Aktivistin, Rebellin und Pionierin des Buddhismus - Vicki Mackenzie - E-Book

Aktivistin, Rebellin und Pionierin des Buddhismus E-Book

Vicki Mackenzie

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Beschreibung

Sie war die erste westliche Frau, die tibetisch-buddhistische Nonne wurde, doch diese Ordination war nur eine Etappe in einem Leben voller revolutionärer Taten. Freda Bedi (1911-1977) brach zu Lebzeiten die gesetzten Regeln von Geschlecht, Herkunft und Religion und war damit – u. a. als Pionierin des Buddhismus – ihrer Zeit weit voraus. Sie war eine treibende Kraft im Kampf um die indische Unabhängigkeit, eine spirituell Suchende, Gelehrte, Rebellin, Aktivistin, Journalistin, Sozialarbeiterin, Ehefrau und Mutter von vier Kindern. Zu ihren Freunden, Kollegen und Lehrern zählten Mohandas Gandhi, Jawaharlal Nehru, Indira Gandhi, der Dalai Lama, Chögyam Trungpa Rinpoche und viele andere. Sie war geprägt von tiefer Spiritualität und Mitgefühl und gleichzeitig nicht ohne Widersprüche. Mit "Die vielen Leben der Freda Bedi" wirft Vicki Mackenzie einen differenzierten Blick auf diese komplexe und überzeugende Frau und die Kräfte, die sie geformt und motiviert haben.

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Vicki Mackenzie

AKTIVISTIN, REBELLIN UND PIONIERIN DES BUDDHISMUS

Die vielen Lebender Freda Bedi

Vorwort von Jetsunma Tenzin Palmo

Aus dem Englischen vonClaudia Seele-Nyima

Impressum

Die amerikanische OriginalausgabeThe Revolutionary Life of Freda Bedi – British Feminist, IndianNationalist, Buddhist Nun ist erschienen bei ShambhalaPublications, Inc., Boulder, USA, www.shambhala.comAll rights reserved.

Copyright © 2017 by Vicki Mackenzie

Copyright der deutschen Ausgabe© Theseus in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld [email protected] | www.kamphausen.media

ISBN Printausgabe: 978-3-95883-527-6ISBN E-Book: 978-3-95883-528-3

Print on demand · 2022

Gefördert durch ein Künstlerstipendiumim Rahmen der NRW-Corona-Hilfen

Übersetzung ins Deutsche

Claudia Seele-Nyima

Lektorat und Projektbetreuung

Susanne Klein, Hamburg

 

www.kleinebrise.net

Gestaltung

Kerstin Fiebig, Bielefeld

 

www.ad-department.de

Bibliografische Informationder Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttps://dnb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk,Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel,fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowiedes auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

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https://www.kamphausen.media/aktivistin-rebellin-und-pionierin-des-buddhismus/t-9783958835276

Mit freundlicher Genehmigung von John Hills.

Allen Müttern auf der ganzen Welt, besonders meiner eigenen unsagbar gütigen Mutter

Irene Mackenzie (1919–1998),

in Dankbarkeit für ihre unermüdliche Liebe und Unterstützung.

VORWORT

EINLEITUNG: EIN ERSTER EINDRUCK

1. DIE ANFÄNGE

2. DIE WELT ERWEITERT SICH

3. LIEBE

4. ÜBERGÄNGE

5. DIE FREIHEITSKÄMPFERIN

6. IM GEFÄNGNIS

7. KASCHMIR

8. DAS LEBEN DANACH

9. WENDEPUNKT

10. BEGEGNUNG MIT DEN TIBETERN

11. DIE TULKUS

12. DALHOUSIE

13. DIE NONNEN

14. ORDINATION

15. DIE LEHRE VERBREITEN

16. EINE BRÜCKE SCHLAGEN

17. DIE LETZTEN TAGE

EPILOG

ÜBER DIE AUTORIN

VORWORT

Hier ist sie nun, die lang erwartete Biografie einer bemerkenswerten Frau namens Freda Bedi oder Sister Khechog Palmo, die für die Tibeter in den ersten Jahren im indischen Exil als Pionierin wirkte. Die Ehefrau und Mutter engagierte sich anfangs als Freiheitskämpferin in der indischen Unabhängigkeitsbewegung und wurde später eine der ersten westlichen Nonnen des tibetischen Buddhismus. In Indien gründete sie eine Schule für junge reinkarnierte Lamas und das erste tibetische Nonnenkloster. Sie war eine vertraute Schülerin des 16. Karmapa – an seinem ersten Besuch in den Vereinigten Staaten hatte sie maßgeblichen Anteil – und war zudem die Mentorin von Chögyam Trungpa Rinpoche, ebenso wie die zahlreicher anderer Lamas, die den tibetischen Buddhismus in den Westen brachten.

Durch ihren weitreichenden Einsatz und ihre Projekte, die von großem Klarblick geprägt waren, fanden in den frühen Tagen des tibetischen Exils viele Menschen zu neuer Stärke. Ihre Taten verdienen es, dass man sich an sie erinnert und sie würdigt. Daher bin ich Vicki Mackenzie sehr dankbar für ihre Bemühungen, so viel biografisches Material zusammengetragen und gerettet zu haben, bevor es zu spät ist, und uns die inspirierende Geschichte von Sister Kechog Palmo zu erzählen: von ihrem außergewöhnlichen Leben und ihrem Beitrag zum Bewahren des tibetischen Dharma in einer Zeit der Unsicherheit und des Wandels.

Jetsunma Tenzin Palmo

EINLEITUNG: EIN ERSTER EINDRUCK

Nur knapp habe ich sie verpasst, um wenige Wochen, was angesichts dessen, was sich viele Jahre später ergeben sollte, sehr schade war. Als ich an einem klaren Novembermorgen des Jahres 1976 die ausgewaschene Piste zu jenem magischen, auf einem Hügel gelegenen Kloster namens Kopan in Nepal erklomm und über das Kathmandu-Tal blickte, um an meinem allerersten Mediationskurs teilzunehmen, sprachen immer noch alle darüber. Eines Nachmittags hatte der hochrangige Lama Thubten Yeshe, ein rundlicher, charismatischer Mann, eine hochgewachsene Frau aus dem Westen – schön, ein bisschen stämmig, etwa Mitte sechzig – ins Meditationszelt geleitet und ihr dabei höflich den Vortritt gelassen. Sie hatte helle Haut, blaue Augen, ein vollkommen rundes Gesicht und eine ausgesprochen würdevolle Haltung. Ihr Kopf war geschoren wie der einer buddhistischen Nonne, und sie trug eine burgunderrote Robe über einem gelben Oberteil. Zur Verwirrung der Anwesenden führte Lama Yeshe sie zu dem hohen, mit Brokat bezogenen Thron und blieb, nachdem sie Platz genommen hatte, vor ihr stehen, legte seine Hände auf Herzhöhe aneinander und warf sich ehrfürchtig dreimal nieder.

