Das Haus der Grimaldi - Richard Voss - E-Book

Das Haus der Grimaldi E-Book

Richard Voß

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Beschreibung

... Jeder der eleganten und - ach! so galanten Herren wurde dem Liebling genau beschrieben. Da war besonders einer, der Bezauberndste, Berückendste, Unwiderstehlichste von allen. Dabei von einer Eleganz - Wäre der junge Herr aus Troja, welcher seinerzeit der Venus den Apfel reichte und dem als Lohn die Schönste der Schönen sich neigte, ein Pariser gewesen, so hätte die gute liebe arme Scholastika von jenem einen sich ein Bild machen können. Sie sollte sich Held Paris in Gottes Namen als geborenen Pariser vorstellen. Vielleicht, dass das Bild der Wirklichkeit nahekam. Dieser Eine und Einzige hieß Honoré Charles Graf von Roquebrune und war ein leiblicher Neffe des Fürsten von Monaco; stammte daher gleichfalls aus dem Hause der Grimaldi. Ob die gute liebe arme Scholastika wisse, was es bedeute, aus dem Hause der Grimaldi zu stammen? Da sie davon sicher keine Ahnung besaß, sollte sie im Konversationslexikon nachschlagen. Inzwischen möge sie erfahren, dass es darum etwas Großes sei, einen Grimaldi zum Ahnherrn zu haben. Was nun den Grafen von Roquebrune betreffe, so müsse der Liebling ihn kennenlernen, um zu verstehen - Seine Unwiderstehlichkeit nämlich. Und wahrhaftig! Gehorsam begab sich Scholastika in die Bibliothek, dem trübseligsten Raum im Seehof, von dem jetzt lebenden Geschlecht kaum jemals betreten, um bewusstes Lexikon zu suchen. Sie fand auch eine Reihe verstaubter Bände: Pierers Universallexikon, erste Auflage. Sie nahm den Band dreizehn: »Metternich - Ostindien« und las in der Geschichte des Fürstentums Monaco: »Kaiser Otto der Erste soll im Jahre 968 das Fürstentum Monaco zugunsten der Familie Grimaldi gegründet haben.« Jetzt war sie belehrt. Also bereits im zehnten Jahrhundert gab es ein Haus der Grimaldi, und aus diesem Hause stammte der Unwiderstehliche, Honoré Charles mit Namen. Das Lexikon besagte ferner: Honoré sei ein Familienname der Grimaldi. Die Begeisterung, mit welcher die Freundin von diesem einen Honoré sprach, ließ darauf schließen, dass Yvonne in nicht allzu ferner Zeit Gräfin von Roquebrune werden würde, dann auch sie ein Mitglied des Hauses der Grimaldi! ...

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Das Haus der Grimaldi

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Das Haus der Grimaldi

Richard Voss

Historischer Roman

1

Gesegnetes Land, geheiligtes deutsches Land, dort unten am Fuß des bayrischen Hochgebirges. Gesegnet durch seine landschaftliche Schönheit, seinen Reichtum an hochstämmigen Wäldern, üppigen Fluren, fruchttragenden Feldern; geheiligt durch die heiße Heimatliebe seines Volks, dieses Stammes blondhaariger und blauäugiger Söhne altangesessener Geschlechter. Hochgewachsen wie seine Tannen, bewahrt das Volk die Kraft seiner Väter, tolle Draufgänger, wenn die Sache es will. Und für die Söhne des Volks will es die Sache oft, sei es in aufflammendem Streit untereinander um ein begehrtes Weib oder um ein erlegtes Wild oder im Kampf mit einem Widersacher. Je grimmiger Streit und Kampf, umso besser! Sie nennen sich Bayern; aber sie sind Deutsche bis ins Mark hinein ...

Frühling am Rand des bayrischen Hochgebirges!

