Ägyptische Geschichten - Richard Voss - E-Book

Ägyptische Geschichten E-Book

Richard Voß

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Beschreibung

... Das von Assuan kommende Nilboot fuhr bei den Ruinen von Antinopolis auf eine Sandbank und mußte von den arabischen Schiffern flott gemacht werden. Da der Frühling bereits vorgerückt war, führte der Fluß wenig Wasser. Bei dem Staudamm am ersten Katarakt wurde mit diesem Lebenselixier Ägyptens Haus gehalten, als verschlösse ein Geizhals sein Gold. Erst, wenn die Nilflut noch tiefer sank, das Nilland noch mehr austrocknete, gab der Knauser dort oben von seinem Überfluß her. Er wurde dann freilich zum Verschwender, der seine feuchten Schätze krösusgleich austeilte, damit die überschwemmten Felder dreifache Frucht trügen ... Als das Schiff mit sanftem Ruck festsaß, versammelten sich die Passagiere auf dem zu einem offenen Salon eingerichteten Vorderdeck. Orientalische Teppiche bedeckten den Boden; ein buntes Zeltdach schützte vor Sonnenbrand, und ein Boskett hoher Blattpflanzen erinnerte angesichts der Goldgluten der Wüste an Gärten und frisches Grün. ...

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Ägyptische Geschichten

Ägyptische GeschichtenDer goldene TodWenn einer in die Wüste gehtDer Rächer von PhiläDas LiebesnestDer ritterliche Sir JohnDas GroßeDie weiße StadtDie Königin MakereEin TotschlägerDrei Frauengestalten des HerodotDie Sperre der RhodopisDie Memnonssäule klingt nicht mehrImpressum

Ägyptische Geschichten

Richard Voss

Der goldene Tod

1

Langsam, langsam bewegte sich die Karawane durch die nubische Wüste auf der östlichen Seite des Nilstroms.

Bereits seit vielen Tagemärschen befand sie sich unterwegs in der ungeheuren Einförmigkeit des nur von weißschimmernden Alabasterbrüchen und purpurfarbenen Granitfelsen unterbrochenen gelben Ozeans von Geröll und Sand, der nach dem Roten Meere zu steile Höhenzüge bräunlicher Klippen mit seinem erstarrten Wogenschlage umbrandete.

Ein Ozean war's ohne einen Tropfen jenes feuchten Elements, welches so menschenfeindlich sein kann. Es hätte eines Glaubens bedurft, der Berge versetzt, um dem ewig trockenen Gestein dieses Landes einen Wasserstrahl zu entlocken; und kein dürres, von fahlem Staub dicht umhülltes Wüstenkraut wurde unter diesem regenlosen, in Sonnenflammen lodernden Himmel jemals von Tau genetzt.

Himmel und Erde waren Glanz und Glut, waren beständig Glanz und Glut. Es schien unmöglich, daß in dieser strahlenden, blendenden Helle ein Gewölk aufstieg; unmöglich, daß auf das grelle Licht ein barmherziger Schatten herabsank.

Immer und immer war es das gleiche glanzvolle Bild. Es mußte denn sein, daß der Wüstenwind diese leuchtende Welt in eine Gespensterwelt umwandelte. Dann verbreitete sie Schrecken, erweckte Grauen, konnte Verderben und Tod bringen.

Seit Tagen hatte die kleine Schar der Wüstenwanderer kein atmendes Wesen erblickt. Nicht einmal Schakale ließen auf der schimmernden Fläche ihre Fährten zurück. Nur die schmalen Spuren der Wüstenschlangen zogen sich wie ein feines Ornament weit hin über die regungslose Sandflut, die des Samum harrte, um in allen ihren Tiefen aufgewühlt zu werden, in rasenden Wirbeln emporzusprühen und mit ihrem gelbroten Gischt die Sonne zu verdunkeln.

Die Karawane bestand aus vierundzwanzig Kamelen und zwölf Reisenden. Beduinen vom Stamme der Bega begleiteten sie, und alle bis auf einen Einzigen hatten die Erscheinung von Männern, die es wagen durften, auf den Schiffen der Wüste dem schrecklichen Sandmeer zu trotzen; im schlechten Nachen eine stürmische See zu befahren, wäre unter Umständen ein weniger gefährliches Unternehmen gewesen.

Nur jener eine war anders geartet, ein blutjunger bildhübscher Mensch, von schmächtiger, fast zarter Gestalt, mit feinen, nahezu weiblichen Gesichtszügen. Doch um den Mund und in dem Blick des Jünglings lag der Ausdruck einer Härte, die etwas Unerbittliches, etwas Erbarmungsloses hatte.

Der junge Mensch war Sizilianer und hieß Giordano Palatino, das einzige Kind sehr armer Leute, die ihren Sohn in seinem zehnten Jahre an die Schwefelminen verkauften. In diesen unterirdischen Gruben nahmen die jungen Züge jenen Ausdruck um Mund und im Blick an.

Giordano war der Zögling und Freund des Führers der Kolonne, der zugleich der Unternehmer der Expedition war. Dieser Unternehmer war ein nicht gewöhnlicher Mann: Gelehrter, Grübler, Idealist, zugleich auch Phantast. Von Geburt Franzose, dessen Namen, Gaston Latour, in der wissenschaftlichen Welt guten Klang hatte, sah er in dieser Expedition nach einer seit Jahrtausenden verschütteten und verschollenen Goldmine sein Lebenswerk.

Doch geschah sein Wüstenzug nicht um des Goldes willen, welches für ihn keinen andern Wert besaß, als den, die Goldquellen für die Menschheit wieder fließen zu machen; keinen andern, als den ideellen Wert des Forschers. Freilich bedurfte es sehr realer Mittel, diesen Zweck zu erreichen; denn alle, die ihn auf der gefahrvollen Reise begleiteten, schlossen sich ihm lediglich um des Goldes willen an.

Am leidenschaftlichsten brach diese Liebe zum Gold bei dem jungen Menschen aus, der sie allerdings nach Möglichkeit zu verbergen suchte. Er war dem Gelehrten teuer wie ein Sohn. Gelegentlich eines Besuches von Siziliens berüchtigten Schwefelminen hatte er den zarten Knaben in seinem ganzen Elend gesehen und von seinem Eigentümer losgekauft. Er erzog ihn, bildete ihn, liebte ihn. Aber von dem lauteren Geiste des ernsthaften Mannes fiel nicht ein Schimmer in die Seele des Knaben. Sie war vergiftet von dem Jammer des Lebens, dem Haß gegen alle Gesättigten, der Gier nach des Daseins höchstem Gut, welches für diesen aus seinen Bahnen gerissenen jungen Geist in Besitz und Reichtum bestand.

Die Regierung hatte über den phantastischen Goldsucher die Achseln gezuckt, ihm jede Hilfe versagt, ihm jedoch kein Hindernis in den Weg gelegt. Mit einem beträchtlichen Teil seines Vermögens rüstete der sonderbare Schwärmer die Expedition aus: mit Kamelen und Beduinen; Zelten, Lebensmitteln, Werkzeugen. Vor allem aber bedurfte es eines großen Vorrats an Wasser, diesem Lebenselixir in der Wüste. Auch die Beduinen fanden sich nur bereit, mit dem Gelehrten in jene selbst ihnen unbekannten Wüstengegenden vorzudringen, wenn sie von dem zu entdeckenden Golde einen gewissen Anteil erhielten. Dieser wurde ihnen zugesichert. Gaston Latour erschrak, als er die Gewalt erkennen mußte, die in dem bloßen Gedanken an den verschollenen Schatz lag; und so zogen denn die zwölf Europäer von Assuan aus, nicht von einem Sohn der Wüste, sondern von einem Kulturmenschen geleitet.

2

Selbst die Söhne der Wüste unterwarfen sich jedoch der Führung des fremden Mannes mit dem tiefernsten Gesicht und dem entschlossenen klaren Wesen, daraus ein mächtiger Wille sprach: Du wirst dein Ziel erreichen. Erreichen mußt du es! Es ist ein Kampf, den du mit der Wüste, dieser unerbittlichen Feindin der Menschheit und aller Kultur, bestehst. Aber bestehen wirst du ihn; denn du wirst auffinden, wirst entdecken, wirst der Welt ihr köstliches Gut geben – leider ihr kostbarstes Gut!

