Affektive Störungen und Sucht - Ulrich W. Preuss - E-Book

Affektive Störungen und Sucht E-Book

Ulrich W. Preuss

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Beschreibung

Die Komorbidität von affektiven Störungen und Sucht stellt für Therapeuten eine Herausforderung dar, da sie über theoretische Kenntnisse und praktische Behandlungskompetenz bzgl. beider Störungsbilder verfügen müssen. Dieses Buch fokussiert auf Alkoholkonsumstörungen, die gemeinsam mit Depressionen oder bipolaren Störungen auftreten, und beschreibt das klinische Bild, den Verlauf, die Diagnostik, die Prognose sowie Ätiologiemodelle dieser Komorbiditätsformen. Im Zentrum steht die kombinierte pharmakologische und psychotherapeutische Behandlung, fundiert durch störungsspezifische Leitlinien und ein strukturiertes integriertes Behandlungsprogramm. Arbeitsmaterialien stehen zum Download zur Verfügung.

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Inhalt

Cover

Titelei

Geleitwort der Reihenherausgeber

Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial

1 Einleitung

2 Fallvignetten

3 Epidemiologie

3.1 Alkohol- und Substanzkonsum und Konsumstörungen

3.2 Affektive Störungen: Depressionen

3.3 Affektive Störungen: Bipolare Erkrankungen

3.4 Komorbidität von ASUD und affektiven Störungen in verschiedenen Stichproben

4 Klinik, Verlauf und Prognose

4.1 Klinische Besonderheiten bei komorbiden Alkohol- und Substanzkonsumstörungen und Depression

4.2 Klinische Besonderheiten bei komorbiden Alkohol- und Substanzkonsumstörungen und bipolaren Erkrankungen

4.3 Verlauf und Prognose

4.3.1 Verlauf und Prognose bei komorbiden Depressionen

4.3.2 Verlauf und Prognose komorbider bipolarer Störungen

5 Ätiologische Modelle

5.1 Unidirektionale Modelle zu Depression und Sucht

5.2 Bidirektionales Modell bipolarer Erkrankungen

5.3 Konzept der »gemeinsamen biologischen Faktoren«

5.3.1 Beteiligung von Hirnregionen und Neurotransmittern

5.3.2 Hinweise aus der Molekulargenetik

6 Diagnostik und Differenzialdiagnose

6.1 Diagnostik der Alkoholabhängigkeit

6.1.1 Änderungen der diagnostischen Entitäten in der ICD-11

6.1.2 Alkoholabhängigkeit in der ICD-11

6.1.3 Schädlicher Gebrauch in der ICD-11

6.1.4 Alkoholinduzierte Störungen in der ICD-11

6.2 Affektive Störungen: Depressionen

6.3 Bipolare Störungen

6.3.1 Episoden bipolar affektiver Störungen nach ICD-10

6.3.2 Änderungen der Diagnostik in der ICD-11 in Bezug auf Depression und bipolare Störung

7 Therapie

7.1 Allgemeine therapeutische Grundlagen

7.2 Die Behandlung der Alkoholabhängigkeit

7.3 Die Behandlung der komorbiden Depression

7.3.1 Pharmakotherapie

7.3.2 Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit bei komorbider Depression

