Haftbefehl - Thorsten Fiedler - E-Book

Haftbefehl E-Book

Thorsten Fiedler

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Beschreibung

Während Schülerinnen und Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums begeistert einem Vortrag über den Offenbacher Rapper Haftbefehl lauschen, stellt ein Ereignis das Leben der Jugendlichen auf den Kopf. Nach einem missglückten Drogendeal und einer Schießerei flüchten mehrere Täter in die vollbesetzte Turnhalle. Wird es dem Team um Adi Hessberger und Sina Fröhlich gelingen, die Teenager mit ihren Betreuern zu retten? Welche Rolle spielen Haftbefehl und der OFC-Profi Maik Vetter? Sina und Adi geraten in lebensgefährliche Situationen, weil der "Kanun" Blutrache fordert, zusätzlich stehen sie im Fokus interner Ermittler. Ein perfides Katz-und-Maus-Spiel nimmt seinen Lauf. Autor Thorsten Fiedler schafft es auch in seinem vierten Krimi, Realität und Fiktion so geschickt einzusetzen, dass man als Leser glaubt, live dabei zu sein. Dieser Kriminalfall bringt die Kommissare Fröhlich und Hessberger weit über alle Belastungsgrenzen hinaus und die Ereignisse rund um den Bieberer Berg gewinnen eine Eigendynamik, die nicht mehr aufzuhalten ist.

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eISBN 978-3-948987-55-8

Copyright © 2022 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Together Concept, Stephan Striewisch

Bildrechte: Thorsten Fiedler

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de

Thorsten Fiedler

Haftbefehl

Offenbach-Krimi

Inhalt

PROLOG

27.02.2022, Testzentrum Offenbach-Bieber

28.02.2022, SANA Klinikum, Offenbach

11.03.2022, Offenbach, Hafen

11.03.2022, Albert-Schweitzer-Gymnasium, etwa zur gleichen Zeit

Fast wie im Song „Wo ich herkomm“

11.03.2022, 19.30 Uhr, SANA Klinikum

12.03.2022, 11.15 Uhr, Stadion Bieberer Berg

13.03.2022, Friedberg

13.03.2022, Friedberg-Dorheim, gegen 20.00 Uhr

14.03.2022, Albert-Schweitzer-Gymnasium

13.03.2022, Rückblick

13.03.2022, Rückblick

14.03.2022, Albert-Schweitzer-Gymnasium

15.03.2022, Polizeipräsidium Südosthessen

16.03.2022, Offenbach-Tempelsee

16.03.2022, Offenbach, am Bembelboot

18.03.2022, Offenbach, Polizeipräsidium

18.03.2022, SANA Klinikum, 20.30 Uhr

19.03.2022, Hessbergers Wohnung

20.03.2022, Hessbergers Wohnung, 14.00 Uhr

Wer Blut nimmt, muss Blut geben

20.03.2022, Waldstück Gemarkung Bieber, 23.40 Uhr

20.03.2022, Waldstück Gemarkung Bieber, 02.30 Uhr

21.03.2022, SANA Klinikum, Montagfrüh

21.03.2022, Polizeipräsidium Südosthessen

22.03.2022, Büro des Polizeipräsidenten

23.03.2022, Stauffenbergstraße

23.03.2022, Fan-Shop von Kickers Offenbach

24.03.2022, Polizeipräsidium Südosthessen

25.03.2022, Stauffenbergstraße

26.03.2022, Wetterpark Offenbach

30.03.2022, Polizeipräsidium Südosthessen

EPILOG

21.05.2022, Hessenpokal, Steinbach – OFC

DANK

Der Autor

Das Buch

Die Turnhalle des Albert-Schweitzer-Gymnasiums wandelt sich innerhalb von Sekunden von einem Ort der Begegnung zum Schauplatz einer brutalen Geiselnahme. Mitten im Geschehen finden sich ein bekannter Offenbacher Rapper und Fußballprofi Maik Vetter. In Zusammenarbeit mit dem SEK versuchen Adi Hessberger und sein Team, die Geiseln zu befreien.

Währenddessen kocht der Bieberer Berg. Der ungeliebte Fußballverband hat einer Spielverlegung gegen Mainz 05 nicht zugestimmt, obwohl sich ein Spieler des OFC in der Hand von Geiselnehmern befindet. Die Schmähgesänge der Fangemeinde sind in der ganzen Stadt zu hören.

Als ob das alles noch nicht genug wäre, stehen Sina und Adi, die inzwischen privat ein Paar sind, im Fokus der internen Ermittlung und dabei kommt es zum Eklat, weil Hessberger ausrastet.