Gaston Latour bestimmte Richtung und Weg, als sei er in dieser wilden Region aufgewachsen. In seinem Glauben an die Erreichung seines Ziels lag etwas nahezu Mystisches. Es beherrschte den Mann mit solcher Macht, daß er mittels derselben den Geist der Beduinen beherrschte. Nur über eine Seele besaß er keine Gewalt, und das war die jenes Jünglings, dem er von seiner eigenen großgearteten Seele geben wollte. Aber er ahnte nicht einmal, daß der von ihm Gerettete und Geliebte sich ihm entzog, und daß dessen wahres Wesen ihm vollkommen fremd geblieben.

Der für seine Aufgabe bis zum Fanatismus entflammte Forscher dachte an alles, sorgte für alles. Er bestimmte den abendlichen Rastplatz und den Aufbruch eines jeden frühen Morgens, verteilte persönlich die Lebensmittel und überwachte besonders das Ausschenken des kostbaren Wassers, welches in großen festen Blechkasten mitgeführt ward. Es war natürlich kein Gedanke daran, daß der Vorrat ausreichen könnte. Man würde nach Wasser graben, würde hoffen müssen, in einer gewissen Tiefe auf diesen Erhalter des Lebens zu stoßen; ward doch die Wüste bis tief hinein von den Wassern des Nilstroms sowohl, wie von denen des höher gelegenen Roten Meeres durchsickert und auf seinem weiten Weg durch die Sandmengen tausendfältig filtriert.

Und so zogen sie denn über Gestein und Geröll, über die roten brennenden Sandströme unter dem wolkenlosen, in erbarmungsloser Bläue leuchtenden Himmel, tiefer und tiefer hinein in die leblose Unendlichkeit, dieser furchtbaren Tragödie der Schöpfung. Seit Tagen waren sie nicht mehr nomadisierenden Beduinen begegnet. Die Welt schien entvölkert, schien ausgestorben zu sein und nur noch sie von allen Wesen übriggeblieben: vom Tode vergessen.

Alsdann war es fast schaurig, wenn die Einsamen inmitten der Wildnis plötzlich auf Zeugen menschlichen Daseins stießen, eines menschlichen Daseins, das hier vor länger als vier Jahrtausenden seine gewaltigen Spuren einer staunenden Nachwelt zurückgelassen hatte, von dieser seit Jahrtausenden nicht gesehen. Vielleicht war die kleine Schar die ersten, die sie überhaupt wieder erblickten.

Es waren Hieroglyphen, in Granitblöcke eingegraben, gigantischen Wahrzeichen gleich über den Sandwehen und Geröllhügeln sich erhebend.

Der Führer konnte die geheimnisvollen Zeichen entziffern, als lese er sie von den Steinwänden ab wie aus einem aufgeschlagenen Buche. Er deutete die Schrift den Seinen. Aber das, was er daraus zu finden hoffte: einen Wegweiser nach jener leidenschaftlich gesuchten Stätte, enthielt sie nicht. Trotzdem ward er in seinem Glauben an die Erreichung seines Zieles, an die Erfüllung seiner Mission nicht für einen Augenblick wankend. Auch die andern behielten ihren Glauben an ihn, so machtvoll wirkte sein Wille selbst auf diese Gemüter.

Denn es waren Naturen, die keinen Glauben besaßen: nicht an Menschliches und nicht an Göttliches. Aber Gaston Latour hatte ein Wort ausgesprochen, welches wie ein Zauber wirkte:

»Gold!«

Hätte er statt diesem gesagt: Wasser des Lebens, oder Allheilmittel, oder Quell jeden Glücks, oder Erlösung von allen Übeln, oder Unsterblichkeit, Seligkeit, ewiges Beisammensein mit Gott – alle diese Ausdrücke für unsre höchsten Begriffe hätten kaum eine Wirkung gehabt im Vergleich zu dem kleinen Wort:

»Gold–Gold–Gold!«

Die Sprache des Menschen besitzt kein zweites Wort, jenem einen an Macht gleich. Nicht Könige und Kaiser sind Herrscher über die Völker; nicht Kunst und Wissenschaft die köstlichsten Errungenschaften der Menschheit; nicht Liebe und Leidenschaft, Freundschaft, Aufopferung und Güte ihre menschlichsten Empfindungen, sondern der Hunger nach Gold, die Gier nach Gold. Hätte Gott, der Herr des Himmels und der Erde, den Menschen ein goldenes Paradies verheißen, so würde die Welt die beste aller Welten sein; und hätte der sterbende Gottessohn vom Kreuze herab gesprochen: »Nicht mein Leidenstod wird euch von dem Übel erlösen, sondern ich werde nach meiner Auferstehung den Himmel öffnen und auf euch Gold niederströmen lassen« – so hätte die Menschheit von allem Übel sich erlöst gefühlt.

Mit solchen nach Gold Hungernden zog der Gelehrte aus, um in der nubischen Wüste das verlorene Paradies des Goldes zu suchen.

Und derjenige, der von allen am gierigsten verlangte, das goldene Kalb anzubeten, war der zarte Knabe mit den weichen Zügen und dem grausamen Blick, an dessen Seele Gaston Latour glaubte wie an die göttliche Güte auf Erden.

3

Er wurde der Liebling der Leute, in deren Gemütern für weiche Gefühle wahrlich kein Platz war, die nur den einen und einzigen Gedanken hatten:

Wann wirst du angelangt sein? Und wenn du angelangt bist –

Aber der Jüngling, der immer noch etwas Knabenhaftes hatte, eroberte sich die nach dem märchenhaften Gold mit wahrer Wut verlangenden Herzen von Tag zu Tag mehr. Selbst die Beduinen bezeigten ihm eine Sorgfalt, als wäre er ein ihnen anvertrautes Kind, darüber sie wachen müßten. Dabei war er von allen der Zäheste, der am meisten Widerstandsfähige. Er schien keine Ermüdung zu kennen, keinen Hunger zu spüren, keinen Durst. Wenn an den Raststellen die Leute beim Austeilen des Wassers sich drängten, als gälte es bereits jetzt aus dem Goldquell zu schlürfen, so stand er beiseite, mit einem Ausdruck von Verachtung in seinen stahlblauen, stahlharten Augen.

Aber wenn man in dem nächtlichen Lager für den Jüngsten und scheinbar Zartesten den besten Platz suchte, überhaupt Sorge um ihn zeigte, so konnte er in ein helles Lachen ausbrechen. Es war das Lachen eines übermütigen Knaben und paßte zu seinem Blick so wenig, daß es von einem ganz andern Menschen herzurühren schien. In dem Grabesschweigen der Wüste hatte der Klang etwas von dem Gesang einer Lerche. Wenigstens wirkte es so frühlingsfroh auf alle, die ihn hörten und die mehr und mehr ein ungestümes Verlangen nach fröhlichen Lauten empfanden; denn in diesem Gebiete des Todes schienen auch alle Töne erstorben.

Vernahm der Gelehrte jenes junge Lachen, so glitt es über sein ernsthaftes Gesicht wie ein Schein und er lauschte noch darauf, wenn der helle Ton bereits verklungen war. Wer den Mann in solchen Augenblicken beobachtete, hätte begriffen, daß des Jünglings Lachen für den Forscher, der ein tief einsamer Mensch war, eine Stimme der Hoffnung und des Glücks, eine Stimme des Lebens selber bedeutete ...