7.3.3 Kombinierte Psycho- und Pharmakotherapie

7.3.4 Versorgungsalgorithmus für die Komorbidität Depression und Alkoholabhängigkeit

7.3.5 Digitale Interventionen bei komorbiden Depressionen

7.4 Die Behandlung komorbider bipolarer Störungen

7.4.1 Therapie komorbider bipolarer und Alkoholkonsumstörungen Einleitung

7.4.2 Pharmakotherapie

7.4.3 Kombination von Psychopharmaka und Rückfallprophylaktika

7.4.4 Psychotherapie

7.4.5 Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie

7.4.6 Versorgungsalgorithmus für die komorbide bipolare Störung

7.5 Postakutbehandlung komorbider affektiver Störungen

7.5.1 Berücksichtigung somatischer und psychischer Komorbidität

7.6 Integrative Behandlung bei affektiven Störungen

7.6.1 Grundlagen integrativer Behandlungen

7.6.2 Beschreibung eines integrativen Behandlungsprogramms

7.6.3 Komplikationen in der Behandlung und Lösungsansätze

8 Prävention

8.1 Studienergebnisse zur Prävention komorbider affektiver Erkrankungen und Alkoholkonsumstörungen

9 Zusammenfassung und Ausblick

Arbeitsmaterialien

Zusatzmaterial zum Download

Literatur

Stichwortverzeichnis

Sucht: Risiken – Formen – InterventionenInterdisziplinäre Ansätze von der Prävention zur Therapie

Herausgegeben von Oliver Bilke-Hentsch,Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank und Michael Klein

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/sucht-reihe

Die Autoren

Prof. Dr. med. Ulrich W. Preuss ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin an den RKH Kliniken Ludwigsburg und apl. Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, klinischer Supervisor (DGPPN) und hat die Zusatzbezeichnungen und Zertifikate Gerontopsychiatrie (DGGP, DGPPN), Liaison- und Konsiliarpsychiatrie (DGPPN), Psychosomatik in der Psychiatrie (DGPPN) sowie Suchtmedizin. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin.

Prof. Dr. phil. Franz Moggi, EMBA in Medical Management, ist Chefpsychologe und Leiter des Klinisch Psychologischen Dienstes, Psychologischer Leiter des Zentrums für Psychotherapie und des Zentrums für Suchtpsychiatrie sowie Leiter der Forschungsgruppe Sucht an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bern, Schweiz. Er ist eidgenössisch anerkannter Psychotherapeut. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Komorbidität psychischer Störungen und Sucht. Er ist Vorstandsmitglied von Addiction Psychology Switzerland (APS).

Ulrich W. PreussFranz Moggi

Affektive Störungenund Sucht

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-040684-1

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-040685-8epub:ISBN 978-3-17-040686-5

Geleitwort der Reihenherausgeber

Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Suchtbereich sind beachtlich und erfreulich. Dies gilt für Prävention, Diagnostik und Therapie, aber auch für die Suchtforschung in den Bereichen Biologie, Medizin, Psychologie und den Sozialwissenschaften. Dabei wird vielfältig und interdisziplinär an den Themen der Abhängigkeit, des schädlichen Gebrauchs und der gesellschaftlichen, persönlichen und biologischen Risikofaktoren gearbeitet. In den unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsphasen sowie in den unterschiedlichen familiären, beruflichen und sozialen Kontexten zeigen sich teils überlappende, teils sehr unterschiedliche Herausforderungen.

Um diesen vielen neuen Entwicklungen im Suchtbereich gerecht zu werden, wurde die Reihe »Sucht: Risiken – Formen – Interventionen« konzipiert. In jedem einzelnen Band wird von ausgewiesenen Expertinnen und Experten ein Schwerpunktthema bearbeitet.

Die Reihe gliedert sich konzeptionell in drei Hauptbereiche, sog. »tracks«:

Track 1:Grundlagen und Interventionsansätze

Track 2:Substanzabhängige Störungen und Verhaltenssüchte im Einzelnen

Track 3:Gefährdete Personengruppen und Komorbiditäten

In jedem Band wird auf die interdisziplinären und praxisrelevanten Aspekte fokussiert, es werden aber auch die neuesten wissenschaftlichen Grundlagen des Themas umfassend und verständlich dargestellt. Die Leserinnen und Leser haben so die Möglichkeit, sich entweder Stück für Stück ihre »persönliche Suchtbibliothek« zusammenzustellen oder aber mit einzelnen Bänden Wissen und Können in einem bestimmten Bereich zu erweitern.

