Achtung, ich komme! - Henriette Hell - E-Book
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Achtung, ich komme! E-Book

Henriette Hell

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Beschreibung

Henriette Hell liebt Sex und ist äußerst experimentierfreudig. Dass sie beim normalen Rein-Raus keinen Orgasmus bekommt, ist für sie kein Drama. Für ihre Sexualpartner aber offenbar schon ... Die sind gekränkt, wenn es nicht klappt, und machen Stress. Das ist Henriette irgendwann zu blöd.

Sie räumt ihr Konto leer und begibt sich auf eine Reise rund um die Welt. Der Plan: In jedem Land mit einem Einheimischen schlafen, um herauszufinden: Kommt man in anderen Ländern entspannter? Und ist der Orgasmusstress am Ende ein rein deutsches Problem?

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Seitenzahl: 302

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Originalausgabe März 2015 im Blanvalet Verlag,

einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2015 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Karte: Tina Strube – books & infographics, www.tinastrube.de

Textredaktion: Susann Rehlein

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-15554-4V003

www.penguin.de

Inhalt

Kommen müssenDer gestohlene Orgasmus

Goodbye GermanyMeine Flucht ins Reich des Tantra

Namaste, ihr Perverslinge!Solosex im Sechserabteil

Indiens antike SexshowDie Porno-Tempel von Khajuraho

Guru gefällig?Erleuchtung am Ganges

Der HöhlenmenschVögeln unter freiem Himmel

Schiffbruch mit Tiger BoyEine tibetische Bet(t)geschichte

Die KommuneIst Gruppensex die Lösung?

Bin ich jetzt lesbisch?Sit-in mit einem goanischen Waldgeist

Mad MaduraiMein indisches Nippel…, ähm, Schultergate

One Night in KairoKnutschen mit Cleopatra

Afrika! Afrika!Meine neue Identität als Mzungu

Heilige Scheiße!Der Antichrist in Tansania

Jesus ruft!Die erregendsten sechs Stunden meines Lebens

Akuter Jungfrauenalarm!Warum es sich in einer Wellblechhütte auch nicht besser vögelt

No, we can’t!Biss in den Big Apple

Crazy BangkokDie sündigste Stadt der Welt

»Angkors Entweihung«Koitus im Land der Khmer

Good Morning, Vietnam!… voll auf Entzug

Türkische NächteBettgeschichten vom Bosporus

Vive la FranceZu Besuch beim Sonnenkönig

PeruDie geheime Macht des Pisco Sour

JesusVerführung bei Vollmond

Der Urknall Chinaböller made in Italy

Epilog

Danke

Quellen

Henriettes Weltreise

1

Kommen müssenDer gestohlene Orgasmus

Dem Orgasmus wird viel zu viel Bedeutung beigemessen. Als müsse er uns für die Leere unseres Daseins entschädigen.

(WOODY ALLEN)

»Sex wird mit den Jahren immer besser« heißt es in allen möglichen Frauenzeitschriften, Talkshows und Gesprächsrunden. Pah! Ich halte das für totalen Schwachsinn. Wenn Sie mich fragen, wird Sex immer komplizierter und anstrengender, je älter man wird. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe Sex und bin äußerst experimentierfreudig. Mit meinem Exfreund hatte ich sogar mal Sex im Watt! Trotzdem habe ich den Eindruck, dass mit jedem neuen Lover der Druck steigt.

Mittlerweile war ich 26. Und Männer erwarteten, dass eine Frau in meinem Alter erstens zu allem bereit war (»Wie, du stehst nicht auf Analsex?!«) und zweitens dass sie gefälligst auch dazu in der Lage war, anständig zu kommen, wenn man es wild und leidenschaftlich mit ihr trieb. Falls das aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht hinhaute, dann konnte ich mich auf etwas gefasst machen: Ein regelrechtes Kreuzverhör erwartete mich dann, aus dem es kein Entrinnen gab. So zum Beispiel, als ich Anfang 2011 gerade zum fünften Mal mit meinem neuen Freund Jaro geschlafen hatte.

»Sag mal, bist du eigentlich gerade gekommen?«, fragte mich Jaro, während ich gerade das Kondom zuknotete. Ich hielt kurz inne.

»Ähm, ja. Hast du das nicht gemerkt? Als du mich gestreichelt hast …«

»Also bist du nicht richtig gekommen«, fasste Jaro zusammen. Er hatte offenbar nicht richtig zugehört.

»Doch! Beim Vorspiel.«

»Ja, aber das zählt ja nicht. Hm. Du kommst wohl nicht so leicht, oder?«

Wie – das zählte nicht? War es für ihn etwa nur dann richtiger Sex, wenn »er« drinsteckte?! Puh, offenbar tickte Jaro – so wie die meisten Männer – in dieser Hinsicht ähnlich wie Bill Clinton … Ich hingegen stand ganz klar auf der Seite von Monica Lewinsky: Alles, was mit Anfassen zu tun hatte und geil machte, war für mich Sex.

»Nein, Jaro, leider komme ich nicht so leicht. Eigentlich fast nie. Das ist bei mir halt so. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich bin körperlich vermutlich nicht dazu in der Lage.«

Schweigen.

Jaro kratzte sich am Kopf, griff zur Wasserflasche, trank und schwieg weiter.

»Das ist ja scheiße. So macht der Sex doch gar keinen Spaß. Ich will, dass du kommst, wenn ich dich ficke. Und ich will auch mal mit dir zusammen kommen!«

»Könnte schwierig werden«, entgegnete ich, stand auf und ging ins Bad. Boah, nervte diese Fragerei …

»Alles in Ordnung?«, fragte Jaro von drüben.

