Alle diese Welten - Dennis E. Taylor - E-Book

Alle diese Welten E-Book

Dennis E. Taylor

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Beschreibung

Hundert Jahre nachdem Bob Johansson ausgezogen ist, um auf fremden Planeten eine neue Heimat für die Menschheit zu finden, kann man sagen, dass er seine Mission erfüllt hat: Unzählige Kolonien haben er und seine Kopien in der Galaxis gegründet und die Menschen vor dem Aussterben bewahrt. Dabei haben sie sich allerdings einen mächtigen Feind in Form einer hoch entwickelten Alien-Zivilisation gemacht, die nun die Menschheit bedroht. Um den Kampf gegen die Aliens zu gewinnen, bleibt Bob und seinen Kopien nur eine Chance: Sie müssen in den Deep Space ...

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Das Buch

Ein gutes Jahrhundert, nachdem Bob Johansson und seine Repliken ausgezogen sind, um eine neue Heimat für die Menschen zu finden, haben sie es geschafft: Auf diversen Planeten und künstlich gestalteten Welten haben sie neue Zivilisationen begründet und das Überleben der Menschheit garantiert. Während neu erschaffene Welten als optionale Besiedlungsziele mit Flora und Fauna angereichert werden und die Kolonien sich nach und nach ihre Autarkie erarbeiten, bleibt den Bobs lediglich noch, die verbliebenen Erdbewohner von ihrem zerstörten Planeten zu evakuieren – eine ebenso nerven- wie zeitraubende Aufgabe. Doch dann sehen sie sich auf einmal einer mächtigen und hochentwickelten Alien-Zivilisation gegenüber, die droht, alles zunichte zu machen, was die Bobs im letzten Jahrhundert aufgebaut haben. Um zu verhindern, dass die Menschheit nun doch dem Untergang anheimfällt, bleibt den Bobs nur eines übrig: Sie müssen erneut in den Kampf ziehen …

Die große BOBIVERSE-Trilogie:

Erster Roman: Ich bin viele

Zweiter Roman: Wir sind Götter

Dritter Roman: Alle diese Welten

Der Autor

Dennis E. Taylor war früher Programmierer und arbeitete nachts an seinen Romanen. Mit Ich bin viele, dem Auftakt seiner Romanreihe um die künstliche Intelligenz Bob Johansson, gelang ihm der Durchbruch als Schriftsteller. Seither widmet er sich ganz dem Schreiben.

Mehr über Dennis E. Taylor und seine Werke auf:

DENNIS E.

TAYLOR

ALLE

DIESE

WELTEN

ROMAN

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Urban Hofstetter

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe: ALL THESE WORLDS

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 07/2019

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2017 by Dennis E. Taylor

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe

und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock/Vadim Sadovski

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-22389-2V002

www.diezukunft.de

Für Bill Paxton, der großartige Science-Fiction-Filme ein bisschen menschlicher gemacht hat, und für meine Frau Blaihin, weil sie mich auf dieser Reise begleitet hat – besonders auf der Etappe, als das Schreiben zu meinem Vollzeitjob wurde.

»Sie ist auf keiner Karte verzeichnet.

Die wahren Orte sind das nie.«

Herman Melville, Moby Dick

1

Eine direkte Konfrontation

Bob – März 2224

Delta Eridani

Mit einem zornigen Quieken stürmte das Quasischwein aus seinem Bau hervor. Es war erschreckend schnell für ein so kurzbeiniges Geschöpf. Die beiden Steinewerfer rannten mit gesträubtem Nackenfell und vor Aufregung steil aufgerichteten Ohren zu den Seiten davon. Wir anderen stemmten unsere Speere in den Boden und stellten einen Fuß auf das Schaftende. Dann warteten wir.

Heute war ich nicht nur ein Beobachter. Beim letzten Mal war ich nervös gewesen, aber jetzt hatte ich Todesangst. Ich spürte, wie sich mein Rückenfell bis hinauf zum Scheitel aufstellte. Und es half auch nichts, dass ich mich eigentlich zehntausend Meilen weit weg in der Planetenumlaufbahn befand. Schließlich konnte ich mit eigenen Augen sehen, dass das Quasischwein nur zehn Meter von mir entfernt war, und es schien mit halber Lichtgeschwindigkeit auf mich zuzurasen.

Im nächsten Moment rannte das Tier in die Speerspitzen. Offensichtlich bildete Intelligenz für seine Art noch immer keinen Fortpflanzungsvorteil. Die Speere bogen sich zwar, hielten jedoch stand, und das Tier prallte mit einem letzten Quieken auf den Boden.

Bernie ging vorsichtig zu dem Tier hin und stupste ihm ein paarmal ins Gesicht. Als keine Reaktion kam, ließ er den Speer durch die Luft wirbeln und rief: »Hip, hip …«

Wir Übrigen reckten die Fäuste in die Höhe und antworteten: »… Hurra!«

Zumindest ist es das, was mein Übersetzungsprogramm an mich weitergab. In Wahrheit klangen sprechende Deltaner eher wie Schweine, die sich lauthals grunzend im Schlamm suhlten. Doch für meine Ohren wandelte die Software alles, was sie sagten, in die entsprechenden menschlichen Äußerungen um, darunter auch sämtliche Namen und Redewendungen.

Donald schlug mir auf die Schulter. »Komm, Robert, hilf mir, es aufzuhängen.«

Während er ein Ende des Seils über einen Ast warf, verschnürte ich mit dem anderen die Hinterläufe des Quasischweins. Als er zu mir herunterblickte, um nachzusehen, wie weit ich war, machte er große Augen. »He! Das sieht ja wie einer von Archmides’ verrückten Knoten aus. Wo hast du den gelernt?«

Ups. »Äh, von Archimedes natürlich. Er kennt wirklich viele Handvoll Knoten. Ich habe mir ein paar abgeschaut.«

Donald nickte zwar, wirkte aber nicht sonderlich an meiner Antwort interessiert. Wir hievten das Quasischwein hoch, bis es auf Augenhöhe vor uns baumelte – wobei ich Donald den Hauptteil der Arbeit erledigen ließ und sorgfältig darauf achtete, nicht kräftiger als ein durchschnittlicher Deltaner an dem Seil zu ziehen. Anschließend zückte er sein Feuersteinmesser und ließ das Tier ausbluten. Die übrigen Jäger sangen derweil ein Dankeslied.

Zu guter Letzt banden wir den Kadaver auf ein paar Speere und gingen zurück nach Camelot. An diesem Abend würde ein Festessen stattfinden, und auch wenn es hier immer noch keine Barbecue-Soße gab, liebte ich gegrilltes Quasischwein. Aber vielleicht würde ich ja einfach eine Soße erfinden.

Wir stimmten einen Siegesgesang an und waren vermutlich ein bisschen zu sorglos. Jedenfalls bemerkten wir die Deltaner, die uns plötzlich den Weg versperrten, erst im allerletzten Moment und kamen stolpernd zum Stehen, als sie uns ihre Speerspitzen entgegenstreckten. Die Geste wirkte nicht wie eine Drohung, sondern eher wie ein Hinweis, dass sie uns gefährlich werden könnten. Als ich auch hinter uns ein Rascheln hörte, wusste ich, dass wir umzingelt waren, und sah mich rasch um. Die anderen waren zwei mehr als wir. Damit waren sie uns zwar nicht haushoch überlegen, aber immerhin im Vorteil. Höchstwahrscheinlich verließen sie sich auf das Überraschungsmoment und rechneten damit, dass wir nicht genügend Zeit haben würden, unsere Verteidigung zu organisieren.

