Afrikanische Spiele - Ernst Jünger - E-Book

Afrikanische Spiele E-Book

Ernst Jünger

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Beschreibung

Der autobiographische Roman »Afrikanische Spiele« erzählt von Jüngers abenteuerlichem Ausflug als 16-Jähriger zur Fremdenlegion, kurz bevor der Erste Weltkrieg ausbrach.

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Seitenzahl: 269

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Ernst Jünger

Afrikanische Spiele

Roman

J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH

Mit einem Nachwort des Autors

Klett-Cotta

Impressum

Der Text dieser Ausgabe folgt Ernst Jüngers Fassung letzter Hand in den Sämtlichen Werken in 22 Bänden, erschienen bei Klett-Cotta.

 

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2013 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Reihengestaltung Ingo Offermanns, Hamburg,

unter Verwendung von Illustrationen von Niklas Sagebiel, Berlin

 

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96061-7

E-Book: ISBN 978-3-608-10594-0

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20202-1

 

Dieses E-Book entspricht der 1. Auflage 2013 der Printausgabe.

AFRIKANISCHE SPIELE

ERSTAUSGABE1936

1

Es ist ein wunderlicher Vorgang, wie die Phantasie gleich einem Fieber, dessen Keime von weither getrieben werden, von unserem Leben Besitz ergreift und immer tiefer und glühender sich in ihm einnistet. Endlich erscheint nur die Einbildung uns noch als das Wirkliche, und das Alltägliche als ein Traum, in dem wir uns mit Unlust bewegen wie ein Schauspieler, den seine Rolle verwirrt. Dann ist der Augenblick gekommen, in dem der wachsende Überdruß den Verstand in Anspruch nimmt und ihm die Aufgabe stellt, sich nach einem Ausweg umzusehen.

Das war der Grund, aus dem das Wörtchen »fliehen« seinen besonderen Klang für mich besaß, denn von einer bestimmten Gefahr, die seine Anwendung berechtigt hätte, konnte schlecht die Rede sein – vielleicht abgesehen von den sich häufenden und in den letzten Wochen recht drohend gewordenen Klagen der Lehrerschaft, die sich mit mir wie mit einem Schlafwandler beschäftigte.

»Berger, Sie schlafen, Berger, Sie träumen, Berger, Sie sind nicht bei der Sache«, war da der ewige Reim. Auch meine Eltern, die auf dem Lande wohnten, hatten bereits einige der bekannten Briefe bekommen, deren unangenehmer Inhalt mit den Worten »Ihr Sohn Herbert …« begann.

Diese Klagen aber waren weniger die Ursache als die Folge meines Entschlusses – oder sie standen vielmehr in jener Wechselwirkung zu ihm, die abschüssige Bewegungen zu beschleunigen pflegt. Ich lebte seit Monaten in einem geheimen Aufstand, der in solchen Räumen schlecht verborgen bleiben kann. So war ich bereits dazu übergegangen, mich am Unterricht nicht mehr zu beteiligen und mich statt dessen in afrikanische Reisebeschreibungen zu vertiefen, die ich unter dem Pult durchblätterte. Wenn eine Frage an mich gerichtet wurde, mußte ich erst all jene Wüsten und Meere überwinden, bevor ich ein Lebenszeichen gab. Ich war im Grunde nur als Stellvertreter eines fernen Reisenden anwesend. Auch liebte ich es, ein plötzliches Unwohlsein vorschützend, das Klassenzimmer zu verlassen, um unter den Bäumen des Schulhofes spazierenzugehen. Dort sann ich über die Einzelheiten meines Planes nach.

Schon hatte der Klassenlehrer das vorletzte Mittel der Erziehung gegen mich ergriffen, das die endgültige Trennung andeuten soll – ich wurde von ihm als Luft behandelt, »mit Nichtachtung gestraft«. Es war ein schlimmes Zeichen, daß selbst diese Strafe nicht mehr verfing – ein Zeichen dafür, wie sehr ich eigentlich schon abwesend war. Diese Absonderung durch Verachtung war mir eher angenehm; sie legte einen leeren Raum um mich, in dem ich mich ungestört meinen Vorbereitungen widmete.

Es gibt eine Zeit, in der dem Herzen das Geheimnisvolle nur räumlich, nur auf den weißen Flecken der Landkarte erreichbar scheint und in der alles Dunkle und Unbekannte eine mächtige Anziehung übt. Lange, halb trunkene Wachträume während meiner nächtlichen Spaziergänge über den Stadtwall hatten mir jene entfernten Länder so nahegerückt, daß nur noch der Entschluß nötig schien, um in sie einzudringen und ihrer Genüsse teilhaftig zu sein. Das Wort »Urwald« schloß für mich ein Leben ein, dessen Aussicht man mit sechzehn Jahren nicht widersteht – ein Leben, das der Jagd, dem Raube und seltsamen Entdeckungen zu widmen war.