Düstere Wolken ziehen über dem Bieberer Berg, dem Polizeipräsidium Südosthessen und Adi Hessbergers Team auf. Können die Geiseln befreit werden? Was geschieht mit Haftbefehl und Maik Vetter? Wird die interne Ermittlung die Karriere des besten Ermittlers im Rhein-Main-Gebiet beenden? Eine Frage, die bedeutungslos wird, denn Sina und Adi, die im Fadenkreuz einer Blutfehde stehen, geraten in einen Kampf auf Leben und Tod.

Das Verbrechen ist allgegenwärtig. Manchmal lauert es in versteckten Räumen oder in modrigen Kellern. Auch in dunklen Ecken oder alten Bunkern geschehen schreckliche Dinge. Das Schlimmste daran: Du kannst ihm nicht entkommen.

Es findet dich! Im Hellen oder in der Finsternis, auf der Straße oder in deinem Haus. Du möchtest deine Lieben beschützen, aber du kannst nicht überall sein.

Doch es gibt sichere Orte, wie zum Beispiel deinen Arbeitsplatz, die Öffentlichkeit, ein Polizeirevier oder die Schule. Tatsächlich? Bist du dir da sicher, wirklich ganz sicher? Denn manchmal schlägt das Schicksal dort zu, wo du es niemals vermutet hättest.

SEI WACHSAM!

PROLOG

Der schwarze SUV mit seinen verdunkelten Scheiben schien direkt aus dem Nichts aufzutauchen. Die Scheinwerfer durchdrangen Dunkelheit und Nebel und verursachten ein gespenstisches Licht. Die Friedhofstraße, die nur einige Meter vom Mainufer entfernt lag, war menschenleer. Plötzlich öffnete sich die hintere Tür des Wagens und ein Körper wurde aus dem fahrenden Auto geworfen. So schnell, wie das Fahrzeug aufgetaucht war, verschluckte die Düsternis es wieder.

27.02.2022, Testzentrum Offenbach-Bieber

Die Kopfschmerzen waren kaum auszuhalten. Er spürte die geballte Last seiner vierzig Jahre, während er mitten im Matsch vor dem Testzentrum am Bieberer Berg stand. Noch genau zwei Monate dauerte es bis zu seinem einundvierzigsten Geburtstag. Voll krass. Obwohl die Sonne schon wärmte, war das komplette Gelände von Schlamm und Pfützen übersät. Ein toller Treffpunkt vor dem richtungweisenden Spiel gegen die Mannschaft von Hessen Kassel. Gestern hatte er das Fanmuseum besucht und mit dem Team von Thorsten Franke den einen oder anderen Glühwein getrunken. Jetzt brummte ihm der Schädel. Vielleicht waren es auch die Nachwirkungen seiner Booster-Impfung vom Vortag. Der Arzt hatte ihm ohne Narkose die Spritze in den Arm gejagt. Die Nadel hatte auf den ersten Blick so imposant gewirkt, dass Adi Hessberger sicher war, die Einstichstelle müsse genäht werden. Aber jetzt galt es, sich auf das heutige Spiel zu konzentrieren.

Ein paar Stunden später stand ein unglücklicher Kriminalhauptkommissar in der Eckkneipe „Zum Bieberer Berg“ und trauerte mit der Wirtin Elke den vergebenen Chancen hinterher. Schon in den ersten Minuten hätte der OFC alles klarmachen können oder besser gesagt müssen. Selbst die besten Gelegenheiten wurden ausgelassen. Im Prinzip war der Boden für ein großartiges Spiel bereitet, da einige Konkurrenten um den Aufstieg am Vortag gepatzt hatten. Kassel verteidigte mit Glück, Geschick und etlichen vom Schiedsrichter nicht geahndeten Fouls. Der Unparteiische machte seinem Namen keine Ehre. Offenbar hatte er sich dazu entschieden, den Gegner zu unterstützen, so gut er konnte. In einem von Adis früheren Fällen hatte ein Serienmörder sich auf Schiris spezialisiert. Adi meinte trocken: „Wahrscheinlich hätte der Mann mit der Pfeife gut in das damalige Opferprofil gepasst.“ Am Ende kam es noch schlimmer, als die Kasselaner eine ihrer wenigen Gelegenheiten zum Siegtreffer nutzten. In der 94. Minute verletzte sich auch noch Torhüter Stefan Flauder schwer. Bei einem Zusammenprall brach er sich Schien- und Wadenbein. Die Sanitäter trugen ihn vom Platz und es ging mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Adi hatte anschließend zwar keine Kopfschmerzen mehr, dafür herrschten Frustration und Ernüchterung. Der langersehnte Aufstieg war in weite Ferne gerückt.

