Agile Basisdemokratie - Christoph Ulrich Mayer - E-Book

Agile Basisdemokratie E-Book

Christoph Ulrich Mayer

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Beschreibung

"Eine wichtiges Buch und eine wunderbare Idee. Möge die neue Basisdemokratische Bewegung in unserem Land eine blühende Zukunft herbeiführen." Prof. Dr. Christian Kreiß Wir haben heute neue Möglichkeiten, alle BürgerInnen an Entscheidungen teilhaben zu lassen. Das gilt sowohl für Technik als auch für Methodik. Die Zeit ist reif, nicht nur an Entscheidungen zu beteiligen sondern auch die Weisheit der Vielen zu nützen. Vielleicht auch in Ihrem Unternehmen oder Ihrer gemeinnützigen Organisation? Dieses Buch ist eine Einladung, die Zukunft neu zu gestalten. Anhand der eigenen und gesellschaftlichen Werte. Jeder darf und jeder sollte mithelfen, denn wenn wir es nicht tun, wird unsere Zukunft von Anderen gestaltet. Wir können alle Probleme unserer Zeit lösen, wenn wir die richtige Methodik wählen und jeder Verantwortung übernimmt für die Welt, in der er leben möchte.

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„Demokratie ist die Regierung des Volkesdurch das Volk für das Volk“

Abraham Lincoln

Wollen wir gemeinsam echte Demokratie wagen?

Christoph Ulrich Mayer

Agile Basisdemokratie

werteorientierte, progressive Lösungs- und Entscheidungsfindung unter Beteiligung Aller

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Dieser Titel wird auch als eBook und Audiobook veröffentlicht.

Copyright © 2021 Christoph Ulrich Mayer

Covergestaltung, Illustrationen: Christoph Ulrich Mayer

Verwendete Coverbilder: arthobbit @iStockPhoto.com + ra2 studio @Fotolia

Lektorat, Korrektorat: Heike Rostkowski

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN: 978-3-347-27750-2 (Hardcover)

ISBN: 978-3-347-27749-6 (Paperback)

ISBN: 978-3-347-27751-9 (e-Book)

www.Menschen-gerechte-Gesellschaft.de

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Demokratie in Vergangenheit und Zukunft

Konflikt mit der Politik unserer Tage

Aus der Not entscheiden? Erodieren unserer Werte

Warum Basisdemokratie

Krise der Demokratie

Geschichtliche Entwicklung der Gesellschaftsstrukturen

Geschichtliche Entwicklung der Wertesysteme

Wir sind am Scheideweg

Da hin scheint der Weg gelenkt zu werden

Da hin können wir

Klarheit im Denken und Entscheiden

Gesamter Prozess bis zur Entscheidung

Entscheiden

Entscheidungen finden

Vorauswahl an Lösungen

Lösungen finden

Kriterien und Leitplanken für Lösungen

Informationen verbreiten

Informationen gewinnen

Wichtige Grundlagen klaren Denkens

Trennen von Fakten und Interpretationen, sich Annahmen bewusst machen

Verwenden von klar definierten Begriffen

Machen wir uns Framing bewusst und verwenden wir hilfreiche Begriffe

These und Antithese – die Dialektik für klare Diskussionsstruktur

Wissenschaftliche Prinzipien anwenden

Sich seines eigenen Verstandes bedienen

Entscheidungen und Abstimmungen

Demokratie

Generelle Schwächen der Demokratie

Die EU-Struktur und -Verfassung

Metaebene Macht

Hierarchische Macht

Der Kreis

Meinungsmacht

Geldmacht & Wirtschaftsmacht

Dominanz der Notwendigkeit der Wirtschaft

Werte in Politik und Wirtschaft

Menschenführung oder Demokratie

Moderne Führung in Unternehmen?

Führen als Dienstleistung

Selbstführung der Organisation

Verantwortung

Basisdemokratie und Selbstorganisation

Andere demokratische Lösungsansätze

Soziokratie

Systemische Konsensierung

Positive Konsensierung

Bezug zum Projektmanagement

Agiles Projektmanagement

Agile Basisdemokratie

Zeitaufwand

Effizienz

Ablauf nach Systemischer Konsensierung oder positiver Konsensierung

Das Prinzip umkehren

Vorarbeit

Sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen

Vorauswahl

Wissenschaftlicher Rat

Agile Basisdemokratie Ablauf

Grundsätze der agilen Basisdemokratie

Online Tools und Links

Lösungen finden und Einigungen

Massenpsychologie und Schwarmintelligenz

Rahmen festlegen

Schnelle Erfolge durch „Low Hanging Fruits“

Wertesystem zur Kanalisation für Lösungs- und Entscheidungsfindung

Reframing gesellschaftlicher Lösungen und Systeme

Perspektivwechsel

Leitsatz und zentrales Kriterium für die Bewertung von Lösungen

Finden nachhaltiger Lösungen

Prinzipien des Harvard-Modells

Anwendung des Harvard-Modells auf das Finden nachhaltiger Lösungen

Perspektiven prüfen

Arbeitsweise in AGs – Die Schritte

Vollständiges Lösungs-Reframing – komplexe Probleme lösen

Das vollständige Lösungsfindungskonzept „Lösungs Reframing“

Definition von Nutzfunktionen und Wahl der Perspektive

Werte in der Lösungsfindung & -wahl

Gesellschaftliche Werte verwirklichen

Wertegrundlage Grundgesetz

Darüber hinaus gehende Werte

Aktuelles Grundgerüst der Baisdemokratischen Partei Deutschlands

5W – Lösungen finden durch in die Tiefe fragen

Wissen erarbeiten und verbreiten

Trennen von Fakten und Interpretationen, sich Annahmen bewusst machen

Online Gruppen und Diskussion

Zusammenarbeit und Dokumentation über Wiki

Strukturelle Umsetzung von Werten

Wissenschaftlicher Rat

Lösungen wählen

Aufgaben abarbeiten

Selbstorganisation über agile Tools

Zustimmungspflichtige Arbeitspakete oder Arbeitsergebnisse

Organisation und Mitgliedermanagement

Kollaboration bei Dokumenten

Eine ideale Gesellschaft

Zweifel hindern uns bisher

Was wir zur Überwindung brauchen

Eine Gesellschaft, die das menschliche Ideal fast verwirklicht hatte

Was können wir daraus ableiten?