Giordano trieb sein Kamel dem Tier seines väterlichen Freundes zur Seite und sagte mit unterdrückter Stimme: »Heute ist es bereits der zwölfte Tag. Die Leute beginnen mißmutig, beginnen mißtrauisch zu werden. Die Kamele sind erschöpft und bald werden wir kein Wasser mehr haben. Du aber bleibst ruhig und sicher. Wenigstens scheinst du es zu sein.«

»Ich bin es.«

»Wann werden wir anlangen?«

»Vielleicht schon morgen.«

»Vielleicht ... Was geschieht, wenn wir niemals anlangen sollten?«

»Wir werden anlangen.«

»Sage mir, was dann geschehen wird?«

»Dann –«

Giordano raunte ihm zu: »Ich will in diesem fürchterlichen Lande nicht umkommen; ich will leben – leben – leben! Mein Leben genießen will ich. Jetzt, wo es eben erst beginnen soll.«

»Jetzt erst?«

Die Frage klang wie ein leiser, sehr leiser Vorwurf. Der junge Mann beachtete ihn nicht, verstand ihn gar nicht; denn er erwiderte mit mühsam unterdrückter Leidenschaft: »Freilich erst jetzt! Erst jetzt, wo du Reichtümer haben wirst. Denn es wäre von dir zu töricht, zu unsinnig, zu – ideal, wenn du dich jetzt nicht reich machen würdest, sollten wir wirklich anlangen, wirklich finden. Du besitzest dazu alles Recht. Mehr als das. Es ist deine Pflicht, von dem Golde für dich den größten Anteil zu nehmen. Niemand würde ihn dir streitig machen. Selbst diese Hyänen des Goldes nicht.«

»Meine Pflicht? ... Du weißt, was für mich das Gold bedeutet.«

»Trotzdem mußt du nehmen. Wenn nicht um deinetwillen, so doch um meinetwillen.«

»Deinetwillen ...«

»Denn ich will leben – leben – leben!Jetzt erstwill ich leben! Du weißt, was mein Leben bisher gewesen ist: Hunger und Not. Jawohl, auch Hunger. Damit ich für die engen Stollen der Schwefelminen möglichst klein und schmächtig bleiben sollte, ließen meine Eltern mich hungern. Ich hasse meine Eltern; ich fluche meinen Eltern. Ich hasse alle, die mich als Kind quälten. Und sie marterten mich. Ich hasse die Menschen überhaupt.«

»Und mich?«

»Ach, und dich. Du weißt ja doch ... Wozu denn reden? Aber wir müssen bald anlangen, bald finden; sonst –«

Er brach ab.

»Sonst wirst du auch mich hassen?«

Und der Gelehrte lächelte bei der Vorstellung, der liebe Knabe könnte ihn hassen. Um seinetwillen wollte er von dem Golde nehmen, möglichst viel. Lediglich um seinetwillen. Denn er sollte »leben – leben – leben!«

4

Und sie zogen weiter und weiter durch den häufig berghohen Wogenschlag des nubischen Sandmeers, in dessen Abgründe die Verschmachtenden sich nicht hinabstürzen konnten, um ihre Qualen zu enden. Die Schiffbrüchigen der flutenden Meere hatten es unvergleichlich besser, denn sie fanden in den empörten Gewässern einen barmherzigen Tod. Den Wüstenschiffer mußte es köstlich, mußte es beneidenswert dünken, in einem Meer zu scheitern.

Wenn sie Stunden und Stunden durch die roten Wellenberge gezogen waren – durch Stunden und Stunden aus einem Äther von unirdischem Glanz die grausame Himmelskönigin auf die Wanderer niederflammte, so machten sie, wenn die verzehrende Glut endlich im Westen, dem Totenreiche der alten Ägypter, in Purpur versank, zu Tode ermattet Halt. Sie entluden ihre lebendigen Schiffe und schlugen die Zelte auf, die plötzlich wie weiße wundersame Blumen auf glühend rotem Grunde erblühten. Denn beim Sonnenuntergang wurde die ganze wilde Welt von düsterer Lohe überflutet, in die Farbe der Könige eingehüllt. Dann gab es auf Erden nichts, was der Majestät der Wüste gleich kam ...

Eines besonders anstrengenden Marschtages, an dem die Sonne in weißer Glut von einem mit fahlem Dunst bedeckten Himmel niederbrannte, gelangte der Zug der Goldsucher zu einem jener bereits aus der Ferne sichtbaren Felsblöcke Rosengranits. Der hohe und schlanke, nach oben sich zuspitzende Stein erhob sich gleich einem natürlichen Obelisken, recht wie ein Wegweiser inmitten des Sandmeers. Der junge Sizilianer machte plötzlich die Wahrnehmung, daß auf dem wie aus Erz gegossenen Gesicht des Gelehrten ein zuvor nie gesehener eigentümlicher Ausdruck lag, und er wußte sofort:

Dieser Felsblock bedeutet ein von deinem Freunde durch seine Forschungen gekanntes und längst erwartetes Wahrzeichen. Jetzt wird eine Entscheidung erfolgen: jetzt werden wir anlangen, werden wir das Unerreichbare erreichen.

Die Leute ritten mit möglichster Eile auf das hochragende Merkmal zu. Der Führer allein blieb zurück, folgte langsam, als müßte er Zeit gewinnen, eine mächtige Erregung niederzukämpfen; die Karawane sollte ihn nicht anders, als bis zur Unbeweglichkeit gelassen sehen.

In dem rosigen Gestein befand sich als Flachrelief die überlebensgroße und überschlanke Gestalt eines Pharao aus ältester Zeit. Das scharfe Profil des Gesichts trug die zu einem Typus erstarrten Züge: auffällig breite Wange; am Kinn ein gleichsam angeklebter stilisierter Knebelbart, absonderlich lang und dünn; ein mandelförmiges Auge unter einer wie künstlich gezogenen feinen Braue und wulstige Lippen. Die schmale Brust war von vorn geschaut, die steifen Gliedmaßen hingegen zeigten die Haltung des Hauptes, welches die doppelte Krone trug. Nur ein Schurz mit starrem Faltenwurf bekleidete die Majestät des untern und obern Nillandes.

Neben der Königsfigur, auf langer, schmaler, in den Fels gemeißelter Tafel, eine Inschrift ...

Sie umdrängten das Königsmonument, starrten Bildnis und Inschrift an, ahnten eine große Bedeutung, riefen dem Führer heftig und heftiger zu, er sollte lesen, sollte ihnen sagen –

Der Gelehrte hatte seine Fassung wiedergewonnen. Er stand vor dem Denkmal, in seinem Blick ein sieghaftes Leuchten. Aber kein Zittern seiner Stimme verriet, daß er soeben eine der mächtigsten Erregungen seines Lebens gehabt hatte, daß seines Lebens große Stunde gekommen war.

»So lies doch! So sprich doch!«

Des jungen Mannes Stimme bebte. Er war sehr bleich.

Und Gaston Latour las:

»Unter König Menes, dem großen Herrscher, dem hehren und herrlichen Vereiniger beider Reiche, dem geliebten Sohne des Ammon, dem guten Gott, wurde im siebenten Jahre der Regierung Seiner Majestät die große Goldmine in der Wüste von Kusch entdeckt, und ihre leuchtenden Schätze wurden dem Göttlichen zu Füßen gelegt. Erhaben ist die weiße Krone des Menes im Süden; erhaben ist die rote Krone des Menes im Norden.«

Zunächst herrschte ein schweres Schweigen. Diesem folgte ein Wirrwarr, ein Getümmel wie Aufruhr. Mit wilden Gebärden, wüstem Geschrei umringten sie den Fels, streckten beide Arme aus, als trüge der gewaltige Stein ein Gottesbild: das goldene Kalb in der Wüste.

Und sie beteten an!

Wiederum durchzuckte die Seele des Mannes der Wissenschaft ein Gefühl wie ein großer Schrecken: ›Was hast du getan? Du willst ja doch das Gute und du scheinst das Böse zu vollbringen. Heil hoffst du zu bringen! Denn aus dem Golde könnte das Heil entstehen; und Unheil beschwörst du in diesen Seelen herauf. Washastdu getan?‹

Unwillkürlich schaute er auf den Jüngling, der ihm lieb war. Dieser stand regungslos, totenbleichen Gesichts mit einem Blick, als hätte er eine Vision.

So war es auch. Giordanos Geist war entrückt. Er sah sich selbst, als sei er hüllenlos, gebadet in flüssigem flutendem Glanz. Und all der Schimmer, der seinen Leib umwogte, war Gold – Gold – Gold. Er stürzte sich in die leuchtende Flut, ließ sie über sich zusammenschlagen, trank das funkelnde Element, gleich goldigem Wein. Er trank und trank. Trank gierig, unersättlich. Er berauschte sich, wurde wie sinnlos in seliger Trunkenheit, als hätte ein Gott ihn erfüllt.

»Giordano!«

Es war sein Freund, der ihn anrief, laut, angstvoll, der andern nicht achtend, für die der Gelehrte plötzlich etwas empfand, schlimmer als Verachtung. Ekel war's.