Als am nächsten Morgen um 6 Uhr der Wecker klingelte, wollte Adi nicht wahrhaben, dass die Nacht schon vorbei war. Sina schaute ihn lächelnd an und wirkte taufrisch, als sie ihm ins Ohr flüsterte: „Na, hat das Spiel ein bisschen länger gedauert? Bis Mitternacht konnte ich mich wachhalten, aber du weißt ja, ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Der hätte dir auch nicht geschadet!“

Hessberger wollte gar nicht wissen, wie sein Spiegelbild heute aussah, dahingehend hatte er die schlimmsten Befürchtungen. Auf einmal schrillte es laut und unangenehm in seinem Kopf. Sein Handy hatte angefangen zu läuten.

28.02.2022, SANA Klinikum, Offenbach

In der ganzen Stadt gab es nirgendwo Spuren von Rosenmontagsstimmung. Die lang anhaltende Pandemie hatte die Menschen fest im Griff, sie waren zermürbt. Inzwischen wurden die Regeln überall gelockert, was jedoch seltsam anmutete. Noch vor einem Jahr hatte man bei Inzidenzzahlen von 35 pro 100.000 Einwohner viele Einrichtungen geschlossen. Jetzt lagen die Zahlen bei über 1.000 und die Einschränkungen fielen. Zum Corona-Blues kamen die schrecklichen Nachrichten aus Russland und der Ukraine hinzu und schürten die Angst vor einem sich ausweitenden Krieg. So fuhren Sina und Adi auf einer fast gespenstisch leeren Sprendlinger Landstraße.

Hassan Salim war ein alter Bekannter von Adi. Die Bilderbuchkarriere des Mannes füllte mehrere Ordner des Polizeipräsidiums Südosthessen. Seit einigen Monaten arbeitete er als Vertrauensperson, den Bürgern geläufiger als „Informant“, und wie es schien, hatte jemand davon Wind bekommen. Nur so war es zu erklären, dass Hassan brutal misshandelt aus einem fahrenden Auto geworfen worden war. Seine Nase war gebrochen, die Vorderzähne fehlten, die linke Augenbraue war aufgeplatzt und sein rechtes Bein lag inzwischen in Gips.

„Na, Hassan“, sagte Adi, als er vor dem Krankenbett stand, „da hast du wohl jemandem mächtig auf die Füße getreten?“ Er schaute den kleinen Araber fragend an.

„In Offenbach läuft eine große Sache“, antwortete Hassan. „Da geht es um kiloweise Drogen und ich habe zufällig gehört, wann die Sache über die Bühne geht.“

„Wissen Sie auch, wo der Deal stattfinden soll?“, fragte Sina.

Hassan würdigte sie keines Blickes und schaute Adi an. „Ich könnte euch hinführen, wenn ich eine anständige Belohnung bekomme.“

Hessberger wollte den Araber wegen seiner Unfreundlichkeit gegenüber Sina erst zurechtweisen, entschied sich dann aber für ein kurzes Nicken.

11.03.2022, Offenbach, Hafen

Wenn Adi dem arabischen Informanten Glauben schenken konnte, sollte heute Vormittag der Drogendeal über die Bühne gehen. Das komplette Team – Sina Fröhlich, Lars Mühlbauer, Rüdiger Salzmann und Adi Hessberger – hatte sich zwischen einigen Baucontainern ungefähr 200 Meter vom blauen Kran entfernt postiert. Es war verwunderlich, dass eine Übergabe dieses Ausmaßes bei Tageslicht und in einer derart frequentierten Gegend geplant worden war.