Es kam immer wieder vor, dass Gruppen aus Caerleon unsere Jäger angriffen und ihnen teilweise oder auch komplett die Beute abjagten. Anscheinend standen heute wir auf ihrer Abschussliste.

Der Sprecher dieses Trupps – ein unangenehmer Zeitgenosse aus Caerleon, den meine Software Fred nannte – setzte ein böses Grinsen auf. »Netter Fang, Donald. Bei all dem vielen Quasischweinefleisch werdet ihr sicher auf ein oder zwei Hinterschinken verzichten können.«

»Hier draußen gibt es jede Menge Quasischweine«, erwiderte Donald und hob unbeeindruckt den Speer. »Was ist los? Habt ihr etwa kein Jagdglück?«

Fred schien instinktiv vor ihm zurückweichen zu wollen, überlegte es sich dann aber doch anders. Donald war zwar nicht ganz so groß wie sein Vater, aber immer noch so imposant, dass sich kaum jemand mit ihm anlegen wollte.

Zu meinem Pech stand ich ganz vorne neben ihm und hatte meinen Androiden so unauffällig wie möglich gestaltet – er war von durchschnittlicher Größe, durchschnittlich kräftig und mittelmäßig attraktiv. Ich war der Typ, den man sofort wieder vergaß. Kein Wunder, dass Fred beschloss, an mir ein Exempel zu statuieren. »Und was ist mit dir, Kuzzi? Möchtest du vielleicht etwas von eurem Reichtum abgeben?« Er blickte sich zu seinen Freunden um, die sein Grinsen erwiderten und dichter auf uns zutraten.

»Weißt du was, Fred«, entgegnete ich mit unschuldigem Lächeln, »warum machst du nicht einfach deinen Rücken rund und steckst dir den Kopf in den Hintern? Am besten schiebst du ihn so tief hinein, bis du komplett verschwunden bist.«

Leises Gelächter aus unserer Gruppe – und vereinzelt auch aus der anderen – bewies mir, dass mein Spruch gesessen hatte. Aber ich hatte ja auch mehrere Terabytes Bücher und Filme von der Erde gespeichert, aus denen ich jede Menge Beleidigungen schöpfen konnte. In einem Wortgefecht waren mir die Deltaner hoffnungslos unterlegen.

Donald, der vermutlich nicht mit meiner Unterstützung gerechnet hatte, warf mir einen überraschten Seitenblick zu und zeigte Fred die Zähne. »Jetzt bist du wieder dran, du mieses Stück Quasischweinescheiße.«

Fred funkelte Donald und mich böse an. Dann drehte er sich um und tat so, als wollte er das Feld räumen.

Du willst mich wohl auf den Arm nehmen. Den Trick kannte schon meine Oma.

Und tatsächlich wirbelte er im nächsten Moment herum und versuchte, mir einen Hieb zu versetzen.

Ich hätte eine Pause einlegen und erst mal ein Tässchen Tee trinken können und hätte trotzdem noch rechtzeitig reagiert. Na gut, ich bin schließlich auch ein Computer, aber trotzdem … Ich lehnte mich leicht zurück, und seine geballte Faust zischte dicht an meinem Gesicht vorbei. Während Fred weiter rotierte, erwischte ich ihn mit einer kurzen Geraden im … tja, bei einem Menschen wäre an dieser Stelle der Solarplexus gewesen, und tatsächlich zeigte der Treffer die entsprechende Wirkung. Fred machte uff und sank auf die Knie.

Jetzt waren sie nur noch einer mehr als wir, und wir hatten Donald. Unsere Jungs begannen grinsend, die Speerspitzen zu schütteln, und die andere Gruppe trat zur Seite, als Donald und ich uns wieder auf den Weg machten. Fred starrte mich finster an, als ich an ihm vorüberging.

Ich erwiderte seinen Blick. »Jederzeit, Kuzzi.«

Für eine Antwort fehlte ihm der Atem.

Ich muss zugeben, dass ich auch einige alte Rachegelüste an ihm auslebte. Immerhin war ich viele Jahre lang von Typen wie ihm schikaniert worden. Auf jeden Fall war mir klar, dass ich mich von nun an vor Fred in Acht nehmen musste.

Als Donald mir einen festen Klaps auf den Rücken gab, geriet ich absichtlich ins Taumeln. Schließlich wollte ich auf keinen Fall, dass er in mir einen Konkurrenten sah.

Den restlichen Weg zu unserem Dorf legten wir in höchster Alarmbereitschaft zurück. Keiner sang oder tanzte mehr. Ein paar der Jungs brachten die Beute zu einer Feuerstelle und begannen, die Fleischstücke aufzuteilen. Als ich zu Archimedes’ Zelt gehen wollte, hielt Donald mich an der Schulter zurück und bedeutete mir, ihn zu begleiten. Mir war sofort klar, dass er zur Ratsversammlung wollte.

Während ich die Deltaner erforschte, hatte ich erkannt, dass einige Regeln im ganzen Universum zu gelten schienen. Zum Beispiel die, dass Politiker und Anführer immer besondere Privilegien für sich einfordern. Der Ort, an dem der Rat tagte, wurde morgens von der Sonne beschienen und lag am späten Nachmittag im Schatten. Stets hielten sich ein paar Ratsmitglieder dort auf und taten beschäftigt, während sie es sich bequem machten.

Donald ging zu Jeffrey und wartete ab, bis der derzeitige Ratsvorsitzende unsere Anwesenheit zur Kenntnis nahm. Jeffrey war ein ziemlicher Fiesling, der andere schmoren ließ, um zu demonstrieren, wie wichtig er war. Donald nutzte die Zeit dazu, seinen Speer zu säubern, wobei er sich wie zufällig vor Jeffrey hinstellte und ihm die Sonne nahm, während er überall um sich herum getrocknetes Blut und Hautfetzen zu Boden fallen ließ. Ich sah mich währenddessen um und bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck.

Als Jeffrey sich nach einer Weile eingestehen musste, dass Donald besser im Ignorieren war als er, hob er den Blick und bedeutete uns, Platz zu nehmen. Wir taten wie geheißen, und Donald berichtete von unserem Zusammenstoß mit der Bande aus Caerleon.

Jeffrey verzog das Gesicht. »Während der letzten drei Handvoll Tage gab es nun schon fast eine ganze Handvoll solcher Begegnungen. Dabei wurden ein paar von unseren Leuten erstochen, als sie sich weigerten, ihre Beute herzugeben. Ich werde diese Angelegenheit vor den Rat bringen. Dagegen muss etwas unternommen werden.«

»Stammen die Angreifer immer aus Caerleon?«, fragte ich.

»Wie es aussieht, ja. Überlasst das mir. Ich sorge dafür, dass der Rat sich darum kümmert.«

Donald nickte Jeffrey zu, und wir erhoben uns.

»Glaubst du, es ist immer dieselbe Gruppe, oder haben wir es mit verschiedenen zu tun?«, fragte ich ihn, während wir davongingen.