Der Angerufene schien aus einem Traum zu erwachen. Mit einem jener Blicke, der so hart sein konnte wie der Granit, welcher das vieltausendjährige Zeugnis der Wahrheit der goldenen Phantasie seines Freundes auf sich trug, fragte er diesen: »Was ist? Weshalb rufst du mich an?«

»Du erschrecktest mich.«

»Wodurch?«

»Es schien dich zu übermannen.«

»Was?«

»Das Gold.«

»Noch besitzen wir es nicht.«

»Wir werden es besitzen.«

»Nun ja.«

»Sieh zu, dich davon nicht verderben zu lassen.«

»Wie meinst du das?«

»Daß du in dem Gold eine Gottheit siehst. Ich würde dieser Stunde fluchen müssen.«

Giordano sprach dem Mahner nach: »Eine Gottheit ...«

Und nach einer Weile: »Eine Gottheit ist es! Eine Gottheit war es von Ewigkeit an, wird es bis in alle Ewigkeit sein: die einzig wahre, göttliche; die einzig seligmachende. Wenn alle Götter vergehen und verwehen, wird diesereinegoldene Gott noch bestehen, der in keinem Himmel thront, sondern auf Erden. Was klagst du mich also an, daß ich die Allmacht erkannt habe, du Mann der Erkenntnis?«

Dieser wandte sich schweigend ab ...

Als wäre der Granitblock jener Fels gewesen, daraus der gewaltigste aller Wanderer der Wüste mit seinem Stab für seine verschmachtenden Völkerschaften den Wasserstrahl geschlagen hatte, so, mit neubelebter Kraft zog die Karawane weiter, ihrem Führer folgend wie eine siegreiche Armee ihrem ruhmreichen Feldherrn. Aber auf Gaston Latours sonst so unbeweglichem Gesicht lag ein Ausdruck, der nichts von dem Gefühl eines Triumphators verriet.

Auch er hatte in der Stunde, die er bei sich selbst die »große Stunde« seines Lebens genannt, eine Erkenntnis empfangen. Es war jedoch nicht die Offenbarung einer Gottheit gewesen.

Am nächsten Tage, nachdem die Steine der Wüste zu den Goldsuchern – den Gottsuchern – gesprochen hatten, langten sie an.

5

Ein Alabasterberg türmte sich über der Stelle empor, wo das Eingeweide der Wüste das göttliche Metall enthielt. Inmitten des zu Hügeln aufgehäuften rötlichen Staubes ragte ein wie durch Zauber versteinertes Meer gelblichen Glanzes. Wo der Wüstensturm eine Klippe zertrümmert, einen Zacken herabgerissen hatte, brach das schneeige Weiß des Alabasterbruches leuchtend hervor. Von der Sonne Afrikas durchglüht, war es ein Glänzen und Gleißen, das etwas Unirdisches hatte.

Es ging steil hinan. Die strahlenden Wogen schlugen über den kühnen Goldsuchern zusammen; die Wüste rings umher war verschwunden und sie sahen nichts, als über sich das Himmelsgewölbe von der Farbe des Lapislazuli und den hohen Wellenschlag des funkelnden Kristalls, an dessen Kanten und Schliffen die Sonnenstrahlen sich brachen. Es schien der Diamantberg eines Märchens zu sein.

Aber die Wunder nahmen kein Ende ... Dreitausendvierhundert Jahre vor Christus hatte König Menes über Ägypten regiert – vor dreitausendvierhundert Jahren ward die Goldmine im »Lande Kusch« entdeckt und ausgebeutet. Gleich darauf verschwand sie aus der Geschichte Ägyptens und dem Gedächtnis der Völker, als sei sie niemals darin gewesen; und noch nach nahezu sechs Jahrtausenden konnte erkannt werden:

Diese Stätte betraten einst Menschen! Hier verweilten einstmals Wesen einer uralten Kultur, in diesem Gebiete des Grauens einer Todeswelt.

Gaston Latour ließ das Lager in einer Niederung aufschlagen. Turmhoch häuften sich um die gleißenden Klippen die roten Sandmassen, ein Werk vieltausendjähriger Stürme, als wollte die Natur selbst dem Wagemutigen, der wiederkehren würde, den Eingang zu den verschollenen Schätzen verwehren. Aber an manchen Stellen entragten dem losen Geröll gewaltige Blöcke mit Spuren von Bohrungen und Sprengungen, wie solche nur jenes Geschlecht kannte. Alsowarensie angelangt!

Das hauptsächlichste, was zunächst geschehen mußte, war – nicht die Pforte zu dem unterirdischen Tempel des goldenen Gottes zu finden und zu öffnen, sondern nach Grundwasser zu suchen. Es mußte damals dagewesen – würde daher auch jetzt da sein. Aber, obgleich sie nur noch für wenige Tage einen spärlichen Wasservorrat besaßen, war bei den Leuten der Durst nach dem Golde ein so ungeheurer, daß der Gelehrte nur einen kleinen Teil der Männer veranlassen konnte, unter seiner Leitung nach Wasser zu graben. Er nahm selbst die Schaufel zur Hand, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Die meisten wühlten sich führerlos wie Maulwürfe in die mit dem heiligen Gold gefüllte Tiefe ein. Der Jüngling mit dem hellen, knabenhaften Lachen gehörte zu diesen. Seit der Stunde, in der er seinem Freunde, der sein Retter und Wohltäter war, das Bekenntnis seines Gottesglaubens abgelegt hatte, war aus dem Antlitz des Forschers jener eigentümlich ernste Ausdruck nicht wieder verschwunden. Aber seine Liebe zu dem armen Knaben schien noch zartfühlender, noch väterlicher geworden zu sein ...

Die Expedition hatte Glück. Sehr bald stießen die Wassergräber auf einen alten Schacht. Felsblöcke, die ein Erdbeben darüber gewälzt haben mochte, hatten den Brunnen vor dem Versickern geschützt, ein Zufall, der einem Wunder glich. Als die Blöcke gehoben und entfernt waren, zeigte sich eine runde tiefe Höhlung, von der erstaunlichen Kunst jener Zeiten ummauert, wie ihre Tempel und Gräber ein Ewigkeitswerk. Gaston Latour ließ sich, an ein Seil gebunden, in den Abgrund hinuntergleiten.

Nach einer langen bangen Weile vernahmen die hoch oben am Rande Harrenden den Ruf:

»Wasser!«

Wie erstickter Jubel drang es aus der schwarzen Tiefe zu dem Glanz des Tages empor.

»Gold!«

Auch die andern hatten gefunden; auch sie riefen das göttliche Wort. Nicht doch! Sie schrieen, heulten es.

Ihre wilden Stimmen durchgellten das große Schweigen der Wüste, als sollten davon die Felsen erschüttert und zersplittert werden, als sollte das Geschrei über die unabsehbare Öde schallen und hallen mit Donnerklang in die Unendlichkeit hinaus.

Und immer wieder und wieder: »Gold–Gold–Gold!«

In breiten Adern durchzog den weißlichen Quarz das gelbe geliebte Metall. So offen lagen die Quellen aller Wonnen und Herrlichkeiten des Lebens vor den Blicken der Goldfinder, daß diese den Glanz nur strömen zu lassen brauchten.

Die dort oben waren in der Tiefe auf Wasser gestoßen ... Nun ja! Man würde auch des Wassers bedürfen ... Bedurfte man dessen wirklich? ... Wenn man den in das Wüstengestein gebannten Goldstrom sah – ihn beständig vor Augen sah! – so konnte es weder Hunger noch Durst geben, außer dem Hunger und dem Durst nach Gold. Es war freilich ein Hunger, nicht zu stillen, ein Durst, niemals zu löschen. Aber an diesem ewigen Hunger und Durst litt die ganze Menschheit.

Für den Rausch, der die Geister bei dem bloßen Anblick des Goldes erfaßte, gab es keine Ernüchterung: es gab kein dionysisches Laub, mit dem sie sich hätten schützend die Stirne kränzen können. Also überließen sie sich mit allen Sinnen dem Taumel.

Keine Wollust der Welt kam der Vorstellung gleich, wie es sein würde, wenn sie Mengen des köstlichen Erzes herausgeschlagen hätten. Sie wollten ihre Kamele mit Lasten beladen, daß die starken Tiere darunter fast zusammenbrachen; wollten damit sich selber beladen. Ihre Kräfte würden wunderbar wachsen und sie würden Übermenschen gleich sein. Denn wenn irgend eine mystische Macht dem Sterblichen unerhörte Stärke verlieh, so war es das Gold. Sie würden davon mit sich fortschleppen können, daß es einem Mirakel gleich kam.

