf hin, dass es eventuell Spielschulden gibt, die Sie nicht ausgleichen können.“
Trotz Sinas anklagender Worte blieb Schumann ruhig. „Glauben Sie tatsächlich, dass ich es schaffe, unbemerkt Gelder von verschiedenen Konten zu transferieren und im Anschluss so bescheuert bin, das Geld auf mein eigenes Girokonto zu überweisen? Außerdem mache ich mir überhaupt nichts aus Glückspielen. Ich spiele noch nicht einmal Lotto. Das Einzige, was ich mit Spielen zu tun habe, sind die Spiele des OFC. Die schaue ich mir live oder im Internet an.“
„Lasst uns beim Essen weitermachen!“, schlug Adi den Kollegen vor. „Wollen wir auf einen Happen in die Käsmühl gehen? Ich hätte richtig Lust auf einen Wirtshaus-Fladen, was meint ihr?“
Als sie dort ankamen, erwischten sie nur mit Glück noch einen freien Tisch. Während des Essens diskutierten sie erneut über den Lehrer, der nicht wirklich dem Bild eines Verbrechers entsprach.