Sie warteten jetzt schon über eine Stunde, ohne dass es irgendwelche Vorkommnisse gegeben hätte. Gerade als Hessberger sich unfreundlich über seinen unzuverlässigen Informanten äußern wollte, kam Bewegung in die Szenerie. Ein großer Lieferwagen näherte sich wie in Zeitlupe. Gleichzeitig tauchten mehrere Männer auf, die alle ähnlich gekleidet waren. Kapuzenpullis, die die Köpfe bedeckten, Jeans, Turnschuhe. Zudem hatten alle Masken vor dem Gesicht. Auf die Entfernung konnte Hessbergers Team keinen Einzigen aus der Gruppe erkennen. Der Fahrer des Lieferwagens öffnete die Hecktür und sie sahen, dass in dem Wagen eine Vielzahl Kisten gestapelt war. Jetzt wurde der Autoschlüssel zusammen mit einer großen Reisetasche ausgetauscht. Genau in diesem Moment rannten Hessberger und seine Kollegen mit gezogener Waffe los. Kaum hatte er „Polizei, stehen bleiben!“ über die Lippen gebracht, eröffneten die Dealer das Feuer. Die Kugeln flogen ihnen um die Ohren und die Beamten stellten fest, dass einige der Täter anscheinend mit Schnellfeuerwaffen ausgerüstet waren. Der Lieferwagen setzte sich in Bewegung und Adi war froh, dass der zweite Ring ihres Einsatzkommandos den Wagen sicher aufhalten würde. Beim Aufprall auf die Container verursachten die Kugeln und Querschläger eine infernalische Geräuschkulisse, sodass es Adi kaum möglich war, sich mit seinen Kollegen zu verständigen. Er nahm einen der Verbrecher ins Visier, um ihn mit einem Schuss ins Bein unschädlich zu machen, da sprang der Mann plötzlich nach vorne und die Kugel traf die Mitte seines Körpers. Rüdiger Salzmann konnte einen zweiten Dealer außer Gefecht setzen, als neben ihnen ein Schmerzensschrei ertönte. Lars Mühlbauer lag auf dem Boden und presste seine Hände auf seinen Oberkörper. Hessberger sprang auf und zog den Kollegen in Deckung. Diesen Augenblick nutzten die restlichen Maskenmänner zur Flucht. Sie würden wahrscheinlich nicht weit kommen, denn an den Maintreppen warteten die Kollegen auf sie.

Lars Mühlbauer war kreidebleich. Obwohl die schusssichere Weste ihm das Leben gerettet hatte, fühlte er sich wie von einem Rammbock getroffen. Sina schaute inzwischen nach den verletzten Drogendealern: Rüdiger Salzmann hatte sein Gegenüber mitten ins Herz getroffen, dem zweiten hatte Adi einen Bauchschuss verpasst. Sie hofften, dass der Mann überleben würde, damit sie von ihm Informationen über die restliche Gang erhalten konnten.

Währenddessen verfolgten die Kollegen die Flüchtigen, die mit dem Lieferwagen in Richtung Stadtmitte unterwegs waren. Inzwischen wussten die Beamten, dass das Fahrzeug gestohlen gemeldet war. Ohne auf rote Ampeln oder Fußgänger zu achten, raste der Wagen in die Mainstraße, bog rechts ab, schoss über die Berliner Straße und fuhr anschließend mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit in die Waldstraße.

Einige hundert Meter weiter überquerte eine Frau mit Kinderwagen bei Grün die Straße. Sie hatte Kopfhörer auf und konnte deshalb den auf sie zu rasenden Wagen nicht hören. Als sie die Hälfte der Fahrbahn überquert hatte, war das Auto nur noch wenige Meter entfernt. Auf der anderen Straßenseite schrie ein Ehepaar und gestikulierte wild, um die Frau zu warnen. Doch sie war tief in Gedanken versunken und ahnte nichts von der Gefahr.

11.03.2022, Albert-Schweitzer-Gymnasium, etwa zur gleichen Zeit

Das war mal etwas anderes als der ewig langweilige Unterrichtsstoff. Heute standen Geschichten aus dem Leben zweier Promis auf dem Lehrplan. Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Klassen und Stufen waren in der Turnhalle versammelt und warteten gespannt, wer zu Besuch kommen würde. Lehrerin Elena Wilde hatte ein Geheimnis daraus gemacht, welche beiden Offenbacher Persönlichkeiten sie in die Schule eingeladen hatte.

Von dem einen Besucher war sie ein großer Fan: Es war der OFC-Spieler Maik Vetter. Der Publikumsliebling des Regionalligisten plagte sich derzeit mit einer Verletzung und konnte seine Mannschaft nur durch Anfeuern bei den Spielen unterstützen. Er war zum Auskurieren verdammt und danach wartete ein hartes Aufbautraining auf ihn.

Maik Vetter hatte es sichtlich schwer, die Jugendlichen in seinen Bann zu ziehen, als er über seine sportlichen Erfolge, das tägliche Training, die Entbehrungen und den Umgang mit teilweise heftiger Kritik berichtete. „Fußball löst bei den Spielern, vor allem jedoch bei den Fans sehr starke Emotionen aus, die von der einen zur anderen Minute ins krasse Gegenteil umschlagen können. Ihr könnt euch vorstellen, dass kein Spieler absichtlich über den Ball tritt, am Tor vorbeischießt oder einen Fehlpass spielt. Dann muss man auf einmal mit der Wut über die eigene Dummheit und den Pfiffen der Zuschauer umgehen. Aber ihr solltet euch immer vor Augen halten, dass die Zuschauer nicht den einzelnen Spieler beschimpfen, sondern die Situation, den Fehlschuss oder die Niederlage.“