»Freds Name fällt immer wieder. Vielleicht gibt es auch noch andere, aber in der Hauptsache haben wir es mit ihm und seinen Leuten zu tun.«

»Aber erst seit Kurzem, oder? Was ist in letzter Zeit denn passiert?«

Einen Moment lang verlor sich Donalds Blick in der Ferne. »Ich glaube nicht, dass sich etwas Bestimmtes verändert hat. Fred hat wohl nur erkannt, wie er sich etwas zunutze machen kann, das bereits seit einiger Zeit unter den Caerleonern gärt. Wir wissen bloß nicht, was das sein könnte.«

Während wir eine Weile schweigend nebeneinander hergingen, kam mir ein Plan. Ich blickte zu Donald auf. »Ich habe eine Idee. Meinst du, wir könnten ungefähr ein Dutzend Leute zusammentrommeln, die ruhig bleiben, wenn es brenzlig wird?«

Donald grinste. »Ja, ich glaube, die kann ich auftreiben.«

Ich erwiderte sein Grinsen. Es wurde Zeit für ein paar schmutzige Tricks irdischer Art.

2

Wir haben verloren

Howard – Februar 2217

Vulkan

Bridget wirkte überrascht, als sie die Tür öffnete. Da ich mich nicht angekündigt hatte, erwartete sie mich an diesem Abend nicht.

»Howard … was …?«, begann sie, aber dann bemerkte sie meinen Gesichtsausdruck. »Was ist passiert, Howard?« Sie nahm mich am Arm und zog mich in ihr Apartment.

»Wir haben verloren. Und deswegen müssen jetzt eine Milliarde empfindsame Wesen sterben!« Ich ließ mich auf ihre Couch sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Die Paven?«

Da ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich nur.

»Mein Gott, Howard. Weiß Butterworth Bescheid? Geht es den anderen Bobs gut?«

Ich seufzte und rang um Fassung. »Wir haben viele Bobs verloren, aber von denen gibt es Back-ups. Obwohl sie natürlich nicht mehr ganz dieselben sein werden.« Ich sah Bridget an und versuchte, sie beruhigend anzulächeln. »Riker hat Dexter Bescheid gegeben, und der wird Butterworth oder vielleicht auch seinen Nachfolger informieren.«

»Sind wir in Gefahr?«

»Nicht akut, Bridget. Die anderen wissen nur von der Erde und Epsilon Eridani. Aber zwischen uns und GL 877 liegen fast zweihundert Systeme, und von denen ist keines sicher, solange die Anderen existieren.«

»Und die Paven? Ich habe ein paar von Jacques’ Blogeinträgen gelesen. Sie scheinen eine bemerkenswerte Spezies zu sein. Was wird aus denen?«

Ich schloss einen Moment lang die Augen und hoffte halb, in einem anderen Universum angelangt zu sein, wenn ich sie wieder aufschlug. Aber dieses Glück war mir nicht beschieden. »Bislang haben wir noch nie die Vorgehensweise der Anderen beobachten können, immer nur die Konsequenzen. Aber diesmal sitzen wir in der ersten Reihe. Zuerst werden sie mit ihren Todesasteroiden sämtliches Leben auf dem Heimatplaneten der Paven auslöschen. Als Nächstes rücken sie mit ihren Ameisen und Frachttransportern an und reißen sich alles Metall auf dem Planeten und im gesamten inneren System unter den Nagel. Und zum Schluss sammeln sie dann noch alle Leichen und Tierkadaver ein.« Ich musste innehalten, um ein paar Male tief Luft zu holen. Natürlich benötigte mein Androidenkörper keinen Sauerstoff, aber er war so konstruiert, dass er auf Emotionen reagierte, und ich war gerade dabei, mich in einen hysterischen Anfall hineinzusteigern. »Jacques hat einen Plan entwickelt, wie wir zwanzigtausend Paven retten können, aber die übrigen werden bald tot sein. Und damit werden die Anderen eine weitere intelligente Spezies und ein komplettes planetares Ökosystem ausradiert haben.« Ich drehte den Kopf zur Seite und blickte sie an. »Wir werden uns heute alle treffen und überlegen, was wir tun können. Ich wollte nur ein paar Minuten …«

Bridget nahm mich in die Arme, und ich legte den Kopf auf ihre Schulter, wo ich ohne Tränenkanäle lautlos zu weinen begann.

3

Etwas braut sich zusammen

Marcus – Februar 2212

Poseidon

Kopfschüttelnd massierte ich mir mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. Am anderen Ende der Leitung wartete Kal geduldig ab, bis ich damit fertig war. Als ich den Kopf hob, sah ich Gina grinsen. Sie versuchte zwar noch, eine ausdruckslose Miene aufzusetzen, bevor unsere Blicke sich kreuzten, aber ich bin nun mal ein Computer mit schnellen Prozessoren. Ich erwiderte ihr Lächeln.

»Immer noch nicht überzeugt, Marcus?« Im Videofenster sah ich, wie Kal den Kopf zur Seite neigte.

Ich seufzte. »Du hast mich schon vor einer ganzen Weile überzeugt, Kal. Ich kann es bloß nicht glauben.«

Kal lachte. »Das widerlegt wohl den Mythos, dass Computer immer logisch funktionieren.«

»Verklag mich doch. Ich war schließlich auch mal ein Mensch.« Ich ließ mich im Stuhl zurücksinken und wog meine nächsten Worte sorgfältig ab. Spike passte genau diesen Moment ab, um mir auf den Schoß zu springen. Sie wollte sich das Kinn kraulen lassen, und ich kam ihrem Wunsch ausgiebig nach, während ich meine verschiedenen Optionen durchdachte. Kal und Gina würden die eine Millisekunde Pause in unserer Unterhaltung nicht mal bemerken.

Kal war der stellvertretende Gouverneur auf der Südlichen Matte Nummer drei, Gina eine Sicherheitsoffizierin von mittlerem Rang. Während der vergangenen paar Jahre hatte ich mich mit beiden angefreundet. Je vertrauter wir miteinander wurden, desto unverblümter zeigten sie mir ihr wachsendes Unbehagen über die Versuche des Rats, so viel Macht wie möglich an sich zu reißen.

»Okay, dann nehmen wir es also als gegeben hin, dass der Rat nicht mal mehr so tut, als würde er in nächster Zeit Wahlen abhalten wollen. Zumindest stehen sie nicht mehr weit oben auf ihrer Prioritätenliste. Das muss zwar nicht unbedingt heißen, dass wir auf ein totalitäres Regime zusteuern, aber es deutet tatsächlich vieles darauf hin. Gina geht beim geringsten Anlass gleich durch die Decke, aber du bist viel konservativer als sie, Kal. Dass du dabei mitmachen willst, beunruhigt mich sehr.«

Gina setzte zu einer Erwiderung an, aber Kal fiel ihr ins Wort. »Das ist der Worst Case, im Moment sind wir noch weit davon entfernt, irgendwelche roten Linien zu überschreiten. Falls der Rat doch noch ganz plötzlich vernünftig wird, haben wir bislang nichts getan, wofür man uns gerichtlich belangen könnte. Oder wofür wir uns schämen müssten. Und ja, Marcus, bevor wir irgendetwas tun, das sich nicht mehr zurücknehmen lässt, möchte ich, dass wir uns alles noch mal ganz genau überlegen.«

Ich nickte besänftigt. Der Verwaltungsrat von Poseidon nahm zwar gerne meine Dienste in Anspruch, aber ich bekleidete kein offizielles Amt und hatte nichts zu sagen. Sobald ich für sie zur Belastung werden würde, konnten sie mich sofort loswerden, und ich wäre deswegen noch nicht mal sonderlich beleidigt. Schließlich wollte ich ja, dass die Kolonie auf eigenen Füßen stand, und sei es nur, damit ich in Ruhe meine eigenen Projekte vorantreiben konnte.

