Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) - Charles Benoy - E-Book

Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) E-Book

Charles Benoy

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Beschreibung

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie zählt zu den bekanntesten Verfahren der "dritten Welle" der Verhaltenstherapie. Sie ist evidenzbasiert und international etabliert. Im Vergleich zu traditionelleren KVT-Ansätzen zeichnet sie sich v.a. durch ihr transdiagnostisches Vorgehen sowie ihre spezifische therapeutische Haltung aus. Dieses Werk bietet eine fundierte praktische Einführung in die ACT. Neben den therapietheoretischen Grundlagen stellt es das diagnostische und therapeutische Vorgehen vor und gibt praktische Hinweise zur therapeutischen Beziehung und der Anwendung in verschiedenen Settings.

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Inhalt

Cover

Titelei

Geleitwort zur Reihe

1 Ursprung und Entwicklung des Verfahrens

2 Verwandtschaft mit anderen Verfahren

2.1 Die ACT im Gesamtkanon psychotherapeutischer Methoden

2.2 Hinweise zur praktischen Nutzung der ACT im Einklang mit anderen psychotherapeutischen Ansätzen

3 Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen

4 Kernelemente der Diagnostik

4.1 Diagnostik der psychischen Flexibilität

4.2 Diagnostik der ACT-Kernprozesse

4.2.1 Werte

4.2.2 Hier und Jetzt

4.2.3 Akzeptanz

4.2.4 Defusion

4.2.5 Selbst-als-Kontext

4.2.6 Engagiertes Handeln

4.3 Fragebogenbasierte Diagnostik Prozessbasierter Psychotherapie

5 Kernelemente der Therapie

5.1 Die psychische Flexibilität im Fokus – nicht die Symptomreduktion

5.2 Erfahrungsorientierung

5.3 Metaphern

5.4 Kreative Hoffnungslosigkeit

5.5 Das Hexaflex

5.6 Hier und Jetzt

Achtsamkeitsübungen: formell und informell

5.7 Akzeptanz

5.8 Defusion

5.9 Werte

Ziele versus Werte

5.10 Engagiertes Handeln

Motivation zur Handlung – auch wenn es mal nicht funktioniert

5.11 Selbst-als-Kontext

Selbst-als-Kontext versus Selbst-als-Konzept

5.12 Die ACT-Matrix

5.12.1 Erarbeiten der Matrix

5.12.2 Weiterarbeiten mit der Matrix

6 Klinisches Fallbeispiel

6.1 Fallkonzeption

6.2 Diagnostik

6.3 Ziele und Kreative Hoffnungslosigkeit

6.3.1 Beispielsituation: Kreative Hoffnungslosigkeit

6.4 Behandlungsverlauf: Beispielsituationen für jeden ACT-Prozess

6.4.1 Beispielsituation: Hier und Jetzt

6.4.2 Beispielsituation: Akzeptanz

6.4.3 Beispielsituation: Defusion

6.4.4 Beispielsituation: Werte

6.4.5 Beispielsituation: engagiertes Handeln

6.4.6 Beispielsituation: Selbst-als-Kontext

6.5 Beispiel: ACT-Matrix

6.6 Therapieende

7 Hauptanwendungsgebiete

7.1 Anwendung der ACT bei bestimmten Zielgruppen

7.2 Evidenzlage für verschiedene Anwendungsgebiete

7.3 Nutzung der ACT bei verschiedenen Anwendungsgebieten in der Praxis

7.3.1 Fallkonzeption und Behandlungsplanung mit der ACT

8 Settings

8.1 Ein Konzept – verschiedene Settings

8.2 Die ACT als Therapieansatz im psychotherapeutischen Einzelsetting

8.3 Gruppentherapeutische Umsetzung der ACT

8.4 Besondere Chancen und Herausforderungen der ACT in der Anwendung bei Krankenhausbehandlungen

8.4.1 Implementierung und konkrete Ausgestaltung der Behandlungen nach der ACT in Kliniksettings

8.4.2 Die Arbeit mit der ACT im klinischen Team – Besonderheiten multidisziplinärer Anwendungen

9 Die therapeutische Beziehung

9.1 Auf Augenhöhe

9.1.1 Patient:innen als Expert:innen

9.1.2 Funktion vor Form

9.2 ACT-Therapeut:innen als Modell, Unterstützung und Verstärkung

9.2.1 Modellieren eigener psychischer Flexibilität