Die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen hatten noch nie eine Frau auf einem solchen Thron gesehen (oder auch nur von so etwas gehört), geschweige denn eine Westlerin in ausgefallenen Gewändern – und sie waren verblüfft. In dieser patriarchalischen Religion verneigte man sich nicht vor lebenden Frauen. Doch wenn Lama Thubten Yeshe dieser Frau Hochachtung zollte, dann musste sie etwas Besonderes sein, denn im Lauf der Wochen hatten sie Respekt entwickelt für diesen freundlichen Mann mit seiner Ausstrahlung der Stärke, der aus seiner ihm eigenen Weisheit heraus zu ihnen gesprochen und sie zum Lachen gebracht hatte.

Die Frau hieß Freda Bedi, wurde als Tochter eines Uhrmachers in Derby in den englischen Midlands geboren und hatte einen indischen Sikh mit dem Nachnamen Bedi geheiratet.

Ich dachte dann nicht mehr daran – damals. Zu jener Zeit, 1976, begeisterte ich mich viel mehr für die Aussicht, diese sehr radikale Angelegenheit der Meditation auszuprobieren, angeleitet von »exotischen« und geheimnisvollen Lamas, die erst einige Jahre vorher aus ihrem verborgenen, verbotenen Land Tibet gekommen waren. Hier wartete das große Abenteuer auf mich. Ich hatte mich von meiner Arbeit als Autorin fürs Feuilleton einer führenden überregionalen britischen Zeitung im Herzen der Londoner Fleet Street davongestohlen, ohne jemandem zu erzählen, was ich da tat. Damals war der Buddhismus im Westen so unbekannt, dass man ihn praktisch als eine Art Sekte betrachtete – fremd, voller ketzerischer Überzeugungen und höchst gefährlich. Ich wusste, dass ich jede Glaubwürdigkeit als verantwortungsbewusste, seriöse Journalistin verloren hätte, wenn ich das Ziel meiner Reise offen preisgegeben hätte.

Doch nicht nur die Neugierde, unbekannte Wege zu beschreiten (eine für Journalisten und Journalistinnen essenzielle Eigenschaft), zog mich dorthin, sondern auch ein unklares, aufrichtig empfundenes Bedürfnis, die tiefere Bedeutung der Dinge jenseits von »Geben und Nehmen«, wie der britische Dichter Wordsworth es ausdrückt, zu erkunden. Diese stille Sehnsucht begleitet mich seit meiner Kindheit; und im Laufe der Jahre, als mir mein christlicher Hintergrund das, was ich suchte, nicht zu geben vermochte, fühlte ich mich zunehmend zum Osten hingezogen, da ich intuitiv vermutete, dass dessen alte Weisheit das enthalten könnte, wonach ich suchte.

Kopan und die Lamas enttäuschten mich nicht. Was ich auf meiner heimlichen Reise entdeckte, war faszinierend und erfüllend genug, um mich vierzig Jahre lang zu fesseln. In diesen Jahren tauchte Freda Bedis Name immer wieder auf – Menschen ließen ihn ins Gespräch einfließen, die Freda in jenen frühen Tagen kennengelernt hatten, als der tibetische Buddhismus in der Außenwelt in Erscheinung trat. Alle sprachen voller Zuneigung und ein bisschen ehrfürchtig von ihr. Ich hörte, dass sie einen steilen Aufstieg gemacht hatte, in Indien ein bekannter Name war und drei Kinder hatte, darunter einen Sohn, der ein gut aussehender Bollywood-Star war und als James-Bond-Bösewicht auftrat.

Freda Bedi war im mittleren Alter etwas Radikales widerfahren, denn sie hatte ihrem Ruhm, ihrer Arbeit und dem Familienleben den Rücken gekehrt und war die erste westliche tibetisch-buddhistische Nonne geworden. Ich erfuhr, dass sie eine Schule für junge reinkarnierte Lamas, die als Flüchtlinge nach Indien gekommen waren, gegründet hatte. Sie brachte ihnen Englisch bei und lehrte sie etwas darüber, wie es in der Welt zugeht. Einer ihrer Schüler war Zopa Rinpoche, der Herzensschüler von Lama Thubten Yeshe, der mich zuerst in Kopan und später an anderen Orten auf der ganzen Welt unterrichtete.

Freda hatte Zopa Rinpoche als mageren, tuberkulosekranken Jungen aus einem schrecklichen, von Krankheiten heimgesuchten Flüchtlingslager geholt, ihn mit Medikamenten, neuen Gewändern und einem Sponsor versorgt und ihm die Grundlagen einer westlichen Erziehung zukommen lassen.

Vielleicht war das der Grund, warum sich Lama Yeshe stets voller Dankbarkeit vor ihr verneigt hatte. Weitere kleine Anekdoten über Freda kamen mir in den Sinn. Merkwürdigerweise gewann dieses Anhäufen geringfügiger Informationen mit der Zeit an Schwung, als ob sich etwas aufbaute, dessen ich mir nicht bewusst war. Ich fand heraus, dass sie sich als Freiheitskämpferin für die Sache der indischen Unabhängigkeit eingesetzt, Gandhis mächtiger Bewegung angeschlossen und sich gegen ihre eigenen Landsleute, die Briten, erhoben hatte. Und sie war für ihren Widerstand ins Gefängnis gegangen, als erste Engländerin überhaupt. Meine journalistischen Antennen sandten mir immer stärkere Signale. Vielleicht gab es hier eine Story. Freda wurde immer interessanter.

Während ich mehr Erfahrung mit der tibetisch-buddhistischen Welt sammelte, hörte ich etwas über Freda, das mich überraschte. Unter den Tibetern wurde gemunkelt, Freda sei eine Emanation von Tara, dem weiblichen Buddha des Mitgefühls in Aktion. Tara – von allen Tibeterinnen und Tibetern geliebt – galt als die Göttliche Mutter, zu der alle beteten, wenn sie in Not waren. Es war Tara, die sie anriefen, wann immer sie in Gefahr, traurig, verängstigt oder krank waren, denn sie wussten, dass Tara nicht nur dasaß und ihren Bitten mitfühlend zuhörte, sondern sich erhob und etwas tat. Die Fähigkeit zu handeln – und zwar schnell zu handeln – wurde als eine im Wesentlichen weibliche Eigenschaft angesehen.