In keinem der deutschen Gaue erscheint der Frühling in solcher überschwänglichen Pracht, wie in den oberbayrischen Voralpen. Die Buchenwälder gleichen Hügeln von knospendem Gold, die Wiesen sind rote und gelbe, blaue und violette Gefilde, eine buntblütige Flur. Die grauen steinbelasteten Schindeldächer der Bauernhöfe, die spitzen oder zwiebelförmigen Dächer der Gotteshäuser umschimmert die schneeige Fülle der Obstbäume. Die Ufer der Bäche säumen Primeln und Vergissmeinnicht. Mit Primeln und Vergissmeinnicht sind die vielen Christusbilder am Wege bekränzt. Die lieblichen Blumen überwuchern die grausame Dornenkrone auf dem Haupt des sterbenden Heilands. Zu Füßen aber des blutrot angestrichenen Kreuzes steht die Mutter, und aus ihrem von Schwertern durchbohrten Herzen erblüht der Lenz. Wenn dann von Kirche zu Kirche, von Kapelle zu Kapelle die Glockenklänge über das grünende blühende Land schallen, so ist es, als riefe die vom Wintertode erstehende Erde ihr Hosianna gen Himmel. Dann flöten die Amseln, jubilieren die Lerchen, und die Welt ist so heilig schön, als gäbe es auf ihr keine Schuld, kein Unglück, keinen Jammer; als gäbe es in der vom Todesschlaf erwachten Natur, darin alles lebt und webt, überhaupt keine Menschenqual. Am allerwenigsten Vergehen und Sterben ...

Auf den Alpen herrscht noch tiefer Winter und an sonnigen Tagen stehen die Berge gleich einem weißen glanzumflossenen Gewölk über sprießenden Saaten und knospenden Wäldern, ihre Zinken und Zacken in das Himmelsblau bohrend.

Auf einem ihrer Vorberge, gerade unter einem Alpengipfel, liegt ein Schloss, grau, altertümlich, feudal. Von der Landstraße aus, längs des von Weiden umsäumten Gletscherstroms, zieht sich durch die Waldwiese ein Weg empor. Er ist schmal, für Wagen nur mühsam zu benutzen und führt hinab nach dem zum Schlosse gehörigen Dorf. Es ist eines der stattlichsten und wohlhabendsten im ganzen Bezirk: stattlich und wohlhabend geworden durch die sorgende Liebe der Schlossherren, die dort oben von Geschlecht zu Geschlecht ein tüchtiges Leben führten, Mitglieder des Hochadels im lieben schönen Bayernland.

An diesem Maimorgen sprengt aus dem burgähnlichen Tor ein Reiter zu Tal. Es ist ein noch jugendlicher Mann in landesüblicher Tracht aus grauem Loden, mit grünem Tuch aufgeputzt, hinten am weichen Filz einen trotzig aufsteigenden Gamsbart. Die stolze Zier hat der Reiter selbst erbeutet und das auf eigenem Revier, das sich über die nächsten Höhen und weiter die Gipfel und Grate hinaufzieht.

Der noch Jugendliche ist Hanns Wolfram, Freiherr von Wagging, einziger Sohn früh verstorbener Eltern, Herr über ein weites Gebiet von Wäldern, Feldern und Fluren; und sein Geschlecht ist so alt wie das graue Gemäuer unter dem schneeigen Alpengipfel. Nicht gerade schön, vielleicht etwas zu eckig und zu robust, aber hoch und stattlich sitzt der Junker zu Pferd, auf einem feurigen Braunen aus freiherrlicher Zucht. Des Reiters Schönheit liegt in seiner Mannheit und sie liegt in seinen hellen Augen, die mit einem Blick leidenschaftlicher Liebe zur heimatlichen Scholle über das leuchtende Land hinschauen.

Ein altes gebrechliches Weiblein steht am Wege und grüßt zutraulich den jungen Herrn.

»Grüß Gott, Hansei-Baron. Wohin gar so früh?«

Mit kräftigem Ruck hielt der Freiherr seinen Braunen an. »Grüß Gott, Mutter Wabei. Wenn du schon so früh auf bist, kann ich's doch auch sein.«

»Ja, du bist ein Rechter! Unser Hansei-Baron bist du halt!«

»Das musst du freilich am besten wissen. Hast mich auf den Armen getragen, da ich noch in den Windeln lag; hattest Plag' genug mit mir.«

»Ja freilich. Unbändig genug warst du schon damals, ein rechter Wilder! Aber auch wieder sanft und gut wie ein Jüngferlein.«

»Ach was! Ein Bub war ich, ein ganz schlimmer! Von sanft und gut war keine Rede. Und war ich's einmal wirklich, so darfst du's keiner Seele verraten. Müsst mich ja schämen ... Gehst hinauf ins Schloss? Dass du dort oben nicht wohnen willst! Nicht mit deinem Hansei-Baron unter einem Dach.«

