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In diesem Band sind Kurzgeschichten versammelt, in denen reale Bedrohungen und mögliche Chancen unserer Zeit Wirklichkeit werden: Raumfahrt, Begegnung mit anderen intelligenten Spezies, die Ausbeutung und das besenreine Verlassen unserer Welt werden zu denkbarer Fiktion. Maschinenwesen erfüllen ihren Auftrag, Familie bekommt eine neue Bedeutung und die Liebe bleibt vielleicht, was sie immer schon war: bedingungslos. Am Ende des Buches tritt ein Held auf, der aus einem Stapel von Endzeit-DVDs hervorgekrochen ist, der im Fernsehzimmer der Autorin hinter einer gefräßigen Monstera dahinstaubt. Nehmen Sie den Helden bitte nicht zu ernst!
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2022
Corinna Griesbach
Science-Fiction-Kurzgeschichten
AndroSF 151
Corinna Griesbach
ALIEN LOVE
Science-Fiction-Kurzgeschichten
AndroSF 151
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: März 2022
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Rainer Schorm
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 277 5
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 822 7
Santana wurde durch eine versteckte Nebentür in den Gerichtssaal geführt, ein wunderschönes Relikt aus dem neunzehnten Jahrhundert, das Macht und Schönheit der Justiz ausstrahlte und der Delinquentin Angst machte.
Ihr eigentlich blondes Haar war grellgelb, fast golden. Wie die Augen jener Wesen, die unverhofft, von so vielen aber lang herbeigesehnt die Erde heimgesucht hatten.
Die Zuschauer registrierten verwirrt dieses Detail. Sprach es für oder gegen Santana? War es ein Beweis für ihre Liebe zu dem Alienmann?
Zu spät hielt sie einen leeren Ordner vor ihr Gesicht, Kamerateams aus aller Welt hatten ihre Verzagtheit, ihr goldenes Haar eingefangen.
Noch mehr Sendezeit hatten die ALs bekommen, die Leute von der Alien-Life-Bewegung, von der die Presse behauptete, sie sei in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen.
Menschen, die die Aktivisten von Beten-für-Babys verspottet hatten, skandierten nun ähnliche Parolen und die Beten-für-Babys-Leute dachten ernsthaft darüber nach, AL zu integrieren, anstatt zu bekämpfen.
Gregor S., eine Schlüsselfigur der Szene, der stets mit goldenen Kontaktlinsen auftrat und seine Augenbrauen golden färbte, saß hinter Panzerglas in der ersten Zuschauerreihe.
Die Polizei rechnete mit Gewalt, Waffen und verbotenen Kundgebungen. Die Veranstaltung, wie die Presse es nannte, war als Versuchsballon geplant, der abgeschossen werden würde. Das Ziel war eine nicht-öffentliche Verhandlung an einem geheimen Ort am nächsten Tag.
Bis jetzt gab es in den Reihen der Zuschauer nur Geflüster, Monster, Hexe, hieß es und die Gegenfraktion murmelte etwas wie Das hätte sie sich früher überlegen müssen.
Santanas Eltern starben fast vor Scham, die Mutter saß zusammengesunken in den Armen ihres Mannes, sein trotziger Blick brach gerade vor den Augen einer Kamera und er begann zu weinen.
War sie Monster oder Opfer? War es Blutschande und dann Mord oder eine romantische Liebesgeschichte mit tödlichem Ausgang?
Santana hatte ihren Liebhaber getötet, den Alien, den sie Merlin S. nannten, nachdem sie in aller Seelenruhe eine illegale Abtreibung vorgenommen hatte.
Das Brisante daran – das Faszinierende, Medientaugliche, Gruselige – war, dass Santana Merlin S. während des Geschlechtsaktes getötet hatte. Das Mordwerkzeug war eine Lady-Handkreissäge, ein pinkfarbenes Modell mit besonders komfortablem Griff und etwas leichter als das Standardmodell.
Die Zuschauer erwarteten Fotos vom abgetrennten Kopf des Aliens, obwohl die Vermutung in der Luft lag, dass Santana lediglich seine Hauptschlagader perforiert hatte.
Ihre Anwältin stellte die Tötung als eine Mischung aus Unfall und Verzweiflungstat dar. Santana als Opfer eines charismatischen Aliens. Merlin S., cholerisch, gewaltbereit, hatte seinen Nachwuchs schützen wollen und der Abtreibung nicht zugestimmt.