»Was brauchst du von mir, Kal?«, fragte ich. »Ich bin nun schon seit einem Jahrzehnt dabei, meine Befugnisse Schritt für Schritt an den Verwaltungsrat zu übertragen. Wenn es zum Schwur käme, könnte ich wahrscheinlich nicht mal mehr die autonomen Fabriken betreiben.«

»Falls es dazu kommt«, entgegnete Kal, »wärest du eine unbekannte Größe, und der Rat könnte dich weder kontrollieren noch in die Schranken weisen. Du könntest sie auf jeden Fall ablenken und, wenn es gut läuft, ganz gehörig unter Druck setzen.«

»Tja, ich wollte schon immer eine Nervensäge sein«, entgegnete ich.

Gina grinste mich an. »Mission erfüllt, würde ich sagen. Aber du stehst auch im Rampenlicht. Wir müssen also aufpassen, bei was man dich erwischen kann.«

»Mhm.« Ich kratzte mich nachdenklich am Kinn. »Das kann ich ganz gut steuern, Gina. Überlass das mir. Außerdem kann ich mit meinen öffentlichen Aktivitäten auch ein paar falsche Fährten legen.« Ich grinste sie an. »Seht ihr, jetzt habt ihr mich so weit. Spione wie wir. Mannomann.«

Wir unterhielten uns noch ein paar Minuten lang und beendeten dann unsere Konferenzschaltung.

Anschließend lehnte ich mich zurück und ging meine Optionen durch. Wie die meisten Nerds hatte ich kein großes Talent für Lügen und Intrigen. Aber mir fielen durchaus ein paar simple Strategien ein, mit denen ich meine Spuren verwischen konnte. Außerdem sah ich eine Chance, mein Lieblingsprojekt umzusetzen.

Die Zeit schien reif für einen persönlichen Auftritt. Ich beugte mich vor und rief Howard an.

4

Die richtige Einstellung

Howard – November 2217

Vulkan

Ich saß auf einem Stuhl, trank ganz langsam meinen Kaffee und betrachtete die Passanten. Anscheinend war die Mall immer gut besucht. Was daran liegen konnte, dass es in Landeplatz nicht gerade viele Einkaufszentren gab. Um genau zu sein, nur ein einziges. Der Ursprüngliche Bob hatte sich nie die Zeit genommen, Leute zu beobachten, und hätte sich zu Tode geschämt, wenn er beim Herumsitzen und Nichtstun erwischt worden wäre. Als Unsterblicher sah man das offensichtlich entspannter.

Angesichts der Klamottenläden, Elektronikmärkte und Spezialgeschäfte, die Badezimmerprodukte und dergleichen anboten, fühlte ich mich wie zu Hause und verspürte gleichzeitig großes Heimweh. Das Gefühl, in vertrauter Umgebung zu sein, wurde durch die Tatsache getrübt, dass ich mich siebzehn Lichtjahre von der Erde entfernt in einem Sonnensystem befand, in dem ursprünglich Mr. Spock beheimatet gewesen war. Noch dazu auf einem Planeten, der in der Neuverfilmung von Star Trek vernichtet worden war. Aber das führte vielleicht zu weit …

Dennoch erschien mir hier an diesem Tisch mit einer Tasse Kaffee in der Hand alles um mich herum irgendwie, na ja, alltäglich.

Bridget würde jeden Moment kommen. Ich hatte beschlossen, hier auf sie zu warten, anstatt sie in ihrem Büro zu besuchen, wo ich nur im Weg gewesen wäre. In der Zwischenzeit genoss ich es, in der Menge unterzutauchen.

Bin unterwegs.

Lächelnd las ich die Textnachricht in meinem Head-up-Display. Wir hatten für heute ganz absichtlich nichts Konkretes geplant. Ein Mittagessen, danach einen Spaziergang – keine große Sache.

Bridget kam, als ich gerade meinen letzten Schluck Kaffee trank. Ich stand auf, und wir küssten uns kurz. Dann drückte sie meine Hand und setzte sich hin.

»Ich bin völlig ausgehungert. Möchtest du etwas im Schlemmerbereich essen?«

»Im Schlemmerbereich?« Ich hob die Augenbrauen. »Eine Schnapsbaronin sollte doch eigentlich einen etwas exquisiteren Geschmack besitzen. Aber gut, dann wollen wir mal so richtig auf die Pauke hauen. Wie wäre es mit BrontoBurger? Alternativ könnten wir natürlich auch etwas Richtiges essen.«

Bridget sah mich streng an. »Zufällig mag ich BrontoBurger. Ich werde dich schon noch bekehren.«

»Na dann, ab zu Bronto«, verkündete ich. Als ich mich erhob, bot ich ihr einen Arm an. Lächelnd stand sie auf und machte einen kleinen Knicks, bevor sie sich bei mir unterhakte.

Während wir in die ungefähre Richtung des Restaurants gingen, hörte ich, wie jemand ein paar Tische von uns entfernt »Halt dich immer gut an Mamas Hand fest« sagte. Der picklige Teenager, von dem dieser Kommentar gekommen war, hatte mit leiser Stimme gesprochen und vielleicht gar nicht gewollt, dass wir ihn hörten. Aber wenn es so gewesen war, hatte er sich verrechnet.

Ich machte auf dem Absatz kehrt und sah ihn finster an, doch Bridget legte mir einen Arm auf die Schulter. »Ernsthaft, Howard? Willst du dich wirklich mit dem da anlegen?«

Ich betrachtete den Einfaltspinsel, der meinen Blick grinsend erwiderte. Er wog keine siebzig Kilo. Ihn gegen einen Androiden kämpfen zu lassen, der um ein Vielfaches schneller und stärker als ein Mensch war, wäre nicht fair gewesen. Also musterte ich ihn nur abschätzig von Kopf bis Fuß und drehte mich lachend von ihm weg. Ich konnte nur hoffen, dass die Botschaft bei ihm angekommen war.

Mittlerweile zog Bridget mich an der Hand hinter sich her. »Essen nicht vergessen. Da hinüber.«

»Du hast recht. Wir wollen uns am Fleisch des außerirdischen brontoartigen Wesens laben.«

Wir lächelten einander an und gingen weiter, aber meine Gedanken kreisten immer noch um die Worte des Jungen. Biologisch betrachtet war Bridget inzwischen Ende fünfzig. Eigentlich sogar noch älter, aber die Zeit, die sie während des Flugs in Stasis verbracht hatte, zählte nicht. Ich war dagegen so konstruiert, dass ich wie der Ursprüngliche Bob im Alter von einunddreißig Jahren aussah, als er auf einer Kreuzung in Las Vegas ums Leben gekommen war. Rein mathematisch war der Mama-Kommentar also nicht von der Hand zu weisen.

Auf jeden Fall wollte ich dafür sorgen, dass Bridget sich so etwas kein zweites Mal anhören musste.

Ihrem Appetit hatte das fortschreitende Alter jedenfalls nichts anhaben können. Bridget stürzte sich genauso enthusiastisch auf Pommes und Burger, wie man es von einem Teenager erwartet hätte. Ich aß deutlich langsamer, da ich zwar den Geschmack genoss, aber nicht die Nährstoffe benötigte. Im Grunde genommen war das, was ich da tat, Lebensmittelverschwendung, aber so selten, wie ich aß, erschien es mir vertretbar.

»Wie geht es den Kindern?«, erkundigte ich mich, einerseits, weil ich das Gemetzel bremsen wollte, das sie auf ihrem Teller veranstaltete, aber auch aus ehrlichem Interesse.