Im Laufe der Jahre hatte ich viele Gemälde und Statuen von Tara gesehen. Sie sah ganz sicher nicht wie eine hellhäutige, blauäugige Engländerin aus. Gewöhnlich war sie in Grün gemalt (obwohl manchmal auch in Weiß und anderen Farben), mit einem runden, mondförmigen Gesicht, einem gütigen Ausdruck und – als grüne Tara – einem ausgestreckten Bein, bereit, in Aktion zu treten. Könnte Freda Bedi möglicherweise ein solches göttliches Wesen sein? Es schien lächerlich – sogar ketzerisch. Warum wurde ihr eine so große Auszeichnung zuteil und wie hatte sie sich diese verdient? Freda war, so schien es, in der dunkelsten Zeit der Geschichte Tibets erschienen, als der Dalai Lama und Tausende seiner Landsleute, Männer, Frauen und Kinder, in einem furchtbar aufreibenden Treck über den Himalaya in die Freiheit flohen. Die Flüchtlinge strömten ins Exil, krank und traumatisiert von der Verfolgung und Qual, die sie durchlebt hatten, und von ihrer höchst gefährlichen Flucht. Freda war da, um sie zu trösten, ihre Wunden zu waschen, ihre Angst zu mildern und ihnen zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen.

Einhellig begannen sie, sie »Mummy« zu nennen – und dann »Mummy-la«, also mit dem tibetischen Höflichkeitssuffix für diejenigen, denen Achtung entgegengebracht wird. Freda identifizierte sich so sehr mit dieser Anrede, dass sogar Westler begannen, sie so zu nennen.

Und seltsamerweise wurde ich dann zu Beginn des neuen Jahrtausends von verschiedenen Leuten angesprochen und gebeten, ein Buch über Freda Bedi zu schreiben. Eine der Beharrlichsten unter ihnen war die englische Nonne Tenzin Palmo, die Freda im Alter von etwa zwanzig Jahren kennenlernte, bevor sie zwölf Jahre lang in einer Höhle im Himalaya verschwand, um zu meditieren – und diese Höhle dann als brillante, weltweit anerkannte Lehrerin wieder verließ. Kurz vorher hatte ich die Biografie von Tenzin Palmo, »Das Licht, das keinen Schatten wirft«1, fertiggestellt. »Freda ist eine inspirierende Frau, ein Vorbild für Frauen überall. Wir brauchen Beispiele für das echte Leben starker Frauen, insbesondere von Nonnen. Außerdem war Fredas Leben von enormer Bedeutung. Sie war eine Pionierin auf so vielen Gebieten«, hatte sie gesagt.

Dann wandten sich Fredas Kinder an mich und baten mich, das Leben ihrer Mutter aufzuzeichnen. Ich fühlte mich geehrt, zögerte aber. Denn meine stärkste Quelle, Freda selbst, war nicht da. Traurigerweise starb sie 1976, nur wenige Monate nach ihrem Besuch in Kopan. Da war sie 66 Jahre alt. Und ich hatte sie verpasst. Hätte ich damals gewusst, dass ich ein Buch über sie schreiben würde, hätte ich sie aufgesucht und darum gebeten, mir etwas Zeit zu opfern und mir Erinnerungen und detaillierte Berichte über ihr Leben zugänglich zu machen. Das entsprach meiner bevorzugten Arbeitsweise als Journalistin. Wie sonst hätte ich ihren Charakter, ihre Motive, die Einzelheiten ihres täglichen Lebens, ihre Konflikte – notwendige Komponenten, um das lebendige, getreue Bild eines Menschen nachzubilden – richtig einschätzen können?

Als ich hörte, dass selbst der Dalai Lama fragte, warum nie ein Buch über sie geschrieben worden sei, habe ich kapituliert. Wenn der Dalai Lama der Meinung war, Freda Bedis Leben solle aufgezeichnet werden, wie konnte ich da noch argumentieren? Ich machte mich an die Arbeit. Es gab so viele Fragen. Was brachte sie dazu, im Kampf für die indische Unabhängigkeit gegen ihre Landsleute zu rebellieren? Wie schaffte sie es, den Aufenthalt in einem indischen Gefängnis durchzustehen? Was war die Ursache für ihren grundlegenden Wandel von der Ehefrau und Mutter zur buddhistischen Nonne? Wie und warum hat sie ihre Kinder verlassen? Was trieb sie an? Was hat sie geopfert – falls sie Opfer bringen musste? Was waren ihre Schattenseiten, wo lagen sie – jene Anteile in ihr, die sich vielleicht hinter ihrem glanzvollen, tugendhaften Äußeren verbargen – und wie konnte ich davon erfahren? Und warum genau hatte sich Lama Yeshe vor ihr verneigt?

Da sie physisch nicht mehr auf dieser Erde war, begab ich mich auf eine Entdeckungsreise und erforschte ihr Leben durch die Orte, an denen sie gelebt hatte, und mithilfe der Menschen, die sie gekannt hatten, um die Antworten zu erhalten, die ich suchte. Es war erstaunlich leicht. Alle, an die ich mich wandte, waren nur allzu gern bereit, mir ihre Geschichten und Erinnerungen zu erzählen und Fotos zur Verfügung zu stellen. Das ist selten der Fall, wie Ihnen jede Schriftstellerin und jeder Schriftsteller bestätigen wird. Es war, als wollte dieses Buch geschrieben werden – trotz meiner Bedenken! Über viele Monate hinweg reiste ich mehrmals nach Indien und sprach mit Nonnen, Angehörigen der tibetischen Exilregierung, mit Lamas und Laien. Ich traf Fredas Nichte in Bath, England. Ich reiste nach Samye Ling in Schottland, dem ersten tibetischen Kloster im Westen, um mit Akong Rinpoche zu sprechen, einem Lama, den Freda aus einem Flüchtlingslager rettete und der später bei ihr in Delhi lebte. Er hatte das Kloster mitgegründet. Ich führte lange Telefongespräche mit Menschen in den Vereinigten Staaten und Australien.