Eines Tages stand es für mich fest, daß der verlorene Garten im oberen Stromgeflecht des Niles oder des Kongo verborgen lag. Und da das Heimweh nach solchen Orten zu den unwiderstehlichsten gehört, begann ich eine Reihe von tollen Plänen auszubrüten, wie man sich am besten dem Gebiete der großen Sümpfe, der Schlafkrankheit und der Menschenfresserei nähern könne. Ich heckte Gedanken aus, wie sie wohl jeder aus seinen frühen Erinnerungen kennt: ich wollte mich als blinder Passagier, als Schiffsjunge oder als wandernder Handwerksbursche durchschlagen. Endlich aber verfiel ich darauf, mich als Fremdenlegionär anwerben zu lassen, um auf diese Weise wenigstens den Rand des Gelobten Landes zu erreichen und um dann auf eigene Faust in sein Inneres vorzudringen – natürlich nicht, ohne mich zuvor an einigen Gefechten beteiligt zu haben, denn das Pfeifen der Kugeln kam mir wie eine Musik aus höheren Sphären vor, von der nur in den Büchern zu lesen war und deren teilhaftig zu werden man wallfahrten mußte wie die Amerikaner nach Bayreuth.

Ich war also bereit, auf jedes Kalbsfell der Welt zu schwören, wenn es mich wie Fausts Zaubermantel bis zum Äquator getragen hätte. Aber auch die Fremdenlegion gehörte schließlich nicht zu den dunklen Mächten, die man nur an den nächsten Kreuzweg zu zitieren braucht, wenn man mit ihnen zu paktieren gedenkt. Irgendwo mußte es sie zwar geben, soviel war sicher, denn oft genug las ich in den Zeitungen über sie Berichte von so ausgesuchten Gefahren, Entbehrungen und Grausamkeiten, wie sie ein geschickter Reklamechef nicht besser hätte entwerfen können, um Tunichtgute meines Schlages anzuziehen. Ich hätte viel darum gegeben, wenn einer dieser Werber, die junge Leute betrunken machen und verschleppen und vor denen mit Engelszungen gewarnt wurde, sich an mich herangemacht hätte; doch diese Möglichkeit kam mir für unser so friedlich im Wesertale schlummerndes Städtchen recht unwahrscheinlich vor.

So schien es mir denn richtiger, erst einmal die Grenze zu überschreiten, um damit den ersten Schritt aus der Ordnung in das Ungeordnete zu tun. Ich hatte die Vorstellung, daß das Wunderbare, das Reich der sagenhaften Zufälle und Verwicklungen sich mit jedem Schritt deutlicher offenbaren würde, wenn man den Mut hatte, sich aus dem Gewöhnlichen zu entfernen – man mußte seine Anziehung um so stärker erfahren, je mehr man ihm entgegenging.

Es blieb mir aber nicht verborgen, daß jedem Zustand eine große Schwerkraft innewohnt, aus der sich herauszuspielen der bloße Gedanke nicht genügt. Freilich, wenn ich, etwa abends vor dem Einschlafen, daran dachte, auf und davon zu gehen, schien mir nichts leichter und einfacher, als mich gleich anzuziehen und auf dem Bahnhof in den nächsten Zug zu steigen. Aber sobald ich dann mich auch nur zu regen suchte, fühlte ich mich durch bleierne Gewichte beschwert. Dieses Mißverhältnis zwischen den ausschweifenden Möglichkeiten der Träumerei und den geringsten Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung bereitete mir viel Verdruß. Wie mühelos ich auch im Geist die unwegsamsten Landschaften nach Herzenslust zu durchstreifen vermochte, so merkte ich doch zugleich, daß in der wirklichen Welt auch nur eine Fahrkarte zu lösen einen weit stärkeren Aufwand voraussetzte, als ich geahnt hatte.

Wenn man, des Springens ungewohnt, auf einem hohen Sprungbrett steht, fühlt man sehr deutlich den Unterschied zwischen einem, der hinunter möchte, und einem anderen, der sich dagegen sträubt. Wenn der Versuch, sich selbst am Kragen zu nehmen und hinunterzuwerfen, mißglückt, so bietet sich ein anderer Ausweg an. Er besteht darin, daß man sich überlistet, indem man den Körper am äußersten Rand des Brettes solange ins Schwanken bringt, bis man sich plötzlich zum Absprung gezwungen sieht.

Ich fühlte wohl, daß diesen Bemühungen, mir den ersten Anstoß in die Abenteuerwelt zu geben, nichts hinderlicher war als meine eigene Furcht. Mein stärkster Gegner war in diesem Falle ich selbst, das heißt, ein bequemer Geselle, der es liebte, die Zeit hinter den Büchern zu verträumen und seine Helden in gefährlichen Landschaften sich bewegen zu sehen, anstatt bei Nacht und Nebel aufzubrechen, um es ihnen gleichzutun.

Da war aber noch ein anderer, wilderer Geist, der mir zuflüsterte, daß die Gefahr kein Schauspiel sei, an dem man sich vom sicheren Sessel aus ergötzt, sondern daß eine ganz andere Erfüllung darin liegen müsse, in ihre Wirklichkeit sich vorzuwagen, und dieser andere versuchte, mich auf die Bühne hinauszuziehen.