Bridget schluckte, wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und sah mich durchdringend an. »Mir machst du nichts vor, Freundchen. Du wartest doch immer absichtlich so lange, bis ich den Mund voll habe.«

Ich grinste ohne jede Reue.

»Rosie ist … na ja. Du hast Rosie kennengelernt und weißt, wie sie ist. Sie weicht nie von ihrem Standpunkt ab, und alle müssen der gleichen Meinung sein.« Während sie ihren nächsten Bissen Brontofleisch kaute, runzelte sie die Stirn und schien ihre Worte sorgfältig abzuwägen. »Ich glaube, ich sollte dir sagen, dass sie von unserer Beziehung nicht gerade begeistert ist. Sie hat gar nichts gegen dich persönlich, Howard. Jedenfalls nicht mehr als gegen die meisten anderen auch, schätze ich. Sie hätte einfach gerne, dass ich mich nur mit Leuten aus meiner eigenen Spezies einlasse. Ich habe versucht, mit ihr darüber zu sprechen, aber …«

Ich grinste sie an. »Das ist Rosies Ansicht und … Moment, nein, tatsächlich zählt nur Rosies Ansicht.«

»Ja, so in etwa.« Bridget kicherte. »Weißt du, ich wollte meinen Kindern beibringen, dass sie sich auf ihr eigenes Urteil verlassen, und anscheinend ist mir das gut gelungen.«

»Ich habe mich in letzter Zeit hin und wieder mit Howie unterhalten.« Ich unterbrach mich kurz, um an meinen Fritten zu knabbern. »Er wirkte ein bisschen distanzierter als früher, aber ich habe es darauf geschoben, dass er älter wird und mich nicht mehr als Helden verehrt.«

»Ja, das ist vermutlich auch ein Grund, aber hauptsächlich steckt Rosie dahinter. Sie will einfach keine Ruhe geben.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Hör mal, Bridget, ich habe dir immer gesagt, dass deine Belange an erster Stelle stehen. Wenn du wegen mir Schwierigkeiten in deinem Privatleben, deinem Beruf oder der Familie hast, halte ich mich von dir fern.«

Bridget legte die zerfetzten Überreste ihres Burgers auf den Teller zurück und beugte sich zu mir vor. Ihrem eindringlichen Blick entnahm ich, dass ich die Klappe halten und gut zuhören sollte. »Meine Beziehungen gehen nur mich etwas an, Howard. Sonst hat niemand ein Mitspracherecht. Ich habe Stéphane geliebt und seinen Tod ausgiebig betrauert. Jetzt genieße ich deine Gesellschaft und werde das auch weiterhin tun, auch wenn es meiner zickigen Tochter oder irgendwelchen vorlauten Mall-Ratten nicht in den Kram passen sollte … Möchtest du dem irgendwas hinzufügen?«

»Nein, mein Schatz.« Ich grinste sie an, und sie verdrehte die Augen.

»Na schön.« Sie wischte den Tisch um ihren Teller herum mit der Serviette sauber und warf sie auf das, was von ihrer Mahlzeit noch übrig war. »Dann lass uns mal losziehen. Schließlich habe ich versprochen, dir bessere Klamotten für deinen Androidenkörper zu besorgen.«

»Gedroht.«

»Was?«

»Du hast gedroht, mir bessere Klamotten zu besorgen.«

Bridget lachte und zog mich von meinem Stuhl hoch. Ausgerechnet Klamotten shoppen. Anscheinend konnte mich davor nicht einmal der Tod retten.

5

Ein Hinterhalt

Bob – März 2224

Delta Eridani

Während wir den Kadaver des Quasischweins auf unseren Speeren in die Höhe wuchteten, taten wir so, als wüssten wir nicht, dass die anderen uns beobachteten. Ich checkte die Überwachungsfenster in meinem Head-up-Display. Ja, wir hatten eindeutig ein paar heimliche Zuschauer. Genau genommen waren es zwölf und damit doppelt so viele wie wir. Solche Einzelheiten konnte ich meinen Begleitern natürlich nicht verraten, weil ich sie eigentlich gar nicht hätte wissen dürfen, aber ich hielt es für besser, vorbereitet zu sein, falls unsere Gegner etwas Unerwartetes taten.

Als wir uns auf den Rückweg machten, fiel mir auf, dass meine Gruppe aus lauter furchtbar schlechten Schauspielern bestand. Angesichts ihrer viel zu lauten und steif vorgetragenen Kommentare hätte jeder Theaterregisseur, der etwas auf sich hielt, seinen Job sofort hingeschmissen.

Aber das spielte keine Rolle. Fred und seine Bande hörten wahrscheinlich nicht einmal zu und traten genau wie beim letzten Mal unmittelbar vor und hinter uns auf den Weg.

Fred, der ganz vorne stand, lächelte mich bösartig an. »Wie schön, Robert, dass du mein Mittagessen gefangen hast. Und heute hast du auch nicht deinen großen Beschützer dabei. Wieso greifst du mich nicht noch einmal an? Du tätest mir damit einen Gefallen.«

Ich neigte den Kopf zur Seite. »Also, Fred, zunächst einmal musste Donald mich beim letzten Mal nicht beschützen. So gut bist du nicht. Aber wenn du tatsächlich abermals auf einen Kampf aus bist, ist heute dein Glückstag.«

Auf diese Worte hin traten hinter Freds Bande Donald und siebzehn weitere Jäger aus Camelot aus dem Gebüsch.

Die Gruppe aus Caerleon ging sofort in Verteidigungsstellung. Ein paar von ihnen versuchten, sich zu verdrücken, und mussten mit den Speeren zurückgedrängt werden. Im Nullkommanichts hatten wir sie dicht zusammengepfercht.

Fred grinste mich verächtlich an. »Glaubst du etwa, damit bist du in Sicherheit? Deine Freunde werden nicht immer da sein, Kuzzi.«

»Deine auch nicht, Fred.«

Fred zuckte überrascht zusammen. »Wie meinst du das?«

»Genauso, wie ich es gesagt habe. Ich kann in aller Ruhe abwarten und dich im Auge behalten, bis du pinkeln gehst oder irgendetwas anderes tust, bei dem deine Kumpels dir nicht den Rücken decken können.« Ich beugte mich dicht zu ihm vor. »Du wirst erst merken, dass ich da bin, wenn ich dir die Kehle durchschneide.« Als Nächstes wandte ich mich an den Rest seiner Bande. »Das gilt für euch alle. Wenn ihr einen Krieg mit uns anfangt, werdet ihr für den Rest eures Lebens ständig über die Schulter schauen müssen. Ich vergesse nie. Und ich vergebe auch nicht.«

Fred stieß ein kurzes bellendes Lachen aus. »Nette Ansprache. Abgesehen davon, dass nichts dahintersteckt.«

Ich lächelte. »Ist das so?« Ehe er reagieren konnte, erwischte ich ihn mit der Faust an derselben Stelle wie beim letzten Mal und schickte ihn erneut auf die Bretter.

Natürlich war das kein ausgewogener Kampf. Ich hatte die Geschwindigkeit eines Computers, und mein Android war viel stärker als ein Deltaner aus Fleisch und Blut. Aber um Fairness ging es mir auch nicht. Ich wollte, dass Freds Bande nicht weiter den Jägern aus Camelot nachstellte, und dazu musste ich ihnen ihre Sterblichkeit vor Augen führen. Ich sah mich zu seinen Kumpanen um, die nun längst nicht mehr so aufsässig wirkten. »Heute lassen wir euch noch mal mit einer Verwarnung davonkommen. Und ohne eure Speere. Aber beim nächsten Mal werden wir euch richtig wehtun.« Auf mein Zeichen hin begannen ein paar von uns, ihre Speere einzusammeln. Die Caerleoner waren mittlerweile so eingeschüchtert, dass sie keinen Widerstand mehr leisteten.