Das Llano River Utopie-Experiment

Problem: Kompetenz muss sich durchsetzen, aber wie geht das ohne Hierarchie?

Förderung von Kompetenz

Konkurrenz oder Kompetenz?

Wie setzt sich Kompetenz auch durch?

Gemeinsame Ziele: Wie werden die Ziele ausgewählt, denen die Gemeinschaft folgt?

Vertrauen als Schlüssel

Erfolgsfaktoren für Organisationen

Organisationsformen Herleitung

Selbstorganisierende Organisationsform

Strategie und Taktik

Vorstand, Geschäftsführer, Schatzmeister

Nicht demokratische Teams können eingebunden werden

Grundausrichtung der Organisation

Grundwerte, Ziele, Positionen in dieser Reihenfolge

Notwendige Zustimmung zu definierten Werten und Zielen

Zyklisch festgelegte Werte und Ziele

So bringen wir positive Veränderung in die Gesellschaft

Wie entsteht die Gesellschaft wie wir sie erleben?

Wie entsteht eine neue Gesellschaft?

Gefühlte Mehrheit und gewollte Filterblasen

Gefühlte Minderheit

Der direkte Informationsweg

Ergänzende Maßnahmen

Maßnahmen zur Demokratisierung unseres Staates

Parlamentsplätze reduzieren durch Nichtwähler

Ausschließliche staatliche Parteienfinanzierung

Einführung des Volksentscheids

Moderne und vereinfachte Wahlmethoden

Schutz einer Partei vor Unterwanderung mit Fremdinteressen und Verbiegen durch Neumitglieder

Gewaltenteilung

Bürgerkontrollräte

Übergeordnete Machtstrukturen

Supranationale Strukturen auf politischer Ebene

Supranationale Verträge

Europäische Union (EU)

Die Vereinten Nationen (United Nations, UN)

Supranationale Strukturen auf finanzieller und wirtschaftlicher Ebene

Internationale Konzerne

Internationale Finanzwelt

Auswege

Werte

Was unser Handeln bestimmt

Identität der Gesellschaft

Ziele und Visionen der Gesellschaft

Werte der Gesellschaft

Konkrete Werte – wie verwirklichen wir sie?

Wissenschaft erneuern

Aufgebaute Filterblasen in der Wissenschaft

These-Antithese – eine Falle

Wissenschaftliche Prinzipien anwenden

Schlusswort

Über den Autor

Prolog

Seit vielen Jahrzehnten wächst die Zahl unzufriedener Bürger. Eine Partei der Nichtwähler hätte fast jede Wahl der letzten 30 Jahre gewonnen. Immer mehr Menschen finden keine Partei mehr, die sie wählen möchten. Und sie haben den Eindruck, dass ihre Stimme überhaupt nichts bewirkt.

Parteien wie die STATT Partei oder die Piraten wollten die Bürger besser an politischen Entscheidungen teilhaben lassen. Sie sind jedoch nach zunächst beachtlichen Anfangserfolgen kurze Zeit später in der Bedeutungslosigkeit verschwunden1.

Ich selbst habe zwei Jahre bei den Priaten mitgewirkt. Doch die Hoffnung, über die Partei in Deutschland eine Basisdemokratie zu etablieren, erwies sich als illusorisch. Die Fehler, die dort gemacht wurden und die nicht genutzten Potentiale haben zu Erkenntnissen und Konzepten geführt, die wir in diesem Buch wiederfinden.

Doch politische Arbeit war nie der Kern meiner Tätigkeit. Ich habe viel Zeit investiert um zu ergründen, warum wir eine Welt schaffen, die in vielen Aspekten das Gegenteil von dem ist, was wir wollen. Und wie wir das ändern können. Es waren Jahre nötig, um die tieferen Gründe zu recherchieren, mit Belegen zu verifizieren, ein Lösungssystem zu entwickeln, Lösungsansätze zu sammeln und Synthesen daraus zu entwickeln. Das über 1000 Seiten umfassende Werk habe ich damals dann auf den Themenbereich zusammengeschrumpft, der den Kern von 90 % der Probleme der Welt bildet: das Wirtschafts- und Finanzsystem in der heutigen Gestaltung. 2011 wurde schließlich mein Buch „Goodbye Wahnsinn – vom Kapitulismus und Kommunismus zum menschenGerechten Wirtschaftssystem“ veröffentlicht. Seitdem versuche ich, über Aufklärung zu all den recherchierten Themen an einer positiven Veränderung der Welt mitzuwirken.

Durch die Corona-Krise ist der Schmerz vieler Bürger so groß geworden, dass jetzt nach meiner Wahrnehmung der Wille, tiefer zu gehen und echte Veränderungen herbeizuführen, in der Bevölkerung immer stärker wächst.

Aus dieser neuen demokratischen Bewegung heraus entstand im Juni 2020 die Basisdemokratische Partei Deutschlands, bei der ich Gründungsmitglied des bayerischen Landesverbandes bin. Die Partei hat das Ziel, jedem Bürger eine Stimme zu geben, die Einfluss hat, Wissen und Sichtweisen zu verbinden und eine echte Basisdemokratie herbeizuführen.