Die Massen waren gegen Santana. Die, die gegen Alienbabys waren, hassten sie für den Sex, den sie gehabt hatte, für ihre Unfähigkeit, Verhütungsmittel anzuwenden. Die, die für Alienbabys waren, hassten sie für die Abtreibung.
Der Arzt, ein im Ruhestand lebender Sterbehelfer mit diversen Vorstrafen und zweifelhaftem Ruf, war bereits verurteilt. Er würde den Rest seines bis jetzt fünfundachtzig Jahre währenden Lebens in Haft verbringen, allerdings in einer behaglichen Seniorenhaftanstalt, was nicht allen gefiel.
Auf Santana wartete im schlimmsten Fall eine Verurteilung wegen doppelten Mordes.
Sie wurde jetzt befragt, antwortete leise, aber mit einem gewissen Stolz.
Der Sachverständige hatte bereits vor der Presse erklärt, er könne keine Einschränkung ihrer Schuldfähigkeit erkennen, und danach sah es im Moment tatsächlich nicht aus.
Die Anwältin versicherte, Santana werde sich vor Gericht umfangreich einlassen, zu ihrem Sexleben und zu der Tötung. Natürlich sagte sie Tötung, nicht Mord, vermied zu diesem Zeitpunkt aber das Wort Unfall.
Ihr Antrag, die Öffentlichkeit auszuschließen, wurde abgelehnt.
Santana begann, von ihrem Leben zu erzählen, von ihrer Kindheit, dem Elternhaus, das Schluchzen ihres Vaters war zeitweise lauter als ihre Stimme.
Eine besondere Anziehungskraft hatten die Aliens nicht auf sie gehabt, die Begegnung mit Merlin S. auf dem Campus ihrer Universität sei eine zufällige gewesen und angezogen an ihm hatten sie sein Charakter und sein Humor.
Unter anderen Umständen hätte diese Plattitüde Lachen provoziert, aber hier und jetzt gab es keine Reaktion.
Santanas Versuch, ihre Kindheit als besonders schwierig zu beschreiben, war zum Scheitern verurteilt, da ihre Eltern, ihre Schwester, ihre Schulfreunde bereits ausreichend jedem Fernsehsender erklärt hatten, Santana sei besonders glücklich aufgewachsen, ihre Eltern besonders verständnisvoll –aber nicht zu verständnisvoll – gewesen und Santana habe keinen Grund, ihre Vita als Entschuldigung für irgendetwas herzunehmen.
Die Frage der Anwältin, ob nicht auch ein – nach außen hin – zu glückliches Leben schwierig sein könne, beantwortete Santana nicht.
Das Publikum horchte auf, als die Sprache auf die erste Begegnung zwischen Santana und Merlin auf dem Campus der Universität kam.
»Er kam in mein Leben und füllte es sofort komplett aus«, sagte Santana.
»Wer?«, fragte die Richterin.
»Er«, antwortete Santana, die Merlins Namen nie wieder ausgesprochen hatte.
Sie hatte ihn geliebt, wurde schwanger von ihm, lebte von seinem Geld als Assistent an der Philosophischen Fakultät, war zu ihm gezogen.
»Vor Ihrem achtzehnten Geburtstag?«, fragte die Richterin.
»Ja.«
»Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?«
»Nichts.«
Der Kontakt zu den Eltern war erloschen, besser, ihre Liebe zueinander war verdampft mit dem Auftauchen des Feuers der Liebe zwischen Santana und Merlin.
Das Gericht führte Santana nun an das Verbrechen ihrer Abtreibung heran.
Liebe ja, sagte sie, Leidenschaft, aber sie sei nicht bereit für ein Kind gewesen, aber was für eine Art Kind es geworden wäre, habe keine Rolle gespielt.
Trotzdem wurden Ultraschallbilder an die Wand projiziert, ein Köpfchen, Ärmchen mit kleinen Händen, an jeder sechs statt fünf Finger. Dieser kräftige Extrafinger zwischen Daumen- und Zeigefinger gruselte die meisten Menschen. Würde das Mensch-Alien-Baby den sechsten Finger überhaupt benutzen können? Würde das Gehirn zu menschlich oder alienartig genug sein, um diesen Finger zu steuern?
Merlin war Hobbypianist gewesen und hatte Mozart problemlos mit der linken Hand gespielt. Es gab Aliencomputerspiele, die nur mit zwölf Fingern gespielt werden konnten. Aber hätte Santanas Baby seine sechsten Finger unabhängig von den anderen bewegen können? Oder wären diese Glieder nur leblose Anhängsel gewesen?
