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Drogen und Rausch sind für Jünger ein Mittel, dem Menschen einen Anteil an der geistigen Welt zu verschaffen. Zuerst ist der Rausch reiner Genuss mit Gewinn und Gefahren, dann wird er zum Abenteuer mit seinen fantastischen, ästhetischen und geistigen Bezirken, schließlich aber zur Annäherung. In zahlreichen Selbstversuchen u. a. mit Albert Hofmann, dem Erfinder des LSD, lotete Jünger die Dimensionen der Rauschmittel und ihren Bezug zu ihrem jeweiligen Kulturkreis aus.
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Seitenzahl: 584
Ernst Jünger
Annäherungen
Drogen und Rausch
J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH
Klett-Cotta
Der Text dieser Ausgabe folgt Ernst Jüngers Fassung letzter Hand in den Sämtlichen Werken in 22 Bänden, erschienen bei Klett-Cotta.
Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659,
Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Reihengestaltung Ingo Offermanns, Hamburg, unter Verwendung von
Illustrationen von Niklas Sagebiel, Berlin
Printausgabe: ISBN 978-3-608-96063-1
E-Book: ISBN 978-3-608-10596-4
PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20204-5
Dieses E-Book entspricht der 1. Auflage 2014 der Printausgabe.
DROGENUNDRAUSCH
ERSTAUSGABE1970
»Messer Ludovico, was treibt Ihr für Narrheiten?« So ungefähr fragte der Kardinal Hippolyt von Este, nachdem er dessen »Orlando Furioso« gelesen hatte, seinen Schützling Ariost.
Dieser »Rasende Roland« gehörte neben Byrons Gedichten früh zu meinen Lieblingswerken; ich lernte ihn als Vierzehn- oder Fünfzehnjähriger kennen, und zwar in dem imposanten, von Doré illustrierten Folioband. Die Übersetzung stammte von Hermann Kurz. Weniger behagte mir späterhin die von Gries, die ich in einer Reclamausgabe mitführte. Ich las sie im Frühjahr 1917 in der Siegfried-Stellung und brachte die beiden Bändchen auch wieder heim. Es scheint mir, daß ich in den Kriegen mehr gelesen habe als zu anderen Zeiten; und das geht manchem so.
Die Lektüre des Ariost ist gefährlich; das wußte Cervantes schon. Überhaupt setzt die literarische Bildung Maßstäbe, die in der Realität nicht ausgefüllt werden können; das Spielfeld wird zu weit gesteckt.
Die skeptische Frage des Hippolyt von Este ist nicht nur eine Kardinals-, sondern auch eine Kardinalfrage. Sie hat mich oft beschäftigt, auch während der Arbeit an diesem Text. Man fragt sich immer wieder, warum man dies oder jenes treibt oder getrieben hat – und was man darauf zu hören bekommen wird. Und man fragt sich nach der Verantwortung.
Kaum zu befürchten ist, daß, wie man früher sagte, die »Schweine Epikurs« in die Mohn- und Hanfgärten einbrächen. Der Epikuräer neigt nicht zur Übertreibung – sie würde den Genuß beeinträchtigen. Er genießt die Zeit und die Dinge und ist daher eher die Gegenfigur des Süchtigen, der unter der Zeit leidet. Den Typus des Kettenrauchers wird man bei ihm nicht finden – eher den des Gourmets, der ein gutes Mahl mit einer Importe beschließt. Er hat den Genuß in der Hand und weiß ihn zu zügeln – weniger aus Gründen der Disziplin als des Genusses selbst.
Es hat alte Chinesen gegeben, die sich auf ähnliche Weise hin und wieder eine Pfeife Opium gestatteten – und es gibt sie vielleicht noch. Das ist dann, als ob man nach einem Mahl von vielen Gängen nicht nur auf die Terrasse und in den Park hinausträte, sondern darüber hinaus die Gehege der Zeit und des Raumes und damit des Möglichen ein wenig erweiterte. Das gibt mehr als Essen und Trinken, mehr auch als der Wein und die gute Zigarre; es führt weiter hinaus.