Gold würden sie mit sich fortschleppen durch die nubische Wüste, durch alle ihre Schrecken, durch Sonnenbrand und Sandstürme, durch Verderben und drohenden Tod tagelang, wochenlang. Sie waren gegen Verderben und Tod gefeit. Geweihte waren sie! Führten sie doch einen Talisman mit sich ...

Während sie durch die roten Sandmassen sich Bahn brachen, waren sie auf fahle Knochenreste gestoßen.

Es war menschliches Gebein.

Sie hatten es achtlos beiseite geworfen, hatten weiter und weiter gegraben, tiefer und tiefer sich eingewühlt.

Was scherten sie Menschen, die an dieser Stätte vor tausend und abertausend Jahren gestorben, irgendwie umgekommen waren? Sie alle wollten »leben, leben, leben!« – wie der von Lebenssehnsucht durchglühte Jüngling es wollte.

Er hatte den Schädel eines vor nahezu sechstausend Jahren Gestorbenen aufgehoben und dem grinsenden Haupte des Unbekannten eine lustige Rede gehalten:

»Es lebe das Leben!«

6

Sofort begannen sie, die Mine auszubeuten. Im Schweiße ihres Angesichts gruben, hackten, schaufelten sie in den engen Stollen, darin eine erstickende Luft herrschte. Die Sklavenvölker der Pharaonen konnten unter den Peitschen ihrer Aufseher nicht knechtischer geschafft haben. Aber die höchste Anstrengung erschien ihnen als höchste Lust.

Sie öffneten die reiche Ader, gruben dem Golde ein Bett, ließen es strömen.

Aus seinem unterirdischen Tempel führten sie ihren leuchtenden Gott triumphierend zu Afrikas Wüstensonne empor.

Wenn sie endlich ausruhten, sprachen sie nur von einem, welches für sie das einzige war: immer nur von dem Golde! Es war, als könnte ihr Gehirn keinen andern Gedanken mehr fassen. Wie ein Geist ging es um in dem kleinen Lager, und dieser Geist war ein Dämon. Wenn die Goldgräber schließlich vor Erschöpfung in fiebernden Schlaf sanken, so kroch er als Nachtmahr auf die Schlummernden, lag über ihre ermatteten Leiber gewälzt, umklammerte sie mit fesselnden Armen, würgte sie. Aber sie lallten wie im Todeskampf: »Gold – Gold – Gold!«

Bei aller Qual dieser Träume empfanden sie die Wonne plötzlichen Reichtums. Wäre dieser aufgelodert in Flammen, so hätten sie sich in die goldene Lohe gestürzt und wären eines seligen Todes gestorben.

Das eine begriffen sie weniger als je: Wie konnte es möglich gewesen sein, daß die ersten Entdecker der Mine diese allem Anschein nach sehr bald verlassen hatten, und daß sie vollkommen in Vergessenheit geraten war? Daß niemals versucht worden, sie wieder aufzufinden? In Jahrtausenden nicht versucht! Die Goldader schien sich tief in das Gestein zu ziehen, der Brunnen also unerschöpflich zu sein. Und trotzdem aufgegeben und verlassen, verschollen und vergessen!

Eigentümlich betrug sich der Führer, der ihr Führer nicht länger war, dem sie daher nicht mehr gehorchten. Sie würden sich gegen ihn empört haben, wenn er von ihnen Gehorsam verlangt hätte. Er schien jedoch gegen die große Entdeckung plötzlich gleichgültig geworden zu sein.

Um so schlimmer für den Mann – um so besser für sie ...

Gleich am dritten Tage nach ihrer Ankunft bedurften sie seiner aber doch, mußten sie ihn zu sich hinunterrufen und eine Bitte an ihn stellen. Die meisten wollten es anfangs nicht. Auch der junge Giordano war dagegen. Einige drangen indessen darauf, und der Sizilianer wurde als Abgesandter aller hinaufgeschickt.

Er fand den Freund im Sand lang ausgestreckt; der willensgewaltige Mann schien plötzlich von einem geheimnisvollen Leiden befallen zu sein. Wie seiner Lebensgeister beraubt, lag er kraftlos im Brande der Sonne.

Der Jüngling trat zu ihm, sagte in seiner Muttersprache, die, wenn er wollte, in seinem Munde wie weiche Musik klingen konnte: »Du bist ein seltsamer Mensch! Da liegst du nun, als seist du sterbenskrank, und es fehlt dir doch nicht das Geringste. Anstatt verdrossen dazuliegen, solltest du jubeln und jubilieren; eine große Entdeckung hast du gemacht, deine dir selbst gestellte Aufgabe herrlich erfüllt, wirst ein weltberühmter Mann sein, wirst außerdem Millionen besitzen ... Bleibe ruhig! Ich weiß ja: nicht um deinetwillen, sondern um meinetwillen. Aber mich lässest du dort unten wühlen und wühlen, daß es fast ist, als steckte ich noch immer in den greulichen Schwefelminen, daraus du mich befreit hast. Du hörst, ich vergaß es nicht ...«

»Es wäre besser für dich, tausendmal besser, du stecktest noch immer darin, ich hätte dich niemals daraus befreit und du hättest nichts, was du nicht zu vergessen brauchtest.«

»Danke für den freundlichen Wunsch. Mir ist es, so wie es ist, aber doch lieber.«

Und er lachte sein junges helles Lachen. Dann fuhr er fort: »Mich lässest du wie im Frondienst schuften und du liegst hier oben, träumst, hast Phantasien, kümmerst dich um nichts mehr.«

»Nicht mehr um dich?«

»Gegen mich bist du gütig wie immer. Du brauchst es mir nicht erst zu sagen.«

»Sagte ich's?«

»Als Vorwurf, als Anklage.«

»Das sollte es nicht sein.«

»Schon gut ... Jetzt sei so gütig, dich zu erheben und mit mir zu gehen – mir zuliebe.«

»Wohin?«

»Hinunter.«

»Mir ekelt davor.«

»Vor dem Golde?«

»Vor allem und vor allen.«

»Nun ja. Du bist ein Idealist. Immerhin bitte ich dich, mir zu folgen.«

»Was wollen diese Menschen von mir?«

»Sie entdeckten soeben eine neue Inschrift.«

»In der Mine?«

»Auf der Wand eines Stollens ... Ich wußte ja, daß du mit mir gehst, sowie du davon hören würdest. Nur gehst du nicht mir zuliebe zu ›diesen Menschen‹, sondern deiner Wissenschaft zuliebe. Ich kenne dich. Wer sonst sollte dich kennen? Komm, komm!«

Was war's mit dem Manne?

Er hatte die unterirdische Schrift bei dem flackernden Schein des Grubenlichts gelesen, mühsam enträtselt, und verharrte regungslos, sprachlos. So hatte er zwar auch bei jenem wegweisenden Wahrzeichen in der Wüste dagestanden; aber jetzt schlug aus seinen weit offenen Augen kein sieghaftes Leuchten, sondern ein tödliches Entsetzen.

Wer in dem engen Stollen ihm so nahe stand, daß er seinen Blick sehen konnte, rief ihn dieses Mal nicht an, zu lesen, zu sprechen. Etwas von dem Grausen in dem Blicke Gaston Latours war über die Seelen der Leute gekommen, die ihn umstanden. Die andern bemerkten nichts von dem seltsamen Vorgang, schienen aber zu ahnen, daß sich etwas Unerhörtes begeben hatte. Doch dann hörten sie es ...

Die Inschrift war ein Menetekel der Wüste. Dieses lautete:

»Wer nach uns an diese verdammte Stätte gelangt, soll ihr sofort entfliehen; denn sie ist eine Gruft. Wer diese Schrift liest und bleibt, ist ein Verlorener.

Das Wasser an dieser Stätte ist Gift. Wer das Wasser trinkt, der trinkt seinen Tod.

Wir wollten nicht weichen; wir tranken und sterben.

Hört auf uns Sterbende:

Trinkt nicht! Rettet euch! Flieht!«

7

»Flieht!«

Gaston Latour versammelte im Lager die Leute. Nochmals deutete er ihnen die verhängnisvolle Schrift, forderte sie zum sofortigen Aufbruch auf, zur Flucht.

Sie sollten die reichste Goldmine Nubiens plötzlich im Stiche lassen? Sollten sie nicht ausbeuten? Nicht mehr und mehr, so sehr es möglich war? Sollten des Goldes nicht so viel zusammenraffen, als ihre Kamele tragen und sie selber davonschleppen konnten? Fort sollten sie? Und das sogleich? Womöglich noch heute?

Es kam zu einem Aufruhr. Sie rasten gegen den Mann, der Unmögliches von ihnen verlangte.

Plötzlich schrie einer: »Glaubt ihm nicht! Er lügt! Er will uns fortschaffen! Will später wiederkommen! Er lügt!«

Alle schrieen: »Er lügt!«

So war es. Wiederkommen wollte er später mit bezahlten Kreaturen, um das Gold für sich zu nehmen. Ein Lügner war der Mann, dem sie vertraut hatten, ein Betrüger!

Sie stoben auseinander, stürmten hinunter in die Mine, hin zu der Mauer mit den rätselhaften Zeichen, die etwas so Furchtbares bedeuten sollten. Verständnislos starrten sie die Hieroglyphen an, schrieen, wüteten, tobten.

Einige ergriff plötzlich Zweifel, der zur Verzweiflung wurde. Die andern beschimpften sie. Unter die Zagenden trat der junge Sizilianer und sprach zu ihnen.

Seine wilde Erregung machte ihn beredt. Er sprach wie im Fieber. Gegen seinen Freund und Wohltäter sprach der Jüngling. Er sagte nicht, dieser habe gelogen; aber er forderte die Männer auf, ihrem Führer Widerstand zu leisten und zu bleiben. Denn –

Die Inschrift log!

Das Wort wirkte wie eine Erlösung. So belogen die Unseligen sich selbst ...

In der Nacht trat Gaston Latour an das Lager des jungen Menschen, der an ihm zum Judas geworden war. Durch die offene Zeltwand warf der Sternenhimmel des Südens einen blassen Schein auf das Gesicht des Schlafenden; ein Kind konnte nicht friedlicher schlummern. Aber als empfände der Ruhende die Nähe eines Menschen, dem er ein tödliches Leid zugefügt hatte, wurde er unruhig, regte sich, öffnete die Augen. Er fuhr jäh in die Höhe, rief:

»Was willst du von mir?«

»Ich weckte dich nicht.«

»Du willst mir meine Undankbarkeit vorwerfen!«

»Ich habe noch niemals Dankbarkeit verlangt. Von keinem Menschen. Am wenigsten von dir. Wer einen Menschen liebt, fordert von diesem Glauben, Vertrauen. Niemals Dankbarkeit. Er ist glücklich, einen Menschen lieben zu können.«

»Ich weiß, du bist edel und gut. Und ich weiß, daß ich schlecht bin und schändlich. Es ist das meine Natur. Du konntest sie nicht ändern, nicht mit aller deiner Liebe.«

»Nicht mit aller meiner Liebe ... Jetzt muß ich mit aller meiner Liebe dich vor dir selber bewahren.«

»Ich soll fort von hier?«

»Das sollst du.«

»Die andern bleiben!«

»Ich kann sie nicht retten.«

»Und du?«

»Ich bleibe bei jenen. Dich wird einer der Beduinen zurückführen.«

»Du bleibst, um mit diesen Menschen zugrunde zu gehen? Denn du glaubst doch wohl an die Wahrheit jener Inschrift?«

»Sie ist heilige Wahrheit.«

»Ich will aber nicht fort!«

»Des Goldes willen willst du bleiben?«

»Ja, ja!«

Er sprang auf, rief aus: »Das ist ja alles Wahnsinn! Wir sind ja alle von Sinnen! Und der Sinnloseste von uns allen bist du. Seit drei Tagen trinken wir von dem Wasser, welches durch irgend einen verderblichen Stoff vergiftet gewesen sein soll – wie dort unten geschrieben steht. Vielleicht damals vergiftet gewesen! Vor tausenden von Jahren! Wir tranken von dem Gift und spürten nichts davon, blieben gesund. Also wird es kein Gift mehr sein ... Laß uns nach anderem Wasser suchen. Es wird anderes Wasser zu finden sein. Du bist ein Gelehrter und mußt es wissen. Wir haben ja auch einen nubischen Arzt bei uns. Er kennt das Land, kennt es besser als du. Auch der Arzt meint, daß es gelogen sei; er meint, daß es Wahnsinn sei, davonzugehen, zu fliehen. Ich bitte dich bei deiner Liebe zu mir: hilf uns allen, nicht ganz von Sinnen zu kommen.«

»Und du bleibst?«

»Du lässest mich ja doch nichts von dem Golde mitnehmen? Denn – ich kenne dich!«

»Nichts von dem verdammten Golde. Du kennst mich freilich.«

»Ich bleibe!«

8

Das Wasser, welches Tod bringen sollte, bestand in einer bräunlich-schlammigen Flüssigkeit. Das war jedoch alles Grundwasser der Wüste, trotz der wundersamen Sickerungen durch gewaltige Lager Gerölls und Sandes, durch alle die Kiesbetten und Adern sämtlicher Steinsorten jener vielfach noch unerforschten Gebiete. Selbst in dieser dicken widerlichen Trübung war dieses Grundwasser für Mensch und Tier die herrlichste Gabe der Wüstennatur, Leben spendend, am Leben erhaltend. Tod war nur dort, wo es nicht war.

Der arabische Arzt wurde jetzt von allen als der große Erretter angerufen. Er untersuchte das Wasser. Der Mann hatte manche Wüstenexpedition begleitet; aber auf keiner hatte man das Grundwasser einer Analyse unterzogen, und niemals wurde es »vergiftet« befunden. Also glaubte auch der Arzt an die »Lüge« der geheimnisvollen Inschrift oder – an die Lüge des seit einiger Zeit so seltsam verwandelten Gelehrten. Überdies war auch dieser Helfer der Kranken von dem allgemeinen Goldfieber befallen worden und das so heftig wie wenige andre.

Trotz des beruhigenden Ausspruchs des Arztes war man vorsichtig, ließ die Kamele nur das Notdürftigste saufen, beschränkte den eigenen Trunk auf das mindeste Maß. Auch gelang es Gaston Latour, die Beduinen zum Graben nach andrem Wasser zu veranlassen. Doch nur die Beduinen; und diese nur, weil der junge Giordano drohte und schmeichelte, befahl und bat.

Die Männer vom Wüstenstamme der Bega gruben hier und dort; gruben bis in die möglichsten Tiefen hinab. Aber sie fanden kein Wasser.

Dann gruben und suchten sie nicht weiter ...

Immer noch spürten die Goldfinder von dem Wasser keine schädliche Wirkung. Sie begannen, sich gegenseitig über ihren Schreck, ihre Furcht zu verhöhnen, erließen ein Verbot, von dem mystischen Gift zu reden, und bemühten sich, die böse Geschichte zu vergessen, vergaßen sie auch wohl.

Ihr Haß gegen den Mann, der sie so grausam aus ihrem goldenen Traum aufgeweckt hatte, wuchs, und die verlogene infame Schrift meißelten und kratzten sie aus. Es geschah mit einer Wut, als gälte es, einem Todfeind das Leben zu nehmen.

Aber immer noch waren sie gesund und bei Kräften. Fühlte dieser und jener sich einmal matt, mit schmerzendem Kopf und einer seltsamen Schwere in den Gliedern, so waren die Ursache solchen Zustandes die schier übermenschlichen Anstrengungen in den engen Stollen bei der erstickenden Atmosphäre, die leidenschaftlichen Aufregungen der letzten Zeit, unter dem Sonnenbrande der Wüste.

Es war freilich die »goldene« Sonne; aber in ihrer ewigen sengenden, flammenden, Leib und Seele verzehrenden Glut war sie der goldene Tod.

Der »goldene Tod« ... Es klang so sonderbar.

Und alle wußten, daß sie das Goldfieber hatten. Es war ein bekanntes Übel; ebenso bekannt jedoch war das Mittel dagegen:

Gold – Gold – Gold! Immer mehr und mehr und mehr!

Waren sie daher von dieser Krankheit befallen, so besaßen sie auch das Mittel dagegen. Es war bei ihnen in solchen Massen vorhanden, daß es Kranke gesund machen, selbst einen Sterbenden am Leben erhalten mußte.

Und so gruben, hämmerten, sprengten sie denn. Sie schleppten die gewonnenen Schätze ans Tageslicht, ruhten darauf, hielten sie im Schlafe mit beiden Armen umfangen, so heiß und brünstig, wie sie kein geliebtes Weib umschließen würden.