Die wertvollsten Beiträge kamen jedoch von ihren Kindern. Ich reiste nach Mumbai, um ihren zweiten Sohn, Kabir Bedi, den gut aussehenden Filmstar, zu treffen. Ich fuhr nach Bangalore, um mit ihrem Erstgeborenen, Ranga Bedi, und seiner Frau Umi zu sprechen. Und ich flog in die Vereinigten Staaten und besuchte ihre Tochter Guli in ihrem schönen Haus am See außerhalb von Boston. Alle waren hochgewachsen und imposant – wie ihre Mutter –, starke Persönlichkeiten, die gutes Essen liebten und einen ausgeprägten Sinn für Humor hatten. Ihre lebhaften Erinnerungen an ihre Mutter, die, wie sie einhellig feststellten, in der Tat eine bemerkenswerte Frau war, trugen dazu bei, Freda zum Leben zu erwecken. Sie überließen mir auch großzügig Fredas Schriften, Briefe und Tonbandaufnahmen mit Berichten aus erster Hand über ihr Leben und ihre Gedanken. In der Tat wertvolles Material. Besonders ihre Stimme zu hören – klar, fest, gemessen, voller Autorität und sehr wortgewandt – war das Nächstbeste nach einer persönlichen Begegnung mit Freda.

Am Ende meiner Reise erwies sich Freda als unendlich viel umfassender, aufregender und komplexer, als ich es mir zu Beginn hätte vorstellen können. Die Bandbreite dessen, was sie in den unterschiedlichsten Bereichen leistete, ist schlicht und einfach außergewöhnlich. Fredas Fußabdruck ist auf der Landkarte des modernen Indiens, in der feministischen Bewegung und in der Geschichte der Verbreitung des Buddhismus von Ost nach West immer noch sehr gut erkennbar. Freda war – und ist – eine Ikone. Mir blieb nichts anderes übrig, als nachzugeben. Der Dalai Lama hatte recht: Fredas Geschichte musste erzählt werden.

1) Vicki Mackenzie: Das Licht, das keinen Schatten wirft – Die außergewöhnliche Lebensgeschichte von Tenzin Palmo Theseus 2010.

– 1 –

DIE ANFÄNGE

IN FREDAS ERSTEN JAHREN deutet auf den ersten Blick wenig auf das exotische Leben hin, das sie führen sollte – obwohl, wie Freda selbst gerne betonte, die Vorzeichen bei näherer Betrachtung von Anfang an da waren. Sie wurde am 5. Februar 1911 über einem kleinen Uhrmacherladen in einer Straße mit dem passenden Namen Monk Street (»Mönchsstraße«, eine Anspielung auf ein zukünftiges Leben im religiösen Gewand) geboren, gleich um die Ecke der Friary Lane (»Klosterweg«), im Herzen des alten Derby. Hier waren die englischen Midlands – die Heimat von Florence Nightingale, Rolls-Royce und des Peak District mit seiner wilden Schönheit. Es schneite heftig, als Freda geboren wurde, und obwohl sie das erstgeborene Kind war, brachte ihre Mutter sie mit wenig Mühe zur Welt. Die Hebamme kommentierte: »Ohhh, Mrs. Houlston, Sie sollten diejenige sein, die alle Babys bekommt. Sie tun das so leicht.« Freda war ein hellhäutiges Baby mit einem ganz runden Gesicht, einer hohen Stirn, feinem, dünnem Haar und strahlenden blaugrauen Augen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, in dessen Adern norwegisches Blut floss. Sie wurde auf den Namen Freda Marie Houlston getauft.

Fredas Leben in der Familie verlief in den ersten Jahren fast wie in einer Geschichte von Charles Dickens. Auf einem Foto des Uhren- und Schmuckgeschäfts sieht man Fredas Vater als kleinen Jungen, wie er vor dem Haus in der Monk Street 28 steht, einem typischen ärmlichen Backstein-Reihenhaus mit einer Eingangstür direkt zur Straße und aneinandergereihten Uhren, die im Fenster hängen wie Christbaumkugeln. »Houlston« prangt da in großen Buchstaben über dem Türsturz. In der Tür steht George, Fredas Großvater väterlicherseits, in Schürze und mit Stoffmütze.

Freda, die eine romantische Ader hatte, dachte gern daran zurück: »Es war winzig und für mich ebenso attraktiv wie Dickens’ »Raritätenladen«. Ich erinnere mich, wie meine Großmutter in der Wohnküche herumhantierte, an den Schmuck und die Uhren in den Schränken. Wir backten Brot und Aufläufe im kohlebefeuerten Ofen, machten Toast auf einer Toastgabel, wuschen Wäsche in einem riesigen Kessel und hielten Fleisch und Käse auf einer Steinplatte in der Speisekammer kühl.«

Als das Leben in dem winzigen Laden etwas beengt wurde, zog die Familie nach Littleover, einem Vorort von Derby, am Stadtrand und in der Nähe von Fredas Großmutter mütterlicherseits gelegen.

Allen Berichten zufolge war ihre Familie glücklich, bescheiden, zurückhaltend und ausgesprochen redlich. Ihr Vater Francis (»Frank«) war ein großer, auffallend gut aussehender Mann mit einem offenen, ehrlichen Blick, der im Tweed-Anzug und mit steifem Strohhut eine schneidige Figur machte. Er entstammte einer langen Reihe von Uhrmachern und Juwelieren, die alle vor ihm in demselben kleinen Laden gearbeitet hatten. Francis war tief religiös, ein überzeugter Methodist, der den Abstinenzlern zugetan war und sogar deren Gelöbnis unterschrieben hatte – eine Urkunde, die mit kurzen Lehrsprüchen gesäumt war, wie: »Blick nicht auf den Wein, denn er beißt wie eine Schlange und brennt wie der Biss einer Kreuzotter.« Darin hieß es, Francis Houlston werde sich »mit göttlichem Beistand« von allem Alkohol fernhalten, der »Praktiken der Unmäßigkeit« verursache. Er meinte es ernst. Freda erinnerte sich an seine Worte, er werde niemals Hochprozentiges über seine Lippen kommen lassen, selbst wenn er im Sterben läge und sein Leben davon abhinge.

Ihre Mutter Nellie war eine Frau mit stoischem Gleichmut – groß, mit sehr aufrechter Haltung, einem langen Gesicht und hochgestecktem dunklen Haar. Sie war eine stilvolle Frau und eine ausgezeichnete Näherin, die alle Kleider ihrer Kinder selbst anfertigte. Nellie hatte Frank in der Methodistenkirche St. Anne’s kennengelernt (wo auch ihre Großeltern regelmäßig den Gottesdienst besuchten) und hatte ihn mit zwanzig Jahren geheiratet. Sie hatte auch etwas von einer Abenteurerin an sich, einen Charakterzug, den sie an ihre Tochter weitergab. Nellie fuhr gern mit dem Motorrad in der ländlichen Gegend umher, spielte Bridge und wurde irgendwann zur Kapitänin des Mickleover Golf Clubs ernannt, zu jener Zeit ein ungewöhnliches Amt für eine Frau.

