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Die Geschichte eines deutschen Vorzeigekonzerns
Mit
Adler und Kranich legt der Historiker Lutz Budrass die erste umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Lufthansa-Geschichte vor: von der geheimen Aufrüstung in der Weimarer Republik über den Einsatz von Zwangsarbeitern im NS-Regime bis zum ersten Flug nach der Wiedergründung 1955. Seine Studie macht deutlich, warum der Lufthansa-Konzern in der Bundesrepublik nicht ohne die Brücke zur Vorgeschichte in der Weimarer Republik verstanden werden kann.
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Seitenzahl: 1009
Zum Buch
Mit Adler und Kranich legt der Historiker Lutz Budrass die erste umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Lufthansa-Geschichte vor: von der geheimen Aufrüstung in der Weimarer Republik über den Einsatz von Zwangsarbeitern im NS-Regime bis zum ersten Flug nach der Wiedergründung 1955. Seine Studie macht deutlich, warum der Lufthansa-Konzern in der Bundesrepublik nicht ohne die Brücke zur Vorgeschichte in der Weimarer Republik verstanden werden kann.
Zum Autor
Lutz Budrass, geboren 1961, erhielt für seine Dissertation den Werner-Hahlweg-Preis für Militärgeschichte. Er ist u. a. Mitbegründer des Arbeitskreises für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte und am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum tätig. Budrass’ Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Luftfahrt-, Rüstungs-, Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Lutz Budrass
Adler und Kranich
Die Lufthansa und ihre Geschichte
1926–1955
Blessing
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1. Auflage
Copyright © 2016 by Karl Blessing Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie
Umschlagmotiv: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Bildredaktion: Annette Mayer
Satz: Leingärtner, Nabburg
e-ISBN: 978-3-641-11246-2V001
www.blessing-verlag.de
Für Moritz und Lion
Inhalt
Einleitung
I.
»Gesunder Wettbewerb«:
Die Luftverkehrsgesellschaften 1919–1925
II.
Die Idee der Deutschen Luft Hansa AG und der »Avio-Trust«
III.
Im Schlaraffenland: Die Luft Hansa, die Subventionen,
der »Luftkrieg« und Gotthard Sachsenberg, 1926–1929
IV.
Von Katastrophe zu Katastrophe:
Die Luft Hansa 1929–1932
V.
Vom Opfer zur Avantgarde zum Nachzügler der Rüstung:
Die Lufthansa 1933–1939
VI.
Die Industrialisierung der Lufthansa, 1939–1945
VII.
Vom Ende der ersten Lufthansa zur Gründung der zweiten:
Der Aufbau einer zivilen Luftverkehrsgesellschaft
in der Bundesrepublik, 1945–1955
Schlussbetrachtung
ANHANG
Exkurse
Abkürzungen
Anmerkungen
Quellen
Literatur
Bildnachweis
Register
Einleitung
Als die Deutsche Lufthansa AG am 6. Januar 2001 75 Jahre alt wurde, fiel die lange geplante Feier aus. Erst kurz vorher war entdeckt worden, dass die Lufthansa im Zweiten Weltkrieg Tausende von Zwangsarbeitern beschäftigt hatte, darüber hinaus manches in der gepflegten Tradition eines der größten Luftverkehrskonzerne der Welt geschönt und vieles ganz verdrängt worden war. Obwohl die Lufthansa sonst keineswegs Chancen für ihr Marketing ausließ, erfuhren selbst die über einhunderttausend Beschäftigten nur durch eine Sonderausgabe der Werkszeitung und die Neuauflage einer bereits in den 1980er-Jahren entstandenen Unternehmenschronik, dass ihr Unternehmen 75 Jahre alt geworden war. Nach außen bestritt die Lufthansa ganz und gar, dass sie so alt war – der wahre Geburtstag werde erst in einigen Jahren gefeiert. 2005 wurde deshalb mit großem Echo der 50. Jahrestag des ersten Fluges der Lufthansa nach dem Zweiten Weltkrieg als ihr eigentliches Jubiläum begangen. Das war kein Jugendwahn oder der Versuch, das Alte ganz abzustreifen, sondern Ausdruck eines einzigartig schwierigen Verhältnisses zur eigenen Geschichte. Dieses schwierige Verhältnis aufzuklären ist Ziel dieses Buches.