Unter den Jugendlichen gab es kaum jemanden, der sich für Fußball interessierte. Bis auf einige OFC-Fans schauten sie auf ihre Handys, während Vetter sich mit Elena Wilde die Bälle zuspielte. Doch Vetter ließ sich nicht beirren: „So verhält es sich auch im Unterricht. Die Lehrer kritisieren euch, dass ihr zu wenig lernt, dass ihr nicht aufpasst, dass ihr nicht mitkommt. Aber sie kritisieren euch nicht als Menschen, nicht eure Persönlichkeit. Also nehmt Kritik als Ansporn, um besser zu werden. Egal ob Lernen oder Training, je mehr Energie ihr entwickelt, umso besser werdet ihr.“ Die Kids klatschten höflich.

Frau Wilde eröffnete die Fragerunde und die Kids gaben nun Gas: „Wie kann ich Profifußballer werden?“, „Was verdienst du?“, „Wie viele Stunden trainiert man am Tag?“, „Was treibst du zwischen den Spielen?“, „Wieso spielt der OFC nicht in der Bundesliga?“

Geduldig beantwortete Maik eine Frage nach der anderen. Als er schon die Bühne verlassen wollte, meldete sich noch ein Schüler: „Steigen die Kickers diese Saison endlich auf?“

„Logo, nächstes Jahr spielen wir in der dritten Liga und ich hoffe, ihr kommt dann auf den Bersch und feuert mich an!“

Maik Vetter verabschiedete sich und erhielt jetzt doch tosenden Beifall. Er schien bei den Kids mit seiner Ansprache und seinem freundlichen Auftritt einigen Eindruck hinterlassen zu haben.

Als zweiten Promi-Gast begrüßten die Schülerinnen und Schüler einen ehemaligen Häftling. Die Schulleitung hatte lange mit sich gerungen, ob das eine gute Idee sei, vor allem, weil die Wortwahl seiner Texte manchem Lehrer die Schamesröte ins Gesicht trieb. Schlussendlich waren sich aber alle einig, dass die Schüler nur durch authentische Erlebnisse in die richtige Richtung gelenkt werden konnten. Und so sahen die Pädagogen staunend zu, wie im zweiten Teil der Veranstaltung die komplette Mischung aus Mittel- und Oberstufenschülern gebannt darauf wartete, Geschichten über einen Rapper und sein krasses Leben zu hören. Das war schon etwas anderes als Fußball. Er war ihr Idol. Und jetzt sollte er, den sie normalerweise in YouTube-Videos sahen, tatsächlich zu ihnen zu Besuch kommen?

Als ein Mann mit Hoodie die Aula betrat, ging ein Raunen durchs Pennäler-Publikum. Sie konnten sein Gesicht nicht erkennen, weil er es unter der Kapuze verbarg. War er es? War er es wirklich? Der größte Offenbacher, der größte Rapper Deutschlands, ja vielleicht der ganzen Welt? Die Schülerinnen und Schüler tuschelten, holten ihre Handys hervor und machten trotz Verbot Videos und Fotos. Diese einmalige Chance konnten sie sich nicht entgehen lassen. Bis irgendwann Stille einkehrte, weil ein Schüler sich erhoben hatte und zu sprechen begann.

Der Mann mit dem Kapuzenpulli lehnte sich, keine fünf Meter entfernt, an einen Pfeiler und lauschte ihm. Viele der Jungen und Mädchen hatten mitgeholfen, die Informationen über Aykut Anhan, deutschlandweit bekannt unter dem Künstlernamen „Haftbefehl“, zu sammeln. 1985 war er in Offenbach am Main geboren worden. Sein Leben war nicht so verlaufen, wie man es einem Kind wünschen würde. Als er 14 Jahre alt war, nahm sich sein Vater das Leben. Offenbach war ein hartes Pflaster und wenn man sich mit den falschen Jungs herumtrieb, konnten Dinge passieren, die einen jungen Menschen die Kontrolle verlieren ließen. Zu diesem Zeitpunkt kam er erstmals in Kontakt mit Drogen. Er fühlte sich stark und mit dem Drogenkonsum stieg sein Selbstbewusstsein noch weiter. Um dazuzugehören, musste er den starken Mann markieren, und irgendwie passten da Lehrer und Unterricht nicht in den Tagesablauf. Er brach kurzerhand die Schule ab und fühlte sich frei wie ein Vogel. Und so schlidderte er unweigerlich in eine kriminelle Laufbahn. Es begann schleichend, unverfänglich, bis er auf einmal ein waschechter Krimineller war. Finanziell konnte er sich gut über Wasser halten, weil er mit allen möglichen Drogen dealte. Und so kam es zum ersten Knastaufenthalt. Schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren wanderte er in den Jugendarrest. Mit Anfang zwanzig folgten eine Anklage sowie ein Haftbefehl wegen Betrugs. Das war der Zeitpunkt für ihn, sich ins Ausland abzusetzen. Gleichzeitig war es der Beginn seiner Karriere als Rapper. Er schrieb die ersten Raptexte, was sein ganzes bisheriges Leben umkrempelte. Er legte sich einen neuen Namen zu: Haftbefehl. Nur ein paar Jahre später erschien das erste Soloalbum.