In dieser Hinsicht sollte es von einem gewissen, etwa vom pensionsfähigen Alter ab keine Beschränkungen mehr geben – denn für den, der sich dem Grenzenlosen nähert, müssen die Grenzen weit gesteckt werden. Nicht jeder kann hier wie der alte Faust noch bauen, doch im Unvermessenen zu planen, steht jedem frei.
Das gilt insonderheit für jene Spanne, in der die ultima linea rerum dichter heranrückt und bestimmter wird. Es gibt alte Winzer, die dann Monate und Jahre nur noch von Brot und Wein leben. Konrad Weiss hat ihrer gedacht.
Dem Leidenden, dessen Uhr schnell abläuft, den Schmerz zu lindern, ist selbstverständlich, doch nicht genug. Wir sollten an sein einsames Lager noch einmal die Fülle der Welt heranführen.
In der Todesstunde sind nicht Narcotica, sondern eher Gaben, die das Bewußtsein erweitern und schärfen, angebracht. Hat man auch nur im mindesten den Verdacht, daß es weitergehen könnte, und dafür sprechen Gründe, so sollte man wachsam sein. Dem folgt notwendig die Vermutung, daß es Qualitäten des Überganges gibt.
Auch unabhängig davon legt mancher Wert auf sein individuelles Sterben, um das er sich nicht betrügen lassen will. Für den Kapitän ist es Ehrensache, als letzter von Bord zu gehen.
Und endlich ist zu bedenken: nicht nur der Schmerz des Todes könnte fortgenommen werden, sondern auch seine Euphorie. Vielleicht sind in den letzten, verklingenden Akkorden noch wichtige Botschaften – Empfänge, Sendungen. Totenmasken zeigen einen Abglanz davon.
Ein buntes Gefieder hat der Hahn des Asklep.
Getrennt vom Genuß ist das geistige Abenteuer zu betrachten, dessen Lockungen sich gerade dem höher und feiner ausgebildeten Bewußtsein aufdrängen. Im Grunde ist jeder Genuß geistig; dort ruht die unerschöpfliche Quelle, die als Begierde aufsteigt, der keine Befriedigung genügt. »Und im Genuß verschmacht ich nach Begierde.«
Jede Werbung kennt den Zusammenhang. Wenn im Winter die Kataloge der Gärtnereien kommen, erwecken ihre Bilder ein lebhafteres Vergnügen als im Sommer die Blumen, die auf den Beeten blühen. Auch in der Natur wird auf die Werbung mehr Kunst und List als auf die Erfüllung gelegt. Die Muster eines Falterflügels oder des Paradiesvogel-Gefieders bezeugen es.
Der geistige Hunger ist unstillbar; der physische ist eng begrenzt. Wenn ein römischer Fresser wie Vitellius drei ungeheure Mahlzeiten am Tage verschlang und sich des Überflusses durch Brechmittel entledigte, so hat er unter dem Mißverhältnis zwischen Augen und Mund gelitten, wenngleich auf primitive Art. Das Mißverhältnis hat seine Skala; auch das Auge ruft den Geist zu Hilfe, wenn ihm die sichtbare Welt nicht genügt.
Mehr als Vitellius und seinesgleichen konnte Antonius genießen – dazu befähigte ihn nicht die stärkere Physis oder größerer Reichtum, sondern die überlegene Geistigkeit. In Flauberts »Versuchung« füllen sich imaginäre Tafeln mit Gerichten, die frischer und farbiger sind, als sie die Gärtner und Köche, ja selbst die Maler hervorbringen. Antonius erblickt in seiner Wüstenhöhle den Überfluß an der Quelle – dort, wo er sich unmittelbar in die Erscheinung kristallisiert. Daher ist der Asket reicher als der im Genuß verschmachtende Cäsar, der Herr der sichtbaren Welt.
Den Typus des geistigen Abenteurers habe ich in der Figur des Antonio Peri zu zeichnen versucht:
»Antonio unterschied sich auf den ersten Blick kaum von den Handwerkern, die man überall in Heliopolis ihre Geschäfte treiben sieht. Und doch verbarg sich unter dieser Oberfläche noch etwas anderes – er war ein Traumfänger. Er fing Träume, so wie man andere mit Netzen nach Schmetterlingen jagen sieht. Er fuhr an Sonn- und Feiertagen nicht auf die Inseln und suchte nicht die Schenken am Pagosrande auf. Er schloß sich in sein Kabinett zum Ausflug in die Traumregionen ein. Er sagte, alle Länder und unbekannten Inseln seien dort in die Tapete eingewebt. Die Drogen dienten ihm als Schlüssel zum Eintritt in die Kammern und Höhlen dieser Welt.
Er trank auch Wein, doch war es nie der Genuß, der ihn dazu veranlaßte. Ihn trieb im wesentlichen eine Mischung von Abenteuer- und Erkenntnisdurst. Er reiste nicht, um sich im Unbekannten anzusiedeln, sondern als Geograph. Der Wein war ihm ein Schlüssel unter vielen, eines der Tore zum Labyrinth.
Vielleicht war es nur die Methodik, die ihn an Katastrophen und Delirien vorbeiführte. Sie hatten ihn oft gestreift. Er war der Meinung, daß jede Droge eine Formel enthält, die Zugang zu gewissen Welträtseln gewährt. Er glaubte ferner, daß eine Rangordnung der Formeln zu ermitteln sei. Die höchsten müßten gleich dem Stein der Weisen das Universalgeheimnis aufschließen.
Er suchte den Hauptschlüssel. Muß aber nicht das stärkste Arkanum notwendig tödlich sein?«
Daß die rastlose Suche nach dem Abenteuer, dem Fernen und dem Fremden, etwas anderes meinte, wird erst beim letzten Gange offenbar. Antonio gerät in ein Strahlengitter, wird tödlich verwundet, schwer verbrannt. In diesen Qualen lehnt er das Morphium ab. Es war nicht der Genuß, auch nicht das Abenteuer, was ihn zu seinen Ausflügen bewog. Neugier gewiß, doch Neugier, die sich sublimierte, bis er endlich vor der rechten Pforte stand. Vor ihr bedarf es keines Schlüssels; sie öffnet sich von selbst.
Jeder Genuß lebt durch den Geist. Und jedes Abenteuer durch die Nähe des Todes, den es umkreist.
Ich entsinne mich eines Bildes, das ich gesehen habe, als ich kaum lesen gelernt hatte, und das »Der Abenteurer« hieß: ein Seefahrer, ein einsamer Konquistador, der den Fuß auf den Strand einer unbekannten Insel setzt. Vor ihm ein Furcht erweckendes Gebirge, sein Schiff im Hintergrund. Er ist allein.
So etwa wird es gewesen sein. Der »Abenteurer« war damals eins der berühmten Bilder, die man in den Ausstellungen von Bewunderern umlagert sieht. Ein Musterstück der literarischen Malkunst, die kulminierte in der »Toteninsel« von Böcklin (1882).
Der Geschmack an diesem Genre ist abhanden gekommen; das Bild wird heute irgendwo verstauben, falls es sich überhaupt erhalten hat. Sein Charakter war symbolisch: das Schiff, das der Mensch verlassen hat, der Strand, auf den er den Fuß setzt, das Furcht und Erwartung einflößende Kolorit. Böcklin war tiefer, und bereits Munch hätte die Aufgabe anders angefaßt. Heute würde sie wieder anders gelöst werden. Wir besitzen bereits einige große Werke, in denen die Nähe des Todes nicht etwa geschildert wird, sondern die sie durchtränkt.
Von jenem »Abenteurer« haben sich mir nur Einzelheiten schärfer in der Erinnerung erhalten: der Strand war mit Knochen besät, mit Schädeln und Gebeinen der beim gleichen Wagnis Gescheiterten. Das begriff ich und zog auch den Schluß, den der Maler beabsichtigt hatte: daß da hinaufzusteigen zwar lockend, doch gefährlich sei. Das sind die Knochen der Vorgänger, der Väter und endlich auch die eigenen. Der Strand der Zeit ist von ihnen bedeckt. Wenn ihre Wellen uns an ihn herantragen, wenn wir landen, schreiten wir über sie hinweg. Das Abenteuer ist ein Konzentrat des Lebens; wir atmen schneller, der Tod rückt näher heran.
Der Totenkopf mit den gekreuzten Knochen war lange ein gültiges Symbol, nicht nur in Grüften und auf Totenäckern, sondern auch in der Kunst. Besonders im Barock war er, zusammen mit der Sanduhr und der Sense, ein beliebtes Motiv. Heut würde es primitiv sein, ihn in diesem Sinne zu verwenden; sein Rang ist eher der eines Verkehrszeichens. Schon als der Maler des »Abenteurers« ihn ins Bild brachte, unterlag er der Versuchung einer literarischen Anspielung.
Wir fragen uns: wie ist es möglich, daß ein Objekt wie hier der Totenkopf einmal als Motiv der hohen Kunst verwendet wird und als solches uns auch heute noch einleuchtet, während dasselbe Objekt, von Zeitgenossen dargeboten, uns nicht mehr befriedigt, ja vielleicht sogar komische Züge gewinnt?
Dazu ist zu bemerken, daß jeder Gegenstand symbolische Kraft gewinnen und auch verlieren kann. Seine Rolle ist die des Korns, über welches das Auge sein Ziel visiert. Ist gut gerichtet, so wird der Glanz des Zieles sich dem Korn mitteilen. Und dieser Glanz erhält sich wie in den alten Bildern, er »leuchtet lange noch zurück«. Nicht nur die Schönheit des Gemeinten hat sich übertragen, sondern auch ein Schimmer der Unvergänglichkeit. Aphrodite war nicht nur gemeint in der Geliebten – sie wurde in der Umarmung auch durch sie vertreten und namenlos gemacht.
Der Totenkopf des alten Meisters erschreckt uns heute noch. Durch ihn hindurch, durch seine Augenhöhlen war der Tod gesehen – das hat sich den Atomen mitgeteilt.
Der Totenkopf des »Abenteurers« dagegen ist reines Requisit. Dort das Symbol und hier das Ornament, dort Mythos, hier Allegorie. Annäherung dort, Entfernung hier.
Dabei ist zu beachten, daß der Zeitgenosse, auch rein malerisch gesehen, die Meisterschaft des Alten nicht erreicht, mag er artistisch auch auf der Höhe sein. Rasch schwindet das Behagen, das Einverständnis des Betrachters mit der Leistung, deren Ruhm der Künstler überlebt. Der Arme war, obwohl er es nicht wußte, Falschmünzer. Die Blüte wird im Vertrauen hingenommen, doch früher oder später spricht sich herum: es fehlt der Gegenwert. Der Schein ist ohne Deckung – hier der papierene Anspruch, dort die Goldreserve, hier die Erscheinung, dort die Wirklichkeit.
Die Blüten sind oft täuschend gelungen; nur wenige Kenner durchschauen das sofort. »Durchschauen« heißt in solchen Fällen: erkennen, daß nichts dahinter steckt.
Der Versuch, durch einen Schädel Effekt zu machen, wurde spätestens um jene Spanne herum absurd, in der die Röntgenstrahlen aufkamen. Hier wäre vielleicht auszuführen, was mit dem Satz gemeint ist: eine Bemerkung nicht zur physikalischen, sondern zur fundamentalen Optik – zu einer neuen, quasi instinktiven und seiner Genese entsprechenden Art des Menschen, zu sehen. Dazu stellen die Strahlen sich ein als empirische, durch den Gestaltwandel bedingte Konsequenz.
Dieser fundamentale Wechsel, der sich auch in der Physik und ihrem Instrumentarium geltend macht, hat nicht nur ein Höhenniveau, in dem das Atmen schwieriger, sondern auch Tiefenschichten, in denen die Materie dichter und aufschlußreicher wird. Von beidem profitiert die Physik.
Wichtiger ist jedoch, daß sich damit auch das Verhältnis zum Tode ändert und daß diese Änderung nicht nur im Glauben und Denken, sondern auch in der Kunst nach Ausdruck verlangt. Auch das ist einer der Gründe dafür, daß der Totenkopf, wie so viel anderes, als Symbol nicht mehr »glaubwürdig« ist.
Das sind Fragen der Perspektive, nicht der Substanz. »An sich« bleibt die Macht des Schädels ungebrochen, doch visieren wir nicht mehr über ihn. Darüber hinaus ist zu bemerken, daß wir überhaupt an einem Symbolschwund teilnehmen. Nur wenige Mächte werden dem widerstehen – vielleicht die Mutter allein.
Dem muß die Kunst Rechnung tragen, und sie tut es – zunächst ex negativo, doch mit tastenden Fühlhörnern. Entwertung der klassischen Symbole kennzeichnet jeden Stilwechsel. In einem Großen Übergang indessen geht es nicht mehr um vereinzelte Symbole, sondern um die Symbolwelt überhaupt. Hier sei noch einmal erinnert an das, was in der »Zeitmauer« über die »Weißung« gesagt wurde. Sie ist letzthin nicht als nihilistischer Akt zu begreifen, sondern als retour offensif. Das Weiß ist nicht farblos, sondern die Zuflucht der farbigen Welt.
Im Rückblick auf unser Beispiel wollen wir uns eine der herrlichen Kalkwände vorstellen, wie sie über der Azurküste oder den grünen Matten des Donautals aufragen. Es können auch die Kreideklippen an der Küste von Rügen oder Korallenriffe im Stillen Ozean sein.
Dort blendet der Tod nicht mehr als isolierter Schädel, sondern in ungeheurer Auftürmung. Dies alles war ausgeformtes Gerüst des Lebens – Schneckenhäuser und Muschelschalen, Diatomeenpanzer, Korallen, die sich in Jahrtausenden aufstockten, bevor sie in höhere Grade der Versteinerung eintraten. In Vorweltmeeren ausgewebte Formen, die der tellurische Druck noch schärfer ausprägt und vernichtet, wenn er ein wenig stärker wird. Dann wieder Auflösung durch Sturz und Brandung bis zu den Molekülen, die von neuem dem Leben zum Raube fallen und in Kreisen, Spiralen, Symmetrien auferstehen.
Ein Spiel um den Kalkspiegel, eins unter vielen nur. Der Steinkohlenwald versinkt in den Flözen, und was er an Sonne eintrank, atmet er aus in den Feuern der technischen Welt. Das wechselt in Äonen – wie in den Augenblicken die Eiskristalle um den Nullpunkt, die, gleichviel ob sie schmelzen oder anschießen, sich spiegelbildlich ähnlich sind.
Dies alles schlummert in den Kalkwänden und wartet auf Belebung durch die Kunst.
Ein neues Verhältnis zum Tode bahnt sich an. Das ist wichtiger als alle Großtaten innerhalb der technischen Welt. Ein Großer Übergang.
Nicht nur die Kalkwand, auch die Wüste lebt. Moses hat es gewußt. Es war die zum Stab gewordene Schlange, mit der er das Wasser aus dem Felsen schlug. Auch in unseren Wüsten ist Durst nach diesem Wasser; sie sind von Dürstenden erfüllt. Und dieser Durst wird stärker, wenn der Mensch gesättigt ist.
Bald scheint der Staat, der »tausendschuppige Drache«, noch das einzige Wesen, das die Wüste bewohnt, die er mit seinen Fata Morganen ausstattet. Das höchste Monopol ist das der Träume; das haben die Priester seit jeher gewußt.
Es zählt zu den Privilegien der Götter, daß sie in der Bildwelt verharren und nur selten aus ihr in die Erscheinung hinaustreten. Der Abglanz wird farbig dann.
Unsereinem ist das weniger vergönnt. Wir ahnen die Fülle der Bildwelt im farbigen Abglanz und treten selten, wie in den Träumen, aus der Erscheinung in sie ein.
Als Binnenländer lernte ich das Meer erst aus Berichten kennen, und die Wellen erschienen mir mäßig, als ich es zum ersten Male sah. Nur als das Ertrinken drohte, war die Woge riesig, als ob sie bislang, ob hoch oder nieder, Kulisse gewesen wäre und nun das Spiel anfinge. So hat sie Hokusai gemalt. So muß man die Kalkwand sehen.
Als der »Neger«, von dem ich noch berichten werde, die Freundin entjungfert hatte und dann fragte, wie es gewesen sei, sagte sie: »Ich hatte es mir schöner vorgestellt.« Das war ihm verdrießlich, wird aber die Regel sein.
Auch das Verbrechen hat imaginären Reiz. Ein Bankraub, wie er im Roman oder im Film sich abspielt, kann Intelligenzen anziehen, die Sinn für Finessen haben oder auch für kühne Volten, bei denen ein Programm in Sekunden hineinzupressen ist. In praxi kommt Unerwartetes und durchaus Widriges. Nachdem Raskolnikow die alte Wucherin, die seiner Ansicht nach so wenig wert ist wie eine Wanze, erschlagen hat, taucht deren fromme Schwester im Flur auf, der er das gleiche Schicksal bereiten muß.
Es zählt übrigens zu den genialen Zügen des Romans, daß der imaginäre Teil der Tat von der Schuld abgezogen wird. In Anbetracht des Doppelmordes, der dazu noch auf niedere Weise, »mit dem Beil«, begangen wurde, ist das Urteil mild. Den anderen Sträflingen ist das ein Dorn im Auge; sie meinen, daß »der Herr« zu billig davongekommen sei.
Auch beim Rausch kann die Enttäuschung nicht ausbleiben. Sie stellt sich ein – nicht gerade im Verhältnis von Schuld und Sühne, sondern im Rahmen einer erweiterten Anrechnung, in den allerdings auch Schuld und Sühne hineinpassen. Rausch und Verbrechen sind benachbart und manchmal schwer zu isolieren, besonders an den Grenzrainen.
Im Rausch, gleichviel ob er betäubend oder erregend wirkt, wird Zeit vorweggenommen, anders verwaltet, ausgeliehen. Sie wird zurückgefordert; der Flut folgt Ebbe, den Farben Blässe, die Welt wird grau, wird langweilig.
Das läßt sich noch in die Physiologie und in die Psychologie einordnen, obwohl bereits hier Katastrophen drohen. Zugleich kann es zu einem prometheischen Licht- und Bildraub kommen, zum Eindringen in das Göttergehege – auch dort ist Zeit, wenngleich die Schritte weiter und mächtiger sind und gewaltige Fußstapfen zurücklassen. Auch dort sind Gefahren; das »einmal lebt ich wie Götter« muß bezahlt werden.
Die Zeit ist abgelaufen, ja überschritten, die ich mir für das Thema gesetzt hatte. Es hat sich einem Essay angesponnen, den ich Mircea Eliade zum 60. Geburtstag widmete (»Drogen und Rausch«, »Antaios« 1968). Ein zweiter Teil sollte spezielle Erfahrungen behandeln; er hat sich nach vielen Richtungen hin ausgedehnt. Ich könnte ihn schärfer ins System bringen und denke daran hinsichtlich einiger wiederkehrender Begriffe; für den Leser ist es günstiger, dem Text zu folgen, wie er Blatt um Blatt ansetzte.
Das Thema ließe sich weiter, doch nicht zu Ende führen – das deutet der Titel an. Er steht für jede, insbesondere für die musische Entwicklung und für das Leben überhaupt. Die eigentliche Arbeit war weniger darauf gerichtet, ein Buch zu schreiben, als einen Apparat zu konstruieren, ein Fahrzeug, das man nicht als derselbe verläßt, der eingestiegen ist. Das gilt vor allem für den Autor – Meditationen ad usum proprium, zur eigenen Ausrichtung. Der Leser mag nach Belieben oder auch nach Bedürfnis daran teilnehmen.