Wir schickten sie auf den Heimweg und kehrten nach Camelot zurück.

Donald ging neben mir her. »Verdammt, Robert, das war wirklich beeindruckend. Allerdings bezweifle ich, dass Fred so leicht aufgibt.«

»Du hast recht, Donald. Aber die meisten der anderen werden es tun, und Leute wie Fred sind auf ihre Anhänger angewiesen. Ich hoffe, dass wir ihm damit den Wind aus den Segeln genommen haben.«

Donald nickte und sang die ersten Takte eines Marschlieds, in das wir gleich darauf alle einfielen.

Insgeheim musste ich mir jedoch eingestehen, dass ich längst nicht so zuversichtlich war, wie ich tat.

6

Der Start

Bill – Januar 2223

Epsilon Eridani

Garfield schüttelte erstaunt den Kopf. »Das erinnert mich an die Muscle Cars aus unserer Kindheit, die komplett aus einem Motor zu bestehen schienen.«

Die Bilder in den Videofenstern waren tatsächlich beeindruckend. Der Planet Epsilon Eridani 1, der sich in einer vollkommen neuen Umlaufbahn um die Sonne befand, war von achthundert Antriebsplatten umgeben. Ungefähr eine Million Kilometer dahinter folgte einer der größeren Monde von Epsilon Eridani 3 mit einer ähnlichen Ansammlung von Platten.

Es hatte Jahre gedauert, bis wir die komplette Ausrüstung konstruiert und herausgefunden hatten, wie wir das alles zusammen kontrollieren konnten. Zusätzlich zu den KMIs für jede einzelne Platte waren vierzig weitere Kontroll-KMIs damit beschäftigt, die Felder der jeweiligen Planeten aufrechtzuerhalten und auszubalancieren.

Die Überwachung der einzelnen Planeten überließ ich meinen jüngsten Klonen. Sie nannten sich Daedalus und Ikarus, was ich persönlich für ein wenig hochtrabend hielt. Aber das war allein ihre Sache – schließlich lebten wir in einer freien Galaxie.

Garfield sah mich. Sein Gesicht war vor Aufregung gerötet. »Der Kurzreichweiten-Test ist abgeschlossen. Wir können es zwar nicht genau sagen, aber mit diesem Set-up sind mindestens ein paar Hundert G möglich.«

Lächelnd lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück. »Dann sind wir wohl startklar.«

Nach einem kurzen Ping an Dae und Ick erschienen die beiden in meiner VR.

»Okay, Jungs. Alles sieht gut aus. Euch ist wirklich klar, dass das ein ziemlicher Schuss ins Blaue ist, oder?«

Die beiden nickten.

»Klar, aber den Versuch ist es wert«, antwortete Daedalus. »Und wenn wir es tatsächlich nicht hinbekommen sollten, sind die Bobs auch nicht schlimmer dran als zuvor.«

»Außerdem haben wir Zeit für ein bisschen ungestörte Astrophysik«, fügte Ikarus mit einem Lächeln hinzu.

Ich lachte leise. Ikarus kam ganz nach mir. Die Weltraumschlachten und Entdeckungsreisen überließ er gerne anderen und wollte nur seinen Forschungen nachgehen.

Was die beiden anbelangte, war ich zwiegespalten. Natürlich verfolgten wir immer eine bestimmte Absicht, wenn wir uns klonten, aber Daedalus und Ikarus hatte ich für eine Aufgabe geschaffen, die sich vielleicht als Himmelfahrtskommando erweisen würde. Deswegen empfand ich ihnen gegenüber Schuldgefühle.

Doch obwohl die beiden natürlich genau wussten, welchem Grund sie ihre Existenz verdankten, sprach aus ihren Blicken lediglich aufmerksames Interesse und keine Spur von Vorwürfen oder Verbitterung. Also beschloss ich, mich zu entspannen.

Zögerlich blickte ich mich im Raum um. Es war ein schicksalhafter Moment. Wir waren bereit loszulegen. Jetzt hieß es entweder oder. »Okay, Jungs. Die Andockrampen warten auf eure Schiffe. Verbindet euch mit ihnen, und dann ab die Post. Viel Erfolg!«

7

Eine Verabredung

Howard – November 2217

Omicron2 Eridani

Arm in Arm verließen wir das Kino. Bridget sah wie immer hinreißend aus.

Als sie sich zu mir beugte, um mir etwas ins Ohr zu flüstern, schmolz ich – ebenfalls wie immer – hoffnungslos dahin. »Du siehst sehr distinguiert aus, Howard. Aber das hättest du wirklich nicht tun müssen.«

Ich zuckte mit den Schultern. Die äußere Erscheinung des Androiden zu ändern war keine große Sache gewesen. Und mir war vor allem daran gelegen, Bridget weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen. Mein scheinbares Alter passte nun genau zu ihrem.

Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Das war gar nicht mal so schlecht. Dieses neumodische kinematografische Theater könnte wirklich eine Zukunft haben.«

»Ja, damit ist Vulkan endgültig an die Zivilisation angeschlossen. Als Nächstes kommen wahrscheinlich Diskotheken.«

»Nein, bitte nicht.«

Natürlich gab es vor Ort keine boomende Filmindustrie. Vulkan war nach wie vor ein Pionierplanet, dessen Wirtschaft noch immer nicht die wichtigsten Grundbedürfnisse abdeckte. Es würden sicher mehrere Jahrzehnte vergehen, bevor sich mit Freizeitaktivitäten echtes Geld verdienen ließe.

Aber Hollywood und seine diversen geistigen Ableger hatten Tausende Filme von unterschiedlichster Qualität und Popularität hervorgebracht. Und die Inhaber der jeweiligen Urheberrechte waren nicht nur viele Lichtjahre weit weg, sondern inzwischen mit großer Sicherheit auch längst tot. Vor Kurzem hatte irgendwer in Landeplatz den Einfall gehabt, ein Kino zu eröffnen und thematisch zusammenhängende Double Features anzubieten. Was meiner Ansicht nach eine brillante Idee war. Und die Planetenbewohner, die den größten Teil ihres bisherigen Lebens in abgeschiedenen und beengten Enklaven verbracht hatten, zeigten sich ebenfalls hellauf begeistert von dem für sie neuen Medium.

Die heutige Doppelvorstellung mit Zombiefilmen war ausverkauft gewesen. Das Publikum hatte laut, voreingenommen und herablassend auf die künstlerischen Darbietungen reagiert, aber niemand war vorzeitig von seinem Platz aufgestanden.

Ich beugte mich dicht an Bridget heran. »Ich hätte Lust auf Gehirne. Oder Sushi.«

Bridget lachte und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als plötzlich ihr Telefon summte. Zwei Sekunden später erhielt ich eine E-Mail. Sie kam aus dem Büro des Leichenbeschauers.

Als ich sie auf meinem Head-up-Display durchlas, blieb ich unvermittelt stehen.

Bridget sah mit Tränen in den Augen von ihrem Telefon auf. »Oh, Howard, nein …«

»Er hat Ihnen diese Nachricht hinterlassen«, sagte Dr. Onagi und schob mir über den Schreibtisch einen Umschlag zu. Wie betäubt und mit dem Gefühl, jemand anderes würde meine Bewegungen steuern, nahm ich ihn entgegen und öffnete ihn. Ich hielt die Nachricht so, dass Bridget sie ebenfalls lesen konnte.