Wie hypnotisiert hörten die Schülerinnen und Schüler zu, hingen an den Lippen des Mannes mit dem Kapuzenpulli, der vor sie getreten war und nun selbst begann, aus seinem Leben zu erzählen. Man konnte eine Stecknadel fallen hören.

Während der Mann erzählte, kam Aufruhr in die Turnhalle. Die Schüler stießen sich gegenseitig an, kommentierten den Bericht mit „Ey, krass, Bruder“ oder „Da hast du’s den Opfern aber gezeigt“ und johlten. Andere wollten ungestört zuhören, man hörte „Psst“ und „Halt die Fresse, du Spasti, lass den Mann mal ausreden!“.

Der Mann mit dem Kapuzenpulli grinste und setzte wieder zum Sprechen an, als plötzlich Sirenenlärm die Spannung durchbrach und alle erschreckt aufhorchen ließ.

Der Fahrer des Fluchtwagens fuhr wie von Sinnen, um dem Sirenengeheul in seinem Nacken zu entfliehen. Plötzlich tauchte die Frau mit dem Kinderwagen direkt vor ihm auf.

Er trat mit aller Wucht auf das Bremspedal und das Fahrzeug begann zu schleudern. Unaufhaltsam schob sich das Auto auf die Frau zu. Diese schaute jetzt zur Seite und erstarrte angesichts des sich nähernden Unheils. Wie in Trance stand sie da, als ein junger Mann auf sie zu hechtete und sie mitsamt dem Kinderwagen mit sich riss. Fast hätte er es geschafft, doch mit dem Kotflügel erwischte der Wagen den Mann und schleuderte ihn mehrere Meter durch die Luft. Die umstehenden Passanten schrien auf und schauten fassungslos auf den aufschlagenden Körper. Das Fahrzeug geriet ins Schleudern und krachte in die Mauer, die den Schulhof umgab.

Fast wie im Song „Wo ich herkomm“

Bewaffnete stürmten in die Turnhalle der Schule. Ein Tumult brach aus. Schüsse fielen. Ein Schüler stürzte sich auf den neben ihm stehenden Mann. Mit einem Krachen landete der Gewehrschaft am Kopf des Jungen, der blutüberströmt zusammenbrach. Bevor er das Bewusstsein verlor, fühlte er sich in den Song „Wo ich herkomm“ versetzt, in dem Haftbefehl von Offenbach als 3. Welt sang, in der es kaum mal ein glückliches Ende gab. Alles hier erinnerte ihn daran.

Es herrschte panisches Durcheinander, bis der Anführer der Angreifer mit einer weiteren Salve aus seiner Maschinenpistole die Aufmerksamkeit aller auf sich zog. Plötzlich breitete sich eine beängstigende Stille im Raum aus. Die Schülerinnen und Schüler waren nie zuvor mit einer vergleichbaren Situation konfrontiert worden. Starr vor Angst verharrten sie bewegungslos. Die meisten hörten die folgenden Worte wie durch einen Schleier, da immer noch das Stakkato der Schüsse in ihren Ohren klang. „Wir werden euch alle als Geiseln nehmen. Falls jemand Dummheiten macht, wird er ohne Vorwarnung erschossen.“ Der Mann sprach ein fast akzentfreies Deutsch und seine Stimme ließ erahnen, dass jedes Wort todernst gemeint war. „Und jetzt setzt sich ein Teil von euch dicht an die Eingangstür und der Rest stellt sich vor die Fenster.“

Inzwischen war nicht nur Hessberger mit seinem Team, sondern auch eine komplette Einheit des SEK auf dem Schulhof eingetroffen. Die Szenerie wirkte gespenstisch. Obgleich sich eine Menge Polizisten auf dem Gelände verteilten, war es erschreckend still. Auf den Dächern und Pavillons hatten sich Scharfschützen postiert und warteten auf ihren Einsatz. Die alte Turnhalle, die zu Adis Zeiten noch Aula hieß, verfügte über zwei Eingangstüren, die jeweils zur Hälfte verglast waren. Zusätzlich gab es sechs große und vier kleine Fenster. Im Hof vor den Eingängen standen ein Gerüst und mehrere Bänke.