Das Baby schien jetzt mit blinden Augen das Publikum anzublicken. Einen Daumen der linken Hand im Mund, spreizte es fünf Finger ab.
Die Verurteilung wegen Mordes an ungeborenem Leben folgte schnell.
Im Folgenden wurde Santanas Mord an Merlin verhandelt. Der Kauf der Kreissäge am Vortag des Mordes. Das Verstecken der Säge unter dem Bett.
»Ich sagte, ich würde das Kind behalten und dass ich Sex mit ihm wollte. Das passierte dann auch. Danach kann ich mich an nichts erinnern.«
»Sie logen ihn an?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht.«
Santana erklärte, dass sie einige Tage vor der Tat aus Merlins Wohnung ausgezogen war und bei einer Freundin lebte. Diese war im Gerichtssaal nicht anwesend.
»Sie haben Ihr Opfer in dessen Wohnung gelockt in der Absicht, es zu töten?«
Santana antwortete nicht.
Das kleine Korsett an ihrer rechten Hand war kaum erkennbar. Sie hielt ihren sechsten Finger unbeweglich und achtete darauf, nicht ihre rechte Augenbraue zu heben, was ihren künstlichen Finger aktiviert hätte.
Sie drehte sich um, sah die Menschen und ein Alien im Publikum, sah die goldenen Augen von Gregor und versank darin.
Ihre Lippen formten ein ichliebedich und er drehte sich von ihr fort.
»Gab es einen anderen Mann?«, fragte die Richterin.
»Ja«, sagte Santana. »Aber jetzt nicht mehr.«
… und der war bei Neo Roma Inc.
Seit einigen Jahren sahen seine Brüder und er, wenn sie in den nächtlichen Himmel blickten, einen von deren Zeppelinen, von Hunderten Glühbirnen erleuchtet, die die Worte Die Welt gehört uns formten.
Die Protestnoten seitens des Vatikans blieben ungehört und es gab draußen niemanden, der sich dem Heiligen Vater anschloss. Es erfolgte auch keine Reaktion seitens der Erbauer und Betreiber der Zeppeline in den Maschinenstädten.
Gestern nun leuchtete ein neuer Zeppelin über der Heiligen Stadt, und seine Glühlichter schrien: WIR SIND GOTT.
Es entstand ein Tumult im Vatikan und der siebenundachtzigjährige Papst, der sein Amt – am Vortag auf den Tag genau – seit dreißig Jahren ausfüllte, beschloss, nun zu handeln. Dazu ließ er seine Berater zu einer bestimmten Stunde am nächsten Tag herbeirufen. In der Nacht schliefen die Brüder schlecht, sie sahen im Traum unentwegt das künstliche Licht am Himmel, ihrem Himmel, Gottes Himmel. Lichter, die verkündeten, dass jene Gott sein würden – dass sie es bereits waren. Es war eine fieberhafte Hitze in den Mauern, die meisten, wenn nicht alle Brüder, hatten darauf gedrängt, endlich zu handeln.
Morgen würde der Tag der Tat anbrechen. Der Heilige Vater würde gegen den Konzern aufstehen. Nova Roma Inc. würde zu Fall gebracht werden.
Wie? Die Brüder wussten es nicht. Doch die Aussicht, dass der Vater nun handeln würde, erschütterte sie und riss sie aus einer jahrelang erduldeten Starre.
Papst Pius hatte über die gesamte unruhige Zeit des Wandels in unvergleichlicher Güte das Gottesreich regiert. Er hatte die Lehre, die Bildung seiner Mitbrüder gefördert. Vielen griechischen Gelehrten Audienz gewährt. Auf sein Hinwirken wurde die Erfindung des Buchdrucks im Kirchenstaat gefördert und Hunderte Exemplare von religiösen Schriften verließen das Reich, um in den Maschinenstädten das zu erreichen, was menschlich war an ihren Bewohnern.