Adler und Kranich ist die erste Geschichte der Deutschen Lufthansa AG von 1926 bis 1955. Während andere Darstellungen entweder nur Ausschnitte der Geschichte der ersten Lufthansa oder – seltener – der zweiten präsentieren, wird mit diesem Buch eine historische Brücke geschlagen. Erzählt wird die Geschichte der Lufthansa von der Gründung 1926 bis zum ersten Flug nach dem Zweiten Weltkrieg 1955. Das Buch ist damit auch eine Erklärung des abgesagten Jubiläums 2001. Denn es wird gezeigt, dass die für ein deutsches Großunternehmen mittlerweile einzigartige Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit schon bei der Gründung der zweiten Lufthansa in der jungen Bundesrepublik programmiert war. Die Lufthansa wurde teils bis in die 1960er-Jahre hinein von Männern – Bankiers, aber vor allem Regierungsbeamten – beherrscht, die sie 1926 gegründet hatten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht von ihrem Pfad abweichen wollten.
1999 stellte Joachim Wachtel eine Festschrift fertig, die zum Jubiläum am 6. Januar 2001 präsentiert werden sollte. Zehn Jahre hatte er an der »Geschichte der Lufthansa von den Anfängen bis 1945« gearbeitet. Im Zeichen des Kranichs sollte die Festschrift heißen; sie war auf 313 Seiten angewachsen, weitere zwanzig Seiten, auf denen Günter Ott die »Flugzeuge im Dienst der Deutschen Lufthansa bis 1945« aufzählte, nicht mitgerechnet. Wachtels Buch war als Summe der heroischen Tradition der ersten Lufthansa gedacht. Die bekannten Geschichten sollten ansprechend, vor allem mit vielen Illustrationen präsentiert werden. Wachtel hatte durch den langen Vorlauf Zeit genug gehabt, die Tradition der ersten Lufthansa an den Quellen zu prüfen. Bei dieser Prüfung war er an einer Zahl hängen geblieben, die er nicht erklären konnte: 7 654 – so viele ausländische Arbeiter beschäftigte die Lufthansa im Juni 1944.
Diese Zahl brachte die geplante große Jubiläumsfeier 2001 in Gefahr. Seit Sommer 1998 war über den deutschen Großunternehmen in den Vereinigten Staaten eine Klagewelle zusammengeschlagen. Anwaltsfirmen hatten Forderungen von Überlebenden des Holocaust gesammelt und traten medienwirksam mit Sammelklagen auf.1 Es war sicher, dass die Lufthansa gefragt werden würde, wenn sie denn ihr Jubiläum feierte: Wozu brauchte eine Luftverkehrsgesellschaft, die während des Krieges nur einen Teil ihres Europadienstes absolvierte, mehr Arbeiter, als sie je zuvor beschäftigt hatte? Und da der größte Teil ihrer ausländischen Arbeiter nicht freiwillig bei der Lufthansa war – warum ließ sie sich auf dieses Verbrechen ein? Da ich kurz vorher ein Buch über die Geschichte der deutschen Luftfahrtindustrie veröffentlicht hatte, in dem es auch um die Lufthansa und nicht nur am Rande um die Beschäftigung von Zwangsarbeitern ging, wurde ich im September 1999 beauftragt, eine Studie zu verfassen, in der Antworten auf die kritischen Fragen zur Zwangsarbeiterbeschäftigung gegeben wurden und die gemeinsam mit dem Buch von Wachtel veröffentlicht werden sollte. Das Ergebnis war noch viel belastender als erwartet. Es stellte sich heraus, dass die besondere Rolle der Lufthansa bei der Beschäftigung von Zwangsarbeitern keine Verirrung war, eine Handlungsweise, die ihr von den Nationalsozialisten aufgezwungen war oder gar Folge eines nationalsozialistischen Moralkodex,2 sondern ein sehr bewusst in Kauf genommenes Ergebnis ihrer Wirtschaftlichkeitsstrategie, um nach dem Ausfall der eigentlichen Einnahmequelle Kapital für eine grundstürzende Modernisierung ihrer Flotte für den Luftverkehr der Nachkriegszeit zu sammeln. Und es stellte sich heraus, dass die erste Lufthansa sich als ein politisches Unternehmen verstanden hatte. Christoph Weber, der 2009 einen Dokumentarfilm über die »verdrängte Geschichte der Lufthansa« drehte, fand sogar einen Filmausschnitt von 1942, auf dem der Aufsichtsratsvorsitzende Emil Georg von Stauss stolz bekundete, der Nationalsozialismus sei in der Lufthansa schon seit der Gründung »wirkungsvoll« gewesen.