Unsere Reihe »Sucht« ist geeignet und besonders gedacht für Fachleute und Praktiker aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Suchtberatung, der ambulanten und stationären Therapie, der Rehabilitation und nicht zuletzt der Prävention. Sie ist aber auch gleichermaßen geeignet für Studierende der Psychologie, der Pädagogik, der Medizin, der Pflege und anderer Fachbereiche, die sich intensiver mit Suchtgefährdeten und Suchtkranken beschäftigen wollen.

Die Herausgeber möchten mit diesem interdisziplinären Konzept der Sucht-Reihe einen Beitrag in der Aus- und Weiterbildung in diesem anspruchsvollen Feld leisten. Wir bedanken uns beim Verlag für die Umsetzung dieses innovativen Konzepts und bei allen Autoren für die sehr anspruchsvollen, aber dennoch gut lesbaren und praxisrelevanten Werke.

Der vorliegende Band von Ulrich Preuss aus Ludwigsburg und Franz Moggi aus Bern gehört zu Track 3 (Gefährdete Personengruppen und Komorbiditäten). Der Band analysiert die wichtige Thematik der Komorbidität von Depressionen und Bipolaren Störungen bei Menschen mit Suchtproblemen. Nach Kapiteln zur Epidemiologie und Klinik folgen Ausführungen zu ätiologischen Modellen und der Diagnostik, Therapie und Prävention. Eine Vielzahl von Tabellen und Literaturhinweisen, die teilweise keinen Platz im gedruckten Band finden konnten, stehen den interessierten Leserinnen und Lesern online zur Verfügung. Das Herzstück des Bandes ist das sehr gut fundierte und zugleich praxisnahe Therapiekapitel, in dem die Autoren nach der Darstellung der einzelnen Therapieelemente ein integratives Behandlungsprogramm ausführlich und sehr praxisnah beschreiben. Wir sind davon überzeugt, dass die Lektüre des vorliegenden Bandes sowohl für wissenschaftlich interessierte Leser als auch für Kliniker gewinnbringend sein wird.

Oliver Bilke-Hentsch, LuzernEuphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, KölnMichael Klein, Köln

Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial

Den Weblink, unter dem die Zusatzmaterialien zum Download verfügbar sind, finden Sie am Ende des Buchs unter ▸ Kap. Zusatzmaterial zum Download.

Arbeitsmaterialien:

Abb. 1: Bedingungsanalyse (Kanfer's Selbstregulationsmodell SORKC) (nach Kanfer et al. 2012)

Abb. 2: Hausaufgabe Selbstdiagnose (modifiziert nach Moggi und Donati 2004, S. 94)

Abb. 3: Zielerreichungsskalierung (Goal Attainment Scaling)

Abb. 4: Entscheidungsmatrix (modifiziert nach Moggi und Donati 2004, S. 95)

Abb. 5: Entscheidungskreuz

Abb. 6: Tagesstruktur (Beispiel eines typischen Arbeitstages)

Studien-Übersichten:

Tab. 1: Studien zu Depressionen und Alkoholabhängigkeit

Tab. 2: Studien zu bipolaren Störungen und Alkoholabhängigkeit, epidemiologische Studien

Tab. 3: Studien zu bipolaren Störungen und Alkoholabhängigkeit, klinische Studien

Tab. 4: Studien zur Pharmakotherapie der komorbiden Depressionen bei Alkoholabhängigkeit

Literatur: Quellenverzeichnis zu den Studien-Übersichten

1 Einleitung

Ein bei Patienten vor allem in klinischen Settings feststellbarer jahrelanger, hochdosierter und chronischer Alkoholkonsum ist oft mit einer Vielzahl verschiedener komorbider psychischer Erkrankungen assoziiert (z. B. Grant et al. 2016; Regier 1990). Besonders häufig können bei Menschen mit schädlichem und abhängigem Gebrauch von Alkohol und anderen Substanzen affektive Störungen, aber auch schizophrene Psychosen sowie Angsterkrankungen diagnostiziert werden. Eine besondere Herausforderung ist für den klinisch Tätigen neben der Diagnosestellung auch die Behandlung der Komorbidität, zumal psychische Symptome eine direkte Folge des exzessiven Konsums sein können und z. T. mit Abstinenz von selbst abklingen (Brown et al. 1995) oder aber bei Konsum und Intoxikation nicht erkannt werden und erst unter Abstinenz sichtbar werden. Entsprechend sind Behandlungsbedingungen bei der Diagnose von zwei oder mehreren Störungen deutlich kompliziert. Empfohlen werden spezifische Ansätze wie eine »integrierte Behandlung«, um in Therapiezielen und Therapieinhalten den Symptomen und Bedürfnissen der Betroffenen mit verschiedenen Behandlungsansätzen gerecht zu werden.