Das Weiblein meinte lachend: »Dann nimmt der Hansel bald eine junge Frau ins Haus, die von dem alten Weiblein nichts wissen will.«

Da aber widersprach der Freiherr: »Die ich einmal als meine Hausfrau ins Haus nehme, wird meiner alten Wärterin am Ofen den wärmsten Platz geben.«

»So denkst du wohl. Denn alles, was du denkst, ist brav. Dafür bist du auch unser Hansl. Aber du musst bald Hochzeit halten – ich wüsst schon eine liebe Hausfrau für dich – will ich doch noch deine Söhne auf den Armen halten, ein ganzes halbes Dutzend, wenn deine Frau Baronin mich wirklich auf dem Schloss leiden sollt.«

Er lachte. Da sah er so jung aus und so strahlend, wie der Frühlingstag selber. Dann fuhr er fort: »Ein ganzes halbes Dutzend Söhne! Mir wär's recht. Auf den Armen tragen soll meine sechs Freiherrn die alte Wabei und keine andre. Im Haus leiden wird dich gewiss die eine, die wir beide wissen. Nicht bloß leiden wird sie dich im Haus, sondern auch in Ehren halten. Dafür steh ich dir ... Du fragst, wohin ich so früh reite? Da wir's beide wissen, darf ich dir's laut sagen: Mutter Wabei, auf die Freit reit' ich aus. Wenigstens befinde ich mich auf dem geraden Weg dahin.«

Die Alte meinte: »Ist nicht gar so weit. Und ich sag' dir auch: Sie ist schön und sie ist gut. Aber –«

»Nun, was ist?«

Das Weiblein sprach leise zu dem Reiter hinauf: »Sie soll drüben im Belgierland sein oder wie das fremde Land heißt. Das tut nicht gut. Sie hätte im Land bleiben sollen, im deutschen Land, weil du doch ein deutscher Mann bist. Denn wär nun deine zukünftige Frau in der Fremde eine Fremde geworden? ... Musst deiner alten Wabei nicht bös sein, du Lieber!«

Ein Schatten flog über des Freiherrn Gesicht und etwas zu hastig gab er der alten Getreuen zur Antwort: »Was fällt dir ein? Meine liebe Base in der Fremde eine Fremde! Als ob das möglich war? Ist sie nicht in Zangenberg bei den guten Klosterfrauen erzogen? Freilich danach für zwei Jahre zu ihrer Ausbildung nach Brüssel geschickt. Auch ich hätt's lieber gesehen, wenn sie im Lande geblieben wäre. Denn um Französisch zu lernen, wäre auch eine deutsche Stadt gut genug gewesen, wenn das Französische für eine Freifrau von Wagging überhaupt eine Notwendigkeit ist. Nun, heute kommt meine liebe Base aus der Fremde zurück, just an diesem gesegneten Maientag, den der Himmel gewiss nur für mich und sie so leuchtend gemacht hat. Dein Hansl-Baron aber reitet jetzt geradewegs zu ihren Eltern und erbittet sich die Erlaubnis, das Komtesschen von der Bahn abzuholen. Wabei, alte Wabei! Ich möchte mir einen Strauß Maiblumen an den Hut stecken, als sei ich schon jetzt ein glücklicher Bräutigam und möchte dazu jubilieren wie Amseln und Lerchen zusammen ... Aber da halt' ich mitten auf dem Weg zu meinem Glück und schwatze mit dir und habe mein holdseliges Bäslein seit zwei Jahren nicht gesehen ... Behüt' dich Gott, alte Wabei! Sie sollen dir droben im Schloss einen Kaffee machen, einen extra guten, lass' ich der Schaffnerin sagen ... Vorwärts, Brauner, meinem Lieb entgegen; meinem Glück entgegen!«

Und er gab dem Braunen die Sporen.

Die Alte schaute dem Freiherrn kopfschüttelnd nach, murmelte: »Schön ist sie, das Fräulein Komtesse und gut ist sie auch. Aber das Fremde und Welsche gefällt mir nun einmal nicht; denn für den Hansei passt nichts Fremdes und Welsches. Der ist bayrisch und will nichts andres sein.«

Kopfschüttelnd und vor sich hinmurmelnd, stieg sie mühselig weiter und wollte doch noch die Söhne ihres Junkers wiegen: ein volles halbes Dutzend.