Jeder nahm seinen Anteil. War der des andern um ein Weniges größer – nur um ein Weniges, – so haßte der etwas weniger Reiche den Reicheren; und wenn es Freunde waren, so wurden sie Feinde. Es war eine furchtbare Gottheit, der sie sich mit Leib und Seele ergeben hatten. Sie mochten jedoch denken, daß jeder Gott schrecklich und die Sage von einem gütigen und barmherzigen Gott eben – eine Sage sei ...

Da machte einer von ihnen einen grausigen Fund. Dieser Mann drang tiefer in das Innere der Wüstenberge als die andern und stieß dabei auf eine Art von Felsenkammer. In diesem Raume lagen Mengen uralter Werkzeuge, lagen Haufen ausgeschlagenen Goldes, lagen menschliche Leichname, durch die Trockenheit der Wüstengruft gleichsam mumifiziert. Sie waren noch mit ihren Linnengewändern bekleidet, bedeckten noch mit ihren verdorrten Leibern das aufgetürmte Gold, zeigten noch Mienen, die aussagten, sie wären eines gräßlichen Todes gestorben. Aber sie hatten lieber einen Qualentod sterben, als das Gold lassen wollen.

Der Mann, der in die tausendjährige Katakombe eindrang, teilte seine Entdeckung nur einem der Beduinen mit, dem er einen großen Teil der Reichtümer versprach, wenn er vereint mit ihm entfliehen würde.

Die beiden rissen die Leichname von den Schätzen herunter, warfen sich über das Gold, wühlten darin, hätten sich am liebsten darauf gewälzt, wie es jene Gestorbenen im Todeskampfe getan.

9

Das Gold war fort! Alles Gold!

Es ward geraubt von niederträchtigen, schändlichen, gottverdammten Schurken.

Die Beduinen hatten das Gold gestohlen. Sie hatten es den Kamelen aufgeladen, die noch am besten bei Kräften waren, und waren mit dem Gold davon, heimlich bei Nacht!

Selbst den Männern, die auf ihren Schätzen schliefen, hatten sie diese unter ihren atmenden Leibern entwendet, die schwarzen Teufel, die Bestien!

Eines ihrer uralten Zaubermittel mußten sie abends den Speisen der weißen Männer, die sie als Christen, als Ungläubige haßten, beigemischt haben. Denn nur in schwerer Betäubung konnten sich jene auf solche Weise berauben lassen, nichts hörend, nichts spürend. Auch nicht, daß das Gold unter ihren Körpern hinweggenommen ward von diesem schwarzen Abschaum der Menschheit.

Nur an das Gold eines einzigen hatten sie nicht gerührt: nicht an das des Lieblings der Karawane.

Giordano Palatino hatte seinen ganzen Reichtum behalten!

Und die geheimen Schätze in dem mit Goldbarren und Leichnamen gefüllten großen Wüstengrabe?

Fort auch sie! Geraubt auch sie!

Als der Mann den Diebstahl entdeckte, heulte er auf wie ein angeschossenes wildes Tier. Sinnlos vor Wut, stürzte er den frechen Räubern nach durch die Wüste.

Er kam nicht wieder zurück ...

Fort die Kamele! Mehr als zehn! Gerade die stärksten Tiere! Diejenigen, welche die Diebe zurückließen, waren durch das wenige Wasser und die kümmerliche Nahrung vollkommen entkräftet. Einige davon schienen erkrankt zu sein – ganz plötzlich.

Gaston Latour meinte, sie sollten in Gottesnamen sofort das Lager abbrechen und versuchen, mit den kranken Tieren sich zu retten.Jetztwürden sie doch wohl folgen?

Ihres Goldes beraubt; ihres Glückes und Lebens beraubt, sollten sie fort?

Nein – auchjetztgehorchten sie nicht! Sie mußten graben – graben – graben; mußten ihre von den Wüstenräubern gestohlenen Schätze wieder gewinnen.

Sie bedrohten den Mann, der auch jetzt den Aufbruch von ihnen verlangte, mit dem Tode, falls er noch ein einziges Mal den Versuch machen sollte, von ihnen Gehorsam zu fordern.

Doch – was lag jenem am Leben?

Aber nicht ihn würden sie niederschießen wie einen tollen Hund, sondern den jungen Menschen, den der Mann mehr liebte als sich selbst.

Dieser besaß noch all sein Gold ... Da konnte er freilich fort wollen, mit all seinem Golde entfliehen, von dem einstmaligen Führer geleitet.

Er sollte sich hüten! Die zurückgebliebenen Kamele gehörten nicht mehr seinem Freunde, sondern waren das Eigentum der schändlich Bestohlenen.

So wurden denn die Kamele scharf bewacht, wurden Gaston Latour und der junge Sizilianer gleich Gefangenen gehalten. Wer keinen Wächterdienst hatte, grub in der Mine. Selbst des Nachts arbeiteten sie als die Sklaven, die Leibeigenen ihres goldenen Götzen. Um den Wächterdienst losten sie unter sich; denn wer bewachen mußte, konnte nicht graben, nicht Schätze gewinnen.

Krank waren sie nicht. Und das Wasser war nicht die Ursache, das Wasser gewiß nicht!

Was aber war's mit ihnen, daß sie sich matter und matter fühlten? Eigentlich von Stunde zu Stunde matter. Und sie mußten bei Kräften bleiben –sie mußten! Dabei fühlten sie solche bleierne Schwere in allen Gliedern, solchen stechenden, bohrenden, wütenden Schmerz im Gehirn, solch verzehrendes glühendes Brennen in den Eingeweiden.

Weshalb führten sie denn einen Arzt mit sich? Noch dazu einen, der mit ihnen Gold graben durfte? Er sollte jetzt – eben ihr Arzt sein! Helfen sollte er ihnen, sie heilen.

Der Araber gab ihnen von seinen Mitteln, was er nur geben konnte. Sie halfen und heilten nicht.

Vielleicht – und das war plötzlich ein gräßlicher Gedanke! – vielleicht tat der Mann Gift hinein, um sie zu morden und dann ihr Gold zu nehmen, alles Gold, das sie mit ihren letzten Kräften der Mine entrissen hatten.

Also mißtrauten sie auch ihrem Arzt. Er war ein Araber, und sie hatten an jenen Wüstenhunden erkennen müssen, was für ein Volk von Teufeln diese Menschenrasse war ...

Sie wurden immer kränker.

Wahrscheinlich hatten sie bereits zuviel von den mörderischen Mitteln des Schuftes genommen; waren bereits vergiftet, bereits Sterbende.

Sterbende–

Ihre kranken Geister verfielen in Raserei, und einer von ihnen schoß den Arzt als ihren Mörder nieder. Den Leichnam vergruben sie irgendwo und teilten untereinander das von dem Toten gewonnene Gold.

Es war wenig genug.

Hätten sie nur das Gold des Sizilianers besessen, der einst ihr Liebling gewesen! Aber dieser wurde vor ihnen geschützt, wurde gut bewacht, obgleich sie selber die beiden bewachten, damit sie ihnen ja nicht entkamen, nicht mit dem Golde des einzigen Reichen von ihnen.

10

Was wollten nur diese greulichen Vögel? Zuvor ließen sie sich niemals erblicken; zuvor war die Wüste so leblos, wie nur der Tod selber sein konnte. Und jetzt plötzlich – plötzlich Schwärme von Geiern!

Die großen Vögel schwebten über dem Lager. Sie hockten ringsum auf den Klippen, breiteten ihre braunen mächtigen Schwingen aus, die in der Sonne glänzten wie Gold.

Wieder dieses Wort! Immer wieder bei allem und allem dieses Wort!

Doch die Geier –

Sie kreisten über ihnen, kauerten auf den Felsen, kamen ihnen ganz nahe, wichen nicht.

Die Männer wollten die widrigen Tiere verscheuchen, schrieen sie an, warfen nach ihnen mit Steinen, schossen nach ihnen, ohne mit ihren matten Armen sicher zielen zu können, verscheuchten die Geier nicht.

Sie kreisten und kauerten, als müßten sie wachen und warten.

Worauf wohl?

Plötzlich fiel es ihnen ein:

Die großen greulichen Vögel waren Aasgeier und sie hatten ja einen Toten begraben.

Mochten die Gierigen ihn fressen! Dann aber sollten sie fort.

Doch sie kreisten und kauerten, wachten und warteten.