»Ja-ha, ich geh nur kurz duschen«, log ich. In Wahrheit setzte ich mich auf den Wannenrand und schloss die Augen. Warum nur machten es mir die Männer so schwer? Reichte es nicht, dass ich nicht so häufig und einfach wie andere Frauen zum Orgasmus kam? Das war ja wohl schon scheiße genug. Aber nein, die Herren machten mir auch noch Vorwürfe und setzen mich zusätzlich unter Druck.

Jaro kam rein. »Hör mal, ich will wissen, was ich tun muss, damit du besser kommst. Ich mach echt alles, was du willst!«

Ich sah zu ihm hoch. »Jaro, seit ich sexuell aktiv bin, hat es noch NIE ein Mann geschafft, mich beim Sex zum Orgasmus zu bringen. Keiner! Und dir wird das auch nicht gelingen, fürchte ich. Leider.«

Jaro ließ sich ratlos zur mir auf den Wannenrand sinken.

»Uns fällt schon was ein«, sagte er und streichelte meinen Rücken. »Das wird schon.«

So langsam bekam ich Kopfschmerzen. »Mir genügt es, wenn ich beim Vorspiel komme. Echt jetzt.«

»Ja, aber MIR genügt das nicht.«

»Gut, dann musst du zusätzlich meine Klitoris streicheln. Oder ich mach das.«

»Okay, dann lass uns das doch bitte mal ausprobieren.«

»Jetzt?!«

»Ja, ich will wissen, ob das funktioniert. Los, komm!«

Funktionieren. Kommen müssen. Damit alles perfekt war und sich der Mann in seinem Können bestätigt fühlte. Heile Welt im Schlafzimmer als Schlüssel zu einer harmonischen Beziehung.

Aber ich konnte nun mal nicht kommen! Nicht beim Ficken. Die einzige Chance bestand für mich darin, mich währenddessen selbst anzufassen. Das konnte natürlich ganz geil sein, aber in den meisten Fällen verkam der Sex auf diese Weise zu einer Art Wettlauf. Wildes Gerubbel vs. harte Stöße um den Sieg, den Höhepunkt.

Aber was tat man nicht alles für ein vermeintlich perfektes Sexleben … Im Bett musste es laufen, sonst hing der Haussegen schief, und der Mann ging am Ende noch fremd. Zu einer, die schneller und besser kam als ich – oder es ihm wenigstens vorspielte, was für mich aus Gründen der Selbstachtung nicht in Frage kam. In dieser Hinsicht war ich offenbar ein Einzelfall. Wussten Sie, dass 90 Prozent (!) aller Frauen regelmäßig Orgasmen vortäuschen? Das hat gerade eine Befragung von 575 Frauen an der Berliner Charité ergeben. Heftig, oder? Noch schockierender fand ich allerdings die Gründe dafür: 41 Prozent der Frauen wollten ihrem Partner auf diese Weise bestätigen, dass er ein guter Liebhaber war, 25 Prozent versuchten damit zu erreichen, dass der Partner schneller zum Höhepunkt kam. Und jetzt kommt’s: 16 Prozent der Frauen glaubten, ihrem Partner den Orgasmus schuldig zu sein. Schuldig!? Ist das zu fassen? Weitere 15 Prozent trauten sich nicht, dem Mann zu gestehen, dass er es nicht geschafft hatte, sie zum Höhepunkt zu bringen. Wo blieb da der Spaß, die Leichtigkeit, das Spielerische? Mal unter uns: Meine Idealvorstellung von Sex war ein angezogener Mann (ohne Anschlusstermin), der sich eine Stunde lang ausschließlich damit beschäftigte, meine Brüste und meine Klitoris zu stimulieren. Aber die meisten Männer gaben ja schon nach fünf Minuten auf, weil sie sich entweder langweilten, sich nicht mehr beherrschen konnten oder einen Krampf in Hand oder Zunge bekamen.

Wissen Sie was? Manchmal sehnte ich mich zurück in die Zeit, als ich fünfzehn war und mein damaliger Freund Paul und ich unsere Nachmittage damit verplemperten, nebeneinander auf seinem Bett zu liegen und uns gegenseitig anzufassen. Stundenlang! Voller Gier und Wollust, ohne dabei wirklich zu wissen, was wir taten. An Orgasmen dachten wir damals gar nicht. Wir fanden es einfach aufregend, an unseren Körpern herumzuspielen und die Reaktionen des jeweils anderen zu beobachten. Und gerade diese völlige Entspannung führte mitunter zu ganz wunderbaren Erfahrungen. An einem regnerischen Dienstag im Februar 2001 etwa lagen Paul und ich wieder einmal auf seinem Bett. Nebenher lief ein Horrorfilm, ich glaube es war »Chucky – die Mörderpuppe«. Und obwohl wir beideauf solchen Trash abfuhren, hatten wir nur Augen für uns, und Paul machte sich daran, seine Hände unter meinen Pullover zu schieben. Kurz darauf zog er mir zum ersten Mal meinen BH aus. Gott, war das aufregend! Ich merkte ihm an, wie unglaublich ihn der Anblick meiner Brüste erregte und wie sehr er es genoss, sie zärtlich zu berühren. Als er schließlich an meinen Brustwarzen saugte, da hatte ich nach einer Weile das Gefühl, ich würde schweben, abheben, explodieren. In meinem ganzen Körper kribbelte es, und ich stöhnte und wand mich unter Pauls Lippen. Kaboooom! Er hatte mich damals tatsächlich allein durch die Liebkosung meiner Nippel zum Orgasmus gebracht. Was für ein fantastisches Gefühl das war! So etwas hatte ich seitdem nie wieder erlebt, wahrscheinlich, weil sich nie wieder ein Mann so viel Zeit für mich und meine Brüste genommen hat. (P.S. Bei einer Umfrage gaben 30 Prozent der Frauen an, Brustorgasmen erlebt zu haben. Ich war also nicht verrückt.)