2

Der Freiherr ritt durch das Dorf, das zu Füßen des Schlossbergs lag, Hof an Hof, jeder mit Stallung, Obstgarten und fließendem Brunnen, ein gar ansehnlicher Besitz wohlhabender Geschlechter. Kein einziges Haus trug das neumodische Ziegeldach, jeder Hof war, wie er vor Jahrhunderten gewesen. Ebenso die Trachten seiner Bewohner, der Männer sowohl wie der Frauen. Obgleich die Leute von Wagging seit Langem nicht mehr die Hörigen der Schlossherrschaft waren, so wäre doch der Junker Freiherr mit heißem Zorn dreingefahren, hätte ein Bäuerlein sich unterfangen, die ehrwürdige Tracht auch nur mit einem Stück neumodischer Hässlichkeit zu vertauschen; und selbst der größte Hofbesitzer hätte ihm ohne Weiteres Gehorsam geleistet.

Denn jedermann im Dorf wusste: Ihr Hansl-Baron wäre mit dem nämlichen Feuereifer dreingefahren, wenn einem von ihnen ein Unrecht geschehen oder ein Unglück zugestoßen wäre. Er wäre der Erste gewesen, der tatkräftige Hilfe gebracht hätte. Durch die lange Dorfgasse ritt der Freiherr seinem Glück entgegen. Der Hufschlag rief die Leute aus den Häusern hervor. In den offenen Fenstern und Türen zeigten sich Gestalten, die dem stattlichen Reitersmann mit einem traulichen »Grüß Gott!« zunickten. Vor jedem Fenster blühten Fuchsien, Geranien und Nelken, sodass jede der vielhundertjährigen Behausungen wie zu einem Fest geschmückt schien. Die Bewohner von Wagging waren echt oberbayrischen Schlags, und die Mädchenköpfe, die zwischen den Blumen an den Fenstern auftauchten, eine Galerie lebendiger »Defregger«. Alle nickten dem Schlossherrn zu, lachten ihn an, und er hatte genug zu tun, wieder zu grüßen und zu lachen. Manch einem blonden, blauäugigen Kind kam bei seinem Anblick in den Sinn: »Bildsauber ist er grad nicht, unser Herr Baron, aber die Frau, die ihn einmal zum Manne bekommt, ist bei ihm für Lebenszeit gut aufgehoben.«

Und die Männer, die alten sowohl wie die jungen, dachten: »Ein Tüchtiger ist unser Herr Baron, ein Mann, so recht nach unsres Herrgotts Herzen! Auf den Mann ist Verlass!«

Die Frauen aber sprachen untereinander: »Fromm ist er auch und das ist gut in unsrer sündhaften Zeit. Er ehrt die Sakramente nicht nur, weil es so sein muss, sondern weil es ihm aus dem Herzen kommt. Ist er doch auch ein Sankt Georgsritter, wie sein Vater und alle seines Hauses es waren. Auch bayrischer Standesherr! Die lieben Heiligen, behüten ihn! Möge er uns nur bald eine Frau Freiherrin bringen. Eine Prinzessin könnte ihn zum Manne nehmen, so brav ist er. Dabei stark, wie unsre Burschen, diese Hallodri!«

Nicht ahnend das viele Lob, welches der Anblick seiner Person von allen Seiten hervorrief, ritt der junge Sankt Georgsritter seines Weges weiter, so hellen und heiteren Gemüts, wie rings um ihn der Frühling, der leuchtete, dass es eine Lust war. Dem Reiter zur Rechten rauschte der Fluss mit hochgeschwollenen Wassern, ihm zur Linken erstreckten sich hügelan die bunten Fluren, die sprießenden Saaten, die knospenden Wälder und dahinter stieg in aller Majestät das Hochgebirge auf, herrlich und schrecklich zugleich. Da der Tag warm war, mischte sich in das Brausen des Flusses das Donnern der Lawinen, diese Frühlingsmusik des Hochgebirges, vom Gesange der Amseln und Lerchen begleitet. Und alles, was Hanns Wolfram auf seinem Wege an Erdenschönheit überschaute, war sein Eigentum, welches er durch Arbeit und Fleiß zu seinem wahren Besitz erst machen wollte: »Dies alles ist mein. Dies alles wird auch ihr, der Geliebten, gehören!«