Dieses Buch konzentriert sich auf die Komorbidität von Alkohol- und Substanzkonsumstörungen und affektiven Erkrankungen, namentlich Depressionen oder bipolaren Störungen (Bipolar Diseases, BD), also das Auftreten von zwei oder mehr psychischen Erkrankungen bei den Betroffenen in der Lebenszeit oder aktuell. Neben Alkohol- und Substanzkonsumstörungen erfüllen diese Personen auch die Kriterien einer affektiven Störung. Auf die Besonderheiten der Diagnostik und Differenzialdiagnostik, des Verlaufs und der Prognose wird in mehreren Kapiteln ebenso ausführlich eingegangen wie auf aktuelle Leitlinien zur Therapie der Komorbidität von affektiven Erkrankungen und alkoholbezogenen Störungen. Ein eigenes Kapitel widmet sich den in der Forschung diskutierten ätiologischen Modellen der Komorbidität, d. h., ob die eine psychische Erkrankung durch die andere möglicherweise ausgelöst oder verstärkt wird bzw. ob gemeinsame Faktoren Ursache beider Störungen sein können. Schließlich nimmt ein großer Teil des Bandes die Anwendung von therapeutischen Interventionen ein. Erkenntnisse und Empfehlungen orientieren sich an den aktuellen Leitlinien. Insbesondere wird auf die Elemente der integrierten Therapie ausführlich eingegangen, die konzeptuell gezielt auf die multimodale Behandlung komorbider psychischer Erkrankungen ausgerichtet ist. Die Elemente integrierter Therapie werden ausführlich vorgestellt und mit Arbeitsmaterialien im Anhang unterlegt. Damit soll die flexible Anwendung der integrierten Therapie in unterschiedlichen Therapiesettings erleichtert werden.

Alle personenbezogenen Begriffe sind als genderneutral anzusehen.

2 Fallvignetten

Der Begriff Alkoholkonsumstörung bezeichnet ein schädliches bis abhängiges Muster von Alkoholkonsum und seinen psychosozialen und gesundheitlichen Folgen für die Person und ihr Umfeld. Alkoholkonsumstörungen sind eine der häufigsten Formen von Substanzkonsumstörungen, gehören aber auch zu den häufigsten psychischen Störungen überhaupt mit hohen Folgekosten und mit erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsraten. Neben genetischen Dispositionen spielen psychologische Prozesse wie z. B. Alkoholkonsum als eine Bewältigungsform emotionaler Belastungen und soziale Faktoren wie z. B. Konsummuster im persönlichen sozialen Umfeld wichtige Rollen in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Alkoholkonsumstörungen.

Der Begriff »Affektive Störungen« bezeichnet eine deutliche Veränderung der Affektivität hin zu einer traurigen (Depression) oder »gehobenen« Stimmung (Manie) sowie des entsprechenden allgemeinen Aktivitätsniveaus begleitet von kognitiven und teilweise somatischen Veränderungen. Während Depressionen die häufigste psychische Störung sind, kommen bipolaren Störungen, in denen sich manische (Manie) und depressive Episoden abwechseln, deutlich weniger häufig vor. Beide Störungsformen können nach Schweregrad und als episodisch, rezidivierend mit gesunden Phasen zwischen den Episoden und chronisch eingeteilt werden. Die biopsychosozialen Folgen dieser beiden Erkrankungen sind erheblich und die Mortalitätsraten deutlich erhöht. Insbesondere bei schweren, rezidivierenden bzw. chronischen Verläufen besteht bei beiden Krankheitsformen eine starke genetische Disposition. Leichtere bis mittelgradige Formen von Depressionen können sich auch unter einmaligen oder anhaltenden Stressbedingungen, insbesondere Verlustereignissen entwickeln.

Epidemiologische Studien zeigen, dass bipolare Störungen dem Auftreten von Alkoholkonsumstörungen sehr häufig vorausgehen, während der zeitliche Ablauf bei Depressionen nicht eindeutig ist. Der Alkoholkonsum nimmt häufig während hypomanen oder manischen Phasen zu, während sich in depressiven Phasen der Konsum verringert oder sich bei unipolaren Depressionen kaum verändert. Diagnostisch ist es z. B. oft schwierig festzustellen, ob eine Depression die Folge einer anhaltenden Alkoholkonsumstörung ist oder ob sich auf der Grundlage depressiver Symptome über die Jahre eine Alkoholkonsumstörung entwickelt hat, wobei Alkohol zunächst als Mittel zur Affektregulation, später zur Symptomverringerung verwendet worden war. Es mag schwerfallen, die beiden Störungen in Bezug auf ihr Auftreten, ihre Entwicklung und ihren Verlauf einander zuzuordnen, obwohl dies auf Indikation und Behandlung Einfluss nehmen kann.

Die empirische Datenlage legt in zweierlei Hinsicht nahe, dass eine integrative Therapie der beiden Störungsformen, d. h. der bipolaren Störung oder Depression und der Alkoholkonsumstörung, erfolgversprechend ist: Erstens integrativ in Bezug auf die gleichzeitige Therapie der Störungen mit evidenzbasierten Interventionen der entsprechenden Störung durch denselben Behandler oder dasselbe Behandlungsteam und zweitens integrativ, indem gemäß Indikation auf einander abgestimmt pharma- und psychotherapeutisch behandelt wird. Zur Veranschaulichung werden in den beiden folgenden Fallvignetten die Therapieverläufe zweier Patienten geschildert.

Fallvignette 1: Depression und Alkoholkonsumstörung

Beim Patienten handelt es sich um einen von der Arbeit wegen Depressionen krankgeschriebenen Lehrer, Mitte 50, der nach einem Suizidversuch mit Alkohol und Benzodiazepinen vom Notfallzentrum des Universitätsspitals in die psychiatrische Universitätsklinik eingewiesen wurde. Er wollte sich das Leben nehmen, weil ihn seine Frau nach über 25 Jahren aus dem gemeinsamen Haus »geworfen« und damit Frau, seine Tochter, den Hund und sein Haus verloren habe. Umfassende diagnostische Abklärungen ergaben neben diversen somatischen Erkrankungen eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome und ein Alkoholabhängigkeitssyndrom. Die depressiven Episoden hatten vor rund 20 Jahren nach einem »Burnout« begonnen, wobei er bis dato nie in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung war, sondern von seinem Hausarzt jeweils krankgeschrieben wurde und ein Benzodiazepin verschrieben bekommen hatte. Vor ca. 15 Jahren begann der Patient, episodisch und nach seinen Angaben unabhängig von den depressiven Episoden häufiger und mehr Alkohol zu konsumieren, wobei sich die Menge in den letzten fünf Jahren im Sinne eines über den Tag verteilten heimlichen Konsums von zwei Flaschen Wein und mehreren Gläsern Wodka und Bier deutlich gesteigert habe. Zudem hätten sich die depressiven Episoden gehäuft, so dass er sich als anhaltend depressiv wahrgenommen habe. In der Schule habe man nur von seinen Depressionen, aber nicht von seiner Alkoholkonsumstörung gewusst.

Nach der Alkoholentzugsphase wurde der Patient der Psychotherapiestation zugewiesen, in der zu Beginn des zwölfwöchigen Programms mit einer pharmakologischen Behandlung der rezidivierenden, mittlerweile chronischen Depression begonnen wurde. Das auf ihn abgestimmte gruppenpsychotherapeutische Programm bestand aus einer Psychoedukationsgruppe zu Depression, einer Emotionsregulationsgruppe, einer alkoholbezogenen Rückfallpräventionsgruppe und einer Gruppe zu sozialen Kompetenzen sowie weiteren unterstützenden Angeboten wie Sport-‍, Freizeit-‍, Ergo- und Kunsttherapie. In der Einzelpsychotherapie wurde integrativ unter Berücksichtigung störungsspezifischer Leitlinien mit motivierender Gesprächsführung und in der Umsetzung kognitiv-verhaltenstherapeutisch (Kognitive Verhaltenstherapie, KVT) sowohl die Depression als auch der Alkoholkonsum behandelt, wobei ein wichtiges Element die funktionalen Beziehungen zwischen den beiden Störungen herausgearbeitet wurden. Unter der Perspektive der Entwicklung der beiden Störungen zeigte sich, dass vom Patienten der Alkoholkonsum zunächst als Selbstmedikation der depressiven Symptome eingesetzt wurde (Entstehung), dass jedoch in den letzten Jahren vor Eintritt in die stationären Behandlungen der abhängig gewordene Alkoholkonsum zur Aufrechterhaltung der Depression wesentlich beitrug und letztere schließlich chronisch werden ließ. Der Suizidversuch wurde eigens durch die Kurztherapie nach Suizidversuch (Attempted Suicide Short Intervention Program, ASSIP) behandelt. Zudem war die kognitiv-emotionale Verarbeitung des Verlusts durch die Trennung von Familie, Umfeld und auch des eigenen Hauses ein psychotherapeutischer Schwerpunkt.

Im Verlauf des intensiven Psychotherapieprogramms und der sorgfältigen Einstellung der Pharmakotherapie konnte der Patient eine zukunftsorientierte Lebensperspektive entwickeln, in beiden Störungsbereichen Selbstwirksamkeitserfahrungen machen und damit seinen Selbstwert wiederentdecken und stärken (z. B. Verhinderung von alkoholbezogenen Rückfällen, Steigerung von Aktivitäten trotz depressionsbedingter Motivationseinbrüche). Die soziale Interaktion zwischen ihm und seiner Familie verbesserte sich, indem mit ihm psychotherapeutisch mit Elementen der Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) gearbeitet wurde. Der Patient trat mit stabil installiertem Antidepressivum und einer Augmentation durch Lithium deutlich gebessert aus dem stationären Rahmen in ein ambulantes Setting aus und konnte später seine Arbeit als Lehrer teilzeitlich wiederaufnehmen. In Bezug auf den Alkoholkonsum besuchte der Patient regelmäßig eine Selbsthilfegruppe.

Fallvignette 2: Bipolare Störung und Alkoholkonsumstörung

Ein 48-jähriger, mittlerweile arbeitsloser Arzt wird über das Notfallzentrum des Universitätsspitals mit einer ärztlich angeordneten Unterbringung in die psychiatrische Universitätsklinik eingewiesen. Er wurde in der Stadt von der Polizei in stark alkoholisiertem Zustand aufgegriffen, als er wütend und lautstark Passanten beschimpfte. Der Patient ist seit über zehn Jahren in unserer Klinik bestens bekannt, war insgesamt bereits dreimal unter ähnlichen Umständen, nie jedoch mit einem depressiven Zustandsbild zugewiesen worden. Zwischenzeitlich gab es auch in anderen Kliniken der Region Aufenthalte, meist auch mit den Diagnosen einer bipolar affektiven Störung, gegenwärtig manische Episode und einem Alkoholabhängigkeitssyndrom. Gelegentlich trat der Patient nach dem Alkoholentzug und nach Abklingen seiner psychomotorischen Unruhe, seinem Rededrang und seiner Größenideen in Spezialkliniken zur Behandlung der Alkoholkonsumstörung ein. Es wurde oft versucht, die bipolare Störung rückfallprophylaktisch mit einem Stimmungsstabilisator, ggf. atypischen Antipsychotikum und Lithium zu behandeln. Meist brach er nach einigen Wochen die Behandlungen frühzeitig ab. Anamnestisch berichtete der Patient, bereits während des Gymnasiums und des Medizinstudiums unter längeren depressiven und zwei hypomanischen Episoden gelitten zu haben und begann während seiner Assistenzarztzeit und danach, anhaltend v. a. in den hypo- und manischen Phasen häufiger und mehr Alkohol zu konsumieren.

Während es der Patient bisher ablehnte, ein zwölfwöchiges Spezialprogramm zur Behandlung der Komorbidität psychischer Störungen und Sucht zu absolvieren, stimmte er schließlich nach den zahlreichen ambulanten Versuchen vergangener Jahre, während denen vorwiegend seine Depressionen psychopharmako-therapeutisch behandelt wurden, dieses Mal überraschend zu. Der mit dem Patienten besprochene Behandlungsplan sah vor, zunächst seine noch akute affektive Symptomatik pharmakologisch zum vollständigen Abklingen zu bringen, um danach in der Erhaltungstherapie in Kombination mit Psychoedukation und Psychotherapie bipolare und alkoholbezogene Rückfälle in dieser dafür besonders vulnerablen Phase zu verhindern und schließlich eine ambulante Langzeittherapie zu installieren. Während der medikamentösen Einstellung wurde rasch im Gruppen- und teilweise im Einzelsetting mit störungskombinierter Psychoedukation zur bipolaren und zur Alkoholkonsumstörung begonnen (z. B. Vulnerabilitäts-Stress-Modell, Bedeutung von Belastungen für die Komorbidität, Erkennen von Frühwarnsymptomen einschließlich Alkoholkonsum als Risikofaktor, Relevanz stabiler Tagesstruktur als protektiver Faktor, Anzeichen alkoholbezogener Rückfälle). In der Einzelpsychotherapie wurden diese Inhalte noch einmal individuell vertieft (z. B. bipolare Rezidiv- und alkoholbezogene Rückfallanalysen), erstmals auch depressive Episoden kognitiv-verhaltenstherapeutisch bearbeitet sowie die persönliche Krankheitsverarbeitung zum Thema gemacht. In Gruppenpsychotherapien zur sozialen Kompetenz, Emotionsregulation und Entspannungstraining konnte der Patient entsprechende Fertigkeiten aufbauen und trainieren. In Anlehnung an die Interpersonal and Social Rhythm Therapy (IPSRT) wurde besonderes Augenmerk auf die Bedeutung belastender Lebensereignisse, zirkadianer Rhythmen sowie medikamentöser Adhärenz gelegt. Die Planung und Umsetzung von Aktivitäten sollten dem Patienten neben der Planung rehabilitativer Maßnahmen helfen, das Gelernte zunächst während Belastungserprobungen und danach im ambulanten Setting umzusetzen.

Der Patient hat schließlich Zweidrittel des Komorbiditätsprogramms absolviert und ist zwar frühzeitig, aber psychisch stabil und zukunftsorientiert sowie medikamentös auf je einen Stimmungsstabilisator und Lithium eingestellt ausgetreten. Die ambulante Nachsorge fand bei einem Psychiater statt und eine »bipolar freundliche« Tagesstruktur war installiert. Ein Arbeitsversuch mit einer nicht ärztlichen Tätigkeit, jedoch im medizinischen Umfeld war in Aussicht. Seit drei Jahren ist der Patient nicht wieder im Notfallzentrum bzw. in der psychiatrischen Universitätsklinik erschienen.