Etwa acht Jahre und zahlreiche Liebhaber später kannte ich fast alle Spielarten der Liebe. Ich hatte Sex im Fahrstuhl, Sex zu dritt, Sex im Wasser und Sex total auf Droge gehabt. Aber hatte ich deshalb mehr Spaß daran? Nein, ganz sicher nicht. Man stumpfte ab, wurde routinierter. Und man fühlte sich ständig irgendwie unter Druck gesetzt. Das fing bei mir etwa mit siebzehn an – als ich offiziell meine Unschuld verlor. Denn kaum dass mein damaliger Freund Rocko in mich eingedrungen war, schoss es mir bereits durch den Kopf: Hä? Wie soll ich denn SO jemals zum Orgasmus kommen?! Das geht doch gar nicht! So ein Mist.

Daran hatte sich seither nichts geändert. Rein, raus reichte mir nicht. Und das war auch nicht sonderlich verwunderlich: Die Vagina ist ja im Grunde »nur« der Geburtskanal und die Klitoris verantwortlich für den weiblichen Orgasmus. Das hatte uns Nina Hagen schon 1979 im ORF-Talk »Club 2« zu erklären versucht. Wenn der Mann es nicht schafft, diese Region vernünftig zu stimulieren, bekommen viele Frauen auch keinen Orgasmus. So einfach ist das. Aber schon Rocko wollte das damals einfach nicht einsehen und tat wirklich alles, was in seiner Macht stand, um es mir dennoch irgendwie zu besorgen. Zu meinem neunzehnten Geburtstag schenkte er mir zum Beispiel einen Vibrator in Form eines Delphins, wir tauften ihn Flipper, und fortan holten wir meinen surrenden Freund fast jedes Mal zum Vorspiel in unser Bett. Das Ergebnis war hervorragend: Kaum dass ich Flipper zwischen meinen Schenkeln spürte, war ich praktisch schon gekommen. Den Delphin auch während des Vögelns zu benutzen, war nicht wirklich zielführend, weil ich mich nicht gleichzeitig auf Rockos Schwanz und den Vibrator konzentrieren konnte und wollte. Die Lösung sollte an meinem zwanzigsten Geburtstag ein Vibrator in Form einer kleinen pinken Schildkröte zum Auflegen und Umschnallen bringen. Das Ding hatte Rocko auf dem Hamburger Kiez für mich gekauft. Die Schildkröte entpuppte sich allerdings als Flop, weil ich mit »Schildi« derart albern aussah, dass sich Rocko gar nicht mehr einkriegte, als ich sie ihm erstmals präsentierte. Tags drauf schmiss ich das Teil wütend in den Müll, und wir machten erst mal wie gehabt weiter.

Die meisten Männer glauben ja, dass der Sex nur dann gut ist, wenn die Frau dabei einen Höhepunkt erlebt. Sie vom Gegenteil zu überzeugen ist ungefähr so schwer, wie auf seiner eigenen Geburtstagsparty nüchtern zu bleiben. »Viele Männer definieren ihre Qualität als guter Liebhaber über ihre Fähigkeiten, einer Frau zum Orgasmus verhelfen zu können«, erklärte die Psychotherapeutin Dr. Elia Bragagna, Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfSG) in Wien, kürzlich in einem Interview mit der Zeitung Die Welt. »Ist es ihnen nicht möglich, dieses Klischee zu erfüllen, dann führt das nicht selten zu massiven Verunsicherungen und zu reaktiven Sexualstörungen beim Mann.« Und damit nicht genug: »Sehr viele Frauen fühlen sich durch diesen Anspruch gestresst, einen Orgasmus haben zu müssen. Doch einen Orgasmus zu erreichen und sich dafür anstrengen zu müssen, das passt nicht zusammen«, so die Sexualexpertin. Außerdem hilft ja auch die größte Anstrengung nichts. Das beweist eine Studie mit 4037 Teilnehmerinnen, die 2005 im New Scientist vorgestellt wurde. Die Frauen im Alter zwischen 19 und 83 Jahren wurden unter anderem gefragt, ob und wie häufig sie beim Geschlechtsverkehr einen Orgasmus erleben. Nur 14 Prozent der Befragten gaben an, beim Geschlechtsverkehr immer, 16 Prozent, dabei nie zum Höhepunkt zu gelangen (dazu gehörte dann wohl ich – so ein Mist!), und 32 Prozent erlebten beim Koitus nicht häufiger als jedes vierte Mal einen Orgasmus. Das ist kein Wunder, denn aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen besagen, dass 70 bis 80 Prozent der Frauen ausschließlich durch direkte Stimulation der Klitoris einen Orgasmus erreichen können. Ein Fakt, den viele Männer immer noch ignorieren, was aber auch okay ist. »Entgegen dem Mythos, dass Sex nur gut ist, wenn er mit einem Orgasmus endet, gibt jede zweite Frau an, sexuell zufrieden zu sein, auch wenn sie nicht immer einen Orgasmus erlebt. 76 Prozent geben an, dass sie so glücklich sind«, erklärte die Sexualexpertin Bragagna gegenüber Die Welt. Sag ich doch!

Immerhin haben Forscher mittlerweile bewiesen, dass in Wahrheit jeder weibliche Orgasmus von der Klitoris ausgeht, deren Länge in echt etwa elf Zentimeter beträgt. Das ist länger als so mancher Penis! Ihre Nervenenden reichen bis in die Vagina und in die Schenkel hinein. Die allgemein als Klitoris bezeichnete außen sichtbare Klitorisspitze ist also lediglich ein Teil des Organs. Das bedeutet, dass der weibliche Orgasmus auf viele unterschiedliche Weisen klitoral ausgelöst werden kann, auch durch eine vaginale Stimulation. Wie schwer oder einfach es der Frau fällt, einen Höhepunkt zu bekommen, hängt also auch mit der Größe ihrer Klitoris zusammen. Nur bei einem Viertel der Frauen liegt der Kitzler allerdings so nah an der Geschlechtsöffnung, dass zusätzliche Stimulation unnötig ist. Diese Glückskinder kommen beim Sex mit einem Mann von ganz allein zum Höhepunkt. Herrje, wie ich sie beneidete …

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass der weibliche Intimbereich mittlerweile zum Wirtschaftszweig geworden ist: Aufspritzen der Klitoris mit Hyaluronsäure (für bessere Orgasmen) oder Vaginalstraffungen und Verengungen (für mehr Gefühl beim Sex) nehmen kontinuierlich zu. Allerdings gibt es keine Studien, die belegen, dass eine künstlich vergrößerte Klitoris auch Vorteile bringt. Vielleicht wird das ja gemacht, damit die Männer nicht so lange nach ihr suchen müssen!? Woher das stetig sinkende Selbstbewusstsein vieler Frauen rührt, ist klar: Durch Hollywoodfilme, Pornos und andere Medien bekommen wir ständig suggeriert, dass frau jederzeit und überall in der Lage zu sein hat, innerhalb kürzester Zeit durch »reines Vögeln« zum Orgasmus zu kommen. Aber das gelingt eben nur den wenigsten. Den übrigen wird vorgeworfen, dass sie sich nicht richtig fallen lassen können oder emotional blockiert sind. Die Industrie spielt mit den daraus resultierenden Minderwertigkeitskomplexen der Frauen und wirft das »Viagra für die Frau« auf den Markt, eine Pille, die die Durchblutung in der Vagina ankurbelt. Außerdem kann man mittlerweile sogar schon in ganz normalen Drogerieketten Vibratoren kaufen.

Aber was sind eigentlich die Ursachen für solche vermeintlichen Orgasmusstörungen? Eine Studie der Indiana University belegte 2013, dass Frauen, die die Pille nehmen, seltener zum Orgasmus kommen, weniger Lust auf Sex und dementsprechend auch seltener Sex haben als Frauen, die Verhütungsmittel verwenden, die keinen Einfluss auf ihren natürlichen Hormonhaushalt haben. Eine Studie der Unikliniken Tübingen, Heidelberg und Basel bestätigte im selben Jahr, dass neun Prozent aller Frauen, die die Pille nehmen, über Orgasmusstörungen klagen.

Ich nahm die Pille nun schon, seit ich fünfzehn war. War sie etwa die Wurzel allen Übels? Vielleicht zum Teil. Es gab aber noch viel mehr Gründe: Wissenschaftler des Londoner St Thomas Hospital haben herausgefunden, dass auch die Gene Einfluss haben. Der weibliche Orgasmus habe nämlich eine wichtige biologische Funktion – er prüfe, ob ein Mann der Richtige sei. »Wenn sich ein Mann die Zeit nimmt, eine Frau zu befriedigen, dann ist er auch ein guter Versorger, verlässlich, geduldig, und passt anständig auf die Kinder auf«, sagt Tim Spector, Professor am St Thomas Hospital. »Frauen, die zu schnell kommen, treffen wahrscheinlich häufiger falsche Entscheidungen bei der Partnerwahl. Es lohnt sich, in dieser Hinsicht wählerisch zu sein.«

Diese Theorie sprach eigentlich für Jaro. Wir hatten uns sechs Wochen zuvor in meiner Lieblingskneipe auf dem Hamburger Kiez kennengelernt und verbrachten seitdem jede freie Minute in seinem WG-Zimmer auf St. Pauli. Jaro war vierunddreißig, DJ und sah unfassbar gut aus. Dunkle Locken, sexy Zahnlücke, schöne braune Augen. Außerdem stand er genau wie ich auf Rucksackreisen, guten Rotwein und Jazz. Ich war total verliebt in diesen Mann und plante bereits insgeheim das Design für ein gemeinsames Klingelschild. Und das Beste: Im Bett ging es mit ihm richtig ab. Jaro war leidenschaftlich, ein bisschen versaut, zärtlich, dominant und einfühlsam zugleich – die perfekte Mischung, wenn Sie mich fragen! Allerdings kam ich natürlich auch beim Sex mit ihm nicht zum Orgasmus. Mich störte das kein bisschen, aber ihn.

Wenige Tage nach unserer ersten Diskussion über meinen (nicht vorhandenen) Orgasmus maulte er mich nach dem Sex geradezu an, wie »bedrückend« es für ihn sei, dass ich »schon wieder nicht gekommen« sei; er brauche meinen Höhepunkt »irgendwie als Bestätigung«, sonst würde ihm der Sex »auf Dauer keinen Spaß« machen; ob er »irgendwas tun« könne, damit ich »da unten richtig funktioniere«. Da platzte mir endgültig der Kragen, vor allem, weil ich unseren Sex kurz zuvor als wunderbar empfunden hatte. Aber versuchen Sie das mal einem Mann klarzumachen … No way! Jedenfalls war ich zutiefst verletzt von Jaros Worten. »Ich glaube, du bist hier derjenige, der nicht richtig funktioniert«, schrie ich ihn an und lief aus seiner Wohnung. Was für eine Scheiße – so ein Theater hatte ich nun ja wohl echt nicht nötig. Als ich unten auf der Straße ankam, fuhr ein Bus mit einer riesigen Reklame an mir vorbei. Tränenblind las ich: »Kommen Sie im Reich der Mythen und Götterlegenden.« Das war natürlich ein Freud’scher Verleser, aber egal. Als am selben Abend dann auch noch zufällig der indische Kult-Sexfilm »Kama Sutra: A Tale of Love« im Fernsehen lief, in dem die attraktiven Hauptdarsteller ein Höhepunkt nach dem anderen schüttelte, während ich Rotz und Wasser heulte, fügten sich, als Katalysator diente eine Dreiviertelflasche Rotwein, wirre Gedankenfetzen (»Scheiß Jaro!«, »Scheiß deutsche Männer!«, »Indien! Geil!«) zu einem Plan. »Ich muss nach Indien«, schoss es mir durch den Kopf, und ich erinnerte mich an eine Stelle in einem Buch, das ich vor Kurzem gelesen hatte:

»Oh, I’ve got a headache …«

»Would you like an aspirin?«

»No, I think I’ll go to India.«

Kopfschmerzen hatte ich am nächsten Morgen tatsächlich (der verdammte Rotwein). Ich nahm ein Aspirin, aber nach Indien wollte ich seltsamerweise immer noch. Indien. Das Land des Kamasutra, der Räucherstäbchen, des Tantra, der Sinnlichkeit. Der Superorgasmen?!

Als ich noch jünger war, faszinierte mich kaum eine Frau so sehr wie meine Tante Karla. Sie war mit siebzehn von zu Hause weggegangen, um in Indien die hohe Kunst des Kathak zu erlernen. Kathak ist ein indischer Tanzstil, bei dem die Tänzerinnen verführerisch mit ihren Augen rollen und leidenschaftlich mit glöckchenbehangenen Füßen stampfen – also nicht gerade das, was in den Achtzigern in ihrem konservativen Heimatdorf so en vogue war. Dennoch zog Karla das durch und begab sich Anfang der Achtziger für drei Jahre in die Lehre eines indischen Tanzprofessors. Nach ihrer Rückkehr eröffnete sie eine eigene Tanzschule und wurde ein Star der Szene. Jedes Mal, wenn ich sie tanzen sah, saß ich wie gebannt da und wusste nie, was ich spannender fand: ihre anmutigen Bewegungen, die seltsam fremde Musik oder ihre kunterbunte Tracht. Was muss das für ein verrücktes Land sein, dieses Indien, fragte ich mich schon damals. Seit dieser Zeit verschlang ich alles, was auch nur im Entferntesten mit Indien zu tun hatte. Ich war verliebt in die Farben, die Tempel, die Elefanten, Shiva, die Landschaft und sehnte mich danach, endlich selbst zu erfahren, wie dieses Land roch, wie es sich anfühlte und schmeckte. Der Zeitpunkt war nun gekommen, fand ich, machte mir einen Espresso, schickte eine Abschieds-SMS an Jaro (»Du bist raus – wie Möllemann aus’m Flugzeug!«) und buchte noch am selben Abend ein One-Way-Flugticket nach Delhi. Indien, ich komme!

2

Goodbye GermanyMeine Flucht ins Reich des Tantra

Deutsche Schwänze kann man alle knicken!Ich bin geil, aber Deutschland kann nicht ficken!Ich hab alle deutschen Schwänze ausprobiert,doch leider bringt es kein deutscher Schwanz bei mir!

(LADY BITCH RAY – DEUTSCHE SCHWÄNZE)

»Ich brauche einfach mal eine Auszeit«, log ich meiner Mutter zwei Wochen später am Telefon vor, während ich meinen Reisepass, meinen roten Bikini, Mückenspray und Kondome in meinen Rucksack stopfte.

»Und was ist mit deiner Arbeit? Und deiner Wohnung? Und mit Jaro? Du spinnst doch, Kind! Wovon willst du das denn alles bezahlen?! Du hast doch nicht etwa … deinen Bausparvertrag …?!«

»Doch Mama, hab ich. Weil die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemals gemeinsam mit einem Mann ein Haus bauen werde, seit gestern praktisch gegen null tendiert. Jaro ist Geschichte. Meine Wohnung vermiete ich unter, und arbeiten kann ich als Journalistin auch von unterwegs. Also was soll’s – ich klopp die Kohle jetzt erst mal für ’nen netten Entspannungsurlaub auf den Kopf!«

In Wahrheit hatte ich längst einen Entschluss gefasst: Ich würde für unbestimmte Zeit um die Welt reisen und in jedem Land, das ich durchquerte, mit einem Einheimischen Sex machen. In der Hoffnung, dass die Männer in anderen Kulturkreisen lässiger und liebevoller mit dem weiblichen Orgasmus umgingen und ich endlich einen Mann finden würde, der mich nicht aus rein egoistischen Gründen zum Orgasmus bringen wollte – sondern der es mir quasi per Zufall mal so richtig schön besorgen würde. Das konnte doch nicht so schwer sein, oder? Eher, das schwor ich mir, würde ich nicht in dieses Land zurückkehren, in dem sich Frauen zwischen ihrem Mann und ihrem Orgasmus entscheiden müssen.

Die kommenden Tage verbrachte ich mit Recherchen zum Thema Indien. Ich rief sogar meine Tante an und fragte sie, ob sie während ihrer Tanzausbildung eigentlich mal was mit einem Inder gehabt hatte. »Ach, Henriette, wo denkst du hin? Die meisten Inder in meinem Alter waren damals total verklemmt. Ich erinnere mich noch an einen jungen Chai-Verkäufer, der jedes Mal fürchterlich zu stottern anfing, wenn ich Tee bei ihm kaufte. Das wirkte auf mich nicht gerade anziehend.«

Seither hatte sich offenbar kaum etwas in Indien verändert. Vieles, was mit Sex zu tun hat, ist tabu. Die konservative Welt, in der die jungen Inder aufwachsen, steht in krassem Kontrast zu den Bildern, die ihnen durch die modernen Medien vermittelt werden. Und das Frauenbild ist eine Katastrophe: Westliche Frauen gelten seit Langem als schamlos und verdorben, und auch die indische Frau ist in neueren Bollywoodstreifen meist kaum mehr als ein reines Sexobjekt, was im schlimmsten Fall in stetig zunehmenden Vergewaltigungen gipfelt. Aber das erwähne ich nur der Vollständigkeit halber, weil man sich dessen bewusst sein sollte, wenn man nach Indien reist. Was mich an diesem riesigen Land viel mehr interessierte, war die Tatsache, dass sich die Sexualität im Verborgenen abspielt. Unverheiratete Inder unterschiedlichen Geschlechts dürften streng genommen nicht einmal miteinander reden. Erst kürzlich wurde gegen Schauspieler Richard Gere Haftbefehl wegen »obszöner Handlungen« erlassen, weil er seine indische Kollegin Shilpa Shetty auf einer Benefizveranstaltung umarmt und auf die Wange geküsst hatte. Unfassbar, oder? Vor allem, weil das ganze Land nonstop nach halbnackten Bollywood-Beautys giert und es überall auf den Wänden der heiligen Tempel total versaute Sexszenen zu bewundern gibt. Aber diese Kunst wollen die Inder irgendwie nicht mehr richtig wahrhaben. Gleichzeitig brodelt ihre Sexualität unter der Oberfläche und ist jederzeit zum Ausbruch bereit. Immerhin werden in Indien seit Tausenden von Jahren Kamasutra und Tantra praktiziert. Und genau das faszinierte mich – Tantra.

Tantra ist eine Lehre, wonach die Seele des Einzelnen in der Vereinigung von männlicher und weiblicher Energie mit dem Universum verschmilzt. Tantriker verstehen Sex als ein Mittel zur Bewusstseinserweiterung. Mithilfe bestimmter Riten und Praktiken sind Frauen angeblich in der Lage, (Ganzkörper-)Orgasmen zu bekommen, die Tage (!) andauern. Auch denkt der Tantriker beim Sex nicht: »Das ist meine Frau, ihre Sexualität gehört mir«, sondern er verehrt sie als Ausdruck kosmischer Schöpferkraft. Im Tantra unterschied man drei Nutzen der Sexualität: um Nachkommen zu zeugen, um Freude und Vergnügen zu haben und als Mittel der Bewusstseinserweiterung. Im echten Tantra wird ausschließlich das dritte Ziel verfolgt. Die Erfahrung des Höhepunkts sollte für eine lange Zeit aufrechterhalten werden und aufs Alltagsleben übergehen. Die Erregung geht über die Genital-Ebene hinaus, erfasst den ganzes Körper und schließlich das ganze Sein. Genau das wollte ich: kein Zeit- oder Leistungsdruck, kein schnelles Abspritzen, bloß purer Genuss. Im Einklang mit einem anderen Menschen. Stundenlang.

Die erste Station auf meiner Reise durch Indien sollten die weltberühmten Khajuraho-Tempel im zentralen Bundesstaat Madhya Pradesh sein, deren Wände ekstatische Sexorgien zieren. Die Tempel gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO und werden auch Kamasutra-Tempel genannt. Viele indische Paare verleben dort ihre Flitterwochen. Warum sollte also nicht auch ich ein paar anregende Tage vor Ort verbringen? Danach wollte ich weiter in die heiligen Orte Varanasi und Rishikesh am Ganges sowie McLeod Ganj im Himalaya, wo der Dalai Lama lebt. Seit Jahrtausenden kommen die Menschen in diese Städte, um sich mit den Themen Leben, Tod, Wiedergeburt und Erleuchtung auseinanderzusetzen. Ich war mir sicher, dass ich dort Antworten auf viele meiner Fragen finden würde. Was danach kommen und wie lange ich unterwegs sein würde, wusste ich noch nicht. Ich wollte mich einfach von Land zu Land treiben lassen – je nachdem, was die unterschiedlichen Orte in Sachen sexueller Energie so zu bieten hatten.

Um meine Mission: Orgasmus (kurz: MO) anständig durchzuführen, wollte ich meine Pille (die Minipille Yasmin) absetzen. Vielleicht hatte sie ja tatsächlich einen negativen Einfluss auf meine sogenannte Orgasmusfähigkeit (ein schlimmes Wort, oder?). In Deutschland schlagen einem die Ärzte ja besonders gerne Dysbalancen der Psyche, ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper oder zum Partner und körperliche Probleme als mögliche Ursachen vor. Eine Frechheit, ich war doch kein Psychowrack, sondern eine selbstbewusste, junge Frau, die ihr sexuelles Schicksal nun selbst in die Hand nehmen und nicht eher ruhen würde, bis sie gefunden hatte, was sie suchte.

Es war mir leichtgefallen, innerhalb von vierzehn Tagen alles für meine Reise zu organisieren. Über das Internet hatte ich in kürzester Zeit einen Zwischenmieter für meine Wohnung in der Hamburger Innenstadt gefunden. Außerdem besorgte ichmir bei meiner Bank eine sogenannte Sparcard, mit der man umsonst im Ausland Geld abheben konnte. Mein Reisepass war brandneu. Alle wichtigen Unterlagen fotografierte ich mehrmals ab und speicherte sie in meinem E-Mail-Ausgang sowie auf meinem Handy. Wichtige Medikamente kaufte ich auf Vorrat. Kondome auch. Mehr brauchte ich nicht. Ich wollte mit so wenig Ballast reisen wie nur möglich.

Meinen Abschied begoss ich mit meinen engsten Freunden in meiner Stammkneipe BP1 in der Schanze. Ich hatte allen glaubhaft versichert, dass ich mich lediglich ein bisschen erholen und mir gleichzeitig meinen großen Traum von einer Weltreise erfüllten wollte. Indien als Ausgangsziel stieß bei den meisten allerdings auf wenig Verständnis. »Da wirst du doch bloß vergewaltigt«, ließ mein Kumpel Alex die erste Plattitüde los. »Willst du da wirklich ganz allein hin? Du spinnst doch, das würde ja nicht einmal ich mich trauen!«

»Hast du denn gar keine Angst?«, fragte mich meine Freundin Marie. »Die flippen doch bestimmt aus, wenn sie dich sehen – mit deinen roten Haaren, den Sommersprossen und der blassen Haut. Du wirst dich vor Verehrern nicht retten können!« Wir lachten. Meine Freunde dachten natürlich wieder mal nur an das eine. Wenn sie wüssten, wie recht sie diesmal damit hatten.

»Hach, Leute«, antwortete ich. »Das wird alles ganz wunderbar. Ich werde jeden Tag spannende neue M…, äh, Leute kennenlernen und viel erleben. Dieser Trip wird mein Leben verändern, da bin ich mir ganz sicher.«

3

Namaste, ihr Perverslinge!Solosex im Sechserabteil

Wenn Sex die natürlichste Sache der Welt ist, warum gibt es dann so viele Ratgeber darüber?

(BETTE MIDLER)

Mein Flieger landete am 20. Januar gegen 8 Uhr auf dem Flughafen von Delhi. Eine graue, wabernde Schicht lag über der Stadt und verhinderte, dass ich bei der Landung einen ersten Eindruck von der Millionenmetropole gewinnen konnte. Smog. Delhi hat nämlich die schmutzigste Luft der Welt. Aber schmutzig ist ja erst mal nichts Schlechtes. Auch ich hatte mir während des Fluges reichlich schmutzige Gedanken gemacht. Wie würde er wohl sein, der erste Inder, mit dem ich Sex haben würde? Wäre er wohl so schön und sinnlich wie der Prinz aus »Kama Sutra: A Tale of Love«, mein heimlicher Traummann? Oder eher so ein Shah-Rukh-Khan-Verschnitt – am Ende noch mit einem dieser überdimensionalen Schnurrbärte, die in Indien (aus welchen Gründen auch immer) voll angesagt waren? Und vor allem: Wie wäre er wohl im Bett? Würde er mit mir das Kamasutra einmal vor und zurück durcharbeiten? Mir gänzlich neue Stellungen und Spielarten der Liebe beibringen? Oder mich einfach bloß machomäßig rammeln, weil ich nur ein wertloses Weibsbild war? Na hoffentlich nicht …

Als ich mit meinem Rucksack auf dem Rücken das Flughafengebäude von Delhi verließ, verschwendete ich erst mal keinen weiteren Gedanken ans Kamsutra. Tief sog ich die Luft der City in meine Lungen. Irgendwie anders. Aber gut anders. Zeit für eine Zigarette, beschloss ich. Denn darauf würde es bei der verdreckten Luft hier nun auch nicht mehr ankommen. Aber denkste! Der indische Sicherheitsbeamte neben dem Ausgang kippte fast hinten über, als er mich sah: Eine Frau – rauchend! Allein! Ohne männlichen Aufpasser! Da hätte ich mich in diesem Land auch gleich in roten Strapsen an die Straße stellen können. Frauen, die Alkohol trinken oder rauchen, gelten in Indien nämlich als »verkommene Huren«, hatte ich ja gelesen und nur für den Moment nicht parat gehabt. Aber damit konnte ich leben.

Etwa fünfzig Meter vor mir erkannte ich im grauen Dunst die Umrisse eines Taxis. Ich stieg ein und ließ mich ins moderne Zentrum von Neu-Delhi fahren, zum Connaught Place. Am Steuer saß ein dickbäuchiger Typ mit Schnurrbart und Fönwelle. Nicht gerade die Art Mann, auf die ich gehofft hatte. Aber, hey, das war ja erst der Anfang. Während der Fahrt dudelte ein Bollywood-Hit aus den Boxen, und auf dem Armaturenbrett stand eine Art Wackeldackel. Bloß dass es sich nicht um einen Dackel, sondern um Shiva handelte, der bei den vielen Schlaglöchern wie wild seinen Kopf schüttelte – als würde er sagen wollen: »Du hast hier nichts verloren, Weib.« Ich steckte ihm die Zunge raus und schaute aus dem Fenster: Armut, Dreck, Elend und hier und da eine heilige Kuh, die am Straßenrand stand und im Müll nach etwas Essbarem suchte – das war also Delhi.

Als wir an einer Ampel zum Stehen kamen, hämmerte ein mageres kleines Mädchen an meine Scheibe. »Shah Rukh Khan, Lady, Shah Rukh Khan! See, see!«, rief sie und hielt mir die neueste DVD des indischen Sexsymbols unter die Nase. Trash pur! Ich winkte dankend ab. Am Connaught Place, wo zahlreiche US-Ketten wie Pizza Hut und Starbucks eröffnet hatten, checkte ich in das Hostel ein, das in meinem Reiseführer als »annehmbar« beschrieben wurde. Nirgendwo sind die Hostels so schlecht und schmutzig wie in Delhi, hatte ich gelesen. Und obwohl mir die Vergleichsmöglichkeiten fehlten, schien das zu stimmen: Mein Bett war weder gemacht noch frisch bezogen. Auf dem Kopfkissen lagen schwarze Haare. Dafür kostete es bloß zwölf Euro pro Nacht. Je weniger Geld ich ausgab, desto länger würde ich reisen können. Immerhinhandelte es sich bei meiner Mission: Orgasmus um ein ziemlich großes Projekt, das möglicherweise Jahre – wenn nicht gar ein ganzes Leben lang andauern würde! Mittlerweile war es Mittag, und die Hitze lag schwer in den staubigen Straßen. Ich nahm eine Dusche und fiel danach unfreiwillig in einen komatösen Schlaf. Als ich wieder erwachte, war es bereits dunkel. Vor die Tür wollte ich um diese Uhrzeit nicht mehr gehen, also machte ich es mir auf der Dachterrasse gemütlich, aß ein vegetarisches Curry und plante meine weitere Reise. Bereits am nächsten Tag wollte ich mit dem Zug zu den Kamasutra-Tempeln in Khajuraho fahren. Die Fahrt würde etwa zehn Stunden dauern. Deshalb reservierte ich mir über www.makemytrip.com (eine geniale englischsprachige indische Website, auf der man ganz einfach Inlandsflüge, Zug- oder Busfahrten buchen kann) für nicht mal fünf Euro ein Abteil im Schlafwagen. Schließlich hatte ich ja noch mit einem fiesen Jetlag zu kämpfen, der mich in jener Nacht wach halten sollte.

Am nächsten Morgen ließ ich mich von einem dürren Mann mit Turban auf einer Fahrradrikscha durch den chaotischen Verkehr zum nahe gelegenen Hauptbahnhof von Neu-Delhi fahren. Beim Anblick des heruntergekommenen Gebäudes stieg eine leise Panik in mir hoch. Tausende Inder, teilweise vollbeladen wie Packesel, strömten in den kleinen Haupteingang. Es wurde geschrien, gespuckt und gedrängelt. Geil, nun war ich mittendrin im allerschlimmsten indischen Wirrwarr. An den Gleisen standen um diese Uhrzeit Dutzende völlig überfüllter Pendlerzüge. Den Menschen blieb nichts anderes übrig, als sich von außen an die Fenster und Türen zu hängen oder auf das Dach zu klettern. Sie riskierten jeden Tag ihr Leben, um zur Arbeit zu kommen. Der seltsam süßliche Gestank von Müll und Exkrementen hing in der Luft. Menschen schliefen auf dem dreckigen Fußboden. Ein nacktes Baby lag dazwischen und weinte.

Es dauerte, bis ich meinen hellblauen Waggon gefunden hatte. Die Sleeper Class – die so gar nichts mit dem Setting aus dem Wes-Anderson-Film »The Darjeeling Limited« zu tun hatte, wo die Darsteller nonstop wilden Sex in einem indischen Zug hatten – bestand aus Sechserabteilen, in denen man sich gegenübersaß und bei Bedarf auf jeder Seite zwei Pritschen herunterklappen konnte.

Jeder Passagier bekam zu Beginn der Fahrt ein, zwei frische weiße Laken, eine braune Wolldecke und ein frisch bezogenes weißes Kissen. Damit konnte man es sich tatsächlich ganz gemütlich machen. Leider saßen in meinem Abteil ausschließlich indische Herren, die mich finster musterten. Also setzte ich mich einfach brav auf meinen Platz und las in der Tageszeitung Hindustan Times, damit die Herren sahen, dass ich zumindest Interesse am gesellschaftlichen und politischen Geschehen in ihrem Land hatte. Ungläubig verschlang ich so grausame Schlagzeilen wie »Vater tötet Tochter mit Beil, weil sie Mann aus anderer Kaste heiraten wollte« oder »Dorfältester befiehlt Massenvergewaltigung von Frau, weil sie einen heimlichen Geliebten hatte«. Mir blieb mein Käsesandwich im Halse stecken. Unauffällig musterte ich die Männer um mich herum. Wenn hier alle Typen so tickten, war ich in akuter Lebensgefahr. Allerdings wirkten meine Mitreisenden recht harmlos: Ein älterer Herr mit Turban und einem Aktenkoffer auf dem Schoß starrte aus dem Fenster. Zwei jüngere Schnurrbartträger unterhielten sich und tranken Chai. Ihre Klamotten erinnerten an die von John Travolta im Film »Saturday Night Fever«. Schlaghosen und Fönwelle waren hier offenbar noch immer schwer angesagt. Die anderen zwei dösten vor sich hin.

Alle zwei Minuten kam irgendein Verkäufer an meinem Abteil vorbei und brüllte »Chai! Chai! Chai!« oder »Ice cream! Fruits! Cookies!« oder »Lunch! Luuuunch! Coca Cola!«. Allerdings verging mir angesichts des Essverhaltens meiner Mitreisenden der Appetit. Wie zu Luthers Zeiten gehörte Rülpsen und Furzen hier offenbar zum guten Ton. Deshalb zog ich es vor, meine Pritsche herunterzuklappen und ein Schläfchen zu halten. Nach ein paar Stunden erwachte ich wieder und stellte fest, dass die Herren sich ebenfalls zur Ruhe gelegt hatten. Der Vorhang zu unserem Abteil war zugezogen, und die Herren schnarchten um die Wette. Bis auf einen. Der holte sich lieber einen runter und starrte mich dabei an. Als ich sah, wie sich seine Decke ruckartig hob und senkte, verfiel ich in eine Art Schockstarre. Wie unfassbar widerlich war der denn? Ich räusperte mich und warf dem Perversling böse Blicke zu. Aber er hörte nicht auf, sondern legte sogar noch einen Zahn zu. Ich zog mir die Decke über den Kopf und drehte meinen MP