9.2.2 Prozesse anstoßen und Fähigkeiten unterstützen

9.2.3 Markieren und verstärken

9.3 Das ACT-Hexaflex auf Therapeut:innen angewendet

10 Evidenz zu der ACT

11 Institutionelle Verankerung

12 Infos zu Aus-‍, Fort- und Weiterbildung

Literatur

Sachwortverzeichnis

Psychotherapie kompakt

Herausgegeben von Nina Heinrichs, Rita Rosner, Günter H. Seidler,Carsten Spitzer, Rolf-Dieter Stieglitz und Bernhard Strauß

Begründet von Harald J. Freyberger, Rita Rosner, Ulrich Schweiger,Günter H. Seidler, Rolf-Dieter Stieglitz und Bernhard Strauß

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/psychotherapiekompakt

Die Autoren

Dr. phil. Charles Benoy, Psychologischer Psychotherapeut, Rehaklinik des Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique (CHNP), Luxemburg und Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel (UPK), Schweiz.

Prof. Dr. rer. medic. Nina Romanczuk-Seiferth, Psychologische Psychotherapeutin, Diplom-Psychologin, MSB Medical School Berlin.

Dr. phil. Jeanette Villanueva, Psychologische Psychotherapeutin, Clienia Schlössli AG und Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel (UPK), Schweiz.

Prof. Dr. phil. Andrew T. Gloster, Leiter der Abteilung für Klinische Psychologie und Interventionswissenschaft und Studiengangsleiter der Weiterbildung für Prozessbasierter Psychotherapie, Universität Basel, Schweiz.

Charles BenoyNina Romanczuk-SeiferthJeanette VillanuevaAndrew T. Gloster

Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-041791-5

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-041792-2epub:ISBN 978-3-17-041793-9

Geleitwort zur Reihe

Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.

Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung entsprechen, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu beschaffen. Diesen Bedürfnissen soll die Buchreihe »Psychotherapie kompakt« entgegenkommen.

Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthalten.

Nina Heinrichs (Bremen)Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)Carsten Spitzer (Rostock)Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)Bernhard Strauß (Jena)

Die Buchreihe wurde begründet von Harald J. Freyberger, Rita Rosner, Ulrich Schweiger, Günter H. Seidler, Rolf-Dieter Stieglitz und Bernhard Strauß.

1 Ursprung und Entwicklung des Verfahrens

Etwa zu der Zeit, als der Behaviorismus für tot erklärt wurde (Wyatt et al. 1986), wurden ernsthafte verhaltensanalytische Überlegungen und Experimente zur Sprache und Kognition klinischer Phänomene durchgeführt. Anerkennend, dass Denken, Glauben, Fühlen, Erinnern, Rechtfertigen, Argumentieren, Leugnen, Vermeiden, Ängste usw. zentrale Aspekte des menschlichen Daseins sind, wollten Forschende wissen, ob sich die Präzision der Verhaltensanalyse auf diese Phänomene ausweiten lässt. Anders ausgedrückt: Sie wollten herausfinden, wie verbales Verhalten an der Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung von klinisch relevantem Verhalten beteiligt ist (Zettle 2005). Im Gegensatz zu den üblichen kognitiven Interpretationen wurden Denken, Glauben und dergleichen jedoch nicht als kausal betrachtet. Stattdessen wurden sie aus der verhaltensanalytischen Perspektive einfach als weitere Verhaltensweisen betrachtet. Als »kognitive Kontrolle« als eine mögliche Beziehung zwischen Verhalten und Verhalten rekonzeptualisiert wurde, wandelte sich die Frage »Welche Rolle spielen Gedanken bei der Kontrolle menschlichen Verhaltens?« in die Frage »Welche Umstände führen dazu, dass ein Verhalten, nämlich Denken, auftritt und ein anderes Verhalten beeinflusst?« (Zettle 2005, S. 79).