Ihre Nichte Pauline Watson, die ihrer Tante Freda verblüffend ähnlich sieht, erinnert sich gut an Nellie: »Sie war eine starke Frau, die ich ziemlich respekteinflößend fand. Sie konnte sehr gut mit Geld umgehen und hielt bei den Familienfinanzen die Fäden in der Hand. Später kaufte und verkaufte sie Häuser. Nellie war auch medial veranlagt, ebenso wie ich und Freda. Das liegt in der weiblichen Linie. Nellie hatte ›Vorahnungen‹ und spürte ›Präsenzen‹. Einmal hat sie ein Haus gekauft, ist aber nie darin eingezogen, weil sie dort unglückliche Geister spürte«, sagt Pauline, die in der Nähe von Bristol in Großbritannien lebt.

Freda, die bekanntlich nie etwas Schlechtes in jemandem sah, hatte ein ausgesprochen rosiges Bild von ihrer Mutter: »Sie hatte eine überaus uneigennützige Einstellung und liebte ihre Mitmenschen. Nie habe ich erlebt, dass jemand in unserer Nähe hilfsbedürftig war und meine Mutter ihm keine helfende Hand gereicht hätte. Rückblickend glaube ich, dass sie von Natur aus ein Bodhisattva war, aber da sie in einem christlichen Land geboren wurde, ist sie dem Buddha nie begegnet.«

Fredas wohl interessantestes Familienmitglied war ihr Urgroßvater Walker, der als Kind auf der Flucht aus Frankreich Schiffbruch erlitten hatte und von einem Prediger namens Reverend Walker aus den Wellen gezogen wurde. Gerüchten zufolge soll er der uneheliche Sohn des französischen Kronprinzen gewesen sein, obwohl es dafür keine Beweise gab. Wie auch immer seine Abstammung gewesen sein mag, er machte sich sehr gut und stieg vom Kutscher zum erfolgreichen Kohleunternehmer auf. Die schönen Möbelstücke, die Nellie irgendwann erbte, stammten von ihm.

Als Freda achtzehn Monate alt war, wurde Franks und Nellies zweites Kind, John, geboren. Freda liebte ihn von Anfang an mit seinem blonden lockigen Haar und seinem sonnigen Gemüt. Sie standen sich außergewöhnlich nahe und blieben, wann immer sie getrennt waren, in ständigem Briefkontakt. »Er war ein hübscher, starker Junge, der die Houlston-Schönheit geerbt hatte«, erklärte sie. »Ob Sie es glauben oder nicht, wir haben uns nie gestritten.« Die Geschwister waren von ihrer Persönlichkeit her sehr unterschiedlich. Freda war ein ernstes, sensibles, artiges Kind. Selten sah man sie ohne ein Buch in der Hand. John hingegen war draufgängerisch, spielte gern Streiche und machte lieber Sport als Schulaufgaben. Beide hatten jedoch das Freundlichkeits-Gen. Als Erwachsener schloss sich John der philanthropischen, christlich geprägten Organisation Toc H an, gegründet nach dem Ersten Weltkrieg von Reverend Philip »Tubby« Clayton, um gute Werke für Kranke, Alte und Bedürftige zu tun. Ihr Ethos bestand eher darin, anderen ein Vorbild zu sein, als zu predigen. John war ebenfalls äußerst religiös und wollte einen geistlichen Beruf ergreifen, doch die nötigen Mittel waren nicht vorhanden. Stattdessen entschied er sich für die Royal Navy, von wo aus er es schaffte, sich in die Royal-Signals-Einheit zu mogeln, obwohl er farbenblind war. Als er im Alter von 54 Jahren an einer Herzerkrankung starb, erhielt die Familie Hunderte Briefe von Menschen, die zum Ausdruck brachten, wie sehr John ihnen geholfen hatte. Fredas Kinder berichteten, dass sie ihre Mutter beim Empfang dieser Nachricht das einzige Mal weinen sahen.

1914 braute sich das Unheil des Ersten Weltkriegs zusammen und bedrohte nicht nur den Frieden in Europa, sondern auch die Ruhe im Houlston-Haushalt.

»Der Kriegsbeginn ist mir noch sehr deutlich in Erinnerung. Wir saßen im Wohnzimmer, Mutter goss gerade Tee ein, als plötzlich ein lauter Knall ertönte. Eine Bombe war auf den Bahnhof von Derby gefallen«, erinnerte sich Freda.

Frank tat seine Pflicht: Er trat den Sherwood Foresters als Soldat bei und marschierte als Gefreiter des Maschinengewehrkorps nach Frankreich. Am 14. April 1918, nur wenige Wochen vor Kriegsende, wurde er in den Schützengräben von Aire getötet. Freda, zu jener Zeit sieben Jahre alt, war am Boden zerstört.

»Der Tod meines Vaters überschattete meine gesamte Kindheit«, gab Freda zu. »Traurig ist, dass ich ihn nie wirklich kennengelernt habe. Ich habe nur zwei vage Erinnerungen an ihn: eine, wie er im Garten grub, und die andere, wie er mit mir im Wohnzimmer spielte. Ich hatte nie die Chance, ihn zu verstehen. Bei uns hing das Gemälde einer Szene aus dem englischen Bürgerkrieg, in der ein Junge gefragt wird, wann er seinen Vater zuletzt gesehen habe. Er antwortet: ›Ich habe ihn letzte Nacht in meinen Träumen gesehen.‹ Genau so war es bei mir. Für mich ist Vater ein Konzept, ein heiliges Konzept.

Der Gedenkgottesdienst, der jährlich am 11. November in einer Schule zu Ehren der Kriegsgefallenen abgehalten wurde, riss die Wunde immer wieder auf. Ich wurde fast ohnmächtig vor Trauer«, erzählte sie.

Später verriet sie, dass sie durch den Tod ihres Vaters Offenheit für den Schmerz und das Leiden aller Menschen überall entwickelte und auf den buddhistischen Weg vorbereitet wurde. Die Wahrheit des universellen Leidens ist die erste der Vier Edlen Wahrheiten des Buddha, seiner grundlegenden Lehre, die den Weg zur Befreiung beschreibt.

Nellie hatte gesehen, dass ihr Mann tot war, indem er ihr eines Morgens, fünf Tage vor Eintreffen des Telegramms, am Fußende ihres Bettes erschien. Sie erlitt einen Beinahe-Zusammenbruch, machte aber weiter. Als sie sich erholt hatte, verkündete sie sehr entschieden, sie werde nie wieder den Fuß in eine Kirche setzen. Sie begründete es damit, dass sie nicht länger an einen Gott glauben könne, der einen so guten Menschen wie ihren Mann wegnähme oder eine Frau von ihrem Ehemann trennte, den sie so sehr liebte. Später heiratete sie einen anderen Frank, Francis Swann, einen Eisenbahnangestellten. Er war der Jüngste von elf Geschwistern und lebte mit drei ledigen Schwestern nicht weit von Nellie entfernt. Freda räumte freimütig ein, dass es keine Ehe Jungverliebter war.