Bisweilen stießen sie einen Schrei aus. Es war ein entsetzlicher Laut, der die Kirchhofsstille der Wüste plötzlich durchgellte. Wie das heisere Hohnlachen eines Dämons klang der Geierschrei.

Krankheit und Sterben!

Krank und sterbend die Menschen, krank und sterbend die Tiere. Der Todeskampf der Tiere war noch furchtbarer als der der Menschen. Gaston Latour erlöste sie davon: er erschoß sie. Doch mußte er mit seinen barmherzigen Kugeln geizen; wenigstens zwei davon mußte er übrig behalten.

Nun gruben sie nicht mehr nach Gold.

Sie lagen in dem roten Sande unter der goldenen Sonne und ließen sich gefallen, daß der Franzose sie pflegte, so gut er vermochte. Selbst um noch zu hassen, waren sie zu jammervoll, elend; konnten sie doch auch nicht mehr lieben. Nicht einmal mehr ihren goldenen Gott. Wenn sie nur am Leben blieben! Nur leben wollten sie; leben – leben!

Diese Worte hatte der junge Giordano ihnen zugerufen, als das Leben noch vor ihm gelegen. Ein Wunder würde geschehen, um seine Worte wahr zu machen. Er war so jung, liebte das Leben so heiß. Es war unmöglich, noch so jung schon sterben zu müssen.

So gräßlich zu sterben!

Er sah es mit Augen, wie gräßlich es war.

Einige töteten sich selbst. Sie stürzten sich von den Klippen oder rissen sich mit den Zähnen die Adern auf. Andere verloren den Verstand. Sie stießen ihre Stirn gegen die weißen Wände der Alabasterberge in dem Wahn, diese wären die Eiswogen eines Alpengletschers; sie liefen in die Wüste und warfen sich dieser großen Mörderin an die Flammenbrust.

Die Geier brauchten nicht mehr zu kreisen und zu kauern, zu wachen und zu warten.

11

Kein Wunder geschah für einen der zwei letzten Überlebenden, keine verirrte Karawane zog an dem Lager des Todes vorüber.

Auch sonst half kein Gott ...

Gaston Latour bereitete den Jüngling auf seinen Tod vor. Wie ein Priester sprach er zu ihm. Aber der Sterbende wollte nicht auf ihn hören, leben wollte er! Sein Freund sagte ihm als letzten Trost auf Erden den uralten heiligen Spruch:

»Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben.«

Aber der Sterbende fühlte sich gehaßt von den Göttern. Er fluchte ihnen und er fluchte dem Manne, dem er gefolgt war, um sich das goldene Leben zu erwerben.

Als dann eine entkräftete Hand sich ausstreckte, um, lind wie Mutterhand, die fieberfeuchte Stirne des Sterbenden zu trocknen, ward sie mit einer wilden Gebärde zurückgestoßen.

Nun war es Zeit.

Mit Riesenkraft wehrte sich die Jugend des armen Knaben gegen den Tod. Also war es nun Zeit.

Als der Fiebernde in den schweren Schlaf der Erschöpfung sank, lud Gaston Latour seinen Revolver mit einer jener zwei letzten Kugeln. Seine bereits kraftlose Hand würde stark genug sein, dem Schlummernden den letzten Liebesdienst zu erweisen.

In dem Grausen des großen Schweigens, das kein Laut einer Menschenstimme mehr störte, senkten sich die Geier herab auf die Wüste, tiefer und tiefer.

Die nach Fraß Gierigen fanden nur noch einen einzigen Toten. Es war ein Erschossener.

Er lag unter einer Kristallwoge der Alabasterberge, die er mit seinem Blute gefärbt hatte.

Neben dem Toten, am Fuß der leuchtenden Klippe, im roten Sand der Wüste, befand sich ein frisches Grab, vor dem Raubgevögel durch eine Wölbung dunkeln Glanzes geschützt. Wie eine feierliche Kuppel war der Grabhügel erhöht. Nicht aus Geröll der Wüste, sondern aus den von Gold durchzogenen Quarzen und Stücken puren Goldes ward dem hier Ruhenden das pharaonenhafte Grabmal errichtet, aus dem einzigen, das der Tote im Leben geliebt hatte.

Die an einem flammenden Horizont hinabsinkende Sommersonne warf ihren Purpurmantel über das goldene Wüstengrab und den unbestatteten einsamen Toten, dem ein Geier das Herz aus der Brust riß.

Wenn einer in die Wüste geht

1

Das von Assuan kommende Nilboot fuhr bei den Ruinen von Antinopolis auf eine Sandbank und mußte von den arabischen Schiffern flott gemacht werden. Da der Frühling bereits vorgerückt war, führte der Fluß wenig Wasser. Bei dem Staudamm am ersten Katarakt wurde mit diesem Lebenselixier Ägyptens Haus gehalten, als verschlösse ein Geizhals sein Gold. Erst, wenn die Nilflut noch tiefer sank, das Nilland noch mehr austrocknete, gab der Knauser dort oben von seinem Überfluß her. Er wurde dann freilich zum Verschwender, der seine feuchten Schätze krösusgleich austeilte, damit die überschwemmten Felder dreifache Frucht trügen ...

Als das Schiff mit sanftem Ruck festsaß, versammelten sich die Passagiere auf dem zu einem offenen Salon eingerichteten Vorderdeck. Orientalische Teppiche bedeckten den Boden; ein buntes Zeltdach schützte vor Sonnenbrand, und ein Boskett hoher Blattpflanzen erinnerte angesichts der Goldgluten der Wüste an Gärten und frisches Grün.

Die Gäste des schönen Schiffes der Hamburg-Anglo-Amerika-Linie unterhielten sich während des unfreiwilligen Aufenthalts vortrefflich. Um das Boot von der Sandbank los zu bekommen, sprang ein Teil der braunen Mannschaft ins Wasser, während andre von Bord aus mittels langer Stangen versuchten, das schwere Fahrzeug aus seiner Fesselung zu befreien. Damit die mühsame Arbeit leichter von statten gehe, sangen die Leute beständig die nämliche kurze Strophe, die nämliche eintönige Melodie. Sie schwebte über den gelben Wassern feierlich wie ein Hymnus.

Nur ein einziger Passagier der ganzen Reisegesellschaft schien über die Verzögerung ungehalten zu sein. Er war eine auffallende Erscheinung, nicht mehr jung, sehr distinguiert, hoch und schlank gewachsen, das rasierte Gesicht farblos, mit einem energischen Ausdruck, den ein Leben voller Kampf und Drang darauf geschaffen hatte. Seiner Kleidung und Haltung nach konnte er ein Engländer der ersten Gesellschaftskreise sein. Er war jedoch ein Deutscher, der sich als ein Freiherr von so und so in die Passagierliste der ›Germania‹ eintrug. An der Nilfahrt beteiligte er sich seit Assuan; befand sich also bereits volle acht Tage auf dem Schiffe; hielt sich jedoch von der heiteren Gesellschaft, die als gute Bekannte miteinander verkehrten, vollkommen abgesondert; wurde daher auch von dieser unbeachtet gelassen und höchst unliebenswürdig, prätentiös und störend gefunden. So geschah es denn zum erstenmal, daß einer der Mitreisenden den unnahbaren Herrn ansprach. Es bedurfte einiger Kühnheit; aber der unerschrockene Tourist gehörte zu den durchaus Harmlosen und Gutmütigen. Als er die sichtliche Ungeduld des Freiherrn bemerkte, wollte er diesem ein beruhigendes Wort sagen.

»Sie werden in El-Wasta den Zug gewiß noch erreichen.«

»Woher wissen Sie, daß ich den Zug zu erreichen wünsche?«

Der Angeredete fragte mit der kühlen Höflichkeit des Weltmanns und erhielt von dem Harmlosen lächelnd erwidert: »Das wissen wir alle, da das Schiff eigens für Sie in El-Wasta anlegen soll.«

»Man ist so freundlich. Ich muß deshalb um Entschuldigung bitten – da durch das Anlegen in El-Wasta die Fahrt eine neue Verzögerung erleidet.«

»Es macht uns nichts. Ganz und gar nichts. Obgleich den meisten von uns Kairo tausendmal besser gefällt, als ewig dieses gelbe Wasser und ewig diese gelben Berge. Finden Sie nicht auch?«

»Gewiß.«

»Sie gehen ins Fayum?«

»An den Mörissee.«

»Liegt der nicht in der Wüste?«