Howard,

neulich war ich beim Arzt, da ich immer wieder Probleme mit meinem Gedächtnis und meinen kognitiven Fähigkeiten hatte. Seine Diagnose fiel sehr unerfreulich aus. Wie es scheint, leide ich an einer besonders aggressiven Form von neurologisch degenerativer Demenz, für die es keine Heilung gibt. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass die Krankheit in meinem Fall bereits sehr weit fortgeschritten sei.

Ich habe Kontakt zu ein paar Fachleuten aufgenommen, die mir versicherten, dass sich dieses Problem auch nicht in einer Softwareversion von mir beheben ließe. Die Aussicht, ein kognitiv behinderter Replikant zu werden, erscheint mir wenig reizvoll.

Die einzige Freiheit, die mir nun noch bleibt, ist die Wahl meiner Todesart.

Du bist mir während der vergangenen Jahre ein guter Freund gewesen, Howard. Bitte denke wegen meiner Entscheidung nicht schlecht von mir.

Mit ergebensten Grüßen

George Butterworth (Colonel, USA, im Ruhestand)

Tränen strömten über Bridgets Wangen.

Ich sah Dr. Onagi verständnislos an. »Wie …?«

»Ein Nervengift. Schnell und schmerzlos.«

»Könnte er noch gescannt werden?«

Dr. Onagi schüttelte den Kopf. »Sogar dann nicht, wenn es medizinisch möglich wäre. Er hat seine Einwilligung dazu zurückgezogen.«

Ich nickte und stand auf. »Vielen Dank, Dr. Onagi.«

Bridget tupfte sich die Augen trocken, erhob sich ebenfalls und verließ hinter mir das Büro.

Wir hatten Manny immer noch nicht so umgebaut, dass er weinen konnte. Was wirklich bedauerlich war, da ich gerne ein Ventil für meine Gefühle gehabt hätte. Und das nicht zum ersten Mal. Vielleicht war es an der Zeit, diesen Punkt auf meiner Prioritätenliste weiter nach oben zu verschieben, aber vor allem hoffte ich, dass ich diese Fähigkeit nicht mehr so oft brauchen würde.

Wir saßen eng umschlungen auf Bridgets Couch. Ihr waren mittlerweile die Tränen ausgegangen. Ich würde später in meiner VR nachziehen, sobald sie zu Bett gegangen war.

»Alle lassen mich allein«, unterbrach ich schließlich das Schweigen. Bridget hob den Blick, und ich sah ihr in die Augen. »Ich weiß, dass das normal ist. Deine Eltern sterben, genau wie deine Großeltern und andere, mit denen du dein ganzes Leben verbracht hast. Letzten Endes stirbst du irgendwann auch selbst, und dann ist alles vorbei. Aber wenn man unsterblich ist, sieht man immer nur andere gehen. Einen nach dem anderen.«

»Aber du lernst doch auch neue Leute kennen«, warf Bridget ein.

»Die früher oder später auch wieder verschwinden. Vermutlich werde ich irgendwann vor neuen Bekanntschaften zurückschrecken.« Ich rang mir ein mattes Lächeln ab. »Normalerweise bin ich längst nicht so reserviert wie die meisten anderen Bobs, aber gerade verstehe ich sehr gut, warum sie sich so verhalten. Zwischen den Unsterblichen und den Kurzlebigen, wie die Bobs sie zu Recht nennen, besteht tatsächlich eine große Kluft.«

Bridget blickte mir forschend ins Gesicht. »Bin ich in deinen Augen eine Kurzlebige?«

»Für mich bist du das Wichtigste im ganzen Universum. Und genau das ist das Problem. Irgendwann wirst du sterben, und dann bin ich wieder allein.« Seufzend stand ich auf. »Entschuldige, Bridget. Ich bin heute Abend eine schreckliche Spaßbremse. Ich glaube, ich lasse dich besser allein, damit du ein bisschen schlafen kannst.«

Bridget fasste mich am Arm. »Nein, bitte nicht. Bleib bei mir. Ich möchte nicht allein sein.«

Wortlos setzte ich mich wieder hin und nahm sie in den Arm. Sie legte den Kopf auf meine Schulter und stieß den Atem aus. Und so blieben wir einfach sitzen, ohne uns zu bewegen oder zu unterhalten. Irgendwann merkte ich, dass sie eingeschlafen war. Und das war gut so.

8

Die Revolutionäre

Marcus – Juni 2214

Poseidon

Bereits zum dritten Mal hob ich die Hand, um anzuklopfen, und ließ sie wieder sinken. Mir fiel ein, dass Howard von Lampenfieber berichtet hatte, als er sich zum ersten Mal mit seinem Androiden in der Öffentlichkeit gezeigt hatte. Ich wusste nicht mehr, ob ich ihm damals nicht geglaubt oder ihn einfach nur nicht ernst genommen hatte. So oder so musste ich insgeheim bei ihm Abbitte leisten.

Nun stand mir also der erste Auftritt in meiner neuen Androidenform bevor. Nachdem ich jahrelang in Videochats und Telefongesprächen mit ihnen Kontakt gehalten hatte, würde ich meinen besten Freunden auf diesem Planeten nun zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.

Vorausgesetzt, es gelang mir, an die Tür zu klopfen.

Schließlich setzte ich mich mit einem Knurren über meine Unsicherheiten hinweg und klopfte dreimal hintereinander. Die Tür ging sofort auf. Ich wusste, dass sie mich erwartet hatten. Aber plötzlich hatte ich ein Bild von Kal vor Augen, wie er auf der anderen Seite der Tür mit der Hand an der Klinke gestanden und darauf gehofft hatte, dass ich endlich zur Tat schritt.

»Der große Computer am Himmel lässt sich also tatsächlich dazu herab, uns armen Sterblichen einen Besuch abzustatten.« Er sah grinsend von oben auf mich herab. Mein Android war mit einem Meter fünfundachtzig genauso groß wie der Ursprüngliche Bob, aber Kal überragte mich bei Weitem. Er war in fast allen Runden der größte.

»Du kannst mich mal, Kal. Wer ist bis jetzt da?«

Kal trat zur Seite und ließ mich eintreten. »Denu und Gina. Vinnie wird sich ein bisschen verspäten. Er steckt noch in einem Ratstreffen fest.«

Ich betrat das Wohnzimmer in Kals kleinem Apartment. Dass es auf einem so großen Planeten derart wenig Platz gab, frustrierte die Allgemeinheit schon seit Langem. Zugegebenermaßen war die Oberfläche größtenteils von Wasser bedeckt, aber es gab zahlreiche Matten – und inzwischen auch schwimmende Städte –, die genügend Raum für eine großflächigere Besiedlung boten. Dass der Rat dennoch alle Bewohner hartnäckig zusammenhielt, sorgte mittlerweile auf dem ganzen Planeten für hitzige Auseinandersetzungen. Ich fragte mich, wie viel davon die unverfälschte Reaktion der Leute war und wie sehr die Unruhestifter in diesem Apartment die Streitigkeiten zusätzlich anheizten.

Als ich Platz nahm, bemerkte ich, dass Gina und Denu mich anstarrten. »Das ist wirklich verdammt beeindruckend, Marcus. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich dir keinen zweiten Blick widmen. Du siehst absolut glaubwürdig aus.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ein paar von den anderen Bobs feilen schon seit mehreren Jahren an dieser Konstruktion herum. Ich selbst beschäftige mich noch nicht sehr lange damit. Ihr wisst ja, dass ich andere Prioritäten setze.«

Gina und Denu nickten, während Kal schnaubend lachte.