3 Epidemiologie

3.1 Alkohol- und Substanzkonsum und Konsumstörungen

In Deutschland trinkt jeder Einwohner über 15 Jahre im Durchschnitt elf Liter reinen Alkohol pro Jahr (John et al. 2016). Täglich sind rund 200 Todesfälle durch zu hohen Alkoholkonsum zu beklagen, jährlich liegt die Zahl bei 74.000 (Gärtner et al. 2013). Die Kosten mit mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr liegen auch im europäischen Vergleich an der Spitze aller durch psychische Störungen verursachten Kosten (Effertz und Mann 2013). Nach dem epidemiologischen Suchtsurvey 2018 (Seitz et al. 2019) wiesen in einer repräsentativen Befragung rund 30 % einen Lebenszeitkonsum »illegaler« Substanzen auf. Der größte Teil dieser Personen (28,3 % der Gesamtstichprobe) konsumierte Cannabinoide, gefolgt von Amphetaminen und Kokain (jeweils 4,1 %). Insgesamt wiesen 0,8 % der Stichprobe eine Abhängigkeit und 0,6 % einen Missbrauch auf.

Hohe Zahlen der Alkoholkonsumstörungen spiegeln sich auch im Krankenhausalltag und in den Belegungszahlen wider. Mit etwa 330.000 stationären Behandlungen im Jahr 2015 waren alkoholbedingte Störungen die zweithäufigste ICD-10-Diagnose (International Classification of Diseases, WHO 2000) bei allen Patienten (DESTATIS 2014). Der Mortalitäts- und Morbiditätsfaktor in der Bevölkerung durch Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit ist mit 392.000 bzw. 557.000 verlorenen Lebensjahren erheblich (Kraus et al. 2011).

Die »Public Health Forschung« kann die Konsequenzen des Alkoholkonsums in der Bevölkerung sehr genau beziffern. Ein vor einigen Jahren in der Zeitschrift »The Lancet« publizierter Artikel wies nach, dass regelmäßiger Alkoholkonsum zu den wichtigsten vermeidbaren Gesundheitsrisiken gehört (Lim et al. 2012). Die »Global Burden of Disease Study« der Weltgesundheitsorganisation ermittelte für 2010 die Hauptrisiken für die Entstehung von Krankheiten: danach nimmt in Deutschland der Alkoholkonsum bei Männern den fünften Platz ein (Plass et al. 2014). Damit gehört Deutschland zu den führenden Nationen weltweit. Alkohol- und Tabakkonsum zusammen bedingen 20 % des Risikos für die Gesamtheit aller Erkrankungen bei Männern.

Merke:

Alkoholkonsumstörungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland.

Regelmäßiger Alkoholkonsum führt mit steigender Menge zu erheblichen gesundheitlichen Folgeschäden.

3.2 Affektive Störungen: Depressionen

Depressionen sind psychische Störungen, die durch einen Zustand deutlich gedrückter Stimmung, Interesselosigkeit und Antriebsminderung über einen längeren Zeitraum gekennzeichnet sind. Damit verbunden treten häufig verschiedenste körperliche Beschwerden auf (Cassano und Fava 2002). Depressive Menschen sind durch ihre Erkrankung meist in ihrer gesamten Lebensführung beeinträchtigt. Es gelingt ihnen nicht oder nur schwer, alltägliche Aufgaben zu bewältigen und sie leiden unter starken Selbstzweifeln, Konzentrationsstörungen und Grübelneigung. Depressionen gehen wie kaum eine andere Erkrankung mit hohem Leidensdruck einher, da diese Erkrankung in zentraler Weise das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl von Patienten beeinträchtigt (Wittchen et al. 2000).

Depressionen zählen zu den häufigsten, aber hinsichtlich ihrer individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung meistunterschätzten Erkrankungen (Murray und Lopez 1996). Die Anzahl neuer Erkrankungsfälle innerhalb eines Jahres, die so genannte Jahresinzidenz, liegt bei ein bis zwei Erkrankungen auf 100 Personen (200 – 300 pro 100.000) (siehe S3-Leitlinie/Nationale Versorgungs-Leitlinie 2017). Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Depression (alle Formen) zu erkranken (Lebenszeitprävalenz