Auf diese Eröffnung reagierte die Lufthansa in einer Weise, mit der kaum deutlicher gezeigt werden konnte, wie sehr es Teil der Unternehmensstrategie der zweiten Lufthansa gewesen war, sich mit der bunt schillernden Tradition der ersten zu schmücken. Ebenso wenig wie die Feier zum 75. Jahrestag stattfand, wurde das fertige Buch von Wachtel veröffentlicht. Meine Studie verschwand zwar nicht ganz in der Schublade, wurde aber nur als Manuskript vervielfältigt und auf explizite Nachfrage verschickt. Stattdessen bereitete sich die Lufthansa fortan auf das 50. Jubiläum des ersten Flugs nach dem Zweiten Weltkrieg vor und legte sich darauf fest, dass sie zwar einen gemeinsamen Namen, aber keine gemeinsame Geschichte mit ihrer Vorgängerin habe. Die Tradition der ersten Lufthansa wurde aber nicht völlig abgespalten, sondern weiterhin genutzt, um ihren vermeintlichen Glanz auf die zweite abzulenken, etwa durch das Traditionsflugzeug Ju 52 der Deutsche Lufthansa Berlin-Stiftung – ein Muster, das nicht bei der neuen Lufthansa, aber bei der alten und überwiegend bei der Luftwaffe des nationalsozialistischen Deutschland zum Einsatz gekommen war. Selbst in einem wissenschaftlichen Aufsatz wurde 2007 gespottet, dass die Lufthansa zwei Gründungsdaten habe, deren sie sich nach Bedarf und unbekümmert um Widersprüche bediene.3 Immerhin entschloss sich die Lufthansa nach der Ankündigung von Adler und Kranich dazu, die erwähnte 17 Jahre alte Festschrift von Joachim Wachtel – ergänzt um meine Studie zur Zwangsarbeiterbeschäftigung – veröffentlichen zu lassen. Doch abermals grenzt sie sich mit dieser »Geschichte der Lufthansa von den Anfängen bis 1945« von der ersten Lufthansa ab. Adler und Kranich versteht sich insoweit auch als Beitrag zur jüngsten Debatte, wie sich Unternehmen und Unternehmer in der Nachkriegszeit zu ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit stellten.
Gerald Feldman hielt schon 2002 fest, dass die Lufthansa im Umgang mit ihrer Geschichte recht einzigartig unter den deutschen Großunternehmen dastehe.4 Etliche deutsche Unternehmen mussten sich in den letzten dreißig Jahren in einem teils quälenden Prozess von dem überschüssigen nationalen Sinn befreien, der ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit während der Weimarer Republik, erst recht aber in der Zeit des nationalsozialistischen Deutschland zugeschrieben worden war. Meist waren diese Selbstbilder gemeinsam mit der nationalsozialistischen Vergangenheit verdrängt worden, oft genug aber in harmlose Unternehmenstraditionen eingeflossen. Das Selbstbild der deutschen Luftfahrt hingegen speist sich bis heute nahezu ungebrochen aus den Utopien, die in den 1920er- und 1930er-Jahren in sie hineingelesen wurden. Zu Tradition gewendet, beweist die Luftfahrteuphorie dieser Zeit bis heute ihre Stärke. Die Lufthansa ist nur ein Beispiel dafür, wenn auch ein wichtiges.