Adi grüßte Helmut Koch, Leiter des SEK, der sofort die Situation zusammenfasste. „Wir haben es wahrscheinlich mit fünf bis sechs Geiselnehmern zu tun. Sie haben eine große Anzahl Schüler, einige Lehrer, einen OFC-Spieler und eine weitere, nicht bekannte Person in ihre Gewalt gebracht. Alle Geiseln wurden so postiert, dass wir kein freies Schussfeld haben und ein Stürmen der Halle nicht möglich ist. In den nächsten Minuten erhalten wir die Pläne der Schule, mit allen Ausgängen und Kellerräumen.“

„Wer ist der Fußballer?“

„Vetter oder so ähnlich.“

„Scheiße!“

Hessberger war durch die Ereignisse schon mehr als geschockt. Und jetzt befand sich auch noch sein Lieblingskicker Maik Vetter unter den Geiseln. Nachdem er seine Fassung wiedererlangt hatte, wandte er sich an den SEK-Leiter. „Danke für die Zusammenfassung. Bei den Verbrechern handelt es sich um eine Gruppe brutaler Drogendealer, die vor nichts zurückschrecken. Einer der Männer wurde von mir während einer Übergabe angeschossen und liegt schwer verletzt im SANA Klinikum. Die Ermittlungen haben ergeben, dass er das Oberhaupt der Gruppe war. Was schlagen Sie vor, wie wir weiter vorgehen?“

Koch zuckte mit den Schultern. „Wir müssen versuchen, Kontakt aufzunehmen. Wahrscheinlich wollen sie ihren Boss freipressen. Was ist mit den Drogen und dem Geld bei der Übergabe passiert? Habt ihr beides sichergestellt?“ Hessberger nickte.

Die 14-jährige Sandra hatte den Tumult genutzt, um zu entwischen. Trotz ihrer großen Angst bewegten sich ihre Beine fast automatisch, als sie gebückt in Richtung Umkleideräume lief. Einer der Bewaffneten sah, dass das Mädchen sich aus dem Staub machen wollte, und jagte sofort hinter ihr her. Sandra hörte den Verfolger schreien: „Bleib sofort stehen!“

Ihre Furcht trieb sie weiter die Treppe hinauf und sie rannte den Gang entlang. Trotz ihrer Panik nahm sie den an vielen Stellen geflickten Boden wahr. Aus den Augenwinkeln sah sie das Schild A.1.14 und huschte in das offene Klassenzimmer. In dem Raum gab es mehrere Schränke. Sie presste sich in den letzten hinein, schloss die Augen und hielt die Luft an, als könne jeder Atemzug sie verraten.

Die unheimliche Stille wurde durch sich nähernde Schritte durchbrochen. Kalter Schweiß lief ihr den Rücken hinunter und sie glaubte, ersticken zu müssen. Sie wagte nicht, sich auszumalen, was diese Leute wohl mit ihr tun würden. Noch konnte sie nicht genau hören, ob sich schon jemand im Raum befand. Sie versuchte, so leise wie möglich zu atmen, aber es dröhnte wie Lärm in ihren Ohren. Sie machte sich so klein, wie sie konnte, auch wenn das natürlich unsinnig war. Sobald jemand die Schranktür öffnete, würde sie entdeckt werden.

Plötzlich nahm sie ein Geräusch wahr. Ihr Verfolger hatte den Raum betreten. Jetzt war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis er sie finden würde. Doch auf einmal erschütterten Pistolenschüsse das Klassenzimmer.

Das Letzte, an das sie dachte, war ihr Lieblingslied „Wo ich herkomm“. Haftbefehl sang darin von Ärzten, von toten Körpern und Leichenwagen. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Mittlerweile bewachten zwei der Geiselnehmer die komplette Halle von der hochgelegenen Balustrade aus. Von oben sahen sie in viele erschrockene Gesichter bei Schülern und Lehrern.

Elena Wilde war eine junge und sehr motivierte Lehrkraft. Sie stand trotz ihrer Furcht auf und ging direkt auf einen der Geiselnehmer zu. „Was passiert mit dem Mädchen? Sandra ist vor lauter Angst weggelaufen, ihr könnt doch nicht auf sie schießen! Ihr benehmt euch schlimmer als Tiere!“

Eine Faust traf hart ihr Gesicht, sofort lief ihr Blut aus der Nase. Sie stolperte und wäre zu Boden gefallen, wenn Haftbefehl sie nicht aufgefangen hätte.