»Frank Swann war 35 und es kam ihm in den Sinn, dass es eine gute Idee sei, die junge Witwe zu heiraten – es war eine Verbindung zweier Menschen, die beschlossen hatten, den Rest ihres Lebens zusammen zu verbringen. Mein zweiter Vater war ein gutmütiger, freundlicher Mann, der seinen eigenen Interessen nachging (hauptsächlich Amateurtheater) und sich nie in unsere Erziehung einmischte.«

Das zweite Kindheitsdrama Fredas ereignete sich, als sie mit elf Jahren an Diphtherie erkrankte. Eine Epidemie überzog das Land und viele Kinder starben daran. Penicillin war noch nicht erfunden worden, und Freda wurde immer schwächer. Als Nellie sah, dass ihre Tochter im Sterben lag, folgte sie ihrer Intuition und brachte sie zu einem Arzt in Nottingham, der verschrieb, sie solle in einem Zelt im Garten untergebracht werden. Seltsamerweise wirkte die unorthodoxe Behandlung.

»Er muss ein genialer Arzt gewesen sein, denn unter der Buche und beim Goldregen war ich bald auf dem Weg der Besserung«, schrieb Freda in ihr Notizbuch. Von jenem Tag an hatte Freda eine Vorliebe für Zelte, in denen sie sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufhielt – und ihre Kinder nahm sie mit, sei es in die hohen, abgelegenen Ausläufer des Himalaya oder zu kuriosen kahlen Grünflächen in Delhi. In ihren Tagebüchern führt sie ihre Liebe zu Zelten auf ein früheres Leben als Nomadin in Tibet zurück, ebenso wie ihr tiefes Gefühl für das umliegende Land, in dem sie aufwuchs.

»Ich liebte die offene Landschaft von Derbyshire. Sie hat etwas Geheimnisvolles, Esoterisches an sich – schwarze Felsformationen, kurzes Gras, Steinmauern wie die Mani-Steine, die ich in Tibet gesehen habe. Keine andere englische Grafschaft ist so, außer vielleicht Cornwall«, schrieb sie.

Freda und John streiften stundenlang frei über die Hügel und Täler von Derbyshire, sammelten Pilze und Brombeeren, flochten Gänseblümchenkränze. Sie wanderten durch Blauglöckchenwälder, erkundeten den magischen Sherwood Forest (Robin Hoods Versteck) und besuchten Derbys großartige alte Herrenhäuser, wie Pemberley, heute eine Pilgerstätte für Anhänger und Anhängerinnen von Mr. Darcy, dem Helden aus Jane Austens »Stolz und Vorurteil«. Und sie kauften frische Butter von den kleinen, über das Land verstreuten Bauernhöfen.

»Wir waren sehr glücklich«, sagte sie einfach. Fredas Liebe zur Natur, die an Pantheismus grenzte, verließ sie nie. Sie prägte ihre Poesie, ihre Schriften, ihre ureigenste Seele, und wann immer sie darüber sprach, geriet sie ins Schwärmen: »Ich erinnere mich an den köstlichen Duft des Fliederbaums vor der Küchentür und an den Birnbaum, dessen Blüten in den magischen Frühlingstagen über die Gartenmauer fielen.«

Es war eine unverdorbene, geordnete Kindheit aus einer vergangenen Epoche.

Nellie nähte, kochte Obst und Gemüse ein, machte Marmelade, Pickles und Limonade aus Kräuter- und Wurzelextrakten. Die einzige Unterhaltung lieferte ein Kristallradio, das ins Haus kam, als Freda elf war. Sie versammelten sich abends darum und stachen es mit einem Teil, das »Katzenschnurrhaar« genannt wurde, um so die empfindliche Stelle zu finden, die es zum Leben erweckte.

Während dieser prägenden Jahre nährte Freda die ihr innewohnende spirituelle Veranlagung, die im weiteren Verlauf ihres Lebens fortbestehen und wachsen sollte, bis sie ihre gesamte Existenz beherrschte. Sie beschrieb ihre Entwicklung folgendermaßen: »Ich war eine Christin, aufgewachsen in einer christlichen Familie. Meine Mutter hatte sich zwar von Gott abgewandt, aber sie schickte mich dennoch in die Sonntagsschule und dann in die Kirche, weil sie dachte, ihr Mann hätte es so gewollt. Meine Patentante, Tante Lilly, liebte mich sehr; sie war ein stiller Einfluss, der Freude mit sich brachte. Sie hat mir immer Kirchenlieder vorgespielt.«

Es war ihre Konfirmation mit vierzehn Jahren in der St. Peter’s Church in Littleover, die ihr wirklich die Tür zur Spiritualität öffnete. »Als ich die Heilige Kommunion empfing, spürte ich, dass da etwas anders war – es war eine direkte Kommunikation, ein Gefühl der Ehrfurcht vor dem Göttlichen«, sagte sie. Ihr Pfarrer, den sie wegen seiner Brille und Hakennase »Brown Owl« nannte, war misstrauisch. »Er sah, dass ich mich mehr für die Messe interessierte als die meisten Mädchen, und warnte meine Mutter, sie solle ein Auge auf mich haben. Das war damals eine typische Haltung der Church of England, die von Feiern und Zusammenkünften besessen war und der jegliches Verständnis für alles, was mit dem spirituellen Leben im tiefsten Sinne zu tun hatte, fehlte.«

Eine tiefe Sehnsucht wurde dadurch in ihr ausgelöst, die ihr ganzes Leben weiterbestehen sollte. Wie immer wandte sich Freda Büchern zu, um herauszufinden, was diese Sehnsucht war und was sie bedeutete. »Ich las anglo-katholische Autoren und Heiligenbiografien, darunter die Lebensgeschichte der heiligen Thérèse von Lisieux und das Buch des heiligen Johannes vom Kreuz, um herauszufinden, wie sie diesen erhabenen Zustand erreicht hatten. Das war ein Wendepunkt. Ich entdeckte, dass all diese Heiligen der Vergangenheit nach der Wirklichkeit, der Wahrheit gesucht hatten und sich nicht zufriedengaben, bis sie nicht eine unmittelbare intuitive Einsicht in das Licht, das Leben im Kosmos, erlangt hatten. Damit begann ein neuer Gedankengang. Wenn sie das können, warum kann ich dann nicht auch ruhig in der Kontemplation dasitzen?«

Freda hatte herausgefunden, dass das, wonach sie suchte, nicht in einem Dogma zu finden war, sondern nur dadurch, dass sie sich nach innen wandte. »Ich erkannte, dass die Predigten von Brown Owl und all das, was in der Kirche geschah, überhaupt keine Bedeutung für mich hatten«, sagte sie.