Mein Buch zeigt: Die Lufthansa hatte von Anfang an eine besondere Bedeutung für den deutschen Staat, obwohl sie als mehrheitlich privates Unternehmen getarnt wurde. Die Geschichte der Lufthansa wird von mir deshalb einerseits als klassische Unternehmensgeschichte, andererseits als politische Geschichte erzählt. In den 1920er- und frühen 1930er-Jahren erfüllte sie Aufgaben in der geheimen Wiederaufrüstung. Als die Lufthansa 1926 entstand, war klar, dass sich der größte Teil ihrer Erträge aus Subventionen speisen würde. Und es war auch klar, dass dies auf unabsehbare Zeit so bleiben würde. Begründet wurden die Subventionen in erster Linie mit dem im Versailler Friedensvertrag verfügten Verzicht auf Luftstreitkräfte. In den Subventionen für die Lufthansa bündelten sich die Mittel, die in anderen Ländern für die Luftwaffe ausgegeben wurden, vorgeblich, um mit ihrer Nachfrage die deutsche Flugzeugindustrie zu erhalten. Luftverkehr suggerierte, dass Deutschland trotz des verlorenen Weltkriegs das Zentrum technischer und wirtschaftlicher Modernisierung geblieben war, dass die deutsche Geltung in der Welt durch Luftfahrt erneuert würde. Die Luftgeltung war zwar eine kollektive Idee, die sich unsichtbar in die Haltung zum Luftverkehr einprägte, aber hinter ihr standen Akteure, die eigennützig handelten: Institutionen, an erster Stelle die Reichswehr, Reichsministerien und Reichsregierung, Länder wie Preußen, aber auch Kommunen und Unternehmen; zudem unbeirrte ehemalige Kriegsflieger und Offiziere, Flugzeughersteller, Wissenschaftler und Bankiers, Journalisten und Schriftsteller, Politiker aller Schattierungen. Die Interessen der meisten lassen sich leicht umreißen. Sie sahen sich bei der Gründung der Lufthansa oft genug in einer Distanz zur Weimarer Republik, und deshalb war die Lufthansa auch ein Zugeständnis an sie, die sich vor und während des Ersten Weltkriegs auf die Luftfahrt eingelassen hatten und sich seit 1918 ihrer Zukunft beraubt fühlten.
Die Lufthansa war mehr als jedes andere Luftfahrtunternehmen Trägerin der in Deutschland besonders mächtigen Luftfahrteuphorie. Die Luftfahrt sollte die deutsche Geltung in der Welt nach dem Ersten Weltkrieg erneuern, sie verhieß zudem eine Modernisierung der deutschen Gesellschaft durch Technik und war die populärste Denkfigur, mit der die zerklüftete politische und soziale Realität der ersten deutschen Republik überspielt werden sollte. Selbst wenn die technische Entwicklung so weit gediehen war, dass sie Passagierflugzeuge möglich machte, die den Sprung vom europäischen Festland zu den Britischen Inseln, über die Alpen und vielleicht auch von Kontinent zu Kontinente schafften, blieb Luftverkehr jedoch unwirtschaftlich, solange die Einkommen mehrheitlich so niedrig waren und sich so ungleich verteilten, dass sich nur die Oberschicht eine Flugreise leisten konnte. Eine große, mobile, wohlhabende und mehr oder weniger egalitäre Bevölkerung war die unabdingbare gesellschaftliche Voraussetzung für einen wirtschaftlichen zivilen Luftverkehr.5 In den Vereinigten Staaten schien dies erstmals Mitte der 1930er-Jahre möglich zu sein. Dennoch entspann sich ausgerechnet in Deutschland, das durch die Produktivitäts- und Vermögensverluste in Krieg und Inflation weit in seiner Entwicklung zurückgeworfen worden war, schon zehn Jahre vorher das weltweit dichteste und längste Luftverkehrsnetz. Entsprechend wurde in die Luftfahrt besonders in Deutschland eine gesellschaftliche und nationale Utopie hineingedeutet:6 »Fliegen suggerierte […] einen harmonischen Zugang zur Moderne und versprach bestehende gesellschaftliche Gegensätze miteinander zu versöhnen.«7 Diese Utopie fand in den 1920er-Jahren ein überwältigendes Echo in Presse, Literatur, Radio und Film. Während ihre Medialisierung intensiv beschrieben worden ist, gibt es nur verstreute Hinweise, wie sie von Unternehmen verwendet wurde, um ihre Position auf dem Markt zu verbessern. Es ist deshalb das Hauptziel dieses Buches, zu zeigen, dass die Deutsche Lufthansa AG Trägerin der in der Luftfahrt eingeschriebenen gesellschaftlichen und nationalen Utopie war und ihre Geschichte als Unternehmen ohne diese Utopie – auch bei einer nüchternen wirtschaftlichen Betrachtung – nicht verstanden werden kann.8 Ihr Handlungsrahmen wurde durch politische Entscheidungen gesetzt, die sehr wohl danach abgewogen wurden, wie weit die Utopie die Republik selbst stabilisierte. Deshalb müssen in erster Linie die politischen Interessen analysiert werden, die auf die Konzeption der Lufthansa in der Stabilitätsphase der Weimarer Republik einwirkten. Denn mit dieser Sinnkonstruktion konnten erhebliche Mittel in den Haushalten von Reich, Ländern und Gemeinden mobilisiert werden, ausdrücklich auf Kosten anderer öffentlicher Aufgaben und gegen Ende der Weimarer Republik auch auf Kosten der Rüstung.
Die Lufthansa flog zu keiner Zeit wirtschaftlich, sondern musste hoch subventioniert werden. Mit der Gründung der Lufthansa wurden von Anfang an die strategischen Alternativen geboren, die sich durch ihre Geschichte ziehen und auch das analytische Gerüst dieses Buches bilden: Solange die Lufthansa Subventionen empfing, brauchte sie eine zusätzliche Legitimation als Tarnkappe der geheimen Aufrüstung und als Trägerin einer nationalen und gesellschaftlichen Utopie. In Ermangelung dieser Legitimation musste sie wirtschaftlich sein. Da die Wirtschaftlichkeit als Alternative zur nationalen Mission nie vom Horizont verschwand, wird der wirtschaftliche und technische Fortschritt der Lufthansa als Unternehmen ebenso untersucht wie ihre politische Geschichte, manchmal in kleineren Exkursen, wenn es zu detailliert zu werden droht. Weil die Lufthansa das Ziel der Wirtschaftlichkeit bis zur Betriebseinstellung im April 1945 auch nicht annähernd erreichte, stand sie mehrfach in ihrer Geschichte kurz davor, aufgegeben zu werden. In der Weimarer Republik verklang nie die Forderung, die knappen Mittel direkt in die Aufrüstung fließen zu lassen, statt den Umweg über die Lufthansa zu suchen. Auch musste kontinuierlich ausgehandelt werden, wie weit für den Luftverkehr Mittel von anderen öffentlichen Aufgaben abgezogen werden konnten. Gegen Ende der Weimarer Republik stand die Lufthansa praktisch vor dem Aus. Der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bot ihr abermals eine Chance, sich neu zu legitimieren, trotzdem blieb sie, erst recht durch die sogenannte Enttarnung der Luftwaffe am 1. März 1935, in einer Dauerkrise. In dem Maße, wie die deutsche Geltung zur Luft von der Luftwaffe verkörpert wurde, verloren die Subventionen für die Lufthansa ihre Legitimation. Sie stand fortan unter einem wachsenden Zwang zur Wirtschaftlichkeit. Die Geschichte der Lufthansa im nationalsozialistischen Deutschland, auch ihre Teilnahme an den nationalsozialistischen Verbrechen, vor allem an der Zwangsarbeiterbeschäftigung, müssen im Zusammenhang mit dieser latenten Krise und der aus ihr entstehenden Wirtschaftlichkeitsstrategie gesehen werden.
In Adler und Kranich wird gezeigt, dass sich der Glaube an die »Luftgeltung« zum Ende der Weimarer Republik so sehr abgenutzt hatte, dass die Führung der Lufthansa früh auf die Versprechungen Hermann Görings und der Nationalsozialisten einschwenkte – denn die Wirtschaftlichkeit war immer noch in weiter Ferne. Besonderer Wert wird darauf gelegt, die Beteiligung der Lufthansa an der nationalsozialistischen Aufrüstung zu schildern und gründlich die Ursachen der besonders intensiven Beteiligung der Lufthansa am nationalsozialistischen Zwangsarbeiterregime zu klären. Denn gerade weil sie sich mit Macht auf den Luftverkehr der Nachkriegszeit vorbereitete, musste die Lufthansa Geld sparen, und das bekamen vor allem ihre Zwangsarbeiter zu spüren. Schließlich wird gezeigt, wie es der Führung der Lufthansa gelang, in der langen Vorbereitung des Neustarts 1955 die Vorbehalte der Alliierten zu dämpfen, die erlebt hatten, dass sich unter der Lufthansa die Luftwaffe verbarg – und dennoch eine Konzeption durchzusetzen, die sich gegen fast alles sperrte, was die neue Bundesrepublik ausmachen wollte: die Hinwendung zu Europa und das Vertrauen in die Demokratie, vor allem aber eine Beschäftigung mit der eigenen Geschichte unter dem nationalsozialistischen Regime. Die Gründer der zweiten Lufthansa (von denen die meisten auch die erste Lufthansa geprägt hatten) deklarierten als Unternehmensziel schlechthin, ausdrücklich einen Mehrwert zu erwirtschaften, obwohl die Erfahrung der drei Jahrzehnte zuvor gezeigt hatte, dass Luftverkehr nur mit hohen Subventionen funktionierte. »Nicht nachlassen! Unsere Lufthansa arbeitet noch immer ohne Gewinn!«, stand 1960 auf den Vordrucken für interne Aktenvermerke. Das lag daran, dass ein großer Teil der Sinnkonstruktion, mit der die erste Lufthansa gewirtschaftet hatte, diskreditiert war. Die Idee, die deutsche Geltung in der Welt durch Luftfahrt zu erneuern, war nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr verdächtig, dass es sogar schädlich gewesen wäre, sie als Legitimation für Subventionen an die deutsche Verkehrsluftfahrt einzusetzen. Um aber wenigstens einen Teil des Schubs zu nutzen, den die Mission der Luftgeltung für die deutsche Verkehrsluftfahrt einmal gehabt hatte, wurde sie historisiert. Als es erste Debatten über die Subventionen gab, die auch die zweite Lufthansa vorläufig noch brauchte, wurde eine Tradition der ersten Lufthansa erfunden, die etliche der Zutaten enthielt, mit denen sie schon in den 1920er-Jahren zu glänzen versucht hatte: Flugzeuge, Pioniertaten, Fortschrittsglaube, Abenteuer, Weltumspannung, aber nicht Politik und nicht Rüstungsersatz. Seither wird eine heroische Tradition der ersten Lufthansa als historisches Fundament der zweiten erzählt.9
Lutz Budrass
Bochum, Januar 2016
I.
»Gesunder Wettbewerb«: Die Luftverkehrsgesellschaften 1919–1925
Im August 1918 wurde Wilhelm Siegert, der Chef der Inspektion der Fliegertruppen (IdFlieg) des Heeres, auf den Luftverkehr aufmerksam: »Wenn wir dereinst im Stande sein wollen, dem Luftverkehr durch die Fliegerwaffe eine Entwicklungsmöglichkeit zu geben, ähnlich wie England Handel und Kolonisation nur auf seiner Flotte hat aufbauen können, dann ist es fünf Minuten vor Zwölf, um ans Werk zu gehen.«10 Siegert, der sich schon in seinem Kriegstagebuch recht unbescheiden als Schöpfer der deutschen Fliegerkräfte schlechthin bezeichnete – »Ich habe die preußische Fliegerei aus der Taufe gehoben, ich bin ihr Lehrer gewesen«11 –, hatte die IdFlieg seit 1915 zur zentralen militärischen Exekutivbehörde für die deutsche Luftfahrtindustrie ausgebaut. Er war im August 1918 tatsächlich entscheidend, wenn »ans Werk« gegangen werden sollte. Am Vormittag des 10. November 1918 musste sich Siegert allerdings eingestehen, dass sich die Zeiger nun sehr rasch der Zwölf näherten: »Meine Prophezeiung […], dass uns ein Reichsluftamt von der unabhängigen Sozialdemokratie aufgezwungen wird, falls wir es nicht rechtzeitig selbst anregen, beginnt sich buchstabengetreu zu erfüllen.«12 Siegert drang noch mit seinem Arbeitsprogramm für eine »zentrale zivile Zusammenfassung« der Luftfahrt in einem »Reichsluftamt« durch und auch mit seinem Vorschlag für die Leitung des neuen Amtes, musste dann aber das Feld räumen. Die IdFlieg blieb nach dem Waffenstillstand übergangsweise erhalten, kürzte ihre Bestellungen im Winter 1918/19 erheblich, ließ die Flugzeugfirmen aber teils »zivilisierte« Kriegsmodelle weiterproduzieren.13 Siegert selbst fügte sich 1920 in seinen Abschied und begann als Berater für den Flugzeughersteller Sablatnig zu arbeiten, der alsbald mit einem eigenen Luftverkehr auftrat.