Es klopfte an die Tür, und gleich darauf trat Vinnie ein. Er sah sehr wütend aus. Offensichtlich war das Ratstreffen nicht gut gelaufen.

»Idioten!«, schimpfte er. »Schwachköpfe!« Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf die Couch fallen.

Kal grinste ihn an. »Komm doch herein, Vinnie, und hol dir was zu trinken.«

Vinnie hob sein Bier zum Gruß. »Tut mir leid. Du weißt ja, wie der Rat ist.«

Kal hob die Augenbraue wie Mr. Spock. »Und …«

Vinnie öffnete den Dosenverschluss. »Sie haben sich glatt geweigert, eine Änderung ihrer Politik auch nur in Erwägung zu ziehen. Für sie sind sämtliche Fragen zur öffentlichen Moral bloß ›Angstmacherei‹. Und so hatten sie mir außer einer Neuauflage ihrer üblichen Alle-für-einen-Litanei rein gar nichts zu bieten.« Er unterbrach sich kurz und leerte auf einen Zug die halbe Dose. »Ohne eine unmittelbare Bedrohung werden sie keinen Millimeter von ihrer Linie abweichen. Tja, so sieht’s aus, Leute.«

Gina drehte sich zu mir um. »Also, großer Mann, das war’s dann wohl. Du hast gesagt, dass wir erst alle anderen Mittel ausschöpfen sollen, und ich glaube, das haben wir jetzt getan. Nun wird es Zeit für einen Wechsel an der Führungsspitze. Und da der Rat öffentliche Wahlen als ›wenig relevant‹ und ›eine Ablenkung von den wahren Problemen‹ bezeichnet, können wir darauf meiner Meinung nach auch nicht länger warten.«

Ich rieb mir über die Stirn und betrachtete einen Moment lang meine Finger. Diese Handlung hatte sich ganz anders angefühlt als in einer VR, auch wenn ich nicht hätte erklären können, worin genau der Unterschied lag. Ich beschloss, später darüber nachzudenken, und sah Gina an, die immer noch auf meine Antwort wartete. »Äh, ich gebe ja zu, dass ihr inzwischen all eure Alternativen aufgebraucht habt, aber ich glaube, dass mir noch ein paar geblieben sind. Leute, ich möchte wirklich kein Revolutionär sein, weil Revolutionen Leben kosten, selbst die angeblich friedlichen.« Ich sah einen nach dem anderen an. »Ich werde demnächst meine fliegenden Städte der Öffentlichkeit präsentieren. Ich glaube, dies könnte einige Bewegung in die Sache bringen, ohne dass auf Menschen geschossen werden muss und Dinge in die Luft gesprengt werden.«

»Willst du den Rat mit deinen Städten bedrohen oder sie als Überraschung aufheben?«

»Ehrlich gesagt, sind sie nicht besonders bedrohlich, Kal«, entgegnete ich. »Zumindest auf dem Papier. Ändert eure Politik, oder wir bauen fliegende Städte. Dem fehlt doch der richtige Bums, meinst du nicht?«

Kal gluckste verlegen. »Okay, kann sein. Vielleicht wirken sie bedrohlicher, sobald sie fliegen und wir die ersten Konsequenzen sehen. Bis dahin wird der Rat nur das sehen, was er sehen möchte.«

»Aber du musst es auf jeden Fall versuchen«, sagte Denu. »Erkläre ihnen das Konzept, und wenn sie es nicht verstehen … dann halt nicht.«

Gina ging zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier heraus. Dann wedelte sie damit in Richtung Denu, bis ihr offensichtlich klar wurde, dass das bei einem ungeöffneten kohlesäurehaltigen Getränk nicht sehr schlau war. »Marcus will darauf hinaus, dass wir gerne eine groß angelegte Revolution vermeiden würden. Daher ist dann halt nicht keine sehr zielführende Einstellung.« Sie drehte sich zu mir um. »Und du hör auf, ein solches Weichei zu sein.«

Denu und ich grinsten sie an. Das war die Gina, die wir kannten: immer zurückhaltend und unvoreingenommen.

»Okay.« Kal sah sich im Raum um. »Dann wird Marcus also mit den Ratsmitgliedern sprechen und sie davon zu überzeugen versuchen, dass ihre totalitäre Politik nirgendwo hinführt. Wenn sie auf die Stimme der Vernunft hören, umso besser. Falls nicht, setzen wir den Städte-Plan auch ohne offizielle Genehmigung weiter um.«

Reihum nickten wir alle stumm. Wie die meisten Pläne war auch dieser nicht perfekt, aber immer noch besser als ein offener Krieg.

»Das ist nicht akzeptabel!« Der Blick, mit dem Ratsmitglied Brennan mich in seinem Videofenster ansah, zeugte von abgrundtiefer Empörung. Ich versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. Zu behaupten, dass mein Vorschlag auf Widerstand stieß, wäre eine massive Untertreibung gewesen.

In einem anderen Videofenster schaltete sich nun Ratsmitglied Murray in die Diskussion ein. »Wir stehen endlich kurz davor, die verschiedenen Bevölkerungsteile mit den notwendigen Arbeiten auf den Matten und in den Städten zu koordinieren. Wenn jetzt alle anfangen würden, nach Lust und Laune umzuziehen oder sogar in neue Lebensräume abzuwandern, bräche bald Chaos aus. Da wir für all die Arbeit, die getan werden muss, nicht genügend Leute haben, ist es absolut unerlässlich, dass jeder dort lebt, wo er gebraucht wird.«

»Finden Sie es moralisch vertretbar, den Leuten vorzuschreiben, wo sie leben und welchen Beruf sie ausüben müssen?«

»So lautet das Gesetz, Marcus.«

Ich lächelte Ratsmitglied Brennan an. »Womit Sie der Frage nur ausweichen. Man kann alles in Gesetzesform gießen, aber dadurch wird es noch lange nicht richtig. Außerdem ist da noch die Vereinbarung, die Sie mit Riker geschlossen und unterschrieben haben, bevor Sie hierhergebracht wurden. Darin ist ganz klar festgelegt, dass …«

»Dieses Dokument ist nicht rechtlich bindend«, fiel Brennan mir ins Wort. »Darüber haben wir bereits abgestimmt.«

»Also können Sie jede Vereinbarung, die Ihnen nicht gefällt, einfach für null und nichtig erklären und durch etwas ersetzen, das Ihnen besser in den Kram passt? Und alle anderen sollen sich danach richten, weil das dann das Gesetz ist?«

Murray sah mich von oben herab an. Buchstäblich. »Sparen Sie sich Ihren Spott, Mr. Johansson. Wir haben Ihnen unmissverständlich erklärt, dass wir keine fliegenden Städte erlauben. Vielleicht irgendwann in der Zukunft. Aber diese Entscheidung werden wir treffen und nicht Sie.« Er sah sich um, wahrscheinlich um zu überprüfen, wie die anderen Ratsmitglieder auf seine Worte reagierten. »Und ich glaube, damit sind wir hier fertig. Guten Tag.«

Damit klinkte er sich aus der Konferenzschaltung aus, und innerhalb von ein oder zwei Sekunden taten es ihm die anderen Ratsmitglieder nach.

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Fertig? Wohl kaum. Die Reaktion des Rats erinnerte mich an eine Szene aus dem Film