Sein lebensfroher, schöpferischer Geist hatte das gesamte Reich beflügelt. »Der Mensch«, hatte er verkündet, »als das Ebenbild Gottes, ist der Höhepunkt der Schöpfung. Jeder einzelne Mensch ist wertvoll, und seine Würde ist zu wahren.« Pius lehnte Gewalt vollständig ab und näherte sich den Prinzipien Jesu mehr, als einigen der Brüder lieb und teuer war – im Namen der Inquisition. Diese lebte weiter, starb aber einen langsamen, sicheren Tod. Güte und Mitgefühl gegenüber den Armen, Kranken, Schwachen lebten auf unter Pius und wuchsen. Oft sprach Pius unter vier Augen mit seinem Nuntius über die Fragen: Wer ist Gott? Was ist der Mensch? Was ist sein Wesen? Wie kann der Mensch dem Menschen Mitmensch sein – und verlor dabei nie ein Wort über die Welt außerhalb des Kirchenreichs.
Der Staatenverband, dem Pius schon so lange vorgestanden hatte, hatte von Rom aus Mittelasien und die Adria erobert. Italien, Spanien und Frankreich waren sein eigen gewesen. Diese große religiöse und politische Einheit hatte allein in den letzten zehn Jahren heftige, schmerzliche Einschnitte erlitten: Immer mehr Bewohner der Maschinenstädte lehnten sich gegen den Papst und sein Reich auf, die reichen Provinzen, in denen die bischöflichen Gouverneure den Heiligen Stuhl repräsentierten, mussten unter der Gewalt der Maschinen aufgegeben werden. Der Kirchenstaat war geschrumpft. Viele Kardinäle nahmen Papst Pius seine Untätigkeit gegenüber den näher rückenden Gefahren übel, andere unterstellten dem Unfehlbaren Feigheit. Andere verwiesen auf die Weissagungen des Malachias, demzufolge Pius nach drei mal zehn Dekaden abgelöst würde von einem, der anders wäre als alle und den Siegeszug über den Erdball antreten solle. Dieser Prophetia vertrauten nicht wenige der Brüder und erwarteten das Heraufziehen des neuen, stärkeren Kirchenreichs mit Pius’ Nachfolger.
Am nächsten Morgen wurde Papst Pius tot in seinem Bett gefunden, sein Oberkörper wand sich steif über die Decken und Kissen, sein Mund war aufgerissen, daraus quoll eine karmesinrot gefärbte Zunge, die um das Vielfache ihrer ursprünglichen Größe angeschwollen war. Renato weinte. Aus Kardinal Angelos Mund lösten sich Tropfen, was er nicht bemerkte. Starre lag über dem Reich.
Dann begannen die notwendigen Tätigkeiten nach den Regeln ihrer Kirche. Der Papst wurde beigesetzt. Das Konklave musste vorbereitet werden.
Es war streng verboten, zu Lebzeiten des Papstes über dessen Nachfolger zu verhandeln. Natürlich war auch jede Spekulation verboten. Erst nach dem Tod des Papstes durften die Kardinäle zur Ehre Gottes und zum Wohl der Kirche handeln.
Niemand betrat die Gemächer des toten Papstes, ein von Seiner Hand versiegelter Umschlag blieb verschlossen, Renato als Testamentsvollstrecker würde ihn nicht öffnen. Geschlossen würde er seinem Nachfolger übergeben werden. Nur er würde für die Ausführung des Letzten Willens des toten Papstes verantwortlich sein.
Das Konklave begann. Alle Kardinäle, alle Bischöfe, jeder Gläubige im Staate versank nun ins Gebet, um die Wahlberechtigten in ihrer Entscheidung zu unterstützen.
Die Wahl Nikolaus des V. hatte ein Jahr gedauert, die Pius des VII. immerhin dreieinhalb Monate. Julius II. war innerhalb weniger Stunden zum Papst gewählt worden, und auf eine schnelle Entscheidung hofften dieses Mal alle der Kardinäle.
So schworen wenige Tage nach Feststellung des Todes des Pius ihren Eid: der Zeremoniar, die Beichtväter, der anwesende Arzt, die Köche, die Dienstmädchen und die Kardinäle. Alle schworen, dass sie alles, was während des Konklaves gesprochen würde, geheim halten würden.
Renato, der Zeremoniar, horchte erschrocken auf, als von Kardinal Angelos Seite der Wunsch kam, neben handschriftlichen Aufzeichnungen auch jede andere Art der Dokumentation zu verbieten, und er machte deutlich, dass er von einer Art technischem Gerät sprach. Nun war die Verwendung solcher künstlich gefertigten, maschinellen Apparate natürlich verboten. Außerdem war unter den Gläubigen keiner, der im Sinn hatte, solche zu gebrauchen. Warum musste Kardinal Angelo also darauf hinweisen, dass alle Arten von Apparaten, die womöglich eine Wiederholung der Gedanken und Worte der Anwesenden auf künstliche Weise ermöglichten, verboten waren?