Qu’elle soit ramassée pour »le bien« ou pour »le mal«, la mandragore est crainte et respectée comme une plante miraculeuse … En elle sont renfermées des forces extraordinaires, qui peuvent multiplier la vie ou donner la mort. En une certaine mesure donc, la mandragore est »l’herbe de la vie et de la mort«.
Mircea Eliade in »Le culte de la mandragore en Roumanie« (»Zalmoxis«, 1938)
Der Einfluß der Droge ist ambivalent; sie wirkt sowohl auf die Aktion wie auf die Kontemplation: auf den Willen wie auf die Anschauung. Diese beiden Kräfte, die sich auszuschließen scheinen, werden oft durch dasselbe Mittel hervorgerufen, wie jeder weiß, der einmal eine zechende Gesellschaft beobachtet hat.
Allerdings ist es fraglich, ob man den Wein zu den Drogen im engeren Sinne rechnen darf. Vielleicht wurde seine ursprüngliche Gewalt in Jahrtausenden des Genusses domestiziert. Mächtigeres, aber auch Unheimlicheres erfahren wir aus den Mythen, in denen Dionysos als Festherr mit seinem Gefolge von Satyrn, Silenen, Mänaden und Raubtieren erscheint.
Der Siegeszug des Gottes geschah in umgekehrter Richtung wie der Alexanders: von Indien über den Vorderen Orient nach Europa, und seine Eroberungen sind nachhaltiger. Dionysos gilt, gleich dem Adonis, als Stifter orgiastischer Feste, deren Periodik sich tief in die Geschichtswelt einflicht und mit denen ein üppiger Phallosdienst verbunden war. Dieser bildete nicht den Inhalt der Dionysien, sondern eine der Offenbarungen, die das Mysterium und seine bindende Kraft bestätigten. Demgegenüber konnten, einem alten Autor zufolge, »die Feste der Aphrodite auf Cythere fromme Kinderspiele genannt werden«.
Diese ursprüngliche Kraft des Weines ist geschwunden; wir sehen sie gemildert wiederkehren in den Herbst- und Frühlingsfesten der Weinländer. Nur selten tritt aus der Steigerung von Lebenslust, von Farben, Melodien, grotesken Bildern noch eine Spur der alten Mysterienwelt mit ihrer unheimlich ansteckenden Gewalt hervor. Archaisches taucht dann in den Gesichtern, den Sprüngen und Tänzen auf. Vor allem die Maske gehört dazu, das Symbolon der »verkehrten Welt«.
Wenn wir die Triumphe von Alexander und Dionysos vergleichen, so berühren wir damit auch den Unterschied von historischer und elementarer Macht. Der Erfolg in der Geschichte, etwa die Eroberung Babylons, ist flüchtig und an Namen geknüpft. Der Augenblick kehrt in dieser Form nicht wieder; er bildet ein Glied in der Kette der historischen Zeit. Für Wandlungen innerhalb der Elementarwelt sind dagegen weder Namen noch Daten wichtig, und doch geschehen sie immer wieder, nicht nur unter-, sondern auch innerhalb der historischen Zeit. Sie brechen wie Magma aus der Kruste hervor.
Um beim Wein zu bleiben: Alexander mußte aus Indien weichen, während Dionysos noch heute als namenloser Festherr regiert. Der Wein hat Europa stärker verändert als das Schwert. Immer noch gilt er als Medium kultischer Wandlungen.
Der Austausch von neuen Giften und Räuschen, auch von Lastern, Fiebern und Krankheiten, entbehrt der festen Daten, mit denen sich eine Krönung oder eine Entscheidungsschlacht dem Gedächtnis einprägen. Das bleibt im Dunkel, im Wurzelgeflecht. Wir können die Vorgänge ahnen, doch weder ihren Umfang ermessen noch in ihre Tiefe eindringen.
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