Er wusste nicht, dass er diese Worte laut in die Welt hinausrief. Plötzlich kam ihm der Gedanke: Wie sagte die alte Getreue doch gleich? War es nicht etwas von der Fremde und dass sie in der Fremde die Heimat vergessen haben könnte? Der Heimat entfremdet. Wer? Sie, Scholastika, deren Platz auf der ganzen weiten Welt nur hier war. Der Heimat entfremdet, also auch ihm? Torheit war's! Heute kam sie zurück – endlich nach vollen zwei Jahren! Ihr zu Ehren, ihr zuliebe hatte sich die Welt so geschmückt: so wunderschön, wie sie selber war. Und diese wunderschöne Welt war ihre Heimat, wie dieser nichts weniger als wunderschöne Mann sehr bald ihr Bräutigam sein würde ... Alte dumme Wabei! In der Fremde fremd geworden. Sein Bäschen, sein Bräutchen, das er liebte, wie ein Mann seiner Art ein Mädchen eben liebt: schlicht und treu und stark. Männer seiner Heimat langten sogleich nach dem im Griff stehenden Messer, wenn ihnen ein Nebenbuhler ihr Liebchen abspenstig machen wollte, zu dem sie des Nachts heimlich ins Kammerfenster stiegen. Die Burschen seiner Heimat kämpften um das heißbegehrte Weib, wie der Hirsch um die Hirschin. Von dem König ihrer Wälder hatten sie ihr Liebeswerben gelernt, wie ihren Nationaltanz von dem balzenden Auerhahn. Doch was hatte die Liebe des Junkers mit dem wütenden Werben der Wildlinge zu schaffen? Um sein holdes Bäschen bedurfte es keines Kampfes.

Er hätte jubeln mögen, so wie die Burschen ihre unbändige Lebenslust hinausjauchzten in die wunderschöne Welt bei grauendem Tagesanbruch, wenn sie von ihrem Schatz fortschlichen. Dann ließ es auch den Freiherrn nicht länger ruhen. Beim ersten Dämmerschein sprang er vom Lager auf, eilte aus Zimmer und Haus, sattelte im Stall selbst den Braunen, sprengte davon, das Liebchen im Herzen, ihren Namen auf den Lippen, den Jubelschrei, der sich seiner Brust entringen wollte, gewaltsam unterdrückend: »Bald meine Braut, bald mein Weib!«

3

Das Herz übervoll von seiner Liebe, erreichte Hanns Wolfram den Seehof, den Landsitz seiner Verwandten mütterlicherseits, Graf und Gräfin von Puch-Puchstein.

Wie ein Gedicht deutscher Romantik lag das Haus auf der Insel des Alpensees, zu Füßen der hohen Seespitz, die sich mit ihrer noch winterlichen weißen Herrlichkeit in der smaragdgrünen regungslosen Wasserfläche spiegelte. Ein Brückenweg führte vom Ufer hinüber. Das Inselhaus hatte noch eine Zugbrücke und ein kunstvoll mit geschmiedetem Eisenwerk beschlagenes gewaltiges Tor; hatte noch Wall, Graben und Turm. Sogar das verrostete Rohr einer Kanone starrte kriegerisch zwischen zwei trotzigen Zinnen ins friedliche Land hinaus. Heute sollte das alte Geschütz abgefeuert werden: Freudenschüsse, donnernde Willkommgrüße dem einzigen Kinde des Hauses zu Ehren.

Der Freiherr, der als Freiwerber kam, sprengte über die Brücke in den Schlosshof, wo ein herbeieilender Stallbursche den Braunen in Empfang nahm. Nur für kurze Zeit: Bald wollte der Vetter Freiherr wieder weiter zur Bahnstation, um daselbst das Bäslein zu begrüßen und es unter seiner Obhut heimwärts zu geleiten. Dazu gehörte eine Umarmung; gehörte ein Kuss. Nicht etwa der Kuss des Vetters, sondern ein andrer, leidenschaftlicher, heißer; war auch die Heimkehrende bis zur Stunde nur noch – eben »das Bäslein«.

Was bedurfte es der Form, wo schon seit des Junkers Knabenzeit – seit des Jungfräuleins Kinderjahren – zwischen den beiden eine innige Liebe erblüht war.

»Grüß Gott, Oheim! Grüß Gott, Tante! Kommt sie heut wirklich? Endlich? Darf ich allein sie abholen oder fahrt auch ihr zur Station?«

Mit diesen Worten stürmte der Freiherr in die Halle, wo die Ehrwürdigen an überreich besetzter Tafel beim ersten Frühstück saßen, zwei behäbige Gestalten, die es sich wohl sein ließen und nichts andres vom Leben wollten, als seine guten Gaben in Hülle und Fülle genießen. Die Morgensonne durchstrahlte den gewölbten Raum, darin jedes Stück war, wie es vor einem Jahrhundert gewesen. Sie schien auf den mit Speisen besetzten Tisch, auf die gutmütigen, vor Wohlsein glänzenden Gesichter des gräflichen Paares; sie schien auf die stark nachgedunkelten Porträts der Ahnen, eine ebenso ehrbare wie kraftvolle Sippe oberbayrischer Landedelleute; sie glitt über die Täfelung aus purpurbraunem Lärchenholz an Decke und Wänden und über den blitzblank gescheuerten Fußboden, auf den die Strahlenbahn des Sees vor den Fenstern einen schimmernden, flimmernden Widerschein warf. Ohne den Glanz des himmlischen Gestirns war es an Regen- und Nebeltagen in dem hohen Raum düster und traurig.

Von seinem Teller aufsehend, erwiderte der Oheim auf die stürmische Begrüßung gemächlich: »Setz dich doch erst! Iss und trink!«

Und die gute Gräfin meinte wohlwollend: »Der Schinken ist noch warm. Wie erhitzt du bist! Weshalb eigentlich?«

»Weshalb? Weil sie heute wiederkommt: sie, Scholastika! Musstet ihr eurer Tochter auch gerade diesen Namen geben? Nicht anders, als wäre sie eine zukünftige Heilige. Zum Mindesten eine hochwürdige Klosterfrau oder Stiftsdame. Ein Kind der Welt ist sie und bleibt sie, und wird nebenbei Freifrau von Wagging. Schon deshalb hättet ihr eurem einzigen Kind einen andern Namen geben können! Aber Scholastika! Dabei ist sie gar nicht so, wie ihr Name vermuten lässt: Gar nicht streng und feierlich, sondern hold und sonnig. Wenigstens war sie so. Und ist sie es nicht mehr, so soll sie es wieder werden. Aber das ist meine Sache und – nein, danke für den Schinken. Ich frühstückte schon lang, einen Jägerschmarren, einen fetten. Der hält vor. Und jetzt hole ich mein Bäschen.«

Um die beiden Behäbigen nicht zu stören – eine Sorge, die unnötig war – setzte er sich zu ihnen, ohne jedoch einen Bissen zu nehmen, trotz des noch dampfenden Schinkens, von dem die gute Gräfin eine von Saft triefende mächtige Scheibe für ihn abschnitt. Dazu gab es weiche Eier, von denen der Ohm ein volles halbes Dutzend in eine Schale schlug und darin mindestens ein Viertelpfund Butter verrührte. Genau ebenso hatten Vater und Großvater gespeist und genau ebenso würde des Schlossherrn Sohn gespeist haben, wenn die Würdigen einen Sohn besessen hätten. Leider besaßen sie nur eine Tochter, und wenn Hanns Wolfram sein Bäslein freite, so würden die beiden großen angrenzenden Waldgüter ein einziger Besitz werden und der Freiherr würde, mit König Ludwigs des Dritten gnädigster Genehmigung, seinem ruhmreichen Namen den nicht minder angesehenen der Grafen von Puch-Puchstein zulegen. Das war niemals besprochen worden, galt jedoch zwischen den Verwandten für eine ausgemachte Sache.

Plötzlich rief der Freiherr, wie um sich von einer dunkeln Sorge zu befreien, heftig aus: »Das mit der Klostererziehung zu Zangenberg musste sein; das ist nun einmal nicht anders. Aber dass ihr sie außerdem noch in das fremde Land schicktet; noch dazu in das hyperpariserische Brüssel, das brauchte nicht zu sein. Ich weiß ja, dass die Komtesse in der feinen Anstalt feine Manieren lernen sollte und ein perfektes Französisch. Zum Henker auch! Sie ist eine Deutsche und ihr Kloster-Französisch war für eine Deutsche gut genug ... Seid ganz still! Ich weiß ja! Weil selbst in unsrem alten guten München die vornehmen Damen lieber die Sprache der Franzosen als ihre eigene herrliche deutsche Muttersprache reden. Schlimm genug! Ein Unwesen ist's! Wer lieber Französisch als Deutsch spricht, der denkt und fühlt auch französisch. Das ist für uns Deutsche ein Unglück. Schlimmer als das: ein Unrecht ist's! Ein Unrecht am deutschen Geist, an der deutschen Seele, am ganzen deutschen Volk! Da kenne ich in München ein ältliches Fräulein, deren Vater ein biederer Bayer, deren Mutter aber eine Französin ist. Wo immer das Fräulein erscheint, wird Französisch parliert, eine Beleidigung des Vaters und Deutschlands zugleich. Wir werden es noch einmal am eigenen Geist spüren, an der eigenen Seele büßen müssen und das mit blutigen Leiden.«

So grollte der Freiherr, dem sein deutsches Vaterland als Höchstes galt. Auch gedachte er dabei der zweijährigen schmerzlichen Trennung von der Geliebten und wie überflüssig diese gewesen. Es ärgerte ihn, seine würdigen Verwandten selbst am heutigen Tage, an dem Fest der Heimkehr ihrer Tochter, genau wie immer in aller Gemütsruhe tafeln zu sehen, als ob gutes Essen und Trinken das einzig Beglückende auf Erden sei, während in ihm jeder Nerv vor Erwartung und Ungeduld zuckte. Je ungebärdiger er gegen das französische Unwesen im lieben Vaterlande loszog, umso gemütlicher schien sich das Paar zu fühlen, mit umso besserem Appetit genoss es die ihm so reichlich bescherten Gottesgaben.

In seiner Erregung sprang Hanns Wolfram vom Stuhl auf mit der Frage: »Wo wird sie wohnen?«

Erstaunt meinte die Gräfin: »Wie kannst du fragen? In ihren alten Zimmern.

»In ihren alten Zimmern? Die sind im ganzen Hause die dunkelsten und trübseligsten. Habt ihr sie wenigstens neu eingerichtet mit hübschen Teppichen und hellen Vorhängen? Sie ist so jung und der Seehof so düster und traurig.«

»Düster und traurig? Der Seehof? Was fällt dir ein?«

Der Neffe rief: »Ihr versteht eben nicht, wie es einem jungen Geschöpf zu Mut ist! Und Scholastika ist nicht nur so jung, wie heute der Frühlingstag, sie ist auch ebenso strahlend. Sie liebt alles, was heiter und hell ist; liebt das Leben und die Lebensfreude und ihr sperrt sie in dieses dumpfe Gemäuer. Zum Glück wird es nicht lang dauern; denn bald – ich weiß, was ihr sagen wollt! Aber in meinem Hause soll sie es so sonnig und licht haben, wie sie selbst ist ... Verzeiht! Ich halte es bei euch nicht länger aus. Der Schorschl und der Loisl wissen, wie sie das alte Rohr abzufeuern haben: volle zwölf Schüsse! Ich war deswegen vorgestern hier und probierte mit ihnen das Altertum ... Lebt wohl! Ich bringe sie euch! Lasst's euch weiter gut schmecken.«

Das taten die beiden. Ihr Neffe gehörte eben auch zur neuen Jugend, die sie nicht verstanden, gar nicht verstehen wollten. Und ihre Tochter –

Ihre Tochter war eine Puch-Puchstein; war ihrer Eltern Kind.

Nein! Ihre Tochter würde zu dieser neuen, der alten Generation unverständlichen Jugend nicht gehören.

4

Fremd geworden in der Fremde! Auch auf dem Ritt zur Station immer die Erinnerung an die Worte der alten Dorfsibylle. Sie hatten sich in des jungen Mannes Seele gebohrt, dass er den Gedanken daran wie einen Stachel empfand. Heiß war ihm, nicht etwa wegen der schon sommerlich herabbrennenden Frühlingssonne, sondern weil er es im Herzen so heiß fühlte: seine Leidenschaft zu dem liebreizenden Mädchen, dem er nach langer Trennung entgegenritt.

Die Station, auf welcher der Schnellzug München – Rosenheim – Salzburg hielt, lag in ziemlicher Entfernung von Schloss und Dorf. Hanns Wolfram spornte daher seinen Braunen so heftig, dass er sein Ziel um eine volle halbe Stunde zu früh erreichte, was seine Aufregung nicht gerade verminderte. Knappe fünf Minuten vor Ankunft des Zuges traf vom Seehof die schwerfällige Staatskarosse ein, auf dem Bock in der gräflichen Livree, auch alt und grau, der Kutscher. Die Eltern waren nicht mitgekommen, ihre Tochter zu empfangen. Vermutlich waren sie mit dem Frühstück nicht rechtzeitig fertig geworden, welche kulinarische Sesshaftigkeit dem Herrn Neffen ungemein angenehm war. Hatte er nun doch auf dem Rückweg sein liebes Mühmchen für sich allein.

Der Eilzug brauste heran. Wie sein Herz pochte! Wenn ihm nach langwierigen Mühen ein starker Gämsbock endlich zu Schuss kam, wenn er einen majestätischen Zwölfender pirschte oder den balzenden Hahn ansprang, so klopfte sein Herz weniger stark. Dass er daran denken konnte? In diesem Augenblick an Gams und Hirsch und Auerhahn. Bei Sankt Hubertus! Er war doch ein wüster Gesell. Und einen solchen sollte sein holdseliges Bäschen zum Gatten nehmen? Sie würde sich hüten.

Sein holdseliges Bäschen – War sie das? Diese hochgewachsene schlanke junge Dame in elegantem englischem Reisekostüm, die, von einer Dienerin des vornehmen Instituts begleitet, einem Abteil der ersten Wagenklasse entstieg. Herrgott, und er! Er stand und starrte das feine Fräulein an. Kaum, dass er mühsam hervorbrachte: »Bist du's wirklich? Wie du dich verändert hast! Ich hätte dich nicht wieder erkannt. Wie konntest du dich so verändern?«

»Ich bin inzwischen eben groß geworden.«

»Eine Dame!«

»Da ist ja auch Georg. Guten Tag, Georg!«

Sie reichte dem Getreuen des Hauses – er hatte anno 1870 mitgemacht und stand vor der Tochter des Hauses stramm wie einstmals vor seinem Wachtmeister – die mit silbergrauem dänischen Leder bekleidete Hand. Silbergrau waren Kleid, Hut und Schleier. In silbergrauem Leder steckten – Hanns Wolfram hatte es bei ihrem Aussteigen sehen müssen – die Füßchen. Unmöglich konnte sie mit solchen Schuhen durch die Forsten schweifen, die Almen besuchen, die Berge besteigen. Aber alles, was ihm in diesem Augenblick durch den Kopf fuhr, war offenbarer Unsinn. Das würde alles anders, ganz anders werden, wenn sie erst – Ja, wenn sie erst – Wie sein junges Herz klopfte! Und wie unbeholfen er sich der stolzen Erscheinung gegenüber vorkam, so recht als Landjunker, als Oberbayer. Dieses Bewusstsein machte ihn nur noch verlegener, noch unbeholfener. Nicht anders stand er vor ihr, wie der Schorschl, den sie vornehm »Georg« nannte, was den Alten aus der Fassung gebracht hatte; denn er machte zu dem »Georg« ein ganz kurioses Gesicht. Oder war es ihr Anblick? Der Anblick dieser schlanken jungen Dame, die das kleine Fräulein Komtesse sein sollte, das Komtesschen, die Herrin und Gebieterin über alle Herzen im Seehof, im Schloss sowohl wie im Dorf.

Nun saß des guten Hanns Wolframs zukünftiges Bräutchen, aus dem inzwischen eine wunderschöne Dame geworden, in der Staatskarosse derer von Puch-Puchstein, den alten Seppl als Kutscher, den alten Schorschl in der alten Staatslivree steif auf dem Bock, sie selbst blühend wie ein Maienröslein. Dabei so vornehm! Ach, so vornehm, dass Hanns Wolfram noch immer nicht sich selbst wiederfand. Er ritt dicht neben dem Wagen und hatte Mühe, den Schritt des Braunen der gemächlichen Gangart der wohlgenährten gräflichen Pferde anzupassen.