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Eigentlich wollte Henri Nouwen ein Buch über das Wesentliche des christlichen Glaubens schreiben. Der Professor hatte die Universität Harvard verlassen und war Seelsorger der Arche-Gemeinschaft geworden, in der Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammenleben. Dann starb Adam, ein junger Mann mit Einschränkungen, den Henri Nouwen intensiv begleitet hatte. Dabei war Adam ihm – ganz ohne Worte – zum Freund und Wegbegleiter, ja zum Lehrer geworden. Und so schildert Henri Nouwen hier das Leben von Adam. Damit schlägt er eine Brücke zum Glauben: Mit einfachen und berührenden Worten beschreibt er, was es bedeutet, Gottes geliebtes Kind zu sein. "Adam war ein unglaublich kostbares Geschenk für mich. Er ist mein Ratgeber und Lehrer, der nie ein einziges Wort zu mir sagen konnte, der mir aber mehr beigebracht hat als alle Bücher, Professoren oder geistlichen Leiter zusammen."
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Seitenzahl: 157
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Henri J. M. Nouwen
Mein Freund ohne Worte
Aus dem Englischen neu übersetzt von Eva Weyandt
Aus dem Englischen neu übersetzt von Eva Weyandt, Berlin
Copyright © 1997 by The Henri Nouwen Legacy Trust, Toronto, Ontario/Kanada
Die englische Originalausgabe dieses Buches erschien erstmals 1997 unter dem Titel Adam – God’s Beloved bei Orbis Books, Maryknoll, New York/USA
Eine frühere deutsche Übersetzung dieses Buches erschien ab 1998 in mehreren Auflagen unter dem Titel Adam und ich – Eine ungewöhnliche Freundschaft im Verlag Herder
Dieses Buch als E-Book: ISBN 978-3-86256-787-4
Dieses Buch als gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3-86256-177-3
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar
Bibelzitate, soweit nicht anders angegeben, wurden der Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017 © 2016 Deutsche
Bibelgesellschaft, Stuttgart, oder der Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe (GNB)
© 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, entnommen
Lektorat: Dr. Thomas Baumann
Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson
Umschlagillustration:Shutterstock.com
Satz: Neufeld Verlag
© 2022 Neufeld Verlag, Sauerbruchstraße 16, 27478 Cuxhaven
Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
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Vorwort von Sue Mosteller CSJ
Einführung
Kapitel 1: Adams Leben im Verborgenen
Kapitel 2: Adams Wüste
Kapitel 3: Adams öffentliches Leben
Kapitel 4: Adams Art
Kapitel 5: Adams Passion
Kapitel 6: Adams Tod
Kapitel 7: Totenwache und Adams Begräbnis
Kapitel 8: Adams Auferstehung
Kapitel 9: Adams Geist
Schlusswort
Nachwort von Laurent Nouwen
Zum Autor
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FürJeanne und Rex Arnett
von Sue Mosteller CSJ
Kurz nach Adam Arnetts Tod im Februar 1996 sagte mir Henri in einem Gespräch, er ziehe in Erwägung, ein Buch über Adam zu schreiben. Das sei ihm ein Bedürfnis, und er fragte mich, ob ich ihn dabei unterstützen und ihm von Adams Leben erzählen würde. Das machte mich betroffen, denn Adams Tod lag noch gar nicht so lange zurück. Jetzt schon ein Buch über ihn zu schreiben, war für mein Gefühl zu früh. Ich erklärte ihm, das könne ich nicht spontan entscheiden. Ich müsse erst darüber nachdenken. Meine Antwort konnte Henri nur schwer akzeptieren. Und so schrieb er das Buch ohne mich. Das zu akzeptieren, fiel nun wiederum mir schwer!
Er schickte einen ersten Entwurf an seinen Verleger Robert Ellsberg, und gemeinsam sprachen sie über die Stärken und Schwächen des Manuskripts und überlegten, was noch zu tun sei. Auch mit Jeanne und Rex Arnett, Adams Eltern, nahm Henri Kontakt auf. Mit ihnen wollte er sich in erster Linie über Adams Kindheit unterhalten. Sie vereinbarten einen Termin für einen Besuch. Henri hoffte auf Material für seine ersten beiden Kapitel.