„Seien Sie still! Diese Kerle kennen kein Erbarmen, beim nächsten Mal geht es nicht so gut aus“, raunte er.

„Gut? Der Kerl hat mir fast die Nase gebrochen.“

„Mag sein, aber immerhin leben Sie noch. Lehnen Sie sich an die Wand und benutzen Sie das hier!“ Er hielt ihr ein Taschentuch hin.

Das SEK und das Team Hessberger hörten die Schüsse und Adi musste den Einsatzleiter zurückhalten, der die Turnhalle stürmen lassen wollte. „Das gibt ein Blutbad. Wir können auf keinen Fall das Leben der Geiseln riskieren. Vielleicht waren es nur ein paar Warnschüsse, um die Schüler zu beeindrucken. Wir gehen erst rein, wenn die Chance besteht, die Geiselnehmer außer Gefecht zu setzen.“ In diesem Moment hörten sie weitere Schüsse und einen gellenden Schrei.

Sandra hatte kurz das Bewusstsein verloren, aber als der Typ die Tür des Schranks aufriss, tat ihr die Helligkeit in ihren Augen weh. Die Schüsse direkt neben dem Schrank sollten ihr wahrscheinlich Angst einjagen, das hatte funktioniert. Sie fühlte die Nässe ihrer Jeans und die feuchten Flecken unter ihren Armen, aber sie lebte. Ihre Kopfhaut brannte wie Feuer, als er sie an den Haaren packte und aus dem Schrank zerrte. Sie versuchte, ihre Haare zu greifen, und unterdrückte ihre Schreie. Nur noch ein leises Wimmern war zu hören, als er sie durch den Gang und die Treppe hinunter schleifte und zurück in die Turnhalle stieß.

Obgleich Elena noch immer stark aus der Nase blutete, lief sie zu dem Mädchen, legte den Arm um sie und schob sie sanft zur Seite. „Es wird alles gut“, flüsterte sie ihr ins Ohr und streichelte ihr dabei die Wange. Sandra kuschelte sich eng an die Lehrerin und fing heftig an zu weinen.

In der Aula herrschte angstvolle Stille, nur ab und zu wurde das Schweigen durch leise Flüstergeräusche unterbrochen.

„Hier spricht die Einsatzleitung“, meldete sich das SEK per Megafon bei den Geiselnehmern. „Wir möchten mit Ihnen über die Freilassung der Geiseln verhandeln. Außerdem brauchen die Kinder Wasser, etwas zu essen und Decken. Wir legen Ihnen ein Handy vor den Eingang, damit wir miteinander sprechen können.“

Einer der Polizisten legte seine Waffen ab und ging auf den Eingang zu. Das Handy hielt er in die Luft, als böte es die Gewähr, dass kein Schuss fiel. Vorsichtig legte er es ab und bewegte sich wieder zurück in Deckung. Einige Sekunden später öffnete sich die Tür und ein Mädchen hob es vom Boden auf.

Koch wartete einige Minuten, bis er die Nummer wählte.

„Ja“, meldete sich eine harte, unfreundliche Stimme.

„Mein Name ist Helmut Koch, ich bin der Leiter des SEK. Ich möchte nicht, dass jemandem etwas geschieht. Können Sie uns sagen, ob es den Menschen in der Aula gut geht?“

„Noch!“

„Was müssen wir tun, damit Sie die Geiseln freilassen?“

„Ich will mit dem Kommissar sprechen, der auf uns geschossen hat.“

Das war so gar nicht in Kochs Interesse, aber die Stimme klang nicht, als gäbe es Spielraum. Er überreichte das Handy.

„Hier spricht Kriminalhauptkommissar Adi Hessberger. Was können wir tun, damit alle gesund bleiben?“

„Ich möchte, dass Sie meinen Freund, auf den Sie geschossen haben, hierherbringen, dann können wir einen Austausch vornehmen. Ihn gegen einige Geiseln.“

„Er ist verletzt und muss medizinisch im Krankenhaus versorgt werden, das kann ein Weilchen dauern.“

„Wir haben Zeit und werden erst verhandeln, wenn Sie ihn hierhergebracht haben.“

Hessberger hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Er hatte den Mann schwer verletzt und es war noch nicht einmal sicher, ob er überhaupt durchkommen würde.

„Vielleicht können wir inzwischen alle mit Getränken und Essen versorgen, was meinen Sie?“