Renato hatte davon gehört, dass es akustische Aufzeichnungsmaschinen gab. Es erschreckte ihn und er schenkte diesen Gerüchten weniger Glauben, als die Halbgebildeten im Staat den Lehren ihrer Kirche entgegenbringen konnten. Es gab sogar Erzählungen, dass fototechnische Maschinen gebaut worden waren, Geräte also, mit denen Dinge, sogar Menschen, für immer in feste Bilder gebannt werden konnten. Es gab im Vatikan eine Prüfungsorganisation, die sich offiziell mit dieser Problematik beschäftigte.
Auch Angelo hatte dazugehört und war dann vor etwa einem Jahr plötzlich ausgeschieden. Er war zusammen mit einem Seminaristen in die Maschinenstadt gereist und geistig versehrt zurückgekehrt, körperlich gebrochen, halb getragen, halb vom Seminaristen auf einem Stuhl auf Rädern über die Wege geschafft. Man hatte sein Verlassen der Kommission aber weniger seinen körperlichen Gebrechen – er hatte das Laufen verlernt – als seiner Abscheu gegenüber künstlichen Artefakten, seiner Angst vor der reinen Nützlichkeit von Gebilden jeglicher Art zugeschrieben. Der Nutzen, das war einer jener Schlüssel, mit denen die Vorgänge in den Maschinenstädten erklärt werden konnten. Die Fragen: Wozu nutzt dieser Apparat? Welchen Nutzen hat diese oder jene Technik? schienen dort draußen bedeutsam, und es war Angelo gefährlich geworden, tief in diese Materie einzudringen.
Es war nicht gesund, Erscheinungen an ihrer Funktion zu messen. Gott war kein Apparat, Gott existierte ohne die Notwendigkeit einer Funktion. Und sein Ebenbild, der Mensch, durfte sich davon nicht entfernen.
Alle Eingriffe in die natürliche Ordnung der Dinge, wie sie draußen geschahen, hatten bisher verheerende Folgen gezeigt: Nicht nur lag über den modernen Städten eine Glocke aus Dampf, welche den Bewohnern ein Erkennen von Tag und Nacht, der gottgegebenen Ordnung, unmöglich machte. Die Menschen in den Maschinenstädten schienen sich völlig den perversen Regeln der Fertigung von Maschinen unterworfen zu haben, der Fördertechnik, die es ermöglichte, Maschinenteile von hier nach dort und dort nach hier zu bringen, sie lagerten und schlossen und öffneten die Lager und verräumten deren Inhalt auf riesigen, metallenen Förderbändern – irgendwo hin. Sie verwandelten Energie: Wasser in Dampf, Kraft in Hitze, übertrugen Nachrichten, ohne Stimme oder Schrift, über weite Strecken und – das war es, worauf Kardinal Angelo hinaus wollte: Sie speicherten Nachrichten durch Druck, durch Ton, durch Fotografie.
Pius hatte den Buchdruck als Gottes Werkzeug, zur Verbreitung Seines Wortes gestattet und gefördert. Allen war jedoch klar, dass alles andere, wovon sie erfahren hatten, Hexerei war. Und nichts von diesen Artefakten konnte sich in diesen Mauern befinden. Was wollte Angelo ihnen also sagen?
In schweigender Prozession bewegten sich die Kardinäle, die aus ihrer Mitte den neuen Papst wählen würden, über den begrünten Innenhof und stiegen dann Stockwerk um Stockwerk hinunter in eine gruftartige Halle. Nur Angelo, der seit seiner Rückkehr aus den Städten an den eisernen Sitz gefesselt war, auf dem er sich mittels Rädern bewegen konnte, musste die Stufen hinunter getragen werden. Welche Krankheit die Lahmheit seiner Beine bewirkt hatte, darüber hatte er keine Auskunft gegeben. Zur selben Zeit wurde das gesamte Gelände abgesperrt, kein Außenstehender konnte zu den Kardinälen vordringen.
Alle hielten es für wahrscheinlich, dass entweder Gregor, Alexander oder Sylvester die Favoriten des ersten Wahlgangs sein würden. Einer von ihnen würde bald den roten Mantello tragen, einen mit Hermelinfell gefütterten Camauro und an einer Halskette auf seiner Brust das Pektorale.