Diese scheinbar subtile Veränderung des Schwerpunkts führte die Forschenden schnell zu anderen Arten von Fragen. So berufen sich Erklärungen von Patient:innen über ihr Verhalten häufig auf Regeln über ihre innere Welt: »Ich habe in der Sitzung nicht gesprochen, weil ich Angst hatte« bezieht sich auf implizite Regeln über die Kausalität von Gefühlen. Der verhaltensanalytische Ansatz versuchte zu verstehen, wie verbale Regeln im Allgemeinen funktionieren und auf welche Weise solche verbalen Regeln zu dysfunktionalem Verhalten beitragen (Hayes 1987). Schnell musste festgestellt werden, dass verbale Regeln und Kognition anders funktionieren als andere Arten von Reizen. Verbales Verhalten beinhaltet relationales Reagieren, das »Sprechen mit Bedeutung und Zuhören mit Verständnis« einschließt (Hayes und Hayes 1989, S. 177). Dieses Verständnis des verbalen Verhaltens ging über Skinner hinaus und entwickelte sich zu dem, was heute als Bezugsrahmentheorie (auf Englisch: Relational Frame Theory, RFT) bekannt ist (Hayes, Barnes-Holmes und Roche 2001). Eine wichtige therapeutische Implikation, die sich aus der Bezugsrahmentheorie ableiten lässt, ist, dass es möglich ist, Bedingungen, die zu verbalen Regeln führen, zu ändern, ohne den Inhalt der verbalen Regel selbst zu ändern. In Anlehnung an das obige Beispiel der Angst bedeutet dies, dass ein:e Kliniker:in die/den Patient:in nicht von seiner Angst befreien muss, bevor er in einer Sitzung sprechen kann. Vielmehr kann das Bewusstsein dafür, dass man dieser verbalen Regel folgt, zu einer Lockerung der Kontrolle dieser Regel über das Verhalten der Person führen: »Ich stelle fest, dass ich Angst habe, und ich spreche in der Sitzung.«

Parallel zu den Forschungsarbeiten, die zur Bezugsrahmentheorie führten, wurden auf der Grundlage dieses Verständnisses von verbalem Verhalten klinische Interventionen entwickelt, die schließlich zur Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) führten. Die erste therapeutische Ableitung, bekannt als Comprehensive Distancing (Übersetzung: ganzheitliches Distanzieren) (Hayes 1981; Zettle und Hayes 1982), war eine Neukonzeptionierung der kognitiven Therapie von Beck (Beck et al. 1979). Die Interventionen zielten auf dysfunktionales verbales Regelbefolgen und beschrieben Verfahren, die dem ähneln, was heute unter den Begriffen Achtsamkeit und Defusion bekannt ist (mehr zu Achtsamkeit und Defusion mit Beispielen in ▸ Kap. 5 und ▸ Kap. 6). Das Comprehensive Distancing beinhaltete Hausaufgaben (wie die meisten verhaltenstherapeutischen Verfahren), aber im Gegensatz zur späteren ACT bezogen sich die Hausaufgaben nicht auf selbstgewählte innere Werte. Die Wertearbeit (Identifizierung und Klärung von selbstgewählten inneren Werten) wurde eingeführt, um Patient:innen zu ermöglichen, konstruktive Verhaltensweisen auf der Grundlage von persönlichen Werten zu entwickeln, anstatt unerwünschte oder nicht hilfreiche Verhaltensweisen zu reduzieren. Die Bezugsrahmentheorie als Leitfaden nutzend, wurden Werte als verbal konstruierte Konsequenzen (d. h. Wenn-dann-Aussagen) definiert, die verstärkend wirken. So konzipiert sind Werte für Patient:innen immer verfügbar und ermöglichen es ihnen, nicht hilfreiche verbale Regeln durch flexible Leitfäden zu ersetzen, die die Wahrscheinlichkeit einer sichtbaren Verhaltensänderung erhöhen.