August Eulers »luftpolitische Marksteine«: Hoffnung auf die versöhnende Kraft eines zivilen Luftverkehrs statt militärischer Fliegerei
Am 26. November 1918 erließ die neu gebildete Reichsregierung unter Friedrich Ebert eine erste Verordnung über die »vorläufige Regelung der Luftfahrt«. Ihr folgte am 4. Dezember 1918 der Erlass zur Bildung des »Reichsluftamtes«, dem bald darauf umfangreiche, allerdings vage formulierte Kompetenzen eingeräumt wurden. Dazu gehörte die »ausschließliche Befugnis« des Leiters des Amtes, »nach seinem Ermessen im Einzelfalle Luftfahrt zuzulassen«.14 Auf diesen Posten wurde der Mann berufen, den Siegert vorgeschlagen hatte: seinen »sachlichsten und erbittertsten Gegner im Flugwesen seit 1908«, August Euler.15 Euler, 1868 geboren, war Luftfahrtunternehmer der ersten Stunde: Seine Flugzeugfabrik hatte 1908 die ersten deutschen Motorflugzeuge gebaut. 1910 erwarb er den deutschen Flugzeugführerschein Nummer 1, stellte einen Dauerflugrekord auf, trug anschließend Sorge für eine geregelte Pilotenausbildung in Deutschland und initiierte 1912 den ersten amtlichen Postflug in Deutschland zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt. Euler personifizierte die frühe deutsche Luftfahrt. Der Bruder des Kaisers, Prinz Heinrich, lernte bei ihm das Fliegen, um die Hinwendung des Hauses Hohenzollern zur modernen Technik zu unterstreichen.
Nicht nur Siegert schien Euler 1918 ein geeigneter Kandidat für die Leitung des Reichsluftamtes zu sein. Euler hatte während des Krieges Distanz zum Militär gehalten. Er war kein Pazifist – schon vor dem Krieg erwarb er ein Patent für ein Flugzeug mit Maschinengewehr, und während des Krieges wurden in den Euler-Flugzeugwerken in Frankfurt mehrere Kriegsflugzeugtypen entwickelt. Er pflegte aber seine persönliche und unternehmerische Unabhängigkeit. Lange hatte er sich gewehrt, in den Kriegsverband der Flugzeugindustrie einzutreten und sich der Beschaffungsbehörde der IdFlieg, der Flugzeugmeisterei, zu unterwerfen. Ebenso hatte er die Organisation der deutschen Militärluftfahrt und vor allem die unfallträchtige Ausbildung des fliegenden Personals scharf kritisiert.16
Mit seinen weitreichenden internationalen Kontakten und seiner immer wieder geäußerten Hoffnung auf die versöhnende Kraft eines zivilen Luftverkehrs konnte Euler bei den Revolutionären, aber auch den Alliierten zusätzliche Punkte sammeln. Deshalb schlug Siegert Euler zum »Zivil-Diktator« der Nachkriegsluftfahrt vor.17 Gerade er konnte Eulers Politik allerdings mit Gleichmut verfolgen, denn das Reichsluftamt sollte fast ausschließlich frühere Angehörige der IdFlieg beschäftigen.
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