Das ist mit großen Herausforderungen verbunden. Schon in einer gewöhnlichen Partei ist es schwierig, alle politischen Sichtweisen der Mitglieder so weit zusammen zu bringen, dass daraus ein Parteiprogramm wird. Bei den Piraten waren 2012 rund 22.000 Mitglieder an Bord, die sich aus fast allen politischen Strömungen samt Randgruppen zusammengefunden haben. Die Online-Foren wurden zur Arena von Streitereien und Trollen, die Parteitage waren eine Qual und oft genug waren Manipulation und Selbstboykott an der Tagesordnung. Die digitalen Werkzeuge zur Lösungsfindung und zur Entscheidung waren mehr als ungenügend und die Arbeit so vieler Menschen vor Parteitagen fand dann in der Programmentscheidung bei den Versammlungen in vielen Fällen keinen Zugang. Vieles wurde von einer konkurrierenden Gruppe kaputtgeredet oder konnte aus Zeitgründen nicht mehr zu einer Abstimmung vorgelegt werden.

In einer neuen basisdemokratischen Partei müssen nun die organisatorischen Probleme gelöst werden. Dazu kommt, dass wir innerhalb sehr kurzer Zeit möglichst klar aufzeigen müssen, für welche Politik die Partei konkret steht.

Und wir wollen darüber hinaus eine neue Politik verwirklichen, die dem Menschen, seiner Natur, seinen Bedürfnissen und Werten gerecht wird. Das schließt auch den Schutz der Erde mit ein. Deshalb beinhaltet dieses Buch auch sehr viel Inhalt über Lösungsmethodik und Werte.

Aber in diesem Buch geht es nicht allein um eine Partei, es ist auch ein Leitfaden für kommerzielle und nichtkommerzielle basisdemokratische Organisationen. In vielen Unternehmen findet seit Jahren eine Enthierarchierung statt, weil die immer größere Komplexität der heutigen Zeit durch dezentrale, selbstverantwortliche Teams besser gelöst werden kann.

Und darüber hinaus werden wir erarbeiten, wie der große positive Wandel vollzogen werden könnte.

1www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202109/splitterparteien-linke-und-buergerliche

Kapitel 1

Was verursacht eigentlich unseren Widerstand gegen die Politik der letzten Jahre? Warum Basidemokratie? Wohin führt die aktuelle Entwicklung? Warum werteorientiert?

Demokratie in Vergangenheit und Zukunft

Konflikt mit der Politik unserer Tage

Es gäbe viel zu Kritikpunkten an der Politik der letzten 20 Jahre zu sagen. Allein die Themen sind alarmierend. Klimakatastrophen, Finanzkrise, Staatsschuldenkrise, Flüchtlingskrise, Corona-Krise, steigende Polarisierung in Superreiche und Arme, immer noch weltweiter Hunger, Atomkatastrophe, Ölkatastrophe usw. sind Ausdruck von Fehlentwicklungen, die letztlich mit Politik und falschen Entscheidungen zu tun haben.

Aber was ist es, das uns im Kern Bauchschmerzen bereitet?

Wenn wir innerlich integer und gesund sind, wird unser Handeln in erster Linie von unserer Identität und unseren Werten bestimmt. Natürlich wird es durch unsere Fähigkeiten begrenzt. Unser Handeln wirkt auf unsere Umwelt und erzeugt dort Effekte. Und natürlich kommen von dort auch Themen auf uns zu, die durch das Handeln anderer Menschen verursacht sind oder durch Ereignisse der Natur.

Das Problem ist nun, dass wir uns - Stand heute - meist mit auftretenden Effekten beschäftigen und wie wir mit ihnen umgehen (Handlung).

Abbildung 1 psychologische Ebenen nach Robert Dilts auf eine Gemeinschaft bezogen

Aus der Not entscheiden? Erodieren unserer Werte

Irgendwoher kommt eine Wirtschaftskrise, unsere Politik versucht auf der Handlungsebene zu reagieren, unsere Werte erodieren. Eine Finanzkrise, wir reagieren, unsere persönliche Macht erodiert. Eine Umweltkrise, wir reagieren, aber lösen kein Problem und verheizen weiter fossile Ressourcen. Eine „Pandemie“, wir reagieren, unsere Grundrechte erodieren. Es kommt ein Terroranschlag, Freiheit und Datenschutz erodieren.

Wir halten uns gesellschaftlich im Wesentlichen auf der untersten Ebene auf, beim Handeln und den Effekten, die im Außen auftreten. So werden die meisten Entscheidungen von der „untersten“ psychologischen Ebene getroffen und nach „oben“ durchgezwungen. Wir verraten unsere Werte, um mit auftretenden Ereignissen schnell umgehen zu können.

Auf Dauer führt diese Art der Entscheidungsfindung allerdings zu einem Werteverfall und zu einem immer ungeliebteren Leben. Und es führt zu einer Fremdbestimmung, die das Gegenteil von Freiheit - im Sinne von Selbstbestimmung - ist.

Wenn wir wieder eine intakte Gesellschaft schaffen wollen, müssen wir die Logik vom Kopf auf die Füße stellen. Werte müssen unser Handeln bestimmen und nicht umgekehrt. Das ist das Ziel werteorientierter Politik. Und es ist das Gegenteil der merkelschen Politik des Makelns von Interessen, aus dem ein fauler Kompromiss entsteht, der uns immer weiter weg von einer positiven Vision für Europa und ihren Bürgerinnen führt.

Warum Basisdemokratie

Krise der Demokratie

Es ist deutlich spürbar: die meisten Demokratien in der Welt stecken in einer Krise. Es gibt immer mehr thematische Krisen, es findet eine zunehmende Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft statt, auch eine Radikalisierung nimmt zu. Aber ist das eine zufällige Entwicklung oder hat das nicht vielleicht systematische Ursachen?

In einer Studie2 der Princeton University wurden 1779 politischen Entscheidungen in den USA von 1981 und 2002 untersucht. Das Ergebnis: ein Einfluss der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung war statistisch nicht nachweisbar! Der Einfluss von Lobbyorganisationen und Wirtschaftselite korrelierte dagegen sehr deutlich mit dem Ausgang der Entscheidungen. Die Wirksamkeit der Stimmen der Bürger im demokratischen System hat seit 2002 noch weiter abgenommen. Und in Europa ist die Situation nicht viel besser.

Immer mehr Menschen haben verstanden, dass alle vier Jahre ein Kreuz links oder rechts (USA) oder bei 5 relevanten Parteien (Deutschland) machen zu können nahezu nichts bewirkt und Entwicklungen gegen ihre Interessen stattfinden, auf die sie letztlich keinen Einfluss haben. So entsteht Politikverdrossenheit. Und auch ein großer Teil der Radikalisierung ist auf die gefühlte und faktische Machtlosigkeit, sowie die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft zurück zu führen.

Wir brauchen eine neue, moderne, wirksame Demokratie, die zusammen führt und eine positive Zukunft verwirklicht.

Geschichtliche Entwicklung der Gesellschaftsstrukturen

In Urzeiten lebten Menschen in Sippen. Es bildeten sich Gruppen heraus, Dörfer und Stämme. In diesen gab es parallel sowohl hierarchische Strukturen als auch gemeinschaftliche. Der Einzelne hatte einen direkten Einfluss auf die Entscheidungen der Gruppe.

Dann entstanden „Reiche“ und Nationen. Aus der immer größer werdenden Gruppenstruktur erwuchsen autoritäre Systeme. Die Autoritäten gingen meist einher mit Religion, Kirche und Monarchen. Sie gaben ein Wertesystem vor, dem die breite Masse zu folgen hatte.

Als die westlichen Demokratien entstanden, wurde wieder ein Weg geschaffen, um die Bürger über Mehrheitsentscheide mitbestimmen zu lassen. Sie konnten über Demonstrationen oder Petitionen ihren Willen bekunden und das Recht des Einzelnen wurde über die Judikative geschützt.

Als Lehre aus den zwei Weltkriegen wurden übernationale Institutionen geschaffen. Die vereinten Nationen stellten erstmals so etwas wie ein Rechtssystem für Nationen gegenüber Nationen dar, wie es Immanuel Kant in seinem Werk „zum ewigen Frieden“3 gefordert hatte. Die Europäische Union sollte die ehemals verfeindeten Nationen Europas zu einer Volksgemeinschaft machen. Nato und Warschauer Pakt sollten Verteidigungsbündnisse gegen militärische Übergriffe bilden. Internationale Konzerne sollten in ihren Branchen neue Dimensionen an Effizienz und Produktqualität hervorbringen.

So wünschenswert das Streben nach größerer Gemeinschaft statt z. B. Nationalismus ist, so sehr entziehen diese Strukturen immer mehr den Zugriff der Bürger als Individuen und als Ganzes auf die Entscheidungsfindung. Die übergeordneten Strukturen werden oft nicht gewählt, sie unterliegen ihrer eigenen Machtstruktur ohne demokratischen Einfluss. Und auch da, wo gewählt wird, wird lediglich alle 4 Jahre eine Menschengruppe gewählt, die das Sagen hat. Einfluss der Bürger auf einzelne Themen wird immer schwieriger, selbst Massendemonstrationen oder Petitionen mit hunderttausenden Unterschriften bewirken im Regelfall nichts.

Darüber hinaus werden durch die ungenügenden Strukturen und Regeln der Vereinigungen die Konflikte immer größer, die EU droht zu zerfallen, die Nato ist in der Auflösung begriffen und die Vereinten Nationen werden von vielen Ländern nicht mehr mitgetragen, weil sie sich von der dort herrschenden Machtstruktur betrogen fühlen. Heute ist die UN kaum noch Friedensbringer oder ein gemeinschaftliches Rechtssystem, sondern eher ein System der Machtausübung privilegierter Nationen.

Wir wollen gemeinsame Werte und Nachhaltigkeit - aber nicht Unterdrückung, wollen Gemeinschaft - aber auch Freiheit. Wie bekommen wir das hin? Und wie können wir uns den weiteren Herausforderungen stellen?

 

Geschichtliche Entwicklung der Wertesysteme

In Urzeiten war das Überleben des Einzelnen von Gemeinschaften abhängig. Ohne gemeinsames solidarisches Handeln wäre ein Ernähren oder gar Wohlstand nicht möglich gewesen.

In den größeren Gesellschaftsstrukturen gaben die Autoritäten, Kirche und Monarchen, ein Wertesystem vor, dem die breite Masse zu folgen hatte.

In der Zeit der Aufklärung wurden die autoritären Wertesysteme in Frage gestellt, Religion wurde als Bewertungsgrundlage für Hadeln durch logische Moral ersetzt.

Da durch diesen Wandel die Religion der bisher vorherrschende höhere Sinn und der Weg der Transformation des egoistischen Wesens zu etwas „Höherem“ zurückgedrängt wurde, entstand ein Vakuum. Der neue höhere Sinn bestand darin, der Nation zu dienen. Dieser Wandel brachte aber nicht nur einen neuen Gemeinsinn, sondern auch Konflikte zwischen den Nationen hervor. Und es entstanden nationale autoritäre Strukturen.

Nach dem Krieg wurde die Autorität immer mehr infrage gestellt. Die „68er“ Bewegung führte in neue Überlegungen. Seit den siebziger Jahren, auch durch die Theorie von Maslow, herrscht nunmehr ein Individualismus vor.

Dieser Individualismus hat gute Früchte getragen, kommt jetzt aber an Grenzen, weil das Handeln der Individuen für den Einzelnen nicht übersehbar ist, im Großen aber erhebliche Zerstörung und falsche Entwicklungen hervorrufen kann.

Sowohl der Individualismus als auch internationale Konzerne bringen derzeit noch eine immer stärkere Ausbeutung von Erde, Natur und Mensch mit sich. Die „Globalisierungskrise“ ist also eine Krise sowohl immer größer werdender Strukturen als auch gleichzeitig des individuellen Handelns.

Dies ist keine notwendige Entwicklung, sie ist lediglich gewählt und gewohnt.

Wir sind am Scheideweg

Wollen wir als Menschheit überleben und eine positive Zukunft schaffen, müssen wir weg von dem exzessiven Verbrauch und der Zerstörung von Ressourcen. Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit, brauchen neue Kreisläufe statt Verbrauch, brauchen verstärkt ressourcenneutrale Energiequellen.

Wir brauchen intakte Gesellschaftsstrukturen, die ein Miteinander - auch der Nationen - hervorbringt.

Da hin scheint der Weg gelenkt zu werden

Die „Weltelite“, z. B. das Weltwirtschaftsforum, sieht die Lösung dieser Probleme offensichtlich in einer supranationalen autoritären Machtstruktur. Nachhaltigkeit soll also durch den Entzug von Freiheit des Individuums hergestellt werden. Der Gründer und Gastgeber des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, zeichnet ein entsprechendes Bild in seinem Leitwerk „Covid-19 - The Great Reset“.

Das führt jedoch in ein System ähnlich dem chinesischen Modell, wo jeder Bürger die vorgegebenen Verhaltensregeln einhalten muss. Dafür hat die chinesische Regierung bereits in einigen Bezirken Überwachungssysteme eingeführt und ein Bestrafungssystem, das von gesellschaftlicher Ächtung in Form von Bevorzugung oder Repressalien bis hin zum Grundrechtsentzug reicht.

Eine der Thesen aus dem Promotion Video des WEF “8 predictions for the world in 2030“4: “Sie werden nichts besitzen – und Sie werden sich darüber freuen” zeigt auch: Der Plan des WEF ist offensichtlich, private Vermögen zu eliminieren und durch ein Grundeinkommen zu ersetzen. Die gleichen Protagonisten, die in den letzten Jahren Kapitalismus und Neoliberalismus gepredigt haben, den Staat verteufelten und die zerstörerischen Entwicklungen erzwungen haben, wollen jetzt also eine Art Öko-Kommunismus etablieren, nur dass natürlich eine Elite nach wie vor unendlich viel Vermögen besitzt.

Da hin können wir

Ich denke, in der Menschheit herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass es nicht so weiter gehen kann wie in den letzten Jahrzehnten. Denn so würden wir die Welt zerstören, die ständige Zunahme der Weltbevölkerung würde zwangsweise zu Armut und Hunger führen, die Klimaveränderung wird wahrscheinlich Lebensräume und Artenvielfalt zerstören usw.

Die Frage aber ist, ob die Lösung in einer supranationalen Autorität und der weiteren Entmachtung des Individuums liegt oder liegen sollte.

Ich glaube nicht, dass eine Entwicklung zu Weltdiktaturen dem Ziel der Nachhaltigkeit dienen kann. Die sich dort etablierenden Machtstrukturen haben ihr eigenes Wertesystem, das langfristig sicher nicht Nachhaltigkeit sein wird. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass stattdessen die Welt noch weiter in die Zerstörung getrieben wird. Und das alles zum Preis des Verlustes der Mitbestimmung und der Freiheit des Großteils der Menschheit.

Vielmehr macht es Sinn, Strukturen zu schaffen, die auch in einem großen internationalen Beziehungsnetzwerk dafür sorgen, dass jede Stimme gehört und integriert wird. Die Werte der einzelnen Bürger würden niemals in Kriege oder Zerstörung führen. Niemals würde eine Volksabstimmung zu einer Kriegserklärung gegen eine andere Nation, der Unterdrückung von Menschen, Quälen von Tieren oder Zerstörung der Erde führen.

Wie also können wir Freiheit und Zukunftsfähigkeit erreichen? Durch eine werteorientierte Basisdemokratie. Schauen wir uns an, wie sie funktionieren kann.

2 Martin Gilens, Benjamin I. Page, „Testing Theories of American Politics: Elites, Interest Groups, and Average Citizens”, 2014, http://scholar.princeton.ed u/sites/de-fault/files/mgilens/files/gilens_and_page_2014_-testing_theories_of_american_politics.doc.pdf anschaulich auf S. 573

3 Immanuel Kant, „Zum ewigen Frieden – ein philosophischer Entwurf“, Erstdruck 1795

4 https://youtu.be/Hx3DhoLFO4s

Kapitel 2

Was führt zu demokratischen Entscheidungen? Was führt zu guten Entscheidungen?

Klarheit im Denken und Entscheiden

Zeit ist eine wichtige Währung in unserem Leben. Keiner von uns möchte Stunden und Tage in zähen Diskussionsprozessen verbringen, die dann in faulen Kompromissen enden. Wir wollen alle perfekte Lösungen und Entscheidungen, aber wenn wir ehrlich sind, können wir den Aufwand dafür nicht leisten. Für Menschen, die sich neben einem Vollzeit-Beruf politisch engagieren, ist Perfektionismus gepaart mit ungenügenden Lösungs- und Entscheidungsprozessen auf Dauer nicht durchzuhalten.

Jede Unklarheit führt zu unnötig langen Diskussionen, zu zähen Lösungs- und Entscheidungsprozessen und zu ungenügender Umsetzung. Lassen wir uns daher vorab strukturieren, aus welchen Schritten demokratische Entscheidungen bestehen.

Wir wollen jetzt eine grundlegend bessere Politik erschaffen. Das bedeutet auch, dass wir uns von einschränkenden und falschen Annahmen trennen müssen, mehr von der Wirklichkeit und von den Lösungsräumen erkennen müssen, wie wir das bisher getan haben. Daher müssen wir unsere bisherigen Erkenntnisprozesse verbessern.

 

Gesamter Prozess bis zur Entscheidung

Entscheiden

Wenn wir über demokratische Entscheidungen reden, dann meinen wir damit im Regelfall die Abstimmung über einen bestimmten Vorschlag. Wir können per Handzeichen oder durch Kreuze auf einem Zettel abstimmen. Am Ende steht dann in heutigen Wahlen ein Mehrheitsentscheid, der protokolliert wird.

Wenn wir Entscheidungen treffen wollen, sind jedoch vorher einige andere Schritte notwendig.

Abbildung 2 – Schritte zur Entscheidung

Entscheidungen finden

Eine basisdemokratische Entscheidung ohne vorherigen Austausch zum Verständnis und zum Äußern verschiedener Sichtweisen ist undenkbar. Die letzten beiden Stufen sind also immer notwendig.

Wir können auf dieser geringsten möglichen Basis, einem reinen Entscheidungsfindungsprozess (z. B. auf einem Parteitag), zu Entscheidungen über Personen oder Parteiprogrammpunkten kommen. Im Regelfall werden wir dadurch aber etwas beschließen, das eine schlechte Qualität hat.

Vorauswahl an Lösungen

Gibt es viele Themen zur Abstimmung, muss vor einer Abstimmungsversammlung eine Auswahl getroffen werden, welche Themen zur Abstimmung vorgebracht werden.

Gibt es viele Lösungsvorschläge zum gleichen Themenkreis, muss auch eine Vorauswahl an zur Abstimmung vorgelegten Lösungsvorschlägen erfolgen.

Diese Vorauswahl ist meist ein blinder Fleck in der Parteiendemokratie. Bei etablierten Parteien trifft diese Vorauswahl im Regelfall ein kleiner Kreis im Fraktionsvorsitz. Bei den Piraten hat es zwar das Liquid Democracy Online-Abstimmungswerkzeug gegeben. Es war aber sehr ungenügend ausgeführt und am Ende entschied dort auch die Versammlungsleitung, was auf dem Programm stand und was nicht. Dieser Schritt war intransparent und entzog sich der Basisdemokratie.

Letztlich ist die Vorauswahl nur sauber, wenn vorab online oder per Briefwahl darüber abgestimmt wird.

Lösungen finden

Bevor wir über etwas entscheiden können, brauchen wir eine Auswahl an möglichen Lösungen. Diese müssen erarbeitet werden. Da dieser Prozess lange dauern kann, muss er im Regelfall vor einer Abstimmungsversammlung stattfinden. Die Lösungen können nicht auf einem Parteitag oder im Rahmen einer Online-Abstimmung erarbeitet werden. Vielmehr muss vorab mindestens eine Arbeitsgruppe mindestens eine Lösung erarbeiten.

Am einfachsten und schnellsten ist es natürlich, sich an bereits Existierendem zu bedienen. Wir können gängige Vorschläge aus den Medien übernehmen oder passendes aus Programmen anderer Parteien. Wir leben jedoch in einer Zeit, wo nicht nur Wissen enorm gewachsen ist, sondern auch Desinformation. Es lohnt sich in vielen Gebieten, tief zu schürfen. Dann brauchen wir ein System, mit dem eine Lösung sauber beurteilt werden kann.

Am Ende des Lösungsfindungsprozesses werden u. U. viele Vorschläge innerhalb der Arbeitsgruppe entstanden sein. In diesem Fall muss bereits in dieser Arbeitsgruppe ein Entscheidungsprozess stattfinden, welche Lösungen der Partei zur Abstimmung vorgeschlagen werden.

Kriterien und Leitplanken für Lösungen

Es gibt immer Grenzen für Entscheidungen und Lösungen. Offensichtliche Grenzen sind z. B. staatliche Gesetze oder die Satzung der Partei.

Wenn aber über gesetzliche Grenzen und Abgrenzung von Radikalismus hinaus nichts weiter als Orientierung für eine Partei vorhanden ist, dann ist in jeder Diskussion alles in Frage gestellt: Werte, Ziele und Wege zum Ziel können beliebig ins Spiel gebracht und verworfen werden. An diesem Mangel ging der Schmelztiegel Piratenpartei im Wesentlichen zugrunde.

In der Arbeit für mein Buch habe ich mit zahlreichen Menschen Lösungen diskutiert. Dabei musste ich feststellen, dass es für jeden Lösungsansatz Argumente gibt. Und je nachdem wer entscheidet, erscheint das eine oder das andere richtig.

Elementar ist daher die Entwicklung von Kriterien, anhand derer wir beurteilen können, ob eine Lösung gut oder schlecht ist. Ich favorisiere dafür das von Immanuel Kant formulierte Prinzip „handle so, dass es eine allgemeine Regel sein könnte“ und eine Orientierung anhand von Werten, die in einer Abstimmung priorisiert werden. Dazu später mehr.

Informationen verbreiten

Um gute Entscheidungen zu treffen, müssen möglichst alle Beteiligten ein gutes Verständnis von dem Abstimmungsthema haben. Und hier liegt die größte Herausforderung.

In jeder Gruppe gibt es Menschen mit mehr oder weniger Know-how zu dem zu erarbeitenden Thema, zu dafür wichtigen anderen Themen, zu Methoden usw. Und es sind unterschiedliche Perspektiven vorhanden, die elementar für eine gesamtheitlich gute Lösung sind.

Für gute Lösungen ist es wichtig, dass möglichst Alle das relevante Wissen und die Perspektiven der anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe kennen und verstanden haben. Das bedeutet, es bedarf nicht nur Dialogen/Multilogen sondern Mitgliedern, die besonders viel Wissen gesammelt haben und dieses den Anderen vermitteln. Wir brauchen also eine Art Schulungssystem für Alle, die am Ende mitentscheiden werden.

Eine Wissensweitergabe anhand von Arbeitspapieren kann ausreichen, bei komplexen Themen ist aber eine Schulung oder ein Webinar mit aufbereiteten Informationen nötig.

Informationen gewinnen

Jedes Mitglied einer Arbeitsgruppe sollte so viel Wissen wie möglich zu seinem Themengebiet haben, erwerben und recherchieren.

Wichtig ist bei der Informationsgewinnung heute vor allem, die Quellen der Information sorgfältig zu prüfen und zu bewerten. Wir folgen seit der Aufklärungszeit den Prinzipien der Wissenschaftlichkeit. Das ist auch eine gute Idee für die Basis von Parteiprogramm und politischen Entscheidungen.

Doch es sollte uns bewusst sein, dass Wissenschaft heute nicht nur ein wenig, sondern überwiegend „gefärbte“ Ergebnisse liefert. Wo immer finanzielle Interessen oder gesellschaftlich beeinflussende Themen untersucht werden, kommt Lobbyismus und Darstellung ins Spiel. Wir aber müssen uns an Wahrheit, gesellschaftlichen Werten und Zweckmäßigkeit orientieren.

Daher müssen wir uns nicht nur von nominellen Fake-News abgrenzen, sondern auch von den überwältigend großen Desinformationspaketen, die wir teilweise sogar fälschlicherweise für Allgemeinwissen halten.

Es führt kein Weg daran vorbei, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und auf dieser Basis ein Vertrauensnetzwerk für Informationen aufzubauen.

Wichtige Grundlagen klaren Denkens

Viele beschäftigen sich mit künstlicher Intelligenz und wie sie Probleme der Menschheit lösen können, die Menschen bisher nicht gelöst haben. Aber die KI kann nur das, was Programmierer ihr ermöglichen, sie bewegt sich in vorgegebenen Rahmen. Ähnlich ist es auch beim menschlichen Geist. Er selbst ist recht unbegrenzt aber wir befinden uns meist in engen Denkrahmen und Filterblasen. Befreien wir also doch erst einmal den menschlichen Geist von seinem Korsett.

Trennen von Fakten und Interpretationen, sich Annahmen bewusst machen

Im Sinne von klarem Denken und Entscheiden sollten wir unbedingt Fakten von Interpretationen trennen.

Selbst in wissenschaftlichen Studien werden diese oft vermischt. Nehmen wir ein Beispiel: Gehirnforscher haben herausgefunden, dass sich die menschlichen Gehirnzellen und die von Mäusen so ähneln, dass selbst Experten sie nicht unterscheiden können. Das ist ein Fakt. Diesen Fakt können wir natürlich hinterfragen und nach den ungesehenen Unterschieden durchforsten.

Die Schlussfolgerung der Hirnforscher war, dass also die Intelligenz aus der Struktur der Gehirnzellen kommen muss. Das ist eine Interpretation. Diese kann richtig oder auch falsch sein. Hinter dieser Interpretation steckt eine Annahme, nämlich dass Geist aus Materie entsteht. Seit der Antike streiten Philosophen aber darüber, ob das stimmt oder ob Materie aus Geist entsteht. Diese Frage ist bis heute nicht entschieden. Und daher ist auch die Interpretation kein wissenschaftlich gesicherter Fakt. Selbst wenn aktuell die meisten Forscher von dieser Annahme ausgehen. Und es gibt selbst ohne diese Annahme noch viele andere Möglichkeiten innerhalb eines materiellen Weltbildes, wie Geist aus den Gehirnzellen entstehen könnte. Wir sind aber im Regelfall nicht in der Lage, alle zu erkennen.

Wichtig bei den Betrachtungen ist also auch, die Annahmen, die wir voraussetzen, bewusst zu machen. Denn erst dann kommen wir zu einer wirklich reflektierten Weltsicht, die auch zu guten Lösungen und Entscheidungen führt.

Verwenden von klar definierten Begriffen

Wir können stundenlang über ein Thema diskutieren und doch aneinander vorbeireden, wenn wir unterschiedliche Definitionen von dem Begriff haben, über den wir sprechen.

Ein banales Beispiel ist das Wort Feder – welches Bild entsteht in uns, wenn wir es hören? Eine Vogelfeder von einem Adler oder vielleicht einer Taube? Einer PKW Fahrwerksfeder? Einer Schreibfeder? Oder etwas ganz anderes?

Oder was verstehen wir unter linker Politik? Allmachtstaat? Staatskommunismus? Oder eher Solidarität, menschenfreundliche Gesinnung, Würdigung von Arbeit? Friedenspolitik?

Bevor wir ein Thema erarbeiten oder diskutieren, müssen wir uns alle darüber klar sein, was wir mit dem Begriff meinen, den wir benutzen wollen. Es kann sein, dass sich dabei herausstellt, dass die Wahl eines anderen Begriffs sinnvoll sein kann.

Machen wir uns Framing bewusst und verwenden wir hilfreiche Begriffe

Meine Erfahrung aus der systemischen Arbeit zeigt: Wenn wir keine Lösung finden, dann ist unser Rahmen für unser Denken und für die Lösungsräume die wir untersuchen falsch oder zu eng. Diese Rahmen („Frames“) existieren unbewusst und unbeabsichtigt, aber sie werden auch bewusst benutzt, um Denken zu lenken. Wir sollten uns davon befreien, soweit es geht.

Viele Begriffe sind von Haus aus mit Assoziationen verbunden, die eine Denkrichtung vorgeben oder in Konflikte führen.

Framingexperten verwenden gerne den Begriff „Tempolimit“ als Beispiel. Es besteht aus zwei Teilen. Tempo steht für Dynamik und wird auch mit Vorankommen assoziiert. Limit ist dann die Beschränkung, das Verbot. Der Begriff suggeriert also, dass wir ausgebremst werden sollen und dass unsere Freiheit beschränkt wird. Daraus ergibt sich automatisch ein Widerstand und eine konfliktvolle Diskussion. Wenn wir z. B. den Begriff „Lebensrettungsgeschwindigkeit“ verwenden würden, dann würde die Diskussion allein deshalb anders verlaufen.

Wenn wir ein Thema diskutieren oder lösen wollen, kann es sinnvoll sein, zunächst den Begriff so auszuwählen, dass eine Lösung auch möglich wird.

Wir sollten unsere konkreten Maßnahmen daher nie „links“ oder „rechts“ nennen. Überlegen wir besser, ob der gewählte Begriff, nicht sogar etwas impliziert, von dem wir eigentlich wegkommen wollen. Wir sollten also möglichst einen neutralen oder positiven Begriff wählen.

Ein weiteres Beispiel: „Geldgeber finden“ impliziert, dass jemand Geld geben soll. Vielleicht ist es aber wichtiger zu hinterfragen, warum die „Geldnehmer“ wenig haben und was die „Geldgeber“ befähigt, einen Überschuss zu erzielen, den sie geben könnten. Vielleicht liegt gerade in dieser Überlegung unsere Lösung. Vielleicht ist dann der Begriff „Geldverfügbarkeit neu gestalten“ besser. Er eröffnet ganz neue Lösungsräume.

These und Antithese – die Dialektik für klare Diskussionsstruktur

Die Dialektik bildet ein wichtiges Grundgerüst für Logik und Wissenschaft. Ihr Gedankengerüst wurde schon in der Antike angewendet, dann von dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel („Phänomenologie des Geistes“) neu interpretiert.

Wir stellen eine These auf. Dazu gibt es eine Antithese. Dann untersuchen wir diese, diskutieren darüber und kommen zu dem Schluss, dass These oder Antithese wahr ist. Eine These kann nach diesem Denken auch bewiesen werden, indem wir die Ungültigkeit der Antithese beweisen. Aus diesem dialektischen Erkenntnisprozess entsteht oft eine Synthese, die auf einer höheren Ebene wieder zu einer These und Antithese führt.

Ein bewusst ungenügend formuliertes Beispiel: These: Mindestlohn ist gut. Antithese: Mindestlohn ist nicht gut -> schlecht.

Wenn wir Sachverhalte untersuchen, können wir unser Denken und unsere Nachforschung systematisieren, indem wir Thesen klar formulieren und nach Beweisen und Widerlegungen für sie suchen.

Allein dieses Prinzip wird heute sehr oft nicht angewendet. Wir bekommen eine Information vorgesetzt und sollen sie glauben. Es fehlt oft das Bewusstsein dafür, dass jede Behauptung im Grunde nur eine These ist. Wir müssen sie fundieren, damit sie berechtigterweise eine Bedeutung hat.

An dem hier verwendeten Beispiel erkennen wir aber auch schon, dass allein die Formulierung der These vieles vorgibt. Beispielsweise ist nicht klar definiert, was „gut“ bedeutet. Nach welchen Kriterien ist Mindestlohn gut? Wenn er das Durchschnittseinkommen erhöht? Die Arbeitslosigkeit senkt? Die Konkurrenzfähigkeit nicht verschlechtert? Die Sozialkassen entlastet? Usw. Die so formulierte These wird zu weitläufigen und teils wirren Diskussionen führen. Wir sollten deshalb von vornherein klar und eindeutig formulieren.

Dialektische Fallen vermeiden

Dieses Denken in These und Antithese kann allerdings komplett abseits von Wahrheit stattfinden und es ist gefährlich, unsere Gedankenwelt danach zu gestalten. Das liegt daran, dass wir alle einen beschränkten Geist haben. Wir können zwar sehr gut eine These aufstellen, aber eine Antithese beschränkt sich auf unseren Wissenstand, unser Weltbild und unsere Filterblasen.

Nehmen wir wieder das Beispiel Mindestlohn. Die These könnte lauten: „Mindestlohn ist notwendig, damit arbeitende Menschen nicht Sozialhilfe beantragen müssen und er schadet nicht, weil er die Nachfrage in der Wirtschaft erhöht.“ Die Antithese könnte lauten: „Mindestlohn ist nicht notwendig und schadet der Wirtschaft.“ Die hier gewählten Formulierungen ermöglichen eine erheblich bessere Diskussionsqualität wie die im Vorkapitel. Aber die Diskussion wird sich nun genau auf die genannten Themen konzentrieren. Alle anderen Aspekte des Mindestlohns würden - wenn überhaupt - dann nur am Rande berührt.

Viel schlimmer aber ist, dass wir dadurch ein riesiges Feld an möglichen anderen Thesen gar nicht mehr wahrnehmen, die beim eigentlichen Anliegen, z. B. menschenwürdiges Leben, helfen würden. Wir erkennen die systemischen Gründe nicht mehr, warum es überhaupt einen Mindestlohn geben muss. In