Die erste ausführliche Darstellung der ACT in Buchform wurde 1999 veröffentlicht (Hayes, Strosahl und Wilson 1999) und im Jahr 2012 umfassend überarbeitet und aktualisiert (Hayes, Strosahl und Wilson 2012). Seit der Veröffentlichung des ersten Werkes hat die Forschung zu ACT exponentiell zugenommen, mit über 1.000 randomisierten kontrollierten Studien (RCT) (ACBS 2023). Gleichermaßen hat sich die ACT auch geografisch ausgebreitet, mit Forschungs- und Praxisteams in Europa, Asien, Afrika, Südamerika und Australien, zusätzlich zu ihrem Ursprung in Nordamerika. ACT gilt heute als empirisch gut gestützte Behandlung für viele Erkrankungen (mehr zu Evidenz in ▸Kap 10). Sie wird auch in verschiedenen Bereichen außerhalb des klinischen Settings (z. B. in Klassenzimmern, im Sport, in der Wirtschaft usw.) sowie im öffentlichen Gesundheitswesen angewandt (z. B. Acarturk et al. 2022).

So beeindruckend und wichtig diese Entwicklung auch sein mag, sie ist nicht unbedenklich. Wie bereits zuvor erwähnt, ist die ACT aus der Verhaltensanalyse hervorgegangen. Sie betont als solche ein Verständnis des Kontexts, in dem das Verhalten auftritt, und der Bedingungen, die zu diesem Verhalten führen. Dieses tiefgreifende Verständnis von Verhalten im Kontext steht nicht grundsätzlich im Widerspruch zu randomisiert kontrollierten Therapiestudien. Wenn aber die von ACT abgeleiteten Prinzipien als isolierte Techniken angewandt werden, dann ist das Ergebnis möglicherweise nicht mehr kontextsensitiv und somit weit entfernt vom ursprünglichen Geist der ACT. Dabei hilft die ACT in ihrer flexibelsten Form Therapeut:innen dabei, sich an relevanten zugrunde liegenden Prozessen zu orientieren. In der Tat hat eine erneute Fokussierung auf Prozesse begonnen – ein Thema, das später erneut behandelt werden wird.

Die ACT entwickelte sich in einem Zeitgeist mit anderen Verhaltenstherapien der sogenannten »dritten Welle« (▸ Kap. 2). Die wichtigsten davon für die konzeptionelle Entwicklung der ACT waren die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT; Linehan 2014) und die Funktionalanalytische Psychotherapie (FAP; Kohlenberg und Tsai 1991). Beide haben gemeinsame verhaltensanalytische Wurzeln. Die DBT, die ursprünglich für das Borderline-Syndrom entwickelt wurde, nutzte verhaltensanalytisches Denken, um die Reaktionen auf die eigenen Emotionen zu beschreiben. Die FAP verwendet verhaltensanalytisches Denken, um die Interaktion zwischen Therapeut:in und Patient:in innerhalb der Sitzung zu analysieren.

Neuere Entwicklungen innerhalb der klinischen Psychologie werden nun unter dem Begriff der prozessbasierten Therapieansätze subsumiert (PBT: Hayes et al. 2020). Die PBT ist hingegen keine Therapie, sondern eher eine Art und Weise, Therapien zu betrachten. Die PBT bietet einen Rahmen für das idionomische Verständnis von Patienten über sechs Prozesse (Emotion, Kognition, Aufmerksamkeit, Selbst, Motivation und Verhalten) und zwei Ebenen (sozial und biophysiologisch) (Die Idionomik bezieht sich darauf, dass zunächst die therapeutischen Veränderungen innerhalb eines Individuums verstanden werden und erst dann normatives Wissen generiert wird, wenn Letzteres nicht gegen das verstößt, was über individuelle Veränderungen bekannt ist). Mit Hilfe dieses Rahmens können alle adaptiven und maladaptiven Verhaltensweisen analysiert und verstanden werden. Es ist kein Zufall, dass ACT in diesen Rahmen passt (Akzeptanz, Defusion, Hier und Jetzt, Selbst-als-Kontext, Werte und engagiertes Handeln), da ACT infolge seiner verhaltensanalytischen Wurzeln von Anfang an auf Prozesse ausgerichtet war. Ein Ziel der PBT ist es, unser klinisches Wissen über die unzähligen Psychotherapieansätze, die es gibt, zu organisieren. Da dieser Ansatz meist dem entspricht, wie Therapeut:innen sowieso schon arbeiten, ist zu hoffen, dass dieser prozessbasierte Ansatz als hilfreiche Ergänzung dienen kann.

Merke

Prozessbasierte Psychotherapieansätze (PBT) bieten einen Rahmen, um therapeutische Prozesse und ihre Anwendung im Kontext bestimmter Patient:innen zu verstehen. Die PBT ist schulübergreifend und integriert unterschiedlichstes Psychotherapiewissen.

2 Verwandtschaft mit anderen Verfahren

2.1 Die ACT im Gesamtkanon psychotherapeutischer Methoden

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) lässt sich in ihren Wurzeln und ihrer aktuellen Ausrichtung im Gesamtkanon der psychotherapeutischen Methoden bei den Verhaltenstherapien bzw. deren Weiterentwicklungen einordnen. Sie integriert verhaltenstherapeutische und kognitive Methoden und ist wie diese in verschiedenen Settings anwendbar, umfassend erforscht und ihre Wirksamkeit gut wissenschaftlich belegt (▸ Kap. 3, ▸ Kap. 10). Die ACT basiert in ihren philosophischen Grundlagen auf dem sogenannten funktionalen Kontextualismus (siehe z. B. Gifford und Hayes 1999) und ist als therapeutischer Ansatz aus den kontextuellen Verhaltenswissenschaften heraus entstanden, hier besonders auf Basis der sogenannten Bezugsrahmentheorie (▸ Kap. 1). Aufgrund der Bedeutung emotionaler und motivationaler Aspekte in der ACT wird sie zudem innerhalb der Verhaltenstherapien den Methoden der sogenannten »dritten Welle« zugeordnet, wozu z. B. auch die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (Segal et al. 2001) oder die Schematherapie (Young et al. 2003) gehören. Im Fokus stehen die Fähigkeiten der Betroffenen im Umgang mit belastend erlebten Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen, Kompetenzen der Ent-Automatisierung und bewussten Verhaltenssteuerung sowie die Bedeutsamkeit wertorientierten Handelns. Die ACT zielt dabei – anders als die meisten anderen aktuellen Psychotherapieansätze – nicht auf einzelne Syndrome oder Erkrankungen ab, sondern ist prozessbasiert und transdiagnostisch angelegt. Dies bedeutet, dass die ACT die Arbeit an zentralen, für die mentale Gesundheit relevanten Mechanismen über verschiedenste Störungsbilder hinweg erlaubt.

Merke

Die ACT zählt zu den modernen, evidenzbasierten Psychotherapieansätzen der sogenannten »dritten Welle«; sie ist ein transdiagnostisches und prozessbasiertes Verfahren.

Betrachten wir zur verwandtschaftlichen Einordnung der ACT einmal deren Grundannahmen und -haltungen etwas genauer: Das Konzept der ACT und die diesem Therapieansatz zugrunde liegende Sicht auf Menschen beinhaltet als einen wichtigen Baustein, dass wir Menschen uns nicht wesentlich in unserem Denken, Fühlen und Handeln voneinander unterscheiden. Das heißt, in der Arbeit mit der ACT gehen wir davon aus, dass wir Menschen grundsätzlich ähnlichen Herausforderungen begegnen, bei der Bemühung, uns auf unsere sich ständig wandelnde Umwelt einzustellen. Dies wiederum bedeutet, an ähnlichen Punkten »steckenbleiben« zu können, und zwar zunächst unabhängig davon, ob wir im Zusammenhang mit diesen Problemen in unserem Leben die jeweiligen definierten Kriterien einer psychischen Erkrankung erfüllen. In der ACT gilt daher grundsätzlich ein Prinzip der Therapie auf Augenhöhe (▸ Kap. 9). Um dies in der Praxis zu verdeutlichen, wird häufig die sogenannte »Kletterfelsen«-Metapher (vgl. »two mountains metaphor«, Hayes et al. 2003, S. 12) verwendet, in der Patient:in und Therapeut:in jeweils einen Felsen erklettern. Verdeutlicht wird hieran bildlich, dass alle Menschen mit ähnlichen Herausforderungen und Hindernissen auf dem Weg durchs Leben zu kämpfen haben. Die Hilfestellung in der Therapie wird dadurch möglich, dass Therapeut:innen aus ihrer Position einen anderen Blick auf den Weg der Patient:innen werfen können (beispielhaft zu sehen im Kasten).

»Kletterfelsen«-Metapher (aus Romanczuk-Seiferth 2022, S. 214)

Therapeut:in: »Stellen Sie sich vor, dass Leben so etwas bedeutet, wie einen Felsen zu erklettern. Jeder Mensch, auch wir beide, hat seinen eigenen Felsen, an dem er sich einen Weg durchs Leben sucht. Nehmen wir an, unsere beiden Felsen liegen in Sichtweite und treffen sich am Grunde eines Tals. Ich kann von meinem Felsen aus sehen, wie Sie Ihren Felsen erklettern. Aus meiner ganz eigenen Perspektive. Die kann ich Ihnen in der Therapie anbieten. Eine andere Perspektive auf Ihr Leben aus einem Blickwinkel von außerhalb Ihrer eigenen Erfahrungen. Es geht nicht darum, dass Sie nicht gut oder richtig klettern. Es geht auch nicht darum, ob ich bei meinen eigenen Hindernissen beim Klettern durchs Leben immer genau weiß, wie damit umzugehen ist. Wir sind beide zwei Menschen, die ihren Lebensfelsen erklettern. Aber dadurch, dass ich auf einem anderen Felsen klettere als Sie, habe ich einen Blick auf Ihren Weg, den Sie vielleicht in dem Moment nicht haben. Und damit kann ich Ihnen ein Stück weit helfen, dorthin zu klettern, wo Sie wirklich hinwollen.«

Insbesondere hinsichtlich der Perspektive auf den Menschen und das therapeutische Miteinander finden sich in der ACT also sicherlich Einflüsse oder ähnliche Grundannahmen wie in den humanistischen Ansätzen der Psychotherapie. Aber auch in der Bedeutung existenzieller Themen, wie die Arbeit zu Werten und Sinn, findet sich in der ACT eine gewisse Nähe zur humanistischen Tradition.

Charakteristisch für die ACT ist dabei allerdings stärker als in anderen Verfahren, dass diese Prinzipien nicht ausschließlich als solche benannt und postuliert werden, sondern darüber wirksam werden, dass sie im therapeutischen Alltag spürbar gelebt werden. Konkret heißt dies also auch, dass sich die Therapeutin oder der Therapeut in einer Behandlung nach der ACT selbst gezielt in Beispiele und Übungen einbezieht und im Sinne des Therapieprozesses eigene Erfahrungen mit auftauchenden Hindernissen bzw. Umgehensweisen damit teilen kann (▸ Kap. 9). Dies ergibt sich auch daraus, dass wesentliche Grundprinzipien der ACT in ihrer Gültigkeit nicht auf Menschen mit psychischen Erkrankungen beschränkt sind. So gehen wir in der ACT davon aus, dass Menschen sich dann besonders gut auf unterschiedlichste Situationen einstellen können, wenn sie hinsichtlich zentraler Prozesse des Erlebens und Verhaltens – im Sinne von zentralen Fähigkeiten und Kompetenzen – ein hohes Maß an psychischer Flexibilität aufweisen. Auch erscheint eine Orientierung an persönlichen Werten in der Navigation durch das eigene Leben mit Blick auf psychisches Wohlbefinden für alle Menschen potenziell hilfreich. Mit diesem Blick auf Menschen – Patient:innen wie Therapeut:innen – wird die Arbeit nach der ACT zu einem gemeinsamen Streben nach mehr psychischer Flexibilität und Handlungsfähigkeit im Sinne der persönlichen Werte und Wichtigkeiten. Je stärker die Therapeut:innen dem Prinzip folgen, die ACT nicht als Methode anzuwenden, sondern deren Grundprinzipien als Haltung im professionellen Rahmen mit den Patient:innen gemeinsam zu leben, desto wirkungsvoller kann die Therapie die Patient:innen bei ihren Anliegen unterstützen. Neben möglichen therapiebegünstigenden Effekten, wie z. B. der Adhärenz zum Therapieverfahren, unterstützt dieses Vorgehen sicherlich das Lernen am Modell sowie den Transfer von Inhalten aus der Therapie in den Alltag – beides bekannte und wichtige Mechanismen der Wirkung von Psychotherapien (z. B. Radkovsky und Berking 2012). Erwähnter Einbezug von persönlichen Inhalten seitens der Therapeut:innen in den Therapieprozess findet als Strategie teilweise auch in anderen Ansätzen Anwendung, beispielsweise beim »Disziplinierten persönlichen Einlassen« im Rahmen einer Therapie nach dem Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP; McCullough 2007). Allerdings erfolgt dies in der Arbeit nach der ACT nicht vorwiegend als Methode, sondern aus der oben beschriebenen Grundhaltung heraus, dass wir Menschen uns nicht wesentlich in den Mechanismen unterscheiden, die es uns an der einen oder anderen Stelle schwer machen, unseren Weg durchs Leben zu finden. Dies schafft authentisch erlebte Verbundenheit ebenso wie eine annehmende und wertschätzende Atmosphäre als wichtiges Fundament für den gemeinsamen therapeutischen Prozess.

Die Wirkung der Arbeit nach dem ACT-Ansatz basiert aber auch ganz wesentlich auf der besonderen Sicht auf das Menschsein und auf menschliches Leiden. So ist es hier eine grundlegende Annahme, dass alle Menschen leiden. Das Erleben von Leid, körperlich wie psychisch, gehört zum natürlichen menschlichen Verhaltensspektrum. Anders als vielleicht in manch anderer Perspektive auf den Menschen gilt aus diesem Blickwinkel also nicht die Abwesenheit von Leid als normal, gesund und richtig. Sondern Leiden wird zunächst als ein menschlicher Zustand angesehen. Folglich bedeutet es auch nicht, dass mit der Person etwas nicht stimmt. Egal also, ob krank oder gesund, kein Mensch ist »kaputt«. Und schließlich dient eine Psychotherapie – der Haltung in der ACT nach – daher auch nicht dazu, Leiden zu eliminieren. Wie sollte das auch gehen, wenn das Erleben von Leid menschlich und eher Norm als Ausnahme ist? Sinn und Zweck ist es vielmehr, Menschen bei der Gestaltung eines Lebens – orientiert an den persönlichen Werten – zu unterstützen. Mit Blick auf diese Grundhaltungen besteht ein gewisser Kontrast zu anderen Psychotherapieansätzen bzw. Grundhaltungen von Behandler:innen. Insbesondere zu solchen, die in eher klassischer medizinischer Tradition stehen, denn hier findet sich die Vorstellung der »Heilung« von Leid durch die Therapie besonders häufig (▸ Kap. 8). In diesem Kontrast spielen auch die funktional-kontextualistischen Wurzeln der ACT eine wichtige Rolle. In der Arbeit nach der ACT gehen wir weniger davon aus, dass es eine richtige Intervention oder eine korrekte Form der Behandlung gibt. ACT-Therapeut:innen fragen sich im Prozess immer wieder, was in einem Moment für den Kontext (d. h. mit Blick auf selbstgewählte Ziele und Werte) hilfreich ist.

Merke

Die ACT unterstützt Menschen im Umgang mit psychischen Krisen, indem sie psychische Flexibilität fördert; sie sieht Patient:innen dabei auf Augenhöhe und begleitet sie auf dem Weg zu einem Leben, das an den persönlichen Werten orientiert ist.

Wie bereits erwähnt, wird die ACT als psychotherapeutischer Ansatz zumeist der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie zugerechnet. Verhaltenstherapeutische Methoden erster und zweiter Welle zielen mit klassischen behavioralen und kognitiven Strategien auf die Modifikation von Verhalten bzw. die Veränderungen von kognitiven Inhalten (wie Gedanken) ab. Weiterentwicklungen der Verhaltenstherapie – Methoden dritter Welle – umfassen zusätzlich emotionale, soziale sowie motivationale Ansätze. Hierzu zählen auch einige Methoden, die auf ähnliche Konzepte wie die ACT und deren psychotherapeutische Anwendung, wie etwa das der Achtsamkeit, zurückgreifen. Beispielhaft genannt sei hier die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT; Linehan 1993) für die Behandlung von Menschen mit sogenannter emotional instabiler Persönlichkeitsstörung. Es wurde auch diskutiert, ob achtsamkeitsbasierte Verfahren als Teil der dritten Welle klar abzugrenzen sind, oder eine Erweiterung der kognitiven Verhaltenstherapie (kVT)