Mir war bei diesen geheimen Unterhaltungen, bei diesen immer erbitterteren Ansprüchen, die an mich gestellt wurden, oft himmelangst. Auch fehlte es mir an praktischer Begabung; die Aussicht auf all die kleinen Mittel und Schliche, die aufgewendet werden mußten, um fortzukommen, bedrückte mich. Ich wünschte mir, wie alle diese Träumer, Aladins Wunderlampe oder den Ring Dschudars, des Fischers, mit dessen Hilfe man dienstbare Genien beschwören kann.

Auf der anderen Seite drang die Langeweile jeden Tag stärker wie tödliches Gift in mich ein. Es schien mir ganz unmöglich, etwas »werden« zu können; schon das Wort war mir zuwider, und von den tausend Anstellungen, die die Zivilisation zu vergeben hat, schien mir nicht eine für mich gemacht. Eher hätten mich noch die ganz einfachen Tätigkeiten gelockt, wie die des Fischers, der Jägers oder des Holzfällers, allein seitdem ich gehört hatte, daß die Förster heute eine Art von Rechnungsbeamten geworden sind, die mehr mit der Feder als mit der Flinte arbeiten, und daß man die Fische in Motorbooten fängt, war mir auch das zur Last. Mir fehlte hier selbst der mindeste Ehrgeiz, und jenen Gesprächen, wie sie die Eltern mit ihren heranwachsenden Söhnen über die Aussichten der verschiedenen Berufe zu führen pflegen, wohnte ich bei wie einer, der zu Zuchthaus verurteilt werden soll.

Die Abneigung gegen alles Nützliche verdichtete sich von Tag zu Tag. Lesen und Träumen waren die Gegengifte – doch die Gebiete, in denen Taten möglich waren, schienen unerreichbar fern. Dort stellte ich mir eine verwegene männliche Gesellschaft vor, deren Symbol das Lagerfeuer, das Element der Flamme war. Um in sie aufgenommen zu werden, ja nur um einen einzigen Kerl kennenzulernen, vor dem man Respekt haben konnte, hätte ich gern alle Ehren dahingegeben, die man innerhalb und außerhalb der vier Fakultäten erringen kann.

Ich vermutete mit Recht, daß man den natürlichen Söhnen des Lebens nur begegnen könne, indem man seinen legitimen Ordnungen den Rücken kehrt. Freilich waren meine Vorbilder nach den Maßen eines Sechzehnjährigen geformt, der den Unterschied zwischen Helden und Abenteurern noch nicht kennt und schlechte Bücher liest. Gesundheit aber besaß ich insofern, als ich das Außerordentliche jenseits der sozialen und moralischen Sphäre vermutete, die mich umschloß. Daher wollte ich auch nicht, wie es diesem Alter oft eigentümlich ist, Erfinder, Revolutionär, Soldat oder irgendein Wohltäter der Menschheit werden – mich zog vielmehr eine Zone an, in der der Kampf natürlicher Gewalten rein und zwecklos zum Ausdruck kam.

Eine solche Zone hielt ich für wirklich; ich verlegte sie in die tropische Welt, deren bunter Gürtel die blauen Eiskappen der Pole umkreist.

2

Ich hatte mir ein Ultimatum gestellt, dessen Frist eine Woche nach Beginn der Schule endigte. Das Mittel, das ich mir ersonnen hatte, um mich auf eine entscheidende Weise aus dem Gleichgewicht zu bringen, war nicht übel; es bestand darin, daß ich das Schulgeld, mit dem versehen ich nach den Herbstferien in der kleinen Stadt wieder eingetroffen war, in den Dienst meiner großen Pläne zu stellen beabsichtigte.

Obwohl eine solche Verwendung des Geldes mir unvergleichlich sinnvoller erschien als der Zweck, zu dem es eigentlich berechnet war, zögerte ich lange mit diesem ernsthaften Schritt. Ich fühlte wohl, daß ich mit ihm unwiderruflich den Kriegspfad betrat und daß die Verfügung über diese Summe nur statthaft war als eine bereits dem offenen Gegner auferlegte Kontribution. Im Kriege ist bekanntlich alles erlaubt.

Erst kurz vor Ablauf der Frist, an einem feuchten und dunstigen Herbstnachmittag, trat ich mit Zittern und Bangen in einen Trödlerladen ein, um einen sechsschüssigen Revolver mit Munition zu erstehen. Er kostete zwölf Mark – das war eine Ausgabe, die unter keinen Umständen wieder zu ersetzen war. Ich verließ den Laden mit einem Triumphgefühl, um mich gleich darauf zu einem Buchhändler zu begeben und ein dickes Buch »Die Geheimnisse des dunklen Erdteils« zu erwerben, das ich für unentbehrlich hielt. Es wurde in einem großen Rucksack verstaut, der dann an die Reihe kam.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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