In ihrer Nähe gab es niemanden, der ihr helfen konnte. Das England der 1920er-Jahre hatte in der Regel noch nicht einmal von Meditation gehört. Christmas Humphreys, ein Richter und Gelehrter, eröffnete 1926 die erste buddhistische Gemeinschaft, die Buddhist Society am Eccleston Square in London. Die Theosophen hatten sich also bereits mit buddhistischen Themen beschäftigt, doch war davon noch nichts zu den Bibliotheken, Schulen oder Häusern in der Gegend durchgesickert.

Freda war nicht nur aufrichtig, sondern auch außerordentlich entschlossen – ungewöhnliche Wesenszüge für ein so junges Mädchen. »Mir fiel nichts anderes ein, als zu den Zeiten in die Kirche zu gehen, wenn niemand sonst da war. Ich schlich mich immer in den frühen Morgenstunden vor der Schule von zu Hause weg, saß allein in den Kirchenbänken und wartete einfach. Da war immer ein Gebet in meinem Herzen, mit dem ich Gott erreichen wollte, oder wie auch immer man diese Macht oder Liebe jenseits des Denkens nennen mag. Mein tiefes Interesse war allein auf das gerichtet, was ich durch direktes intuitives Verstehen herausfinden konnte.«

Sie hatte den ersten Schritt der spirituell Suchenden getan und sich auf eine Reise begeben, die fast vierzig Jahre dauern sollte – bis sie irgendwann den Weg fand, nach dem sie suchte.

Derweil steckte sie ihre Nase ständig in Bücher. Die Wahl ihrer Lektüre enthält Hinweise darauf, in welche Richtung es für sie ging: »Wann immer mir etwas aus dem Osten in die Hände fiel – Dichtung, Literatur jeglicher Art –, reagierte ich darauf immer auf einer tieferen Ebene als normalerweise«, sagte sie.

– 2 –

DIE WELT ERWEITERT SICH

FREDA WAR EBENSO SEHR VERSTANDESGETRIEBEN, wie sie von ihren innewohnenden spirituellen Impulsen motiviert wurde. Sie war als kluges, fleißiges Mädchen bekannt und zeichnete sich auch im Unterricht dadurch aus. 1917 besuchte sie die neu eröffnete Parkfields Cedars Schule in der Kedleston Road, deren Leitmotto lautete »Herausragende Mädchen hervorbringen«. Freda liebte sie. In glühenden Worten beschrieb sie die weitläufigen Rasenflächen, die herrliche Eichentäfelung, die geschwungene Treppe, die gut ausgestattete Bibliothek, die stattlichen Zedern und die engagierten unverheirateten Lehrerinnen, die »für ihre Arbeit leben und die Kinder lieben. Ich sehe noch immer die Leiterin, Miss Kay, vor mir, eine Schottin, vom Typ her ziemlich kräftig und einer Bulldogge ähnlich, mit der Wintersonne im Rücken, die ihr weißes Haar zum Leuchten brachte, während sie das Morgengebet sprach. Ihr Umgang mit der Bibel war nüchtern, besonders mit dem Alten Testament und den Psalmen Davids. Neben ihr hing ein Bild, Botticellis ›Verkündigung‹. Das Morgengebet war für mich eine Zeit der Freude.«

Freda wurde schließlich »Head Girl«, eine Schulsprecherin, die offiziell die Schule repräsentierte. »Wir wussten, dass sie klug war, völlig vernarrt in Bücher«, sagte Pauline Watson, Fredas Nichte. »Als ich eine ihrer Schulfreundinnen besuchte, erzählte sie mir, dass Freda anders war als die meisten von ihnen – sie interessierte sich nicht für Partys oder einen Freund. Sie hatte ihre Ziele und steuerte darauf zu.«

Das war in den 1920er-Jahren im Großbritannien der Nachkriegszeit; und während sich die meisten jungen Mädchen mit Flapper-Kleidern, Fransen und Frivolität amüsierten, begnügte sich Freda mit Gesellschaftstanz und künstlerisch-handwerklicher Betätigung. Und sie folgte ihrer Mutter auf den Golfplatz – Golf war der einzige Sport, der sie interessierte. Sie schwamm nur ungern in den örtlichen Bädern, war aber dankbar, dass sie schwimmen gelernt hatte, denn in den Seen von Kaschmir hatte sie später im Leben viel Freude daran.

Vor allem jedoch tat sie sich in der Schule hervor, besonders in Literatur und Sprachen. Hilfreich war dabei ihr fotografisches Gedächtnis, von dem sie jedoch nie viel Aufhebens machte. Besonders einer Lehrerin, Miss Glass, war sie ihr Leben lang dankbar, denn diese lehrte Freda Französisch. Freda hatte eine besondere Begabung für diese Sprache, die sie, wie sie glaubte, ihrem mysteriösen französischen Urgroßvater mütterlicherseits verdankte.

»Ob es nun von meinem Urgroßvater kam oder nicht, Miss Glass erkannte und förderte mein besonderes Talent für Französisch, lieh mir Bücher, brachte mich so weit, dass ich schnell lesen konnte, und vermittelte mir eine große Wertschätzung für französische Literatur. Alles, was ich in Französisch erreicht habe, brachte mich nach Oxford, und das ist ihr Verdienst. Ich kann ihr nicht genug dafür danken«, erklärte sie. »Die Geschichte meiner Kindheit dreht sich insgesamt darum, mich – bewusst oder unbewusst – so weit zu entwickeln, dass ich an der Universität Oxford aufgenommen werden konnte.«

Trotz ihrer natürlichen Intelligenz stand die Universität ursprünglich nicht auf Fredas Agenda, schon gar nicht Oxford. Einen solchen Ehrgeiz hatte sie nie. Sie ging davon aus, dass sie in Derbyshire bleiben und ein ruhiges, häusliches, wenn auch arbeitsames Leben führen würde, ebenso wie ihre Mutter. Es war ein Meisterstück des Schicksals, das Fredas Zukunft bestimmte, und es kam in Form von Elsie Ludlow daher, einer Schulfreundin, deren Quäker-Familie wollte, dass sie nach Oxford ging. »Elsie war ein unternehmungslustiges Mädchen, aber nicht die Hellste. Sie bat mich, mit ihr für die Aufnahmeprüfung zu lernen, weil sie wusste, dass ihr der Antrieb fehlte, um es allein zu schaffen. Spontan nahm ich mit ihr an der Prüfung teil, ohne große Vorbereitung. Zu meiner großen Überraschung wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, Elsie jedoch nicht. Mir wurde gesagt, dass ich gute Chancen hätte, im folgenden Jahr für ein Französischstudium aufgenommen zu werden, wenn ich meine Sprachkenntnisse aufpolierte.«