Doch dann verstarb Henri ganz plötzlich und unerwartet am 21. September 1996.
Da Henri mich in seinem Testament zur literarischen Testamentsvollstreckerin eingesetzt hatte, erbte ich unter anderem die Verantwortung für die Fertigstellung des Buches. Unterstützt wurde ich von Henris Verleger, und so kam es, dass ich an seiner Stelle Adams Eltern besuchte. Anschließend begann ich mit der Arbeit an dem Manuskript.
Von Anfang an beeindruckte mich die Kraft und die Tiefe der Beziehung zwischen Adam und Henri. Sie begegneten sich zu einem Zeitpunkt in Henris Leben, als er auf der Suche war nach einem Zuhause. Durch seine unkomplizierte Art gab Adam Henri das Gefühl, zuhause angekommen zu sein. Es ist eine unglaubliche Geschichte.
Aber auch die Schwächen im Text fielen mir auf, vor allem im Hinblick auf Adams Kindheit. Es war mir wichtig, diesen Teil zu ergänzen. Dadurch konnte ich den Verlust meiner beiden guten Freunde betrauern. Während der Arbeit redete ich mit ihnen, aber leider bekam ich von ihnen nie eine »hörbare« Antwort. Doch durch diesen Vorgang fühlte ich mich belebt, und ich arbeitete voller Überzeugung und Leidenschaft an diesem Projekt. Für mich war ihre Gegenwart und ihr leitender Geist spürbar, und ich bin fest davon überzeugt, dass sie mir geholfen haben.
Der Text, in dem ihre Beziehung beschrieben wird, war mir in meiner eigenen Trauer eine Inspiration. Jetzt bin ich sehr dankbar dafür, dass Henri die Initiative ergriffen hat, und ich bin froh, dass ich meinen Beitrag zu Adams und Henris Geschichte leisten konnte. Wie Henri tat ich es in Liebe, Freiheit und mit großer Freude. Ganz wundervoll zeichnet Henri Adams Geschichte am Leben Jesu nach. Aber nicht nur das, während des Schreibens wird ihm klar, dass Adams Geschichte seine eigene Geschichte ist. Und am Ende beschenkt Henri durch seine schriftstellerische Begabung auch uns alle mit unseren eigenen Geschichten.
Sue Mosteller CSJ
Henri Nouwen Literary Centre
Arche-Gemeinschaft Daybreak
Richmond Hill, Ontario/Kanada
1. Mai 1997
Wie es dazu kam, dass dieses Buch geschrieben wurde
Anfang September 1995 wurde mir von der Arche-Gemeinschaft Daybreak ein Sabbatjahr angeboten, zur Feier meines zehnjährigen Jubiläums als Pastor dieser Gemeinschaft. Mein tiefster Wunsch war, zu schreiben, und so beschloss ich, in diesem Jahr an verschiedenen Themen zu arbeiten, die mich in meinem Dienst inspirieren und tragen. Viele dieser Gedanken entstanden während meines Lebens in der Daybreak-Gemeinschaft, die für mich zu einem wahren Zuhause geworden ist.
Mich bewegten Fragen wie: »Was glaube ich?« –»Was bedeutet es, wenn ich sage, dass ich an Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist glaube?« –»Was bedeutet es mir, wenn ich die Glaubensartikel aufsage?« Über diese Fragen hatte ich bereits seit einer Weile nachgedacht, und so beschloss ich, ein kleines Buch über das Apostolische Glaubensbekenntnis zu schreiben.
Ich tauschte mich mit mehreren Menschen darüber aus und machte schließlich meinem Freund und Verleger Robert Ellsberg den Vorschlag, an einem zeitgemäßen Glaubensbekenntnis zu arbeiten. Mein wichtigstes Anliegen war, einen neuen Weg zu suchen, den Glauben, den zu leben ich mein ganzes Leben lang versucht hatte, in Worte zu kleiden. Ich war davon überzeugt, damit vielen Frauen und Männern in unserer Welt helfen zu können, die mit denselben Fragen zu kämpfen haben und für die die traditionellen Formulierungen ihre Bedeutung und Relevanz verloren hatten.
Robert Ellsberg war sehr angetan von meinem Vorschlag und stellte einige Abhandlungen über das Glaubensbekenntnis zusammen. Beim Studieren dieser Aufsätze sah ich mich mit komplizierten theologischen Auseinandersetzungen über die Ursprünge und unterschiedlichen Formen der zentralen Formulierung des Glaubens der Christen konfrontiert. Ich begann mich zu fragen, ob mein eigentlich so einfach scheinender Plan nicht vielleicht ein sehr ehrgeiziges und anmaßendes Projekt war. Mein Anliegen war doch, in verständlicher Sprache auszudrücken, wie wir unser Leben im Namen unseres liebenden Gottes führen können, nichts weiter. Je mehr ich las, desto schwieriger erschien mir die Umsetzung meines Vorhabens. Ich musste mich selbst fragen, wie ich im Bewusstsein um meine Verantwortung über das Glaubensbekenntnis aller Christen schreiben sollte. Seit mehr als zehn Jahren lehrte ich schon nicht mehr an der Universität, und ich hatte nicht die Absicht, tiefe theologische Studien zu betreiben. War ich jetzt denn nicht in erster Linie der Pastor einer kleinen Gemeinschaft von Menschen mit geistigen Behinderungen? Ganz bestimmt ist dies kein Umfeld für die Auseinandersetzung mit den zwölf Artikeln unseres Glaubens. Die meisten der Menschen, mit denen ich in der Daybreak-Gemeinschaft zusammenlebe, haben ihren Glauben noch nie systematisch artikuliert, und vielen von ihnen fällt das Reflektieren theologischer Grundsatzthemen schwer, falls sie überhaupt dazu in der Lage sind.
Gerade als in mir die Frage aufkeimte, ob ich mich mit meinem Vorhaben nicht doch vielleicht übernommen hätte, starb Adam Arnett.
Adam war mein Freund, mein Lehrer und Wegweiser: Ein ungewöhnlicher Freund, weil er Liebe und Zuneigung nicht so ausdrücken konnte wie die meisten Menschen; ein ungewöhnlicher Lehrer, weil er nicht reflektiv denken und Ideen und Vorstellungen nicht artikulieren konnte; ein ungewöhnlicher Wegweiser, weil er mir keinen konkreten Rat und keine konkrete Wegweisung geben konnte. Adam wohnte bei mir im Haus, und ich wurde gebeten, seine Pflege zu übernehmen, als ich mich der Arche-Gemeinschaft Daybreak in Toronto, in der er lebte, anschloss.
Der Anblick von Adams Leichnam im Sarg erschütterte mich zutiefst, und ich musste über das Geheimnis des Lebens und Todes dieses Mannes nachdenken. Wie ein Blitzschlag traf es mich, und ich wusste in meinem Herzen, dass dieser behinderte Mensch von Ewigkeit an von Gott geliebt war und mit dem einzigartigen Auftrag des Heilens in diese Welt gesandt worden war. Dieser Auftrag war nun erfüllt. Ich erkannte viele Parallelen zwischen dem Leben Jesu und Adams Leben.
Und mir war noch etwas bewusst. Ganz tief in meinem Inneren spürte ich, dass Adam auf geheimnisvolle Weise für mich zum Abbild des lebendigen Christus geworden war, ein Freund, Lehrer und Wegweiser – so, wie Jesus in der Zeit, in der er auf dieser Erde lebte, für seine Jünger ein Freund, Lehrer und Wegweiser gewesen war. In und durch Adam gewann ich ein wahrhaft neues Verständnis für diese Beziehungen Jesu, nicht nur, wie sie vor langer Zeit gestaltet worden waren, sondern wie Jesus sie heute leben möchte, mit mir und uns, durch die schwächsten und besonders verletzlichen Menschen. Dadurch, dass ich Adam pflegte, lernte ich nicht nur mehr über Gott. Durch sein Leben half mir Adam zu begreifen, dass der Geist Jesu in meiner eigenen »Armut im Geist« lebendig ist.
Jesus hat vor langer Zeit gelebt, doch Adam lebte in meiner Zeit. Für seine Jünger war Jesus körperlich greifbar. Adam war für mich körperlich greifbar. Jesus war Immanuel, Gott mit uns. Adam wurde für mich zu einer heiligen Person, zu einem heiligen Mann, zu einem Abbild des lebendigen Gottes.
War Adam ein außergewöhnlicher Mensch? War er vielleicht ein besonderer Engel? Ganz und gar nicht. Adam war eine Person wie viele andere. Aber meine Beziehung zu Adam machte ihn für mich zu einem ganz besonderen Menschen. Ich liebte ihn, und unsere Beziehung wurde für mich die bedeutsamste Beziehung meines Lebens. Adams Tod berührte mich tief, weil er mich mehr als jedes Buch oder jeder Lehrer an die Person Jesu heranführte. Sein Tod war ein Weckruf. Es war, als hätte Adam zu mir gesagt: »Nun, da ich dich verlassen habe, kannst du über mich schreiben und an deine Freunde und Leser weitergeben, was ich dir über das Geheimnis unseres wundervollen Gottes beigebracht habe, der gekommen ist, um unter uns zu wohnen, und der uns den heiligen Geist gesandt hat.«
Als ich mich nach Adams Begräbnis wieder meiner schriftstellerischen Tätigkeit widmete, sah ich mich erneut mit der Frage konfrontiert: »Was glaube ich?« Und dann wurde mir klar, dass mir Adam bei der Antwort auf diese Frage helfen konnte. Ich wandte mich von den theologischen und historischen Abhandlungen ab und dachte nach über das Leben und die Berufung dieses bemerkenswerten Mannes, der etwa in demselben Alter war wie Jesus, als er starb, vierunddreißig Jahre. Während ich sein kurzes Leben in meinen Gedanken und meinem Herzen Revue passieren ließ, wurde mir klar, dass Adams Lebensgeschichte mir helfen würde, über meinen Glauben und das christliche Glaubensbekenntnis zu schreiben in einer Sprache, die die Menschen gut verstehen würden. Adam, der nie ein Wort gesprochen hatte, wurde nach und nach zu einer wahren Quelle von Worten, mit denen ich meine tiefste Überzeugung als Christ an der Schwelle des zweiten Jahrtausends ausdrücken konnte. Er, der so verletzlich war, wurde für mich zu einer machtvollen Stütze und half mir, die Fülle Christi zu verkünden. Und er, bei dem ich nicht so genau wusste, ob er mich erkannte, würde, durch mich, anderen helfen, Gott in ihrem Leben zu erkennen.
Adams unerwarteter Tod und meine eigene Trauer führten mich zu dem Ort ganz tief in meinem Inneren, nach dem ich gesucht hatte, an dem ich in der Lage war, über Gott und Gottes Eintreten in die Geschichte der Menschheit zu reden. Ich erkannte, dass seine Geschichte mir helfen würde, die Geschichte Jesu zu erzählen, weil Jesu Geschichte mir geholfen hatte, Adams Geschichte zu verstehen.
Er hätte auch Johannes oder Petrus heißen können. Dass er, der mir auf eine ganz besondere Art Jesus offenbart hatte, Adam hieß, war reiner Zufall, aber ein schicksalhafter Zufall. Wie der erste Adam repräsentiert unser Adam jeden einzelnen von uns Menschen, und daraus ergibt sich die Frage: »Wer ist dein Adam, der dir von Gott erzählt?«
Ich begann zu schreiben, und die Geschichte, die folgt, kommt allem, was ich jemals über das Apostolische Glaubensbekenntnis schreiben könnte, so nah wie nur eben möglich. Adam ist der Schlüssel für dieses Glaubensbekenntnis, darum schreibe ich mit Liebe zu ihm und in großer Dankbarkeit für ihn und unsere ganz besondere Beziehung. Ich schreibe auch in der tiefen Hoffnung, dass viele andere durch Adams Geschichte in die Lage versetzt werden, Gottes Geschichte mit uns zu erkennen, und dadurch befähigt werden, auf ganz neue Weise zu sagen: »Ich glaube.«
Adam war der zweite Sohn von Jeanne und Rex Arnett. Zur Welt kam er am 17. November 1961. Er war ein schönes Baby, über das sich seine Eltern, sein achtjähriger Bruder Michael und seine Großeltern sehr freuten. Michael litt an Epilepsie und brauchte eine sehr intensive Betreuung. Darum legten Jeanne und Rex großen Wert darauf, dass Adam gründlich auf Epilepsie getestet würde. Alle Tests waren negativ. Das war eine große Erleichterung für sie.
Doch Adams Langsamkeit beim Trinken machte seiner Mutter Sorge. Mit drei Monaten bekam er eine schlimme Ohrentzündung mit hohem Fieber. Seinen ersten Anfall erkannte Jeanne sofort; sie wickelte ihn in eine Decke und brachte ihn zur Nachbarin nebenan. Sie war Krankenschwester und fuhr mit ihnen ins Krankenhaus. Später am Abend bestätigte der Arzt, dass auch Adam an Epilepsie litt.
Adam brauchte lange, um das Krabbeln zu lernen, und erst mit gut einem Jahr konnte er stehen. Danach hangelte er sich lange Zeit an den Möbelstücken entlang durchs Haus. Seine Bewegungen waren langsam, immer auf Sicherheit bedacht. Erst mit zwei Jahren ließ er sich eines Tages ganz unvermittelt los und lief ohne Unterstützung. Seine Eltern waren außer sich vor Freude.
Die Anfälle wiederholten sich, und er bekam auch Medikamente, doch grundsätzlich ging es Adam in seinen ersten Lebensjahren körperlich relativ gut. Sprechen lernte er nicht, aber er konnte verstehen, was gesagt wurde, er bekam mit, was um ihn herum passierte, und kommunizierte auf seine ihm eigene Weise. Wenn sein Vater zum Beispiel mit dem Finger summend über Adams Kopf kreiste, bis die »Biene« sanft auf Adams Nase landete, packte er den Arm seines Vaters und drehte ihn in der Luft, um deutlich zu machen, dass er dieses Spiel noch einmal spielen wollte.
Mit vier Jahren hatte er seine ganz eigene Art der Fortbewegung entwickelt. Ein besonderer Spaß für ihn war, draußen hinter dem Haus auf den Picknicktisch zu klettern und dort darauf zu warten, dass seine Mutter ihm ein Glas Saft brachte. Anschließend krabbelte er zur Tischkante, wo keine Bank stand, und machte Anstalten, herunterzuklettern. Doch sobald er seine Füße über die Tischkante geschoben hatte, blieb er dort hängen. Er bewegte sich weder nach oben noch nach unten. Wortlos wartete er darauf, gerettet zu werden. Dabei hatte er durchaus gelernt, wieder vom Tisch herunterzukommen, doch so gefiel es ihm besser. Still wartete er auf Hilfe. Diese einfache Haltung des Wartens, in so frühem Alter entwickelt, wurde zum beherrschenden Merkmal seines Lebens.
Da Adam, anders als die Kinder seines Alters, weder spielen noch sprechen konnte, mangelte es ihm an Gelegenheiten, Freundschaften zu schließen oder seinen Horizont zu erweitern. Nur in seiner Familie wurden Adams Leben und seine Entwicklung gefeiert und nicht nicht auf seine Einschränkungen reduziert.
Adam liebte es, vor dem Haus spazieren zu gehen, die Straße hinunter und wieder zurück. Obwohl die vier Häuser an der Straße alle gleich aussahen, wusste er immer, welches sein Elternhaus war, und weiter als das ging er nicht. Beim Laufen schwenkte er die Arme in der Luft. Sobald die Nachbarn ihn sahen, gaben sie seinen Eltern Bescheid, weil sie befürchteten, er wolle davonlaufen.
Irgendwann wurde er zu groß für den Kindersitz im Einkaufswagen des Supermarkts, doch da Jeanne nicht ohne ihn zum Einkaufen fahren konnte, setzte sie ihn kurzerhand in den Einkaufswagen und packte die Lebensmittel auf ihn. »Wenn wir losgingen, war er sehr still«, erinnert sich Jeanne, »doch sobald ich nach einem bestimmten Artikel suchte, griff er in die Regale und legte willkürlich Sachen in den Einkaufswagen. Dann schimpfte ich und sagte, dass er das nicht dürfe, doch er ließ sich davon nicht beeindrucken und versuchte es immer weiter. Je mehr der Wagen sich füllte, desto unruhig wurde er und versuchte, Lebensmittel zur Seite zu schieben. Immer wieder musste ich ihm versichern, dass wir es bald geschafft hätten und ich ihn in ein paar Minuten aus dem Wagen holen würde. Häufig nahm er einen Artikel aus dem Einkaufswagen, schob den Arm über den Rand und ließ ihn fallen. Dank Adam kam ich manchmal mit mehr nach Hause, als ich kaufen wollte, und manches Mal fehlten Dinge, die ich dringend gebraucht hätte!« Doch bei all dem verloren Rex und Jeanne niemals ihren Humor.
Adam liebte das Essen, ganz besonders den Nachtisch. Da Michael immer viel zu erzählen hatte und oft nicht auf sein Essen achtete, kam es häufig vor, dass Adam seinen Löffel in Michaels Dessert tauchte und sogar versuchte, Michaels Schälchen zu sich heranzuziehen, wenn er nicht hinschaute. Rex und Jeanne liebten Adams kleine Streiche.
Der Putzmittelschrank der Arnetts befand sich im ersten Stock unmittelbar neben der Treppe. Eines Tages beobachtete Rex, wie Adam die Tür öffnete und den Staubsauger herausholte. Ganz langsam schob er das Gerät zur obersten Stufe der langen Treppe, die vor ihm lag. »Ich stand unten an der Treppe«, berichtet Rex, »und freute mich, dass er von sich aus die Initiative ergriff. Sofort rief ich Jeanne, und gemeinsam beobachteten wir ihn. Immer wieder warf Adam uns verstohlene Blicke zu, während er den Staubsauger immer näher an die oberste Stufe heranschob. Er schien genau zu wissen, dass er etwas tat, was nicht in Ordnung war. Und schließlich versetzte er dem Staubsauger einen letzten Stoß, und er flog mit lautem Poltern die Treppe hinunter.« Rex erzählt diese Geschichte als einen kleinen Sieg. Adam war von sich aus aktiv geworden und hatte lauten Lärm verursacht! Rex war so begeistert, dass er zu Adam sagte: »Mach das noch mal!« Und lachend fügt Rex hinzu: »Ohne zu zögern hätten wir einen zusätzlichen Staubsauger für ihn gekauft, den er dann immer wieder die Treppe hinunterstoßen konnte. Uns war wichtig, dass er sich seiner Kräfte bewusst wurde.«
Die Kriterien für eine Einschulung erfüllte Adam nicht, was seine Isolierung in der Kindheit natürlich steigerte. Als er acht Jahre alt war, bekam Jeanne Kontakt zu einigen Eltern, die eine Gruppe für Kinder mit Behinderungen ins Leben gerufen hatten. Betreut wurde diese Gruppe von ehrenamtlichen Helfern. Zwei Stunden am Tag durfte Adam mit dabei sein. Erst mit zehn Jahren konnte er eine Schule besuchen, aber er wurde häufig erst später gebracht oder musste wegen seiner Anfälle früher abgeholt werden. Seine schulischen Aktivitäten waren genauso