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Afrika ist ein Kontinent jenseits unserer Wahrnehmung. Seit Jahrzehnten wird die mangelnde Qualität der Afrika-Berichterstattung in deutschsprachigen Medien kritisiert. Zu Recht: Die Überbetonung von negativen Aspekten wie Bürgerkriegen, Hungerkatastrophen und Krankheiten entspricht den aktuellen Entwicklungen auf dem aufstrebenden Erdteil kaum. Afrika heute – das ist auch der Kontinent enormen Wirtschaftswachstums, beispielloser Innovationen und herausragender Persönlichkeiten. Warum aber bekommen wir von diesen Entwicklungen nichts mit? Und wie kann die Afrika-Berichterstattung organisiert werden, um eine realistische Darstellung des Kontinents zu ermöglichen? Das sind die beiden zentralen Fragen, denen Martin Sturmer in seinem Buch nachgeht. Ausgehend von Erkenntnissen der Kommunikationswissenschaft zeigt Sturmer, welche Faktoren und Akteure das gegenwärtige Afrika-Bild beeinflussen. Er dokumentiert schwere journalistische Fehlleistungen und beschäftigt sich mit ihren weitreichenden Folgen auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Kontinents und seiner Menschen. Schließlich belegt der Autor auf Basis einer Medienresonanzanalyse, dass eine differenzierte Afrika-Berichterstattung auch unter schwierigen medienökonomischen Bedingungen möglich ist. Sturmer spricht sich für einen Perspektivenwechsel aus, in dem afrikanische Journalisten selbst über ihre Heimatländer berichten.
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Seitenzahl: 259
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1 Aufbruch vom falschen Ort
2 Nachrichten aus Afrika: Wen interessiert’s?
3 Der verleumdete Kontinent
3.1 »Gute Nachrichten sind keine Nachrichten«: Strukturmerkmale der Afrika-Berichterstattung
3.2 Der Tod im Fokus: Bilder der Afrika-Berichterstattung
3.3 »Der Neger auf dem Abort« und andere sprachliche Verfehlungen
3.4 Folgen der schlechten Presse
4 Von Patrice Lumumba zu Rokia: Kommunikationswissenschaftliche Grundlagen
4.1 Die Kongo-Krise und die Entdeckung der Nachrichtenfaktoren
4.2 Gatekeeper: Torwächter der Information
4.3 News Bias: Einstellungen machen Geschichten
4.4 Agenda Setting: Themen formen Meinungen
4.5 Framing: Das Gesicht der Armut
5 Augenzeugen der Katastrophe: Die Akteure der Afrika-Berichterstattung
5.1 Nachrichtenagenturen: Weltmeister der Kommunikation
5.2 Der Afrika-Korrespondent als Auslaufmodell
5.3 Desinteresse und Unwissen: Die Rolle der Abnehmerredaktionen
5.4 »Children starving, mothers dying«: Öffentlichkeitsarbeit der Hilfsorganisationen
5.5 Prominente und die Reiter der Apokalypse
5.6 PR an der Front: Das Erbe von Biafra
6 Perspektivenwechsel: Eine differenzierte Berichterstattung ist möglich
6.1 Eine Nachrichtenagentur stellt die Welt auf den Kopf: Die Geschichte von Inter Press Service
6.2 Inhaltsanalyse von IPS Deutschland
6.3 Resonanz von IPS in den Salzburger Nachrichten
6.4 Zusammenfassung
7 Ankunft in Kampala
Literatur
Index
»Du traust Dich vielleicht was!« Meine gute Freundin Hertha, mit der mich seit Jahren ein fast schon halsstarriger Afrika-Optimismus verbindet, schüttelte verständnislos den Kopf. »Mitten im Chaos nach Kinshasa. War das denn nicht gefährlich?«
Die Wahrheit ist: Ich war noch nie in Kinshasa. Und selbstverständlich habe ich das Gegenteil auch nie behauptet. Mein Kommentar über die Hintergründe des Kongo-Krieges im Herbst 2008 für eine österreichische Tageszeitung hatte Hertha aber ein völlig anderes Bild vermittelt: Zierte dort doch die Ortsmarke »Kinshasa« die Einleitung meines Beitrags.
Die Ortsmarke – im englischsprachigen Journalismus »dateline« genannt – ist die Garantieerklärung an den Leser, dass der Verfasser zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort war. Die Handbücher internationaler Leitmedien wie REUTERS, ASSOCIATED PRESS oder THE NEW YORK TIMES erlauben hier keine Kompromisse und verlangen die penible Einhaltung von korrekten »datelines«. »Eine Ortsmarke zu fälschen ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die journalistische Integrität und den ungeschriebenen Vertrag zwischen Journalist und Leser«, erklärt Serge Schmemann (Zit. nach Güsten 2007: 2), Chef der Meinungsseite bei der INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE.Schmemann erinnert an die Vertrauenskrise bei derNEW YORK TIMES im Jahr 2003: Der Reporter Jayson Blair hatte bei etlichen Stories falsche »datelines« angegeben und damit seinen Kollegen und Lesern profunde Vor-Ort-Recherche vorgegaukelt. In Wahrheit aber hatte er von anderen Medien abgeschrieben. In ihrer Titelgeschichte nach Blairs Abgang bezeichnete die NEW YORK TIMES die Affäre als einen »low point in the 152-year history of the newspaper« (Barry et al. 2003).
In deutschsprachigen Medien ist der Umgang mit Ortsmarken wesentlich laxer. Die korrekte »dateline« wäre in meinem Fall »Salzburg« gewesen. Dort also, wo ich mich mit dem Thema beschäftigt und den Artikel verfasst habe. Natürlich hatte ich auch Salzburg als Ortsmarke angegeben. Offenbar war das der Redaktion aber zu wenig. Sie wollte den Eindruck vermitteln, einen Korrespondenten vor Ort zu haben. Unser Mann in der Demokratischen Republik Kongo, dem Herz der Finsternis! Das kommt beim Publikum besser an als ein Autor aus der Mozartstadt. Noch dazu belastet der kleine Griff in die Trickkiste das Redaktionsbudget kein bisschen. Dass mein Beispiel kein Einzelfall ist, bestätigt die freie Korrespondentin Susanne Güsten (2007: 4):
»Nach Erfahrung vieler Auslandskorrespondenten sind es meist die heimischen Redaktionen, denen der Sitz des Korrespondenten als Ortsmarke nicht schick genug ist – und die deshalb zwar noch keine Reisekosten locker machen, dafür aber die Ortsmarke umdichten.«
Die Verwendung falscher Ortsmarken gilt in der Afrika-Berichterstattung deutschsprachiger Medien als gängige Praxis. Selbst etablierte Einrichtungen wie die DEUTSCHE PRESSE-AGENTUR (DPA) gehen hier mit wenig Sorgfalt zu Werke: Der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Lutz Mükke (2009a) schätzt, dass die »datelines« der Afrika-Berichte der DPA in zumindest jedem zehnten Fall fragwürdig sind. In seinem Buch »Journalisten der Finsternis« erzählt Mükke von einem DPA-Korrespondenten, der binnen 20 Minuten aus Kenias Hauptstadt Nairobi und dem 4.000 Kilometer westlich gelegenen Lagos berichtet haben will (ebd.).
Die Gründe für die Fälschungen liegen auf der Hand: Afrika besteht aus 54 Staaten, die Standorte von Nachrichtenagenturen und Auslandskorrespondenten konzentrieren sich aber auf die wenigen internationalen Medienzentren des Kontinents – Nairobi, Kairo, Kapstadt und Johannesburg. Und selbst in diesen Metropolen sind nur etwa 30 deutschsprachige Korrespondenten zu finden. Im Kampf um Aufmerksamkeit wollen Medien verständlicherweise eine unmittelbare Nähe zum Geschehen vermitteln. Die schwierige wirtschaftliche Situation macht den Redaktionen aber einen Strich durch die Rechnung: Kein Medienunternehmen kann es sich leisten, flächendeckend Korrespondenten in Afrika zu stationieren. Und freie Auslandsjournalisten sind angesichts der nicht gerade üppigen Honorare noch viel weniger in der Lage, für die Reisekosten selbst aufzukommen. Also erfolgt der Lokalaugenschein ausschließlich über die Tasten des Redaktionscomputers. Wem soll das schon auffallen?
Aber es geht noch schlimmer: In der Afrika-Berichterstattung werden manchmal sogar Begegnungen oder ganze Geschichten erfunden. Unvergessen ist der Skandal um die teilweise erlogene Autobiografie »Mitten in Afrika« von Ulla Ackermann (2003). Nicht nur das Verlagshaus Hoffmann & Campe ist der selbsternannten Kriegsreporterin auf den Leim gegangen, sondern auch etliche Medien. Und hätte nicht die ehemalige Südafrika-Korrespondentin des SPIEGEL, Almut Hielscher (2003), die bizarren Lügenmärchen enthüllt, wäre Ackermann vermutlich bis heute nicht aufgeflogen.
Um Tatsachen von Märchen zu unterscheiden, braucht es einerseits viel Wissen um die Lebensrealität auf dem afrikanischen Kontinent, andererseits profunde Recherche. »Factchecking« lautet das Zauberwort, das offenbar immer mehr an Bedeutung verliert. Eklatant sichtbar wurde dieser Qualitätsverlust im Zuge der posthumen Diskussion um das Werk von Ryszard Kapuściński. Dem polnischen »Jahrhundertreporter« war von seinem Biografen Artur Domosławski vorgeworfen worden, gelegentlich mit der Wahrheit auf Kriegsfuß gestanden zu haben. Tonangebende Medien rund um den Erdball haben daraufhin den Anfang 2007 verstorbenen Starjournalisten zum Schwindler abgestempelt. Nach Ansicht des Kapuscinski-Übersetzers Martin Pollak (2010) schlug die »Stunde der kleinen Reporter«:
»(…) wenn man sich vor Augen hält, wie hier jemand in einem Text, in dem es um journalistische Standards geht, in dem er einem großen Reporterkollegen unter die Nase reibt, er habe es mit der Wahrheit nicht immer so genau genommen, selbst mit der Wahrheit umgeht, könnte man eher weinen. So werden Legenden gemacht. Aus Halbwahrheiten entstehen Wahrheiten, aus Gerüchten harte Fakten.«
So wurde Kapuscinski vorgeworfen, dass er z. B. den kongolesischen Freiheitskämpfer und späteren Premierminister Patrice Lumumba nie persönlich kennengelernt hatte. Anders als es im Klappentext der englischsprachigen Ausgabe des Klassikers »Der Fußballkrieg« zu lesen gewesen wäre. Zumindest in diesem Fall geschieht Kapuscinski (2007) Unrecht. Der aufmerksame Leser erkennt bei der Lektüre von »Der Fußballkrieg« rasch, dass die Begegnung mit Lumumba in Stanleyville – dem heutigen Kisangani – nie wirklich stattgefunden hat. Kapuscinski selbst schreibt wenige Seiten vor der betreffenden Reportage, dass der Politiker bei seiner Ankunft im Kongo bereits inhaftiert war. Unbeeindruckt von der Diskussion behauptete aber Kapuscinskis deutscher Verlag Eichborn1 selbst 2011 noch beharrlich das Gegenteil: »(…) wer außer Kapuscinski hat die Reden von Nasser und Nkrumah mit eigenen Ohren gehört, Salvador Allende, Idi Amin, Che Guevara und Patrice Lumumba persönlich getroffen?« (Eichborn 2011)
Das Wechselspiel von Vermarktungsinteressen und Wahrnehmungsrastern stellt für den wohl profiliertesten Afrika-Journalisten im deutschsprachigen Raum, Bartholomäus Grill, das eigentliche Problem der Berichterstattung dar. In seinem Bestseller »Ach, Afrika« analysiert Grill (2005a: 37f.) treffend:
»Gefragt ist in der Regel die oberflächliche, flinke Depesche, die Sensationsmeldung oder die impressionistische Katastrophenstory, nicht die nachdenkliche Analyse oder die gelassen erzählte Geschichte. Im globalen Infotainment wird die Ware Information in kleinen, scharfen Bissen verabreicht.«
Dieser Zugang begünstigt äußerst problematische Entwicklungen. Lutz Mükke erzählt von einem Nairobi-Korrespondenten der ARD, der pro Jahr rund 1.000 Hörfunkbeiträge aus dem Studio in der kenianischen Hauptstadt abgesetzt hat. Und das aus einem der schwierigsten Berichtsgebiete der Erde. Wie das gehen soll? Mükke (2008: 5) klärt auf:
»In Wirklichkeit verließ der Korrespondent vergleichsweise selten sein Büro, sondern hörte den Afrika-Service der BBC und schnitt am Schreibtisch systematisch deren O-Töne mit (die mittlerweile in sendefähiger Qualität zu empfangen sind), um diese dann in seinen Beiträge weiter zu verarbeiten, häufig ohne die Quelle zu nennen. Beiträge waren mitunter so zusammengestellt, dass sie lediglich den Eindruck erweckten, der Korrespondent sei vor Ort gewesen. Als Dramatisierungsmittel benutzte er gerne atmosphärische Hintergrundgeräusche wie Hubschraubergeräusche und Maschinengewehrsalven und ab und an musste das (Dienst)Personal als O-Ton-Lieferant herhalten.«
In der Afrika-Berichterstattung wird Medienkonsumenten Authentizität also oft nur vorgespiegelt. Was aber noch schwerer wiegt, ist das Verharren von deutschsprachigen Medien in den gängigen Berichterstattungsmustern: Afrika – das ist der Kontinent von Hunger und Elend, das Rückzugsgebiet von machtgierigen Diktatoren, die Brutstätte von Kriegen und Gewalt. Die Berichterstattung ignoriert dabei weitgehend die Fortschritte, die Afrika in den letzten 20 Jahren gemacht hat: Die enorme wirtschaftliche und politische Entwicklung des Kontinents bekommt das Publikum bestenfalls am Rande mit. »Im Grunde ist die europäische Seele immer noch auf der Suche nach dem archaisch dunklen, seit Jahrtausenden unveränderten Afrika«, meint der Münchener Ethnologe Stefan Eisenhofer (Zit. nach Kastler 2011). Das hört sich nach Resignation an. Doch gerade dagegen setzt sich dieses Buch zur Wehr.
In meinen unzähligen Diskussionen mit Journalisten und Kommunikationswissenschaftlern wurde nur in Ausnahmefällen bestritten, dass eine Verbesserung der Afrika-Berichterstattung in punkto inhaltlicher Qualität notwendig ist. Die Frage, die sich dabei vorrangig stellte, war: Lässt sich ein differenzierter Afrika-Journalismus angesichts redaktioneller Sparmaßnahmen überhaupt noch bewerkstelligen? Meine klare Antwort: Ja. Wie? Durch einen einfachen Wechsel der Perspektive. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft der deutschsprachigen Afrika-Berichterstattung in den fähigen Händen afrikanischer Medienprofis liegt. Internet und Social Media ermöglichen heute eine Kontaktaufnahme binnen Minuten, innerhalb weniger Stunden können Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und profunde Meinungen von Länderexperten eingeholt werden. Die Beauftragung von erstklassigen Journalisten des Kontinents – egal ob für Tageszeitung oder TV-Anstalt – ist längst keine Frage des Könnens mehr, sondern schlicht eine des Wollens.
Dieses Buch will die Beweisführung antreten, dass dieser Perspektivenwechsel eine differenzierte journalistische Auseinandersetzung mit dem Kontinent ermöglichen kann. Dafür ist zunächst eine Beschäftigung mit den publizistischen Trends, den Merkmalen und Akteuren der Berichterstattung sowie den kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen notwendig.
Das nachfolgende Kapitel »Nachrichten aus Afrika: Wen interessiert’s?« versucht der gegenwärtigen Krise der Auslandsberichterstattung auf den Grund zu gehen. Beflügelt von Erfolgstiteln wie LANDLUST und SERVUS IN STADT UND LAND haben Regionalisierungstendenzen die tektonischen Platten im deutschsprachigen Journalismus verschoben, Berichte aus dem Ausland gelten mittlerweile als Quotenkiller. Dieser Annahme widersprechen allerdings die Ergebnisse der Publikumsforschung deutlich. Vielmehr dürften deshalb wohl medienökonomische Motive verantwortlich für den leisen Abschied von qualitativ hochwertiger Auslandsberichterstattung sein.
Im Kapitel »Der verleumdete Kontinent« erfolgt dann eine inhaltliche Bestandsaufnahme des Afrika-Journalismus im deutschsprachigen Raum. Die oft kritisierte Konfliktperspektive steht dabei ebenso im Fokus wie eine Auseinandersetzung mit den Bildern und der Sprache der Afrika-Berichterstattung. Die Darstellung konkreter Fehlleistungen darf nicht als plumpe Kollegenschelte missverstanden werden. Vielmehr will sie dafür sensibilisieren, welche weitreichenden Auswirkungen das Verharren in negativen Berichterstattungsmustern für die Entwicklungsmöglichkeiten des Kontinents hat – vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Globale Ökonomie-Vordenker sind sich einig, dass Afrika den Weg aus der Armut nur dann finden kann, wenn der Kontinent seine Chancen im Handel gleichberechtigt nutzen kann. Hand aufs Herz: Würden Sie als Unternehmer in einem Staat investieren, der angeblich permanent an der Kippe zum Bürgerkrieg steht? Würden Sie Anzahlungen für Waren leisten, wenn Sie einen politischen Umsturz im Herkunftsland befürchten müssten?
Die kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen für die gängigen Berichterstattungsmuster werden im vierten Kapitel »Von Patrice Lumumba bis Rokia« behandelt. Der Abschnitt beschäftigt sich mit den journalistischen Selektionsmechanismen und bietet Erklärungsmodelle für den medialen Einfluss auf das öffentliche Diskussionsklima an. Interessant dabei ist, dass afrikanische Ereignisse und Personen wesentlich zur Formulierung der Ansätze beigetragen haben, wenngleich auch nur passiv: Die Wurzeln der europäischen Forschungstradition zu den Nachrichtenfaktoren liegen in der Kongo-Krise von 1960. Und das siebenjährige Mädchen Rokia aus Mali stand Patin für ein Framing-Experiment, das einen Erklärungsrahmen für mediale Bilddarstellungen anbietet.
Welche Rolle spielen Nachrichtenredaktionen, Auslandskorrespondenten und Heimatredaktionen in der Konstruktion der vorherrschenden Afrika-Bilder? Welchen Einfluss üben die PR-Aktivitäten von Hilfsorganisationen, Prominenten und Regierungen aus? Diese Fragen werden im Kapitel »Augenzeugen der Katastrophe: Die Akteure der Afrika-Berichterstattung« beantwortet.
In Kapitel 6 wird schließlich der vorgeschlagene Perspektivenwechsel skizziert. Die Beschäftigung von afrikanischen Journalisten als sogenannte »new foreign correspondents« ist in internationalen Medien wie AGENCE FRANCE-PRESSE (AFP), AL JAZEERA oder REUTERS bereits gang und gäbe. Der Gedanke ist aber alles andere als neu: Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 setzt die Nachrichtenagentur INTER PRESS SERVICE (IPS) auf die »Stimmen des Südens«. Erklärtes Ziel ist damals wie heute, für mehr Ausgewogenheit im internationalen Kommunikationsfluss zu sorgen. Ob die Agentur mit ihren beschränkten finanziellen Mitteln dazu überhaupt in der Lage ist, wird anhand einer Medienresonanzanalyse in der österreichischen Tageszeitung SALZBURGER NACHRICHTEN (SN) untersucht. Dabei wird deutlich, dass IPS sowohl die Qualität als auch den richtigen Themenzugang hat, um für eine differenzierte Afrika-Berichterstattung zu sorgen. Des Weiteren zeigt die Analyse, welche Einflussfaktoren bei der Veröffentlichung von Beiträgen zu afrikanischen Themen wirksam sind.
Das letzte Kapitel führt uns nach Kampala zu Rosebell Kagumire. Im März 2012 hat die Journalistin in einem Online-Video der einseitigen Darstellung ihres Heimatlandes in der viralen Kampagne »Kony 2012« vehement widersprochen. Ihre Videobotschaft wurde – begleitet von einem hohen weltweiten Medienecho – selbst zum Hit. Für Kagumire ein sichtbarer Beweis dafür, dass sich die Einstellung internationaler Medien allmählich ändert: Afrikanische Journalisten werden mehr denn je in die Berichterstattung über den Kontinent eingebunden.
Die Zusammenarbeit mit afrikanischen Kollegen in ihren Heimatländern lohnt sich auch für deutschsprachige Redaktionen: Teure Unterhaltskosten für Auslandsbüros entfallen, Reisen bleiben auf das Inland beschränkt. Gleichzeitig sinkt die Abhängigkeit von Nachrichtenagenturen und PR-Informationen. Resultat: Die Berichterstattung wird exklusiver und gewinnt an Qualität und Authentizität. Korrekte Ortsmarke selbstverständlich inklusive.
1 Am 2. Dezember 2011 wurde der insolvente Eichborn Verlag von Bastei Lübbe übernommen.
Dadaab im Februar 2012. Die Fallschirmjournalisten großer Medienunternehmen wie CNN, BBC, REUTERS und NEW YORK TIMES haben das Feld längst geräumt. Noch vor wenigen Monaten hatten sie dramatische Bilder von der Flüchtlingskatastrophe in Somalia um den Erdball geschickt – mittlerweile ist der Tross zu anderen Krisenherden weitergezogen. Dabei hat sich die Situation im größten Flüchtlingskomplex der Welt seither eher verschärft als entspannt: Über 460.000 Menschen bevölkern die völlig überlaufenen Camps Hagadera, Ifo und Dagahaley, die Versorgungslage ist dramatisch.
Damit Dadaab nicht völlig aus dem Blickfeld verschwindet, hat der junge Somalier Abdi Abdullahi gemeinsam mit acht weiteren Lagerbewohnern die Zeitung THE REFUGEE gegründet. »Meine Redakteure und ich haben oft als Übersetzer für ausländische Journalisten in Dadaab gearbeitet«, erzählt Abdullahi im Gespräch mit Philipp Hedemann (2012). »Irgendwann haben wir uns gedacht: Wir leben hier, wir kennen hier jeden und jedes Problem, wir brauchen keine Übersetzer. Wir erstellen selbst eine Zeitung.«
Auch die Website dadaabcamps.com verfolgt ähnliche Ziele wie THE REFUGEE: dadaabcamps.com berichtet tagesaktuell in den Sprachen Englisch und Somali über Aktivitäten und Veranstaltungen in den Lagern. Webmaster Mohamed Bashir Sheik (2012) zeigt sich auf der Internetseite überzeugt: »Spend a week with us and we think you will not find a better source for news from inside the refugee camps.«2
Doch wen interessiert’s? Journalismusexperten sehen die Auslandsberichterstattung in einer schweren Krise – eine direkte Folge des wirtschaftlichen Drucks, mit dem Medienhäuser seit Jahren zu kämpfen haben. Ergebnis ist ein Abwärtstrend, der nur noch schwer zu stoppen scheint: Die Zahl der Auslandskorrespondenten schwindet, Hintergrundinformationen sind immer weniger gefragt. An die Stelle der Fernsicht sei ein sich verengender Blick auf den eigenen Schrebergarten getreten, meint der Auslandskorrespondent Willi Germund (2011). Am Beispiel der Dreifach-Katastrophe in Japan wurde der Niedergang der Auslandsberichterstattung besonders deutlich:
»Ursachen und Folgen in Japan interessierten in der öffentlichen Diskussion kaum noch. Die Medien begnügten sich im Großen und Ganzen mit der Überzeugung, dass ein Tsunami zwischen Rhein und Oder ziemlich unwahrscheinlich ist, und wandten sich konsequent der Frage zu, welche Folgen ein Flugzeugabsturz auf einen deutschen Atommeiler haben würde.« (Germund 2011)
Auch Lutz Mükke (2008) stellte in der Berichterstattung deutschsprachiger Medien in den letzten Jahren zunehmende Regionalisierungs-und Lokalisierungstendenzen fest. Neue, erfolgreiche Zeitschriftentitel wie LANDLUST in der Bundesrepublik oder SERVUS IN STADT UND LAND in Österreich unterstreichen den Trend zur publizistischen Nabelschau. »Die Landlust ist der behaglichste Pol der Globalisierungsskepsis, das Gegenteil von Attac«, schreibt Harald Jähner (2011) in der BERLINER ZEITUNG. Und weiter: »Die Sorge um unsere Welt ist darin ganz nach innen gewendet und in eine geradezu besessene Lust verwandelt, zu Hause zu sein, nichts als zu Hause.«
Für die Berliner Journalistin Gemma Pörzgen (2012: 11) verträgt sich die Rückbesinnung auf die scheinbare Idylle wenig mit den rasanten Veränderungen unserer Gesellschaft. Allerdings ortet sie auch außerhalb der bunten Illustriertenwelt einen hohen Infektionsgrad mit dem LANDLUST-Virus:
»Medial ist seichter, boulevardiger, unpolitischer, merkantiler geworden. Selbst politische Redaktionen fragen komplizierte Zusammenhänge heute weniger nach. ›Möglichst simpel‹ gilt immer häufiger als journalistisches Erfolgsrezept. Da finden EU-Themen in Online-Medien kaum statt, weil sie sich nun mal ›schlecht klicken lassen‹. Auslandsthemen gelten im Fernsehen als echte Quotenkiller. (...) Erstaunlicherweise glauben Chefredakteure und anderes Redaktionspersonal genau zu wissen, was ihre Leser, Zuschauer oder Zuhörer zu erfahren wünschen und was nicht. Dem Rezipienten wird immer weniger zugemutet.«
Sind Auslandsthemen also Quotenkiller? Woher wissen Medienmacher überhaupt, was die Rezipienten interessiert? In seiner Studie »Journalismus und Medienforschung« räumt Ralf Hohlfeld (2003) mit dem Vorurteil auf, dass sich Journalisten nicht mit der Publikumsforschung beschäftigen. 97,1 Prozent der befragten Medienmitarbeiter waren mit den Ergebnissen der angewandten Medienforschung zumindest gelegentlich in Berührung gekommen. Zwischen den einzelnen Mediengattungen gab es allerdings erhebliche Unterschiede: 56,6 Prozent der Hörfunkjournalisten und 52,9 Prozent der Fernsehjournalisten informierten sich häufig über die Resultate der Rezipientenforschung, ihre Printkollegen lagen mit einem Wert von 29,7 Prozent deutlich dahinter zurück. Hohlfeld (2003: 379) kommt aufgrund seiner Ergebnisse zum Schluss,
»dass der Journalismus der Gegenwart über weite Strecken ein gewissermaßen angepasster Journalismus ist. Angepasst an Publikumsbedürfnisse, -interessen und -wünsche, deren Befriedigung aus Sicht der Medienpraxis weder zwangsläufig noch in bedrohlichem Ausmaß Leistungseinbußen und Autonomieverlust zur Folge haben.«
Copytests, Rezipientenbefragungen, Tiefeninterviews, Fokusgruppen, aufwändige elektronische Verfahren wie Readerscan und Quotenboxen – die Publikumsforschung kennt zahlreiche Instrumente. Am intensivsten geforscht wird von den TV-Anstalten. Die Zuschauerforschung in der Bundesrepublik erfolgt durch die GfK-Fernsehforschung in Nürnberg im Auftrag der »Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung« (AGF). Die AGF ist ein Zusammenschluss von ARD, ZDF, der PROSIEBENSAT.1 MEDIA AG und der Mediengruppe RTL DEUTSCHLAND. Für ihre kontinuierliche Zuseherforschung verwendet die GfK ein Panel aus 5.100 Haushalten, in denen etwa 11.500 Menschen (im Alter ab drei Jahren) leben. Damit soll die Fernsehnutzung von 71,94 Millionen Personen bzw. 36,04 Millionen Fernsehhaushalten in der Bundesrepublik repräsentativ abgebildet werden (Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung 2012).
In den Panel-Haushalten wird ein Messgerät namens »GfK-Meter« installiert. Das Gerät erfasst und speichert im Sekundentakt alle Ein-, Um- und Ausschaltvorgänge. Auch die Nutzung von Videorecordern und Videotext wird aufgezeichnet. Da das GfK-Meter nicht erkennen kann, wer vor dem Fernseher Platz genommen hat, müssen sich die Nutzer in den beteiligten Haushalten über eine spezielle Fernbedienung an- und abmelden (Karstens u. Schütte 2010).
In Österreich kommt mit dem »Teletest« das im Prinzip selbe Verfahren zum Einsatz. Mit der Durchführung wurde von der »Arbeitsgemeinschaft Teletest« (AGTT) die GfK Austria beauftragt. Das Panel setzt sich aus 3.560 Personen ab drei Jahren bzw. 1.590 Haushalten zusammen. Die Grundgesamtheit besteht aus 7,90 Millionen Fernsehzuschauern ab drei Jahren in 3,55 Millionen Haushalten. Allerdings weist die Medienforschung des ORF zumeist Werte für Zuseher ab zwölf Jahren aus: in diese Zielgruppe fallen 7,17 Millionen Österreicher (ORF 2012).
Die Fernsehzuschauerforschung beeinflusst sowohl die Programmplanung als auch die Programmgestaltung. Die wichtigsten quantitativen Eckdaten der Fernsehzuschauerforschung sind Sehbeteiligung und Marktanteil. Die Sehbeteiligung zeigt die Durchschnittsreichweite einer Sendung in Bezug auf die Grundgesamtheit. Nach Karstens und Schütte (2010) ist sie ein Indikator dafür, wie attraktiv das Fernsehen oder ein bestimmtes Programm im Verhältnis zu anderen Dingen ist, die Zuseher alternativ tun könnten. Der Spitzenwert aller Fernsehprogramme zusammengenommen wird laut Karstens und Schütte (2010) um 21:30 Uhr erzielt – um diese Zeit sitzen 40 Prozent der Bevölkerung vor den TV-Geräten. Das bedeutet aber auch, dass weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung selbst zur attraktivsten Sendezeit etwas anderes tut als fernsehen.
Der Marktanteil gibt den prozentualen Anteil einer Sendung an der gesamten Sehdauer während eines betrachteten Zeitraums im Ausstrahlungsgebiet an. Zum Beispiel: Eine ARD-Sendung, die zwischen 20:15 und 22:15 Uhr ausgestrahlt wird, erreicht einen Marktanteil von 50 Prozent. Das bedeutet: Die Hälfte der gesamten Zeit, welche die deutschen Zuschauer in den betreffenden beiden Stunden für alle Sender aufgewendet haben, ist auf genau diesen Beitrag entfallen (Karstens u. Schütte 2010).
Werfen wir nun einen Blick auf die Kennzahlen der Auslandsformate von ARD, ZDF und ORF:
Abb. 1: Sehbeteiligung und Marktanteil von WELTSPIEGEL, AUSLANDS-JOURNAL und WELTJOURNAL im Jahr 2010 (Quelle: Zubayr u. Gerhard 2011: 135, ZDF 2011, ORF 2011: 33)
Im Vergleich zu den erzielten Spitzenwerten erreichen die Auslandsformate der öffentlich-rechtlichen Anstalten eine eher bescheidene Zuschauerzahl. Das Fernsehereignis im Jahr 2010 war sowohl in der Bundesrepublik als auch in Österreich die Fußball-WM in Südafrika. Die meistgesehene Einzelsendung im deutschen Fernsehen – das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und Spanien in Durban – verfolgten in der ARD 31,10 Millionen Zuseher bei einem Marktanteil von 83,0 Prozent (Zubayr u. Gerhard 2011). In Österreich, dessen Nationalmannschaft die Qualifikation verpasst hatte, interessierte vielmehr das Endspiel: 1,73 Millionen Zuschauer ab zwölf Jahren (24,30 Prozent Marktanteil) sahen die Verlängerung des WM-Finales zwischen Spanien und den Niederlanden (ORF 2011).
Interessieren sich tatsächlich so wenige Menschen für Auslandsberichterstattung? Oder würden neue Formate auf anderen Sendeplätzen bessere Resultate erzielen? Mit den quantitativen Ergebnissen der GfK kann diese Frage nicht beantwortet werden. Deshalb bedient sich die Fernsehforschung in den deutschsprachigen Ländern der Sinus-Milieus.
Sinus-Milieus betrachten Menschen in ihren grundlegenden Wertorientierungen und Einstellungen, z. B. zu Arbeit, Familie, Konsum und Politik. »Es ist kein Zufall, welche Kleidung jemand trägt, wie er seine Wohnung einrichtet und dekoriert, welchen Dialekt oder Slang er benutzt; die Alltagsästhetik und der Geschmack verraten eine Menge über die Motive und Möglichkeiten der dahinterstehenden Personen«, schreiben Eric Karstens und Jörg Schütte (2010: 357).
In Kombination mit demografischen Eigenschaften wie Bildung, Beruf und Einkommen wird ein Modell erzielt, das die Population eines Landes in zehn Gruppen »Gleichgesinnter« aufteilt. Bis 2010 wurde die österreichische Bevölkerung in folgende Sinus-Milieus gegliedert:
Abb. 2: Die österreichischen Sinus-Milieus 2010 (Quelle: Integral 2010)
Die Segmentierung unterstützt die Fernsehmacher bei der Erstellung von Erfolgsprognosen und in der Vermeidung von Entwicklungsfehlern. Gerade die Themeninteressen und Freizeitaktivitäten der einzelnen Sinus-Milieus sind für die Programmplanung der TV-Anstalten von großer Bedeutung. In Kombination mit den unterschiedlichen Mediennutzungsprofilen der Milieus können Sendungen zielgruppengerecht platziert werden. Während sich beispielsweise die konsumorientierte Basis durch einen hohen TV-Konsum auszeichnet, sehen Postmaterielle weniger und selektiver fern (Karstens u. Schütte 2010). Welche Sinus-Milieus interessieren sich nun für Auslandsberichterstattung?
Abb. 3: Interesse für Außenpolitik und internationale Politik der österreichischen Sinus-Milieus (Quelle: ORF 2010)
Die Größe der kartoffelförmigen Gebilde in der Grafik zeigt den jeweiligen Anteil des Milieus an der gesamten TV-Bevölkerung. Ihre Position im Koordinatensystem gibt an, welchen sozialen Schichten und Wertegemeinschaften die Mitglieder zuzurechnen sind.
Nach dieser Grafik sind 21 Prozent der TV-Bevölkerung oder 1,48 Millionen Menschen an Auslandsberichterstattung »sehr« interessiert. Zum Vergleich: Lokale (26 %) oder innenpolitische Themen (23 %) liegen in der Gunst des TV-Publikums deutlich höher. Bildung, Wissenschaft und Forschung (17 %), Kunst und Kultur oder Wirtschaft (je 9 %) fallen aber klar hinter der Außenpolitik zurück. Die Grafik zeigt auch, dass vor allem Personen aus den Milieus »Postmaterielle«, »Konservative«, »Etablierte« und »Moderne Performer« für Auslandsthemen zu begeistern sind. In Summe belegen die Zahlen, dass mehr Menschen für Auslandsformate zu gewinnen wären, als es Sehbeteiligung und Marktanteile vermuten lassen.
Das hohe Interesse an Auslandsberichterstattung wird von internationalen Studien bestätigt. Der frühere Direktor von BBC GLOBAL NEWS, Richard Sambrook (2010), verweist auf Untersuchungen der britischen Regulierungsbehörde Ofcom und der BBC. Beide Analysen kamen zum Ergebnis, dass das Motiv »to know what’s going on in the world« der hauptsächliche Beweggrund für das Einschalten von TV-Nachrichten ist.
Allerdings steht das Interesse an Auslandsberichterstattung in engem Zusammenhang mit dem sozialen Status der Rezipienten. Die Untersuchung von Ofcom (2007) zeigt, dass Schichten mit besserem Einkommen und höherem Bildungsgrad ein deutlich größeres Interesse an Auslandsthemen aufweisen als der Bevölkerungsdurchschnitt. Soziale Schichten am unteren Ende der Einkommens- und Bildungsskala bevorzugen hingegen »human interest stories«. Sambrook (2010: 100) fordert daher, dass sich Medienmacher verstärkt den Ansprüchen dieser Zielgruppe stellen:
»For the less well educated or wealthy there is the potential of a self-reinforcing spiral where they become less aware of, and therefore less interested in, international issues. News organisations, as they adapt to the ›separation‹ of news, need to make extra efforts to catch this group with personally relevant or engaging international reporting.«
Eine genauere Betrachtung der Ergebnisse der internen BBC-Studie von 2010 offenbart aber auch eine höchst unterschiedliche Interessenlage: Globale Themen wie Terrorismus, Weltwirtschaft und Klimawandel standen beim britischen TV-Nachrichten-Publikum höher im Kurs als die Berichterstattung aus bestimmten Ländern und Regionen. In geographischer Hinsicht punkteten vor allem Beiträge über die EU (45 %), gefolgt von Afghanistan (30 %) und den USA (26 %). Im Mittelfeld befanden sich Länder/Regionen wie der Iran (24 %), Nordkorea (23 %), Israel/Palästina (22 %) und China (21 %). Mit 13 Prozent lag Afrika am unteren Ende der Skala, dahinter rangierten Russland (10 %) und Brasilien (8 %). Fazit von Richard Sambrook (2010: 62): »This reinforces the sense that there is a low and fragemented level of interest in individual countries – but acute moments of crisis can attract significant attention.«
Summa summarum lässt sich festhalten, dass Auslandsthemen aus der Berichterstattung nicht wegzudenken sind, Afrika in den Interessen des Publikums aber eine untergeordnete Rolle spielt. Die Fußball-WM in Südafrika einmal ausgenommen: Ereignisse auf dem Kontinent schaffen es zumeist nur im Katastrophenfall, die Wahrnehmungsschwelle zu durchbrechen.
Sind diese Erkenntnisse überhaupt noch von Bedeutung? »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien«, schreibt Niklas Luhmann (2004: 9) als Einleitungssatz zu seinem Klassiker »Die Realität der Massenmedien«, erstmals erschienen 1995. Ein Befund, der heute in seiner Ausschließlichkeit viel an Gültigkeit eingebüßt hat. Berufliche und familiäre Mobilität, Fernreisen und neue Kommunikationstechnologien haben den Horizont von Rezipienten erweitert (Mükke 2008), Internet und Social Media das Informationsmonopol von Zeitungen, Radio und TV durchbrochen.
Neue Kommunikationstechnologien bedrohen zwar die Geschäftsmodelle von klassischen Medien, ihre Reichweite wird aber tendenziell größer: Die Online-Auftritte etablierter Medienmarken gehören zu den am stärksten genutzten im World Wide Web. Zudem verweist ein großer Anteil der Postings auf Facebook und Twitter auf redaktionelle »Profiinhalte« (Lang 2012). Diese Feststellungen haben gravierende Folgen: Die ohnehin schwache Auslandsberichterstattung der Muttermedien pflanzt sich in ihren Internet-Ablegern fort – ihre Bedeutung wird damit weiter ausgehöhlt.
2http://dadabcamps.com/sample-page (16. März 2012)
3 ARD und ZDF geben Sehbeteiligung und Marktanteile für Zuschauer ab drei Jahren an, der ORF jedoch für Zuseher ab zwölf Jahren.
Und nun zu den guten Nachrichten aus Afrika: +++ Sierra Leone im Höhenflug: Der Internationale Währungsfonds prognostiziert dem westafrikanischen Staat für 2012 ein Wirtschaftswachstum von 51,4 Prozent. Für den gesamten Kontinent wird ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von knapp sechs Prozent erwartet. Afrika zählt damit zu den wachstumsstärksten Kontinenten der Erde. +++ Erfolg im Kampf gegen Armut: Laut einer Studie der US-Wissenschaftler Maxim Pinkovskiy und Xavier Sala-i-Martin geht die extreme Armut in Afrika deutlich schneller zurück als erwartet. In den Millenniumszielen der Vereinten Nationen wurde eine Halbierung der extremen Armut bis 2015 anvisiert. Bei anhaltendem Trend wird der Kontinent dieses Ziel bereits 2013 erreichen. +++ Rekord beim Vermögenszuwachs: Mit einer Steigerung von 557 Prozent setzt der nigerianische Geschäftsmann Aliko Dangote neue Maßstäbe. Nach Angaben des Wirtschaftsmagazins FORBES hat kein zweiter Mensch auf der Welt sein Vermögen im letzten Jahr so stark vermehren können. Dangotes Vermögen beläuft sich auf 13,8 Milliarden US-Dollar. Damit rangiert er in der FORBES-Liste der reichsten Menschen der Welt 2011 auf Platz 51.
Afrika ist im Aufwärtstrend – eine Entwicklung, von der Medienkonsumenten im deutschsprachigen Raum so gut wie nichts mitkriegen. Nur wenige Journalisten haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Fortschritte des Kontinents publizistisch zu begleiten. Ein Paradebeispiel dafür ist Dominic Johnson, Afrika-Redakteur und Auslandschef der Berliner TAZ. Am Anfang seines Buches »Afrika vor dem großen Sprung« skizziert Johnson (2011: 7) einen Kontinent im Wandel:
»Afrika im 21. Jahrhundert ist ein Kontinent der permanenten Veränderung. Nichts bleibt so, wie es ist, sobald jemand die Möglichkeit hat, es zu verändern. Wo einst Lehmhütten standen, ragen heute glitzernde Hochhäuser in den Himmel. Statt Sandpisten führen Schnellstraßen durch die Savanne. Die Städte wuchern, und zwar keineswegs nur durch Ausdehnung von Slums, sondern es breiten sich luxuriöse Villenviertel aus, alle Hauptstraßen stecken im Dauerstau, selbst in Armenvierteln regiert das Satellitenfernsehen, und bunte Werbeplakate bedienen das Aufsteigerideal vom Dreizimmerhaus mit Strom, fließendem Wasser und Auto, auch wenn das für die meisten nur ein Traum bleibt.«
Der optimistischen Grundstimmung von Johnsons Buch liegen vor allem ökonomische Indikatoren zu Grunde: Die Verbesserung der Terms of Trade, eine stetig steigende Mobilfunkpenetration, ein sattes Wachstum der Investitionsquoten. Afrikas Modernisierung werde vor allem durch die Entstehung einer kapitalkräftigen einheimischen Mittelschicht getragen, so Johnson. Diese könne ausländischen Partnern und Investoren auf Augenhöhe begegnen, über den Tellerrand nationaler Grenzen hinausblicken und somit als gestaltende Akteure in der Globalisierung ein gewichtiges Wort mitreden.
Selbstbewusstsein ist für Johnson die neue afrikanische Ideologie. Sie fußt auf dem Konzept der »African Renaissance«, das Mitte der 1990er Jahre vor allem von Südafrikas ehemaligem Präsidenten Thabo Mbeki geprägt worden ist. In seiner berühmten Verfassungsrede »I am an African« beschwört Mbeki (1996) die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Und endet mit einem optimistischen Ausblick:
»Today it feels good to be an African. (...) Whatever the setbacks of the moment, nothing can stop us now! Whatever the difficulties, Africa shall be at peace! However improbable it may sound to the sceptics, Africa will prosper!«