Nachdem sie neun Monate bei ihrer französischen Brieffreundin in Reims verbracht und die örtliche Schule besucht hatte, klappte es schließlich. Obwohl Freda zugab, dass sie den Klang und Tonfall der französischen Sprechweise eigentlich nicht mochte – sie sagte, sie gingen ihr auf die Nerven –, war ihr neuer französischer Akzent hilfreich bei ihrer nächsten Oxford-Prüfung, die sie bestand. Es war ein außergewöhnlicher Anfangserfolg, dessen Abschluss aber immer noch in quälend unerreichbarer Ferne lag. Ihre Familie hatte einfach nicht genug Geld. Unbeirrt setzte sich Freda das Ziel, ein Stipendium zu erhalten. Die Konkurrenz derjenigen, die an die älteste und renommierteste Universität Englands wollten, war groß – es gab 300 Bewerbungen, aber nur zwölf Plätze wurden vergeben. Doch Freda hatte Erfolg. Sie nahm die Nachricht mit bemerkenswerter Gelassenheit auf.

»Eines Tages erhielt ich einen Brief, in dem stand, dass mir eine ›Beihilfe‹ für das St. Hugh’s College in Oxford gewährt worden sei. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was das bedeutete. Es erwies sich als ein Studiengebührenstipendium, das mit einer bestimmten Geldsumme pro Monat dotiert war. Ich steckte den Brief in meine Tasche und stieg in der Huddleston Road in die Straßenbahn zur Schule.« Zufälligerweise saß Miss Glass, die Französischlehrerin, am anderen Ende der Bahn. »Als wir die Haltestelle Parkfields Cedars erreichten, holte ich den Brief heraus und zeigte ihn ihr. Sie schaute mich ungläubig an und sagte mit zitternder Stimme: ›Heißt das, du hast die ganze Zeit hier in der Straßenbahn gesessen und bist damit nicht sofort zu mir gekommen?‹« Das war bezeichnend für Fredas sehr ruhige, kontrollierte und nüchterne Reaktion auf die dramatischen Dinge, die das Leben ihr bescherte.

In Parkfields Cedars wurde Freda als das erste Mädchen gefeiert, das in Oxford angenommen worden war, und das auch noch mit einem Stipendium. Freda war jedoch noch immer weit davon entfernt, dorthin gehen zu können. Sie hatte zwar jetzt das Geld für die Studiengebühren, aber nicht genug für die Unterbringung und Lebenshaltungskosten. Aufs Neue von Miss Glass ermutigt, bemühte sie sich um zwei weitere Stipendien, eines von der Grafschaft und das andere vom Staat – beide wurden ihr bewilligt. »Schließlich reichte das Geld für drei Trimester plus dreiunddreißig Pfund an Taschengeld. Meine Mutter versorgte mich mit der Kleidung, die ich brauchte.«

Im Herbst 1929 reiste eine naive achtzehnjährige Freda mit Zug, Straßenbahn und Fahrrad nach St. Hugh’s – eins der schönsten Colleges in Oxford. Elizabeth Wordsworth (die Großnichte des Dichters William Wordsworth) gründete es speziell für Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen. Es herrschte strenge Geschlechtertrennung. St. Hugh’s war eines von nur drei Frauen-Colleges, denn Oxford war eine Bastion männlicher Privilegien, wo Studienabschlüsse von Frauen bis 1920 noch nicht einmal gesetzlich anerkannt wurden. Dennoch hatte St. Hugh’s schnell den Ruf, Frauen hervorzubringen, die sich charakterlich durch außergewöhnlich radikale Entschlossenheit auszeichneten. Männer werden dort erst seit 1986 zugelassen.

»Es war eine sehr stille kleine Studentin, die nach St. Hugh’s kam und den langen Umhang zu den Vorlesungen trug«, räumte Freda ein. Oxford öffnete ihr die Türen zur Welt. In St. Hugh’s tat sie sich mit einer kleinen Gruppe Studentinnen zusammen, die später mit zu den einflussreichsten Persönlichkeiten ihrer Zeit gehören sollten. Sie blieben über Jahre hinweg Freundinnen. Von nun an mischte sich Freda mühelos unter die Prominenten und Mächtigen aus allen Kulturen und Lebensweisen.

Angeführt wurde die Schar von der unnachahmlichen, streitbaren Barbara Betts, später besser bekannt als Barbara Castle. Sie war die erste Frau, die First Secretary of State wurde – unter Premierminister Harold Wilson –, und sie galt als eine der wichtigsten Labor-Politikerinnen des 20. Jahrhunderts. Barbara hatte großen Einfluss auf Fredas Leben und lotste sie weg von ihrer provinziellen Erziehung, hin zu einem unendlich viel wagemutigeren, weltgewandteren Leben.

»Barbara brachte das Flair des englischen Nordens mit, wo ich aufgewachsen war, und die handfeste Ausstrahlung der großen Pioniere des englischen Sozialismus«, kommentierte Freda. Auch Olive Salt Gorton gehörte zu ihrem Kreis. Sie wurde zu einer Säule der BBC und durchbrach Klassenschranken, indem sie einführte, dass regionale Akzente über den Äther gesendet wurden und teilweise die distinguierte Artikulation der »allgemein anerkannten Aussprache« ersetzten. »Olive holte die Leute in England mit Programmen wie ›Unter dem Brückenbogen‹ zur BBC. Sie brachte das Mikrofon zu den Menschen auf der Straße.« Und dann war da noch Olive Chandler, die Freda besonders mochte und mit der sie lebenslang in brieflichem Austausch blieb: »Sie war ein ruhiges, kleines nonnenhaftes Mädchen und hatte etwas von einer sanften Taube an sich; sie war so etwas wie mein gutes Gewissen. Wenn sie sah, dass ich mich zu sehr für Aktivitäten außerhalb des Colleges begeisterte, brachte sie mich immer zu meinen Büchern zurück und passte auf mich auf.« Doch nicht nur Freda schätzte ihre Freundinnen ein, auch diese hatten eine Meinung über sie, die Barbara Castle in ihrer Autobiografie »Fighting All the Way« (etwa: »Kämpfen bis zum Schluss«) zusammenfasst: